B-VG Art133 Abs4
FPG §46 Abs1
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W180.2240292.1.00
Spruch:
W180 2240292-1/45EW180 2240293-1/31EW180 2240291-1/27E
Im Namen der Republik!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg PECH als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. YYYY , alle vertreten durch XXXX , XXXX , Rechtsanwälte XXXX , gegen die Anwendung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form ihrer Abschiebung nach YYYY am XXXX zu Recht:
A)
I. Den Beschwerden gegen die Abschiebungen wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 46 Abs. 1 FPG stattgegeben und die am XXXX erfolgten Abschiebungen der Beschwerdeführerinnen nach YYYY für rechtswidrig erklärt.
II. Der Antrag der Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
III. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV hat der Bund den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in Höhe von je € 737,60 (insgesamt € 2.212.80) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerinnen (in weiterer Folge als „BF“ bzw. gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als „BF1“ bis „BF3“ bezeichnet), sind Staatsangehörige der Republik YYYY . Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2 und BF3.
1. Vorverfahren:
1. Die BF1 hielt sich ab dem Jahr 2006 in Österreich auf.
2. Ihr wurde von der Bezirkshauptmannschaft XXXX aufgrund ihres Antrags vom 21.03.2006 eine Erstaufenthaltsbewilligung – Sonderfälle unselbstständiger Erwerbstätigkeit von 30.03.2006 bis 31.01.2007 erteilt. In weiterer Folge erhielt sie eine Verlängerung Aufenthaltsbewilligung – Sonderfälle unselbstständiger Erwerbstätigkeit von 01.02.2007 – 31.03.2007 sowie eine Verlängerung Aufenthaltsbewilligung Schüler von 01.04.2007 – 01.04.2008. Am 12.03.2008 wurde der Akt an XXXX abgetreten. Aufgrund des am 17.03.2008 eingebrachten Verlängerungsantrags wurde der BF1 von XXXX eine Aufenthaltsbewilligung Schüler mit einer Gültigkeitsdauer von 02.04.2008 bis 02.04.2009 ausgestellt. Ein weiterer Antrag wurde nicht gestellt.
3. Im Bundesgebiet wurde am XXXX die ältere Tochter der BF1, die BF2, geboren.
4. BF1 stellte am 10.02.2009 für sich und als gesetzliche Vertreterin für BF2 unter den Aliasidentitäten „ XXXX , geb. XXXX , StA. YYYY “ sowie „ XXXX , geb. XXXX , StA. YYYY “ ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. BF1 begehrte für BF2 die Gewährung desselben Schutzes wie für sich.
5. Mit Bescheiden vom 05.02.2010 hat das – damalig zuständige – Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz der BF1 sowie BF2 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und ihnen den Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gleichzeitig wurde ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf YYYY nicht zuerkannt und wurden sie gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach YYYY ausgewiesen.
6. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofs (im Folgenden auch als „AsylGH“ bezeichnet) zu den Zl. D14 411840-1/2010 sowie D14 411841-1/2010, vom 22.03.2010 gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
7. Am 03.02.2012 stellten BF1 sowie BF2, vertreten durch BF1, ihren zweiten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Für BF2 würden dieselben Asyl- und Fluchtgründe wie für BF1 gelten.
8. Mit Bescheiden vom 23.02.2012 wies das Bundesasylamt die Anträge der BF1 sowie BF2 auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies BF1 sowie BF2 gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach YYYY aus.
9. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des AsylGH zu den Zl. D14 411840-2/2012 sowie D14 411841-2/2012, vom 15.03.2012 gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
10. Laut eigenen Angaben kehrten BF1 und BF2 am 06.05.2012 freiwillig nach YYYY zurück und kehrten sie am 08.08.2014 wieder in das Bundesgebiet zurück.
11. Am 19.08.2014 stellten BF 1 sowie BF2, vertreten durch BF1, unter Angabe der wahren im Spruch genannten Identität, ihren dritten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Im Verfahren gab die BF1 u.a. an, dass der Kindesvater der BF2 „ XXXX , geb. XXXX “ in YYYY wohnhaft sei. Sie sei am 08.08.2014 über Polen nach Österreich geflogen. Den Reisepass habe sie gleich nach der Ankunft in Wien weggeschmissen, weil sie Angst gehabt habe, abgeschoben zu werden. Sie sei am 06.05.2012 freiwillig nach YYYY zurückgereist und sei ab diesem Zeitpunkt bis zu ihrer neuerlichen Flucht immer in YYYY aufhältig gewesen. Befragt gab sie u.a. an, dass sie 2009 eine falsche Identität angegeben habe, da sie damals Angst gehabt habe, nach YYYY zurückkehren zu müssen. Für BF2 würden im Wesentlichen dieselben Asyl- und Fluchtgründe wie für BF1 gelten.
12. Im folgenden Ermittlungsverfahren kam insbesondere hervor, dass die BF über ein Visum der Niederlande zur Einreise in die Europäische Union verfügten.
13. Mit Bescheiden des, nunmehr in Asylsachen zuständigen, Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch als „Bundesamt“ oder „BFA“ bezeichnet) vom 29.10.2014 wurden die Anträge der BF1 sowie BF2 auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass die Niederlande gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-Verordnung zur Prüfung der Anträge zuständig seien, sowie die Außerlandesbringung der BF1 sowie BF2 gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der BF1 sowie BF2 in die Niederlande gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
14. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.01.2015 zu den Zl. W184 2014450-1 sowie W184 2014451-1, wurden die dagegen erhobenen Beschwerden gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.
15. Ein Überstellungsversuch in die Niederlande wurde in der Folge nicht durchgeführt, da die BF an der damaligen dem Bundesamt bekannten Meldeadresse nicht mehr aufhältig waren.
16. Am XXXX wurde die BF3 im Bundesgebiet geboren.
17. Am 13.05.2016 stellte die BF1 für sich und die BF2 den vierten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Für die BF3 stellte die BF1 den ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Für BF2 und BF3 würden im Wesentlichen dieselben Asyl- und Fluchtgründe wie für BF1 gelten.
Im Verfahren gab die BF1 u.a. an, dass alle Angaben seit ihrer Einreise im Jahr 2014 richtig seien. Die vorigen Angaben hätten nichts mit ihren neuen Fluchtgründen zu tun, da habe sie falsche Angaben gemacht. Der leibliche Vater der Kinder „ XXXX , geb. XXXX “ sei yyyy Staatsangehöriger und lebe derzeit in YYYY . Sie führe mit ihm keine Beziehung mehr und habe mit ihm in Österreich eine Beziehung geführt sowie ihn im Bundesgebiet kennengelernt. Befragt führte sie weiters aus, sie sei am 08.08.2014 mit einem zwei Wochen gültigen Touristenvisum eingereist. Befragt, warum sie erst so spät den erneuten Antrag auf Asyl gestellt habe, gab sie an, sie habe 18 Monate gewartet, damit Dublin ablaufe. Sie sei vor ihrer letzten Einreise nach Österreich von 2006 bis 2012 in Österreich aufhältig gewesen.
18. Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 11.05.2017 wurden die Anträge der BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und ihnen der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat YYYY nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach YYYY gemäß § 46 FPG zulässig sei. Der Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde nicht gewährt.
19. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2017, Zlen. L515 2160621-1, L515 2160625-1 sowie L515 2160618-1 als unbegründet abgewiesen. Die von der BF1 gegen ihr betreffendes Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes (in der Folge auch „VwGH“) vom 06.09.2017 zurückgewiesen (Ra 2017/18/0294).
20. Am 20.10.2017 leitete das Bundesamt ein Verfahren zur Anforderung von Heimreisezertifikaten für die BF ein und wurde der Heimreisezertifikat-Ausstellung zugestimmt und noch im Oktober 2017 von der yyyy Botschaft ausgestellt.
21. Mit Schreiben vom 15.11.2017 schloss sich das Bundesministerium für Inneres, Abt. III/5, der geplanten Vorgehensweise des Bundesamtes, der zwangsweisen Außerlandesbringung, an.
22. Am 20.11.2017 richtete sich u.a. ein Ersuchen um Abschiebungsaufschub durch Dritte an den Bundespräsidenten sowie das Ministerbüro, welches in weiterer Folge an das Bundesamt weitergeleitet wurde.
23. Zwecks der geplanten Abschiebung am 21.11.2017 wurden die BF am 19.11.2017 aufgrund eines Festnahmeauftrages des Bundesamtes durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen. Der genaue Ablauf der Festnahme ist in einem im Akt einliegenden Bericht der Landespolizeidirektion XXXX dokumentiert. Dem Bericht zufolge habe die BF1 erst nach Androhung eines Vollzugs der Festnahme mittels Zwangsgewalt den Anordnungen der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes Folge geleistet. Aus dem Bericht geht weiters hervor, dass sich in Wohnung ein Herr „ XXXX , XXXX , StA. YYYY “ sowie die Cousine der BF1 aufgehalten hätten. Die BF wurden in der Folge in eine Familienunterkunft verbracht.
24. Die BF1 stellte am 20.11.2017 für die BF2 im Polizeianhaltezentrum einen Antrag auf internationalen Schutz (Fünftantrag betreffend die BF2), da diese – dem entsprechenden Aktenvermerk zufolge – bereits zur Schule gehe und ein Recht auf Bildung in Österreich habe.
Mit Mandatsbescheid vom 21.11.2017 wurde gemäß § 12a Abs. 4 AsylG iVm § 57 Abs. 1 AVG festgestellt, dass die Voraussetzung des § 12a Abs. 4 Z 2 AsylG nicht vorläge. Der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG werde der BF2 gemäß § 12a Abs. 4 AsylG nicht zuerkannt.
25. Aufgrund einer von einer Polizeiamtsärztin festgestellten derzeitigen Fluguntauglichkeit der BF3 wegen Atemwegsprobleme wurden die BF jedoch vor Vollzug der Abschiebung wieder aus der Anhaltung entlassen.
26. Am 04.12.2017 stellte BF1 für sich selbst und die BF3 einen Antrag auf internationalen Schutz (Fünftantrag betreffend BF1 sowie Zweitantrag betreffend BF3).
Im Verfahren wurde als Grund für die Antragstellung u.a. auch die Integration, insbesondere der BF2 und BF3 vorgebracht.
27. Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 07.04.2018 wurde der Fünftantrag auf internationalen Schutz der BF1 sowie BF2 und der Zweitantrag auf internationalen Schutz der BF3 jeweils gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach YYYY gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte II.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestünde (Spruchpunkte III.). Die ausschließlich gegen die Spruchpunkte II. und III. gerichteten Beschwerden wurden – ohne vorherige Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung – mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.12.2018, Zlen. W192 2160621-2, W192 2160625-2 sowie W192 2160618-2 gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, §§ 46, 52, 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen. Die dagegen von den BF erhobenen außerordentlichen Revisionen wurden vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 07.03.2019 zurückgewiesen (Ra 2019/21/0044 bis 0046).
28. Das Bundesamt leitete am 20.04.2018 abermals ein Verfahren zur Anforderung von Heimreisezertifikaten für die BF ein und wurde der Heimreisezertifikat-Ausstellung zugestimmt und noch im April 2018 von der yyyy Botschaft ausgestellt.
29. Der mit 14.05.2018 avisierte Termin zur Abschiebung der BF wurde durch das Bundesamt aufgrund der noch nicht verstrichenen Frist von sieben Tagen ab Vorlage der Beschwerde (09.05.2018) beim Bundesverwaltungsgericht gegen die Bescheide vom 07.04.2018 storniert.
30. Am 01.07.2018 versuchte das Bundesamt neuerlich die BF – zwecks einer geplanten Abschiebung nach YYYY am 03.07.2018 – festzunehmen. Der genaue Ablauf der (abgebrochenen) Festnahme ist in einem im Akt einliegenden Bericht der Landespolizeidirektion XXXX dokumentiert. Dem Bericht zufolge sei BF2 nicht von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Haushalt der BF1 anzutreffen gewesen und habe die BF1 laut Bericht zu verstehen gegeben, dass sie den genauen Aufenthaltsort der BF2 nicht nennen würde. Herr „ XXXX , XXXX , StA. YYYY “, habe sich dem Bericht zufolge auch noch in der Wohnung befunden. Die Festnahme wurde in der Folge abgebrochen.
31. Über Ersuchen des Bundesamtes tätigte die Landespolizeidirektion XXXX ein Aktenstudium sowie Erhebungen betreffend die BF sowie betreffend den Herrn „ XXXX , XXXX “, welcher dem diesbezüglichen Bericht vom 11.04.2019 der Landespolizeidirektion zufolge von der BF1 als Kindesvater bezeichnet worden sei. Dem Bericht zufolge gebe es hinsichtlich des Genannten keine Wohnsitzmeldung; die letzte Meldung datiere aus dem Jahr 2011.
32. Am 21.05.2019 stellte die BF1 für sich und BF2 sowie BF3 weitere Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz (Sechstantrag betreffend BF1 und BF2 sowie Drittantrag betreffend BF3).
Im Verfahren gab die BF1 u.a. an, mit der BF2 und BF3 in einer Wohnung zu leben.
33. Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes vom 05.06.2019 erfolgte die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG.
34. Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.06.2019, Zlen. L529 2160621-4, L529 2160625-3 und L529 2160618-3, wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 für nicht rechtmäßig erklärt und der Bescheid daher aufgehoben.
35. Mit Bescheiden vom 09.08.2019 wurden die Anträge der BF wiederum gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde Ihnen gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach YYYY zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise.
36. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.09.2019, Zlen. L515 2160621-5, L515 2160618-4 und L515 2160625-4 wurden die dagegen erhobenen Beschwerden – ohne vorherige Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung – gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, § 68 Abs. 1 AVG, §§ 57, 10 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 1 und Abs. 9, 46 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
37. Die von den BF dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionen, welchen vom Bundesverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde, wurden mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 18.12.2019 zurückgewiesen (Ra 2019/14/0542 bis 0544).
38. Am 14.02.2020 leitete das Bundesamt abermals ein Verfahren zur Anforderung von Heimreisezertifikaten für die BF ein und wurde der Heimreisezertifikat-Ausstellung zugestimmt und noch im Februar 2020 von der yyyy Botschaft ausgestellt.
39. Am 28.04.2020 erfolgte die Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung mittels Aktenvermerk.
40. Am 05.05.2020 versuchte das Bundesamt neuerlich die BF – zwecks einer geplanten Abschiebung nach YYYY am 07.05.2020 – an der damaligen Meldeadresse festzunehmen. Der Ablauf der (erfolglosen) Festnahme ist in einem im Akt einliegenden Bericht der Landespolizeidirektion XXXX dokumentiert – dem Bericht zufolge sei u.a. lediglich ein Hund in der Wohnung angetroffen worden sowie ein Nachbar befragt worden (welcher die BF am Vorabend gesehen habe) und sei dem Bericht zufolge daher davon auszugehen, dass die BF die Wohnung erst vor kurzem, mitten in der Nacht verlassen haben müssten. Weiters ist dem Bericht zu entnehmen, dass aufgrund des Zustands in der Wohnung, welcher auf ein rasches Aufbrechen/Verlassen schließen lasse, nicht ausgeschlossen werden könne, dass die BF womöglich von einer bevorstehenden Abschiebung Kenntnis erlangt hätten.
41. Am 13.05.2020 beantragten die BF2 und BF3 postalisch durch ihre damalige Rechtsvertretung die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK und ersuchten zur allfälligen Antragsergänzung, eine Frist zur Stellungnahme offener Fragen bzw. fehlender Urkunden binnen vier Wochen aufzutragen. Den Antragsformularen zufolge sei Herr „ XXXX “ der Vater der BF2 und BF3. Hinsichtlich der Anträge erging seitens des Bundesamtes erst am 15.04.2021 die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, wonach beabsichtigt sei, die Anträge gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückzuweisen. Eine Stellungnahme erfolgte am 03.05.2021 durch die Rechtsvertretung der BF2 sowie BF3. Laut der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage sind die Anträge bis dato unerledigt.
42. Am 26.05.2020 leitete das Bundesamt abermals ein Verfahren zur Anforderung von Heimreisezertifikaten für die BF ein und wurde der Heimreisezertifikat-Ausstellung zugestimmt und noch im Mai 2020 von der yyyy Botschaft ausgestellt.
43. Am 16.06.2020 wurde erneut versucht, die BF – zwecks einer geplanten Abschiebung nach YYYY am 18.06.2020 – an der damaligen Meldeadresse festzunehmen. Der Ablauf der (abgebrochenen) Festnahme ist in einem im Akt einliegenden Bericht der Landespolizeidirektion XXXX dokumentiert. Demzufolge sei die Wohnungstür trotz mehrmaligem Klopfen und Läuten nicht geöffnet worden – weder der beim vorherigen Festnahmeversuch in das Tierquartier verbrachte Hund noch der bei der örtlich zuständigen Polizeiinspektion hinterlegte Schlüssel sei abgeholt worden.
Die mit 18.06.2020 geplante Abschiebung der BF wurde nicht vollzogen.
44. Am 30.06.2020 ersuchte das Bundesamt die zuständige Landespolizeidirektion um Hauserhebung, ob die BF an der Adresse noch wohnhaft seien oder bereits verzogen seien.
Laut dem Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 05.07.2020 betreffend Nachschau vom 04.07.2020 werde der Postkasten regelmäßig entleert. Eine namentlich genannte Nachbarin habe dem Bericht zufolge angegeben, dass vor ca. 1,5 – 2 Monaten die Polizei und Feuerwehr vor Ort gewesen seien und sei durch die Feuerwehr die Tür geöffnet worden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe – der im Bericht angeführten Angaben der Nachbarin zufolge –eine Familie (Mann, Frau, 2 Kinder) an der Adresse gelebt. Seitdem Aufbrechen der Türe habe die Nachbarin laut dem Bericht nur einmal den Mann gesehen. Die Familie dürfte dem Bericht zufolge seitdem nicht mehr an der Adresse aufhältig sein.
Ein für den 16.07.2020 vorgesehener Transport zwecks Abschiebung wurde daraufhin storniert.
45. Am 24.07.2020 wurde neuerlich ein Erhebungsersuchen für die damalige Adresse an die zuständige Landespolizeidirektion übermittelt.
Laut dem Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 06.08.2020 betreffend Nachschau am 26.07.2020, 29.07.2020 sowie 06.08.2020 sei die BF1 nicht angetroffen worden. Laut im Bericht erwähnter Nachbarn zufolge wohne an besagter Adresse eine Frau, jedoch sei diese seit ca. 1 Monat nicht mehr gesehen worden. Ob es sich um die BF1 handle, könne, dem Bericht zufolge, nicht eruiert werden. Es sei laut Bericht am 29.07.2020 ein Verständigungsersuchen mit Kontaktaufnahme aufgrund des Erhebungsersuchens im Postfach hinterlegt worden. Am 06.08.2020 habe sich die Rechtsvertretung der BF1 gemeldet, werde dieser bei der BF1 nachfragen (da dieser mit BF1 im ständigen Kontakt stehe) und sei die Rechtsvertretung an das Bundesamt verwiesen worden.
46. Am 21.10.2020 ersuchte das Bundesamt um Verlängerung der Heimreisezertifikate betreffend die BF und wurden von 21.10.2020 bis 19.01.2021 gültige Heimreisezertifikate von der yyyy Botschaft ausgestellt.
47. Mit Aktenvermerk vom 30.10.2020 wurde die Zulässigkeit der Abschiebung geprüft.
48. Am 03.11.2020 versuchte das Bundesamt neuerlich die BF – zwecks einer geplanten Abschiebung nach YYYY am 05.11.2020 – an der damaligen Meldeadresse festzunehmen. Der Ablauf der (erfolglosen) Festnahme ist in einem im Akt einliegenden Bericht der Landespolizeidirektion XXXX dokumentiert. Dem Bericht zufolge habe an der Wohnungstür eine Person, nämlich „ XXXX , XXXX “ geöffnet, welcher angegeben haben soll, Vater der BF2 und BF3 zu sein. Angemerkt wurde, dass er sich in der deutschen Sprache gut verständigen habe können. BF2 und BF3 seien in der Wohnung anwesend gewesen. BF1 sei laut im Bericht ersichtlichen Angaben des XXXX aufgrund einer Erkrankung mit Coronavirus in einem Spital stationär aufgenommen. Laut Rettungsauskunft sei die BF1 jedoch in keinem öffentlichen Krankenhaus aufhältig – darauf angesprochen habe XXXX dem Bericht zufolge auf die Aussage bestanden. Auch habe laut Bericht die Telefonnummer der BF1 nicht erfragt werden können (auch eine freiwillige Nachschau am Handy habe keine neuen Kenntnisse gebracht). Der Aufenthaltsort der BF1 habe somit nicht geklärt werden können. Im EKIS sei hinsichtlich XXXX sei eine Aufenthaltsermittlung aufgeschienen, welche jenem laut Bericht zur Kenntnis gebracht worden sei.
49. Das Bundesamt nominierte die BF in der Folge für eine Abschiebung am XXXX .
50. Am 21.01.2021 wurden von der yyyy Botschaft bis 21.04.2021 gültige Heimreisezertifikate für die BF ausgestellt.
51. Am 22.01.2021 ordnete das Bundesamt die Abschiebung der BF am XXXX mittels an die Landespolizeidirektion gerichteten Abschiebeaufträgen – Luftweg vom 22.01.2021 an. Zugleich wurde ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG zum Zwecke der Abschiebung erlassen. Des Weiteren wurde ein Durchsuchungsauftrag gemäß § 35 Abs. 1 BFA-VG erlassen.
52. Die BF wurden am XXXX durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Landespolizeidirektion XXXX ) festgenommen.
Der Ablauf der Festnahme ist in einem im Akt einliegenden Bericht der Landespolizeidirektion XXXX dokumentiert. Jenem zufolge habe „ XXXX , XXXX geb, yyyy . StA“, welcher zuvor beobachtet worden sei, wie er sich mit einem Fahrzeug vor dem Haus eingeparkt habe, die Wohnungstüre geöffnet und angegeben, dass zwar die Kinder zu Hause wären, nicht aber seine Gattin. Bei Herrn XXXX handle es sich laut Bericht um den Kindesvater und Gatten der BF1, welcher im Besitz eines gültigen slowakischen Aufenthaltstitels sei. Die Wohnung sei daraufhin – da die Angaben des XXXX nicht glaubhaft gewesen seien – aufgrund des Durchsuchungsauftrages durchsucht worden und habe die BF1 in der Bettzeuglade der Couchgarnitur liegend gefunden werden können.
53. Am XXXX teilte ein Rechtsvertreter – demzufolge vom Ehegatte und Kindesvater Auftrag sowie Vollmacht erteilt worden sei – dem Bundesamt mit, dass das 5-jährige Kind derzeit erkrankt sei und bestehe die Gefahr von Cvoid-19, was Mitbewohner und Betreuer stark gefährde. Die Medien hätten daran auch großes Interesse. Das Bundesamt möge prüfen, ob es nicht möglich wäre, die Familie nach Hause zu entlassen. Ein Rückflug nach YYYY dürfte wegen Covid-19 derzeit auch nicht möglich sein.
54. Am XXXX wurde vom Büro des Vizebürgermeisters XXXX , ursprünglich ein an ihn gerichtetes Unterstützungsschreiben betreffend die BF, an das Bundesamt mit der Bitte um eine menschenrechtliche Lösung übermittelt.
55. Die BF wurde am XXXX über den Luftweg mittels Charter nach YYYY abgeschoben.
56. BF1 beantragte am 01.02.2021 über die im Spruch genannte Rechtsvertretung beim Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG. Am 04.02.2021 erteilte das Bundesamt einen Verbesserungsauftrag und hat die BF1 mit Ladung vom 18.02.2021 zur „Antragstellung u. Dokumentennachreichung“ geladen. Am 01.04.2021 legte die Rechtsvertretung ein Passfoto im Original vor und kündigte an, dass weitere angeforderte Unterlagen nach Erhalt und Übersetzung voraussichtlich in drei Wochen gemeinsam mit dem ausgefüllten Formular und der Antragsbegründung nachgereicht würden. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 15.04.2021 wurde der BF1 die beabsichtigte Zurückweisung des Antrages vom 01.02.2021 gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot mitgeteilt. Am 03.05.2021 erstattete BF1 durch die Rechtsvertretung eine Stellungnahme und stellte einen Antrag auf Heilung. Laut der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage ist der Antrag der B1 bis dato unerledigt.
2. Gegenständliches Verfahren
1. Die BF erhoben am XXXX fristgerecht durch ihre im Spruch genannte Rechtsvertretung Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG an das Bundesverwaltungsgericht wegen der in Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am XXXX ergangenen Abschiebung nach YYYY .
Im Beschwerdeschriftsatz wurde im Wesentlichen zum Sachverhalt ausgeführt, mit Erkenntnis vom 23.09.2019 habe das Bundesverwaltungsgericht die Rückkehrentscheidung gegen die BF bestätigt und festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach YYYY zulässig sei. Am 12.05.2020 hätten die BF2 und BF3 beim Bundesamt Anträge gemäß § 55 AsylG gestellt. Relevante Verfahrensschritten seien vom Bundesamt erst nach der Abschiebung der BF, somit entgegen § 73 AVG verspätetet, gesetzt worden. Weder bis zu ihrer Festnahme am XXXX noch während ihrer Anhaltung (bis zur Abschiebung am XXXX ) seien die BF zu den persönlichen Verhältnissen, insbesondere zu Aspekten, die zur Beachtung des Kindeswohl maßgeblich seien, befragt worden. Die BF2 und BF3 seien zu keinem Zeitpunkt vom Bundesamt, dem Bundesverwaltungsgericht oder einer anderen Einrichtung in einer altersadäquaten Form befragt worden, um ihre Interessen bei sie betreffenden Entscheidungen berücksichtigen zu können. Die BF seien durch die Abschiebung in ihren Rechten gemäß § 13 Abs. 2 FPG, § 46 FPG, Art. 8 EMRK und die BF2 und BF3 gemäß Art. 1 und 4 BVG Kinderrechte verletzt worden. Näher begründet wurde im Schriftsatz insbesondere, dass sich zwischen der Rückkehrentscheidung vom 23.09.2019 und der bekämpften Abschiebung am XXXX die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK maßgeblich zu Gunsten der BF geändert hätten, weshalb die Rückkehrentscheidungen ihre Wirksamkeit verloren hätten. Daher sei die Abschiebung der Beschwerdeführerinnen am XXXX titellos erfolgt und sei entgegen der Bestimmung des § 46 Abs. 1 FPG rechtswidrig. Zudem führe der bekämpfte Zwangsakt zu einer Verletzung von § 13 Abs. 2 FPG iVm Art. 8 EMRK. Da keine durchsetzbare Rückkehrentscheidung mehr bestanden habe, erweise sich die Abschiebung nach YYYY am XXXX als rechtswidrig. Die BF seien weder vor noch nach Erlassung der Rückkehrentscheidungen zu ihrer Lebenssituation in Österreich befragt worden. Hinsichtlich der beiden minderjährigen BF 2 und BF 3 sei im Jänner 2021 von einem seit Erlassung der Rückkehrentscheidung im September 2019 maßgeblich geänderten Sachverhalt auszugehen. Bei einem Lebensalter von 5 Jahren (BF3) und 12 Jahren (BF2) sei ein ein Jahr übersteigender Zeitraum jedenfalls insofern relevant, als maßgebliche Änderungen in der Lebenssituation nicht ausgeschlossen werden könnten. Gemäß § 13 Abs. 2 letzter Satz FPG seien ohnehin die Art. 2, 3 und 8 EMRK in jedem Stadium einer fremdpolizeilichen Amtshandlung besonders zu beachten. Schon diese Bestimmung begründe eine Prüfungspflicht vor der Abschiebung. Da keine Prüfung einer möglichen Verletzung der Art. 2, 3 und 8 EMRK vorgenommen worden sei, erweise sich die Abschiebung als rechtwidrig. Die belangte Behörde habe das Unterlassen der Prüfung gemäß § 13 Abs. 2 letzter Satz FPG auch nicht mit einem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts begründen können. Da in dieser Entscheidung keine eigenständige Abwägung des Kindeswohls durchgeführt worden sei und somit die für die Prüfung, ob die BF 2 und die BF 3 in ihren durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden seien, erforderliche Grundlage fehle, sei die Abschiebung rechtswidrig. Das Bundesamt habe nicht prüfen können, ob die drohende Abschiebung die BF in ihren durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechten verletze, da sie es unterlassen habe, den dafür maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. Dieser Verfahrensmangel sei wesentlich, weil die belangte Behörde bei seiner Vermeidung zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass der Abschiebung Art. 1 BVG Kinderrechte entgegenstehe und diese daher nicht durchgeführt werden dürfe. Art. 1 BVG Kinderrechte siehe vor, dass bei jeder die Rechte Kinder betreffenden Maßnahme das Kindeswohl vorrangig zu beachten sei. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass bei der BF3, die bis zu ihrer Abschiebung ausschließlich in Österreich gelebt habe, die vorrangige Beachtung des Kindeswohls die Rechtswidrigkeit der Abschiebung begründe. Ebenso verhalte es sich bei der BF2, die von 12 Jahren 10 Jahren in Österreich gelebt habe und in Österreich erfolgreich die dritte Klasse eines XXXX besuche. Die minderjährige BF2 und die minderjährige BF3 seien nicht in der Lage die yyyy Sprache zu lesen und zu schreiben. Sie würden sich ausschließlich mündlich in YYYY unterhalten können. Demgegenüber sei Deutsch ihre Alltagssprache. Hätte das Bundesamt gesetzeskonform vor der angefochtenen Abschiebung die Lebensumstände der BF erhoben, hätte es festgestellt, dass die minderjährige BF2 und die minderjährige BF3 ihre gesamte Sozialisation in Österreich durchlebt hätten. Sie würden hier über ihren Freundeskreis verfügen, hätten aufgrund ihrer Sprachkenntnisse deutlich bessere Bildungschancen und müssten sich nach der angefochtenen Abschiebung in YYYY an ihnen völlig unbekannte Lebensumstände anpassen. Die Lebensperspektive in einem den minderjährigen BF2 und BF3 völlig fremden Land, dessen Staatsbürgerschaft sie besäßen, widerspreche der Annahme, dass durch die Abschiebung das Kindeswohl nicht oder nur vernachlässigbar gefährdet sei. Vielmehr sei durch die angefochtene Abschiebung mit gravierenden Auswirkungen auf die Psyche und die weitere Entwicklung der BF2 und BF3 zu rechnen.
Zum Beweis dafür, dass das Bundesamt nach Durchführung eines gesetzeskonformen Verfahrens feststellen hätte müssen, dass die Abschiebung der BF unzulässig sei, wurde die Einvernahme namentlicher Zeuginnen sowie Zeugen (Direktorin der Schule, Klassenvorständin und Elternvertreter der Klasse der BF2) beantragt. Die Einvernahme sei erforderlich, um beurteilen zu können, ob die vorrangige Beachtung des Kindeswohls zu dem Ergebnis geführt hätte, dass die Abschiebung unzulässig sei.
Mit Beschwerdeschriftsatz wurden – zum Beweis dafür, dass die Abschiebung die BF in ihren durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt habe – folgende schriftliche Stellungnahme vorgelegt; das Bundesamt hätte, der Beschwerde zufolge, durch gesetzeskonforme Ermittlungen auch schriftliche Stellungnahmen einholen können:
- Schreiben der Klassenvorständin (undatiert)
- Empfehlungsschreiben für BF2 durch die Schulleitung vom XXXX - Schreiben der Klasse der BF2 vom XXXX
- Schreiben des Elternvertreters betreffend die BF2 sowie Familie
Es wurde beantragt, gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die Abschiebung nach YYYY vom XXXX für rechtswidrig zu erklären sowie dem Rechtsträger der belangten Behörde gemäß § 35 VwGVG den Ersatz der Verfahrenskosten aufzuerlegen.
2. Am 25.03.2021 leitete das Verwaltungsgericht XXXX die dort eingebrachten und im Wesentlichen gleichlautenden Maßnahmenbeschwerden zuständigkeitshalber an das Bundesverwaltungsgericht weiter.
3. Am 08.04.2021 stellten die BF über deren Rechtsvertretung einen Antrag auf Akteneinsicht. Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte mit Mitteilung vom 12.04.2021 um Vereinbarung eines Termins betreffend die Akteneinsicht.
4. Am selben Tag übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesamt die Maßnahmenbeschwerden, ersuchte alle die Abschiebung der BF betreffenden Unterlagen und zwar in elektronischer Form vorzulegen. Schließlich wurde das Bundesamt ersucht, innerhalb von 10 Tagen ab Zustellung dieses Schreibens eine Stellungnahme zu den übermittelten Maßnahmenbeschwerden abzugeben.
5. Am 14.04.2021 wurde der Rechtsvertretung der BF Akteneinsicht gewährt.
6. Am 16.04.2021 ersuchte das Bundesamt um Fristerstreckung, welcher im Ausmaß von zehn Tagen stattgeben wurde.
7. In der Folge erfolgte die Aktenvorlage durch das Bundesamt und erstattete das Bundesamt am 30.04.2021 eine begründete Stellungnahme, in der – nach Anführung des dem Bundesamt vorliegenden Verfahrensgangs – insbesondere ausgeführt wurde, die Familie habe insgesamt sechs bzw. drei Asylanträge gestellt, welche alle geprüft worden seien und sei sie anschließend trotzdem immer wieder illegal im Bundesgebiet verblieben. Die BF 1 sei zwar mit BF 2 im Jahr 2012 selbstständig nach YYYY zurückgereist, sei jedoch anschließend wieder eingereist und habe insgesamt vier weitere Asylanträge gestellt, welche alle vom Bundesverwaltungsgericht geprüft worden seien. Eine freiwillige Rückkehr sei von der Familie zwei Mal abgelehnt worden. In insgesamt sechs Jahren mit vier Asylanträgen und sieben missglückten Abschiebeversuchen könne nicht von einer geänderten Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ausgegangen werden. Die Familie habe alles darangesetzt, um einer Abschiebung nach YYYY zu entgehen. Erst mit XXXX habe eine erfolgreiche Abschiebung durchgeführt werden können, nachdem insgesamt sechs bzw. drei Asylverfahren rechtskräftig in zweiter Instanz abgeschlossen worden seien und sieben Abschiebeversuche gescheitert seien. Es sei somit bereits sechs Jahre versucht worden, die Familie abzuschieben, jedoch sei dies zumindest fünf Mal durch Eigenverschulden der Familie nicht zu Stande gekommen. Die Kinder hätten aufgrund der Schulpflicht in Österreich in die Schule gehen müssen, seien dadurch in verschiedenen Klassenverbänden integriert, jedoch sei sich die Familie bereits zu Beginn des Schuleintritts bewusst gewesen, dass sie über kein Aufenthaltsrecht verfüge und schon längst das Bundesgebiet verlassen hätte müssen. Die BF seien am XXXX aufgrund der negativen Entscheidung, welche mit 26.09.2019 in zweiter Instanz bestätigt worden sei, und mit gültigen Heimreisezertifikaten nach YYYY abgeschoben worden. Zuvor sei es nicht möglich gewesen, die Familie abzuschieben, weil sie für das Bundesamt nicht greifbar gewesen sei. Dass die im September 2019 erlassenen Rückkehrentscheidungen, die mit den verfahrensgegenständlichen Abschiebungen exekutiert worden seien, „ihre Wirksamkeit verloren haben“, wie in der Maßnahmenbeschwerde vorgebracht werde, werde bestritten. Nach der von den BF zitierten Rechtsprechung würden aufenthaltsbeendende Maßnahmen ihre Wirksamkeit verlieren, wenn sich die Beurteilungsgrundlage im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK seit der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme maßgeblich geändert hätte. Dass sich aber an diesen Umständen in diesem Zeitraum etwas geändert hätte, werde in der Maßnahmenbeschwerde und sei in den im Mai 2020 eingebrachten Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK, abgesehen vom Zeitablauf, nicht dargelegt worden. Ein Zeitablauf von knapp zwei Jahren (der mit verbesserten Deutschkenntnissen, einem großen Freundes- und Bekanntenkreis, Unterstützungsschreiben oder einer Einstellungszusage einhergehe) stelle nach der Rechtsprechung des VwGH aber keine wesentliche Sachverhaltsänderung, die eine Neubeurteilung auf der Grundlage des Art. 8 EMRK erfordere, dar. Eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nur aufgrund des Zeitablaufs habe daher nicht vorgelegen, weshalb die im September 2019 erlassenen Rückkehrentscheidungen im Zeitpunkt der Abschiebungen im Jänner 2021 noch wirksam gewesen seien. Die Abschiebung von BF 1, 2 und 3 sei somit rechtmäßig gewesen.
Es wurde beantragt, die Beschwerde als unbegründet abweisen, unzulässig zurückzuweisen sowie den BF zum Ersatz genannter Kosten zu verpflichten.
8. Am 07.05.2021 stellten die BF über die Rechtsvertretung neuerlich einen Antrag auf Akteneinsicht, welche am 17.05.2021 gewährt wurde.
9. Mit Schriftsatz vom 19.05.2021 erstatteten die BF über ihre Rechtsvertretung eine Äußerung, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass das Bundesamt an keiner Stelle auf das zentrale Beschwerdevorbringen, dass § 13 Abs. 2 FPG und Art. 1 sowie Art. 4 BVG-Kinderrechte missachtet worden seien, eingehe. Das Bundesamt gehe offenkundig davon aus, dass Umstände wie wiederholte Antragstellungen oder nicht durchgeführte Abschiebungen, eine derartige Prüfung ausschließen würden. Diese Rechtsansicht sei unzutreffend, insbesondere, weil nach der Rechtsprechung bei der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls den Kindern das Verhalten der Eltern nicht zugerechnet werden dürfe. Ob das Bundesamt ernsthaft annehme, dass sich die minderjährigen Kinder bereits zu Beginn des Schuleintritts bewusst gewesen seien, „dass sie über kein Aufenthaltsrecht verfügen und schon längst das Bundesgebiet verlassen hätten müssen“, könne den Ausführungen nicht entnommen werden. Es sei jedenfalls ernsthaft zu bezweifeln, dass ein sechsjähriges Kind über ein derartiges Wissen verfüge und dieser Umstand daher gemäß § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG auch bei den minderjährigen Kindern maßgeblich sein könne. Da dem Vorbringen des Bundesamtes nicht entnommen werden könne, ob vor der Abschiebung § 13 Abs. 2 FPG und Art. 1 sowie Art. 4 BVG-Kinderrechte angewendet worden sei, sei davon auszugehen, dass dies nicht geschehen sei.
Anlässlich der Akteneinsicht am 17.05.2021 sei dem Vertreter der BF mitgeteilt worden, dass umfangreiche Teile des Aktes von der Akteneinsicht ausgeschlossen seien. Der Umfang scheine dem bereits bei der Akteneinsicht am 22.03.2021 festgelegten Umfang zu entsprechen. Diese umfassende Ausnahme von der Akteneinsicht widerspreche § 17 AVG. Die in dieser Bestimmung angeführten gesetzlichen Voraussetzungen lägen nicht vor. Das Bundesamt habe nicht begründet, warum derartig umfangreiche Teile des Aktes von der Einsicht ausgeschlossen sein sollten. Da weiterhin ungeklärt sei, welche Prüfungen die belangte Behörde vor der Abschiebung vorgenommen habe und diese Umstände entscheidungswesentlich seien, werde der Antrag auf vollständige Akteneinsicht wiederholt. Sollte diesem Antrag nicht entsprochen werden, werde die beschlussmäßige Erledigung beantragt.
Laut Aktenvermerk vom 22.03.2021 umfasse der Akt der BF1 zumindest 470 Seiten. Dies ergebe sich aus der Auflistung der von der Akteneinsicht ausgenommenen Aktenteile. Der am 17.05.2021 zur Akteneinsicht vorgelegte Akt der BF1 sei weniger umfangreich gewesen. Akte seien im Beschwerdevorfahren vollständig vorzulegen, da andernfalls eine umfassende Überprüfung nicht möglich sei. Es werde daher der Antrag gestellt, dem Bundesamt aufzutragen, die Akte vollständig vorzulegen.
Da die den BF2 und BF3 verfassungsgesetzlich eingeräumten Kinderrechte auch durch Art. 24 GRC gesichert würden, sei im gegenständlichen Verfahren hinsichtlich der Verfahrensgarantien Art. 47 GRC zu beachten. Damit diese Verfahrensgarantien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollumfänglich gewahrt werden könnten, müsse dem erkennenden Gericht der gesamte Akteninhalt zur Kenntnis gelangen. Nur dann könne die gemäß § 13 Abs. 2 FPG und Art. 1 und Art. 4 B-VG gebotene vorrangige Beachtung des Kindeswohls nachträglich überprüft werden.
10. Am 30.11.2021 stellten die BF durch ihre Rechtsvertretung einen Fristsetzungsantrag.
11. Am 20.12.2021 langte die verfahrenseinleitende Anordnung des VwGH gemäß § 38 Abs. 4 VwGG beim Bundesverwaltungsgericht ein.
12. Mit Schriftsatz vom 03.01.2022 beantragten die BF durch die Rechtsvertretung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und führten insbesondere aus, dass die BF2 am 30.12.2021 visumsfrei nach Österreich eingereist sei und sei sie berechtigt, sich bis zu 90 Tage aufzuhalten. Sie sei mittlerweile 13 Jahre alt und könne daher in altersadäquater Form einvernommen werden. Da ihre Lebenssituation entscheidungswesentlich sei, werde ihre Einvernahme ausdrücklich beantragt. BF1 und BF3 würden sich weiterhin in YYYY aufhalten. Sollte die Einvernahme der BF1 für notwendig erachtet werden, sei eine visumsfreie Einreise zum Zweck der Teilnahme an der mündlichen Beschwerdeverhandlung möglich. Um eine fristgerechte Bekanntgabe des Verhandlungstermins zur Planung der Einreise werde ersucht.
13. Am 24.02.2022 legte das Bundesamt Asyl- und Fremdenakten betreffend die BF in physischer Form vor.
14. Am 04.03.2022 legte das Bundesamt über gerichtliches Ersuchen Fremdenakten betreffend XXXX vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Personen der BF und die bisherigen asyl- sowie fremdenrechtlichen Verfahren
Die BF sind Staatsangehörige von YYYY . Ihre Identität steht mit ausreichender Sicherheit fest. Die BF gehören der yyyy Volksgruppe und dem christlich-orthodoxen Glauben an.
BF1 ist die Kindesmutter der minderjährigen BF2 und minderjährigen BF3. Die Obsorge der BF2 und BF3 ist durch BF1 gesichert.
BF1 hielt sich ab dem Jahr 2006 im Bundesgebiet auf und ist gemeinsam mit der im Jahr 2008 im Bundesgebiet geborenen BF2 – ihren Angaben zufolge – am 06.05.2012 freiwillig wieder nach YYYY zurückgereist. BF2 hielt sich seit ihrer Geburt bis zur gemeinsamen freiwilligen Rückkehr nach YYYY im Jahr 2012 mit der BF1 im Bundesgebiet auf.
Vom 30.03.2006 bis 02.04.2009 verfügte BF1 über Aufenthaltsbewilligungen nach dem NAG.
Während ihres ersten Aufenthalts im Bundesgebiet stellten BF1 sowie BF2 im Jahr 2009 sowie 2012 unter Aliasidentitäten insgesamt je zwei Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, welchen alle in zweiter Instanz durch den AsylGH im Beschwerdeweg rechtskräftig nicht stattgegeben wurden und wurden sie aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
BF1 sowie BF2 kehrten den Angaben von BF1 zufolge am 08.08.2014 mittels Flugzeug über Polen nach Österreich unter Verwendung eines niederländischen Visums zurück. Den Reisepass hat BF1 gleich nach der Ankunft in Wien weggeschmissen, weil sie ihren Angaben nach Angst gehabt hat, abgeschoben zu werden. Seitdem hielten sich die BF1 sowie BF2, ungeachtet der in der Folge auferlegten Ausreiseverpflichtungen, bis zur Abschiebung nach YYYY am XXXX im Bundesgebiet durchgehend auf.
Ihre in der Folge, unter wahrer Identitäten, gestellten dritten Anträge auf internationalen Schutz wurden in zweiter Instanz rechtskräftig vom Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeweg aufgrund der Zuständigkeit der Niederlande zurückgewiesen und wurde die Außerlandesbringung der BF1 sowie BF2 angeordnet sowie die Zulässigkeit der Abschiebung in die Niederlande festgestellt. Ein Überstellungsversuch in die Niederlande wurde in der Folge nicht durchgeführt, da die BF1 sowie BF2 an der damaligen dem Bundesamt bekannten Meldeadresse nicht mehr aufhältig waren.
BF3 wurde im Jahr 2015 im Bundesgebiet geboren. Die BF3 hielt sich seit ihrer Geburt durchgehend bis zur Abschiebung nach YYYY am XXXX , ungeachtet der in der Folge auferlegten Ausreiseverpflichtungen, im Bundesgebiet auf.
Die BF stellten in weiterer Folge Anträge auf internationalen Schutz (Viertantrag betreffend BF1 und BF2 sowie Erstantrag betreffend BF3), wobei BF1 ihren Angaben nach gewartet hat, damit die Überstellungsfristen nach der Dublin-Verordnung ablaufen.
Jene Anträge wurden durch das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeweg am 10.07.2017 in zweiter Instanz abgewiesen und wurden die vom Bundesamt erlassenen Rückkehrentscheidungen sowie Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach YYYY rechtskräftig bestätigt. Die von der BF1 gegen ihr betreffendes Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des VwGH vom 06.09.2017 zurückgewiesen.
Den in der Folge gestellten fünften Anträgen auf internationalen Schutz der BF1 sowie BF2 und dem zweiten Antrag auf internationalen Schutz der BF3 wurde durch das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeweg am 28.12.2018 in zweiter Instanz letztlich nicht stattgegeben und wurden die vom Bundesamt erlassenen Rückkehrentscheidungen sowie Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach YYYY rechtskräftig bestätigt. Die dagegen von den BF erhobenen außerordentlichen Revisionen wurden vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 07.03.2019 zurückgewiesen.
Zuletzt stellten die BF am 21.05.2019 Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet (Sechstantrag betreffend BF1 sowie BF2 und Drittantrag betreffend BF3).
Jenen Anträgen wurde durch das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeweg am 23.09.2019 in zweiter Instanz nicht stattgegeben und wurden die gegen die BF vom Bundesamt erlassenen Rückkehrentscheidungen sowie Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach YYYY rechtskräftig bestätigt (Rechtskraft mit 26.09.2019). Die von den BF dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionen wurden mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 18.12.2019 zurückgewiesen.
Im Mai 2020 beantragten die BF2 und BF3 postalisch durch ihre damalige Rechtsvertretung die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK. Laut der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage sind die Anträge bis dato unerledigt.
1.2. Zu den Abschiebeversuchen sowie zur Abschiebung nach YYYY
Die BF kamen den ihnen rechtskräftig auferlegten Ausreiseverpflichtungen, abgesehen von der (temporären) freiwilligen Ausreise im Jahr 2012, nicht nach.
Das Bundesamt versuchte die BF ab dem Jahr 2017 mehrmals nach YYYY abzuschieben:
- Eine im November 2017 geplante Abschiebung scheiterte aufgrund der damaligen durch eine Polizeiärztin festgestellten Fluguntauglichkeit der BF3 wegen Atemwegsprobleme. Der der Abschiebung vorangehenden Festnahme wurde seitens der BF1 erst nach Androhung von Zwangsgewalt Folge geleistet.
- Eine im Mai 2018 geplante Abschiebung scheiterte aufgrund der zu diesem Zeitpunkt offenen Frist zur Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der zum damaligen Zeitpunkt anhängigen Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht.
- Eine im Juli 2018 geplante Abschiebung scheiterte, da die BF2 beim diesbezüglichen Festnahmeversuch im Haushalt nicht angetroffen wurde und seitens der BF1 der genaue Aufenthaltsort nicht bekanntgegeben wurde.
- Eine im Mai 2020 geplante Abschiebung scheiterte, weil beim diesbezüglichen Festnahmeversuch die BF an der damaligen Meldeadresse nicht angetroffen wurden. Die BF haben die Wohnung unmittelbar vor der versuchten Festnahme verlassen.
- Ebenso konnte eine im Juni 2020 geplante Abschiebung nicht vollzogen werden, da die BF beim diesbezüglichen Festnahmeversuch nicht in der Wohnung aufhältig waren.
- Eine im Juli 2020 geplante Abschiebung wurde ebenso nicht durchgeführt, weil die BF zufolge einer Nachschau durch die Landespolizeidirektion nicht an der Meldeadresse aufhältig waren.
- Eine im November 2020 geplante Abschiebung scheiterte, da die BF1 beim diesbezüglichen Festnahmeversuch nicht in der Wohnung anwesend war. Die Auskunft des anwesenden XXXX , wonach BF1 wegen Covid stationär im Krankenhaus sei, erwies sich als unrichtig.
Am XXXX konnten die BF zwecks einer am XXXX geplanten Abschiebung in ihrer Wohnung festgenommen worden: Zu Beginn des Festnahmeversuches wurden von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nur die BF2 und BF3 sowie XXXX angetroffen, welcher die Anwesenheit der BF1 zu verleugnen versuchte. BF1 versteckte sich in der Bettzeuglade der Couch, um die Festnahme bzw. Abschiebung zu vereiteln, und konnte von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes schließlich aufgefunden werden. Die BF wurden in der Folge in ein Familienunterbringungsgebäude zwecks Anhaltung verbracht.
Nach Erlassung der Rückkehrentscheidung vom 23.09.2019 (Rechtskraft mit 26.09.2019) führte das Bundesamt – im Hinblick auf die für den 07.05.2020 geplante Abschiebung – mit Aktenvermerken vom 28.04.2020 eine Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung der BF durch und bejahte diese unter Verweis auf die zuletzt erlassene Rückkehrentscheidung als Abschiebetitel, ohne selbst nähere Ausführungen insbesondere im Hinblick auf Art. 8 EMRK anzuführen.
Mit Aktenvermerken vom 30.10.2020 wurde vom Bundesamt zuletzt (ebenso unter Verweis auf die zuletzt erlassene Rückkehrentscheidung) die Zulässigkeit einer Abschiebung, konkret der für den 05.11.2020 geplanten Abschiebung, geprüft und bejaht. In jenen Aktenvermerken wurde aktenwidrig – mittels Durchstreichen – verneint: „Rechtskräftiger Abschiebetitel älter als 1 Jahr ohne vorangegangene Ausreise“. Ausführungen oder Bemerkungen zum darunter angeführten Punkt „Überprüfung gem. § 8 EMRK“ sind in den Aktenvermerken nicht ersichtlich. Festgehalten wurde, dass eine Familientrennung, wenn Verschulden nicht bei der Behörde liegt (z.B. Untertaucher, Selbstverletzung, etc.), nicht möglich ist.
Eine Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur tatsächlichen Abschiebung, ist im Verwaltungsakt nicht dokumentiert.
Die BF wurden am XXXX auf Anordnung des Bundesamtes vom 22.01.2021 (Abschiebeauftrag an die Landespolizeidirektion XXXX ) über den Luftweg mittels Charter nach YYYY abgeschoben.
1.3. Zum Privat- und Familienleben der BF
Hinsichtlich der Aufenthaltszeiten der BF im Bundesgebiet wird auf die Feststellungen unter Punkt 1.1. verwiesen.
BF1 ist eine gesunde arbeitsfähige Frau mittleren Alters mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage. Die BF1 hat den überwiegenden und prägenden Teil ihres bisherigen Lebens in YYYY verbracht, spricht YYYY auf muttersprachlichem Niveau, hat im Herkunftsstaat eine Ausbildung absolviert und Berufserfahrung gesammelt. Es wäre dieser möglich, im Fall einer Rückkehr eine Arbeit aufzunehmen und – gegebenenfalls nach anfänglicher Unterstützung durch ihre Herkunftsfamilie – derart den Lebensunterhalt für sich und ihre minderjährigen Töchter eigenständig zu bestreiten. Sie hielt sich von 2006 bis zur freiwilligen Rückkehr nach YYYY im Jahr 2012 sowie ab August 2014 nach der Rückkehr aus YYYY bis zur Abschiebung nach YYYY am XXXX wieder durchgehend im Bundesgebiet auf. Die BF1 verfügt aufgrund eines in YYYY absolvierten Germanistik-Studiums über Deutschkenntnisse. Sie befand sich im Bundesgebiet in einer Ausbildung im Bereich der Lebens-/Sozialberatung und legte in den Verfahren einen Vorvertrag über eine ihr im Falle der Erlangung einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Aussicht stehende Vollzeitbeschäftigung vor. In der Vergangenheit war sie Mitglied von Vereinen im Bundesgebiet. In Österreich war sie nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF1 ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.
BF2 wurde im Jahr 2008 im Bundesgebiet geboren. BF2 hielt sich seit ihrer Geburt bis zur gemeinsamen freiwilligen Rückkehr im Jahr 2012 mit der BF1 nach YYYY im Bundesgebiet auf. Ab August 2014 nach der Rückkehr aus YYYY bis zur Abschiebung nach YYYY am XXXX hielt sie sich wieder durchgehend im Bundesgebiet auf. BF2 hat die Volksschule im Bundesgebiet abgeschlossen und besuchte bis zu ihrer Abschiebung nach YYYY die dritte Klasse (den XXXX sprachigen Zweig) XXXX . Sie ist eine arbeitswillige sowie interessierte XXXX mit ausgezeichnetem Verhalten und beherrscht ausgezeichnet die deutsche Sprache. Den Unterricht kann sie problemlos folgen und hat sie bisher gute schulische Leistungen. BF2 wird als sehr sozial, aufgeschlossen sowie vollkommen integriert beschrieben und verfügt über viel Interesse an Schule, Lernen und österreichischer Kultur. Sie hat im Bundesgebiet viele FreundInnen gefunden. Es ist davon auszugehen, dass sie altersgemäß sehr gut in das Schulleben integriert ist und ein vollwertiges, gut integriertes Mitglied ihrer Schulklasse sowie der Schulgemeinschaft geworden ist. Die BF2 kann sich jedenfalls mündlich in YYYY unterhalten. Ihre Diversitätskompetenz kann sie laut ihrer Klassenvorständin bei weiterem Verbleib an ihrem Bildungsstandort als Schlüsselkompetenz in Zukunft nutzen. BF2 ist gesund. Es kann nicht festgestellt werden, dass BF2 selbst ihre Abschiebungen vereitelt oder verzögert hätte.
BF3 wurde im Jahr 2015 im Bundesgebiet geboren. Die BF3 hielt sich seit ihrer Geburt durchgehend bis zur Abschiebung nach YYYY am XXXX im Bundesgebiet auf. BF3 ist gesund. Die BF3 kann sich mündlich in YYYY unterhalten. Es ist davon auszugehen, dass sie über altersentsprechende Deutschkenntnisse verfügt. Die familiären und privaten Interessen der minderjährigen BF3 beschränken sich aufgrund ihres Lebensalters im Wesentlichen noch auf den Kreis ihrer Kernfamilie. Es kann nicht festgestellt werden, dass BF3 selbst ihre Abschiebungen vereitelt oder verzögert hätte.
Die BF wollen ihr zukünftiges Leben in Österreich gestalten und verfügen in ihrem Lebensumfeld über eine, sich aus dem Aufenthalt ergebende soziale Vernetzung. Die BF lebten im Bundesgebiet gemeinsam in einer Wohnung.
Die BF sind der gegen sie nach Rechtskraft des Erkenntnisses am 23.09.2019 zuletzt erlassenen Rückkehrentscheidung (Rechtskraft 26.09.2019) nicht nachgekommen und verblieben im Bundesgebiet. Die BF sind im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen.
Herr XXXX , geboren am XXXX sowie yyyy Staatsangehöriger, befand sich zum Zeitpunkt der Abschiebung der BF ungemeldet im Bundesgebiet, wurde bei der Festnahme der BF in deren Wohnung angetroffen und wies sich gegenüber den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit einem für den Zeitraum vom XXXX bis XXXX ausgestellten slowakischen Aufenthaltstitel aus; über einen österreichischen Aufenthaltstitel verfügte er hingegen nicht. XXXX ist nach seinen Angaben und den Angaben der BF1 der Vater der BF2 und BF3. Im Jahr 2003 reiste er laut Aktenlage erstmals in das Bundesgebiet ein, stellte einen Asylantrag und wurde dieser im Jahr 2008 in zweiter Instanz abgewiesen. Er wurde in diesem Zeitraum dreimal aufgrund der Begehung von Vermögensdelikten strafgerichtlich verurteilt und verbüßte insgesamt mehrjährige Freiheitsstrafen. Im August 2005 wurde gegen ihn ein in Rechtskraft erwachsenes, unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die im Dezember 2008 gegen ihn erlassene fremdenpolizeiliche Ausweisung wurde in zweiter Instanz bestätigt und ist in Rechtskraft erwachsen. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft im Juni 2011 hat er sich dem Rückkehrhilfeprogramm entzogen und ist untergetaucht. Er gebrauchte mehrere Aliasidentitäten. Laut vorliegender Aktenlage wurde er erstmals von den Behörden unter der oben angeführten Identität im November 2017 und bei weiteren Festnahmeversuchen in der Wohnung der BF angetroffen. Eine Meldung im Bundesgebiet verfügte er unter oben angeführten Identität erst wieder ab Februar 2021 in Form eines Nebenwohnsitzes. Er wurde im Mai 2021 festgenommen, über ihn die Untersuchungshaft verhängt sowie wegen Urkundendelikte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 12 Monaten verurteilt, wobei hiervon acht Monate unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachgesehen wurden. Diesen Verurteilungen lag u.a. zugrunde, dass er XXXX Nach Entlassung aus der Strafhaft wurde über ihn die Schubhaft verhängt und über ihn eine in Rechtskraft erwachsene Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Im XXXX 2022 wurde er nach YYYY abgeschoben.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest.
2.1. Zu den Personen der BF und die bisherigen asyl- sowie fremdenrechtlichen Verfahren
Die Identität steht aufgrund der im Akt einliegenden Geburtsurkunden der BF2 und BF3, des yyyy Personalausweises der BF1 sowie der Ausstellung der Heimreisezertifikate mit ausreichender Sicherheit fest. Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem diesbezüglich unbestrittenen Akteninhalt und wurde auch kein dem entgegenstehendes Vorbringen erstattet.
2.2. Zu den Abschiebeversuchen sowie zur Abschiebung nach YYYY
Die Feststellungen zu den Abschiebeversuchen sowie der Abschiebung ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des Fremdenaktes betreffend die BF und wurde diesbezüglich auch kein entgegenstehendes Vorbringen erstattet. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist nicht zu entnehmen, dass eine Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung nach dem 30.10.2020, insbesondere in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur tatsächlichen Abschiebung erfolgte.
2.3. Zum Privat- und Familienleben der BF
Sämtliche Feststellungen betreffend das Leben der BF in Österreich konnten auf Basis der Angaben der BF in den Verfahren, des Akteninhalts sowie des diesbezüglich vom Bundesamt nicht bestrittenen Beschwerdevorbringens samt diesbezüglicher vorgelegter Urkunden (insbesondere Empfehlung der Schulleitung sowie Schreiben der Klassenvorständin betreffend die BF2) und der unbestrittenen Umstände betreffend die Integration der BF in Österreich getroffen werden. Mangels Erstattung eines entsprechenden Vorbringens respektive der Vorlage von ärztlichen Unterlagen war festzustellen, dass die BF gesund sind. Aufgrund der Einsichtnahme in das Strafregister konnten die Feststellungen zur Unbescholtenheit der BF1 getroffen werden.
Die Feststellungen zur Person des XXXX konnten aufgrund der Benennung dieser Person durch die BF in den Verfahren sowie der in den Polizeiberichten dokumentierten Angaben zu dieser Person getroffen werden. Da jedoch eine rechtsgültige Feststellung bzw. Anerkennung der Vaterschaft nicht hervorgekommen ist (aus den Geburtsurkunden der BF2 sowie BF3 geht ein Vater nicht hervor), konnte eine Vaterschaft zu BF2 und BF3 nicht festgestellt werden. Die weiteren Feststellungen zu XXXX konnten insbesondere aufgrund der vom Bundesamt vorgelegten ihn betreffenden Fremdenakten getroffen werden.
Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A)
Zu Spruchpunkt I. – Stattgabe der Beschwerden
3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt („Maßnahmenbeschwerden“) gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG. Dazu gehören auch Abschiebungen nach § 46 FPG (siehe VwGH 17.11.2016, Ro 2016/21/0016; 29.06.2017, Ra 2017/21/0089).
Der mit „Abschiebung“ betitelte und im 7. Hauptstück befindliche § 46 FPG in der zum Zeitpunkt des Vollzugs geltenden Fassung lautet auszugsweise:
„§ 46. (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn
1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.“
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebung ist auf den Zeitpunkt ihres Vollzugs abzustellen (vgl. VwGH 29.06.2017, Ra 2017/21/0089).
Gemäß § 13 Abs. 3 FPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter anderem ermächtigt, die ihnen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück eingeräumten Befugnisse und Aufträge des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchzusetzen.
Die gegenständlichen Maßnahmenbeschwerden richtet sich gegen die dem Bundesamt zurechenbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der im Auftrag des Bundesamtes von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Abschiebung der BF; das Bundesverwaltungsgericht ist daher zur Prüfung der Beschwerden gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG gegen die Abschiebung der BF am XXXX zuständig. Das Bundesamt ist im gegenständlichen Verfahren die belangte Behörde (vgl. zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Maßnahmenbeschwerden gegen Abschiebungen und zur Frage, welche Behörde im Beschwerdeverfahren als belangte Behörde beizuziehen ist, VwGH vom 17.11.2016, Ro 2016/21/0016, VwGH vom 02.09.2021, Ra 2020/21/0467).
3.1.2. Der Fremde ist unter zwei Voraussetzungen zur Ausreise durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu verhalten (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht K2 zu § 46 FPG): das Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung, einer Anordnung zur Außerlandebringung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes sowie die Erfüllung einer der Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG.
Der VwGH vertritt, dass sich die Durchführung einer Abschiebung als unverhältnismäßig erweisen kann, wenn nicht ausreichend gesichert war, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässig bzw. die schon bestehende Rückkehrentscheidung noch wirksam war (vgl. idS VwGH vom 23.01.2020, Ra 2019/21/0250 Rn. 15).
Eine Rückkehrentscheidung verliert ihre Wirksamkeit, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 MRK (nunmehr iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG) maßgeblich zu Gunsten des Fremden geändert haben (vgl. etwa VwGH vom 20.10.2016, Ra 2015/21/0091).
Der VwGH stellte weiters klar, dass § 46 FPG auch bei Vorliegen der dort genannten Bedingungen keine unbedingte Abschiebeverpflichtung vorsehe. Das ergebe sich schon aus dem Erkenntnis vom 23.10.2008, 2007/21/0335, und darauf Bezug nehmend aus dem Erkenntnis vom 20.10.2011, 2010/21/0056, deren Ausführungen ungeachtet der seither erfolgten Novellierung des § 46 FPG angesichts des in § 13 Abs. 2 FPG normierten allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebots weiterhin maßgeblich seien (vgl. VwGH vom 29.06.2017, Ra 2017/21/0089 Rn. 9 unter Bezugnahme auf VwGH 28.01.2016, Ra 2015/21/0232). Die Abschiebung steht im behördlichen Ermessen (vgl. Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA S. 311 unter Verweis auf VwGH vom 20.10.2011, 2010/21/0056; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht K9 zu § 46 FPG).
In der Beschwerde wird, neben der behaupteten Verletzung der Prüfungspflicht vor der Abschiebung gemäß § 13 Abs. 2 letzter Satz FPG insbesondere hinsichtlich Art. 8 EMRK, im Wesentlichen moniert, dass sich zwischen der Rückkehrentscheidung vom 23.09.2019 und der bekämpften Abschiebung am XXXX die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK maßgeblich zu Gunsten der BF geändert hätten, weshalb die Rückkehrentscheidungen ihre Wirksamkeit verloren hätten:
Gegenständlich wurde die letzten Rückkehrentscheidungen in zweiter Instanz am 23.09.2019 durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, erwuchsen mit 26.09.2019 in Rechtskraft und wurden die diesbezüglichen außerordentlichen Revisionen vom VwGH am 18.12.2019 zurückgewiesen. Die Abschiebung der BF erfolgte etwa 16 Monate nach Erlassung jener Rückkehrentscheidungen und hielten sich die BF, entgegen der bestehenden Ausreiseverpflichtung, in diesem Zeitraum unrechtmäßig weiterhin im Bundesgebiet auf. Das Bundesamt leitete bereits im Februar 2020 ein Verfahren zur Erlangung eines yyyy Heimreisezertifikates ein und wurde ab Mai 2020 mehrmals versucht, die Abschiebung der BF zu vollziehen. Aus den diesbezüglichen Feststellungen ergibt sich, dass die BF1 alles daransetzte, die Abschiebungen aller BF zu vereiteln. Insofern war dieses Verhalten der BF1 kausal für die Verlängerung der Aufenthaltsdauer und relativierte dieses fremdenrechtlich qualifizierte Fehlverhalten grundsätzlich die seit der Erlassung der Rückkehrentscheidung zugebrachte Aufenthaltsdauer zu Lasten der BF (vgl. etwa VwGH vom 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).
Gegenständlich ist aber auch das Kindeswohl entsprechend zu berücksichtigen:
Bei einer Rückkehrentscheidung, von der Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, sind nach der Rechtsprechung des VwGH im Rahmen der Abwägung gemäß § 9 BFA-VG "die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder", insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden. Um von einem – für die Abwägungsentscheidung relevanten - Grad an Integration (§ 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG) ausgehen zu können, müssen sich die betroffenen Minderjährigen während ihrer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet bereits soweit integriert haben, dass aus dem Blickwinkel des Kindeswohles mehr für den Verbleib im Bundesgebiet als für die Rückkehr in den Herkunftsstaat spricht, und dieses private Interesse mit dem öffentlichen Interesse eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und damit des Zusammenhalts der Gesellschaft in Österreich korreliert. Aus der Sicht der Minderjährigen bedeutet dies vor allem, dass sie sich gute Kenntnisse der deutschen Sprache aneignen, ihre Aus- und/oder Weiterbildung entsprechend dem vorhandenen Bildungsangebot wahrnehmen und sich mit dem sozialen und kulturellen Leben in Österreich vertraut machen, um - je nach Alter fortschreitend - am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich teilnehmen zu können (vgl. etwa VwGH vom 25.04.2019, Ra 2018/22/0251 Rn. 13 f).
Eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit wurde in der Rechtsprechung etwa für Kinder im Alter von sieben oder elf Jahren angenommen, verneinte wurde dies dagegen etwa bei Kindern im Alter von 12 und 15 Jahren (vgl. etwa Lais/Schön, Das Kindeswohl in der Rechtsprechung von VfGH und VwGH, RZ 2021, 211 (217) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR; vgl. Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, aaO S. 289; vgl. etwa VwGH vom 21.03.2018, Ra 2017/18/0333; VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055).
Zurzeit der letzten Rückkehrentscheidung am 23.09.2019 war BF2 etwas über 11 Jahre alt sowie BF3 knapp 4 Jahre alt. Zurzeit der Abschiebung am XXXX betrug das Alter der BF2 knapp 12 ½ Jahre, das der BF3 knapp über 5 Jahre.
Die im Bundesgebiet geborene BF2 verbrachte bis zu ihrer Abschiebung insgesamt etwas über 10 Jahre ihres Lebens im Bundesgebiet; von Mai 2012 bis August 2014, sohin etwas mehr als zwei Jahre, im Alter von knapp vier bis knapp sechs Jahren, hielt sie sich mit ihrer Mutter in YYYY auf.
Die BF2 hielt sich sohin im Zeitfenster des grundsätzlichen anpassungsfähigen Alters (siehe oben) im Bundesgebiet auf. Damit hat sie ihre grundsätzliche Sozialisierung in Österreich erfahren. Es ist daher von einem sehr ausgeprägten Bezug der in Österreich geborenen BF2 zum Bundesgebiet auszugehen.
Zu beachten ist gegenständlich der unsichere Aufenthaltsstatus der BF sowie insbesondere das unbestritten fremdenrechtlich qualifizierte Fehlverhalten der BF1. Zweifellos stellt es nämlich ein evident rechtsmissbräuchliches Verhalten der BF1 dar, etwa in Form der wiederholten, anfangs unter Verwendung einer Aliasidentität vorgenommenen Stellung von unberechtigten Anträgen auf internationalen Schutz oder Vereitelung der Abschiebungen, zu versuchen, unter Umgehung der Möglichkeiten einer legalen Migration die Behörden in Bezug auf ihren Aufenthalt vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt (vgl. etwa VwGH vom 21.05.2019, Ra 2019/19/0136).
In der die BF betreffend ergangene Entscheidung des VwGH vom 07.03.2019, Ra 2019/21/0044 bis 0046 hinsichtlich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.12.2018 wurde u.a. zu dieser angesprochenen Gesamtabwägung ausgesprochen, dass die mit dem Herausreißen der BF2 aus dem Schulbesuch verbundenen negativen Folgen in Österreich für die sich noch in einem anpassungsfähigen Alter befindende BF2 im großen öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen seien, weil auch ihr Aufenthalt von Anfang an nur durch unberechtigte, in evidenter Umgehungsabsicht und in missbräuchlicher Weise von ihrer Mutter, der BF1, gestellte Anträge erzwungen worden sei. Das müsse in einer solchen Konstellation in maßgeblicher Weise auch auf die Kinder durchschlagen.
Es kann auch angenommen werden, dass sich die BF2 im Zeitpunkt der nur etwa 9 Monate später ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.09.2019 mit einem Alter von etwas über 11 Jahren noch in einem anpassungsfähigen Alter befunden hat und sohin jene Erwägungen noch Geltung beanspruchen konnten.
Nach Ansicht des erkennenden Richters kann jedoch diese Prämisse zum Zeitpunkt der Abschiebung der damals knapp 12 ½ Jahren alten BF2 nicht mehr gelten (vgl. VwGH vom 19.09.2012, 2012/22/0143, wonach davon auszugehen ist, dass mit einem Alter von etwa 12 Jahren die grundsätzliche Sozialisierung erfolgt sei).
Die vorangehenden Rückkehrentscheidungen und die damals als maßgebend erachteten Erwägungen (Abwägungen iSd. Art. 8 EMRK) sind nämlich vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich die BF2 seinerzeit noch in einem anpassungsfähigen Alter befunden hat. Eine solche Anpassungsfähigkeit der BF2 ist jedoch nunmehr, zum Zeitpunkt der Abschiebung, nach den obigen Ausführungen grundsätzlich nicht mehr anzunehmen.
Auch relativiert sich angesichts der fortschreitenden Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet zunehmend der zweijährige Heimataufenthalt der BF2 im Alter von knapp vier bis knapp sechs Jahren. Vielmehr ist nunmehr im Hinblick auf die grundsätzlich erfolgte Sozialisierung der BF2 im Bundesgebiet von einer bereits starken Verwurzelung auszugehen. Insbesondere befand sich die BF2 mit einem Alter von rund 12 ½ Jahren, im Vergleich zur letzten Rückkehrentscheidung, bereits in der beginnenden Adoleszenz, in welcher wichtige Entwicklungsprozesse durchlebt werden und welche als besonders prägend für die Identität, etwa hinsichtlich eines Aufbaus eines eigenen Freundeskreises, das Entwickeln einer Zukunftsperspektive oder Entwicklung einer eigenen Weltanschauung, angesehen werden kann.
Die Situation für die BF2 hat sich insbesondere im Hinblick auf den fortschreitenden Schulbesuch im Bundesgebiet verändert. Im Zeitpunkt der Abschiebung besuchte sie bereits die dritte Klasse (7. Schulstufe) XXXX und befand sich inmitten der Ausbildung in der Sekundarstufe I. Insofern erscheint es auch unzumutbarer, als etwa zu Beginn einer Ausbildung, jene im Heimatland fortzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass die BF2 bereits entsprechend in ihrem Klassenverband integriert war und kann auch bereits im Hinblick auf das fortschreitende Alter der BF2 sowie der damit verbundenen persönlichen Reifung davon ausgegangen werden, dass für die BF2 allmählich Erwartungen betreffend eine konkrete Zukunftsgestaltung, wie etwa hinsichtlich der Wahl des künftigen Bildungswegs, im Bundesgebiet hervorkamen. Die BF2 hat ihre Ausbildung entsprechend dem vorhandenen Bildungsangebot wahrgenommen und sich mit dem sozialen und kulturellen Leben in Österreich vertraut gemacht, um am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich teilnehmen zu können.
Insofern stellt sich nunmehr fallbezogen der durch eine gemeinsame Ausreise mit der BF1 bewirkte Eingriff in ihr Privatleben als erheblich schwerwiegender dar und bedarf einer besonderen Rechtfertigung, zumal BF2 die überwiegende und sozial prägende Lebenszeit bisher im Inland durchlebt hat, wo sie auch geboren ist, weshalb auch davon auszugehen sein wird, dass nur ein geringer Bezug – im Wesentlichen über die BF1 – zum Herkunftsstaat besteht.
Es wird im vorliegenden Fall nicht verkannt, dass die unbescholtene BF1 eine beharrliche, qualifizierte Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften an den Tag legte, jedoch kann darin eine besondere Gefährlichkeit, wie sie sich etwa in einer gerichtlichen Straffälligkeit manifestiert, nicht erblickt werden. Ein Einreiseverbot wurde gegen die BF1 etwa vom Bundesamt zu keinem Zeitpunkt erlassen.
Im Hinblick auf die dargestellte fortschreitende Sozialisation der im Bundesgebiet geborenen BF2, insbesondere aufgrund eines dauerhaften und erfolgreichen Schulbesuches, sowie das Überschreiten des grundsätzlich anpassungsfähigen Alters – im Übrigen war nicht das Verhalten der minderjährigen BF2, sondern vielmehr das der BF1 kausal für die Verlängerung der Aufenthaltsdauer – erschien es nicht ausreichend gesichert, dass die bestehende Rückkehrentscheidung betreffend die BF2 zum Zeitpunkt der Abschiebung noch wirksam war. Da nämlich aus Art 1 BVG Kinderrechte folgt, dass grundsätzlich bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss und die der Rückkehrentscheidung vom 23.09.2019 zugrundeliegenden Erwägungen insbesondere im Hinblick auf das Kindeswohl zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht mehr die erforderliche Aktualität aufwiesen, erwies sich der Vollzug der Abschiebung, ohne erneute Abwägung im Hinblick auf das Kindeswohl, insbesondere das eigenständig zu beurteilende Privatleben der BF2, gegenständlich als unverhältnismäßig.
Allein dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung der unbescholtenen BF1 war nicht ein derart großes Gewicht beizumessen, dass sich daraus fallgegenständlich gesichert ergab, dass zum Zeitpunkt der Abschiebung die Rückkehrentscheidung betreffend die BF2 noch wirksam war (vgl. etwa VwGH vom 26.06.2019, Ra 2019/21/0032, der solche öffentlichen Interessen etwa annimmt, wenn etwa gegen die Eltern wegen fremdenrechtlich besonders bedeutsamer gerichtlicher Straftaten rechtskräftige Einreiseverbote bestehen und deshalb im öffentlichen Interesse nicht hinzunehmen wäre, dass sie im Wege der Erteilung von Aufenthaltstiteln an die Kinder ein Aufenthaltsrecht in Österreich bekommen könnten; derartige Umstände liegen bei der unbescholtenen BF1 jedoch nicht vor).
Bloß ergänzend zu erwähnen ist, dass seitens des Bundesamtes zuletzt am 30.10.2020, d.h. rund drei Monate vor der tatsächlichen Abschiebung, eine amtswegige Prüfung für die Zulässigkeit der Abschiebung durchgeführt wurde (eine derartige Prüfung wurde in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Abschiebung nicht mehr durchgeführt). In den diesbezüglichen Aktenvermerken vom 30.10.2020 wurde aktenwidrig – mittels Durchstreichen – verneint: „Rechtskräftiger Abschiebetitel älter als 1 Jahr ohne vorangegangene Ausreise“. Ausführungen oder Bemerkungen zum darunter angeführten Punkt „Überprüfung gem. § 8 EMRK“ sind in den Aktenvermerken nicht ersichtlich, obwohl eine derartige Prüfung dem diesbezüglichen Formular des Bundesamtes zufolge grundsätzlich zu erfolgen hätte.
Ebenfalls ergänzend zu erwähnen ist, dass das Bundesverwaltungsgericht in der Rückkehrentscheidung vom 23.09.2019 im Rahmen der Kindeswohlabwägung davon ausging, dass der von der BF1 benannte Kindesvater von BF2 und BF3 in YYYY aufhältig sei – zum Zeitpunkt der Abschiebung erwies sich diese Annahme jedoch als unrichtig, da der von BF1 als Kindesvater Bezeichnete zum Zeitpunkt der Festnahme der BF vor deren Abschiebung am XXXX in der Wohnung der BF im Bundesgebiet angetroffen wurde.
Die Abschiebung der BF2 nach YYYY erwies sich sohin als rechtswidrig, da nicht ausreichend gesichert war, dass die sie betreffende Rückkehrentscheidung zum Zeitpunkt der Abschiebung noch wirksam war. Im Hinblick auf die Wahrung der Familieneinheit schlägt dies auch auf die Abschiebungen der BF1 sowie BF3 durch.
Den Beschwerden gegen die am XXXX erfolgte Abschiebung der BF nach YYYY war sohin gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 46 Abs. 1 FPG stattzugeben und die Abschiebung für rechtswidrig zu erklären.
3.1.3. Zu den Spruchpunkten II. und III. – Verfahrenskosten
Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 leg.cit. der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 leg.cit. die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß § 35 Abs. 6 VwGVG auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 leg.cit. sinngemäß anzuwenden.
Als Aufwendungen gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG gelten die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat, die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand (§ 35 Abs. 4 Z 1 – 3 VwGVG).
Die BF begehrten, dem Rechtsträger der belangten Behörde gemäß § 35 VwGVG den Ersatz der Verfahrenskosten aufzuerlegen.
Da die BF vollständig obsiegten, steht ihnen nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.
Folglich war das Kostenbegehren des Bundesamtes als unterlegene Partei demgegenüber auf der Grundlage des § 35 Abs. 1 VwGVG abzuweisen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
3.1.4. Zum Unterbleiben der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung
Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang stand aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest. Der Sachverhalt erwies sich auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt, zumal auch Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.
3.1.5. Aufgrund der Deutschkenntnisse der zudem auch anwaltlich vertretenen BF1 und gesetzlichen Vertreterin der BF2 und BF3 konnte eine Übersetzung der maßgeblichen Bestimmungen dieser Entscheidung ins YYYY entfallen.
3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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