VwGH Ra 2017/21/0089

VwGHRa 2017/21/008929.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des M E, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. März 2017, W170 2144246-1/7E, betreffend Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

11997E010 EG Art10;
11997E234 EG Art234 Abs3;
61997CJ0224 Ciola VORAB;
62000CJ0453 Kuehne Heitz VORAB;
62004CJ0392 i-21 Germany VORAB;
62006CJ0055 Arcor VORAB;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
BFA-VG 2014 §7 Abs1 Z3;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
EURallg;
FrPolG 2005 §13 Abs2;
FrPolG 2005 §46;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017210089.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist syrischer Staatsangehöriger. Er verließ seinen Herkunftsstaat und gelangte über die Türkei und Griechenland auf der sogenannten "Balkanroute" nach Durchquerung der Staatsgebiete von Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich. Hier stellte er am 31. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Hierauf wurde ein Konsultationsverfahren nach der Dublin III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung)) eingeleitet und am 6. Februar 2016 ein auf Art. 13 Abs. 1 der genannten Verordnung gestütztes Aufnahmegesuch an die kroatischen Behörden gerichtet. Dieses Ersuchen blieb unbeantwortet.

3 In der Folge wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 23. August 2016 den vom Revisionswerber gestellten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück. Unter einem stellte es fest, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO Kroatien zur Antragsprüfung zuständig sei. Das begründete das BFA der Sache nach damit, dass der Revisionswerber im Sinne der erstgenannten Bestimmung aus einem Drittstaat kommend die Landgrenze des Mitgliedstaats Kroatien illegal überschritten habe und die kroatischen Behörden im Sinne der zweitgenannten Bestimmung zu dem diesbezüglichen Aufnahmegesuch keine Antwort erteilt hätten. Weiters ordnete das BFA gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung des Revisionswerbers (nach Kroatien) an und es sprach aus, dass "demzufolge" gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Kroatien zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber, der mittlerweile nach Deutschland weitergereist war, keine Beschwerde.

4 Über entsprechenden Auftrag des BFA vom 6. Dezember 2016 wurde der Anfang Dezember 2016 wieder nach Österreich zurückgekehrte Revisionswerber sodann in Umsetzung des genannten rechtskräftigen Bescheides am 8. Dezember 2016 auf dem Luftweg von Wien-Schwechat nach Kroatien (Zagreb) abgeschoben.

5 Gegen die Abschiebung erhob der Revisionswerber mit einem von seinem rechtsanwaltlichen Vertreter beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 10. Jänner 2017 eingebrachten Schriftsatz eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Maßnahmenbeschwerde. In dieser Beschwerde vertrat der Revisionswerber (zusammengefasst) die Meinung, seine Abschiebung sei trotz der rechtskräftigen Anordnung zu seiner Außerlandesbringung nach Kroatien im Hinblick auf ein vom Obersten Gerichtshof der Republik Slowenien am 13. September 2016 an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gestelltes Ersuchen um Vorabentscheidung rechtswidrig gewesen. Dieses Vorabentscheidungsersuchen betreffe nämlich die Frage der (Un‑)Rechtmäßigkeit der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten iSd Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO im Zuge der organisierten Flüchtlingsbewegungen über die "Balkanroute", die auch für die im Verfahren des Revisionswerbers ergangene Zuständigkeitsentscheidung maßgeblich gewesen und möglicherweise unionsrechtswidrig gelöst worden sei. Angesichts dessen widerspreche die während des beim EuGH anhängigen Verfahrens vorgenommene Abschiebung dem Grundsatz des "effet utile".

6 Diese Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. März 2017 gemäß § 28 Abs. 1 und 6 VwGVG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG und § 46 FPG unter Kostenzuspruch an den Bund als unbegründet ab. Das BVwG vertrat mit näherer Begründung die Auffassung, dass das in Rede stehende Vorabentscheidungsersuchen an der Rechtskraft der Entscheidung des BFA vom 23. August 2016, mit dem die Außerlandesbringung des Revisionswerbers nach Kroatien angeordnet worden war, nichts habe ändern können. Durch die Umsetzung dieses Bescheides sei es somit zu keiner Verletzung der Rechte des Revisionswerbers gekommen. Die Revision wurde vom BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

8 Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG, auf den sich die gegenständliche Beschwerde auch ausdrücklich bezogen hatte, entscheidet das BVwG über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt (u.a.) gemäß dem

7. Hauptstück des FPG, in dem sich der die Abschiebung regelnde § 46 FPG befindet. Es ist daher (auch weiterhin) zulässig, im Wege einer solchen Beschwerde die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung als Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt (nunmehr:) durch das BVwG prüfen zu lassen (vgl. das schon zur aktuellen, seit 1. Jänner 2014 geltenden Rechtslage ergangene hg. Erkenntnis vom 3. September 2015, Ro 2015/21/0025, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, mit dem Hinweis auf die Erkenntnisse vom 16. Mai 2012, Zl. 2012/21/0085, und vom 20. Oktober 2011, Zl. 2010/21/0056). Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebung ist auf den Zeitpunkt ihres Vollzugs abzustellen (siehe das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2013, Zl. 2012/21/0118, am Ende von Punkt 3.2. der Entscheidungsgründe).

9 Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 FPG sind Fremde, gegen die (u.a.) eine Anordnung zur Außerlandesbringung durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des BFA zur Ausreise zu verhalten, wenn sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind. Im Beschluss vom 28. Jänner 2016, Ra 2015/21/0232, stellte der Verwaltungsgerichtshof klar, dass § 46 FPG auch bei Vorliegen der dort genannten Bedingungen keine unbedingte Abschiebeverpflichtung vorsehe. Das ergebe sich schon aus dem Erkenntnis vom 23. Oktober 2008, Zl. 2007/21/0335, und darauf Bezug nehmend aus dem Erkenntnis vom 20. Oktober 2011, Zl. 2010/21/0056, deren Ausführungen ungeachtet der seither erfolgten Novellierung des § 46 FPG angesichts des in § 13 Abs. 2 FPG normierten allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebots weiterhin maßgeblich seien.

10 Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist das Vorbringen in der Maßnahmenbeschwerde zu sehen, die am 8. Dezember 2016 vorgenommene Abschiebung des Revisionswerbers hätte - ungeachtet der ursprünglichen Erlassung einer durchsetzbaren Anordnung zur Außerlandesbringung nach Kroatien und der Nichterfüllung der daraus resultierenden Ausreiseverpflichtung durch den Revisionswerber - nicht durchgeführt werden dürfen und sie sei somit rechtswidrig gewesen, weil die zugrunde liegende, mit dem rechtskräftigen Bescheid des BFA vom 23. August 2016 getroffene Entscheidung betreffend die Zuständigkeit Kroatiens zur Prüfung des vom Revisionswerber gestellten Antrags auf internationalen Schutz auf einer (möglicherweise) unrichtigen Auslegung des Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO beruhe und somit (allenfalls) dem Unionsrecht widersprochen habe.

11 Der genannte Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO, auf den das BFA diese Zuständigkeitsentscheidung in tragender Weise gegründet hatte, lautet:

"Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

In Anwendung dieser Bestimmung ging das BFA in seinem Bescheid vom 23. August 2016 in Bezug auf den vom Revisionswerber gestellten Antrag auf internationalen Schutz - wie schon erwähnt - deshalb von der Zuständigkeit Kroatiens zu dessen Prüfung aus, weil der Revisionswerber vom Drittstaat Serbien kommend die Landgrenze des Mitgliedstaats Kroatien "illegal" überschritten habe.

12 Unter anderem zur Frage des Verständnisses des Begriffes des "illegalen" Überschreitens der Landgrenze brachte der Oberste Gerichtshof der Republik Slowenien beim EuGH ein zu C-490/16 registriertes - bisher noch nicht erledigtes - Ersuchen um Vorabentscheidung ein. Insbesondere wurde in diesem Ersuchen, das am 14. September 2016 eingereicht und im Amtsblatt der Europäischen Union C 419 vom 14. November 2016, Seite 34, veröffentlicht wurde, die Frage gestellt, ob der Begriff des "irregulären Grenzübertritts" nach Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO unter den Umständen des im Ausgangsverfahren vorliegenden Falles "dahin auszulegen ist, dass es sich nicht um einen irregulären Grenzübertritt handelt, wenn der Mitgliedstaat den Grenzübertritt hoheitlich und zum Zweck der Durchreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union organisiert". Für den Fall der Bejahung dieser Frage zielt dieses Vorabentscheidungsersuchen noch auf die Beantwortung der Frage, ob dann Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO "dahin auszulegen sei, dass er die Rückführung eines Drittstaatsangehörigen in den Staat, in den er in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union zuerst eingereist ist, ausschließt".

13 Darauf bezieht sich der Revisionswerber - wie schon in der Maßnahmenbeschwerde - auch bei seiner Argumentation in der vorliegenden Revision in zentraler Weise und vertritt die Auffassung, dass im Hinblick auf das genannte Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs der Republik Slowenien keine Bindung an die Entscheidung des BFA vom 23. August 2016, mag dessen Rechtsansicht auch noch in dem in einem anderen Verfahren ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. September 2016, Ra 2016/19/0160, 0161, bestätigt worden sein, mehr bestanden habe. Diesem Vorabentscheidungsersuchen liege "exakt" jene Frage zugrunde, die auch im Asylverfahren des Revisionswerbers zu lösen gewesen sei, nämlich, ob die im Zuge der (damaligen) Massenfluchtbewegungen mittels staatlich organisierter Transite über die Grenze von Serbien nach Kroatien erfolgte Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten als "illegal" im Sinne des Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO zu qualifizieren sei. Insoweit liege daher keine "acte-clair"-Konstellation mehr vor. Ein diesbezügliches "Vorabentscheidungsurteil" des EuGH habe aber über den Ausgangsfall hinaus die Wirkung, dass die dem Verfahren zugrunde liegende Auslegung des Unionsrechts für alle Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten verbindlich sei, wobei die Entscheidung darüber hinaus auch zurückwirke. Für das BFA hätte sich demnach die Verpflichtung ergeben, keine Handlungen zu setzen, die dem Urteil des EuGH entgegenstehen könnten. Andernfalls würde "über einen gewissen Zeitraum bis zur letztlichen Entscheidung des EuGH eine (möglicherweise) unionsrechtswidrige Verwaltungspraxis" gepflogen, deren Auswirkungen nicht wiedergutzumachen wären. Damit wäre der Grundsatz des "effet utile" verletzt, wobei der Revisionswerber in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 2007, Zl. 2004/21/0319, und vom 25. April 2006, Zlen. 2004/21/00164, 2005/21/0053, verweist. Demnach wäre das BFA verpflichtet gewesen, die Überstellung des Revisionswerbers nach Kroatien "auszusetzen", um sicherzustellen, dass das "Vorabentscheidungsurteil" des EuGH "volle Wirksamkeit entfalten" könne. Von dieser Rechtsprechung sei das BVwG abgewichen, indem es sich damit begnügt habe, nur auf die Rechtskraft bzw. Durchsetzbarkeit der gegen den Revisionswerber erlassenen Anordnung zur Außerlandesbringung abzustellen.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu der in der Revision aufgeworfenen Frage, ob Fremde, die unter den genannten Bedingungen von Serbien kommend in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist sind, aufgrund durchsetzbarer Anordnungen zur Außerlandesbringung in den gemäß Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO für zuständig erachteten Mitgliedstaat Kroatien während der Anhängigkeit des vom Obersten Gerichtshof der Republik Slowenien eingereichten Vorabentscheidungsersuchens zu C- 490/16 überstellt werden dürfen, bisher noch nicht Stellung genommen. Die Revision erweist sich daher - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

15 Der Revisionswerber lässt nämlich außer Acht, dass auch der EuGH in einer Reihe von Entscheidungen die Bedeutung der Rechtskraft betonte. Darauf hat der Verwaltungsgerichtshof etwa schon in seinem Beschluss vom 21. Dezember 2012, Zlen. 2012/17/0465, 0466, und darauf Bezug nehmend im Erkenntnis vom 24. September 2014, Zl. 2012/03/0165, Punkt 6. der Entscheidungsgründe, hingewiesen. Daran anknüpfend wurde im erstgenannten Beschluss unter Punkt 2.2. der Begründung Folgendes ausgeführt:

"Entsprechend dem Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt das Gemeinschaftsrecht (Unionsrecht) nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder durch Erschöpfung des Rechtsweges bestandskräftig geworden ist (vgl. das Urteil des EuGH vom 13. Januar 2004, Rs C-453/00 , Kühne & Heitz, Slg. 2004, I- 837, Randnr. 24). Der Gerichtshof hat jedoch anerkannt, dass in bestimmten Fällen eine Schranke für diesen Grundsatz bestehen kann.

Im erwähnten Urteil Kühne & Heitz hat er entschieden, dass die für den Erlass einer Verwaltungsentscheidung zuständige Behörde nach dem in Art. 10 EG verankerten Grundsatz der Zusammenarbeit verpflichtet ist, ihre Entscheidung jedenfalls dann zu überprüfen und eventuell zurückzunehmen, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind:

1. die Behörde ist nach nationalem Recht befugt, diese

Entscheidung zurückzunehmen,

2. die Entscheidung ist infolge eines Urteils eines in

letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig

geworden,

3. das Urteil beruht, wie eine nach seinem Erlass ergangene

Entscheidung des Gerichtshofes zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die erfolgt ist, ohne dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Artikels 234 Abs. 3 EG erfüllt war,

4. der Betroffene hat sich, unmittelbar nachdem er Kenntnis

von der besagten Entscheidung des Gerichtshofes erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt

(vgl. auch das Urteil vom 19. September 2006 in den verbundenen Rechtssachen C-392/04 und C-422/04 , i-21 Germany und Arcor, Slg. 2006, I-8559, Randnr. 52). Der EuGH hat in einer Reihe von weiteren Entscheidungen die Bedeutung der Rechtskraft betont."

16 Die in der erwähnten Rechtsprechung des EuGH genannten Erfordernisse für die Durchbrechung der Rechtskraft einer nationalen Entscheidung sind im vorliegenden Fall schon deshalb nicht gegeben, weil der Bescheid des BFA vom 23. August 2016 vom Revisionswerber nicht in Beschwerde gezogen und demzufolge auch nicht vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts angefochten wurde und weil im Zeitpunkt der bekämpften Abschiebung noch gar kein Urteil des EuGH vorlag (und auch bislang nicht vorliegt), aufgrund dessen sich erweist, dass die auf Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO gegründete Zuständigkeitsentscheidung des BFA auf einer unrichtigen Auslegung der genannten unionsrechtlichen Bestimmung beruht (vgl. zu einem insoweit ähnlichen Fall das hg. Erkenntnis vom 12. September 2006, Zl. 2003/03/0279; siehe zum erstgenannten Gesichtspunkt auch noch das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zlen. 2007/21/0019, 0051). Aus dem zweitgenannten Grund wäre im Übrigen auch aus dem Urteil des EuGH vom 29. April 1999, C-224/97 , "Ciola", nichts zu gewinnen gewesen. Auch in diesem Fall lag der vom EuGH angenommenen Verpflichtung zur Nichtberücksichtigung eines - vor dem EU-Beitritt Österreichs ergangenen - rechtskräftigen Bescheides bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der wegen Verstoßes gegen eine dort vorgesehene Auflage verhängten Sanktion (Geldstrafe) zugrunde, dass bereits (nämlich unter einem) festgestellt wurde, dass die die Grundlage für die Bestrafung bildende Bescheidauflage dem Gemeinschaftsrecht (Unionsrecht) widerspricht. Das ist hier - wie erwähnt - (noch) nicht der Fall; bislang liegt erst die Stellungnahme der Generalanwältin vom 8. Juni 2017 vor. Soweit in der Revision daher - zwar nicht unter Bezugnahme auf die erwähnte Rechtsprechung des EuGH, sondern auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere zu Art. 8 EMRK - davon ausgegangen wird, die gegen den Revisionswerber erlassene Anordnung zur Außerlandesbringung habe wegen des slowenischen Vorabentscheidungsersuchens ihre "Gültigkeit verloren", trifft dieses Vorbringen somit nicht zu. Vielmehr durfte das BFA nach dem Gesagten im Zeitpunkt der gegenständlichen Abschiebung von der weiterhin bestehenden Rechtskraft und Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung ausgehen.

17 Es bestand aber auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit für das BFA kein sich aus dem Unionsrecht ergebender Grund, von der in Umsetzung des rechtskräftigen Bescheides vom 23. August 2016 vorgenommenen Abschiebung des Revisionswerbers nach Kroatien am 8. Dezember 2016 Abstand zu nehmen.

18 Der Verwaltungsgerichtshof hatte nämlich in seinem Beschluss vom 7. September 2016, Ra 2016/19/0160, 0161, in Bezug auf die Auslegung des Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO im Zusammenhang mit der organisierten Ein- und Weiterreise einer Vielzahl von über die "Balkanroute" kommenden Flüchtlingen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht, diesbezüglich liege "im Hinblick auf die nicht näher erläuterungsbedürftige Rechtslage" keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor. Mit näherer Begründung kam der Verwaltungsgerichtshof dort nämlich zum (eindeutigen) Ergebnis, eine entgegen den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Schengener Grenzkodex erfolgte Einreise sei ungeachtet der damals geübten Verwaltungspraxis als "unrechtmäßig" anzusehen und sie könne auch nicht pauschal auf humanitäre Gründe im Sinne des Art. 5 Abs. 4 lit. c Schengener Grenzkodex gestützt werden. Diesem Beschluss liegt - entgegen der in dem genannten slowenischen Vorabentscheidungsersuchen später vertretenen Ansicht - implizit die Auffassung zugrunde, diesbezüglich liege ein nicht zur Vorlage an den EuGH verpflichtender "acte clair" vor (siehe zu diesem Gleichklang den hg. Beschluss vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/21/0345, Rz 12).

19 Im Beschluss vom 14. Dezember 2016, Ra 2016/19/0303, 0304, vertrat der Verwaltungsgerichtshof sodann eine davon abweichende Position und stellte ein (eigenes) zu C-646/16 registriertes Ersuchen um Vorabentscheidung an den EuGH, in dem es ebenfalls um die Auslegung des Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO im Zusammenhang mit den organisierten Flüchtlingsbewegungen über die "Balkanroute" geht. Einleitend verwies der Verwaltungsgerichtshof darauf, dass er sich in dem in Rz 18 genannten Beschluss vom 7. September 2016 - wenngleich nur in für die damalige Entscheidung relevanten Teilbereichen - bereits zu einzelnen Aspekten, welche die nunmehr gestellten Fragen betreffen, geäußert habe. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen des slowenischen Obersten Gerichtshofs lasse sich - so der Verwaltungsgerichtshof weiter - ableiten, "dass dieses Gericht es als möglich erachtet, bestimmten für die Interpretation von Bestimmungen der Dublin III-Verordnung maßgeblichen Aspekten eine Bedeutung beizumessen, die das Verständnis der maßgeblichen unionsrechtlichen Bestimmungen als zweifelhaft erscheinen lässt". Damit könne aber nunmehr seitens des Verwaltungsgerichtshofes die Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union nicht (länger) ausgeschlossen werden, weshalb er nunmehr nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sei, dem EuGH die näher angeführten Fragen zu unterbreiten.

20 Erst aufgrund dieses Beschlusses musste auch das BFA konkrete Zweifel an der bisherigen Auslegung des Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO haben, zumal ihm bis dahin zugebilligt werden musste, sich an der bisher vom Verwaltungsgerichtshof dazu vertretenen Meinung, wie sie im Beschluss vom 7. September 2016 zum Ausdruck gebracht wurde, zu orientieren. Das BFA war nicht gehalten, im Hinblick auf das slowenische Vorabentscheidungsersuchen schon von sich aus Überlegungen anzustellen, die der Verwaltungsgerichtshof dann erst seinem Beschluss vom 14. Dezember 2016 zugrunde legte. Schon deshalb bestand für das BFA im Zeitpunkt der gegenständlichen Abschiebung am 8. Dezember 2016 noch kein ausreichender Anlass, Zweifel an der Unionsrechtskonformität der dem rechtskräftigen Bescheid vom 23. August 2016 zugrunde liegenden Auslegung des Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-VO zu haben, und somit schon deshalb auch keine (amtswegig wahrzunehmende) Verpflichtung, von der rechtskräftig angeordneten Außerlandesbringung abzusehen, zumal derartige Einwände dem BFA vom Revisionswerber überdies weder vorgetragen, noch darauf gegründete Anträge gestellt wurden. Außerdem hätte ein Zuwarten mit der Abschiebung im Grunde des Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-VO eine unbedingte - sonst nicht eintretende - Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung des vom Revisionswerber gestellten Antrags auf internationalen Schutz bewirken können. Das BFA musste in dieser Situation freilich auch nicht davon ausgehen, dass der Bescheid des BFA vom 23. August 2016 offensichtlich gegen Unionsrecht verstoße (vgl. in diesem Zusammenhang betreffend ein offensichtlich unionsrechtswidriges, absolutes und unbefristetes Ausreiseverbot das Urteil des EuGH vom 4. Oktober 2012, C-249/11 , "Byankov"); das wird vom Revisionswerber auch nicht behauptet.

21 Die Unzulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers lässt sich aber auch nicht aus den von ihm ins Treffen geführten hg. Erkenntnissen vom 20. Dezember 2007, Zl. 2004/21/0319, und vom 25. April 2006, Zlen. 2004/21/00164, 2005/21/0053, ableiten. Im erstgenannten Erkenntnis erinnerte der Verwaltungsgerichtshof zwar an den in Art. 242 und 243 EG (Art. 278 und 279 AEUV) zum Ausdruck gebrachten allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass während eines laufenden Verfahrens vor dem EuGH nicht bereits vollendete Tatsachen (durch die Behörden der Mitgliedstaaten) geschaffen werden sollen, welche nach Ablauf des Verfahrens in der Hauptsache zu nicht wieder gutzumachenden Schäden führen können, sodass in Verbindung mit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des "effet utile" mittels einstweiliger Anordnung sichergestellt werden solle, dass eine Endentscheidung des EuGH volle Wirksamkeit entfalten könne. Daraus folgerte der Verwaltungsgerichtshof, dass eine nach nationalem Recht vorgesehene aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels nicht ausgeschlossen werden dürfe, wenn Zweifel an der Vereinbarkeit einer das Rechtsschutzsystem betreffenden staatlichen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht (Unionsrecht) in einem bereits beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsersuchen geäußert wurden. Der Sache nach ging es (auch wenn das erstgenannte Erkenntnis Schubhaft betraf) jeweils darum, dass ein solches Vorabentscheidungsersuchen in dem - noch nicht endgültig erledigten - Verfahren zu berücksichtigen ist, in dem die den Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens bildende Norm anzuwenden ist. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof auch in seinen, in der Revision ebenfalls ins Treffen geführten Erkenntnissen vom 16. November 2016, Ra 2016/18/0172 bis 0177, und Ra 2016/18/00224 bis 0227, und in mehreren daran anschließenden Erkenntnissen, mit denen Entscheidungen betreffend die Zurückweisung von Anträgen auf internationalen Schutz wegen der auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gegründeten Zuständigkeit Kroatiens und damit verbundene Anordnungen zur Außerlandesbringung aufgehoben wurden, zum Ausdruck gebracht, vor der (neuerlichen) Entscheidung des BVwG sei der Ausgang des slowenischen Vorabentscheidungsverfahrens zu C-490/16 abzuwarten, wenn sich die Ein- bzw. Durchreise der revisionswerbenden Parteien durch Kroatien so gestaltet habe, wie im Fall dieses Vorabentscheidungsersuchens. Diesbezüglich hat das BVwG im vorliegend angefochtenen Erkenntnis angemerkt, diese Aussagen würden nur "die Durchführung des Dublin-Verfahrens" betreffen und ließen sich nicht auf "die Abschiebung aufgrund rechtskräftiger Dublin-Bescheide" übertragen. Dem ist beizupflichten. Aus der erwähnten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes lässt sich daher - abgesehen von den schon in Rz 18 bis 20 dargestellten, auch im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Aspekten - mangels Vergleichbarkeit der Fallkonstellationen für die verfahrensgegenständliche Abschiebung ebenfalls nichts gewinnen.

22 Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 29. Juli 2017

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