BVwG W272 2199129-1

BVwGW272 2199129-17.1.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:W272.2199129.1.00

 

Spruch:

W272 2199129-1/28E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt vom XXXX , Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 46, 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 14.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG).

 

2. Am Tag der Antragstellung wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zunächst zu seinen persönlichen Verhältnissen angab, dass er in Afghanistan, in der Provinz Kunduz geboren sei. Er habe 10 Jahre die Grundschule in Kunduz besucht. Seine Muttersprache sei Dari und er spreche auch Paschtu und Englisch. Er sei sunnitischer Moslem und Tadschike. Sein Vater heiße XXXX und seine Mutter XXXX . Sein Vater sei verstorben, seine drei Brüder XXXX (20 Jahre), XXXX (17 Jahre), XXXX (15 Jahre) und seine Schwester XXXX (13 Jahre) wären in Afghanistan wohnhaft. Sein Wohnsitz war Kabul,

XXXX und auch in Kunduz, XXXX . Sein Vater sei für den Lebensunterhalt aufgekommen, dieser sei Polizist gewesen. Im vorletzten Monat hätten die Taliban Kunduz erobert und sein Vater sei an der Front dabei ums Leben gekommen. Die Taliban hätten gedacht, dass sein Vater viele Taliban getötet hätten und deshalb würden sie Rache an den BF nehmen wollen. Seine Familie sei dann nach Kabul gezogen und danach habe er sich entschlossen nach Europa zu flüchten, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. Die Taliban würden ihn töten und der Staat würde ihm keinen Schutz gewähren.

 

3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.09.2017 gab der Beschwerdeführer zunächst an, dass er Tadschike und sunnitischer Moslem sei. Er sei in XXXX geboren und habe 10 Jahre lang die Schule besucht. Die letzten Jahre habe er keine Tätigkeit ausgeübt. Sein Vater sei 2015 gestorben, als die Regierung Kunduz-Stadt erstmal verloren habe. Seine Familie habe in Kunduz gewohnt, in Gooltepa-Zarkharid. Nach dem Tod des Vaters sei die Familie nach Kabul gegangen. Er sei in Pakistan gewesen, als seine Familie Kunduz verlassen habe. Er glaube, dass dies im Sommer gewesen sei. Wann genau seine Familie nach Kabul gezogen sei, wisse er nicht mehr genau, er schätze, als er in Pakistan gewesen sei. In Pakistan sei er nur durchgefahren, um in den Iran zu kommen. Es sei im Sommer 2015 gewesen und der BF korrigiere sich auf Herbst 2015. Er sei geflohen, da es Probleme mit seinem Großvater, Vater und Onkel gegeben habe. Als Kunduz besetzt worden sei, habe seine Familie nicht mehr dortbleiben können. Er sei eine Woche, vor seiner Familie geflüchtet. Die Flucht aus Afghanistan habe 1 Monat gedauert. Sein Vater sei Polizeibeamter bei der Lokalpolizei gewesen. Außerdem hätten sie noch 10 Jirib Grundstücke gehabt, dort seien Honigmelonen und Getreide angebaut worden. Nun sei seine Familie im Iran und die Grundstücke würden durch den Freund seines Vaters namens XXXX verwaltet werden und die Einkünfte würden seiner Familie versprochen worden sein. Sein Großvater habe Feinde, dieser sei jedoch bereits vor der Geburt des BF getötet worden. Sein Vater sei bei der Lokalpolizei gewesen. Sein Onkel sei am Weg Richtung Kunduz durch die Taliban und private Feinde getötet worden, er sei enthauptet worden.

 

Zur Fluchtgeschichte gab der BF an, dass er im Jahr 2015 mit seinem Cousin XXXX und seinem Vater zuhause gewesen sei. Sein Vater sei durch einen Anruf nach draußen gelockt worden. Die Leute hätten ihn angerufen, da man sie ansonsten erkannt hätte. Der BF sei mit seinem Cousin bewaffnet bei der Hintertür rausgegangen. Als Schüsse fielen, habe er mit seinem Cousin in Richtung der Taschenlampen geschossen. Nach einiger Zeit habe der BF nach seinem Vater gesehen und erkannt, dass dieser tot gewesen sei. Daraufhin habe der BF mit seinem Cousin nach den Angreifern nachgesehen und gesehen, dass einer von ihnen, namens XXXX , tot gewesen sei. Die anderen vier Angreifern seien verletzt gewesen und der BF habe sie gleich aus Wut getötet. Er sei dann mit seinem Vater ins MOLKI-Krankenhaus nach Kunduz gefahren. Danach sei sein Cousin XXXX aus Kapisa gekommen. Den Körper von XXXX habe der BF an das Motorrad gebunden und durch die Ortschaft fahren wollen. In dieser Zeit sei die Polizei gekommen und seine Mutter sei bewusstlos geworden, da sie dachte der BF wolle kämpfen gehen. Die Polizei habe ihn und XXXX festnehmen wollen, weil sie die verletzten Personen getötet haben, aber die Polizei konnte sie nicht festnehmen. Der BF wusste, dass die Regierung ihn ins Gefängnis bringen würden, da auch ein Freund seines Onkels namens XXXX , welcher verletzte Taliban getötet habe nun im Polizeigefängnis in Poolich Archi sei. Der BF sei deshalb sofort nach Österreich geflohen und sein Cousin XXXX habe zunächst Hilfe bei einem Parlamentsmitglied gesucht und konnte trotzdem nur ein Monat länger bleiben. Der BF sei nach Baghlan gefahren und danach nach Kabul. Sein Bruder sei nicht konkret bedroht worden, aber die Polizei sei jeden Tag gekommen. Der BF habe die Taliban gekannt, da er immer mit seinem Vater unterwegs gewesen sei und er immer mit seinem Vater wohin gefahren sei. Er sei immer bei seinem Vater gewesen und dieser habe von den Feinden erzählt. Die privaten Feinde waren die Taliban. Die Probleme seien schon mit dem Großvater gewesen. Als der Großvater getötet worden sei, seien sie nach Pakistan geflüchtet und als das Karzaie-Regime kam, er sei 7-8 Jahre alt gewesen, seien sie wieder zurückgekommen. Sein Vater habe 7-8 Jahre bei der Regionalpolizei gearbeitet, dazwischen nicht, er wisse aber nicht wann. Wieviele Tage vor der Erorberung Kunduz der Vorfall gewesen sei, wisse der BF nicht. Der BF wisse nicht in welchem Monat der Vorfall gewesen sei. Das Video und die Bilder wollte er auch bei der Erstbefragung vorzeigen, dieses seien jedoch nicht genommen worden. Die Bilder und das Video seien von XXXX den Kommandanten von Baghlan. Die Bilder habe dieser im letzten Monat geschickt.

 

Bei der 2. Einvernahme erklärte der BF die vorgelegten Fotos. Die Originaldatei des Videos 2 war vom 10.07.2016-140110 (in Farsi). Der BF gab dazu an, dass er die Fotos und das Video vor einem Monat erhalten habe und der Mullah es vielleicht vor einem Monat kopiert habe.

 

Im Zuge des bisherigen Verfahrens wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

 

* Tazkira ausgestellt 03.06.1394 (25.08.2015) in Kunduz, Distrikt Zentrum (Markaz) XXXX , 22 Jahre alt, Name XXXX , Name Vater XXXX ;

 

* Teilnahmebestätigung ÖIF, Deutsch-Lerngruppe;

 

* VHS Vorbereitungslehrgang Pflichtschulabschluss;

 

* 2 VHS Zeugnisse;

 

* Bescheinigung Erste-Hilfe-Kurs Rot Kreuz

 

* Fotos und ein Video auf welchen eine Person an einem Motorrad angehängt durch ein Dorf gezogen wird. Die Menge schreit.

 

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV und V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

 

In der Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde fest, dass keine individuelle Verfolgung durch seinen Herkunftsstaat, noch durch Drittpersonen erfolgt sei und daher die Flüchtlingseigenschaft nicht feststellbar war. Der BF sei weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung asylrelevant verfolgt worden. Eine Rückkehr nach Kunduz sei aufgrund der relevanten Gefährdungslage nicht möglich. Er habe jedoch drei innerstaatliche Fluchtalternativen, insbesondere Kabul oder Mazar-e-Sharif bzw. Herat. Über die Flughäfen könnten die Städte sicher erreicht werden. Der BF besitze Ausbildung, Erfahrung, familiäres Netzwerk und würde nicht in eine wirtschaftliche oder finanziell ausweglose Lage geraten. Herangezogen wurden die Länderfeststellungen der Staatendokumentation mit Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017 und mit letzter Kurzinformation vom 30.01.2018. Begründend brachte die Behörde vor, dass der BF im Rahmen des Verfahrens die Tatsachen gesteigert hatte. So gab er bei der Erstbefragung an, dass sein Vater im Kampf gegen die Taliban an der Front gestorben sei. Im Verfahren vor dem BFA gab er nun gesteigert an, dass dieser vor das Haus gelockt und dort ermordet wurde. Der BF sei bei der Schießerei anwesend gewesen und habe im Anschluss vier verletzte Taliban getötet. Einen bereits toten Taliban habe er an ein Motorrad gebunden und sein Cousin habe diesen durch die Ortschaft gezogen. Auch gab der BF zunächst an, dass sei Großvater, Vater und Onkel Probleme gehabt hätten und dadurch er Probleme habe, danach war die oa. Fluchtgeschichte der primäre Grund der Flucht, aufgrund der befürchteten Rache der Taliban. Die Polizei habe ihn gesucht und da bereits ein Bekannter wegen desselben Deliktes - Tötung von verletzten Taliban - in Haft sei, musste er innerhalb weniger Wochen fliehen. Die Behörde beurteilte, dass es unerklärlich sei, dass der Vater des BF, als erfahrener Dorfpolizist alleine vor das Haus gehe, insbesondere da die Taliban zu dieser Zeit Kunduz eingenommen hatten. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass der BF noch eine Woche im Gebiet blieb und nicht innerhalb weniger Stunden geflohen sei. Auch sei nicht anzunehmen, dass die Familie des BF noch annähernd zwei Wochen bis zur Flucht zugewartet habe. Auch waren die Zeitangaben oberflächlich, einmal Sommer dann im Herbst. Auch die Verweildauer in Pakistan sei unglaubwürdig, da der BF angab nur durchgereist zu sein, während er jedoch dort war, während seine Familie nach Kabul gezogen sei. Auch auf Nachfrage, ob es Dokumente gebe, wurde dies bejaht, doch diese hätte die Mutter verbrannt. Es sei nicht erklärlich Dokumente zu verbrennen, welche von der Polizei seien, noch dazu, wenn die Mutter Analphabetin gewesen sei. Auch sei es ein großer Zufall, dass der BF bei der Ziehung der toten Person hinter dem Motorrad nicht anwesend gewesen sei. Insgesamt sei das Vorbringen unglaubwürdig. Da es zu diesen Vorfällen nicht kam, sei auch keine Verfolgung zu erwarten. Der BF könne sich in einen der oa. Städte niederlassen. Er sei arbeitsfähig, volljährig und gesund und würde eine zumutbare Lebensbedingung vorfinden, zumal auch der Luftweg dorthin sicher ist. Der BF habe 10 Jahre Grundschulausbildung und konnte 5500 USD sparen. Weiters würde ein Freund noch die Erträge aus der Landwirtschaft zur Verfügung stellen, sodass auch eine finanzielle Unterstützung gegeben sei. Weiters könnte eine Unterstützung von der Familie aus dem Iran erfolgen. Der BF könne auch eine finanzielle Rückkehrhilfe erhalten, welche ihn den Neubeginn in Afghanistan erleichtern könnte. Insgesamt folgerte die Behörde, dass sie von keinem realem Inhalt seines Fluchtvorbringens ausgehe. Nach Abwägung hat die Behörde beurteilt, dass der BF auch noch nicht so stark in Österreich integriert sei, sodass eine Rückkehr im objektiven Interesse liege und über seinen subjektiven Interessen zu stellen sind. Eine Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig.

 

5. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertretung fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, infolge einer mangelhaften Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung ein. Der BF sei Tadschike mit islamisch-sunnitischer Glaubensrichtung. Der BF hätte frei erzählt und sowohl Fotos als auch Videos als Beweismittel vorgelegt. Der BF hält seine Aussagen aufrecht. Nach Ermordung seines Großvaters, sei die Familie nach Peschawar in Pakistan geflüchtet. Nachdem Präsident Karzai an die Macht kam, wäre seine Familie nach Kunduz zurückgezogen. Der Onkel des BF sei 2013 am Weg von Kabul nach Kunduz enthauptet worden. Der Vater des BF sei Polizist gewesen und sei 2015 im Zuge der Eroberung der Taliban von Kunduz bei einem Angriff ermordet worden. Aus Rache habe der BF vier verletzte Taliban getötet. Sein Cousin XXXX habe in der Folge eine Leiche in die Stadt geführt und mit dem Motorrad hinter sich gezogen. Der BF sei daraufhin von den Taliban, als auch von den afghanischen Sicherheitsbehörden verfolgt worden, dies habe ihn gezwungen das Land zu verlassen. Eine Steigerung sei nicht gegeben, da die Erstbefragung nur rudimentär gewesen sei. Dies sei auch gem. § 19 Abs. 1 AsylG 2005 so vorgesehen. Auch sei der BF nicht zuhause geblieben, sondern in der einen Woche nach Kabul gegangen und die Familie war nicht primäres Ziel, das sie beschützt wurde, doch auch diese lebe mittlerweile im Iran. Der BF könne daher nicht nach Afghanistan zurück, da er einer Verfolgung unterliege. Auch würde eine Rückkehr nicht möglich sein, da in Afghanistan ein Klima der ständigen Bedrohung, strukturellen Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie eine Reihe von Menschrechtsverletzungen bestünden. Weiters könne er nicht zurück, da er schon länger im Ausland sei und hier mit großen Schwierigkeiten bei der Eingliederung in die afghanische Gesellschaft zu rechnen habe. Er habe keinen Familienanschluss und er würde keine Arbeit finden, daher wäre ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. Weiters wurden mehrere Berichte über Attentate in Kabul vorgebracht. Eine Rückführung nach Afghanistan wäre eine Verletzung nach Art. 2 und 3

EMRK.

 

6. Dem BVwG wurde am 15.05.2019 eine Kopie des Führerscheines des BF mit einem Untersuchungsbericht vorgelegt. Es ergab keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer falschen oder verfälschten Urkunde. Bemerkt wurde, dass es sich beim Modell um eine "Erstausstellung" handelte und auch kein früherer Führerschein eingetragen ist. Das bedeutet, dass dem Inhaber am 10.02.2019, nach Ablegung der Prüfung, erstmalig ein afghanischer Führerschein vom Verkehrsamt Kapisa ausgestellt wurde.

 

7. Am 14.06.2019 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG durchgeführt. Im Rahmen dieser Verhandlung legt der BF die mit A bis

V bezeichneten Fotos vor, ein Video, einen Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria: Gewerbeberechtigung seit 31.01.2019 und ein Zeugnis über die Abschlussprüfung der Berufsorientierung.

 

8. Mit Schreiben vom 19.07.2019 wurde der BF beauftragt zu einzelnen Punkten (Wohnort und zur Person des XXXX ) einzelne Fragen zu beantworten. Diese Fragen wurden mit Schreiben vom 23.07.2019 beantwortet und dienten für die Beauftragung eines Sachverständigen zur Erhebung von entsprechenden Daten vor Ort.

 

9. Der BF wurde am 24.07.2019 in Anhaltung und Untersuchungshaft genommen. Am 26.07.2019 wurde er aus der Justizanstalt Klagenfurt entlassen. Im Rahmen dieser Haft wurde eine Befragung durchgeführt.

 

10. Mit Beschluss des BVwG W2199129-1/10Z wurde Dr. XXXX als Sachverständiger beauftragt ein Gutachten aus dem Fachgebiet Afghanistan zu erstellten. Die Behörde und der BF/BFV wurden verständigt und ein Parteiengehör gewährt. Die beiden Parteien brachten keine Einwände gegen die Bestellung vor. Auch in der zweiten mündlichen Verhandlung am 11.12.2019 erfolgte keine Einwände.

 

Der SV wurde beauftragt folgende Fragen zu beantworten:

 

1. Welche Informationen gibt es in Afghanistan über den Tod von XXXX ?

 

2. Wann, wo, wie wurde XXXX getötet?

 

3. Wer hat XXXX getötet bzw. gibt es Verdächtige?

 

4. Ist das Video in Afghanistan bekannt und kann es im Zuge des Todes von XXXX erstellt worden sein?

 

5. Stimmen die Angaben/Vorbringen des BF mit der Realität seiner Heimatregion zusammen?

 

Eine weitere Erörterung erfolgt in der mündlichen Verhandlung.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan, in der Provinz Kunduz geboren und hat bis zur Ausreise im Jahr 2015 in Kunduz gelebt. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan 10 Jahre lang die Schule besucht und in der Landwirtschaft gearbeitet. In seinem Herkunftsland verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandte. Der Vater des BF heißt XXXX , war Arbaki und wurde im Sommer 2015 bei einer Bombenexplosion getötet. Die Kernfamilie des BF befindet sich im Iran. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Dari, Arabisch, ein bisschen Paschtu und Usbekisch und er hat Englisch gelernt. Der BF kennt die afghanische Kultur.

 

Der BF ist grundsätzlich seinem Alter entsprechend entwickelt, gesund und arbeitsfähig.

 

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, er hat sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland.

 

Der unbescholtene BF hat in Österreich keine Familienangehörigen und kaum Kontakte mit anderen Österreichern. Er hat in Österreich diverse Kurse darunter Deutschkurse besucht und versucht den Pflichtschulabschluss zu absolvieren. Er hatte als Gewerbetreibender Tätigkeiten in einem indisch-asiatischen Geschäft geleistet, zurzeit geht er keiner Beschäftigung nach. Der Beschwerdeführer kann sich in Deutsch verständigen. Er lernt derzeit über Youtube Deutsch und betreibt manchmal Sport. Ansonsten geht der BF keinen kulturellen oder sozialen Aktivitäten nach. Er lebt von der Grundversorgung und hat keine strafrechtliche Verurteilung.

 

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

 

Der BF wird nicht wegen Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht oder verfolgt.

 

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland:

 

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wird der BF aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter nicht bedroht.

 

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat bzw., dass er als afghanischer Staatsangehöriger, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, deshalb in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

 

Bezüglich der Rückkehr nach Afghanistan in die Provinz Kunduz wird festgestellt, dass die Reise dorthin eine Gefahr für seinen Leib und Leben darstellt. Die Provinz zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv. Es wird als volatile Gegend bezeichnet und das Erreichen dieser Ortschaften ist nicht sicher. In einer Zusammenschau wäre der BF daher mit großer Wahrscheinlichkeit in Gefahr einen ernstlichen Schaden zu erleiden.

 

Dem BF steht eine Rückkehr in die Städte Mazar-e-Sharif oder Herat zur Verfügung, obwohl in diesen beiden Städten eine angespannte Situation vorherrscht. Diese beiden Städte sind aber als innerstaatliche Fluchtalternative möglich. Es ist ihm möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF würde bei seiner Rückkehr in eine dieser Städte kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und zumindest vorrübergehend verschiedene Hilfsprogramme in Anspruch nehmen, die ihn bei der Ansiedlung in Mazar- e Sharif oder Herat unterstützen. Die Notwendigkeit des Vorhandenseins eines persönlichen Ausweises/Dokumentes ist nicht gegeben.

 

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

Die Städte Mazar-e-Sharif und Herat sind von Österreich aus sicher über Kabul mit dem Flugzeug zu erreichen. Die Städte sind über die jeweiligen Flughäfen sicher zu erreichen. Die Rückführung nach Afghanistan wird von Österreich organisiert.

 

1.4. Zum Herkunftsstaat:

 

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt (Stand 13.11.2019).

 

Politische Lage

 

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

 

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

 

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

 

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

 

Parlament und Parlamentswahlen

 

Politische Parteien

 

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

 

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

 

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

 

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

 

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

 

Friedens- und Versöhnungsprozess

 

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

 

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

 

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

 

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9 .2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.1.2017).

 

Sicherheitslage

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

 

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

 

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

 

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

 

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

 

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

 

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

 

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

 

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

 

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

     

 

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o. D.))

 

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

 

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Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

 

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

 

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

 

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

 

Zivile Opfer

 

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

 

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

 

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

 

 

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

    

 

* 2019: Erste drei

Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

 

High-Profile Angriffe (HPAs)

 

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

 

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

 

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

 

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

 

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

 

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen

 

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

 

Taliban

 

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

 

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

 

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

 

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

 

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

 

Kunduz

 

Die Provinz Kunduz war schon immer ein strategischer Knotenpunkt. Darüber hinaus verbindet die Provinz Kunduz den Rest Afghanistans mit seiner nördlichen Region und liegt in der Nähe einer Hauptstraße nach Kabul (DW 30.9.2015). Somit liegt die Provinz Kunduz im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Tadschikistan, im Osten an die Provinz Takhar, im Süden an die Provinz Baghlan und im Westen an die Provinz Balkh (UNOCHA 4.2014kd). Die Provinzhauptstadt ist Kunduz (Stadt) (OPr 1.2.1017kd); die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Ali Abad, Chahar Darah (Chardarah), Dasht-e-Archi, (Hazrati) Imam Sahib, Khan Abad, Kunduz und Qala-e-Zal (CSO 2019; vgl. IEC 2018kd, UNOCHA 4.2014kd, OPr 1.2.2017kd, NPS o.D.kd). Die Distrikte Calbad (Gulbad), Gultipa und Aqtash sind neu gegründete Distrikte mit "temporärem" Status (AAN 7.11.2018; vgl. CSO 2019).

 

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kunduz für den Zeitraum 2019-20 auf 1.113.676 Personen, davon 356.536 in der Stadt Kunduz (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara, Aymaq und Pashai (NPS o. D.kd; vgl. OPr 1.2.2017kd).

 

Ein Abschnitt der asiatischen Autobahn AH7 führt von Kabul aus durch die Provinzen Parwan und Baghlan und verbindet die Hauptstadt mit der Provinz Kunduz und dem Grenzübergang nach Tadschikistan beim Hafen von Sher Khan (auch Sher Khan Bandar) (MoPW 16.10.2015; vgl. RFE/RL 26.8.2007, IN 24.4.2019, LC 24.4.2019); die Straßenbrücke über den Grenzfluss Panj wurde 2007 eröffnet (RFE/RL 26.8.2007). Eine Autobahn verläuft von Kunduz durch den Distrikt Khanabad nach Takhar und Badakhshan (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014kd, AAN 12.10.2016). Von der ca. 100 km langen Autobahn von Khulm nach Kunduz, welche die Fahrstrecke zwischen den Provinzen Kunduz und Balkh deutlich reduzieren wird, wurden im April 2017 59 km fertiggestellt (TN 12.4.2017; vgl. Technologists 2019), das übrige Teilstück ist in Bau (Technologists 2019). In Kunduz gibt es einen Flughafen; im Jahr 2017 wurde ein Terminal nach internationalem Standard mit einer Kapazität für 1.300 Personen errichtet (LIFOS 26.9.2018; vgl. PAJ 7.3.2018). Stand Juli 2019 gibt es jedoch keinen Linienbetrieb in Kunduz (F24 10.7.2019).

 

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 hat Kunduz den seit 2007 bestehenden Status "schlafmohnfrei" 2018 beibehalten. Obwohl die Anbaufläche in den letzten Jahren gestiegen ist, blieb sie 2018 immer noch unter 100 Hektar, was die UNODC-Schwelle für den Erhalt des "schlafmohnfreien Status" darstellt (UNODC/MCN 11.2018).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Die Sicherheitslage der Provinz hat sich in den letzten Jahren verschlechtert (AAN 7.11.2018; vgl. AJ 5.2.2019). Sowohl 2015 als auch 2016 kam es zu einer kurzfristigen Einnahme der Provinzhauptstadt Kunduz City durch die Taliban (UNAMA 24.2.2019) und auch Ende August 2019 nahmen die Taliban kurzzeitig Teile der Stadt ein (BAMF 2.9.2019). Kunduz war die letzte Taliban-Hochburg vor deren Sturz 2001 (RFE/RL o.D.).

 

Die Taliban waren im Jahr 2018 in den Distrikten Dasht-e-Archi und Chahar Darah aktiv, wo sich die staatliche Kontrolle auf kleine Teile der Distriktzentren und einige benachbarte Dörfer beschränkte (AAN 7.11.2018). Die Taliban hatten laut Quellen im Februar 2019 im Distrikt Dasht-e-Archi eine parallele Schattenregierung gebildet, die einen Distriktgouverneur, Bildungsleiter, Justiz, Gesundheit, Öffentlichkeitsarbeit, Militär und die Finanzkomitees umfasst. Diese Posten werden von jungen Paschtunen und Usbeken aus dem Distrikt besetzt (AAN 26.2.2019). In Ali Abad, Imam Sahib und Khan Abad erreichte die Präsenz der Regierung fast die Hälfte der Distrikte, während die restlichen Teile umstritten waren. Aqtash, Calbad und Gultipa standen, zum Berichtszeitraum November 2018, weitgehend oder vollständig unter der Kontrolle der Taliban (AAN 7.11.2018).

 

Außerdem soll eine aufständische Gruppe namens Jabha-ye Qariha ("die Front derer, die den Quran auswendig gelernt haben", die Qaris), die als Militärflügel von Jundullah bekannt ist, im Distrikt Dasht-e-Archi aktiv sein. Obwohl Jundullah eine unabhängige Gruppe ist, ist sie mit den Taliban verbündet (AAN 26.2.2019).

 

In den vergangenen Monaten sind Zellen der Islamischen Staates in der nördlichen Provinz Kunduz aufgetaucht (NYT 14.6.2019; vgl. JF 6.4.2018); auch soll der IS dort Basen und Ausbildungszentren unterhalten (RE 19.3.2018; 27.2.2019).

 

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kunduz in der Verantwortung des 217. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) unter der Führung deutscher Streitkräfte untersteht (USDOD 6.2019).

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 337 zivile Opfer (105 Tote und 232 Verletzte) in der Provinz Kunduz. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und IEDs. UNAMA dokumentierte einen anhaltenden Rückgang der zivilen Opfer durch Bodenkämpfe in den Provinzen Kunduz und Laghman, die beide zu den fünf Provinzen gehörten, die 2018 die größte Reduktion ziviler Opferzahlen durch solche Operationen hatten. Für die Provinz Kunduz verzeichnete UNAMA 109 zivile Opfer durch Bodenkämpfe, was einem Rückgang von 31% gegenüber 2017 entspricht (UNAMA 24.2.2019).

 

Im April 2019 wurde die Sicherheitsoperation Khalid durch die afghanische Regierung gestartet, die sich auf die südlichen Regionen, Nangarhar im Osten, Farah im Westen, sowie Kunduz, Takhar und Baghlan im Nordosten, Ghazni im Südosten und Balkh im Norden konzentrierte (UNGASC 14.6.2019). In Kunduz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte; dabei werden unter anderem auch Aufständische getötet (z.B. XI 31.7.2019; KP 22.7.2019; KP 11.7.2019; KP 7.7.2019; XI 27.1.2019; TN 10.9.2018; TN 8.2.2019; NYTM 1.8.2019; UNAMA 25.3.2019; IE 20.7.2018); und Luftangriffe durchgeführt (z.B. NYTM 1.8.2019; XI 31.7.2019; KP 22.7.2019; KP 11.7.2019; XI 12.5.2019; TN 31.1.2019;

XI 27.1.2019; UNAMA 25.3.2019).

 

Auch kam es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den Sicherheitskräften (z.B. BAMF 2.9.2019; NYTM 1.8.2019; XI 28.7.2019; XI 10.7.2019; SPI 9.7.2019; SP 30.6.2019; TN 13.4.2019; RG 5.2.2019; TN 10.9.2018). Ende August 2019 starteten die Taliban in Kunduz-Stadt eine Großoffensive mit mehreren Hundert Kämpfern. Dabei konnten sie das Provinzkrankenhaus, die Zentrale der Elektrizitätsversorgung und den dritten Polizeibezirk der Stadt einnehmen. Die Kämpfer verschanzten sich in Häusern und lieferten sich Gefechte mit dem afghanischen Militär (BAMF 2.9.2019; TN 1.9.2019). Schon im April 2019 hatten sie Ziele in der Stadt Kunduz angegriffen, wobei dieser Angriff von den Sicherheitskräften zurückgeschlagen wurde (AT 14.4.2019; vgl. NYT 18.4.2019). Manchmal kommt es durch Talibanaufständische zu sicherheitsrelevanten Vorfällen auf der Verbindungsstraße Kunduz-Takhar (CBS 20.8.2018; vgl. KP 20.8.2018; BN 20.8.2018; AAN 7.11.2018).

 

Kunduz gehörte zu den Provinzen mit der höchsten Gewaltbereitschaft der Taliban während der Parlamentswahlen 2018 (AAN 7.11.2018). In Qala-e-Zal, Gultipa und Calbad fand die Wahl wegen hoher Sicherheitsrisiken nicht statt (PAJ 27.10.2018; vgl. AAN 7.11.2018).

 

IDPs und Binnenvertriebene

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 46.312 konfliktbedingt Binnenvertriebene aus der Provinz Kunduz (UNOCHA 28.1.2019). Von UNOCHA wurden für den Zeitraum 1.1.-30.6.2019 7.854 konfliktbedingt Binnenvertriebene in Kunduz erfasst, die innerhalb der Provinz umsiedelten, sowie in geringem Ausmaß nach Herat (49) gingen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 43.638 konfliktbedingt Binnenvertriebene in die Provinz Kunduz, die allesamt aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 8.022 konfliktbedingt in die Provinz Kunduz vertriebene Personen, die aus Kunduz selbst, sowie in geringerem Ausmaß aus Takhar (217) stammten (UNOCHA 18.8.2019). UNOCHA vermerkte im November 2018, dass Kunduz eine der drei Provinzen war, welche die meisten konfliktbedingten Vertreibungen erlebten (UNOCHA 6.12.2018).

 

Balkh

 

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt:

Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

 

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

 

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den

7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

 

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

 

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Balkh gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

 

Tabelle kann nicht abgebildet werden

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).

 

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäßig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

 

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

 

IDPs - Binnenvertriebene

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter

1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).

 

Herat

 

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte - Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) -, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

 

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

 

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

 

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

 

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:

Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

 

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

 

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

 

2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).

 

Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

 

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Herat gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

 

Tabelle kann nicht abgebildet werden

 

*temporäre Distrikte. Sicherheitsrelevante Vorfälle in diesen Distrikten werden dem Distrikt Shindand zugerechnet. (ACLED 5.10.2019; ACLED 12.7.2019; GIM o.D.)

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

 

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

 

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

 

IDPs - Binnenvertriebene

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).

 

Rechtsschutz / Justizwesen

 

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind (Casolino 2011). In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council - AUC) beraten (USDOS 29.5.2018). Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht (REU 24.11.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

 

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (APE 3.2017). Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen - einschließlich Menschenrechtsverträge - vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (APE 3.2017; vgl. UNAMA 22.2.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden (APE 3.2017).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tief greifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht (USIP 3.2015).

 

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen.(AA 2.9.2019). Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht durch. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren (USDOS 13.3.2019).

 

Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistans, bemüht sich das Land auch weiterhin für die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen (CR 11.2018). Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politischer Einflussnahme und weit verbreiteter Korruption beeinflusst (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019, FH 4.2.2019). Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten durchgesetzt (USDOS 13.3.2019). Rechtsstaatliche (Verfahrens‑)Prinzipien werden nicht konsequent (AA 2.9.2019) und innerhalb des Landes uneinheitlich angewandt (USDOS 13.3.2019).

 

Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert (USDOS 13.3.2019).

 

Sicherheitsbehörden

 

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 13.5.2019).

 

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 13.3.2019). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 12.2018).

 

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019): dies beinhaltet 227.374 Mitglieder der ANA und 124.626 Mitglieder der ANP. Die ALP zählt mit einer Stärke von 30.000 Leuten als eigenständige Einheit (USDOD 6.2019). Die zugewiesene (tatsächliche) Truppenstärke der ANDSF soll jedoch nur 272.465 betragen. Die Truppenstärke ist somit seit dem Beginn der RS-Mission im Jänner 2015 stetig gesunken. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.7.2019; NYT 12.8.2019).

 

Die Anzahl der in der ANDSF dienenden Frauen hat sich erhöht. Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor strukturelle und kulturelle Herausforderungen, um Frauen in die ANDSF und die afghanische Gesellschaft zu integrieren (USDOD 6.2019). Mit Stand April 2019 waren 5.462 Frauen in den ANDSF - 500 mehr als im Quartal davor und 900 mehr zum Vergleichszeitraum des Vorjahres (SIGAR 30.7.2019). Sowohl bei der ANA als auch bei der ANP glich die Rate der Rekrutierungen die Ausfallsrate aus (USDOD 6.2019).

 

Afghanische Nationalarmee (ANA)

 

Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 13.3.2019). Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (USDOD 6.2019). Das Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A), ein US-geführtes Kommando, nennt eine Truppenstärke von 180.869. 1.812 Frauen dienen in der ANA und 86 weitere in der AAF (SIGAR 30.7.2019). Die monatliche Ausfallsquote, die im zweiten Quartal 2019 durchschnittlich bei 2,6% lag (SIGAR 30.7.2019), ist nach wie vor ein Problem in der ANA (USDOD 12.2019).

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019), jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln (USDOD 12.2018).

 

Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei (AACP), Afghan Local Police (ALP), und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU), sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 12.2018). Der autorisierte Personalstand der ANP beträgt 124,626 (USDOD 6.2019), CSTC-A meldet dagegen eine Truppenstärke von 91.596.

3.650 Frauen dienen in der ANP (SIGAR 30.7.2019).

 

Im Gegensatz zur ANA bietet die ANP keine finanziellen Anreize für die Fortführung des Dienstes - eine mögliche Erklärung dafür, warum die ANA die ANP-Verbleibquoten übertrifft. Durch den Law and Order Trust Fund for Afghanistan (LOTFA), der die Mehrheit der ANP-Gehälter finanziert, wird ermöglicht die ANP-Gehälter an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen (USDOD 12.2019).)

 

Die ALP wird ausschließlich durch die USA finanziert (USDOD 6.2019) und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019). Die Mitglieder werden von Dorfältesten oder lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer ausgewählt (SIGAR 30.7.219; vgl. USDOD 6.2019). Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (SIGAR 30.4.2019). Die Stärke der ALP, deren Mitglieder auch als "Guardians" bezeichnet werden, auf rund 30.000 Mann stark geschätzt (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019; vgl.) - davon waren rund 23.500 voll ausgebildet (SIGAR 30.7.2019).

 

Resolute Support Mission

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1.1.2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 16.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO 18.7.2018).

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) ist Folter verboten (AA 2.9.2019; vgl. MPI 27.1.2004). Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) (UNAMA 4.2019). Wenngleich Afghanistan die UN-Konvention gegen Folter ratifiziert hat, Gesetze zur Kriminalisierung von Folter erlassen hat und eine Regierungskommission zur Folter einsetzte, hat die Folter seit Regierungsantritt im Jahr 2014 nicht wesentlich abgenommen - auch werden keine hochrangigen Beamten, denen Folter vorgeworfen wird, strafrechtlich verfolgt (HRW 17.1.2019).

 

Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken, dennoch gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlung durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Mitarbeiter von Haftanstalten und Polizisten (USDOS 13.3.2019). Obwohl es Fortschritte gab, ist Folter in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet (AA 2.9.2019; vgl. UNAMA 4.2019). Rund ein Drittel der Personen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden, sind gemäß einem Bericht der UNAMA von Folter betroffen (UNAMA 4.2019). Es gibt dagegen keine Berichte über Folter in Haftanstalten, die der Kontrolle des General Directorate for Prison and Detention Centres des afghanischen Innenministeriums unterliegen. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger (AA 2.9.2019).

 

Der Anteil der Personen, die über Folter berichteten, ist in den vergangenen Jahren leicht gesunken. Auch existieren große Unterschiede abhängig von der geografischen Lage der Haftanstalt:

wurde bei einer Befragung durch UNAMA durchschnittlich von rund 31% der Befragten (45 Häftlinge) in ANP-Anstalten von Folter oder schlechter Behandlung berichtet (wenngleich dies ein Rückgang zum Vorjahreswert ist, der 45% betrug), so gaben 77% der Befragten (22 Häftlinge) aus einer ANP-Anstalt in Kandahar an, gefoltert und schlecht behandelt zu werden. Anstalten des NDS in Kandahar und Herat, konnten erwähnenswerte Verbesserungen vorweisen, während die Behandlung von Häftlingen in den Provinzen Kabul, Khost und Samangan auch weiterhin besorgniserregend war (UNAMA 4.2019). Die Arten von Misshandlung umfassen schwere Schläge, Elektroschocks, das Aufhängen an den Armen für längere Zeit, Ersticken, Quetschen der Hoden, Verbrennungen, Schlafentzug, sexuelle Übergriffe und Androhung der Exekution (USDOS 13.3.2019; vgl. UNAMA 4.2019).

 

Die afghanische Regierung hat Kontrollmechanismen eingeführt, um Fälle von Folter verfolgen und verhindern zu können. Allerdings sind diese weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig. Daher erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten (AA 2.9.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Die Rechenschaftspflicht der Sicherheitskräfte für Folter und Missbrauch ist schwach, intransparent und wird selten durchgesetzt. Eine unabhängige Beobachtung durch die Justiz bei Ermittlungen oder Fehlverhalten ist eingeschränkt bis inexistent. Mitglieder der ANP und ALP sind sich ihrer Verantwortung weitgehend nicht bewusst und unwissend gegenüber den Rechten von Verdächtigen (USDOS 13.3.2019).

 

Das Gesetz sieht Entschädigungszahlungen für die Opfer von Folter vor, jedoch ist die Barriere für einen Beweis der Folter sehr hoch. Für eine Entschädigungszahlung ist der Nachweis von physischen Anzeichen von Folter am Körper eines Inhaftierten notwendig (UNAMA 4.2019).

 

Korruption

 

Mit einer Bewertung von 16 Punkten (von 100 möglichen Punkten - 0=

highly corrupt und 100 = very clean), belegt Afghanistan, auf dem

Korruptionswahrnehmungsindex für 2018 von Transparency International, von 180 untersuchten Ländern den 172. Platz, was eine Verbesserung um fünf Ränge im Vergleich zum Jahr davor darstellt (TI 29.1.2019; vgl. TI 21.2.2018). Einer Umfrage aus dem Jahr 2018 zufolge betrachten 81,5% der befragten 15.000 Afghaninnen und Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes, was eine leichte Verbesserung im Vergleich zur Umfrage ein Jahr zuvor darstellt (83,7%) (AF 4.12.2018).

 

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für öffentliche Korruption vor. Die Regierung setzt dieses Gesetz jedoch nicht effektiv um. Einerseits wird von öffentlich Bediensteten berichtet, die regelmäßig und ungestraft in korrupte Praktiken involviert sind. Andererseits gibt es Korruptionsfälle, die erfolgreich vor Gericht gebracht wurden. Berichte deuten an, dass Korruption innerhalb der Gesellschaft endemisch ist - Geldflüsse von Militär, internationalen Gebern und aus dem Drogenhandel verstärken das Problem. Zahlreiche staatliche Infrastrukturprojekte der letzten 15 Jahre wurden auf Basis von Günstlingswirtschaft vergeben (USDOS 13.3.2019).

 

Innerhalb des afghanischen Staatshaushaltes werden insbesondere folgende Hauptquellen von Korruption genannt: Korruption bei der Beschaffung von Gütern, Korruption bei den Staatseinnahmen - vor allem durch die Zollabteilungen des Finanzministeriums - und Korruption bei der Vergabe von Staatsaufträgen. Darüber hinaus kommt es auch zu Korruption bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates. Eine Quelle berichtet, dass zur Ausstellung einer Tazkira oder eines Führerscheins, aber auch bei der Bezahlung von Steuern und Abgaben Bestechungsgelder fällig werden (Najimi 2018).

 

Auch im Justizsystem ist Korruption weit verbreitet (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019), insbesondere im Strafrecht und bei der Anordnung von Haftentlassungen (USDOS 13.3.2019). Trotz der sensiblen Sicherheitslage berichtet der Oberste Gerichtshof von einigen Fortschritten bei der Implementierung des Reformplans im Gerichtswesen. Der Oberste Gerichtshof berichtete auch von einer besseren Koordinierung innerhalb des Justizsektors (u.a. Justiz- und Innenministerium, Staatsanwaltschaft, etc.) (UNAMA 5.2019).

 

Es wird auch von illegaler Aneignung von Land durch staatliche und private Akteure berichtet. In den meisten Fällen haben Unternehmen illegal Grundstücksnachweise von korrupten Beamten erhalten und diese dann an nichtsahnende Interessenten verkauft, welche später strafverfolgt wurden. In anderen Berichten wird angedeutet, Regierungsbeamte hätten Land ohne Kompensation konfisziert, mit der Intention, dieses gegen Verträge oder politische Gefälligkeiten einzutauschen. Es gibt Berichte über Provinzregierungen, die ebenso illegal Land ohne Gerichtsverfahren oder Kompensation konfiszierten, um öffentliche Gebäude/Anlagen zu bauen (USDOS 13.3.2019).

 

Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Berichten zufolge gehen Beamte oft ungestraft korrupten Praktiken nach (USDOS 13.3.2019). Es kam jedoch in den vergangenen Jahren zu leichten Verbesserungen bei der Wahrnehmung der Rechenschaftspflicht in der öffentlichen Verwaltung (USDOS 13.3.2019; vgl. TI 8.3.2018, UNAMA 5.2019) - auch aufgrund von Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und ihrer afghanischen Pendants, Institutionen in den letzten 17 Jahren wieder zu errichten (UNAMA 5.2019).

 

Im September 2018 übermittelte Präsident Ghani einen Gesetzesvorschlag für ein neues Anti-Korruptionsgesetz ans Parlament. Dadurch soll das im Juni 2016 per Dekret eingerichtete Anti-Corruption Justice Center (ACJC), eine unabhängige Korruptionsbekämpfungsbehörde, die für die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen auf hoher Ebene zuständig ist, auch gesetzlich verankert werden. Im Jahr 2018 schien die Arbeit der ACJC stillzustehen, obwohl die Zahl der Ermittler deutlich erhöht wurde (USDOS 13.3.2019). Im April 2019 veröffentlichte das ACJC die folgende Bilanz: die Organisation verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken - darunter 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen (TN 22.4.2019). Im Zeitraum 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige, der Korruption beschuldigte Personen, strafverfolgt, wobei die Verurteilungsrate bei 94% lag. Unter den Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied eines Provinzialrates (USDOD 6.2019).

 

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

 

Die afghanische Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle, speziell in den städtischen Regionen, wo tausende Kultur-, Wohlfahrts- und Sportvereinigungen mit wenig Einschränkung durch Behörden tätig sind (FH 4.2.2019). Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiten generell ohne Einschränkungen durch die Regierung (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019).

 

Die Zivilgesellschaft Afghanistans ist tief verwurzelt, mit traditionellen lokalen Räten namens Shuras oder Jirgas, die auf informeller (nicht registrierter) Basis auf Dorf- oder Stammesebene tätig sind - in der Regel um die Interessen einer Gemeinschaft gegenüber anderen Teilen der Gesellschaft zu vertreten. Auf nationaler Gesetzgebung beruhend, existieren in Afghanistan zwei Hauptkategorien von registrierten, nicht staatlichen, gemeinnützigen Organisationen mit Rechtspersönlichkeitsstatus:

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Vereine. Registriert sind etwa 2.402 lokale NGOs und 293 internationale NGOs sowie 3.075 Vereine (ICNL 13.4.2019). Die meisten NGOs finanzieren sich nicht durch Spenden oder Aktivitäten in Afghanistan, sondern sind von internationalen Geldgebern abhängig (Najimi 2018). Lokale NGOs müssen sich beim Wirtschaftsministerium (Ministry of Economy, MoEc) registrieren, ausländische NGOs bei MoEc und dem Außenministerium (Ministry of Foreign Affairs). Daneben gibt es noch zivilgesellschaftliche Organisationen ("civic organizations"), die sich beim Justizministerium (Ministry of Justice) registrieren müssen (Najimi 2018; vgl. ICNL 13.4.2019 ).

 

NGOs untersuchen und veröffentlichen ihre Ergebnisse über Menschenrechtsfälle und Regierungsbeamte sind einigermaßen kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Menschenrechtsaktivisten äußern sich weiterhin besorgt über Regierungsakteure, welche Menschenrechtsverletzungen verüben (USDOS 13.3.2019). Korruption in den Behörden und bürokratische Meldepflichten behindern in manchen Fällen die Aktivitäten der NGOs (FH 4.2.2019).

 

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (AA 2.9.2019), wie z.B. das Internationale Komitee des Roten Kreuz (ICRC), das unparteiisch jegliche Parteien im Konflikt behandelt. Auch operiert dieses in von Taliban kontrollierten Gebieten mit einer Sicherheitsgarantie und hilft, die Toten beider Seiten rückzuführen (REU 12.10.2018). Gewaltandrohung durch militante Gruppierungen stellt jedoch ein wesentliches Hindernis für die Tätigkeit von NGOs dar (FH 4.2.2019). In manchen Fällen schließen Organisationen aufgrund von Drohungen temporär ihre Kliniken in den von Taliban kontrollierten Gebieten (RFE/RL 19.7.2019) bzw. Ihnen wird , der Zugang zu diesen Gebieten verweigert, wie z.B. dem Internationalen Roten Kreuz im Herbst 2018 (REU 12.10.2018).

 

Afghanische Mitarbeiter von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen sind Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppen (AA 2.9.2019). Humanitäre Organisationen und Entwicklungsorganisationen müssen bei Projekten in den Distrikten die Gemeinschaften und Ältesten informieren und eine Erlaubnis einholen. Wenn solche Sensibilisierungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden, kann es zu Spannungen kommen und Organisationen sind mit Missachtung konfrontiert (BFA 13.6.2019).

 

Die Taliban haben ihre eigenen Schattenbeamten, manche von ihnen arbeiten direkt mit der Regierung zusammen. Die Taliban sind aktiv und besuchen regelmäßig Büros der NGOs. Berichtet wurde, dass Taliban in Kandahar, aber auch in anderen Regionen des Landes, im Frühling 2018 anfingen, Entminungsorganisationen und NGOs nach einer Registrierung bei ihren eigenen NGO-Kommissionen zu fragen; auch sollten sie diese über die Finanzierungsdetails ihrer NGO-Projekte informieren. Manche NGO-Mitarbeiter geben an, die Vorgaben der Taliban seien leichter zu erfüllen, als jene von korrupten Regierungsbeamten (CBC 24.12.2018; vgl. BFA 13.6.2019). Jedoch stellt die Tatsache, dass die Taliban sich als die legitimen Herrscher in Afghanistan betrachten, eine Herausforderung dar, da sie in den von ihnen kontrollierten Gebieten Steuern verlangen. Großteils sind es im medizinischen Bereich tätige Organisationen, welche in Gebieten unter Taliban-Einfluss agieren (BFA 13.6.2019).

 

Wehrdienst und Rekrutierungen durch verschiedene Akteure

 

In Afghanistan gibt es keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre (CIA 7.5.2019; vgl. AA 2.9.2019). Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, besteht grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften. Soldaten oder Polizisten, die ihre Truppe vorübergehend unerlaubt verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren, werden schon aufgrund ihrer sehr hohen Zahl nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die ANDSF aufgenommen (AA 2.9.2019).

 

Gemäß dem afghanischen Militärstrafgesetzbuch (Afghanistan Penal Code on Military Crimes) von 2008 wird eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden als unerlaubt definiert (absent without official leave, AWOL) (DFJP/SEM 31.3.2017). In der Praxis werden Fälle von Desertion in Afghanistan nicht strafrechtlich verfolgt, insbesondere wenn die desertierten Personen innerhalb Afghanistans ausgebildet wurden (RA KBL 6.3.2019; vgl. DFJP/SEM 31.3.2017). Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst, bzw. Desertion wird gemäß Artikel 10 Anhang 1 des Militärstrafgesetzbuchs nicht bestraft, wenn die Abwesenheit weniger als ein Jahr dauert. Eine Abwesenheit von mehr als einem Jahr kann mit sechs Monaten Freiheitsentzug oder einer Geldstrafe von 20,000 AFN (ca. 237 Euro) bestraft werden (RA KBL 6.3.2019). Die permanente Desertion ist mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. Bei Desertionen während einer Sondermission beträgt die maximale Haftstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren (DFJP/SEM 31.3.2019).

 

Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen

 

UNAMA dokumentierte glaubwürdige Vorwürfe über die Rekrutierung von 23 Buben durch regierungsfeindliche Gruppen (darunter pakistanische Taliban, afghanische Taliban und IS) im ersten Halbjahr 2018. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt (USDOS 13.3.2019) Obwohl die Taliban eine interne Richtlinie haben, keine Kinder zu rekrutieren, gibt es Hinweise auf Kinderrekrutierungen, insbesondere postpubertärer Buben (EASO 6.2018). Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 13.3.2019; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise werden die Kinder zum Training nach Pakistan gebracht (EASO 6.2018).

 

Taliban

 

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017).

 

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017). Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018).

 

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).

 

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations-und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).

 

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019).

 

Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 27.6.2017). Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017).

 

Islamischer Staat (IS)

 

Lokale Ältere, die in den Grenzprovinzen Kunar und Nangarhar leben, berichten von ISKP Kräften, die nach wie vor die Bewohner in Dörfern unter ihrer Kontrolle terrorisieren und Buben zwangsrekrutieren, sowie Mädchen vom Schulbesuch abhalten (WP 20.8.2019; vgl. TST 21.8.2019). Von Kunar wurde berichtet, dass auch Männer zwangsrekrutiert und jene getötet wurden, die dies verweigert hätten (TST 22.8.2019). In Gebieten unter Kontrolle des IS wird Druck auf die Gemeinden ausgeübt, den IS voll zu unterstützen (EASO 6.2018).

 

Andere Gruppierungen

 

Auch schiitische Organisationen rekrutieren unter Afghanen, wie z.B. die Fatemiyoun Division„ eine Kampftruppe, die vorwiegend aus afghanischen schiitischen Hazara besteht. Die Rekrutierung erfolgt durch die Iranischen Revolutionsgarden im Iran unter der afghanischen Flüchtlingspopulation; die Rekruten werden nach der Ausbildung zum Kampf nach Syrien geschickt. Es gibt Berichte, dass sich in einem Hazara-Viertel im Westen Kabuls ein Rekrutierungszentrum der Fatemiyoun befindet. Es werden auch Jugendliche ab 14 Jahren rekrutiert (DW 5.5.2018).

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Außerdem wurde Afghanistan für den Zeitraum 2018-2020 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gewählt (AA 2.9.2019). Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 2.9.2019; vgl. MPI 27.1.2004). Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (AA 2.9.2019).

 

Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken in Anliegen von Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen den Zugang der Bürger zu Justiz ein (USDOS 13.3.2019). In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt (FH 4.2.2019). Bürger können Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen bei der Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC) einreichen, die dann glaubwürdige Beschwerden prüft und zur weiteren Untersuchung und Verfolgung an die Staatsanwaltschaft weiterleitet. Die gemäß Verfassung eingesetzte AIHRC bekämpft Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte; das Komitee für Drogenbekämpfung, Rauschmittel und ethischen Missbrauch; sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 13.3.2019).

 

Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen operieren in der Regel ohne staatliche Einschränkungen und veröffentlichen ihre Ergebnisse zu Menschenrechtsproblemen. Regierungsbeamte sind in dieser Hinsicht einigermaßen kooperativ und ansprechbar. Die Sicherheitslage schränkt jedoch in vielen Landesteilen die Arbeit solcher Organisationen ein (USDOS 13.3.2019).

Menschenrechtsverteidiger sehen sich regelmäßig mit Bedrohungen für ihr Leben und ihre Sicherheit konfrontiert (AI 22.2.2018).

 

Die weitverbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für Amtsträger, die Menschenrechte verletzen, stellen ernsthafte Probleme dar. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft, sowie Gewalt gegen Journalisten (USDOS 13.3.2019).

 

Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht (UNHRC 21.2.2018). Im Dezember 2018 würdigte UNAMA die Fortschritte Afghanistans auf dem Gebiet der Menschenrechte, insbesondere unter den Herausforderungen des laufenden bewaffneten Konfliktes und der fragilen Sicherheitslage. Die UN arbeitet weiterhin eng mit Afghanistan zusammen, um ein Justizsystem zu schaffen, das die Gesetzesreformen, die Verfassungsrechte der Frauen und die Unterbindung von Gewalt gegen Frauen voll umsetzen kann (UNAMA 10.12.2018).

 

Religionsfreiheit

 

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

 

Relevante ethnische Minderheiten:

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.4.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 7.2016 ; vgl. CIA 30.4.2019).

Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 2.9.2019).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet" (BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.3.2019).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 2.9.2019). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019).

 

Tadschiken:

 

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.b; vgl. RFERL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.b). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

 

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA 7.2016; vgl. GIZ 4.2019, MRG o.D.b). Heute werden unter dem Terminus tajik "Tadschike" fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (BFA 7.2016).

 

Tadschiken dominierten die "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.b). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

 

Meldewesen

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen (EASO 2.2018; vgl. BFA 13.6.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer (BFA 13.6.2019). Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 2.9.2019).

 

Grundversorgung

 

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 2.9.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 2.9.2019).

 

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).

 

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (WB o. D.). Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert (WB 7.2019).

 

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht (WB 7.2019).

 

Arbeitsmarkt

 

Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64 Jahren alt (ILO 2.4.2018). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (BFA 4.2018; vgl. CSO 2018).

 

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

 

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. (BFA 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (BFA 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (BFA 4.2018).

 

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (BFA 4.2018).

 

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

 

Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif

 

Herat

 

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den "bessergestellten" und "sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).

 

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).

 

Mazar-e Sharif

 

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015).

 

Dürre und Überschwemmungen

 

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (FAO 23.11.2018; vgl. AJ 12.8.2018).

 

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als "angespannt" bis "krisenhaft". Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden (FEWS NET 8.2019).

 

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (GN 6.3.2019).

 

Armut und Lebensmittelsicherheit

 

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen (CSO 2018; vgl. USAID 11.4.2019), wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist (CSO 2018). Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen (CSO 2018).

 

Im Zeitraum 2016-17 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Gegenüber früheren Erhebungen ist der Anteil an armen Menschen in Afghanistan somit gestiegen (2007-08: 33,7%, 2011-12: 38,3%). Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%) (CSO 2018). Es bestehen regionale Unterschiede: In den Provinzen Badghis, Nuristan, Kundus, Zabul, Helmand, Samangan, Uruzgan und Ghor betrug der Anteil an Menschen unter der Armutsgrenze gemäß offizieller Statistik 70% oder mehr, während er in einer Provinz - Kabul - unter 20% lag (NSIA 2019). Schätzungen zufolge, ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul-Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Damit ist der Anteil an armen Menschen in den beiden urbanen Zentren zwar geringer als in den ländlichen Distrikten der jeweiligen Provinzen, jedoch ist ihre Anzahl aufgrund der Bevölkerungsdichte der Städte dennoch vergleichsweise hoch. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000 (WB/NSIA 9.2018).

 

2018 gaben rund 30% der 15.012 Befragten an, dass sich die Qualität ihrer Ernährung verschlechtert hat, während rund 17% von einer Verbesserung sprachen und die Situation für rund 53% gleich blieb. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Personen, welche angaben, dass sich ihre Ernährungssituation verschlechtert habe, im Westen des Landes über dem Anteil in ganz Afghanistan. Beispielsweise die Provinz Badghis war hier von einer Dürre betroffen (AF 2018).

 

Medizinische Versorgung

 

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 2.9.2019). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WHO o.D.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 2.9.2019).

 

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (BFA 4.2018; vgl. MPI 2004, AA 2.9.2019). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (BFA 4.2018). Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 2.9.2019). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. WHO 3.2019, BDA 18.12.2018). Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018).

 

Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2014 waren 73% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte "Out-of-pocket"-Zahlungen durch Patienten, nur 5% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich wurden vom Staat geleistet (WHO 12.2018).

 

Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 2.9.2019). Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab.

Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (BFA 4.2018).

 

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 2.9.2019).

 

Beispielsweise um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Seit dem Jahr 2009 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (BFA 4.2018).

 

Medizinische Versorgung in der Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif

 

Kabul:

 

Das Rahman Mina Hospital im Kabuler Bezirk Kart-e-Naw (Police District (PD) 8), wurde renoviert. Das Krankenhaus versorgt rund 130.000 Personen in seiner Umgebung und verfügt über 30 Betten. Pro Tag wird es von rund 900 Patienten besucht. Das Rahman Mina-Krankenhaus ist eines von 47 Einrichtungen in Kabul-Stadt, die am Kabul Urban Health Projekt (KUHP) teilnehmen. Im Rahmen des Projektes soll die Gesundheitsversorgung der Kabuler Bevölkerung verbessert werden (WB 30.9.2018).

 

Der größte Teil der Notfallmedizin in Kabul wird von der italienischen NGO Emergency angeboten. Emergency führt spezialisierte Notfallbehandlungen durch, welche die staatlichen allgemeinmedizinischen Einrichtungen nicht anbieten können und behandelt sowohl die lokale Bevölkerung, als auch Patienten, welche von außerhalb Kabuls kommen (WHO 4.2018).

 

Herat:

 

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass "viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben." Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).

 

Mazar-e Sharif:

 

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (BFA 4.2018).

 

Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).

 

Es folgt eine Liste einiger staatlicher Krankenhäuser:

 

•Indira Ghandi Children Hospital: Wazir Akbar Khan, Kabul. Tel.:

020-230-2281 (IOM 2018; AT 17.9.2015)

 

•Istiqlal/Esteqlal Krankenhaus: District 6, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500674 (LN o.D.; vgl. AB 20.1.2016, MoPH 11.2012)

 

•Ibne Sina Notfallkrankenhaus: Pull Artal, District 1, Kabul, Tel.:

+93 (0)202100359 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.b, MoPH 11.2012)

 

•Jamhoriat Krankenhaus: Ministry of Interior Road, Sidarat Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/ 1375 (LN o.D.; HPIC o.D.c, MoPH 11.2012)

 

•Karte Sae Mental Hospital: Karte sae Serahi Allaudding, PD-6, Tel.:

+93 799 3 190 858 (IOM 2018; IOM 2019)

 

•Malalai Maternity Hospital: Malalai Watt, Shahre Naw, Kabul, Tel.:

+93(0)20 2201 377 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.d, MoPH 11.2012)

 

•Noor Eye Krankenhaus: Cinema Pamir, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2100 446 (LN o.D.; vgl. IAM o.D., MoPH 11.2012)

 

•Rabia-i-Balki Maternity Hospital: Frosh Gah, District 2, Kabul, Tel.: +93(0)20 2100439 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

•Wazir Akbar Khan Krankenhaus: Wazir Akbar Khan, Kabul, Tel.: +93 (0)78 820 0419 (MoPH 11.2012; vgl. TN 1.6.2017)

 

•Herat Regionalkrankenhaus: Khaja Ali Movafaq Rd, Herat (MoPH 2013; vgl. PAJ 3.8.2017)

 

•Mirwais Nika Krankenhaus in Kandahar, Tel.: +93 (0)79 146 4237 (ICRC 28.1.2018; vgl. ICRC 3.2.2017)

 

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger privater Gesundheitseinrichtungen:

 

•Amiri Krankenhaus: Red Crescent, 5 th Phase, Qragha Road, Kabul,

Tel.: +93 (0)20 256 3555 (IOM 5.2.2018)

 

•Sayed Jamaluding Psychiatric Hospital, Khoshal Mina section 1,

Tel.: 93 799 128,737 (IOM 2018; vgl. IOM 2019)

 

•Shfakhanh Maljoy Frdos/Ferdows: Chahr Qala-e-Chahardihi Road,

Kabul, Tel.: +93 (0)70 017 3124 (Cybo o.D.)

 

•Khair Khwa Medical Complex: Qala Najar Ha, Kabul, Tel.: +93 (0)72 988 0850 (KMC o.D.)

 

•DK - German Medical Diagnostic Center: Ansari Square, 3d Street,

Shahr-e Nau, Kabul, Tel.: +93 (0)70 606 0141 (MK o.D.)

 

•French Medical Institute for Mothers and Children: Hinter der Kabul

University, Aliabad, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500 200 (FMIC o.D.)

 

•Luqmah Hakim: Bagh-e Azadi Ave, Herat, Tel.: +93 (0)79 232 5907 (IOM 5.2.2017; vgl. LHH o.D.)

 

•Alemi Krankenhaus: Mazar-e Sharif (BFA Staatendokumentation 4.2018)

 

Rückkehr

 

Die Zahlen der Rückkehrer aus Iran sind auf hohem Stand, während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen ist (2017: 154.000; 2018: 46.000), was im Wesentlichen mit den afghanischen Flüchtlingen jeweils gewährten Rechten und dem gewährten Status in Iran bzw. Pakistan zu begründen ist (AA 2.9.2019). Insgesamt sind in den Jahren 2012-2018 ca. 3,2 Millionen Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Seit dem Jahr 2016 hat sich die Zahl der Rückkehrer jedes Jahr deutlich verringert, jedoch hat sich die Zahl der Rückkehrer aus Europa leicht erhöht 15% aller Rückkehrer siedeln in die Provinz Nangarhar (IOM 15.3.2019).

 

Je nach Organisation variieren die Angaben zur Zahl der Rückkehrer:

 

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Davon waren 32.260 zwangsweise und 31.189 freiwillige Rückkehrer; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. 672 Personen erhielten Unterstützung von Hilfsorganisationen (MoRR o. D:): Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (AA 2.9.2019) bzw. 180.000 Personen aus dem Iran und 125.000 Personen aus Pakistan (IOM 15.3.2019). Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan (AA 2.9.2019).

 

Rückkehrer haben zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie. Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA 4.2018). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 2.9.2019).

 

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA 4.2018).

 

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 2.9.2019). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (BFA 13.6.2019).

 

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 2.9.2019). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (BFA 13.6.2019).

 

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 2.9.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 13.3.2019). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (BFA 13.6.2019).

 

Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

 

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (BFA 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (AAN 19.5.2017).

 

In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten (IRARA 9.5.2019).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (BFA 4.2018).

 

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 6.2008). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes, und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014).

 

Bereits 2017 hat die afghanische Regierung mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben mit neuer rechtlicher Grundlage an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Eine Hürde ist die Identifizierung von geeigneten, im Staatsbesitz befindlichen Ländereien. Generell führt die unklare Landverteilung häufig zu Streitigkeiten. Gründe hierfür sind die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, mangelhafte Verwaltung und Dokumentation von An- und Verkäufen, das große Bevölkerungswachstum sowie das Fehlen eines funktionierenden Katasterwesens. So liegen dem afghanischen Innenministerium Berichte über widerrechtliche Aneignung von Land aus 30 Provinzen vor (AA 2.7.2019).

 

Anmerkung: Ausführlichere Informationen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden.

 

Unterstützung durch IOM

 

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an (BFA 13.6.2019; vgl. BFA 4.2018). Hinsichtlich des Ausmaßes und der Art von Unterstützung wird zwischen freiwillig und unfreiwillig zurückgeführten Personen unterschieden (BFA 13.6.2019).

 

So ist beispielsweise die Provinz Herat hauptsächlich von der Rückkehr von Afghanen aus dem Iran betroffen. Landesweit ist die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan höher, als die der Rückkehrer aus Europa. Das von IOM durchgeführte Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Programme besteht aus einer Kombination von administrativen, logistischen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Personen, welche beschließen, freiwillig aus Europa, Australien und der Türkei in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren (BFA 13.6.2019). Im Zuge des AVRR-Programmes wurden im Jahr 2018 von IOM 2.182 Rückkehrer unterstützt. Etwa die Hälfte von ihnen erhielt Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens (IOM 30.1.2019).

 

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an (BFA 13.6.2019). 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz (IOM 30.1.2019). Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (BFA 13.62019).

 

IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro (BAMF 20.5.2019; vgl. IOM 23.9.2019) sowie Informationen, etwa über Hotels (BAMF 20.5.2019). Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können, je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden (IOM 23.9.2019). Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt (BAMF 20.5.2019).

 

Freiwillige Rückkehrerinnen und Rückkehrer, die am Reintegrationsprojekt RESTART II teilnehmen, haben nach wie vor die Möglichkeit, neben der Unterstützung in Bargeld von 500 Euro, die zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse vorgesehen sind, eine Unterstützung für die Weiterreise und für temporäre Unterkunft bis zu max. 14 Tagen (in Kabul: Spinzar Hotel) zu erhalten. Unterstützungsleistungen aus dem Projekt RESTART II, welches durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert wird, können im gesamten Land bezogen werden und sind daher in Städten wie Mazar-e Sharif und/oder Herat dieselben wie in Kabul. Wichtig ist, dass die Teilnahme am Reintegrationsprojekt RESTART II durch das BFA und IOM für die Rückkehrerinnen und Rückkehrer bewilligt wurde (IOM 23.9.2019).

 

In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro durchgeführt und vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) kofinanziert. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (IOM o.D.).

 

Wohnungen

 

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2018), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein (IOM 2018).

 

Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2018).

 

Auszug aus Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif (Dokument 2017363) v. 02.10.2019:

 

1. Sicherheitsrelevante Vorfälle im Distrikt Herat seit Jänner 2018

 

2. Sicherheitsrelevante Vorfälle im Distrikt Masar-e Scharif seit Jänner 2018

 

3. Sozioökonomische Lage in den Städten Herat und Masar-e Scharif

 

3.1. Nahrungsmittelversorgung

 

3.2. Gesundheitsversorgung

 

4. Quellen

 

1. Sicherheitsrelevante Vorfälle im Distrikt Herat seit Jänner 2018

 

2019

 

Am 27. August 2019 überfielen und töteten Taliban-Kämpfer in der Stadt Herat drei Polizisten und verwundeten einen weiteren. (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ )) [i]

 

Am 26. August 2019 überfielen und töteten Taliban-Kämpfer einen Regierungsbeamten im Gebiet Abdullah Abad in der Stadt Herat. (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 8. August 2019 schossen in der Stadt Herat zwei auf einem Motorrad sitzende bewaffnete Männer auf einen Polizisten und töteten diesen. Ein weiterer Polizist wurde verletzt. (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 7. August 2019 explodierte in der Stadt Herat eine Magnetbombe, die von nicht identifizierten Kämpfern in einem Auto platziert wurde. Acht ZivilistInnen (zwei Kinder, zwei Frauen und vier Männer) wurden dabei verletzt. (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 5. August 2019 wurden in der Stadt Herat vier bis fünf schiitische ZivilistInnen getötet und 20-29 weitere verletzt, als eine unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) explodierte, die von der Gruppe Islamischer Staat (IS) auf einem Motorrad angebracht worden war. (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 23. Juni 2019 überfielen und töteten Taliban-Kämpfer in der Stadt Herat einen Agenten des Nachrichtendienstes National Directorate of Security (NDS). (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 20. Mai wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Talibankämpfern überfallen und getötet. (ACLED, 28. Mai 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))[i]

 

Am 16. Mai wurde im Viertel Shadaie der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Talibankämpfern getötet. (ACLED, 28. Mai 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 19. April wurden bei Explosionen in der Stadt Herat drei Offiziere der Nationalen Sicherheitsdirektion getötet und zwei weitere verwundet. Durchgeführt wurden die Anschläge von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 11. Mai 2019 wird berichtet, dass auf der Autobahn zwischen Herat und Kandahar vier Taliban-Kämpfer getötet, zwei verwundet und sechs Minen von afghanischen Polizeikräften entschärft wurden. Ein ident klingender Vorfall ereignete sich den ACLEDDaten zufolge, am 12. April, als wiederum vier Taliban-Kämpfer getötet, zwei weitere verletzt und sechs Minen durch afghanische Streitkräfte in Herat entschärft wurden. (ACLED, 22. Juni 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

ACLED bestätigte auf Rückfrage, dass es sich bei diesem Vorfall und jenem am 11. Mai 2019 tatsächlich um zwei verschiedene Vorfälle handle. (ACLED, 28. Juni 2019)

 

Am 31. März wurden bei Zusammenstößen im vierten Polizeidistrikt der Stadt Herat zwei afghanische Soldaten getötet und ein Taliban-Kämpfer verwundet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 28. März wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Taliban-Kämpfern getötet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 19. März wurde im neunten Polizeibezirk der Stadt Herat bei einer USBV-Explosion ein(e) ZivilistIn getötet und sechs weitere verwundet. Der Anschlag wurde von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern durchgeführt. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 19. März 2019 kamen bei einer Bombenexplosion durch Taliban-Kämpfer 2 afghanische Soldaten in Herat ums Leben. (ACLED, 22. Juni 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Wie am 12. März berichtet wurde, wurde im Viertel Sheidaie der Stadt Herat ein Soldat von einem Scharfschützen getötet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 11. März wurde im Gebiet Jebraiel Killi des Distrikts Injil bei einem Angriff auf einen Kontrollposten durch Taliban-Kämpfer ein "Arbaki" getötet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 10. März wurden in der Stadt Herat durch die Explosion einer Magnetbombe fünf Menschen verwundet. Niemand bekannte sich zu dem Anschlag. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 9. März wurde in der Stadt Herat ein Stammesältester von zwei nicht identifizierten Bewaffneten erschossen. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Wie am 4. März berichtet wurde, wurde im fünften Polizeibezirk der Stadt Herat ein nicht identifizierter bewaffneter Kämpfer von der afghanischen Polizei getötet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 23. Februar wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Polizist von nicht identifizierten Bewaffneten getötet. Einer der Angreifer wurde später festgenommen. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 23. Februar wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Taliban-Kämpfern getötet und ein weiterer verwundet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Ein Zivilist wurde am 16. Februar 2019 von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern in Herat getötet. (ACLED, 22. Juni 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 30. Januar wurden im Gebiet Spina Ada in der Stadt Herat bei einer Minenexplosion, für die Taliban-Kämpfer verantwortlich waren, zwei afghanische Soldaten getötet und ein weiterer verwundet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 13. Januar wurde berichtet, dass bei einem Angriff im Pul-e-Rangina-Gebiet des sechsten Polizeibezirkes der Stadt Herat ein Taliban-Kämpfer, drei afghanische Polizisten und zwei ZivilistInnen getötet wurden. Während der Zusammenstöße wurde von afghanischen Spezialeinheiten eine Autobombe entschärft. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 12. Januar 2019 stürmten Taliban-Kämpfer eine Polizeistation im Pul-e-Rangina- Gebiet des sechsten Polizeibezirks der Stadt Herat. Dabei wurden drei Polizisten, zwei Zivilisten und ein Taliban-Kämpfer getötet, drei weitere Polizisten wurden verwundet. (ACLED, 22. Juni 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 4. Januar 2019 wurde ein afghanischer Soldat in der Stadt Herat von Taliban-Kämpfern getötet. (ACLED, 22. Juni 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

2018

 

Am 12. November wurde laut ACLED im Distrikt Injil der Provinz Herat ein(e) ZivilistIn von nicht identifizierten Bewaffneten getötet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 16. November tötete die afghanische Polizei laut ACLED im Gebiet Pashtun Pul der Stadt Herat einen nicht identifizierten bewaffneten Kämpfer und verhaftete zwei weitere. Die Kämpfer hatten versucht, die afghanischen Sicherheitskräfte anzugreifen. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Laut Said Reza Kazemi vom Afghanistan Analysts Network (AAN) kam es im Vorfeld der Parlamentswahlen 2018 zu mehreren Vorfällen: Am 9. August 2018 wurde in der unmittelbaren Nähe eines Fahrzeuges ein Sprengstoffanschlag verübt, in dem ein ehemaliger Polizeikommandant gesessen ist. Dabei sind mindestens vier Personen getötet und 12 weitere verletzt worden, darunter auch der ehemalige Kommandant. Am 5. September kam es im Gebiet Chawk-e Gulha in der Innenstadt von Herat zu zwei aufeinanderfolgenden Explosionen, bei denen mindestens sechs Menschen verletzt wurden, darunter zwei Verkehrspolizisten. Ende August kamen an demselben Ort bei einer weiteren Explosion mindestens zwei Menschen ums Leben. Am 4. Oktober wurden im Stadtteil Darb-e Khush im Stadtzentrum Herats bei einem Sprengstoffanschlag, der auf ein geparktes Polizeifahrzeug abzielte, etwa zehn Menschen, darunter ein Kind, verletzt. (Kazemi, 15. Oktober 2018 (/de/dokument/1452450.html))[ii]

 

Für den 22. Juni dokumentiert ACLED einen Vorfall, bei dem unbekannte bewaffnete Männer einen religiösen Gelehrten erschossen (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acle ddata.com/data/)).

 

Am 25. März kam es laut Reuters zu einem Selbstmordanschlag, bei dem mindestens eine Person getötet und acht weitere verletzt wurden. Die Gruppe ISKP bekannte sich zu dem Anschlag. (Reuters, 25. März 2018 (https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-blast/at-least-one-dead-in-blast-near-mosque-in-afghan-city-of-herat-idUSKBN1H10BR )).[iii]

 

2. Sicherheitsrelevante Vorfälle im Distrikt Masar-e Scharif seit Jänner 2018

 

2019

 

Am 10. September 2019 tötete im Distrikt Masar-e Scharif eine von den Taliban installierte USBV sieben NDS-Agenten. (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 10. September 2019 verletzte in der Stadt Masar-e Scharif ein Sprengkörper, der von einer nicht identifizierten bewaffneten Gruppe installiert wurde, zwei ZivilistInnen. (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 9. August 2019 sprengte in der Stadt Masar-e Scharif eine von den Taliban installierte Landmine einen Militärpanzer. Dabei wurden fünf Soldaten getötet. (ACLED, 26 September 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 8. Juli 2019 wurde im Distrikt Masar-e Scharif bei einem Talibanangriff ein Arbaki-Kommandant (Arbaki: Sammelbegriff für semioffizielle/inoffizielle Milizen, Anm. ACCORD) getötet. (ACLED, 25. Juli 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 8. Juli 2019 wurde im Distrikt Masar-e Scharif bei einem Talibanangriff ein Arbaki-Kommandant (Arbaki: Sammelbegriff für semioffizielle/inoffizielle Milizen, Anm. ACCORD) getötet. (ACLED, 25. Juli 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 7. Mai wurden bei Zusammenstößen zwischen zwei bewaffneten Gruppen in der Stadt Masar-e Scharif drei nicht identifizierte bewaffnete Kämpfer getötet und fünf Zivilisten verwundet. (ACLED, 28. Mai 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 30. April wurden in der Stadt Masar-e Scharif bei einer Bombenexplosion ein afghanischer Polizist getötet und zwei weitere verwundet. Für die Explosion waren nicht identifizierte bewaffnete Kämpfer verantwortlich. (ACLED, 28. Mai 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 30. April zerstörte im Distrikt Masar-e Scharif eine von den Taliban platzierte Landmine ein Polizeifahrzeug, wobei zwei Polizisten getötet wurden, ein weiterer wurde verletzt. (ACLED, 28. Mai 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 29. April wurden bei Zusammenstößen im Gebiet Sharsharak in der Nähe der Masar-e Scharif-Jowzjan-Autobahn im Distrikt Masar-e Scharif sieben Taliban-Kämpfer getötet, sechs weitere Aufständische wurden verletzt. Fünf afghanische Soldaten wurden ebenfalls verletzt. (ACLED, 28. Mai 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 31. März wurden laut ACLED im Distrikt Nahri Shahi drei "Arbaki"-Kämpfer von Taliban-Kämpfern getötet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 27. März wurde laut ACLED im Dorf Kampirak im Distrikt Nahri Shahi ein afghanischer Polizist von Taliban-Kämpfern getötet und zwei weitere verwundet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 27. März wurden laut ACLED im Distrikt Masar-e Scharif zwei afghanische Polizisten von Taliban-Kämpfern getötet und ein weiterer verwundet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 16. März 2019 wurde laut ACLED in der Stadt Masar-e Scharif ein "Arbaki" von Taliban-Kämpfern getötet. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 14. März kam es laut RFE/RL in der Stadt Masar-e Scharif zu einem Feuergefecht zwischen der Polizei, die dem einflussreichen ehemaligen Provinzgouverneur Atta Mohammad Noor die Treue hält, und den Streitkräften des Innenministeriums, die geschickt wurden, um einen neuen von Präsident Ashraf Ghani ernannten Polizeichef zu unterstützen. Dabei haben nach Angaben von Krankenhaus-Sprechern mindestens 13 Menschen Schusswunden erlitten, darunter fünf ZivilistInnen und acht PolizistInnen. (RF E/RL, 14. März 2019 (/de/dokument/2004345.html))[iv]

 

2018

 

Am 21. Oktober wurde berichtet, dass vier Wahlbeobachter im Distrikt Nahr-e Shahi von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern getötet wurden. (ACLED, 26. April 2019 (http s://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 10. Oktober griffen Taliban-Kämpfer in der Stadt Masar-e Scharif den Justizminister Syed Mohammad Jafar Misbah und seine beiden Leibwächter an. Der Minister wurde leicht verletzt, seine Leibwächter wurden schwer verletzt. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 1. September wurde in Masar-e Scharif laut PAN[v] ein Imam von bewaffneten Männern erschossen. (PAN, 1. September 2018 (https://www.pajhwok.com/en/2018/09 01/prayer-leader-gunned-down-balkh-assailants-flee))

 

Am 9. August wurden laut ACLED bei einem Angriff von Taliban-Kämpfern im Shahrak Turkamani-Gebiet im Nahri Shahi-Distrikt drei afghanische Polizisten getötet und ein weiterer verletzt. (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.com/data/ ))

 

Am 24. Mai wurden laut PAN in Masar-e Scharif bei einem Angriff bewaffneter Männer auf einen Polizeikonvoi zwei Personen, darunter ein Gefangener, getötet, sieben weitere Gefangene wurden entführt (PAN, 25. Mai 2018 (https://www.pajhwok.com/en/2018/05/ 25/1-inmate-killed-7-abducted-balkh-attack-police-convoy)); ACLED dokumentiert für diesen Vorfall nur eine getötete Person (ACLED, 26. April 2019 (https://www.acleddata.c om/data/)).

 

3. Sozioökonomische Lage in den Städten Herat und Masar-e Scharif

 

3.1 Nahrungsmittelversorgung

 

FEWS NET[vi] stellt auf seiner Webseite Karten zur Ernährungssicherheit für Afghanistan zur Verfügung, die bis Juli 2009 zurückreichen (FEWS NET, ohne Datum (a)) (http://fews.net/fews-data/333 ). Auf den folgenden beiden Karten finden sich die Prognosen für die beiden Zeiträume Juni bis September 2019 und Oktober 2019 bis Jänner 2020. Der Karte für den Zeitraum Juni bis September 2019 zufolge befindet sich die Stadt Herat in der zweithöchsten Stufe des von FEWS NET verwendeten Klassifizierungssystems. Masar-e Scharif befindet sich im selben Zeitraum in Phase 1 des Klassifizierungssystems. (FEWS NET, 25. Juli 2019 (http://fews.net/central-asia/afghanistan )). In Phase 1, auch "minimal" genannt, sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2, auch "Stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. In Phase 3, auch als "Crisis" bezeichnet, weisen Haushalte Lücken im Nahrungsmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Unterernährung auf oder sind nur geringfügig in der Lage, ihren Mindestnahrungsmittelbedarf zu decken - und dies nur indem Güter, die als Lebensgrundlage dienen, vorzeitig aufgebraucht werden bzw. durch Krisenbewältigungsstrategien (FEWS NET, ohne Datum (b)) (http://fews.net/IPC ).

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) [vii] veröffentlicht über Humanitarian Response[viii] in regelmäßigen Abständen einen Datensatz zu den Nahrungsmittelpreisen in Afghanistan. Der Datensatz enthält unter anderem die monatlichen Verkaufspreise von Brot, Reis niedriger Qualität und von Weizen sowie den durchschnittlichen Tageslohn von ausgebildeten ("qualified labour") und nicht-ausgebildeten und nicht-landwirtschaftlichen Arbeitskräften ("non-qualified labour, non-agricultural") (WFP, 28. Mai 2019 (https://data.humdata.org/dataset/a246cb ac-42d5-47b2-ba75-ac66f69e83de)).

 

In einem im März 2019 veröffentlichten Artikel geht Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF)[ix] auf den Überlebenskampf vertriebener Familien in Herat-Stadt ein. Weit verbreitete Konflikte und die schwere Dürre haben über 150.000 Menschen gezwungen, aus ihren Dörfern im Nordwesten Afghanistans zu fliehen und in der Stadt Herat Schutz zu suchen. Ihr Zustand ist nach wie vor äußerst prekär, da sie mit Nahrungsmittelmangel und begrenztem Zugang zur Gesundheitsversorgung konfrontiert sind. Die Lebensbedingungen dieser Menschen sind unzureichend und in Bezug auf Unterkünfte, Wasser und sanitäre Einrichtungen besonders schlecht. (MSF, 20. März 2019) (/de/dokument/2005678.html)

 

In einem Artikel vom Juli 2019 hält MSF fest, dass die Sommerhitze in Afghanistan immer intensiver wird und daher die Bedingungen für die rund 100.000 Vertriebenen, die am Rande der Stadt Herat Zuflucht suchen, immer schwieriger werden. Gleichzeitig kommt es zu Reduktionen bei der humanitären Hilfe und die Wasserversorgung wird knapp. Die Vertriebenen flohen im vergangenen Jahr während einer schweren Dürre und verstärkter Kämpfe zwischen bewaffneten Oppositionsgruppen und afghanischen Sicherheitskräften aus ihren Dörfern im Nordwesten Afghanistans. Ein Jahr später ist zwar die Dürre vorbei, aber die Menschen können wegen der anhaltenden Unsicherheit nicht nach Hause zurückkehren. (MSF, 23. Juli 2019 (/de/dokument/2013212.html))

 

3.2 Gesundheitsversorgung

 

Das EASO (European Asylum Support System)[x] berichtet in seinem im April 2019 veröffentlichten Bericht zur sozioökonomischen Lage mit Fokus auf die Städte Herat, Masar-e Scharif und Kabul über das afghanische Gesundheitswesen. Laut einem 2018 veröffentlichten Bericht der Weltbank haben sich die Gesundheitsdienstleistungen in Afghanistan im Zeitraum 2004-2010 erheblich verbessert, diese Verbesserung hat sich im Zeitraum 2011-2016 jedoch verlangsamt. Der Bericht listet die Provinz Balkh (Masare Scharif) im Zeitraum 2011-2016 unter den Provinzen mit leistungsstarken Gesundheitseinrichtungen. Bezugnehmend auf Berichte von UNOCHA und der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2018 berichtet das EASO, dass medizinsiches Personal und Gesundheitseinrichtungen von allen in Afghanistan tätigen Hilfskräften am stärksten von Sicherheitsvorfällen und direkter Gewalt betroffen sind. Gesundheitspersonal wird schikaniert, inhaftiert, entführt und getötet. Viele Menschen in Afghanistan haben konfliktbedingt keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Behandlung von Traumata gilt als einer der wesentlichsten Mängel im öffentlichen

 

Gesundheitswesen Afghanistans. Medizinische Einrichtungen werden zunehmend zum Ziel von Militärangriffen. (EASO, April 2019, S. 45-46) (/de/dokument/2005343.html) Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO)[xi] berichtete im Juni 2018, dass die jüngste Welle an RückkehrerInnen und die große Anzahl an Binnenvertriebenen (IDPs) eine weitere Herausforderung für die bereits überlasteten Gesundheitseinrichtungen und das medizinsiche Personal in Afghanistan darstellt. (WHO, 20. Juni 2018 (http://www.emro.who.int/afg/afghanistan-news/increased-numbers-of-returnees-and-refugees-stretch-health-service-provision-in-afghanistan.html ))

 

Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Versorgungslage Mazar-e-Sharif und Herat vom 19.11.2018:

 

Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre" vom 13.9.2018 beschäftigt sich ausführlicher mit den Konsequenzen der derzeit anhaltenden Trockenheit im Norden Afghanistans.

 

Es wurde vor allem auf Quellen zurückgegriffen, welche einen Vergleich von Daten für den Zeitraum 2010-2018 auf kleinräumiger Ebene erlauben. Dies hat die Auswahl an verfügbaren Quellen deutlich eingeschränkt. Sofern dies sinnvoll erschien, wurde auf Informationen über die Lage in kürzeren Zeiträumen, auf einer weniger kleinräumigen Ebene (d.h. auf Provinz- anstelle von Distriktebene) oder auf allgemeine Informationen zurückgegriffen.

 

Unter anderem werden in der Anfragebeantwortung statistische Daten der afghanischen National Statistics and Information Authority (NSIA) zitiert. Wie in den Einzelquellen näher beschrieben, sind der Reliabilität und Validität dieser Daten allerdings Grenzen gesetzt. Einer nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass die letzte Volkszählung in Afghanistan 1978 stattfand und aufgrund des Einmarschs sowjetischer Truppen nach Afghanistan vorzeitig abgebrochen werden musste. Aktuelle Bevölkerungsstatistiken sind Schätzungen, welche auf den Daten von 1978 basieren. Diese Schätzungen dienen als Basis für statistische Erhebungen der Lebenssituation der Afghanen wie jene der NSIA oder auch der nachfolgend zitierten Umfragen der Hilfsorganisation Asia Foundation (AF). Eine ausführliche Beschreibung der verwendeten Quellen erfolgt im Abschnitt "Einzelquellen".

 

Es ist zu entnehmen, dass die Provinz Balkh nach 2004 aufgrund der vergleichsweise stabilen Sicherheitslage einen Wirtschaftsaufschwung erlebte. Mazar-e Sharif zog damit viele Arbeitskräfte aus ländlichen Gebieten und angrenzenden Regionen an. Eine Studie aus dem Jahr 2014 kam daher zu dem Schluss, dass Mazar-e Sharif unter den fünf größten Städten Afghanistans bei weitem die höchste Zahl an Wirtschaftsmigranten aufnahm. Aufgrund seiner Anbindungen an den zentralasiatischen Raum und seiner vorteilhaften zentralen Lage in Nordafghanistan ist Mazar-e Sharif eine wichtige Drehscheibe für Import und Export, wie auch ein regionales Handelszentrum für den Norden Afghanistans. Gemäß einem Bericht des European Asylum Support Office (EASO) fanden Ende 2016 zunehmend sicherheitsrelevante Vorfälle entlang der Fernstraße von Mazar-e Sharif zur usbekischen Grenze statt. Die Angriffe richteten sich meist gegen Handelskonvois und hatten eine Unterbrechung des Handels mit Usbekistan und China zum Ziel. Mazar-e Sharif ist ein industrielles Zentrum mit einer großen Anzahl an klein- und mittelständischen Unternehmen, wie auch einigen großen Fabriken. Verglichen mit anderen großen Städten in Afghanistan hat Mazar-e Sharif den höchsten Anteil an selbstständigen Personen.

 

Nach dem Abzug der US-geführten NATO-Truppen 2014 erlebte die afghanische Wirtschaft einen Abschwung, da Geldflüsse aus dem Ausland daraufhin ausblieben. Beispielsweise verloren rund 7.000 Personen durch die Schließung von zwei Militärbasen in und um Mazar-e Sharif ihren Arbeitsplatz. Die National Statistics and Information Authority (NSIA) verzeichnete 2013/2014 einen starken Anstieg der Arbeitslosenrate in der Provinz Balkh gegenüber den Jahren 2011/2012 (zur Reliabilität der Quellen s. Abschnitt Quellenlage und Einzelquellen, Anm.). 2016/2017 sank die Arbeitslosenrate in der Provinz Herat gemäß NSIA wieder leicht, verblieb allerdings dennoch bei einem Anteil von rund 30 Prozent.

 

Gemäß dem Business Tendency Report der afghanischen Kammer für Wirtschaft und Industrie (ACCI) wurde das Wirtschaftsklima von Unternehmern in der Provinz Balkh seit dem 3. Quartal des Jahres 2015 meist negativ eingeschätzt (grafische und tabellarische Darstellung s. Einzelquellen, Anm.). Der Unternehmensklimaindex von ACCI weist nach diesem Zeitpunkt nur zwei Mal - im 1. Quartal 2016 und im 1. Quartal 2018 - positive Werte im einstelligen Bereich (3,89 und 3,5) auf. Im Zeitraum IV.2014-II.2015 schätzten die befragten Unternehmer die Lage in der Provinz Balkh dagegen positiver ein (Indexwerte zwischen 20,23 und 31 Punkten). Die von ACCI befragten Unternehmer schätzten die Sicherheitslage in der Provinz Balkh seit dem 2. Quartal 2015 mit Indexwerten zwischen -65,6 (1.Quartal 2016) und -14 (2. Quartal 2017) durchgehend negativ ein.

 

Gemäß einer jährlichen Erhebung der Lebensbedingungen in Afghanistan, welche die Asia Foundation seit 2004 durchführt, schätzte eine Mehrheit der befragten Bewohner der Stadt Mazar-e Sharif im Zeitraum 2010-2017 ihre Versorgung mit Gütern, wie auch die Qualität der von ihrem Haushalt konsumierten Lebensmittel und ihre Wohnsituation als gegenüber dem Vorjahr gleich bleibend ein. Der Anteil jener, die angaben, dass sich die Verfügbarkeit von Gütern für ihren Haushalt, wie auch die Qualität der Lebensmittel und die Wohnsituation gegenüber dem Vorjahr verschlechtert habe, nahm im Zeitraum 2015-2017 gegenüber 2010-2012 zu. Der Anteil jener, die Verbesserungen sahen, nahm ab - mit Ausnahme der Wohnsituation, bei welcher im Jahr 2017 wieder mehr Befragte eine Verbesserung als eine Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr wahrnahmen.

 

Der Anteil jener, die eine Verschlechterung der finanziellen Situation ihres Haushaltes, wie auch der Beschäftigungsmöglichkeiten ihrer Haushaltsmitglieder gegenüber dem Vorjahr wahrnahmen, lag im Zeitraum 2015-2017 höher als im Zeitraum 2010-2012. Hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeiten gaben im Zeitraum 2015-2017 rund 64 bis 76 Prozent der Befragten an, dass sich die Lage ihres Haushalts verschlechtert habe, 2010-2012 waren es 28 bis 42 Prozent. Der Anteil jener, die angaben, dass sich die finanzielle Situation ihres Haushaltes verbessert habe, stieg im Zeitraum 2015-2017 wieder, nachdem er zwischen 2012 und 2015 um beinahe 40 Prozentpunkte abgenommen hatte. Ebenso stieg allerdings der Anteil der Befragten, welche angaben, dass sich ihre finanzielle Situation gegenüber dem Vorjahr verschlechtert habe und liegt seit dem Jahr 2015 über dem Anteil an Personen, welche eine Verbesserung wahrnahmen. Der Anteil jener, die eine Verbesserung der Stromversorgung ihres Haushaltes wahrnahmen, stieg dagegen seit 2011 von rund 6 Prozent auf 55 Prozent im Jahr 2015 und blieb auch in den Jahren 2016 und 2017 auf hohem Niveau.

 

Gemäß einer von EASO zitierten Studie der Analysefirma Samuel Hall aus dem Jahr 2014 leben nur 15 Prozent der Bewohner von Mazar-e Sharif über der Armutsgrenze. Mehr als die Hälfte der Bewohner von Mazar-e Sharif wenden mehr als 60 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel auf, vermutlich aufgrund der hohen Lebensmittelpreise in Mazar-e Sharif verglichen mit anderen großen Städten in Afghanistan. Die Provinz Balkh bildet eine Ausnahme von der Tendenz, dass die offizielle Armutsrate der Bevölkerung in den urbanen Zentren niedriger ist als in den ländlichen Gebieten. Gemäß NSIA stieg der Anteil an Bewohnern der Provinz Balkh, welche an einem Kalorienmangel leiden, von 22 Prozent in den Jahren 2011/2012 auf 50,3 Prozent 2013/2014 und 61 Prozent im Zeitraum 2016/2017.

 

Während die Ernährungslage in Mazar-e Sharif im Jänner 2010 und Jänner 2015 durch das Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET) als nur minimal bedroht eingestuft wurde, befand sich die Stadt im Februar 2018 in einer Zone, in welcher FEWS NET die Lage als angespannt einstuft. Gemäß Prognosen von FEWS NET sollte sich dies bis Mai 2019 nicht ändern.

 

Die Anzahl an Neuankünften von Personen, welche aus dem Ausland nach Afghanistan zurückkehrten, erreichte gemäß Daten von UNHCR für die Jahre 2013-2018 im Zeitraum 1.1.-21.10.2016 mit rund 6.800 Personen einen zahlenmäßigen Höhepunkt. 2017 sank ihre Anzahl auf rund 1.300, im Zeitraum 1.1.-23.10.2018 registrierte UNHCR 311 Neuankünfte. 2016 verzeichnete UN OCHA die Ankunft von rund 15.100 Personen in Mazar-e Sharif, welche aufgrund von Konflikten ihre Heimatorte verlassen mussten. 2017 ging ihre Zahl auf rund 5.000 zurück, 2018 (bis einschl. 23.10.) verzeichnete UN OCHA keine Neuankünfte. Die hohe Anzahl an Binnenvertriebenen und Rückkehrern, welche sich in den vergangenen Jahren in Mazar-e Sharif ansiedelten, ließ die tendenziell ohnehin fragilen Fürsorgenetzwerke und städtische Infrastruktur gemäß EASO an ihre Grenzen stoßen.

 

Es existieren einige Projekte zur wirtschaftlichen Unterstützung von Personen in Afghanistan, insbesondere für Binnenvertriebene und Rückkehrer. Kursorisch können hier Projekte wie das von der EU finanzierte Programm RADA (Return Assessment and Development for Afghanistan), Projekte des Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR) zur Vermittlung von beruflichen Fähigkeiten, das Projekt SALAM (Support Afghanistan Livelihood and Mobility) und Hilfe durch IOM genannt werden. Eine Studie des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) vom November 2018 bezeichnet die über IOM angebotenen Unterstützungsleistungen als "(...) überbürokratisiert, zu gering und laden zudem zum Missbrauch ein".

 

Die afghanische Regierung verfügt der Studie des VIDC zufolge nicht über die notwendige Expertise und administrativen Strukturen, um erfolgreiche Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen. Ebenso wirken sich Korruption, rechtliche, wie politische Unsicherheit und die angespannte Sicherheitslage negativ auf den Arbeitsmarkt und das Investitionsklima aus. Gemäß VIDC stuft die Central Statistics Organization (CSO) 80 Prozent aller Arbeitsstellen in Afghanistan als gefährdet ein, d.h. die Arbeitsbedingungen sind schlecht und das Einkommen unregelmäßig. Nur 13 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verfügen gemäß dieser Quelle über eine feste Anstellung mit zuverlässigem regelmäßigem Einkommen.

 

Das größte Krankenhaus in Nordafghanistan befindet sich in Mazar-e Sharif und wird einem Bericht aus dem Jahr 2016 zufolge erweitert. Notfallbehandlungen sind in den Spitälern von Mazar-e Sharif kostenlos, doch müssen Medikamente und Behandlungen in privaten Krankenhäusern von den Patienten bezahlt werden. Die Qualität der öffentlichen Krankenhäuser und der Medikamente in Mazar-e Sharif beschreiben von EASO zitierte Quellen als unzureichend. Afghanen, welche sich dies leisten können, lassen sich vorzugsweise in Privatkrankenhäusern oder im Ausland behandeln. Insbesondere Binnenvertriebene und Rückkehrer haben aufgrund ihrer finanziellen Situation wie auch teils aufgrund fehlender Personaldokumente nur eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung. EASO zufolge ist Korruption im Gesundheitssektor ein Problem.

 

Gemäß Erhebungen der CSO aus dem Jahr 2015 leben rund zwei Drittel der Bewohner von Mazar-e Sharif in ihren eigenen Häusern, rund ein Viertel in gemieteten Immobilien. Die International Organization for Migration (IOM) betont, dass der hohe demografische Druck und eine generelle Knappheit an Gebäuden in gutem Zustand die Suche nach Wohnraum in den Ballungszentren Afghanistans erschwert. Insbesondere die Wohnsituation von Binnenvertriebenen und Rückkehrern wird von mehreren von EASO zitierten Studien kritisch eingeschätzt. Unter anderem werden unklare Besitzverhältnisse, aber auch eine unzureichende Unterstützung durch die Regierung als bestehende Probleme genannt. Gemäß einem Bericht von EASO aus dem Jahr 2017 gibt es seit 2016 keine humanitären Organisationen mehr, welche Binnenvertriebene und Rückkehrer in Mazar-e Sharif bei der Suche nach Wohnraum unterstützen.

 

Der afghanische Arbeitsmarkt zeichnet sich unter anderem durch die folgenden Faktoren aus: eine sehr junge und stetig wachsende Bevölkerung, ein niedriger Anteil von erwerbstätigen Frauen, ein starkes Stadt-Land-Gefälle, niedrige Alphabetisierungsraten und ein niedriges Ausbildungsniveau, wie auch eine hohe Anzahl an Personen, welche von einem Erwerbstätigen abhängig sind.

 

In den städtischen Gebieten ist der Anteil an Erwerbstätigen aufgrund einer geringeren Beteiligung von Frauen, jungen und älteren Personen am Arbeitsmarkt niedriger, als in den ländlichen Gebieten.

 

Die Central Statistics Organization (CSO) klassifiziert 80 Prozent aller Arbeitsstellen als gefährdet, d.h. mit schlechten Arbeitsbedingungen und unregelmäßigem Einkommen. Nur 13 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verfügen über eine feste Anstellung mit zuverlässigem regelmäßigem Einkommen.

 

Gemäß einer Studie der International Labor Organization (ILO) aus dem Jahr 2012 umfasst der informelle Sektor rund 80 bis 90 Prozent der gesamten Wirtschaft in Afghanistan.

 

Wirtschaftsprojekte

 

Im Jahr 2017 startete das Projekt SALAM (Support Afghanistan Livelihood and Mobility) in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Balkh, Herat, Kandahar und Kunduz. Dieses Projekt soll langfristige Lösungen für die hohen Arbeitslosenraten bieten und irreguläre Migration durch die Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten - insbesondere für Binnenvertriebene und Rückkehrer - verhindern. Gemäß einer von VIDC zitierten Quelle wurde ein früheres Hilfsprogramm für Binnenvertriebene, die so genannte IDP National Policy, welche 2013 ins Leben gerufen wurde, nicht adäquat implementiert.

 

Der Leiter des Bereichs Wirtschaftsstatistiken innerhalb des CSO kritisiert gemäß VIDC, dass die internationalen Hilfsgelder in Afghanistan vor allem zur Lösung von Problemen mit den Aufständischen verwendet werden, während nur ein kleiner Teil übrigbleibt, um den massiven Zustrom an Rückkehrern nach Afghanistan zu bewältigen. Gemäß VIDC verfügt die afghanische Regierung über keine belastbaren Daten zur Migration und dem Themenkomplex Binnenflüchtlinge/Rückkehrer.

 

VIDC berichtet weiters, dass die afghanische Regierung gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnerorganisationen Berufsausbildungen für bedürftige Afghanen bereitstellt.

 

Rund 38.000 Afghanen - davon 17.000 Frauen - erhalten in 44 vom afghanischen Arbeitsministerium (MoL-SAMD) geführten Zentren und 38 Einrichtungen der Partnerorganisationen in allen 34 Provinzen des Landes Berufsausbildungen. Bis zu 60 verschiedene Fähigkeiten werden dabei vermittelt, unter anderem Schneiderei, Teppichweberei, Alphabetisierungskurse, Tischlerei und Kurse zur Reparatur von Mobiltelefonen.

 

Die afghanische Regierung verfügt laut VIDC nicht über die notwendige Expertise und administrativen Strukturen, um Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen. Ebenso wirken sich Korruption, rechtliche und ethnisierte politische Unsicherheit und die Sicherheitskrise negativ auf den Arbeitsmarkt und das Investitionsklima aus.

 

Mehr als 2000 nationale und internationale NGOs haben beim afghanischen Wirtschaftsministerium Projekte zur Armutsbekämpfung - vor allem im Bereich der Wohlfahrt, Gesundheit, Ausbildung und Landwirtschaft - registriert.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) startete Ende 2014 das Projekt SEDEP (Sustainable Economic Development and Employment Promotion) zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Familien in ländlichen Gebieten in den Provinzen Baghlan, Badakhshan, Balkh, Kunduz, Samangan und Takhar. 2018 wurde das Projekt um eine Komponente für Flüchtlinge und Rückkehrer erweitert. Davon werden gemäß VIDC neben Binnenflüchtlingen rund 70 Prozent der Rückkehrer aus der EU und Pakistan profitieren.

 

Die International Organization for Migration (IOM) entwickelte ein Vierjahresprojekt für acht Provinzen mit hohem Anteil an Rückkehrern und Binnenflüchtlingen (dies sind die Provinzen Baghlan, Balkh, Herat, Kabul, Kunar, Kandahar, Laghman und Nangahar).

 

Das von der EU finanzierte Return Assessment and Development for Afghanistan (RADA) -Programm unterstützt die Reintegration von über 30.000 gefährdeten Afghanen, welche aus Europa, Pakistan und dem Iran nach Afghanistan zurückkehren.

 

DACAAR (Danish Committee for Aid to Afghan Refugees) unterstützte im Zeitraum 2014-2017 650 Afghanen (davon 33 Prozent Frauen) in neun Provinzen mittels Berufsausbildungen. Die Organisation plant, bis 2021 weitere 2.800 Personen in zwölf Provinzen auszubilden. DACAAR richtet sich dabei in Kooperation mit dem afghanischen Arbeitsministerium an Binnenvertriebene, Rückkehrer, Jugendliche und Gastgemeinschaften. Im nichtlandwirtschaftlichen Bereich bietet DACAAR vor allem Ausbildungen zum Erlernen des Schneiderhandwerks und von Handarbeiten an. Im landwirtschaftlichen Bereich können durch DACAAR Ausbildungen bei der Milchproduktion und dem Safrananbau absolviert werden, zudem unterstützt die Organisation auch Bauern bei der Verpackung und dem Verkauf ihrer Produkte auf lokalen Märkten.

 

Die afghanische Kammer für Wirtschaft und Industrie (Afghanistan Chamber of Commerce & Industry (ACCI)) berichtet in ihrem Business Tendency Survey Report für das 3. Quartal 2018, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen für Unternehmen in den vergangenen drei Monaten verschlechtert haben und auch der Ausblick für die kommenden sechs Monate negativ ist. Sicherheit bleibt der bedeutsamste Faktor für wirtschaftliche Entwicklung, gefolgt von Märkten und Nachfrage, sowie Verwaltungsreformen, Verbesserungen der Infrastruktur und dem Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten. Die befragten Unternehmer gaben an, dass sie in den vergangenen drei Monaten mehr Personen entlassen als eingestellt haben. Unternehmen im Bereich der Landwirtschaft und verarbeitenden Industrie gehen allerdings davon aus, dass sie in den kommenden sechs Monaten wieder vermehrt Arbeitskräfte einstellen werden.

 

ACCI erstellt einen Unternehmensklimaindex, welcher auf den Wahrnehmungen von Wirtschaftstreibenden zur gegenwärtigen Situation ihrer Unternehmen, wie auch der Entwicklung in den kommenden sechs Monaten basiert. Der Index verortet die Wahrnehmungen der befragten Manager auf einer Skala von -100 (negatives Klima) bis 100 (positives Klima), wobei der Wert 0 den neutralen Mittelpunkt eines "normalen" Wirtschaftsklimas darstellt. Für den aktuellen Vierteljahresbericht wurden 750 Unternehmer in den Provinzen Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar im Juli 2018 mittels Telefoninterviews befragt. Das Unternehmensklima wurde von den befragten Unternehmern im Allgemeinen im 3. Quartal 2018 negativer eingeschätzt als im 2.Quartal (-19 (III.2018) vs. -9.6 (II.2018); grafische Darstellung s. Graph 1 unten). Dies gilt auch für die Ergebnisse der Befragung von Unternehmern in der Provinz Balkh, wobei der Index hierbei von -11.8 im 2. Quartal 2018 auf -20 im

3. Quartal sank (grafische Darstellung s. Graph 2 unten). Im 1. Quartal 2018 schätzten die befragten Unternehmer das Klima in dieser Provinz dagegen positiv ein (3.5). Im Zeitverlauf fluktuierten die Werte seit Beginn des Jahres 2015 zwischen -53.9 (III.2016) als tiefstem Wert und 21.7 als höchstem Wert (I.2015). Im 4. Quartal 2014 lag der Wert mit 31 noch höher, im davor liegenden Quartal allerdings bei -21. Nach 2015 erreichte der Unternehmensklimaindex nur im 1. Quartal 2016 und im 1. Quartal 2018 positive Werte, in beiden Fällen im niedrigen einstelligen Bereich.

 

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die afghanische Wirtschaft nach dem Abzug der US-geführten NATO-Truppen 2014 einen Abschwung erlebte, da Geldflüsse aus dem Ausland daraufhin ausblieben. Die National Statistics and Information Authority (NSIA) verzeichnete 2013/2014 gegenüber den Jahren 2011/2012 einen starken Anstieg der Arbeitslosenrate in der Provinz Herat (zur Reliabilität der Quellen s. Abschnitt Quellenlage, Anm.). 2016/2017 sank die Arbeitslosenrate in der Provinz Herat gemäß NSIA wieder leicht, verblieb allerdings dennoch bei einem Anteil von rund 30 Prozent (grafische und tabellarische Darstellung s. Einzelquellen, Anm.).

 

Gemäß dem Business Tendency Report der afghanischen Kammer für Wirtschaft und Industrie (ACCI) wurde das Wirtschaftsklima von Unternehmern in der Provinz Herat seit dem Jahr 2015 meist negativ eingeschätzt (grafische und tabellarische Darstellung s. Einzelquellen, Anm.). Während der Unternehmensklimaindex von ACCI die Lage insbesondere im 2. bis 4. Quartal 2015 deutlich negativer als zuvor darstellte, verbesserten sich die Werte daraufhin wieder, nahmen 2017 und 2018 allerdings teilweise wieder negative Werte an. Die von ACCI befragten Unternehmer schätzten die Sicherheitslage in der Provinz Herat nach dem 4. Quartal 2014 nur einmal - im 4. Quartal 2017 - positiv ein.

 

Gemäß einer jährlichen Erhebung der Lebensbedingungen in Afghanistan, welche die Asia Foundation (AF) seit 2004 durchführt, gaben Bewohner der Stadt Herat im Zeitraum 2015-2017 am häufigsten an, dass sich die finanzielle Situation ihres Haushalts, wie auch ihre Beschäftigungsmöglichkeiten gegenüber dem Vorjahr verschlechtert haben (grafische und tabellarische Darstellung s. Einzelquellen, Anm.). Im Zeitraum 2010-2012 lagen die Anteile jener Befragten, welche angaben, dass sich ihre Lage verbessert habe oder gleich geblieben sei, dagegen über den Anteilen jener, die eine Verschlechterung wahrnahmen.

 

Die Versorgungslage des eigenen Haushalts mit Gütern und Wohnraum schätzten die Befragten in Herat-Stadt dagegen seit 2010 mehrheitlich als gleich bleibend ein. 2011 und 2012 sah eine Mehrheit der Befragten eine verbesserte Qualität der Lebensmittel für den eigenen Haushalt, 2015-2017 nahm der Anteil an Personen, welche dies angaben, dagegen stark ab. 2016 gab eine Mehrheit der Befragten an, dass sich die Qualität der von ihrem Haushalt konsumierten Lebensmittel gegenüber dem Vorjahr verschlechtert habe.

 

Gemäß einer vom European Asylum Support Office (EASO) zitierten Studie der Analysefirma Samuel Hall befanden sich im Jahr 2014 82 Prozent der Haushalte in Herat-Stadt unter der Armutsgrenze. Dies ist ein höherer Anteil als in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Entsprechend mehrerer Indikatoren wird das höhere Niveau an Armut in Herat-Stadt allerdings nicht durch billigere Lebensmittel kompensiert.

 

Erhebungen des World Food Programme (WFP) zufolge blieben die Preise für Weizen und Reis im Zeitraum 2010-2018 annähernd gleich (grafische und tabellarische Darstellung s. Einzelquellen, Anm.). Löhne für Gelegenheitsarbeiter sanken laut WFP von 300 AFN im Zeitraum 2014-2016 auf 250 AFN in den Jahren 2017 und 2018.

 

Während die Ernährungslage in Herat im Jänner 2010 und Jänner 2015 durch das Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET) als nur minimal bedroht eingestuft wurde, befand sich die Stadt im Februar 2018 in einer Zone, in welcher FEWS NET die Lage als angespannt einstuft. Prognosen von FEWS NET für die Zeiträume Oktober 2018-Jänner 2019 und Februar-Mai 2019 beurteilen die Lage in Herat als krisenhaft.

 

Die Anzahl an Neuankünften von Personen in Herat-Stadt, welche aufgrund von Konflikten aus ihren Heimatorten flohen, wie auch die Anzahl an freiwilligen Rückkehrern, welche sich in Herat-Stadt niederließen, ging gemäß Daten des United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UN OCHA) und des United Nations High Commissioner for Human Rights (UNHCR) zuletzt zurück (s. allerdings die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre" vom 13.9.2018 zur Anzahl an Personen, welche aufgrund der anhaltenden Trockenheit im Norden Afghanistans nach Herat-Stadt flohen, Anm.).

 

Es existieren einige Projekte zur wirtschaftlichen Unterstützung von Personen in Afghanistan, insbesondere für Binnenvertriebene (IDPs) und Rückkehrer. Kursorisch können hier Projekte wie das von der EU finanzierte Programm RADA (Return Assessment and Development for Afghanistan), Projekte des Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR) zur Vermittlung von beruflichen Fähigkeiten, Hilfe durch die internationale Organisation für Migration (IOM) und das Support Afghanistan Livelihood and Mobility (SALAM)-Programm zur Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten genannt werden. Einige dieser Projekte laufen u.a. in der Provinz Herat. Eine Studie des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) charakterisiert die über IOM angebotenen Unterstützungsleistungen als "(...) überbürokratisiert, zu gering und laden zudem zum Missbrauch ein".

 

Die afghanische Regierung verfügt gemäß VIDC nicht über die notwendige Expertise und administrativen Strukturen, um erfolgreiche Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen. Ebenso wirken sich Korruption, rechtliche, wie politische Unsicherheit und die angespannte Sicherheitslage negativ auf den Arbeitsmarkt und das Investitionsklima aus. Dem VIDC zufolge stuft die Central Statistics Organization (CSO) 80 Prozent aller Arbeitsstellen in Afghanistan als gefährdet ein, d.h. die Arbeitsbedingungen sind schlecht und das Einkommen ist unregelmäßig. Nur 13 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verfügen gemäß dieser Quelle über eine feste Anstellung mit zuverlässigem regelmäßigem Einkommen. Auch umfasst der informelle Sektor ca. 80 bis 90 Prozent der gesamten afghanischen Wirtschaft.

 

Gemäß EASO existiert in Herat-Stadt ein Netzwerk aus Gesundheitseinrichtungen, Krankenhäusern und mobilen Kliniken. Ein Bericht aus dem Jahr 2016 konstatiert, dass der Zugang zur Gesundheitsversorgung in Herat-Stadt relativ gut ist. Bedürftige Personen - insbesondere Binnenvertriebene - verfügen allerdings oftmals nicht über die notwendigen Mittel zum Erwerb von Medikamenten oder Behandlungen in Spezialkliniken.

 

Herat erlebte bis 2014 einen Bauboom, welcher die Immobilienpreise steigen ließ. Danach sanken die Preise um 20-30 Prozent. Gemäß einer von EASO zitierten Umfrage der Central Statistics Organization (CSO) aus dem Jahr 2016 leben 60 Prozent der Befragten in Herat-Stadt in ihrem eigenen Haus, etwas unter einem Viertel in gemieteten Immobilien. Rund 5 Prozent der Bewohner in Herat-Stadt leben in Zelten und anderen nicht befestigten Strukturen. Herat-Stadt ist historisch betrachtet ein bedeutsamer Zielort für Binnenvertriebene. Ende 2015 war Herat mit einem Anteil von rund 10 Prozent oder 120.000 Binnenflüchtlingen eine der Provinzen mit dem höchsten Anteil an Binnenvertriebenen in Afghanistan. Viele dieser Personen leben in informellen Siedlungen, welche aus Lehmhäusern bestehen. Die Grundbesitzverhältnisse in diesen Siedlungen sind oftmals unklar.

 

Der afghanische Arbeitsmarkt zeichnet sich unter anderem durch die folgenden Faktoren aus: eine sehr junge und stetig wachsende Bevölkerung, ein niedriger Anteil von erwerbstätigen Frauen, ein starkes Stadt-Land-Gefälle, niedrige Alphabetisierungsraten und ein niedriges Ausbildungsniveau, wie auch eine hohe Anzahl an Personen, welche von einem Erwerbstätigen abhängig sind.

 

In den städtischen Gebieten ist der Anteil an Erwerbstätigen aufgrund einer geringeren Beteiligung von Frauen, jungen und älteren Personen am Arbeitsmarkt niedriger, als in den ländlichen Gebieten.

 

Die Central Statistics Organization (CSO) klassifiziert 80 Prozent aller Arbeitsstellen als gefährdet, d.h. mit schlechten Arbeitsbedingungen und unregelmäßigem Einkommen. Nur 13 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung verfügen über eine feste Anstellung mit zuverlässigem regelmäßigem Einkommen.

 

Gemäß einer Studie der International Labor Organization (ILO) aus dem Jahr 2012 umfasst der informelle Sektor rund 80 bis 90 Prozent der gesamten Wirtschaft in Afghanistan. Außerdem wird berichtet, dass das Armutsniveau in Afghanistan ansteigt: Der Anteil der Bevölkerung, der unter der nationalen Armutsgrenze lebt, ist von 34 Prozent in den Jahren 2007/2008 auf 55 Prozent im Zeitraum 2016/2017 gestiegen.683

 

Im Rahmen des Verfahren wurde die gesamte UNCHR-Richtlinie zu Afghanistan herangezogen hier ein Auszug aus dem UNHCR-Richtlinie v. 30.08.2018:

 

A: Risikoprofile:

 

1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

 

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, regierungsnahe bewaffnete Gruppen, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationaler humanitärer Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen in Verbindung stehen.248 Auf eine (vermeintliche) Verbindung kann zum Beispiel durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis oder durch familiäre Bindungen geschlossen werden.249 Zu den Zivilisten, die gezielt aufs Korn genommen werden, zählen Distrikt- und Provinzgouverneure, Mitarbeiter der Justiz und der Staatsanwaltschaft, ehemalige Polizeibeamte und Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, Religionsgelehrte und religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Raum, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Zivilisten, von denen angenommen wird, dass sie die Werte regierungsfeindlicher Kräften ablehnen, Menschenrechtsaktivisten sowie humanitäres Hilfspersonal und Entwicklungshelfer.250

 

Zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2017 schrieb UNAMA 570 gezielte Tötungen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) zu, die 1 032 zivile Opfer (650 Tote und 382 Verletzte) forderten, was 10 Prozent aller zivilen Opfer des Jahres entsprach.251 Die Anzahl der von AGEs verübten derartigen Anschläge stieg von 483 im Jahr 2016 auf 570 im Jahr 2017 und die Zahl der dabei getöteten Zivilisten erhöhte sich um 13 Prozent.252

 

Im Januar 2018 führten die Taliban drei getrennte Angriffe in Kabul durch, bei denen 150 Zivilisten getötet und mehr als 300 verletzt wurden.253 In einer öffentlichen Erklärung begründeten die Taliban am 28. Januar 2018 einen dieser Angriffe, jenen auf das Innenministerium, mit folgenden Worten: "Dieses Ziel war der Feind, und auch die Mitarbeiter des Ministeriums waren die Hauptleidtragenden."254

 

Am 25. April 2018 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensiven, die Al Khandaq Jihadi Operations255 an. Wie schon in den Jahren zuvor hieß es darin, die Offensive würde sich "gegen die ausländischen Besatzungskräfte und deren Unterstützer im Land" richten.256 Trotz des erklärten Ziels der Taliban, "besonders auf den Schutz des Lebens und Besitzes des zivilen Volkes zu achten", 257 gibt es immer wieder Berichte, dass die Taliban und andere AGEs gezielt Zivilisten und nach humanitärem Völkerrecht geschützte Objekte angreifen würden.258

 

Über gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen.

 

Ein detailliertes analytisches Rahmenwerk für die Beurteilung der Verfügbarkeit einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative (IFA/IRA), auch als interne Schutzalternative649 bezeichnet, ist in den "UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 4: ‚Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" enthalten.650

 

b) Zivile Polizeikräfte (einschließlich Angehörigen der ANP und ALP) 271 sowie ehemalige Angehörige der ANDSF

 

Die gezielten Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte, insbesondere die afghanische nationale Polizei (ANP), gehen weiter.272 Auch Mitglieder der afghanischen lokalen Polizei (ALP) werden häufig angegriffen.273 Schätzungen zufolge ist die Opferbilanz unter der afghanischen lokalen Polizei erheblich höher als die unter anderen Mitgliedern der ANDSF, da die afghanische lokale Polizei (ALP) häufig in unsichereren Gebieten stationiert ist.274 Beamte sowohl der ALP als auch der ANP wurden im Dienst und auch außer Dienst angegriffen.275 Ferner wird berichtet, dass regierungsfeindliche Kräfte auch Angehörige anderer Polizeikräfte in Afghanistan276 sowie ehemalige Angehörige der ANDSF277 ins Visier nehmen.

 

Wie in Abschnitt II.C.1.c. beschrieben, haben regierungsfeindliche Kräfte Berichten zufolge seit Beginn der Wählereintragung am 14. April 2018 Personen angegriffen, die mit den Wahlen befasst waren, darunter Wahlhelfer und Angehörige der afghanischen nationalen Polizei, unter anderem durch gezielte Tötung, Entführung, Bedrohung, Einschüchterung und Schikanen.278

 

i) Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen

 

Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen bedroht, gefoltert oder getötet wurden, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, "Ausländer" geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten.297 Heimkehrern wird Berichten zufolge von der örtlichen Gemeinschaft, aber auch von Staatsbeamten oft Misstrauen entgegengebracht, was zu Diskriminierung und Isolierung führt.298 Ebenso kann Personen, die anderen Profilen entsprechen - etwa Profil 1.e (Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen) und Profil 1.i (Frauen im öffentlichen Leben) - von regierungsfeindlichen Kräften vorgeworfen werden, Werte und/oder Erscheinungsbilder übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden, und sie aus diesem Grund zur Zielscheibe werden.

 

k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

 

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Familienangehörige von Personen mit den oben angeführten Profilen als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen.305 Insbesondere wurden Verwandte, darunter Frauen und Kinder, von Regierungsmitarbeitern und Angehörige der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte Opfer von Schikanen, Entführung, Gewalt und Tötung.306

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die Beweiswürdigung ergibt sich aus dem Akteninhalt, der Erstbefragung, der Niederschrift vor dem BFA und der mündlichen Verhandlung am 14.06.2019 und 11.12.2019 vor dem BVwG.

 

Sowie der im Rahmen der Verhandlung am 11.12.2019 erstellten und erörterten Gutachten und Erhebungen von Dr. XXXX .

 

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Feststellungen zur Nationalität sowie Volksgruppenzugehörigkeit des BF stützen sich auf die Angaben im Asylverfahren. Der BF machte diesbezüglich durchgehend gleichbleibende und glaubhafte Aussagen. Das der BF einem Volksstamm der Araber angehört, brachte er in der Verhandlung am 11.12.2019 erstmals vor, er bestätigte jedoch den Tadschiken zugehörig zu sein. (Seite 6 und 7 des 2. Verhandlungsprotokolls). Die Feststellungen zur Beherrschung der Sprachen ergibt sich aus den widerspruchsfreien Angaben des BF. So gab er bei der letzten Verhandlung an, dass seine Muttersprache Dari sei und er ein bisschen Paschtu, Arabisch, Usbekisch und Englisch könne (Seite 4 des 2. Verhandlungsprotokolls).

 

Der BF gab auch im gesamten Verfahren gleichbleibend an, dass er zehn Jahre in Kunduz die Grundschule besucht habe, sodass das Gericht davon ausgeht, dass der BF eine gute Allgemeinbildung besitzt und die afghanische Kultur kennt. (Seite 7 des 2. Verhandlungsprotokolls). Der BF absolvierte keine Berufsausbildung, half jedoch seinem Vater bei der Landwirtschaft (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Weitere Berufserfahrungen sammelte der BF in Österreich, da er als Zeitungsausträger und in einem indisch-asiatischen Geschäft tätig war (Seite 8 des 1. Verhandlungsprotokolls).

 

Der BF war zur jeder Zeit arbeitsfähig und -willig eine Beschäftigung auszuüben, er brachte zu keinem Zeitpunkt vor, dass er an einer chronischen oder akuten Krankheit leide oder an einem sonstigen Gebrechen (Seite 4 des 2. Verhandlungsprotokolls), sodass das Gericht auch nach persönlicher Überzeugung, davon ausgeht, dass der BF gesund ist.

 

Der BF gab glaubwürdig und stringent an, dass er in Kunduz geboren ist. Er lebte auch weiterhin in der Nähe der Stadt Kunduz. Die genaue Ortschaft konnte er nicht bezeichnen, wenngleich er verschieden Orte angab. "Aus dem Dorf aus dem ich stamme gibt es keinen wirklichen Namen dafür" (Seite 9 des 2. Verhandlungsprotokolls). Der BF lebte aber im Bezirksteil XXXX bzw. in der unmittelbaren Nähe, so gab er an: "Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es kann 200-300m sein" (Seite 9 des 2. Verhandlungsprotokolls) auf Nachfrage des Richters, wieweit der Bezirksteil XXXX entfernt ist.

 

Dass der BF sunnitischer Muslim ist, gab er während des gesamten Verfahrens durchgehend gleich an.

 

In Österreich hat der BF nunmehr wenig Kontakt mit anderen Österreichern. So gab er in der ersten Verhandlung noch an, dass er noch Kontakt zu anderen Österreichern und deren Familie hat, auf Partys gegangen ist und schwimmen ging (Seite 8 des 1. Verhandlungsprotokolls). Seit der Einvernahme vor der Polizei nach der 1. Verhandlung ist jedoch der Kontakt zu den Österreichern abgebrochen (Seite 15 des 2. Verhandlungsprotokolls). Auch geht er zurzeit keiner Beschäftigung nach, noch besucht etwaige Kurse, kulturelle oder sportliche Aktivitäten, gelegentlich geht er Fußball spielen. Er lernt zuhause Deutsch und geht sonst keiner Tätigkeit nach (Seite 15 des 2. Verhandlungsprotokolls).

 

Der BF gab gleichbleibend an, dass er in Afghanistan Kontakt zu seinem Cousin Qadir hatte, dieser jedoch abgebrochen ist (Seite 16 des 2. Verhandlungsprotokolls). Seine Kernfamilie lebt im Iran, mit dieser hat er noch Kontakt.

 

Die Feststellungen zum Leben des BF in Österreich (Aufenthaltsdauer, familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich) stützen sich somit auf die Aktenlage und den Angaben in den mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG.

 

Die Feststellung zu seinen Deutschkenntnissen ergibt sich aus dem persönlichen Eindruck vor dem BVwG, indem der BF auch Deutsch sprach. Weiters durch seine Zeugnisse im Rahmen seiner Abschlussprüfung für den Pflichtschulabschluss, welche jedoch noch nicht abgeschlossen ist. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

 

Der Nachweis einer Bestreitung seines Unterhaltes wurde nicht erbracht.

 

Die Feststellung hinsichtlich seiner Wohnsitze in Österreich, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

 

Darüber hinaus ergeben sich die Feststellungen zu illegalen Einreise nach Österreich und zur Antragstellung des Beschwerdeführers zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.

 

Der BF gab nicht an, dass er von den staatlichen Stellen bis zum angegebenen Vorfall mit seinem Vater gesucht wurde.

 

Dass der BF einer politischen Partei angehört wird seitens Gericht nicht geglaubt, zumal seine Angaben hierüber nur vage und widersprüchlich waren. So gab er bei der Ersteinvernahme an, dass er nicht Mitglied/tätig in einem Verein, Religionsgemeinschaft oder sonstigen Organisation war. Bei der Einvernahme vor dem BFA gab er auf die Frage, ob er einer politischen Partei angehöre an: "Nein, aber der Vater war bei der Jamjat Partei, dann ist er ausgetreten". Auf Frage des Gerichtes bei der 1. Verhandlung, ob der BF Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung war, gab der BF an: "Nein" (Seite 8 des 1. Verhandlungsprotokolls). Auch ist es unglaubwürdig, dass wie der BF angibt, jede Volksgruppe automatisch einer Partei angehöre, zumal wie in den Länderfeststellungen ersichtlich 70 registrierte Parteien gibt und nicht nur so viele, wie große Volksgruppen in Afghanistan bestehen. Auch gab der BF an, dass sein Vater nie offiziell eingetreten sei, da es kein Büro gebe. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen, da auch politische Parteien in Afghanistan über eine Organisation verfügen und jedenfalls, jene die ein große Anzahl an Mitgliedern hat. Insgesamt sind auch die Aussagen des BF zu seinem Großvater und dessen Tätigkeit sehr vage und vom Hörensagen. Der BF gab immer wieder an: "Ich weiß nicht genau..." (Seite 13 des 2. Verhandlungsprotokolls), "In Kunduz war damals ein Kommandant und er hat meinen Opa erschossen" (Seite 12 des 2.Verhandlungsprotokolls). Der BF versuchte in der 2. Verhandlung darzulegen, dass er aufgrund der Mitgliedschaft des Vaters und seiner zur Partei Jamijat (phonetisch) bedroht gewesen sei. Dies steigerte er damit, dass sein Vater nunmehr bis zu seinem Tode Mitglied gewesen sei:"...solange er gelebt hat, gehörte er dieser Partei Jamijat an." (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Die Fluchtgründe seines Vaters nach Pakistan und seine waren ebenfalls vage und wurden zum Teil nicht beantwortet. So gab der BF an, dass er "nie außerhalb von Afghanistan gelebt habe" (Seite 11 des 2. Verhandlungsprotokolls). Erst auf Nachfrage des Gerichtes bezüglich einer etwaigen bereits angegebenen Flucht nach Pakistan, gab der BF nunmehr an:" Das weiß ich nicht, aber als ich noch sehr klein war, war ich auch mit der Familie in Pakistan und wo wir gelebt haben, weiß ich nicht. Egal wen Sie fragen würden, keiner kann diese Fragen genau beantworten...". "Ich vermute, dass andere Leute falsche Informationen über meinen Opa übergeben haben und ihn unterstellten, dass er zu den Kommunisten gehörte." In diesem Punkte konnte der BF wiederum keine genauen Angaben machen und versuchte immer wieder auszuweichen, und machte unterschiedliche Aussagen. Weiters gab der BF an bereits als Kind seinem Vater auf der Landwirtschaft geholfen zu haben und zwar mit sechs oder sieben Jahren (Seite 10 des 2. Verhandlungsprotokolls). Wenn der BF in Pakistan für eine längere Zeit gewesen wäre und er erst mit sieben oder acht Jahren zurückgekehrt ist, dann hätte er seinem Vater nicht auf den Grundstücken helfen können. Es ist unglaubwürdig und nicht nachvollziehbar, dass der BF nicht gleich angegeben hatte, dass er als Kind in Pakistan lebte und daher nicht auf den Feldern helfen konnte. Der BF selbst war somit nie Mitglied einer Partei, auch die Mitgliedschaft seines Vaters und Großvaters werden aufgrund der vagen und unglaubwürdigen bzw. widersprüchlichen Aussagen verneint. Weiters wurde der BF auch während seines Aufenthaltes nie von anderen Personen, wegen eine etwaigen politischen Gesinnung bedroht, auch sein Vater konnte in Afghanistan wohnen und leben ohne wegen seiner politischen Gesinnung bedroht worden zu sein.

 

2.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

 

2.2.1 Verfolgung in Afghanistan:

 

Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm in seinem Heimatstaat Afghanistan in irgendeiner Form Verfolgung droht. Zentrales Element seines Fluchtgrundes ist die Tötung von Talibanmitgliedern und das Unterstützen des Schleifens des Körpers eines toten Talib namens XXXX hinter einem Motorrad.

 

Diese Fluchtgeschichte erscheint dem Gericht aufgrund von verschiedenen vagen und unterschiedlichen Aussagen des BF, aufgrund der Erhebungen durch den Gutachten XXXX vor Ort, sowie dessen Gutachten als unglaubwürdig.

 

Der BF gab bei der Erstbefragung vor den Sicherheitsbehörden an, dass die Taliban im vorletzten Monat Kunduz erobert hätten und sein Vater an der Front gestorben sei. Seine Familie sei nach Kunduz gezogen und er habe sich danach entschlossen nach Europa zu flüchten, weil sein Leben in Gefahr sei. Diese Angaben machte der BF am 14. Dezember 2015. Die Stadt Kunduz wurde im Sommer 2015 von den Taliban eingenommen, sodass die Aussage des BF glaubwürdig und mit der Tatsache der Einnahme der Taliban übereinstimmen. Im gesamten Verfahren brachte der BF vor, dass sein Vater bei der Polizei war bzw. Arbaki. In der Verhandlung vor dem Gericht, bestätigte er, dass sein Vater kein Polizeibeamter war, sondern Arbaki. Er gab an, dass ein Vater Lokalpolizist in Gholtepa war (Seite 8 des 2. Verhandlungsprotokolls) und er nie bei der normalen Polizei war (Seite 21 des 2. Verhandlungsprotokolls). Wobei dieser zumeist in Zarkharid war, aber auch in anderen Dörfern (Seite 9 des 2. Verhandlungsprotokolls). Der Name des Vaters sei XXXX gewesen. Diese Angaben des BF, decken sich im Großen mit den Erhebungen durch den Sachverständigen für Afghanistan XXXX . Im Gutachten ist zu lesen, dass sich seine Mitarbeiter in XXXX an zwei Bezirksvertreter gewendet und nach dem BF bzw. nach dem Vater befragt haben. Diese gaben an, dass der Vater des BF mit dem Namen XXXX ein Arbaki in Telawka im Distrikt Gorteppa war und dessen Kommandant XXXX war. Der Distrikt ist auch ident mit der Angabe des BF bei der Ersteinvernahme als Wohnanschrift. Auch gab der BF an, dass man Auskunft über seine Fluchtgeschichte im Distrikt Goltepar (phonetisch) holen kann. Das Dorf befindet sich in unmittelbarer Nähe der vom BF angegebene Dörfer. Auch gab der BF an, dass der übergeordnete Posten in Ghol Tepa (phonetisch) gewesen sei und die Region bis Zarkharid ging (Seite 8 des 2. Verhandlungsprotokolls). Die Nachforschungen in Telawka bestätigten, dass es zwei XXXX gibt. Wobei einer von den Beiden noch am Leben ist und der andere bei der lokalen Polizeitruppe (eine Art Dorfschütze) war. Es wurde mit dem örtlichen Kommandanten XXXX gesprochen und dieser gab an, dass XXXX im September/Oktober 2015 bei einer Bombenexplosion gestorben ist. Der Todeszeitpunkt deckt sich auch mit den Angaben des BF bei der Ersteinvernahme zumal er im Dezember befragt wurde und angab, dass sein Vater im vorletzten Monat getötete wurde, also ca. Oktober 2015. Weiters bestätigte dieser Kommandant, dass XXXX einen Sohn namens XXXX habe, welcher jedoch im europäischen Ausland ist. Die restliche Familie sei im Iran. Diese Angaben decken sich wiederum mit den Angaben des BF, zumal auch sein Name XXXX ist und seine restliche Familie in Iran aufhältig ist (Seite 7 des 1. Verhandlungsprotokolls). Die Ermittlungen des Sachverständigen zu der Familie des BF in der angegebenen Region und die Auskunft durch XXXX erscheinen dem Gericht, insbesondere auch dadurch glaubwürdig, da der BF vor den Erhebungen in Afghanistan nie über XXXX gesprochen hat und bei den Besprechung des Gutachtens/Erhebungen bestätigt, dass er XXXX kenne, wenngleich er danach angab, er nicht wisse, ob er der Kommandant des Vaters gewesen sei, obwohl er wusste, dass XXXX der Kommandant der Arbaki war (Seite 30 des 2. Verhandlungsprotokolls). So stimmt das Gericht im Einklang mit der Behörde und den Erstangaben des BF darüber überein, dass der Vater des BF Arbaki war und im Zuge des Angriffes der Taliban im Sommer 2015 getötet wurde.

 

Die Tötung des Vaters durch einen direkten Angriff vor seinem Haus wurde nicht bestätigt und ist unglaubwürdig.

 

Der BF brachte diese Fluchtgeschichte erst im Zuge der Verhandlungen vor dem BFA am 06.09.2017 vor und legte hier auch die dem Gericht aufliegenden Fotos und das Video vor. Der BF brachte hier vor, dass er diese Dokumente (Video) bereits bei der Einreise (Dezember 2015) in Österreich mithatte und vorlegen wollte, er dachte jedoch, dass es nur ein Anmeldeprozess gewesen sei (Seite 9 des Einvernahmeprotokolls), dies ist aber unplausibel, zumal er danach angab, dass er die Bilder und das Video erst letzte Monat von XXXX zugesandt bekam. So ist es für das Gericht verständlich, dass der BF die nunmehr vorgebrachte Fluchtgeschichte nicht schon bei der Einreise vorbrachte.

 

Das Feuergefecht vor dem Haus erscheint dem Gericht unglaubwürdig, zumal wie der BF angab, sein Vater bei den Arbaki war, zu dieser Zeit die Taliban aktiv in der Gegend waren und sogar die Stadt Kunduz einnahmen und trotz Erfahrungen des Vaters, dieser in der Nacht allein bei der Vordertür, aufgrund eines unbekannten Anrufes, hinausging, obwohl er schon gewusst habe, dass es gefährlich sei, zumal er seine Waffe mitnahm und seinen Sohn und Neffen bei einem anderen Ausgang hinausschickte. Die Behörde erschien diese Vorgehensweise ebenfalls nicht plausibel. Auf Nachfrage des Gerichtes, ob es üblich sei, dass Haus aufgrund eines unbekannten Anrufes zu verlassen, gab der BF in der 2. Verhandlung erstmals an, dass dies nicht üblich sei, aber er (BF) habe dies auch schon aus Spaß mit seinen Freunden gemacht. Dies erscheint dem Gericht realitätsfremd, da der Vater und jeder in dieser Region wusste, dass die Taliban aktiv sind und wenn er Feinde schon seit seinem Großvater hatte, wäre es kein Anzeichen von Angst, wenn er zunächst abgewartet hätte bis jemand vor die Tür tritt. Es erscheint dem Gericht, dass der BF hier versuchte eine erfundene Erklärung, dafür abzugeben, warum sein Vater, so das Haus verlassen hätte. Auch erscheint es nicht plausibel, dass die fünf Angreifer (inklusive XXXX ) mit Taschenlampen unterwegs waren, da hier klar war, dass sie ein offenes Ziel wären, wenn doch der Vater aus einem Haus herauskam, wäre es unnötig und man würde sich nur selbst gefährden. Bezüglich der Tötung der verletzten Taliban, gab der BF zunächst an, diese selbst getötet zu haben, nachdem er von der ho. Polizei einvernommen wurde, gab er nunmehr an, dass er keine Taliban getötet habe und dies sein Cousin gewesen sei. Der BF ist belehrt worden stets die Wahrheit zu sagen. Eine Selbstbelastung von strafrechtlichen Taten ist nicht vorgesehen, so kann die Änderung der Geschichte im Bereich der Tötung auch als Selbstschutz erfolgt sein. Auch ist unklar, wieso der BF neben den Angreifern war und erkannte, dass sie lange Haare hatten "Als Sie die Taschenlampe eingeschaltet haben, war ich sozusagen neben denen. Keine Freunde meines Freundes haben so lange Haare, außer die Taliban" (Seite 8 des Einvernahmeprotokolls), er jedoch bei der 20-minütigen Schießerei keine Verletzung davon trug, bzw. es 20 Minuten dauerte bis er erkannte, ob diese außer Gefecht waren.

 

Der BF brachte verschiedene Fotos bei und auch ein Video. Jedoch ist der BF weder auf den Fotos gemeinsam mit den Toten ( XXXX ) noch auf dem Video zu sehen. Sodass es hier um Fotos handelt, welche überall aufgenommen worden sein können und gerade ein Kommandant wie XXXX könnte ohne Probleme zu solchen Fotos gelangen. Dass es möglich ist Dokumente zu erhalten, welche nicht durch den Betroffenen verlangt wurden, zeigt auch, dass der BF einen afghanischen Führerschein hat, welcher zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, als der BF in Österreich war. Solche Dokumente oder Beweismitteln wie Fotos oder Video haben keine erhöhten Beweiswert oder legen nicht erhöht die Glaubwürdigkeit dar, wenn, wie in diesem Fall der BF, nicht mit der betroffenen Person gleichzeitig zu sehen ist.

 

Die Begründung des BF, dass er auf dem Video nicht zu sehen sei, da seine Mutter ohnmächtig wurde, vermag das Gericht nicht zu überzeugen. Denn, wenn er so ein großes Interesse daran hatte, XXXX und seinen Körper zu schänden, hätte er sich davon nicht abbringen lassen, zumal noch andere Verwandte (Geschwister) bei seiner Mutter waren (Seite 20 des 2. Verhandlungsprotokolls).

 

Wie auch der Sachverständige aufgrund seiner Erhebungen darlegte, konnten sich niemand in der Region Zarkharid, Logariha, Zakhilis und in Otmanzi sowie in Telawka, einschließlich XXXX XXXX an eine Person namens XXXX erinnern. Zumal der Sachverständige mit seinen Erhebungen bereits viele Informationen über die Familie des BF sammeln konnte, erscheint nicht nachvollziehbar, dass, wenn die vom BF erfolgte Tat tatsächlich erfolgt worden sei, niemand darüber auch nur ansatzweise etwas erzählte. Auch das Video konnte von niemanden bestätigt werden.

 

Das Video, in welchem ein Leichnam von einem Motorrad durch eine Ortschaft gezogen wurde, konnte das Gericht nicht davon überzeugen, dass diese Tat zum Zeitpunkt der Flucht des BF erfolgte oder mit ihm in Zusammenhang steht. Auch spricht die Menge in Dari-Sprache mit tajikischen Dialekt aus dem Raum Parwan und Kapisa, woher auch die Mutter stammte. Der BF bestätigte dies und gab an, dass dies sein Cousin und Bekannte waren, welche zur Beerdigung erschienen (Seite 30 des Verhandlungsprotokolls). Auch hier ist es nicht nachvollziehbar, dass nunmehr die Mehrheit im Dorf Verwandte und Bekannte aus der Region des BF waren, zumal er vorher nicht bekanntgab, dass viele Leute aus der Ortschaft seiner Mutter kamen. Und warum sollte sie sich nun im Dorf aufhalten und nicht bei der Mutter und dem Haus des Vaters, zumal der Vorfall bereits am Vormittag passiert sein sollte und die Vorbereitung für die Beerdigung erst erfolgt wären.

 

Der Sachverständige kommt aufgrund der Erhebungen und des Befundes zum Schluss und gab als Gutachten aus, dass "in der Taliban-Herrschaftsregion oder in Regionen, die unter Bedrohung der Taliban stehen, wie Kunduz, sich niemand leisten kann, eine Leiche eines Taliban-Mitgliedes zu schänden, indem sie die Leiche der Taliban durch die Gassen schleifen". Der Gutachter geht davon aus, "dass dieses Video zwischen Oktober des Jahres 2001 und 2003 entstanden ist, als die Taliban Regierung im Oktober/November 2001 von den Amerikanern gestürzt wurde, entstanden ist. Damals ist es vorgekommen, dass nördlich von Kabul bis Parwan und Kapisa die tajikischen Mujaheddin unter Massoud einige Taliban auf solche Art-und Weise geschändet und damit sie sich symbolisch an den Taliban gerächt haben. Diese Szene ist auf keinen Fall in der Umgebung der Stadt Kunduz im Jahr 2015 entstanden" (Seite 27 und 28 des Einvernahmeprotokolls).

 

Aus dieser gesamten Beweiswürdigung heraus, geht das Gericht davon aus, dass der Vater des BF an der Front zurzeit der Einnahme Kunduz im Sommer 2015 getötet wurde, der BF jedoch keine aktiven Tätigkeiten gegen die Taliban verrichtete oder Teil einer Schändung eines Talibans war. Aufgrund dessen wird der BF auch nicht von den staatlichen Behörden gesucht und muss keine Verfolgung dieser befürchten. Das Video wird von XXXX stammte, welcher Kommandant in Baghlan war (Seite 6 des 1. Verhandlungsprotokolls) und ihm bei der Ausreise aus Afghanistan half. Diese Provinz liegt neben Parwan und Kapisa.

 

So ist auch die Aussage bei der Einreise des BF schlüssig nachvollziehbar und auch, dass er danach mit seiner Familie nach Kabul zog und wie er selbst angab, "danach" (Ersteinvernahmeprotokolls) nach Europa ausreiste.

 

Auch sein Argument, dass auch XXXX , ein Freund von seinem Onkel, welcher auch verletzte Taliban getötet habe, noch immer im Polizeigefängnis in Poli-Chariki ist (Seite 6 des Einvernahmeprotokolls), konnte seitens des Gutachter nicht bestätigt werden. "Diese Person stammt aus Khan-Abad. Khan Abad ist, auch ein Distrikt in Kunduz und gehört nicht zum Abstammungsdistritk von XXXX . XXXX war ein Bandit und hat Leute wegen Geld erpresst und auch getötet. Deshalb ist er vom Gericht zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt worden und sitzt seit ca. 7 Jahren im Gefängnis von Poli-Charikhi in Kabul." (Seite 28 des 2. Verhandlungsprotokolls).

 

Der BF widersprach nicht konkret den Ausführungen des Gutachters, sondern bestätigte, dass der Sachverständige seine Arbeit gemacht und seine Information in Kunduz gesammelt und sich bemüht hat (Seite 31 des 2. Verhandlungsprotokolls). Der BF gab keine weitere Erklärung ab.

 

Dass es in der Provinz Kunduz zu Auseinandersetzungen mit den Taliban kommen kann ist glaubwürdig zumal diese Region von den Taliban, gem. den Länderberichten, teilweise beherrscht wird und die Hauptstadt immer wieder eingenommen wurde.

 

2.3. Zur Situation im Falle einer Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat

 

Wenn der BF nunmehr zurückkehrt ist er von keiner Verfolgung betroffen. Zumal der BF keine aktiven Tätigkeiten gegen die Taliban ausführte. Er wurde auch nicht wegen einer etwaigen politischen Gesinnung seines Großvaters bisher verfolgt und erscheint daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als gegeben, dass er nunmehr von politischen Behörden oder Dritten verfolgt wird, da auch die etwaige Mitgliedschaft seines Großvaters bei einer Partei über 20 Jahre her ist. Aber auch wenn der Vater des BF Arbaki war und von den Taliban bedroht und getötet wurde, so ist eine Bedrohungssituation nicht mehr gegeben. Es erscheint nicht denklogisch, dass der BF bedroht werden sollte, zumal der Vater tot ist und daher auch die nationalen oder internationalen Organisationen nicht unterstützt. Die Taliban hätten dadurch kein Interesse mehr an den BF.

 

Weiters würde der BF in andere Großstädte wie Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif ausweichen können und wäre dort in Sicherheit vor Verfolgung der Taliban. Der BF war selbst nie als Arbaki tätig und half seinem Vater auch nicht bei dessen Tätigkeit. Er fuhr nur mit, z. B. wenn er seinen Freund XXXX in Baghlan besuchte. (Seite 21 des 2. Verhandlungsprotokolls). Auch wenn die UNHCR-Richtlinien davon spricht, dass auch Verwandte von Angehörigen der ANSF bzw. ANP einer Verfolgung unterliegen können, so war weder der Vater noch der Großvater des BF Mitglied der ANSF oder der ANP. Er war kein Polizeibeamter, sondern Arbaki. Aber auch Arbaki unterliegen einem erhöhten Risiko einer Verfolgung in Afghanistan. Der Vater des BF war jedoch in keiner herausragenden Stellung, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Sohn nach über vier Jahren noch einer Verfolgung unterliegt bzw. bei Ansiedelung in einer anderen Region die Taliban unter Zuhilfenahme ihres Spitzelwesens nach ihm suchen würden. Auch hierfür gibt es in den vorliegenden Berichten und Richtlinien keine Anhaltspunkte dafür, dass solche Verwandte über weite Strecken und in anderen Gebieten nach Jahren noch gesucht werden, zumal sie selbst nicht aktiv gegen die Taliban aufgetreten sind und der Vater bereits verstorben ist und daher keine Gefahr mehr darstellt.

 

Die Städte verfügen über kein Meldesystem, wie auch aus den Länderberichten ersichtlich, und kein enges Familienmitglied arbeitet für staatliche oder internationale Organisationen oder für das Militär oder ist eine sonstige high-profile Person. Es wäre daher auch kein Interesse an den BF gegeben.

 

Die Feststellungen zur Situation im Falle der Rückkehr des BF in seine Herkunftsprovinz bzw. in die Städte Mazar-e-Sharif oder Herat ergeben sich aus den angeführten Länderberichten und seiner individuellen Situation.

 

Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das BVwG daraus, dass aufgrund von § 5 Abs. 2 BFA-Einrichtungsgesetz vorgesehen ist, dass die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (als allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind. Die Dokumentation ist weiters in Bezug auf Fakten, die nicht oder nicht mehr den Tatsachen entsprechen, zu berichtigen. Eine allenfalls auf diesen Tatsachen aufbauende Analyse ist schließlich richtig zu stellen. Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Informationen über die Lage im Herkunftsstaat regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind. Aber auch den UNHCR-Richtlinien und den ACCORD-Anfragen ist ein Beweiswert zuzubilligen.

 

2.3.1 Westliche Orientierung des BF:

 

Bezüglich der Rückkehrer aus Europa ist nicht ersichtlich, dass es hier zur Verfolgung gegen diese Personengruppe kam, wenngleich es teilweise zu Diskriminierung gem. den UNHCR-Richtlinien kommen kann. Es sind tausende von Leuten wieder nach Afghanistan aus Europa oder Pakistan zurückgekehrt und der BF ist nicht so exponiert, dass gerade er verfolgt werden würde, auch konnte hier keine individuelle Bedrohung glaubhaft dargelegt werden. Der BF hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht, hat dort seine Kindheit und Jugend verbracht. Weiters hat er dort die Schule besucht und gearbeitet. Er lebte im afghanischen Familienkreis und bezeichnet eine der Landessprachen, Dari, als seine Muttersprache und versteht Usbekisch, Arabisch und Paschtu.

 

Auch zeigten seine bisherigen Integrationsaktivitäten nicht, dass der BF eine so starke "Verwestlichung" verinnerlicht hat, dass ein Einordnen in die afghanische Kultur nicht mehr möglich ist, zumal er selbst auch angab kaum Kontakt zu anderen Österreichern zu haben.

 

Auch ist aus den Länderfeststellungen ersichtlich, dass auch Rückkehrern aus Europa Unterstützung zugesagt wird, sodass eine Eingliederung möglich ist.

 

2.3.3 Rückkehr in die Heimatprovinz des BF bzw. nach Mazar-e-Sharif oder Herat:

 

Bezüglich der Rückkehr nach Afghanistan in die Provinz Kunduz ist ersichtlich, dass die Reise dorthin eine Gefahr für seinen Leib und Leben ist. Die Provinz wird als volatile Provinz bezeichnet und das Erreichen dieser Ortschaften ist nicht sicher. So sind bewaffnetet Aufständische in unterschiedlichen Distrikten vorhanden und Teile und der Herrschaft der Taliban. In einer Zusammenschau wäre der BF daher mit großer Wahrscheinlichkeit in Gefahr einen ernstlichen Schaden zu erleiden.

 

So kommt für ihn als innerstaatliche Fluchtalternative nach Herat oder Mazar-e Sharif in Frage. Ein Verweis nach Kabul ist nicht notwendig.

 

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation wurde dem Beschwerdeführer zur Verfügung gestellt; es wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführer trat den getroffenen Feststellungen nicht substantiiert entgegen, brachte jedoch eigene Quellen ins Verfahren ein, die berücksichtigt wurden.

 

Aus den aktuellen Berichten ist jedoch ersichtlich, dass die Situation in den Provinzen Balkh und Herat zwar angespannt, die beiden Städte Mazar-e-Sharif und Herat als relativ sichere Städte gelten. So sind auch in den aktuellen Länderberichten oder der UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018 keine Anschläge in diesen beiden Städten auf zivile Opfer im täglichen Leben ersichtlich, die den Umfang erreichen, dass es sich bei diesen Städten um eine volatile Situation handeln würde. Auch konnte die Beschwerde keine dementsprechende unsichere Lage vorbringen. Das BVwG hat sich, insbesondere bei Länder mit stark veränderbaren Situationen auf die aktuellsten Berichte zu beziehen und dies daher auch mit den letzten Berichten 2019 bis zum Entscheidungsdatum abgeglichen. Die in der Beschwerde vorgebrachten Sicherheitsvorfälle bezogen sich zumeist auf die Bereiche Kabul. Für den Bereich Mazar-e-Sharif und Herat wurden keine entsprechenden Sicherheitsvorfälle vorgebracht, die Vorbringen stellen zumeist die allgemeine Sicherheitslage dar. Es zeigt sich auch aus den neueren Daten, wie durch das Gericht eingebracht, dass sich die Sicherheitslage in den beiden Städten zwar nicht verbessert hat, die Angriffe und Ziele jedoch, wie in den Einzelfällen dargelegt auf high profile Personen gerichtet sind, sowie gegen Vertreter von staatlichen oder internationalen Regierungs- oder Nichtregierungsorganisationen. Der BF ist kein Mitglied einer solchen Organisation, sodass für ihn die Bewertung der beiden Städte als nicht volatil gilt.

 

Zur wirtschaftlichen Situation in diesen beiden Städten ist in den aktuellen Berichten weiterhin ersichtlich, dass die Situation angespannt ist, jedoch nicht jeder, der in die Städte geschickt wird in eine ausweglose Situation geraten würde. Insbesondere für junge, alleinstehende, nicht vulnerable Männer ist eine Ansiedlung in diesen beiden Städten möglich, jedoch ist auch hier auf den individuellen Umstand einzugehen. Der BF hat Berufserfahrung in Österreich gesammelt ist gesund und arbeitsfähig. Weiters hat er keine Sorgepflichten. Auch die Berichte zeigen, dass obwohl eine lange Dürre in dieser Region vorhanden war, die Mehrheit der befragten Bewohner der Stadt Mazar-e Sharif im Zeitraum 2010-2017 ihre Versorgung mit Gütern, wie auch die Qualität der von ihrem Haushalt konsumierten Lebensmittel und ihre Wohnungssituation als gegenüber dem Vorjahr gleichbleibend ein. Wenngleich sich die Arbeitssituation verschlechtert hat und dadurch auch für die Personengruppe wie der BF eine Ansiedlung problematisch sein kann. Die Anzahl an Neuankünften verringerte sich, was wohl zu einer Entspannung am Wohnungs- und Versorgungsmarkt führen wird. So ist besonders das Umland, aber nicht die Stadt, von Mazar-e Sharif betroffen. Es ist auch anzumerken, dass es in der Stadt Herat zu Preissteigerungen gekommen ist, die Löhne 2018 gesunken sind (zu Beginn der Landflucht), in Mazar-e Sharif jedoch im Jahr 2018 die Löhne gestiegen sind, aber Teile der Lebensmittel bzw. Grundnahrungsmittel wie Getreidepreise relativ stabil blieben- die Beschwerde konnte hier auf keine aktuellen Zahlen verweisen -, während die Angebote für Weizenkörner und Reis gesunken sind. So wird die Versorgungslage für Bewohner dermaßen dargelegt, dass für den Zeitraum Juni bis September 2019 zufolge sich die Stadt Herat in der zweithöchsten Stufe des von FEWS NET verwendeten Klassifizierungssystems befindet. Masar-e Scharif befindet sich im selben Zeitraum in Phase 1 des Klassifizierungssystems (FEWS NET, 25. Juli 2019 (http://fews.net/central-asia/afghanistan )) und aktuell in Phase 2. In Phase 1, auch "minimal" genannt, sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2, auch "Stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden. Weiters sind auch in den beiden Städten verschiedene Wirtschaftsprojekte am Laufen.

 

Gesamt betrachtet ist die Lage für Rückkehrer angespannt und problematisch, jedoch nicht ersichtlich, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Situation geraten würde, zumal er neben seiner Arbeitsfähigkeit auch die afghanische Landessprache beherrscht, die Kultur der Afghanen kennt, da er in seinem Familienkreis aufgewachsen ist. Dass der BF mangels Ausweis bzw. afghanischen Dokumenten an einer generellen Arbeitsaufnahme gehindert sein sollte oder nicht in der Lage wäre, eine Wohnung zu mieten, ist der Quellenlage insgesamt nicht zu entnehmen. Die Gesundheitsversorgung ist zudem vorhanden und teilweise kostenlos. Durch das Projekt RESTART II, welche ua. durch das BMI kofinanziert wird, kann eine Hilfe bei der Rückkehr erfolgten. Ein weiteres Rückkehrprogramm ist ERIN. Weiters unterstützt die von der EU finanzierte Return Assessment and Development for Afghanistan (RADA) - Programme zur Reintegration von über 30.000 gefährdeten Afghanen, welche aus Europa, Pakistan und dem Iran nach Afghanistan zurückkehren. Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist in Herat-Stadt relativ gut. Durch die internationalen Flughäfen ist ein gesicherter Zugang möglich, etwaige Anschläge am Flughafen oder vom Flughafen in die Stadt sind - mit Ausnahme von high profile Angriffen - nicht bekannt.

 

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Zulässigkeit und Verfahren:

 

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

 

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

 

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

3.2. Rechtlich folgt daraus:

 

Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 19.06.2018 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidungen dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

 

Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde. Dem BF wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahme vor dem BFA - unter Zuhilfenahme eines geeigneten Dolmetschers - ausreichend rechtliches Gehör gewährt.

 

Zu Spruchteil A):

 

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. (§ 3 AsylG) des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ) verweist).

 

Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus "wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).

 

Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in der konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. die Erkenntnisse des VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131, sowie vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128, sowie vom 23.01.2006, Zl. 2005/20/0551); diese muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113.

 

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).

 

"Glaubhaftmachung" im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. die Erkenntnisse des VwGH 23.01.1997, 95/20/0303, sowie 28.05.2009, 2007/19/1248) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden (VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0162, mwN), die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

 

Die vom BF vorgebrachte Verfolgung aufgrund der Schändung und Tötung von Taliban erscheinen dem Gericht nicht als glaubhaft. Im Rahmen des Asylverfahrens brachte der BF in Abweichung zur Erstbefragung vor, dass er bei der Ermordung von Taliban anwesend war und seinem Cousin geholfen habe, den Leichnam eines Taliban namens XXXX an ein Motorrad anzubinden und ihn zu schänden. Aufgrund dieser Tätigkeit sei der BF sowohl von den Taliban als auch von den staatlichen Behörden gesucht und verfolgt. Im Zusammenschau mit den Erhebungen des Sachverständigen für Afghanistan Dr. XXXX , ergab sich für das Gericht, dass der BF zwar Sohn eines Arbaki war, welcher auch in der Zeit der Einnahme der Stadt Kunduz im Sommer 2015 getötet wurde, aber der BF selbst nie aktiv gegen die Taliban agierte. Sowohl das Vorbringen während des Angriffes auf das Haus des BF - indem sein Vater zu dieser unsicheren Zeit bei Dunkelheit und unbekannten Anruf das Haus verließ - als auch die Tatsache, dass der BF auf den Fotos und dem Video nicht in Zusammenhang mit dem toten Taliban ersichtlich war, mochte der BF, dass Gericht nicht davon zu überzeugen, dass dieser Vorfall tatsächlich stattgefunden hat. Der Sachverständige konnte durch Ermittlungen und Nennung von vor Ort aktiven Arbaki-Kommandanten darlegen, dass eine solche Schändung zu dieser Zeit nie stattgefunden habe. Der BF selbst bestätigte, dass die Auskunftsperson bekannt ist und die Arbaki kennen würde. Diese Auskunftsperson gab auch die Todesursache ident wieder mit jener, welcher der BF bei seiner Ersteinvernahme im Dezember 2015 angab. Auch konnte aufgrund der Befunderhebung der Sachverständige feststellen, dass eine solche Schändung zu der vom BF angegebenen Zeit niemals möglich gewesen wäre, sondern eine entsprechende im Jahr 2001 bis 2003. Auch gab der Sachverständige an, dass eine solche Schändung im Raum nördlich von Kabul möglich gewesen sei, nicht jedoch in der Region um Kunduz, da hier die Taliban zu viel Einfluss haben.

 

Auch die Zugehörigkeit zu einer politischen Gesinnung oder Partei des BF war nicht glaubhaft. Die Geschehnisse um seinen Großvater kennt der BF nur vage und vom Hörensagen. Er kannte weder die tatsächlichen Mörder noch den tatsächlichen Grund, wie er selbst auch angab, da er nicht dabei war. Die Parteimitgliedschaft seines Vaters war ebenfalls nur grob und unglaubwürdig skizziert. So gab er an, dass alle Tadschiken Parteimitglied seien und keine offizielle Eintragung existiert. Andererseits gab er an, dass sein Vater ausgetreten sei (vor dem BFA) und vor Gericht steigerte er seine Angaben, damit, dass sein Vater bis zum Lebensende Mitglied war. Der BF gab aber zu keinem Zeitpunkt an, dass er oder sein Vater aufgrund ihrer politischen Gesinnung bedroht worden sind. Der BF konnte 10 Jahre lang die Schule besuchen und gab kein konkretes Ereignis an, wo er bedroht worden sei. Auch vor dem Gericht gab er keine aktuelle politische Gesinnung an. Der BF gehört der zweigrößten Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Er gab auch hierzu keine konkreten Bedrohungen an, noch sind solche aus den vorliegenden und in das Verfahren eingebrachten Berichten und Richtlinien ersichtlich.

 

Aus der Beurteilung der Angaben des BF in der Verhandlung und den Angaben des Sachverständigen, glaubte das Gericht nicht, dass der BF von den Taliban verfolgt wird. Auch wenn eine Tötung des Vaters durch eine Straßenbombe der Taliban, im Zuge der Einnahme von Kunduz erfolgte, so ist es nicht glaubhaft, dass der BF nunmehr von diesen gesucht wird, zumal weder der Vater noch enge Familienangehörige nunmehr aktiv Tätigkeiten gegen die Taliban durchführen. Auch die UNHCR-Richtlinie sehen, gewisse gefährdete Personen, wie staatliche Beamte, Soldaten und deren Familienangehörige als gefährdet am. Es ist jedoch aus diesen Richtlinien und Berichten nicht ableitbar, dass jede verwandte Person, ein dermaßen hohes Interesse der Taliban erweckt, sodass diese Familienmitglieder in anderen Städten aufgespürt werden und Vergeltung geübt wird, zumal der BF keine Handlungen aktiv gegen die Taliban vollzog. Der Herkunftsort des BF, Kunduz spielt für die Taliban eine zentrale Rolle, wie auch in den Länderinformationen ersichtlich und es ist wahrscheinlich, dass der BF in Kunduz eine Auseinandersetzung mit den Taliban haben wird. Eine gezielte Aktion gegen den BF wurde nicht vorgebracht und ist auch nicht glaubwürdig. Ein Verweis in sichere Gegenden wie Mazar-e Sharif oder Herat ist jedoch möglich, zumal diese Städte nicht im Herrschaftsbereich der Taliban stehen.

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann allerdings nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

 

Eine Verfolgung durch den Staat Afghanistan wurde nicht glaubhaft vorgebracht und auch nicht festgestellt. Da der BF keine verwundeten und nicht mehr am Kampfgeschehen teilnehmenden Taliban getötet hat, besteht auch kein Interesse der staatlichen Behörden an der Verfolgung des BF.

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erreichen, müssen konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden (VwGH 10.03.1994, 94/19/0056). In diesem Zusammenhang hat der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darzustellen (EGMR 07.07.1987, Nr. 12877/87, Kalema/Frankreich).

 

Die vom BF genannten Gründe bezüglich der Verfolgung in Afghanistanwie in der Beweiswürdigung erläutert - konnten dahingehend keine positiven Feststellungen getroffen werden, dass der Beschwerdeführer seine Herkunft aus Gründen der in der GFK genannten Gründen verlassen hat bzw. eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich ist.

 

Aus dem gesamten Vorbringen ist zudem nicht ersichtlich, auch wenn der Vater Arbaki war, weshalb der Beschwerdeführer für die Taliban oder andere Personen eine derartige Bedeutung besessen hätte, als dass sie ihn Jahre später in Afghanistan ausfindig machen und gezielt verfolgen würden. Hinzu kommt, dass in Afghanistan kein Meldewesen existiert und scheint es dem Gericht auch nicht überzeugend, dass der gegen den BF eine Verfolgung stattfinden wird.

 

Das Vorbringen einer allgemeinen schlechten Sicherheitslage in Afghanistan alleine reicht nicht aus um darzulegen, dass eine Verfolgung gegen den BF stattfinden wird. Wenn auch im Rahmen der Länderfeststellungen auf die Aktivitäten von Taliban und IS in Afghanistan hingewiesen wird, ist in Erinnerung zu rufen, dass eine Verfolgungsgefahr nur dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131, 28.05.2009, 2008/19/1031).

 

In Ermangelung von den BF individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Licht der Rechtsprechung des VwGH zu prüfen, ob der BF im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen seiner Zugehörigkeit zu Rückkehrern Europa oder einer "Verwestlichung"- unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

 

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger, welcher nur derart kurz, eine weitere Sozialisierung in Europa erlangte im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das BVwG jedoch nicht finden und ist aus den Länderberichten und der Richtlinie nicht ableitbar.

 

Es liegen auch keine spezifischen Berichte vor und wurden auch in der Beschwerde nicht vorgebracht, die darlegen können, wonach eine Verfolgungsgefahr auch darin begründet sein kann, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, auch er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein, welche die asylrelevante Intensität erreichen. Auch wenn es vereinzelt zu Diskriminierungen oder Benachteiligungen gekommen ist, so ist die Intensität, von einer Verfolgung iSd GFK nicht erreicht. So sind tausende Flüchtlinge aus Europa zurückgekehrt und es wurde nicht dargelegt, warum der BF einer entsprechenden Verfolgung ausgesetzt sein würde, zumal auch Personen aus dem Iran oder Pakistan zurückkehrten, welche nie in Afghanistan gelebt haben und verhältnismäßig nur kurz in Europa lebten.

 

Zudem ist es dem Beschwerdeführer - wie bereits dargelegt - nicht gelungen, eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung iSd GFK auf Grund seiner Eigenschaft als Rückkehrer aus Europa (und somit dem "westlichen Ausland") iVm einer "westlichen" Orientierung glaubhaft zu machen. Der BF ist nicht exponiert vor dem Gericht aufgetreten, welches ein gleiches Auftreten in Afghanistan verhindern würde. So ging der BF in Österreich zunächst eine Beschäftigung nach und hatte Kontakt mit anderen Österreichern, er tätigte jedoch keine exponierten Angelegenheiten. Er gab selbst an, dass er nunmehr zumeist in seiner Unterkunft ist und kaum noch Kontakt mit anderen Österreichern hat.

 

Auch aus der wirtschaftlich schlechten Lage in Afghanistan lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. VwGH 28.06.2005, 2002/01/0414). Wirtschaftliche Benachteiligungen einer ethnischen oder sozialen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, kann grundsätzlich asylrelevant sein (vgl. VwGH 06.11.2009, 2006/19/1125). Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, reicht auch der Verlust (oder die Schwierigkeit der Beschaffung) eines Arbeitsplatzes nicht aus, eine Asylgewährung zu begründen, solange damit nicht eine ernsthafte Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden ist (VwGH 19.06.1997, 95/20/0482).

 

Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.

 

Es kann demnach nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer, der der zweitgrößten Volksgruppe der Tadschiken angehört, sunnitischer Muslim ist, im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale einer Verfolgung aus in der GFK genannten Motiven ausgesetzt wäre. Es wird aber auch darauf verwiesen, dass der BF zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens angegeben hat, dass er eine etwaige Verfolgung in Afghanistan aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder wegen seiner Religionszugehörigkeit befürchte.

 

Wie aus den Feststellungen im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung hervorgeht, konnte auch keine aktuelle asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan festgestellt werden.

 

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist nicht hervorgekommen.

 

3.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. (§ 8 AsylG) des angefochtenen Bescheides:

 

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 Abs. 1 und Abs. 3 sowie des § 11 AsylG lauten:

 

"§ 8 (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

[...]

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

[...]

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

[...]

 

§ 11 (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen."

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen waren, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 21.02.2017, Ro 2017/18/005).

 

In seinem Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 hat der VwGH auch unter Bezugnahme auf dazu ergangene Urteile des EGMR ausgeführt, dass die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art 3 EMRK verstoßen würde. Insofern obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Dabei reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden Sicherheitslage ist eine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die regional - sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt - unterschiedliche Sicherheitslage nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 20.09.2017, Ra 2017/19/0205).

 

Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 218, mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Appl. 25.904/07, NA gegen Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), auf Grund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 217).

 

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EG ) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji, und vom 30.01.2014, C-285/12, Diakité).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg Vereinigtes Königreich, Zl 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl 44599/98). Der EGMR geht allgemein davon aus, dass aus Art 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art 3 EMRK führen (vgl. für mehrere. z. B. Urteil vom 02.05.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

 

Im Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, hielt der VwGH zu § 11 Abs. 1 AsylG fest, dass mit dieser Norm der österreichische Asylgesetzgeber von der in Art 8 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, dem Asylwerber keinen internationalen Schutz zu gewähren, sofern er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat oder keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht (lit. a) oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden gemäß Art. 7 Statusrichtlinie hat (lit. b), und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen kann, wie es auch andere Landsleute führen können. Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung ist das Kriterium der "Zumutbarkeit" nach § 11 Abs. 1 AsylG gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen.

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind.

 

In der Heimatprovinz des BF sind regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische in unterschiedlichen Distrikten aktiv. Insofern ist die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF derart unsicher, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er liefe allein durch seine dortige Anwesenheit bzw. auf den Weg dorthin tatsächlich Gefahr, einer Verletzung des Art 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Wenngleich der BF sich aufgrund der volatilen Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz Kunduz nicht niederlassen kann bzw. der Weg auch dorthin unsicher ist, so kann der BF sich konkret in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat niederlassen. Die entsprechenden Berichte zeigen keine konkrete Sicherheitslage auf, die den BF aufgrund der Anwesenheit zu einer des Art. 3 EMRK gefährdeten Situation bringt. Auch die Versorgungslage ist entsprechend.

 

Die genannten Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, sind daher sicher erreichbar und stehen unter der Kontrolle der Regierung. Wenngleich es auch dort zu vereinzelten Anschlägen auf symbolträchtige Ziele kommt, muss ein gesunder Erwachsener ohne spezielle Vulnerabilitäten nicht damit rechnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Von einem völligen Zusammenbruch von Recht und Ordnung bzw. Anarchie kann nicht die Rede sein. Die verzeichneten Anschläge bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ereignen sich hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen afghanisches Sicherheitspersonal, die Regierung (deren Mitarbeiter) und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren.

 

Eine pauschale Gefahr für den BF wie in den UNHCR-Richtlinie teilweise dargelegt, dass nur wenige Städte von Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte, die gezielt gegen Zivilisten vorgehen, verschont bleiben - ist in diesen Städten nicht ersichtlich. UNHCR stellte fest, dass gerade Zivilisten, die in städtischen Gebieten ihren tagtäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer dieser Gewalt zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen. Laut den Länderberichten sind in diesen beiden Städten keine entsprechenden Anschläge auf Zivilpersonen im alltäglichen Lebensbereich ersichtlich. Auch konnte in der Beschwerde keine dementsprechende Sicherheitslage vorgebracht werden, in welcher die Gefahr besteht, dass der BF Opfer von Gewalt werden würde. Die letzten Anschläge sind vorwiegend auf öffentliche Einrichtungen, Islamgelehrtentreffen oder Anschläge bei Wahlen geprägt gewesen. Sodass nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit gerechnet wird, dass der BF einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre.

 

Wie der VwGH aber auch der VfGH (VwGH v. 23.01.2018, Ra 2018/18/001 und VfGH 12.12.2017 E2068/2017-17) festgestellt hat ist unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien - nun aktuell von 30.08.2018, wie oa.- bei der Beurteilung, ob einem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren abhängig. Dazu müssen die persönlichen Umstände des Betroffenen, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Zum Aspekt des wirtschaftlichen Lebens führt der UNHCR ua. aus, dass einen voraussichtlich niedrigeren Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation keine ausreichenden Gründe seien, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Im gegenständlichen Fall liegt bei den beiden Städten ein Gebiet vor, welches aufgrund der staatlichen Sicherheit als nicht volatile Gegend bezeichnet wird und daher eine Gefahr einen ernsthaften Schaden nach Art. 15 lit. a und b. der Statusrichtlinie nicht zu erwarten ist.

 

Dem BF ist es möglich durch den jeweiligen internationalen Flughafen sicher die Orte zu erreichen. Es ist ihm möglich einen Zugang zu diesen Städten zu erlangen und nicht der Gefahr einer Misshandlung ausgesetzt zu sein. Die Risiken durch den weitverbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) sowie durch Landminen und explosive Kampfmittelrückstände (ERW) oder durch Anschläge und Kämpfe auf Straßen sowie durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Zivilisten durch regierungsfeindliche Kräfte ist in Zusammenschau mit den Länderberichten in den beiden Städten nicht gegeben, die als sicher eingestuft sind und keine dementsprechenden Opferzahlen meldeten.

 

Weiters ist die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative zu prüfen, welche unter Heranziehung der UNHCR-Richtlinie folgende Sachverhaltselemente, welche zunächst festzustellen sind, beinhaltet.

 

Ob eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative "zumutbar" ist, muss im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Antragstellenden beurteilt werden; maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse sowie der jeweilige Bildungs- und Berufshintergrund.

 

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen. Auch in den geltenden EASO-Richtlinie ist die Rückführung von nicht vulnerablen, jungen, alleinstehenden Männer unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation grundsätzlichen nicht ausgeschlossen, wenngleich problematisch.

 

So ist hier die Einzelsituation des BF zu berücksichtigen. Der BF hat keine familiäre Unterstützung in diesen Städten ist jedoch aufgrund seines persönlichen Umstandes, jung - älter als 18 Jahre-, arbeitsfähig und besitzt Berufserfahrung. Er hat keine körperlichen oder geistigen Einschränkungen oder sonstige Vulnerabilität. Der BF lebte bis zu seinem 22. Lebensjahr in Afghanistan. Er kennt den afghanischen Kulturkreis, zumal er in einer afghanischen Familie aufgewachsen ist und auch in Österreich mit anderen Afghanen zusammenarbeitete. Er spricht die Landessprache Dari und kann in dieser Sprache schreiben und lesen und versteht Arabisch, Paschtu und Usbekisch. Der spezifische Bedarf einer Vulnerabilität ist jedoch gefordert, um nicht in die Ausnahmebestimmungen der UNHCR-Richtlinie zu fallen bzw. ist eine individuelle Beurteilung des BF gem. den EASO-Richtlinien notwendig. Dass der BF seit vier Jahren in Europa lebte mag die spezifische Vulnerabilität nicht begründen (vgl. VwGH 10.09.2018, Ra2018/19/0302). Durch die Unterstützung der Programme ERIN und RESTART II, sowie der Rückkehrhilfe in Afghanistan, wie in den Länderberichten ersichtlich, kann der BF die notwendige Infrastruktur, wie Unterkunft und notwendige Infrastruktur erhalten, das Vorliegen von afghanischen Personendokumenten ist nicht erforderlich. Die beiden Städte verfügen über die notwendige Gesundheitsversorgung und der notwendigen Wirtschaft um eine Ausbildung bzw. Beruf zu erhalten, wenngleich es eine schwierige Situation für den BF vorhanden ist. Zur wirtschaftlichen Situation von den Städten Mazar-e-Sharif und Herat aufgrund der Dürre ist anzuführen, dass aus den Länderberichten und Anfragen ersichtlich ist, dass die Situation schwierig ist, jedoch keine ausweglose Situation beschrieben ist, zumal der BF für sich alleine sorgen muss, gesund und arbeitsfähig ist.

 

Im Übrigen hat auch der VwGH in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden, würde für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. (ebd. Ra 2018/18/001). Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat entgegenstehen würden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führten zum Ergebnis, dass dem BF eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat möglich und auch zumutbar ist.

 

Dem BF war daher angesichts der Judikatur des EuGHs und der jüngst dazu ergangenen Rechtsprechung des VwGH der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

3.5. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis V. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

"1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen,

(...)

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der BF Opfer von Gewalt wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines solchen Grundes behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Gem. § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gem. § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG, und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG ergangen.

 

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Gem. § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht (VwGH vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018 Ra 2017/21/0218).

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518). 311)

 

Da der Beschwerdeführer über keine Familienangehörige oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich verfügt, ist ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd. Art 8 EMRK auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte allerdings in das Privatleben des BF eingreifen.

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). Art 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in:

Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessensabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der VfGH und der VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfGH 17.03.2005, G78/04 ua; VwGH vom 26.06.2007; 2007/01/0479). Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Es sind - unter der Schwelle des Art 2 und 3 EMRK - auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

 

Im gegenständlichen Fall reiste der BF illegal in das österreichische Bundesgebiet ein (vgl. dazu VwGH 22.01.2009, 2008/21/0654). Er hält sich bislang vier Jahre lang in Österreich auf, somit nicht so lange, als dass man nach vorhin angeführter Rechtsprechung des VwGH von einem schützenswerten Privatleben in Österreich ausgehen könnte. Der bisherige Aufenthalt des BF in Österreich ist ausschließlich auf seinen Antrag auf internationalen Schutz gestützt, wodurch er nie über ein Aufenthaltsrecht, abgesehen des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts aufgrund seines Antrags auf internationalen Schutz, verfügt hat. Die Dauer des Verfahrens übersteigt mit vier Jahren auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechenden Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, indem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig scheinen lassen. (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.01/09).

 

Selbst wenn man vom Vorliegen schützenswerten Privatlebens ausginge, wäre der Eingriff in dieses Recht durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig:

 

Dass der BF ist jedoch nicht vorbestraft, mag für sich alleine keine positive oder negative Entscheidung herbeiführen.

 

Die sozialen Kontakte in Österreich sind nur teilweise vorhanden. Der BF hatte Kontakt mit anderen Österreichern, wobei dieser Kontakt nunmehr fast nicht mehr vorhanden ist. Er besuchte Kurse und absolvierte Prüfungen für den Pflichtschulabschluss und lernt zurzeit weiterhin Deutsch. Er ist jedoch weder in einem Verein noch hat er ehrenamtliche Tätigkeiten vorgebracht. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

 

In diesem Zusammenhang ist jedoch auch zu beachten, dass der BF für die Dauer seines Asylverfahrens in Österreich stets nur vorläufig aufenthaltsberechtigt war. Er musste von vornherein damit rechnen, dass es im Falle einer negativen Entscheidung über den Asylantrag zu einer Beendigung des Aufenthalts kommt. Eine Ausweisung - im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung - in derartigen Fällen, in denen sich die betroffene(n) Person(en) der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus bewusst sein musste(n), könne nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen (vgl. hierzu zB: EGMR 11. 04. 2006, Useinov v. The Netherlands, Appl. 61.292/00 bzw. EGMR 08. 04. 2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06).

 

Den schwach ausgeprägten privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB: VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Der BF hat sein Leben in Afghanistan verbracht und dort seine Sozialisation bei seiner Familie erfahren. Er beherrscht die Sprache Dari, eine der Landessprachen von Afghanistan. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich in die afghanische Gesellschaft eingliedern können wird, zumal er mit den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten vertraut ist.

 

Der BF benötigt in Österreich keine medizinische Behandlung, welche er in seinem Herkunftsland nicht bekommen würde (siehe dazu VwGH 28.04.2015, Ra 2014/180146 bis 0152; VwGH 29.02.2012, 20110/21/0310 bis 0314 und 210/21/0366; VfGH 21.09.2015, E332/2015). Beim BF liegt keine besondere Vulnerabilität vor.

 

In einer Gesamtbetrachtung iS des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG liegen vor. Da der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass dem BF kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Der BF hat weder behauptet über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen noch ist ein solches im Ermittlungsverfahren hervorgekommen.

 

Die Erlassung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.

 

§ 50 FPG lautet:

 

"(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre."

 

Das Vorliegen eines entsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG verneint.

 

Abs. 2 lautet:

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG verneint und eine innerstaatliche Fluchtalternative angenommen.

 

Abs. 3 lautet:

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

 

Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

 

Der VwGH hatte in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist, was es verunmöglicht, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

 

Umstände, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK führen würden, aber für eine Zuerkennung von subsidiären Schutz nicht in Betracht kommen (zu dieser Unterscheidung siehe VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106) sind demnach im Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG zu berücksichtigen, im gegeben Fall jedoch nicht vorhanden und auch nicht vorgebracht.

 

3.6. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. (Ausreisefrist) des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist mit 14 Tagen bzw. 2 Wochen festzulegen und die Beschwerde abzuweisen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben wurde. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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