OGH 1Ob298/02h

OGH1Ob298/02h28.1.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef W*****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. S***** Gesellschaft mbH, ***** und 2. A***** Gesellschaft mbH, ***** wegen 138.078 EUR und Feststellung (Streitwert 7.267 EUR) sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Oktober 2002, GZ 11 R 184/02p-5, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 9. September 2002, GZ 17 Cg 42/02z-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden insoweit bestätigt, als die gegen die erstbeklagte Partei gerichtete Klage zurückgewiesen wurde.

Im übrigen Umfang, also in der Zurückweisung der gegen die zweitbeklagte Partei gerichteten Klage, werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben und wird dem Erstgericht insoweit die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die klagende Partei hat die Hälfte der Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen, die weitere Hälfte sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt von den beklagten Parteien als Solidarschuldnern die Zahlung von 138.078 EUR und die Feststellung, dass sie ihm für alle in Hinkunft auftretenden weiteren Schäden aus der Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus, die er sich anlässlich von Plamaspenden (in Linz) in den Jahren 1968 bis 1972 zugezogen habe, zur ungeteilten Hand hafteten. Die erstbeklagte Partei habe ohne gewerberechtliche Genehmigung und unter den Regeln ärztlicher Kunst widersprechenden Hygienebedingungen eine Plasmapheresestelle in Linz geführt, und der Kläger sei anlässlich mehrmaliger Plasmaspenden mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden. Dies habe letztlich dazu geführt, dass eine Lebertransplantation an ihm habe vorgenommen werden müssen. Die erstbeklagte Partei habe es unterlassen, den Kläger über die möglichen Risken einer Plasmaspende aufzuklären. Bei entsprechender Aufklärung hätte er kein Plasma gespendet. Auf Grund der Infektion leide er an Müdigkeit, Depressionen, Konzentrations- und Schlafstörungen, und seine Leistungsfähigkeit sei dramatisch gesunken. Er mache in Bezug auf die Haftung der erstbeklagten Partei jeden erdenklichen Rechtsgrund geltend, vor allem aber Schadenersatz, die Verletzung eines Schutzgesetzes und die unterlassene Aufklärung über mögliche Risken der Blutplamaspende sowie die Verletzung von vertraglichen Sorgfaltspflichten. Die zweitbeklagte Partei habe die Plasmapheresestelle faktisch betrieben und die erstbeklagte Partei nur vorgeschoben, um allfällige Haftungen von sich abzuwenden. Sie habe durch von ihr in die erstbeklagte Partei entsandte Personen entscheidenden Einfluss auf das Unternehmen der erstbeklagten Partei ausgeübt, die Geschäftsführer "entsandt", die Geräte für die Plasmapherese zur Verfügung gestellt und das gewonnene Plasma auch abgenommen. Über die katastrophalen hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung sei sie stets informiert gewesen, habe aber nichts zur Besserung dieser Zustände unternommen. Schließlich habe sie der erstbeklagten Partei das notwendige Fachwissen zur Verfügung gestellt, und diese sei nur mit einem geringen, dem zu erwartenden Risiko nicht entsprechenden Grundkapital ausgestattet gewesen. Demnach hafte die zweitbeklagte Partei direkt für die Schäden des Klägers.

Zur Zuständigkeit des Erstgerichts berief sich der Kläger auf den im Sprengel des Erstgerichts gelegenen Sitz der zweitbeklagten Partei und auf die Bestimmungen der §§ 75 und 93 JN.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Die Streitsache gehöre vor die selbständigen Handelsgerichte, weil der Kläger Ansprüche aus der Schlechterfüllung eines Handelsgeschäfts geltend mache. Überdies liege der allgemeine Gerichtsstand der erstbeklagten Partei außerhalb des Sprengels des Erstgerichts, sei der Schaden in Linz zugefügt worden, und sei demnach ein gemeinsamer örtlicher Zuständigkeitstatbestand nach § 92a JN gegeben, weshalb der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 JN nicht begründet werden könne.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Ein Handelsgeschäft liege schon dann vor, wenn das Geschäft nur irgendwie den Interessen des Handelsgewerbes, der Erhaltung der Substanz oder der Erzielung von Gewinn diene. Auch die akzessorischen Hilfs- und Nebengeschäfte des Kaufmanns seien demnach als Handelsgeschäfte anzusehen. Lediglich rein deliktisches Verhalten könne nicht mehr zum Betrieb eines Handelsgeschäfts gezählt werden. Realakte gehörten zum Betrieb, wenn sie der Erfüllung von Handelsgeschäften dienten. Auch die vom Kläger gegenüber der zweitbeklagten Partei geltend gemachte Durchgriffshaftung verändere den Anspruch im Kern nicht, weil kein selbstständiger Anspruch geltend gemacht werde. Auch Schutznormen seien im Rahmen eines Vertragsverhältnisses zu beachten, und der Anspruch des Klägers werde daher aus einem Handelsgeschäft abgeleitet. Für beide Beklagte sei daher das Handelsgericht sachlich zuständig.

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger brachte die Klage bei dem Gericht ein, in dessen Sprengel die zweitbeklagte Partei ihren Sitz hat. Er stützte seinen Anspruch gegen die zweitbeklagte Partei darauf, dass sie bzw ihre Rechtsvorgängerin es von Anfang an darauf angelegt habe, eine Vorfeldorganisation zu schaffen, um bei Projekten, bei denen Schäden vorauszusehen sind, die Haftung von sich abzuwehren, sie andererseits aber den entscheidenden Einfluss auf die erstbeklagte Partei durch von ihr in deren Leitung entsandte Personen gewahrt habe. Er machte weiters geltend, die zweitbeklagte Partei habe nichts zur Verbesserung der ihr bekannten katastrophalen hygienischen Zustände im Zuge der Plasmagewinnung unternommen und damit ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Damit stützt er seinen Anspruch gegen die zweitbeklagte Partei einerseits auf Durchgriffshaftung, andererseits aber auch darauf, dass diese ihm gegenüber allgemeine Verhaltenspflichten verletzt habe und für die ihm bei der Blutplasmagewinnung entstandenen Gesundheitsschäden verantwortlich sei. Er behauptet ein deliktisches Verhalten der zweitbeklagten Partei, das zu seiner gesundheitlichen Schädigung geführt habe. Dieser Haftungsgrund beruht unmittelbar auf dem Gesetz und nicht auf der Verletzung von Pflichten aus dem mit der erstbeklagten Partei zustande gekommenen Handelsgeschäft, weshalb für die gegen die zweitbeklagte Partei gerichtete Klage nicht das Handelsgericht, sondern das allgemeine Zivilgericht - eben das angerufene Erstgericht - zuständig ist, zumal ihr Sitz im Sprengel des Erstgerichts liegt (§ 75 JN).

Mit der erstbeklagten Partei hat der Kläger ein Handelsgeschäft geschlossen, weil die Entgegennahme von Blutplasmaspenden jedenfalls ein für den Geschäftsbetrieb der erstbeklagten Partei notwendiges Nebengeschäft darstellt (siehe hiezu Kramer in Straube, Kommentar zum HGB2 §§ 343 f Rz 15 mwN).

Die Inanspruchnahme der erstbeklagten Partei bei dem für die zweitbeklagte Partei zuständigen Erstgericht ist nicht möglich, weil der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (§ 93 Abs 1 JN) nur offen steht, sofern für den Rechtsstreit nicht ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand - gleichviel, ob ausschließlicher oder Wahlgerichtsstand - begründet ist (Mayr in Rechberger ZPO2 § 93 JN Rz 2; Simotta in Fasching I2 § 93 JN Rz 6). Im vorliegenden Fall begehrt der Kläger Schadenersatz wegen Gesundheitsschäden, die er auf Grund unsachgemäßer Vorgangsweise der erstbeklagten Partei bei der Abnahme von Blutplasma erlitten haben will. Derartige Ansprüche - Schäden aus der Verletzung seiner Person - können gemäß § 92a JN bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist (Simotta aaO § 92a JN Rz 6; Mayr aaO § 92a JN Rz 2). Nun brachte der Kläger vor, die erstbeklagte Partei sei in Linz tätig geworden, und er habe dort Blutplasma gespendet. Dort habe auch die zweitbeklagte Partei tätig werden müssen, um die vom Kläger behaupteten Missstände bei der Blutplasmagewinnung zu beheben. Durch ihr Untätigbleiben habe sie nach dem Vorbringen des Klägers eine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Damit ist aber der Gerichtsstand der Schadenszufügung für beide Beklagte in Linz begründet, weil auch die zweitbeklagte Partei wegen der Schäden des Klägers aus der Verletzung seiner Person in Anspruch genommen wird. Dies schließt den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die beiden Beklagten eine materielle Streitgenossenschaft im Sinne des § 11 Abs 1 ZPO bilden und damit die weiteren Voraussetzungen dieses Gerichtsstands gegeben wären, wie auch, ob der Gerichtstand der Schadenszufügung auch dann begründet wäre, wenn der Kläger seinen Anspruch gegen die zweitbeklagte Partei nur auf Durchgriffshaftung gestützt hätte (siehe hiezu RdW 2001/505 mwN; EvBl 1995/144; SZ 56/101).

Dem Revisionsrekurs ist teilweise Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses beruht auf den §§ 40, 50 sowie 52 Abs 1 ZPO.

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