European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127818
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung:
Mit der beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eingebrachten Klage begehrt die Klägerin von der in Wien wohnhaften Beklagten die Zahlung von 422.136,06 EUR sA und erhebt diverse Eventualbegehren. Sie brachte vor, die Beklagte und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann, dessen Gesamtrechtsnachfolgerin die Beklagte sei, hätten mit der Klägerin am 13. 8. 2015 einen Abtretungsvertrag über den Erwerb von 95 % der Geschäftsanteile an der „A*“ * Gesellschaft mbH (im Folgenden: „Gesellschaft“) um einen Kaufpreis von 1.440.000 EUR abgeschlossen. Der Kaufpreis sei am 8. 9. 2015 bezahlt worden. Die Gesellschaft sei auf dem Gebiet der Mechanik und Elektromechanik tätig.
Die Klägerin sei von der Beklagten (bzw deren Ehemann und ihr zurechenbaren Gehilfen wie etwa dem Steuerberater) während der Vertragsverhandlungen vorsätzlich, jedenfalls aber fahrlässig unrichtig über Eigenschaften des Unternehmens informiert worden und diese Zusagen seien auch im Vertrag selbst unrichtig angegeben. Dies stelle eine Verletzung sowohl der vorvertraglichen Schutz-, Sorgfalts- und Aufklärungspflichten (culpa in contrahendo) als auch der vertraglichen Zusagen dar. Weiters träfen diverse andere vertragliche Zusagen nicht zu, wofür Gewährleistung und Schadenersatz begehrt werde. Die Klägerin stellt folgende Ansprüche:
a) Die Verkäufer hätten der Klägerin insbesondere unrichtige Zusagen über die Richtigkeit des Jahresabschlusses zum 31. 12. 2014 und den Zwischenabschluss vom 30. 4. 2015 gemacht, sie entsprächen auch nicht den Vereinbarungen des Abtretungsvertrags. Dies betreffe die Herstellungskosten für Halbfertigfabrikate sowie die Abfertigungsrückstellungen, die insgesamt mit 109.258,84 EUR unrichtig dargestellt worden seien. Nach dem Abtretungsvertrag sei jener Zustand herzustellen, der bestünde, wenn die Zusage richtig wäre. Der genannte Betrag sei daher aus dem Titel der Gewährleistung bzw des Schadenersatzes an die Gesellschaft zu zahlen, damit der zugesicherte Zustand erreicht werde. Der den Verkäufern zuzurechnende Steuerberater der Beklagten habe zumindest fahrlässig unrichtige Angaben über das durchschnittliche Jahresergebnis (das „EBITDA“) der Jahre 2008 bis 2014 gemacht.
b) Durch diese Vorgehensweise sei überdies die Ertragskraft der Gesellschaft unrichtig dargestellt worden und die Klägerin in Bezug auf die Ertrags- und Ergebnissituation in die Irre geführt worden. Es seien damit Gewinne des Unternehmens als vorhanden oder höher dargestellt worden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden gewesen seien. Wenngleich grundsätzlich im Wege der culpa in contrahendo der Vertrauensschaden zu ersetzen sei, könne der Erfüllungsanspruch verlangt werden, wenn ohne Pflichtverletzung der Vertrag zustande gekommen wäre. Der Vertrag wäre ohne die Irreführung über die Ertrags- und Ergebnissituation der Gesellschaft um einen Kaufpreis von 1.168.720,25 EUR zustande gekommen, sodass der Klägerin der Betrag von 271.279,75 EUR zustehe.
Bei den Ansprüchen laut lit a und b handle es sich um zwei verschiedene Ansprüche, nämlich einerseits um die unrichtige Höhe der Halbfertigfabrikate und der Abfertigungsrückstellungen selbst (lit a), andererseits um die Irreführung bezüglich der Ertragskraft des ganzen Unternehmens (lit b). Deswegen stelle sich hier auch nicht die Frage nach einer Anspruchsgrundlagenkonkurrenz, sondern es seien zwei verschiedene Ansprüche mit jeweils eigenen Anspruchsgrundlagen.
c) Darüber hinaus träfen diverse andere vertragliche Zusagen nicht zu, wofür (insbesondere) Gewährleistung bzw Schadenersatz in Höhe von 41.597,47 EUR begehrt werde.
Zwischen den Parteien sei die Anwendung der relativen Berechnungsmethode ebenso ausgeschlossen worden wie eine Vorteilsanrechnung.
Soweit Gewährleistung bzw Schadenersatz wegen Verletzung von vertraglichen Zusagen hinsichtlich des Unternehmens der Gesellschaft geltend gemacht würden (lit a und c), werde primär Leistung an die Gesellschaft begehrt, damit in deren Vermögen der zugesagte Zustand eintrete; eventualiter werde Leistung direkt an die Klägerin begehrt.
Begehrt werde daher primär die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 271.279,75 EUR sA an die Klägerin (lit b) sowie weiterer 150.856,31 EUR (109.258,84 EUR [lit a] sowie 41.597,47 EUR [lit c]) sA an die Gesellschaft. Weiters werden diverse Eventualbegehren gestellt.
Die Zuständigkeitsvoraussetzungen des § 51 Abs 1 Z 6 und 7 JN lägen nicht vor.
Das Erstgericht erklärte sich für sachlich unzuständig und wies die Klage a limine zurück. Es liege eine Streitigkeit aus der Veräußerung eines Unternehmens zwischen den Vertragsteilen vor, die gemäß § 51 Abs 1 Z 4 JN vor die Handelsgerichte gehöre.
Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluss dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, beim vorliegenden Erwerb von 95 % der Geschäftsanteile sei von einem § 51 Abs 1 Z 4 JN zu unterstellenden Unternehmenskauf auszugehen.
Die Klägerin stütze ihre Ansprüche einerseits auf Gewährleistung und vertraglichen Schadenersatz. Diese fielen bei Vorliegen auch der übrigen Voraussetzungen in die handelsgerichtliche Zuständigkeit. Andererseits mache die Klägerin irrtumsrechtliche Vertragsanpassung geltend. In den Fällen des § 872 ABGB bleibe der Vertrag gültig, dem Irregeführten sei vom Urheber des Irrtums lediglich die angemessene Vergütung zu leisten. Damit sei die Anpassung des Vertragsinhalts gemeint, daneben komme die Haftung für Vertrauensschaden aus culpa in contrahendo in Betracht. Die Anpassung diene grundsätzlich der Wiederherstellung der subjektiven Äquivalenz und wirke rechtsgestaltend. Damit bestehe ein ausreichend enger Zusammenhang mit dem Vertrag, so dass eine Anknüpfung an die handelsgerichtliche Zuständigkeit zweckmäßig und geboten erscheine.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob auch ein mehrheitlich anteiliger Erwerb von Gesellschaftsanteilen die Zuständigkeitsnorm des § 51 Abs 1 Z 4 JN erfülle, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen (ersatzlos) aufzuheben und dem Erstgericht die Führung des Verfahrens aufzutragen. Hilfsweise wird die Überweisung gemäß § 230a ZPO an das nicht offenbar unzuständige Handelsgericht Wien beantragt.
Der Revisionsrekurs ist ungeachtet der Tatsache, dass die klagende Partei schon im Rekurs hilfsweise einen Überweisungsantrag an das Handelsgericht Wien gestellt hat (RS0039108; RS0099922 [T2]), aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, sie stütze sich auch auf culpa in contrahendo, welcher Haftungsgrund nicht in der Verletzung von Pflichten aus einem Handelsgeschäft, sondern auf dem Gesetz beruhe. Der geltend gemachte Klagsanspruch habe seine Grundlage nicht im GmbHG. Aus der Unternehmereigenschaft der GmbH kraft Rechtsform (§ 2 UGB) könne nicht geschlossen werden, dass die GmbH auch ein Unternehmen betreibe. Mache ein Kläger mehrere Rechtsgründe geltend, so genüge es, wenn das angerufene Gericht auch nur aufgrund eines der sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt ableitbaren Rechtsgründe zuständig sei, außer der Kläger lege sich ausdrücklich auf einen bestimmten Rechtsgrund fest. Nach der Rechtsprechung seien selbst mit dem Kauf einer Minderheitsbeteiligung an einem Unternehmen die für einen Unternehmenskauf geltenden Gewährleistungsregeln grundsätzlich anwendbar. Würde man diese Überlegungen auf § 51 Abs 1 Z 4 JN übertragen, bedeutete dies, dass auch der Verkauf von Kleinanteilen an einer GmbH zwischen zwei Privaten vor die Handelsgerichtsbarkeit gehörte. Dies würde aber den Wortlaut des § 51 Abs 1 Z 4 JN überdehnen. Würde man aber diese Bestimmung nur auf den Erwerb einer „beherrschenden Stellung“ anwenden, stellten sich schwierige Abgrenzungsprobleme. Überdies spreche die Bestimmung von der „Veräußerung eines Unternehmens“ und nicht von der „Veräußerung von Geschäftsanteilen an GmbH oder Aktien“. Auch die Materialien zum HaRÄG (BGBl I 2005/120) sprächen gegen eine weite Auslegung von § 51 Abs 1 Z 4 JN.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu wurde erwogen:
1. Die gerügte Aktenwidrigkeit sowie der geltend gemachte Verfahrensmangel liegen nicht vor, was keiner Begründung bedarf (§§ 528a iVm 510 Abs 3 ZPO).
2. Norm:
Gemäß § 51 Abs 1 Z 4 JN gehören vor die selbständigen Handelsgerichte, falls der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert den Betrag von 15.000 EUR übersteigt, Streitigkeiten aus der Veräußerung eines Unternehmens zwischen den Vertragsteilen.
3. Rechtsprechung und Lehre:
3.1. Zu § 51 Abs 1 Z 4 JN:
Aufgrund des § 51 Abs 1 Z 4 JN gehören Streitigkeiten aus der Veräußerung eines Unternehmens zwischen den Vertragsteilen auch dann vor die Handelsgerichte, wenn das Geschäft auf Seiten des Beklagten kein unternehmensbezogenes Geschäft ist oder wenn auf der Beklagtenseite kein Unternehmer steht (Simotta in Fasching/Konecny 3 § 51 JN Rz 87).
Zu derartigen Streitigkeiten zählen nicht nur Klagen auf Übergabe des Betriebs, eines Teils desselben oder des Warenlagers, auf vollständige Vertragserfüllung, auf Bezahlung des Entgelts, auf Rücktritt vom Vertrag, auf Gewährleistung oder auf Schadenersatz, sondern auch Streitigkeiten, die aus der Übernahme der Haftung durch den Erwerber oder aus einem in den Veräußerungsvertrag aufgenommenen Konkurrenzverbot oder einer anderen Nebenverbindlichkeit entstehen (10 Ob 2/04y; Simotta in Fasching/Konecny 3 § 51 JN Rz 88; Mayr in Rechberger/Klicka ZPO5 § 51 JN Rz 7; Pesendorfer in Höllwerth/Ziehensack ZPO-TaKomm § 51 JN Rz 12).
Die Zuständigkeit des Handelsgerichts ist freilich in allen diesen Fällen auf jene Streitigkeiten beschränkt, die unmittelbar zwischen den Vertragsteilen (oder ihren Rechtsnachfolgern) entstehen. Klagen Dritter auf Zahlung der Schulden des Vorbesitzers aufgrund der Haftung nach § 38 UGB fallen nicht unter § 51 Abs 1 Z 4 JN (Simotta in Fasching/Konecny 3 § 51 JN Rz 89).
Die Grundlage des Klagsanspruchs müssen der Veräußerungsvertrag oder die Bestimmungen über die Firmenfortführung (§§ 22 ff UGB) sein, und nicht die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Gültigkeit von Verträgen (10 Ob 2/04y; Simotta in Fasching/Konecny 3 § 51 JN Rz 89/1; Mayr in Rechberger/Klicka ZPO5 § 51 JN Rz 7; Pesendorfer in Höllwerth/Ziehensack ZPO-TaKomm § 51 JN Rz 12). Eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit bzw auf Unwirksamerklärung der Veräußerung eines Unternehmens fällt nicht unter § 51 Abs 1 Z 4 JN (10 Ob 2/04y; Pesendorfer in Höllwerth/Ziehensack ZPO-TaKomm § 51 JN Rz 12).
3.2. Zusammenhang mit unternehmensbezogenem Geschäft:
Der Rechtssatz, dass die Grundlage des Klagsanspruchs im Zusammenhang mit der handelsgerichtlichen Zuständigkeit nicht in den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Gültigkeit von Verträgen sein darf, war wiederholt (vor allem zu § 51 Abs 1 Z 1 JN) Gegenstand höchstgerichtlicher Entscheidungen:
3.2.1. Für Schadenersatzansprüche gegen einen Kaufmann (Unternehmer) gilt, dass diese nur dann vor die Handelsgerichte gehören, wenn sie aus der Erfüllung, Schlechterfüllung oder Nichterfüllung eines Handelsgeschäfts (unternehmensbezogenen Geschäfts) abgeleitet werden (RS0113977; RS0046419). Vor die Handelsgerichte gehören Ansprüche auf Rückabwicklung nach einem Vertragsrücktritt, weil erst der rechtliche Charakter und Inhalt des Rechtsgeschäfts Aufschluss über die Zulässigkeit des Rücktritts geben kann (RS0123493; 2 Ob 67/08d = GesRZ 2008, 296 [zust Geroldinger]). Insoweit bildet jedenfalls das Rechtsgeschäft selbst die unmittelbare Grundlage für die Beurteilung des Klagsanspruchs. Dies macht auch deutlich, dass jene Entscheidungen, die die Zuständigkeit der Handelsgerichte bejahten, zumindest einen engen Zusammenhang des geltend gemachten Anspruchs mit den durch ein Handelsgeschäft (ein unternehmensbezogenes Geschäft) selbst begründeten Forderungen und Pflichten voraussetzen (9 Ob 84/18w; vgl auch 5 Ob 248/11y).
3.2.2. Beruht der Haftungsgrund hingegen unmittelbar auf dem Gesetz und nicht auf der Verletzung von Pflichten aus einem Handelsgeschäft, ist nicht das Handelsgericht, sondern das allgemeine Zivilgericht zuständig (1 Ob 298/02h, 7 Ob 302/02s mwN ua). So wurde etwa auch für eine Klage auf Aufhebung und Rückabwicklung eines Vertrags über die Abtretung von Geschäftsanteilen die handelsgerichtliche Zuständigkeit verneint (2 Ob 601/90 = RS0046404). In dieser Entscheidung prüfte der Oberste Gerichtshof die handelsgerichtliche Zuständigkeit allerdings nur nach § 51 Abs 1 Z 6 und 7 JN, nicht auch nach § 51 Abs 1 Z 4 JN. Auch außerhalb von Schadenersatzansprüchen muss sich nach der Rechtsprechung für die handelsgerichtliche Zuständigkeit nach § 51 Abs 1 Z 1 JN der Anspruch aus einem für die beklagte Partei unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft ergeben. Klagen auf Anfechtung eines Handelsgeschäfts nach der Anfechtungsordnung (AnfO) wurden nicht der Handelsgerichtsbarkeit zugeordnet, weil der Anfechtungsanspruch von der rechtlichen Eigenart der angefochtenen Rechtshandlung unabhängig ist (RS0046419 [T1]). Eine handelsgerichtliche Zuständigkeit wurde auch bei Klagen auf Zahlung eines Benützungsentgelts wegen von Anfang an titelloser Benützung (2 Ob 599/89), auf Rückforderung nach (irrtümlicher) Zahlung einer Nichtschuld (1 Ob 543/93) oder auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Handelsgeschäfts verneint, wenn die fehlende Vertretungsbefugnis oder ein listiges und sittenwidriges Verhalten der vertragsschließenden Person Rechtsgrund der Klage war (10 Ob 2/04y). Für die begehrte Zahlung der Wohnbeiträge aus den Vorschreibungen einer Wohnungseigentümergemeinschaft besteht keine handelsgerichtliche Zuständigkeit, weil kein enger Zusammenhang des geltend gemachten Anspruchs mit dem durch ein Handelsgeschäft (einem unternehmensbezogenen Geschäft) selbst begründeten Forderungen und Pflichten besteht (5 Ob 248/11y).
4. Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer GmbH als Anwendungsfall des § 51 Abs 1 Z 4 JN?
4.1. Mit dem Kauf aller Anteile einer Kapitalgesellschaft wird nach der Verkehrsauffassung und dem wirtschaftlichen Zweck des Vertrags auch das Unternehmen selbst veräußert (RS0018662). Dem entsprechend wird die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen im Gewährleistungsrecht als Unternehmenskauf behandelt, wenn damit in Wahrheit das Unternehmen selbst veräußert wird; das trifft zu, wenn die Veräußerung alle (1 Ob 682/89; 6 Ob 564/90; RS0018662 [T1]) oder doch einen die Beherrschung sichernden Teil der Geschäftsanteile (4 Ob 44/11s mwN) erfasst. Nach in Österreich verbreiteter Ansicht in Rechtsprechung und Lehre können Mängel des Unternehmens aber auch beim Erwerb einer Minderheitsbeteiligung relevant sein, wobei es diesfalls auf die Auslegung des konkreten Vertrags und den Parteiwillen ankommen soll (4 Ob 44/11s; 5 Ob 136/12d; vgl auch 3 Ob 29/97f, jeweils mwN; RS0127038; aus der jüngeren Kommentarliteratur vgl Schopper in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] § 76 Rz 15; Rauter in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG [2019] § 76 Rz 162/1; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 [2018] §§ 922, 923 Rz 135, jeweils mwN).
4.2. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist diese Beurteilung für das materielle Recht auch für die Frage der Anwendung des § 51 Abs 1 Z 4 JN auf Abtretungsverträge über Geschäftsanteile einer GmbH, die – wie hier – (ungeachtet ihrer Unternehmereigenschaft nach § 2 UGB) nach dem Klagevorbringen ein Unternehmen betreibt, sachgerecht. Denn ein Geschäftsanteil verkörpert das Unternehmen (bei einem Alleingesellschafter) bzw einen Teil desselben (bei mehreren Gesellschaftern) mit all seinen wertbildenden Faktoren. So wird auch in der Lehre zutreffend gesagt, ein Mangel des Unternehmens könne auch als Mangel des Geschäftsanteils behandelt werden (Rauter aaO Rz 163 mwN). Nach dem dargestellten Meinungsstand besteht je nach der Auslegung des konkreten Vertrags und dem Parteiwillen auch bei einer (hier aber ohnehin nicht vorliegenden) Minderheitsbeteiligung zumindest die Möglichkeit, dass für die Eigenschaften des Unternehmens der GmbH Gewähr zu leisten ist. Diesfalls stellen sich aber dieselben Tat- und Rechtsfragen betreffend die Eigenschaft und den Wert des Unternehmens. Dazu kommt, dass nach der unter Punkt 3.1. dargestellten Rechtsprechung und Lehre die Zuständigkeit nach § 51 Abs 1 Z 4 JN auch bei Veräußerung bloß eines Teils eines Betriebs angenommen wird. Schließlich ist schon wegen der strengen Formpflicht für den Abtretungsvertrag (§ 76 Abs 2 GmbHG: „Immobilisierung“) auch bei Abtretung bloß eines Minderheitsgeschäftsanteils bei der GmbH im Gegensatz zum Aktienerwerb in aller Regel nicht von vorrangigen Anlage- und Spekulationszwecken auszugehen (in welchem Fall für die Eigenschaften des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens nicht Gewähr zu leisten ist, vgl RS0127038). Aus Gründen der Rechtssicherheit besteht daher bei Streitigkeiten aus Abtretungsverträgen über Geschäftsanteile einer ein Unternehmen betreibenden GmbH unter den in Punkt 3. dargestellten Voraussetzungen auch bei Minderheitsbeteiligungen die handelsgerichtliche Zuständigkeit nach § 51 Abs 1 Z 4 JN.
5. HaRÄG (BGBl I 2005/120):
Das HaRÄG ersetzte in § 51 Abs 1 Z 4 JN das Wort „Handelsgewerbes“ durch das Wort „Unternehmens“. Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin sind aus dieser Novelle keine Argumente für ihren Rechtsstandpunkt zu gewinnen. Die Materialien zur Novellierung der Tatbestände des § 51 JN beschäftigen sich hauptsächlich mit der Neufassung des Abs 1 Z 1 leg cit. Zu Abs 1 Z 4 wird nur auf die sprachliche Anpassung vor allem an den neuen Grundtatbestand (Unternehmer bzw Unternehmen) verwiesen (ErläutRV 1058 BlgNR 22. GP 77 f). Da der Begriff des Unternehmens (§ 1 Abs 2 UGB) weiter als der des Handelsgewerbes (Kaufmanns; vgl § 1 HGB) ist (vgl ErläutRV 1058 BlgNR 22. GP 5 f; Krejci/Haberer in Zib/Dellinger, Großkomm UGB § 1 Rz 32), ergibt sich durch das HaRÄG jedenfalls kein kleinerer Anwendungsbereich für § 51 Abs 1 Z 4 JN gegenüber der davor geltenden Rechtslage.
6. Vorliegender Fall:
6.1. Im vorliegenden Fall liegt eine objektive Klagenhäufung vor, weil die Klägerin zivilprozessuale Rechtsschutzanträge aus gesondert zu beurteilenden, wenn auch auf demselben Rechtsgrund beruhenden Rechtsverhältnissen geltend macht (RS0037814 [T3]). Wie oben dargestellt, begehrt die Klägerin nämlich (primär) kumulativ sowohl die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 271.279,75 EUR sA an die Klägerin (lit b) als auch weiterer 150.856,31 EUR (109.258,84 EUR [lit a] sowie 41.597,47 EUR [lit c]) sA an die Gesellschaft.
Gemäß § 227 Abs 1 ZPO können mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten, auch wenn sie nicht zusammenzurechnen sind (§ 55 JN), in derselben Klage geltend gemacht werden, wenn für sämtliche Ansprüche das Prozessgericht zuständig und dieselbe Art des Verfahrens zulässig ist.
Nach der Rechtsprechung können allerdings– ungeachtet von § 227 Abs 1 ZPO – Ansprüche, die im Sinne des § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnen sind, gemäß § 227 ZPO auch dann in einer Klage geltend gemacht werden, wenn das Prozessgericht für einen der Ansprüche nicht zuständig ist (RS0037769).
Es ist daher zu klären, ob die genannten drei Hauptbegehren gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen sind. Nach dieser Gesetzesbestimmung sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen.
Ein tatsächlicher Zusammenhang ist dann zu bejahen, wenn alle Klagsansprüche aus demselben Klagssachverhalt abzuleiten sind. Dies ist dann der Fall, wenn das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RS0042766, vgl auch RS0046458). Ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang zwischen Forderungen besteht, wenn jeder der mehreren Ansprüche für sich und unabhängig von den anderen nicht bestehen kann oder wenn die Forderungen aus einer gemeinsamen Tatsache oder aus einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind (RS0037905). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Ein solcher Zusammenhang besteht jedoch dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RS0037648 [T18]).
Nach diesen in ständiger Rechtsprechung entwickelten Kriterien ist im vorliegenden Fall ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang zwischen den drei Hauptklageforderungen zu verneinen: Alle drei Ansprüche stützen sich nicht auf ein identes anspruchsbegründendes Tatsachenvorbringen, sie können auch ein unterschiedliches rechtliches und tatsächliches Schicksal haben.
6.2. Die Ansprüche, deren Bezahlung an die Gesellschaft begehrt wird (lit a und c), gründen sich nach dem Klagevorbringen – wie ausgeführt – auf die Verletzung von vertraglichen Zusagen hinsichtlich des Unternehmens. Unter Anwendung der unter Punkt 3. und 4. dargestellten Grundsätze ist für diese Ansprüche die handelsgerichtliche Zuständigkeit nach § 51 Abs 1 Z 4 JN gegeben. Da die einzelnen Ansprüche nicht zusammenzurechnen sind (vgl RS0037769) und die Voraussetzungen des § 227 Abs 1 ZPO nicht vorliegen, können diese Ansprüche auch im Rahmen einer objektiven Klagenhäufung nicht vor dem allgemeinen Gericht eingeklagt werden.
6.3. Jedoch auch für den Anspruch nach lit b ist aus folgenden Erwägungen handelsgerichtliche Zuständigkeit gegeben: Die Klägerin stützt sich dafür auf Irrtumsanpassung nach § 872 ABGB und behauptet als Anspruchsgrundlage die (auf dem Gesetz und nicht in einem unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft beruhende) culpa in contrahendo.
Nach der schon unter 3.2.2. dargestellten Rechtsprechung sind zwar grundsätzlich direkt auf das Gesetz und nicht auf die Verletzung von Vertragspflichten aus einem Handelsgeschäft (unternehmensbezogenem Geschäft) gestützte Ansprüche vor dem allgemeinen Gericht einzuklagen. Dazu ist aber anzumerken, dass – abgesehen von der Entscheidung 10 Ob 2/04y – sämtliche zitierten Entscheidungen sich mit den Zuständigkeitstatbeständen nach § 51 Abs 1 Z 1, 6 oder 7 JN, nicht aber mit dem hier anzuwendenden § 51 Abs 1 Z 4 JN beschäftigten. Überdies sind all jene Entscheidungen, die die handelsgerichtliche Zuständigkeit verneinten, solche, in denen ein spezifisch enger Zusammenhang des geltend gemachten Anspruchs mit dem durch ein Handelsgeschäft (unternehmensbezogenes Geschäft) selbst begründeten Forderungen und Pflichten nicht bestand (5 Ob 248/11y; 9 Ob 84/18w) und spezifisch unternehmensrechtliche Fragestellungen nicht zu beantworten waren.
Hier liegt die Sache anders: Die Klägerin begehrt Vertragsanpassung mit der Behauptung, beide Parteien hätten ohne den Irrtum der Klägerin den Abtretungsvertrag um einen um den Klagsbetrag laut lit b niedrigeren Preis abgeschlossen. Es wird somit nicht Vertragsaufhebung, sondern irrtumsrechtliche Vertragsanpassung begehrt.
Nach der Rechtsprechung ist Vertragsanpassung nur bei einem unwesentlichen Irrtum und nur dann möglich, wenn der Gegner im Zeitpunkt des Kontrahierens hypothetisch den Willen gehabt hätte, gegebenenfalls auch zu den Bedingungen, die der andere Teil nunmehr durchzusetzen bestrebt ist, abzuschließen (RS0016237). Wenn bei Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens kein Ergebnis erzielt werden könnte, ist die Frage zu beantworten, wie normale Parteien redlicherweise gehandelt hätten (RS0016237 [T2]; vgl auch RS0016517; RS0079859; RS0016228 [T3]). Bei einer an der Gesinnung redlicher Vertragsparteien orientierten Vertragsanpassung ist zu berücksichtigen, dass es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass in der Regel marktorientierte verkehrsübliche Entgelte vereinbart werden (RS0127174).
Die Klägerin behauptet überdies Arglist der Beklagten: Der listig Irreführende kann dem Begehren des Vertragspartners auf angemessene Vergütung nach § 872 ABGB (Vertragsanpassung) die Einwendung, dass er den Vertrag anders nicht geschlossen hätte, nur entgegensetzen, wenn durch die begehrte Anpassung wesentliche Interessen auf seiner Seite beeinträchtigt würden (nicht aber schon, weil er den betrügerisch herausgelockten Vorteil auf jeden Fall behalten will) (RS0014780). Dafür trifft den listig Irreführenden die Behauptungs- und Beweislast (RS0014780 [T5]).
Bei dieser Rechtslage ist daher die Wahrscheinlichkeit hoch, dass im vorliegenden Verfahren für die begehrte Vertragsanpassung das „marktorientierte verkehrsübliche Entgelt“ (RS0127174), also der Wert des Unternehmens, zu klären sein wird. Dafür kommt es maßgeblich auf die (schon in der Klage behaupteten) Eigenschaften des Unternehmens der Gesellschaft an. Die Klärung dieser Umstände bildet aber geradezu ein klassisches Beispiel einer „Streitigkeit aus der Veräußerung eines Unternehmens“ iSd § 51 Abs 1 Z 4 JN. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von den in 3.2.2. dargestellten Fällen, in denen es entweder nur um Bestand oder Nichtbestand eines (gesamten) Vertrags oder um Umstände ging, in denen ein spezifisch enger Zusammenhang des geltend gemachten Anspruchs mit dem durch ein Handelsgeschäft (unternehmensbezogenes Geschäft) selbst begründeten Forderungen und Pflichten nicht bestand.
Somit besteht auch für den Anspruch nach lit b handelsgerichtliche Zuständigkeit.
7. Ob (auch) für die Eventualbegehren die handelsgerichtliche Zuständigkeit besteht, ist derzeit nicht zu prüfen (RW0000133; RW0000135; Scheuer in Fasching/Konecny 3, § 41 JN Rz 14).
8. Für die Erledigung des im Revisionsrekurs neuerlich gestellten Überweisungsantrags ist das Erstgericht zuständig (4 Ob 95/10i mwN).
9. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 40, 50 ZPO.
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