BVwG W276 2195611-1

BVwGW276 2195611-111.3.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W276.2195611.1.00

 

Spruch:

W276 2195611-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Gert WALLISCH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch "Asyl in Not", gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.02.2019 zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

I.1. Der Beschwerdeführer ("BF") reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.02.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.02.2016 gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass es in seinem Land keine Sicherheit gäbe. Er habe gesehen, wie sie Leuten den Kopf abgeschnitten hätten. Manche sagten, dass es die IS gewesen seien und die anderen sagten, dass es die Taliban gewesen seien. Er habe Angst, dass ihm das gleiche passiere und deshalb sei er geflüchtet. Seine Frau und Kinder seien auch schon in eine andere Stadt in Afghanistan geflüchtet.

 

I.3. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien ("BFA") am 20.11.2017 gab der BF an, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischer Moslem sei. Er sei in XXXX in der Provinz XXXX geboren und aufgewachsen. Er habe keine Schule besucht. Er habe zehn bis zwölf Jahre in Kabul als Maurer gearbeitet. Sie hätten Grundstücke zum Anbau, der Rest sei mit Wald bewachsen, und weiters ein Haus. Einer seiner Brüder lebe in Mazar-e Sharif, der andere im Iran. Seine Brüder arbeiteten beide auf dem Bau. Seine Schwester sei verheiratet. Seine Mutter, seine Ehefrau und seine Kinder lebten in der Nähe des Heimatdorfes. Ein Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits lebten in seinem Geburtsort. Zwei Cousins mütterlicherseits studierten beide in Kabul. Ein Cousin väterlicherseits lebe in Österreich und ein Cousin mütterlicherseits lebe in Australien.

 

Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab er an, dass in ihrer Gegend zuerst drei und dann sieben Hazara entführt worden seien. Die Regierung habe trotz Protesten nichts dagegen getan. Der Dorfälteste habe deshalb entschieden, dass sie im Gegenzug Pashtunen entführen sollten. Der BF sei an zwei Entführungen von Pashtunen beteiligt gewesen. Bei der ersten Entführung habe der BF die Frauen nach Waffen durchsuchen sollen, dabei sei ihm die Maske vom Kopf gerissen worden. Es habe viele Spione unter den Pashtunen und in der Entführergruppe des BF gegeben. Bei der zweiten Entführung habe es eine Auseinandersetzung gegeben und ein Pashtune sei getötet worden. Danach sei die Regierung gekommen und habe mit ihnen verhandelt. Die Regierung habe versprochen, dass die entführten Hazara freigelassen werden, wenn zunächst die gefangenen Pashtunen freigelassen würden. Sie hätten die Pashtunen freigelassen, aber nur Leichen zurückbekommen. Daraufhin hätten sich die Leute in seinem Ort aufgeregt und demonstriert. Nach der Beerdigung der sieben entführten Hazara, habe die Regierung die ersten drei Entführten gesund freigelassen. Da aber die Gefahr da gewesen sei, dass die Pashtunen angreifen bzw. noch mehr Unruhe entstehe und sein Gesicht erkannt worden sei, habe der BF das Land verlassen müssen. In seiner Entführergruppe habe der BF etwa sechs Personen gekannt, davon seien vier im Gefängnis und einer sei von den Taliban getötet worden.

 

I.4. Mit angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 13.04.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI).

 

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass aufgrund der widersprüchlichen Angaben des BF in seiner Erstbefragung und bei seiner Einvernahme, seinem Unvermögen die Fragen der Behörde glaubhaft zu beantworten und der Tatsache, dass er keine nennenswerten oder glaubhaften Gründe vorbringen habe können wieso es ihm unmöglich sein sollte, in Kabul zu leben, das BFA keinerlei asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK feststellen könne. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten.

 

I.5. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde. Es wurde versucht, die Beweiswürdigung der belangten Behörde zu entkräften. Der BF halte seine Aussagen zu seinen Fluchtgründen, die er in der Einvernahme vor der belangten Behörde gemacht habe, aufrecht. Es wurde auf einen Artikel zur Entführung von Hazara aus Bussen in der Provinz Zabul verwiesen. Weiters wurden Berichte zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zitiert.

 

I.6. Am 30.08.2018 langte eine Beschwerdeergänzung des BF beim Bundesverwaltungsgericht ("BVwG") ein. In dieser wurden Länderberichte zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, zitiert.

 

I.7. Am 06.02.2019 fand vor dem BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seines Rechtsvertreters statt. Die belangte Behörde ist entschuldigt nicht erschienen. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts sowie Akteneinsicht wurde verzichtet. Der BF legte Bescheinigungsmittel vor. Von dem erkennenden Richter wurden Länderberichte und zahlreiche weitere Länderinformationen in das Verfahren eingebracht (vgl Pkt II.2 dieses Erkenntnisses). Der BF und sein Rechtsvertreter verzichteten auf eine Stellungnahme.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

II.1. Feststellungen:

 

II. 1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der BF führt den im Spruch genannten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

 

Der BF ist im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz XXXX geboren und aufgewachsen. Er hat keine Schule besucht. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan hat der BF zwölf Jahre lang in der Stadt Kabul gelebt und auf Baustellen als Maurer gearbeitet. Wenn er frei hatte, hat er seine Familie in seinem Heimatdorf besucht. Die Familie des BF besitzt in seinem Heimatdorf ein Haus und ein landwirtschaftliches Grundstück. Der BF hat für den Lebensunterhalt seiner Ehefrau und seiner Kinder gesorgt.

 

Der Vater des BF ist bereits verstorben. Die Mutter, die Ehefrau und die fünf Kinder des BF haben seit seiner Ausreise zumindest bis Dezember 2018 in der Nähe seines Heimatdorfes gelebt. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie unbegleitet nach Pakistan gezogen sind. Einer seiner Brüder lebt in Mazar-e Sharif, er besitzt einen kleinen Lebensmittelladen. Sein anderer Bruder lebt im Iran und arbeitet auf einer Baustelle. Seine verheiratete Schwester, sein Onkel und sein Cousin väterlicherseits sowie sein Onkel und sein Cousin mütterlicherseits leben im Distrikt XXXX . Ein Cousin mütterlicherseits studiert in Kabul. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt zu seiner Mutter, seiner Ehefrau und seinen fünf Kinder. Der Kontakt zu seinem Bruder in Mazar-e Sharif und zu seinen Cousins mütterlicherseits ist herstellbar.

 

II.1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

II.1.2.1. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund der Beteiligung an Entführungen von Pashtunen einer persönlichen Bedrohung oder Verfolgung durch pashtunische Spione oder Taliban in Afghanistan ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr dorthin ausgesetzt wäre.

 

II.1.2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie schiitischer Muslim vor seiner Ausreise aus Afghanistan bedroht wurde bzw. ihm bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat deswegen konkret und individuell physische oder psychische Gewalt droht.

 

II.1.2.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF wegen seines Aufenthalts in einem europäischen Land oder wegen seiner Lebensführung in Österreich konkret und individuell physische oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

 

II.1.3. Zur Situation des BF in Österreich:

 

Der BF befindet sich spätestens seit 05.02.2016 durchgehend im Bundesgebiet und ist illegal eingereist. Er ist gesund und ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

Er lebt von der Grundversorgung. Er ist in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen, und somit nicht selbsterhaltungsfähig. Der Cousin väterlicherseits des BF lebt in Österreich und der BF steht mit ihm in Kontakt. Er ist von seinem Cousin nicht finanziell abhängig und wohnt auch nicht mit ihm zusammen.

 

Der BF hat Alphabetisierungskurse besucht und nimmt laufend an Deutschkursen für das Sprachniveau A1 teil. Er hat am 03.05.2018 die Prüfung für das ÖSD Zertifikat A1 nicht bestanden. Die Integrationsprüfung A1 am 18.12.2018 hat er ebenfalls nicht bestanden. Er spricht gebrochen Deutsch. Er hat an Infomodulen über die Themen "Familie" und "Zusammenleben" teilgenommen. Außerdem hat er auch an Kursmaßnahmen zur Integration teilgenommen. Der BF hat von Anfang Dezember 2017 bis Ende Jänner 2018 ehrenamtlich in der Wärmestube einer Kirche mitgeholfen. Er hat, außer zu seinem Deutschlehrer, keine sozialen Kontakte zu Österreichern geknüpft. Der BF fährt viel mit dem Fahrrad. Er war in keinem Verein tätig und geht keinen kulturellen Aktivitäten nach.

 

II.1.4. Zur Situation im Fall der Rückkehr nach Afghanistan:

 

Dem BF droht bei einer Rückkehr in seinen Heimatdistrikt in der Provinz XXXX ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

 

Ihm steht jedoch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Mazar-e-Sharif zur Verfügung. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e-Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e-Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Der BF verfügt im Fall einer Ansiedelung in Mazar-e-Sharif durch seinen Bruder über einen familiären Anknüpfungspunkt.

 

II.1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

II.1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, (zuletzt aktualisiert am 31.01.2019):

 

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

 

KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban

 

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

 

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere

 

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

 

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

 

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

 

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

 

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

 

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

 

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

 

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

 

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

 

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018) . Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

 

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

 

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern

 

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

 

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilisten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

 

Anmerkung: Weiterführende Informationen über den Wahlprozess in Afghanistan können der Kl der Staatendokumentation vom 19.10.2018 entnommen werden.

 

Zivile Opfer

 

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

 

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

 

Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

 

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018

 

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

 

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

 

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

 

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

 

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

 

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

 

Zivile Opfer

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

 

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

 

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

 

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

 

Wahlen

 

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

 

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

 

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

 

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan

 

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

 

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

 

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

 

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

 

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

 

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

 

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

 

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

 

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

 

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

 

KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018

 

Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018

 

Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz- Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).

 

IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018

 

Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).

 

IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018

 

Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).

 

Allgemeine Sicherheitslage:

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

 

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt, vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkten Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

 

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historischgesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, dies trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-pashtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen die Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk, Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: Das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

 

Ghazni

 

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich vonKabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Pashtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Pashtunen sind (Pajhwok o.D.a).

 

Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).

 

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage in Ghazni:

 

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).

 

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Pashtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).

 

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den

 

Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018). Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Ghazni

 

Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018). Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni

 

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).

 

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1.- 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).

 

Erreichbarkeit von Städten in Afghanistan:

 

Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 5.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.1.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk zählen zu den Projekten, die systematisch geplant und umgesetzt werden. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, etc.) (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Ring Road:

 

Straßen wie die "Ring Road", auch bekannt als "Highway One", die das Landesinnere ringförmig umgibt, sind nun asphaltiert und machen das Land für Reisen und die Wirtschaft zugänglicher (HP 9.10.2015; vgl. FES 2015). Die afghanische Ring Road verbindet Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (USAID 2014; vgl. TG 22.10.2014, BFA Staatendokumentation 4.2018). Die Ring Road ist Teil eines Autobahnprojekts von 3.360 km Länge, das 16 Provinzen mit den größten Städten Afghanistans, Kabul, Mazar, Herat, Ghazni und Jalalabad, verbinden soll (Tolonews 9.12.2017). Die asiatische Entwicklungsbank (Asian Development Bank - ADB, Anm.) genehmigte 150 Millionen USD, um die Kabul Ring Road fertig zu stellen. Die fehlenden 151 Kilometer sollen künftig den Distrikt Qaisar (Provinz Faryab, Anm.) mit Dar-e Bum (Provinz Badghis, Anm.) verbinden. Dieses Straßenstück ist der letzte Teil der 2.200 km langen Straße, welche die großen Städte Afghanistans miteinander verbindet. Mittlerweile leben mehr als 80% der Afghanen weniger als 50 km von der Ring Road entfernt. Die Fernstraße wird in diesem Projekt außerdem mit einem Entwässerungssystem ausgestattet, als auch mit weiteren modernen Sicherheitsfunktionen. Durch das Ring Road Projekt sollen regionale Verbindungen erleichtert und die Qualität der Transportdienste verbessert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Internationale Flughäfen in Afghanistan:

 

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

 

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif:

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Kam Air - eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Internationaler Flughafen Herat:

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).

 

Religionsfreiheit:

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

 

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

 

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5 .2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5 .2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

 

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

 

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

 

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

 

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

 

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

 

Schiiten

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

 

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

 

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

 

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Pashtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).

 

Ethnische Minderheiten:

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Pashtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Pashtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5 .2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook

 

18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden , andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5 .2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

 

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016). Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018). Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

Grundversorgung und Wirtschaft:

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016 - 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 - 2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Medizinische Versorgung

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).

 

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vgl. USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vgl. MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).

 

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vgl. AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5 .2018).

 

Krankenhäuser in Afghanistan

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen (IOM 5.2.2018). Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (RFG 2017). In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können (IOM 5.2.2018). Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen (RFG 2017). Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (IOM 5.2.2018).

 

Rückkehr:

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012 - 2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012 - 2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194), zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt

98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung, die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z.B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak-Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer mit jeweils 2 - 3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, einem Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018). Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung:

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Meldewesen

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

 

1.5.2. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation

Aghanistan: Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif auf Grund anhaltender Dürre, 13.9.2018:

 

Dürre:

 

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2014. Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen.

 

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Dort leben diese am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Lage in der Stadt Herat und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 13.09.2108, S. 5f). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt.

 

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt. Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung.

 

1.5.2. Auszug aus EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31:

 

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag.

 

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden.

 

II.2. Beweiswürdigung:

 

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./1 bis ./13 (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister, Schengener Informationssystem Beilage ./1; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 31.01.2019, Beilage ./2; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 in deutscher Übersetzung Beilage ./3; Bericht EASO, Country Guidance Afghanistan Juni 2018, samt Übersetzung Beilage ./4, ./4a, ./4b; Bericht Landinfo, Afghanistan:

Organisation und Struktur der Taliban Beilage ./5; Bericht Landinfo, der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne Beilage ./6; Bericht Landinfo, Rekrutierung durch die Taliban Beilage ./7; Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018, Beilage ./8; Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul Beilage ./9; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre, vom 13.09.2018, Beilage ./10; Entwicklung der wirtschaftlichen Situation sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Mazar e-Sharif und Herat 2010 bis 2018, Stand 7.12.2018, Beilage ./11; Accord Anfragebeantwortung Entführung und Lösegelderpressungen insbesondere Hazara Beilage ./12; Konvolut an Integrationsunterlagen des BF, Beilage ./13).

 

II.2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA, in der Beschwerde und vor dem BVwG. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des BF gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie seiner Muttersprache gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das BVwG hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln.

 

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation des BF in Afghanistan, insbesondere zu seinen Lebensumständen, ergeben sich aus seinen weitgehend widerspruchsfreien und schlüssigen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung

 

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des BF ergeben sich aus seinen schlüssigen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung.

 

Dass sein Vater verstorben ist beruht auf den gleichbleibenden Aussagen des BF vor der belangten Behörde und in der Beschwerdeverhandlung.

 

Die Feststellungen zu den Lebensumständen seiner Brüder, seiner Schwester, seiner Onkel und seiner Cousins gründen sich auf seinen diesbezüglich stringenten Äußerungen im verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

 

Dass seine Mutter, seine Ehefrau und seine fünf Kinder unbegleitet nach Pakistan gezogen sind ist nicht glaubwürdig. Vor dem BFA erzählte er, dass sie in der Nähe des Heimatdorfes lebten (Einvernahme BFA S. 3). In der mündlichen Verhandlung gab der BF dann an, dass seine Ehefrau und die Kinder seit zwei Monaten in Pakistan lebten, seine Mutter wohne noch immer bei ihnen (Verhandlungsschrift ["VHS"] S. 9, 10). Nach dem Grund für den Umzug befragt erklärte der BF, dass beim letzten Angriff der Taliban bzw. Daesh auf ihr Dorf viele Menschen aus Angst geflüchtet seien. Bei diesem Angriff seien sehr viele Menschen getötet worden (VHS S. 10). Im Anschluss darauf gab er an, dass sein Onkel und ein Cousin väterlicherseits sowie sein Onkel und ein Cousin mütterlicherseits in seinem Herkunftsdistrikt leben, ebenso wie seine verheiratete Schwester. Außerdem wohne einer seiner Brüder in Mazar-e Sharif und ein Cousin mütterlicherseits studiere in Kabul (VHS S. 10). In Anbetracht seiner Aussagen zu seinen übrigen Familienmitgliedern ist es nicht lebensnah, dass seine Mutter, seine Ehefrau und seine Kinder ohne männliche Begleitung nach Pakistan fliehen würden, wenn in ihrer unmittelbaren Umgebung noch zahlreiche Familienangehörige des BF leben. Aus den Länderberichten lässt sich ableiten, dass die patrilineare Gesellschaftsstruktur Afghanistans in aller Regel dazu führt, dass Kinder zur Familie ihres Vaters gehören und die Verwandtschaft der patrilinearen Linie folgt. Eine Frau, die heiratet, verlässt ihre biologische Familie und wird Teil der Familie und des Haushaltes des Ehegatten (EASO Bericht zu Netzwerke, Beilage ./8, S. 14). Ein afghanischer Haushalt besteht traditionell aus einem männlichen Familienoberhaupt, üblicherweise dem ältesten Mann, seiner Frau, seinen verheirateten Söhnen und deren Frauen und Kindern. Nach dem Tod seines Vaters wäre es in Abwesenheit des BF daher Aufgabe seines Bruders bzw. seines Onkels väterlicherseits, sich um seine Mutter, seine Ehefrau und seine Kinder zu kümmern. Ausgehend von den zitierten Hintergrundinformationen (EASO Bericht zu Netzwerke, Beilage ./8, S. 14) und der notorisch bekannten engen Bindung von Familienmitgliedern in Afghanistan war davon auszugehen, dass dies auch bei der Familie des BF nicht anders war und diese daher nicht unbegleitet, konkret ohne einen männlichen Begleiter, Afghanistan in Richtung Pakistan verlassen hat. Vielmehr war davon auszugehen, dass sich die Familie des BF, konkret dessen Ehefrau und dessen Kinder, nach wie vor in der Region rund um das Heimatdorf des BF aufhalten.

 

Weiters erklärte der BF zu einer Rückkehr nach Afghanistan befragt, dass er nichts mehr dort habe und niemanden habe, der ihm helfen könnte. Das Problem sei, dass seine Familie nach Pakistan gezogen sei, somit habe er in Afghanistan alles verloren (VHS S. 16). Offenbar versuchte der BF den Anschein zu erwecken, als ob er durch den Umzug seiner Mutter, seiner Ehefrau und seiner Kinder kein familiäres Netzwerk mehr in Afghanistan hätte. Aufgrund der Art und Weise wie er den Umzug seiner Familie nach Pakistan schilderte kommt dieser Behauptung keine Glaubwürdigkeit zu. Aufgrund dieser Erwägungen konnte nicht festgestellt werden, dass die Mutter, die Ehefrau und die Kinder des BF unbegleitet nach Pakistan gezogen sind.

 

Dass er überhaupt nichts mehr über seine Grundstücke und sein Haus in seinem Heimatdorf wisse, ist nicht glaubwürdig, insbesondere da seine Ehefrau jedenfalls bis Dezember 2018 in der Nähe seines Heimatdorfes gelebt hat und sich zahlreiche Familienangehörige aktuell in seinem Heimatdistrikt aufhalten (VHS S. 18). Es ist vielmehr anzunehmen, dass er durch die Bewirtschaftung bzw. den Verkauf seiner Besitztümer Einnahmen lukrieren könnte.

 

Der BF hat in der mündlichen Verhandlung zudem dargelegt, dass er regelmäßig über Viber mit seiner Mutter, seiner Ehefrau und seinen Kindern Kontakt hat (VHS S. 10). Dass der Kontakt zu seinem Bruder in Mazar-e Sharif und seinen Cousins mütterlicherseits herstellbar ist, lässt sich aus den Angaben des BF ableiten. Er führte in der Beschwerdeverhandlung aus, dass er die Nummer seines Bruders verloren habe und vor seiner Ausreise Kontakt zu seinen Cousins mütterlicherseits gehabt habe (VHS S.11). Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Beilage ./1, S. 354 unter Verweis auf BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

 

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der BF den Kontakt zu seinem Bruder und seinen Cousins mütterlicherseits aufrechthalten würde. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass der Bruder des BF und sein Onkel mütterlicherseits mit ihrer Mutter bzw. Schwester in Kontakt stehen und der BF über diese den Kontakt zu ihnen herstellen könnte.

 

II.2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

 

Festzuhalten ist vorweg, dass der BF keine Belege für sein Vorbringen beibringen konnte. Besondere Bedeutung kommt daher dem Vorbringen eines Asylwerbers zu, das auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen ist. Dieses muss genügend substantiiert, plausibel und in sich schlüssig sein. Es obliegt dem BF, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Schließlich muss der BF auch persönlich glaubwürdig sein.

 

II.2.2.1. Zur Verfolgung durch Spione der Pashtunen oder der Taliban:

 

Das Vorbringen des BF, ihm drohe bei einer Rückkehr in seinen Heimatort auf Grund der Beteiligung an Entführungen von Pashtunen Verfolgung durch Spione, war in Gesamtbetrachtung, spekulativ und unplausibel.

 

Der BF hat in seiner Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen vorgebracht, dass in ihrem Land keine Sicherheit sei. Er habe gesehen, wie sie Leuten den Kopf abgeschnitten hätten. Manche sagten, dass es die IS gewesen seien und die anderen sagten, dass es die Taliban gewesen seien. Er habe Angst, dass ihm das gleiche passiere und deshalb sei er geflüchtet. Seine Frau und Kinder seien auch schon in eine andere Stadt in Afghanistan geflüchtet. (Erstbefragung S. 5).

 

In der behördlichen Einvernahme vor dem BFA führte er dann zu seinen Fluchtgründen aus, dass in ihrer Gegend zuerst drei und dann sieben Hazara entführt worden seien. Die Regierung habe trotz eines großen Aufstands nichts dagegen getan. Der Dorfälteste habe deshalb entschieden, dass sie im Gegenzug Pashtunen entführen sollten. Es seien mehrere Gruppen zusammengestellt worden. Die eine Gruppe in der der BF gewesen sei, habe in XXXX sieben Pashtunen entführt. Davon seien vier Männer und drei Frauen gewesen. Der BF sollte die verschleierten Frauen nach Waffen untersuchen bzw. feststellen, ob diese überhaupt Frauen seien. Eine der Männer habe ihn angeschrien und habe gefragt, warum er die Frauen angreife. Der BF habe gesagt, er müsse kontrollieren, wer unter dem Schleier sei. Sie seien alle maskiert gewesen. As er eine der Frauen untersuchen habe wollen, habe ihm eine andere Frau die Maske vom Kopf gerissen. Es habe viele Spione bei den Pashtunen gegeben und auch bei ihnen in der Gruppe. Diese Spione hätten für sehr wenig Geld gearbeitet. Der BF habe nicht gewusst, wer in ihrer Gruppe ein Spion oder Verräter sei. Für die Pashtunen sei sehr vieles konservativ und sie seien sehr streng. Eine Frau dürfe man nicht angreifen. Als sie die Leute in ihr Dorf gebracht hätten, hätten ein paar Dorfbewohner ein paar der Pashtunen wiedererkannt. Sie hätten gesagt, dass diese Pashtunen harmlose Leute seien und ein Mann sowie drei Frauen seien daraufhin freigelassen worden. Beim zweiten Mal sei der BF wieder beauftragt worden, mit einer Gruppe Pashtunen zu entführen, da er es beim ersten Mal gut und ohne Blutvergießen gemacht habe. Das zweite Mal hätten sie im Ort XXXX zwölf Leute, nämlich sechs Männer, vier Frauen und ein Mädchen, entführt. Bei dieser Entführung habe es eine Auseinandersetzung gegeben und einer der Pashtunen sei getötet worden. Nach der zweiten Entführung sei die Regierung wegen Verhandlungen zu ihnen gekommen. Sie hätten versprochen, wenn sie die Pashtunen freiließen, würden im Gegenzug die entführten Hazara freikommen. Sie hätten die Pashtunen freigelassen, aber nur Leichen zurückbekommen. Die Leute seien sehr enttäuscht gewesen und es habe eine große Demo gegeben. Nach der Beerdigung der sieben entführten Hazara hätten sie weiter demonstrieren wollen. Danach seien aber die ersten drei entführten Hazara befreit worden. In seiner Gruppe habe der BF sechs Leute gekannt. Vier davon seien jetzt im Gefängnis und einer sei von den Taliban getötet worden. Da sie diese Leute entführt hätten, sein Gesicht erkannt worden sei und da sie Spione in ihrem Dorf hätten, sei das Leben des BF in Gefahr. Aus Angst sei er geflohen (Einvernahme BFA S. 4).

 

In der mündlichen Verhandlung wiederholte der BF dieses Vorbringen im Wesentlichen. Allerdings waren die Details seiner Rahmengeschichte nicht schlüssig und teilweise gesteigert.

 

Zunächst ist nicht verständlich, wieso der BF die verschleierten Geiseln in Anwesenheit der Männer nach Waffen durchsucht habe. Er erklärte selbst, dass die Pashtunen sehr konservativ seien. Daher hätte dem BF bewusst sein müssen, dass die Durchsuchung der Frauen vor den Männern gegen die pashtunischen Sitten verstößt und Abwehrreaktionen hervorrufen würde. Wenig einleuchtend ist auch die Darstellung des BF, sie hätten den Geiseln anfangs die Augen nicht verbunden, weil ihr Gruppenleiter befohlen habe, sie müssten zuerst unter den Schleicher schauen, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handle (Einvernahme BFA S. 6, VHS S. 18). Weshalb die Feststellung des Geschlechts nicht auch mit verbundenen Augen möglich gewesen sei konnte der BF nicht erläutern.

 

Die Schilderungen des BF zu der Vorgehensweise nach der ersten Entführung der Pashtunen aus dem Dorf XXXX sind ebenfalls nicht nachvollziehbar. So hat er angegeben, dass sie vier der sieben Geiseln, unmittelbar nachdem sie sie in sein Heimatdorf gebracht hätten, freigelassen hätten, weil es sich dabei um normale Leute und nicht um Mitglieder der Taliban oder der Daesh gehandelt habe, die aus dem Nachbardorf gestammt hätten. Die Dorfbewohner des Heimatdorfes des BF hätten diese vier Personen erkannt. Man habe auch keinen Kampf zwischen seinem Heimatdorf und dem Nachbardorf riskieren wollen (VHS S. 12, 13). Dazu befragt antwortete der BF, dass er die pashtunischen Geiseln selber nicht gekannt habe, sie seien zwar Nachbardörfer, aber sie hätten mit den Pashtunen überhaupt keinen Kontakt, sie seien ca. eine Autostunde voneinander entfernt (VHS S. 14). Einerseits stellte der BF es so dar, als ob die Bewohner seines Heimatdorfes die Personen aus dem Nachbardorf gut genug kennen würden um sicher zu sein, dass es sich dabei nicht um Mitglieder der Taliban oder Daesh handle, andererseits hätten sie überhaupt keinen Kontakt zueinander. Diese beiden Argumentationslinien sind miteinander nicht in Einklang zu bringen, ja schließen einander aus. Es ist zudem nicht logisch, dass sie Einwohner des Nachbardorfes entführt hätten, wenn sie einen Nachbarschaftskrieg vermeiden hätten wollen.

 

Überdies sind die Ausführungen des BF zur Angst vor pashtunischen Spionen in seinem Heimatdorf nicht schlüssig. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA blieben seine Aussagen zu vermeintlichen Spionen vage und unsubstantiiert. Auf konkrete Nachfrage zu den Spionen äußerte er lediglich Mutmaßungen. Zunächst erklärte er, dass es viele Spione bei den Pashtunen gegeben habe und auch bei ihnen in der Entführergruppe, überall Spione seien (Einvernahme BFA S. 4, 5). Dem BF wurde von der belangten Behörde vorgehalten, es sei aufgrund der Spione unwesentlich, dass man sein Gesicht gesehen habe, weil diese sowieso wissen würden, wer an den Entführungen beteiligt gewesen sei. Darauf erwiderte er jedoch, es hätte sein können, dass es Spione gegeben habe und es hätte nicht sein können (Einvernahme BFA S. 5). Auch zu seiner Angst vor einer Verfolgung durch Spione befragt gab er an, dass er nicht genau sagen könne, dass es Spione gäbe. Er wisse es nicht. Die Gefahr, dass er wiedererkannt werde sei da (Einvernahme BFA S. 6). In der mündlichen Verhandlung brachte er zu Spionen in seinem Heimatdorf befragt vor, dass es in ihrem Dorf ca. 300 Häuser gebe und sicher Spione darunter seien. Ein Spion habe XXXX geheißen. Eines Nachts hätten die Dorfbewohner ihn heimlich verfolgt und hätten ihn mit einem Satellitentelefon erwischt. Ob er für die Taliban oder die Daesh spioniert habe, sei nicht klar gewesen. Sie hätten ihn solange geschlagen, bis er ohnmächtig geworden sei. Danach habe er sein Dorf verlassen, man wisse nicht, wo er jetzt aufhältig sei. Als die Hazara entführt worden seien habe XXXX noch im Dorf gelebt, zum Zeitpunkt ihrer Entführungen nicht mehr (VHS S. 14). Einen Spion namens XXXX

 

hat der BF erstmals in der Beschwerdeverhandlung ins Treffen geführt, obwohl er vor dem BFA mehrmals zu Spionen befragt worden ist. Es ist nicht plausibel, dass er ein so wichtiges Detail, welches den Kern seiner Fluchtgeschichte betrifft, sowohl bei seiner Einvernahme als auch in seiner Beschwerde unerwähnt lässt. Daher ist dies als eindeutige Steigerung seines Vorbringens zu qualifizieren, der deshalb keine Glaubwürdigkeit zukommt.

 

Ferner erzählte der BF vor dem BVwG, dass die Mitglieder seiner Entführergruppe bereits vermummt gewesen seien, als sie sich getroffen hätten. Jeder sei von den Dorfältesten einzeln in ein Zimmer gebracht worden, der BF wisse nicht einmal, wer ihr Gruppenführer gewesen sei. Aus Angst, dass es in der Gruppe Spione geben hätte können, sei diese Sicherheitsmaßnahme getroffen worden (VHS S. 12). Diese Maßnahme hat er vor der Verhandlung ebenfalls nicht zur Sprache gebracht und sie ist auch nicht logisch nachvollziehbar. Der BF hat selber berichtet, dass er einige Männer aus seiner Gruppe anhand ihrer Stimme erkannt habe. Bei den Einwohnern eines Dorfes mit ca. 300 Häusern ist davon auszugehen, dass sich der Großteil auch maskiert wiedererkennen würde. Außerdem wussten die Dorfältesten wer die Mitglieder der Gruppen waren. Es wäre anzunehmen, dass nur solche Männer für diese heiklen Aktionen ausgesucht worden wären, die vertrauenswürdig sind.

 

Zudem waren die Aussagen des BF in der mündlichen Verhandlung zum Geschehensablauf nachdem sie die Leichen der entführten Hazara zurückbekommen hätten gesteigert. Er gab an, dass sie mit den Leichen nach Kabul gefahren seien und eine Großdemonstration veranstaltet hätten. Nach der Demonstration seien die Leichen per Hubschrauber in seinen Heimatdistrikt in das Dorf XXXX gebracht und dort begraben worden (VHS S. 13). Dass die Leichen nach Kabul gebracht worden seien und sie dort protestiert hätten hat der BF vor der belangten Behörde nicht erwähnt. Der BF führte vor dem BFA zwar aus, dass es danach eine große Demo und am Abend Mahnwachen gegeben habe. Allerdings sagte er im Anschluss an diese Erläuterungen, dass ihr Ort nicht mehr so sicher gewesen sei (Einvernahme BFA S. 4). Dies erweckt den Anschein, dass die Demonstration und Mahnwachen im Heimatdorf des BF stattgefunden hätten. Es ist auch fraglich, wie der Transport der Leichen mit Hubschraubern bewerkstelligt worden wäre, da dies sehr kostenaufwendig wäre und auch die Verfügbarkeit der für eine solche Maßnahme erforderlichen Mittel fragwürdig ist. Weshalb die Leichen der entführten Hazara nicht im Heimatdorf begraben hätten werden können hat der BF nicht dargelegt.

 

Letztlich wurde eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung des BF durch Spione von ihm im gesamten Verfahren nicht hinreichend dargetan. Er hat sowohl in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde, als auch in der mündlichen Verhandlung eine persönliche Bedrohung ausdrücklich verneint und angegeben, dass er noch einen Monat nach den Entführungen, an denen er beteiligt war, in Afghanistan verblieb (Einvernahme BFA S. 5, 6; VHS S. 15). In der Beschwerdeverhandlung erklärte er, dass er nach der Freilassung der Hazara-Geiseln im Dorf XXXX geblieben und nur ein einziges Mal ins Heimatdorf zurückgekehrt sei (VHS S. 13). Dass er diesen Monat in einem anderen Dorf verbracht habe, hat er vor dem BFA jedenfalls nicht behauptet. Nichtsdestotrotz war er während dieses Zeitraums noch unbehelligt in seinem Heimatdistrikt aufhältig und ist zumindest einmal in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Wenn für den BF tatsächlich eine Verfolgungsgefahr durch Spione bestanden hätte, so hätten sie ihn innerhalb eines Monats aufgespürt und ihn bedroht. Der BF sagte in der Verhandlung, er sei einen Monat geblieben, um zu schauen, wie sich die Lage ändere und wie die Dorfbewohner darauf reagieren. Während dieses Monats habe er gesehen, dass viele Menschen geflüchtet seien, deswegen habe auch er sich entschlossen zu gehen (VHS S. 15). Diese Äußerung lässt erkennen, dass der Beweggrund für seine Flucht nicht eine ernsthafte Furcht vor Verfolgung war, sondern bloß die Reaktion der anderen Dorfbewohner. Die Ausführungen des BF, dass er Angst vor Spionen habe und wisse, dass es sie gäbe, weil vier seiner Gruppenmitglieder verhaftet worden und einer getötet worden sei, gehen angesichts seiner unsubstantiierten Angaben zu Spionen ins Leere. Er hat verneint, jemanden bei den Entführungen getötet zu haben. Außerdem hat er dazu befragt geantwortet, dass er keine Probleme mit der Polizei bzw. den Behörden seines Heimatlandes gehabt habe und ihm bei einer Rückkehr keine Verhaftung drohen würde (Einvernahme BFA S. 6).

 

Zu einer Bedrohung seiner Familie nach dem Verlassen seines Herkunftsstaates gab er vor dem BFA zunächst an, dass niemand zu ihnen gekommen sei, nachdem er das Land verlassen habe. Über Vorhalt dieser Angaben wendete er dann ein, dass seine Familie schon gefragt worden sei wo er sei, aber bedroht worden seien sie nicht. Die Leute aus seinem Dorf hätten gefragt (Einvernahme BFA S. 6). Dieses Aussageverhalten zeigt, dass er seine Antwort an die jeweilige Fragestellung anpasst, weshalb nicht glaubwürdig ist, dass sich jemand nach dem Aufenthaltsort des BF erkundigt hat. In der Beschwerdeverhandlung brachte er vor, dass sechs Mal unbekannte Männer bei ihnen gewesen seien. Einmal hätten sie behauptet, sie würden dem BF Geld schulden und würden diese Schulden nun begleichen wollen. Beim zweiten Mal hätten sie behauptet, er würde ihnen Geld schulden (VHS S. 15). Die Behauptung des BF, dass seine Familie von Unbekannten aufgesucht worden sei widerspricht klar seinen Schilderungen vor dem BFA. Es ist auch nicht ersichtlich, was die Begleichung von Schulden bzw. deren Eintreibung mit der Beteiligung des BF an Entführungen zu tun hat.

 

In Anbetracht dieser Erwägungen war das Vorbringen des BF zu einer Bedrohung bzw. Verfolgung durch Spione nicht glaubhaft.

 

Anhand des Vorbringens des BF konnte keine aktuelle, konkrete und individuelle Bedrohung oder Verfolgung seiner Person in seinem Heimatort festgestellt werden. Wie bereits ausgeführt, konnte der BF eine persönliche Bedrohung aufgrund der Teilnahme an Entführungen von Pashtunen nicht glaubhaft machen. Für eine Feindschaft des BF mit pashtunischen Spionen oder Taliban gibt es keine Anzeichen. Dass die pashtunischen Spione oder die Taliban kein Interesse an der Verfolgung des BF zeigen, lässt sich zudem daran erkennen, dass nicht festgestellt werden konnte, dass seine Familie nach seiner Ausreise von ihnen aufgesucht worden ist. Der BF gab, wie bereits dargelegt, an, dass seine Familie zumindest bis Dezember 2018 unbehelligt in der Nähe seines Herkunftsortes gelebt habe und es keine Anhaltspunkte für eine Drohung seitens der pashtunischen Spione oder Taliban gegeben habe. Auch nach Dezember 2018 konnte keine Bedrohung seiner Familie durch pashtunischen Spione oder Taliban festgestellt werden. Aufgrund der fehlenden Drohung gegen seine Familie, hätten die pashtunischen Spione oder Taliban bei einer Rückkehr in seinen Heimatort keinen Grund, gegen den BF vorzugehen. Eine staatliche Verfolgung hat der BF ebenfalls ausdrücklich verneint.

 

II.2.2.2. Zur vorgebrachten Verfolgung des BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und als schiitischer Muslim:

 

Die Feststellungen, dass dem BF auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara und dem Umstand, dass er sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt in seinem Herkunftsstaat keine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw. physische Gewalt drohe, ergeben sich aus seinem lediglich allgemein gehaltenen Vorbringen in seiner Stellungnahme vom 05.02.2019 und in der mündlichen Verhandlung.

 

Eine persönliche Bedrohung, weil er Hazara und Schiit sei wurde von ihm in der mündlichen Verhandlung nicht vorgebracht. Der BF hat angegeben, dass er nicht bedroht worden sei, aber er sei diskriminiert worden. Er sei z.B. als Schiit und Ungläubiger bezeichnet worden (VHS S. 15). Doch eine konkret, gegen seine Person gerichtete Drohung oder Verfolgung auf Grund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit hat er nicht erwähnt. Auch aus dem Vorbringen in der Stellungnahme ist eine individuelle und konkrete Betroffenheit seiner Person im Hinblick auf Gewalthandlungen nicht ableitbar.

 

In der Beschwerde wurde das Risikoprofil "Hazara" der UNHCR-Richtlinien zitiert. Weiters wurde auch auf gesellschaftliche Diskriminierungen, Kampfhandlungen, Terroranschläge oder Entführungen von Hazara verwiesen. Somit hat der BF im gesamten Verfahren in Bezug auf sein allgemeines Vorbringen in seiner Stellungnahme nicht hinreichend dargelegt, warum er konkret auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Glaubensrichtung in seinem Herkunftsstaat einer aktuellen asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein könnte.

 

Unter Berücksichtigung der aktuellen Lage in Afghanistan kann trotz der nach wie vor bestehenden Spannungen unter den einzelnen Volks- und Religionsgruppen und der zuletzt berichteten Zunahme von terroristischen Anschlägen gegen Hazara und Schiiten derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der BF ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Umstände als Angehöriger der schiitischen Hazara mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bloß aus ethnischen oder religiösen Gründen verfolgt werden würde.

 

Zur behaupteten Gruppenverfolgung wird auf die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

 

II.2.2.3. Zu den Feststellungen hinsichtlich der dem BF nicht drohenden Gewalt auf Grund seines mehrjährigen Aufenthalts im Westen ist Folgendes auszuführen:

 

In der Stellungnahme des BF vom 05.02.2019 wurde ausgeführt, dass der BF im Falle einer Rückkehr aus Europa nach Afghanistan als "verwestlichte" Person angesehen werden würde. Dazu zitierte er das Risikoprofil von "verwestlicht" wahrgenommenen Personen der UNHCR-Richtlinien (vgl auch Beilage ./3).

 

Mit diesen Ausführungen wurde eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung als "Rückkehrer" nicht glaubhaft gemacht und kam eine solche in der mündlichen Verhandlung auch nicht hervor. Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.

 

Den Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Bis Juli 2017 kehrten IOM zufolge aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Schon anhand dieser beträchtlichen Anzahl von Rückkehrern kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem BF allein auf Grund seiner Rückkehr aus Europa eine Gefahr drohen würde. Der BF ist in Afghanistan aufgewachsen und hat dort zwölf Jahre lang Berufserfahrung gesammelt. Er spricht eine der beiden Landessprachen Dari und ist mit den kulturellen und örtlichen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut.

 

Afghanen, die längere Zeit in Europa verbracht haben, mögen Schwierigkeiten bei der sozialen und wirtschaftlichen Reintegration in die afghanische Gesellschaft haben, dies ist jedoch nicht mit einer asylrelevanten Verfolgung gleichzusetzen. Daraus, dass - wie in den in der Beschwerdeergänzung zitierten Länderberichten ausgeführt wird - Rückkehrer aus Europa einem erhöhten Entführungsrisiko ausgesetzt seien, da angenommen werde, dass sie einen gewissen Wohlstand hätten, lässt sich noch keine konkrete, persönliche Verfolgung des BF ableiten.

 

Überdies ist auf Grund der Kürze seines Aufenthalts in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des erkennenden Richters nicht davon auszugehen, dass der BF eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Der BF schilderte zu seinem Tagesablauf in Afghanistan, dass er ein sehr gutes, normales Leben geführt habe (VHS S. 9). Folglich vermochte der BF schon mangels Vorliegens einer "westlichen Lebenseinstellung" nicht darzutun, dass ihm aufgrund einer solchen bei Rückkehr nach Afghanistan psychische und/oder physische Gewalt drohte.

 

Zur behaupteten Gruppenverfolgung wird auf die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

 

II.2.3. Zu den Feststellungen zur Situation des BF in Österreich:

 

Die Feststellung zur unrechtmäßigen Einreise in Österreich und dem Antragstellungszeitpunkt stützt sich auf die Aussagen des BF bei seiner Erstbefragung (Erstbefragung S. 1 ff.).

 

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF in Österreich, insbesondere seinen integrativen Aktivitäten, stützen sich auf seine Angaben dazu in der mündlichen Verhandlung und den von ihm im Lauf des Verfahrens sowie im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Beilage ./13) vorgelegten Unterlagen.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung und in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Beilage ./1).

 

II.2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Fall der Rückkehr nach Afghanistan:

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des BF in der Stadt Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den o.a. Länderberichten zu Mazar-e Sharif.

 

In den Städten finden überwiegend Angriffe in Regierungs- und Botschaftsnähe, also mit möglichst hoher medialer Reichweite, statt. Dabei kam es immer wieder zu zivilen Opfern. Die Regierung ist jedoch in der Lage, hier die Sicherheit abseits dieser High-Profile Attentate zu gewährleisten. Das Gericht geht daher davon aus, dass es in der Stadt Mazar-e Sharif zu Anschlägen kommt, jedoch nicht in allen Stadtteilen.

 

Dass die Wohnraum- und Versorgungslage angespannt ist, ergibt sich aus den Länderberichten, wonach in großen Städten zwar an sich Wohnraum zur Verfügung steht, es jedoch eine erhebliche Anzahl an Rückkehrern gibt, sodass die Lage angespannt ist. Auch gibt es nicht genügend Arbeitsplätze.

 

Der BF hat zwar keine Schulausbildung in Afghanistan genossen, verfügt aber über eine zwölfjährige Berufserfahrung als Maurer auf Baustellen. Er hat vor seiner Ausreise seine Ehefrau und Kinder versorgt. Der BF ist zudem gesund und arbeitsfähig.

 

Das Gericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich der BF nach anfänglichen Schwierigkeiten in Mazar-e Sharif niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen könnte. Der BF erklärte in der mündlichen Verhandlung zur Rückkehr nach Afghanistan befragt, dass er dort nichts mehr habe und auch niemanden habe der ihm helfen könnte (VHS S. 16). Dies ist aber vor dem Hintergrund der ausgeprägten Familienkultur bei afghanischen Staatsangehörigen generell (siehe dazu die Ausführungen im LIB in den Feststellungen) und auch konkret im Fall des BF nicht glaubwürdig. Einer der Brüder lebt in Mazar-e Sharif, wo er einen Lebensmittelladen betreibt. Außerdem leben auch noch der Onkel und der Cousin mütterlicherseits sowie sein Onkel und sein Cousin väterlicherseits in seinem Herkunftsdistrikt. Seine verheiratete Schwester lebt ebenfalls in XXXX . Ein Cousin des BF hat in Kabul studiert und sein anderer Bruder lebt im Iran, wo er am Bau arbeitet. Der BF gab an, dass er mit seinem Bruder in Mazar-e Sharif sowie seinen Cousins mütterlicherseits in Kontakt stand und es ist davon auszugehen, dass er den Kontakt zu diesen Personen erneut herstellen kann (siehe unter Pkt II.2.1.). Somit ist davon auszugehen, dass durch seinen familiären Anknüpfungspunkt in Mazar-e Sharif jedenfalls anfänglich die Unterkunft und Versorgung des BF gewährleistet wäre. Außerdem ist es nicht glaubwürdig, dass die übrigen Familienangehörigen des BF in XXXX , Kabul und im Iran diesen im Fall einer Rückkehr und Neuansiedelung in Afghanistan nicht - zumindest nach Kräften - anfänglich finanziell unterstützen würden. Darüber hinaus könnte der BF staatliche /NGO- Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und käme auch aus diesem Grund nicht in eine Notlage.

 

Der BF verwies in seiner Stellungnahme vom 05.02.2019 auf Anschläge auf Hazara und ihre Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit. Hierzu wird auf die Ausführungen unter Pkt II.2.2.2 verwiesen. Allein der Umstand, dass es zu Diskriminierungen kommt und bei religiösen Feierlichkeiten bzw. auf schiitsche Moscheen ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet bei der derzeitigen Gefahrenlage für den BF noch keine stichhaltigen Gründe für eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit.

 

Zum Verweis auf besonders gefährdete Personengruppen im Sinne der UNHCR in seiner Stellungnahme, z.B. als verwestlicht angesehene Personen, ist auf die Erläuterungen unter Punkt II.2.2.3. zu verweisen. Dass er der Personengruppe der Männer im kampffähigen Alter angehöre, wurde ohne nähere Begründung nur pauschal in den Raum gestellt und ist deshalb unbeachtlich.

 

II.2.5. Die Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF ergeben sich aus den jeweils darunter angeführten aktuellen Berichten diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmendes und ausgewogenes Bild zur Situation in Afghanistan. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben. Die Berichte, auf denen die Länderfeststellungen basieren, sind damit nicht als veraltet zu bewerten.

 

Insoweit in der Beschwerdeergänzung, in der Stellungnahme vom 05.02.2019 (vgl etwa FN 4 S. 9) und in der mündlichen Verhandlung auf ein Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 verwiesen wird, ist festzuhalten, dass darin allgemeine Aussagen zu Sicherheitslage in Afghanistan und zur Situation von Rückkehrern getroffen werden, für jeden Fall aber eine einzelfallbezogene Auseinandersetzung zu erfolgen hat. Es handelt sich um eine - einzelne - Autorin, die eine subjektive Quellenauswahl und -interpretation vorgenommen hat. Weiters beruhen die Schlussfolgerungen der Autorin teils auf subjektiven Wahrnehmungen, anhand derer sie verallgemeinernde Aussagen trifft (wie z.B. zu Unterstützungsleistungen oder dass alleine aufgrund der Anwesenheit in AFGHANISTAN die Gefahr eines ernsthaften Schadens hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit bestünde). Die im Gutachten herangezogenen Quellen beziehen sich auch teils auf ältere Berichte, als jene im LIB, Gesamtaktualisierung 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 31.01.2019. Insgesamt weist das Gutachten für das erkennende Gericht nicht denselben Beweiswert auf, wie länderkundliche Informationen (LIB, UNHCR-Richtlinien, EASO-Berichte oder Landinfo-Berichte), die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage in Herkunftsstaat durchliefen. Zu den in dem Gutachten vorgenommenen rechtlichen Bewertungen wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.

 

Der BF hatte im Verfahren vor dem Gericht Gelegenheit, zu den angeführten Berichten Stellung zu nehmen. Der vertretene BF verzichtete in der mündlichen Verhandlung auf eine Stellungnahme zu den wiedergegebenen Länderberichten und Erkenntnisquellen und trat diesen daher nicht entgegen.

 

II.3. Rechtliche Beurteilung:

 

II.3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Da in den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen keine gegenteiligen Bestimmungen enthalten sind, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Zu A)

 

II.3.2. Zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss zudem in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, VwGH vom 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

 

Nach der Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH vom 08.09.2015, Ra 2015/18/0010)

 

Nach der Rechtsprechung des VwGH kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0171).

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der BF die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 19.03.1997, 95/01/0466).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

II.3.3. Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen ergibt sich für den Fall des BF Folgendes:

 

II.3.3.1. Zu der Verfolgung durch pashtunische Spione oder Taliban:

 

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, kam dem Vorbringen des BF zu den behaupteten Fluchtgründen (Bedrohung durch pashtunische Spione oder Taliban, aufgrund der Beteiligung des BF an der Entführung von Pashtunen) keine Glaubwürdigkeit zu bzw. war dieses Vorbringen nicht geeignet, eine mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen darzutun, weshalb es dem BF insgesamt nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

 

Daran vermag auch nichts zu ändern, dass aus den Länderfeststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des BF ( XXXX ) eine Präsenz von Aufständischen, darunter auch Taliban, in bestimmten Gegenden nicht auszuschließen ist. Eine Verfolgungsgefahr ist nämlich nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (zB VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132).

 

Im Fall des BF konnte keine persönliche Bedrohung aufgrund der Teilnahme an Entführungen von Pashtunen vor seiner Ausreise festgestellt werden. Für eine Feindschaft des BF mit den pashtunischen Spionen oder Taliban gibt es keine Anzeichen. Dass die pashtunischen Spione oder die Taliban kein Interesse an der Verfolgung des BF zeigen, lässt sich zudem daran erkennen, dass nicht festgestellt werden konnte, dass seine Familie nach seiner Ausreise von ihnen aufgesucht worden ist. Der BF gab wie bereits dargelegt wurde an, dass seine Familie zumindest bis Dezember 2018 unbehelligt in der Nähe seines Herkunftsortes gelebt habe und es keine Anhaltspunkte für eine Drohung seitens der pashtunischen Spione oder Taliban gegeben habe. Auch nach Dezember 2018 konnte keine Bedrohung seiner Familie durch pashtunischen Spione oder Taliban festgestellt werden. Aufgrund der fehlenden Drohung gegen seine Familie, hätten die pashtunischen Spione oder Taliban bei einer Rückkehr in seinen Heimatort keinen Grund gegen den BF vorzugehen, weshalb für den BF bei einer Rückkehr in seinen Heimatort keine aktuelle, maßgebliche Verfolgungsgefährdung durch die Taliban besteht. Eine staatliche Verfolgung des BF ist ebenfalls nicht hervorgekommen.

 

In Gesamtschau dieser Erwägungen wurde daher aufgrund des Fluchtvorbringens betreffend eine asylrelevante Bedrohung bzw. Verfolgung durch pashtunische Spione oder Taliban, aufgrund der Beteiligung des BF an der Entführung von Pashtunen, bei Rückkehr in seinen Herkunftsort nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.

 

II.3.3.2. Zur vorgebrachten Verfolgung des BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und als schiitischer Muslim:

 

Der BF konnte - wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt - eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung mit asylrechtlich relevanter Intensität in Bezug auf seine Eigenschaft als Hazara und Schiit nicht glaubhaft machen.

 

In Ermangelung von dem BF individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt vor dem Hintergrund des getätigten Fluchtvorbringens im Lichte der Rechtsprechung des VwGH zu prüfen, ob der BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund generalisierender Merkmale - konkret wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

 

Nach der Judikatur des VwGH ist für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet, jedoch ist für das BVwG aus folgenden Gründen nicht ersichtlich, dass der BF als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt zu sein:

 

Den oben zitierten Länderberichten ist u.a. zu entnehmen, dass Schiiten - speziell jene, die der Volksgruppe der Hazara angehören - Diskriminierungen durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt sind. Im Allgemeinen hat sich deren Situation seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert, dennoch bestehen gesellschaftliche Spannungen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Es kommt zweifelsohne zu Diskriminierung und Schikanen, wie sich aus den Berichten ergibt, auch gibt es gezielte Anschläge auf diese Personengruppe. Eine generelle Verfolgung von Schiiten und/oder Hazara in Afghanistan ist aber angesichts ihrer Repräsentation in Armee, Sicherheitsbehörden und Politik nicht zu bejahen.

 

In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials erreicht die Gefährdung der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan bzw. in der Herkunftsprovinz des BF nach Ansicht des BVwG nicht jenes Ausmaß, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung dieser Volksgruppe in Afghanistan für gegeben zu erachten.

 

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verwies in seiner Judikatur auf die schlechte Situation für Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan, verneinte jedoch eine automatisch vorliegende Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr allein auf Grund der Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

 

Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF in Afghanistan im Ergebnis zu verneinen.

 

II.3.3.3. Zu den Feststellungen hinsichtlich der dem BF nicht drohenden Gewalt auf Grund seines mehrjährigen Aufenthalts im Westen:

 

In der Stellungnahme des BF vom 05.02.2019 wurde erstmals vorgebracht, dass der BF im Falle einer Rückkehr aus Europa nach Afghanistan als "verwestlichte" Person angesehen werden würde.

 

Das diesbezügliche Vorbringen ist unsubstantiiert geblieben und es ist dem BF in der mündlichen Verhandlung auch nicht gelungen, eine solche "westliche" Lebenseinstellung, die ihn in Afghanistan asylrelevant exponieren würde, auch glaubhaft zu machen (siehe Punkt II.2.2.3).

 

Im Übrigen ist ihm entgegen zu halten, dass aus den Länderfeststellungen nicht ableitbar ist, dass eine "westliche" Geisteshaltung bei Männern alleine bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (so etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Auch der VwGH verneint in seiner Judikatur eine Vergleichbarkeit solcher Sachverhalte mit seiner Judikatur zum "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" von Frauen (vgl. VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329).

 

Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.

 

Aus den oben angeführten Länderberichten kann zwar abgeleitet werden, dass Afghanen, die längere Zeit in Europa verbracht haben, möglicherweise Schwierigkeiten bei der sozialen und wirtschaftlichen Reintegration in die afghanische Gesellschaft haben sowie Diskriminierungen erfahren. Es mag auch Einzelfälle geben, in denen Rückkehrer wegen der Annahme, dass sie wohlhabend seien entführt werden oder wegen des Verdachts auf Unterstützung der internationalen Kräfte von den Taliban getötet wurden. Diese Diskriminierungen und Angriffe erreichen jedoch nach Ansicht des BVwG nicht jenes Ausmaß, das erforderlich wäre, um von einer spezifischen Verfolgung aller Rückkehrer aus Europa ausgehen zu können.

 

II.3.3.4. Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich konkret für den BF kein Status eines Asylberechtigten ableiten. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur des VwGH nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798, sowie VwGH vom 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529, 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen wäre.

 

II.3.4. Insgesamt ist es daher dem BF nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 aus den aufgezeigten Gründen abzuweisen.

 

II.3.4. Zu Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides:

 

II. 3.4.1. Rechtliche Grundlagen zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz

 

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

Wie bereits oben ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre. Das BVwG hat somit zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich scheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt (VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH vom 25.04.2017 Ra 2017/01/0016).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 08.09.2016, Ra 2016/20/006). Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des EGMR hinzuweisen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61 204/09; s. dazu auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

 

Auch in seinen jüngeren Erkenntnissen hat der VwGH zur spezifischen Situation von Afghanistan erneut auf seine Vorjudikatur und die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Ebenso sprach der VwGH aus, dass nicht verkannt werde, dass die Lage in Afghanistan sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in einzelnen Landesteilen als auch der wirtschaftlichen Situation angespannt sei. Davon ist aber das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK zu unterscheiden, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (vgl. VwGH 02.08.2018, Ra 2017/19/0229 mwN).

 

Eine schwierige Lebenssituation für den Asylwerber im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, primär gestützt auf mangelnde tragfähige Beziehungen und/oder fehlende Ortskenntnisse in Großstädten, oder eine schwierige Situation bei der Wohnraum- oder Arbeitsplatzsuche, reicht nach der Judikatur des VwGH explizit nicht aus, um die Voraussetzungen zur Erlangung von subsidiärem Schutz glaubhaft zu machen (vgl. zB VwGH 29.5.2018, Ra 2018/20/0146, mwN).

 

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der VwGH in seinem jüngsten Erkenntnis (06.11.2018, Zl. Ra 2018/01/0106 mit Verweis auf Rechtsprechung des EuGH) ausgesprochen hat, es widerspreche der Statusrichtlinie 2011/95/EU , einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen.

 

Auch der VfGH hat sich mit den erforderlichen Feststellungen iZm der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul unter dem Aspekt der Willkür auseinandergesetzt (vgl. VfGH 12.12.2017, E2068/2017) und ausgesprochen, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sicher, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zugemutet werden könne.

 

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des BF als Zielort wegen der ihm dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.03.2013; U1674/12; 12.06.2013, U2087/2012; 13.09.2013, U370/2012).

 

Der VwGH verlangt in seiner Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Asylwerber konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu gewärtigen hätte (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül somit insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Zumutsbarkeitskriterium), d. h. es muss eine Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort erfolgen. Für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15).

 

In seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, hat der VwGH ausgesprochen, dass es, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können nicht ausreiche, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er keine Folter oder unmenschliche Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

II. 3.4.2. Zur Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz im Fall des BF

 

Aufgrund der in der Herkunftsprovinz XXXX herrschenden schlechten Sicherheitslage und dem anhaltenden bewaffneten Konflikt zwischen der Regierung und regierungsfeindlichen Gruppen besteht für den BF in seiner Herkunftsprovinz ein reales Risiko für die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit. Eine Rückkehr in seine Heimatregion kann dem BF somit nicht zugemutet werden.

 

Dem BF steht jedoch vor dem Hintergrund der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan und der angeführten Länderberichte in Zusammenschau mit den festgestellten persönlichen Lebensumständen des BF eine Innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) in der Stadt Mazar-e-Scharif zur Verfügung.

 

Die folgende Prüfung einer IFA für den BF erfolgt anhand der kursiv wiedergegebenen Prüfkriterien des Leitfadens zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan der UNHCR vom November 2018, soweit diese Kriterien für den BF konkret relevant sind:

 

 

Der BF kann nach Ansicht des BVwG in die Stadt Mazar-e-Sharif zurückkehren.

 

 

Mazar-e-Sharif steht nach den vorliegenden Länderinformationen nicht unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, in der Region Fuß zu fassen.

 

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Anschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, auch in der Stadt Mazar-e Sharif nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Die in der Stadt Mazar-e Sharif verzeichneten Anschläge ereignen sich hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.

 

 

Wie dargestellt, ist die Sicherheitslage in der Provinz Balkh und konkret in Mazar-e-Sharif derzeit als stabil und ruhig zu bezeichnen. Auf Basis der vorliegenden Staateninformationen ist nicht davon auszugehen, dass dem BF in Mazar-e-Sharif eine Verfolgung (eine solche konnte unter Punkt II.3.2. nicht festgestellt werden) oder ein anderer schwerer Schaden droht.

 

 

Mazar-e-Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Entsprechend den aktuellen Länderinformationen im EASO-Leitfaden werden auch die Straßen zwischen dem internationalen Flughafen und der Stadt Mazar-e-Sharif während des Tages als sicher eingestuft (vgl EASO Leitlinien vom Juni 2018, Seite 29).

 

 

Wie festgestellt wurde, ist der BF gesund sowie im erwerbsfähigen Alter. Zudem spricht der BF eine Landessprache (Dari) auf muttersprachlichem Niveau. Er hat zwar keine Schule besucht, verfügt jedoch über eine zwölfjährige Berufserfahrung als Mauer auf Baustellen in Kabul. Der BF hat sein gesamtes Leben bis zur Ausreise in Afghanistan verbracht. Daher ist der BF mit den sozialen Normen und Gepflogenheiten des Landes vertraut.

 

Der BF gehört auch keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt, als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Insbesondere ist auch nicht hervorgekommen, dass sich der BF bei Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif häufig an den oben angegebenen - mit höherer Wahrscheinlichkeit von Anschlägen regierungsfeindlicher Elemente betroffenen - Orten aufhalten werde. Auch seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara begründet - die Hazara bilden dort die viertgrößte Volksgruppe - in Mazar-e Sharif kein besonderes Gefährdungsmoment.

 

 

Auf Grund der anhaltenden Stabilität der Region Balkh und der dargestellten grundsätzlich ruhigen Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif ist davon auszugehen, dass der BF in Mazar-e-Sharif trotz der Schwankungen der allgemeinen Sicherheitslage auf Grund des bewaffneten Konflikts auch auf Dauer sicher wird leben können. Insbesondere sind beim BF keine individuellen Umstände hervorgekommen, die gegen diese Einschätzung sprechen.

 

 

Es ergeben sich aus den Länderberichten keine Hinweise darauf, dass die für den BF persönlich wichtigen, grundlegenden Menschenrechte in Mazar-e-Sharif nicht geachtet werden.

 

 

Da der BF gesund und arbeitsfähig ist, spricht nichts dagegen, dass der BF in Mazar-e-Sharif durch Annahme von Gelegenheitsarbeiten entsprechend seiner Vorerfahrung seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in dieser Stadt dennoch zumindest grundlegend gesichert.

 

Die grundsätzliche Versorgung mit Gütern wird nach den getroffenen, auf aktuellen Berichten beruhenden Feststellungen - s. dazu auch die Hinweise der UNHCR-Richtlinien 2018 aus S. 111 - auch nicht durch eine derzeit auch die Provinz Balkh betreffende Trockenperiode (Dürre) beeinträchtigt. Dies ist auch der aktuellen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre" vom 13.09.2018 (Beilage ./10) zu entnehmen. In dieser wird zwar festgehalten, dass es zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung im Umland von Mazar-e Sharif kommt, allerdings - ansonsten kann im Hinblick auf eine Großstadt von entsprechenden Berichten bzw. Hinweisen ausgegangen werden - nicht in der Stadt selbst. Aufgrund der Dürre wird es zu geringeren Getreideernten kommen, die Getreidepreise liegen jedoch aufgrund guter Ernten im Iran und in Pakistan in Mazar-e Sharif dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Und auch die Löhne in Mazar-e Sharif liegen trotz der aktuellen Trockenheit im Mai 2018 um 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt. Es haben sich keine Hinweise ergeben, dass die Stadt Mazar-e Sharif selbst von einer Dürre oder von einem Nahrungsmittelengpass betroffen ist.

 

 

Einer der Brüder des BF lebt in Mazar-e Sharif. Daher ist davon auszugehen, dass er bei diesem - zumindest anfänglich - unterkommen könnte. Überdies stehen in der Stadt Mazar-e Sharif nach den Länderinformationen ausreichend (wenn auch einfache) Unterkünfte zur Verfügung. Insbesondere kann - wie dies Landinfo im EASO-Bericht Netzwerke Januar 2018 aufzeigte - anstelle einer ganzen Wohnung ein einzelnes (und damit gegenüber einem ganzen Apartment deutlich günstigeres) Zimmer gemietet werden, z.B. vorübergehend in einem "Teehaus" ("tea house"). Es ist zu berücksichtigen, dass nicht davon ausgegangen werden muss, dass eine einzelne Person eine ganze Wohnung für sich mieten müsste. So könnte auch eine Wohnung von mehreren Personen/Rückkehren, jedenfalls für eine Übergangszeit, geteilt werden, was die Mietkosten (erheblich) senken würde.

 

 

Insgesamt ist festzuhalten, dass die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für einen Rückkehrer auch in der Stadt Mazar-e Sharif schwierig sind. Der Zugang zu Grundversorgung, medizinischer Versorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt ist jedoch gegeben. Zwar fallen - nach der festgestellten, auf dem EASO-Bericht Sozioökonomie beruhenden Länderinformationen - auch dort ein Großteil der Haushalte unter die städtische Armut ("urban poor"), d.h. nur rund 30 USD pro Person pro Haushalt, jedoch wäre nach der festgestellten Berichtslage nicht erkennbar, dass ganz generell nicht die Grundlage bzw. (Lebens‑) Bedingungen an sich für die - in weiterer Folge, wie nachstehend auch erwogen, dann von weiteren persönlichen Umständen des Einzelnen abhängig - Existenzsicherung allgemein wie auch das Erreichen und Halten eines - auch der übrigen dortigen Bevölkerung entsprechenden - angemessenen Lebensstandards ("adequate living standard") vorhanden wären (s. dazu auch EASO-Länderleitfaden Afghanistan S. 104 f bzw. S. 110 der UNHCR-Richtlinien).

 

Soweit der Rechtsvertreter des BF am Ende der mündlichen Verhandlung darauf hinwies, dass man Probleme bei der Gesundheitsversorgung und mit der Polizei bekomme, wenn man keine Tazkira habe, ist anzumerken, dass der BF selbst auf Nachfrage seines Rechtsvertreters angegeben hat, dass er eine Tazkira in Afghanistan beantragen könnte (VHS S. 18).

 

 

Der BF kann sich auf Basis seiner beruflichen Vorerfahrung - möglicherweise nach Anfangsschwierigkeiten - durch Annahme von Gelegenheitsarbeiten eine Lebensgrundlage schaffen. Es kamen im Verfahren keine Umstände hervor, die darauf schließen lassen, dass der BF nicht in der Lage wäre, für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen. Der BF war, auch unter Berücksichtigung seines Alters, vor seiner Abreise in der Lage sich und seine Familie, nämlich seine Ehefrau und seine fünf Kinder, zu ernähren. Er besitzt ein Haus und ein landwirtschaftliches Grundstück in XXXX , die er bewirtschaften bzw auch verkaufen könnte, um die für den Neueinstieg erforderlichen Geldmittel zu erlangen.

 

Der BF kann nach den vorliegenden Länderinformationen sowohl staatliche als auch NGO-Hilfe für Rückkehrer nach Afghanistan in Anspruch nehmen und damit die Grundlage für sein weiteres Leben in Mazar-e Sharif schaffen.

 

 

Der BF hat regelmäßig Kontakt zu seiner Mutter, seiner Ehefrau und seinen Kindern. Es ist auch der Kontakt zu seinen übrigen Familienangehörigen in Afghanistan und im Iran, insbesondere zu seinem Bruder in Mazar-e Sharif, herstellbar. Der Bruder des BF der in Mazar-e Sharif lebt betreibt einen Lebensmittelladen. Der Onkel und der Cousin mütterlicherseits sowie sein Onkel und sein Cousin väterlicherseits leben in seinem Herkunftsdistrikt. Seine verheiratete Schwester lebt ebenfalls in XXXX . Ein Cousin des BF hat in Kabul studiert und sein anderer Bruder lebt im Iran, wo er am Bau arbeitet. Es ist angesichts der ausgeprägten Familienkultur in afghanischen Gesellschaften davon auszugehen, dass ihm sein Bruder jedenfalls anfänglich eine Unterkunft sowie Versorgung bieten könnte und die übrigen Familienangehörigen des BF diesen auch im Fall einer Neuansiedelung in Mazar-e Sharif anfangs - zumindest nach Kräften - finanziell unterstützen würden.

 

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ehefrau und die Kinder des BF seit seiner Ausreise jedenfalls bis Dezember 2018 in der Nähe seines Heimatdorfes gelebt haben und nicht festgestellt werden konnte, dass sie unbegleitet nach Pakistan gezogen sind. Der BF würde alleine nach Mazar-e-Sharif reisen. Seine Ehefrau und seine Kinder haben seit der Ausreise des BF von seinen Ersparnissen gelebt, außerdem besitzt der BF auch ein Haus und ein landwirtschaftliches Grundstück in seinem Heimatdorf. Ferner leben zahlreiche Familienangehörige des BF in seinem Herkunftsdistrikt, die aufgrund der afghanischen Gesellschaftsstrukturen die Versorgung seiner Ehefrau und Kinder übernehmen müssten. Seine Ehefrau und seine Kinder sind in diesem Verfahren auch nicht Partei. Für die Zwecke der Prüfung der IFA-Zumutbarkeit ist der BF somit als alleinstehend anzusehen, zumal die Abschiebung des BF nach Afghanistan seine Ehefrau und seine Kinder nicht mitumfassen würde.

 

Selbst wenn man somit davon ausgeht, dass der BF in Afghanistan keine finanzielle Unterstützung durch seine Familienangehörigen in Afghanistan und im Iran erhalten würde und auch sonst kein Netzwerk hat, ist der BF für die Zwecke der IFA-Prüfung als alleinstehender, leistungsfähiger Mann zu betrachten. Den UNHCR RL 2018 ist zudem zu entnehmen, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sich auch ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten in zumutbarer Weise ansiedeln können, wenn eine notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung gegeben ist und das Gebiet unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen (S. 125). Dies ist derzeit in Mazar-e Sharif gegeben, da Mazar-e Sharif unter Kontrolle des Staates steht. Auch die EASO Leitlinien 2018 halten fest, dass für alleinstehende, gesunde und erwerbsfähige Männer, die früher schon einmal in Afghanistan gelebt haben, eine IFA in Mazar-e-Sharif auch ohne Unterstützungsnetzwerk zumutbar ist.

 

Im Ergebnis steht dem BF somit eine IFA in Mazar-e Sharif zur Verfügung, auf die er entsprechend den Prüfkriterien des UNHCR aus November 2018 in zumutbarer Weise verwiesen werden kann. An dieser Einschätzung ändern auch die Beschwerde, Beschwerdeergänzung und die Stellungnahme des BF vom 05.02.2018 zur allgemeinen schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan sowie dem fehlenden familiären bzw. sozialen Netzwerk des BF nichts. Zu einem Verweis auf das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 in der Stellungnahme des BF ist ergänzend anzumerken, dass der VwGH wiederholt ausgesprochen hat, dass die Beurteilung der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative eine Rechtsfrage darstellt.

 

In seiner Beschwerde weist der BF auf einen Bericht des UNO-Generalsekretärs von Jänner 2018 hin. Die Situation in Afghanistan sei nicht mehr als "Postkonflikt-Land" einzustufen, sondern befinde sich derzeit in einem Konflikt. Dass Afghanistan von einem innerstaatlichen "bewaffneten Konflikt" betroffen ist, ist nicht in Abrede zu stellen, allerdings mangelt es als weiteres Tatbestandselement - und s. dazu die Erwägungen des VwGH in seiner Entscheidung vom 25.04.2017 mit Hinweisen auch auf die Rechtsprechung des EuGH - an der "Willkürlichkeit" der Gewalt in der Stadt Mazar-e Sharif als Gesamtes. Hinsichtlich einer wirksamen staatlichen Kontrolle ist anzumerken, dass die afghanische Regierung nach der festgestellten Länderberichtslage die "tatsächliche" Kontrolle über die Stadt Mazar-e Sharif hat, die Regierung beherrscht also die hier relevanten Gebiete. Davon zu unterscheiden ist die Tatsache, dass die Regierung mit ihrer Kontrollstruktur bzw. Kontrollorganisation nicht in der Lage ist, jeglichen Anschlag zu verhindern bzw. dies wohl auch in Zukunft nicht sein wird.

 

Auch die fehlende "Erwerbssicherheit" ändert nichts an der rechtlichen Würdigung. Aufgrund der fallbezogenen Umstände wird davon ausgegangen, dass eben nach einer Übergangszeit die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durchaus wahrscheinlich ist. Einen "gesicherter" Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten verlangen auch die UNHCR-Richtlinien nicht (dazu VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, Rz 23).

 

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif entgegenstehen würden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem BF eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif möglich und auch zumutbar ist.

 

Die Rückverbringung des BF nach Afghanistan steht daher nicht im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005, weshalb dem BF nach den genannten Bestimmungen der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuzuerkennen ist.

 

Die reale Gefahr, dass dem BF in seinem Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe drohen könnte, kann somit nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung sprechen würden, sind ebenfalls nicht erkennbar, weswegen die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ebenfalls abzuweisen war.

 

II.3.5. Zur Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

3.5.1. Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen,

(...)

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.5.2. Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ist, dass dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre."

 

3.5.2.1. Zum Familienleben

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018 Ra 2017/21/0218).

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.

 

Der BF hat, abgesehen von seinem Cousin väterlicherseits keine Angehörigen im Bundesgebiet. Der BF lebt in Österreich von der Grundversorgung, eine finanzielle Abhängigkeit zwischen ihm und seinem Cousin väterlicherseits konnte nicht festgestellt werden. Auch eine sonstige Abhängigkeit zwischen ihnen ist nicht hervorgekommen. Der BF behauptete außerdem keine gemeinsamen Aktivitäten mit seinem Cousin väterlicherseits, die auf ein besonderes schützenswertes persönliches Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis schließen lassen. Dass der BF mit seinem Cousin in Kontakt steht und ihm dieser bei der Jobsuche in Österreich helfen würde, begründet keine über die Verwandtschaft hinausgehende engere Bindung der beiden, die die von der Judikatur geforderte besondere Intensität aufweist. Daher bedeutet ein Eingriff in diese verwandtschaftliche Beziehung, keine Verletzung des Rechtes auf Familienleben iSd. Art. 8 EMRK. Eine iSd. Art. 8 EMRK schützenswerte familiäre Bande besteht mit dem im Bundesgebiet aufhältigen Cousin väterlicherseits nicht.

 

3.5.2.2. Zum Privatleben

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der VwGH geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der VwGH bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

 

Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Der VfGH misst in ständiger Rechtsprechung auch dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

Der BF stellte am 05.02.2016 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Sein bisheriger Aufenthalt im Bundesgebiet war ihm bis jetzt nur durch diesen Antrag auf internationalen Schutz möglich und es musste ihm bekannt sein, dass die damit verbundene sogenannte vorübergehende Aufenthaltsberechtigung lediglich ein Aufenthaltsrecht nur für die Dauer des Asylverfahrens darstellt. Es war demnach vorhersehbar, dass es im Falle einer negativen Entscheidung zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt. Das Gewicht eines zwischenzeitig entstandenen Privatlebens wird somit schon dadurch gemindert, dass sich der BF nicht darauf verlassen konnte, sein Leben auch nach Beendigung des Asylverfahrens in Österreich fortzuführen, sich also zum Zeitpunkt, in dem das Privatleben entstanden ist, des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen.

 

Obwohl der BF seit etwas über drei Jahren in Österreich lebt, verfügt er nur über sehr geringe Deutschkenntnisse. Der BF bezieht die staatliche Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat an Infomodulen über die Themen "Familie" und "Zusammenleben" teilgenommen. Außerdem hat er auch an Kursmaßnahmen zur Integration teilgenommen. Der BF hat von Anfang Dezember 2017 bis Ende Jänner 2018 ehrenamtlich in der Wärmestube einer Kirche mitgeholfen. Er hat, außer zu seinem Deutschlehrer, keine sozialen Kontakte zu Österreichern geknüpft. Der BF fährt viel mit dem Fahrrad. Er war in keinem Verein tätig und geht keinen kulturellen Aktivitäten nach.

 

Auch ein Vergleich seiner Lebensumstände im Herkunftsstaat zeigt keine unzumutbaren Härten auf. Beim BF handelt es sich um einen erwachsenen Mann, der an keinen sein Alltagsleben oder seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Erkrankungen leidet. Der BF ist in Afghanistan geboren und aufgewachsen, spricht Dari und hat zwölf Jahre in Kabul als Maurer auf Baustellen gearbeitet. Er besitzt ein Haus und ein landwirtschaftliches Grundstück in seinem Herkunftsort. Vor dem Hintergrund seiner individuellen Umstände sind keine Gründe erkennbar, die einer Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat und eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts entgegenstehen würden, zumal er sich und seine Familie bereits vor seiner Ausreise aus Afghanistan selbstständig versorgen konnte.

 

Darüber hinaus ist der Zeitraum des Aufenthalts des BF mit etwas über drei Jahren im Sinne der Judikatur des VwGH (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH) und der oben getroffenen Ausführungen als relativ kurz zu werten.

 

Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

3.5.2.3. Zur Interessenabwägung

 

Den schwach ausgeprägten privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des BF am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Es sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

 

3.5.3. Zum Aufenthaltstitel plus gemäß § 55 Abs 1 AsylG

 

Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

 

Obigen Erwägungen zufolge sind daher auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben. Der BF konnte insbesondere auch keine Deutschkenntnisse auf A 2 Niveau vorweisen, die für die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 11 Integrationsgesetz Voraussetzung sind.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG liegen vor. Da der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass dem BF kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Der BF hat weder behauptet über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen, noch ist ein solches im Ermittlungsverfahren hervorgekommen.

 

3.5.4. Zulässigkeit der Abschiebung

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines entsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG auf Grund des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative verneint (siehe Punkt II.3.2.).

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG verneint (siehe Punkt. II.3.1.).

 

Die Abschiebung ist nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

 

Die Abschiebung des BF nach Afghanistan ist daher zulässig. Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich der Spruchpunkt III. bis V. als unbegründet abzuweisen.

 

3.4. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides - Ausreisefrist

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß § 55 Abs. 3 FPG kann die Frist bei Überwiegen besonderer Umstände für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.

 

Derartige besondere Umstände sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden, weshalb die vom Bundesamt gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

 

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt VI. als unbegründet abzuweisen

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte