BVwG W249 2161300-1

BVwGW249 2161300-115.5.2018

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs4b
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W249.2161300.1.00

 

Spruch:

W249 2161300-1/12E

W249 2161293-1/12E

W249 2161299-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch

XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.12.2017 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 3 Abs. 4b AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 15.05.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch

XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.12.2017 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 3 Abs. 4b AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 15.05.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter XXXX , geboren am XXXX , diese vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.12.2017 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 15.05.2021 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Familie XXXX brachte gleichlautende Beschwerden in ihren jeweiligen Verfahren auf internationalen Schutz ein. Der hier verfahrensgegenständliche Erstbeschwerdeführer ( XXXX , in der Folge BF1) ist mit der hier verfahrensgegenständlichen Zweitbeschwerdeführerin ( XXXX , in der Folge BF2) verheiratet. Diese sind die Eltern des Viertbeschwerdeführers ( XXXX , in der Folge BF4), der Fünftbeschwerdeführerin ( XXXX , in der Folge BF5) und der hier verfahrensgegenständlichen Sechstbeschwerdeführerin (

XXXX , in der Folge BF6). BF1 ist der Sohn des Drittbeschwerdeführers ( XXXX , in der Folge BF3).

Die hier verfahrensgegenständlichen BF1, BF2 und BF6 stellten nach unrechtmäßiger, schlepperunterstützter Einreise am 30.07.2016 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 30.07.2016 vor dem Stadtpolizeikommando Wels erfolgten Erstbefragung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari gab BF1 im Wesentlichen an, er sei in Kabul, Afghanistan, geboren, sunnitischen Bekenntnisses und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Er habe zuletzt in Kabul, XXXX , XXXX , gelebt und habe drei Schwestern in Afghanistan, einen Bruder im Iran und einen Bruder in Deutschland. Vier Jahre habe er die Grundschule besucht und seinen Lebensunterhalt als selbstständiger Geschäftsmann (Landwirt) verdient.

BF1 brachte weiters vor, die Fluchtroute habe vom Iran über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland geführt und dann zurück nach Österreich. Er habe Deutschland erreichen wollen, da dort Bekannte und ein Bruder von ihm seien. BF1 habe vor ca. sieben Monaten den Entschluss zur Ausreise gefasst und diese sei durch ihn mittels Schlepper organisiert worden. Die Reise habe EUR 36.000,-- für die gesamte Familie gekostet.

Zum Fluchtgrund führte BF1 aus, dass er Angst um sein Leben in Afghanistan habe. Er sei von zwei Kugeln getroffen, und sein Onkel sei getötet worden. Auch das Haus sei verbrannt worden. Deswegen sei er zusammen mit BF2 vor ca. acht Jahren in den Iran geflüchtet. Die Feinde würden die gesamte Familie umbringen.

Vom Iran seien sie geflüchtet, da sie Sunniten seien und der Iran schiitisch regiert werde. Sie hätten jederzeit abgeschoben werden können. Sie hätten weder arbeiten, noch die Kinder in die Schule gehen dürfen.

3. BF2 gab bei der Erstbefragung an, sie stamme aus Kabul, Afghanistan, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und sei sunnitischen Bekenntnisses. Sie habe fünf Jahre die Grundschule besucht und sei Hausfrau gewesen. BF2 habe zwei Schwestern und einen Bruder in Afghanistan sowie einen Bruder im Iran. Vor ca. sieben Monaten sei sie von XXXX aus nach Europa ausgereist. Dabei schilderte sie die Reiseroute wie BF1. Die Reise sei von ihrem Mann zusammen mit einem Schlepper organisiert worden.

Zum Fluchtgrund brachte sie vor, dass das Leben von ihr und der Familie in Gefahr gewesen sei und sie um ihr Leben und das ihrer Familie fürchte.

4. Bei der Ersteinvernahme von BF6 schilderte diese, dass sie Tadschikin sei und dem sunnitischen Glauben angehöre. Sie sei in Kabul, Afghanistan, geboren und habe sieben Jahre lang eine Schule im Iran besucht. Eine Berufsausbildung habe sie nicht. BF6 spreche Dari und Englisch.

Die Ausreise sei von ihrem Vater organisiert worden. BF6 schilderte die Reiseroute wie BF1.

Als Fluchtgrund gab BF6 an, dass ihr Vater verfolgt werde. Er habe Feinde in Afghanistan, aus diesem Grund sei sie hier. Die Feinde des Vaters würden die ganze Familie umbringen.

5. BF1, BF2 und BF6 wurden am 24.05.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme legten BF1, BF2 und BF6 jeweils eine Teilnahmebestätigung an einer Deutsch-Kommunikationsgruppe vom 23.05.2017 vor.

Im Rahmen der Befragung vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari führte BF1 an, dass er gesund sei, keine Medikamente nehme und jederzeit arbeiten könne. In der Erstbefragung seien zwei, drei Fehler gemacht worden: Seine Kinder seien im Iran geboren, und er sei zweimal im Iran gewesen ("1374 und 1388"). Vor acht Jahren hätte sich die Familie nur zwei Monate in Afghanistan aufgehalten und sei dann wieder zurückgekehrt.

BF1 stamme aus der Provinz Kabul, Distrikt XXXX , Dorf XXXX . Er habe vier Jahre lang die Grundschule besucht und danach als Landwirt gearbeitet. Die Familie habe eigene Gärten und Felder besessen. BF1 habe im Alter von etwa zwanzig Jahren in Kabul geheiratet. Er sei dann in den Iran gegangen (im Jahr "1374") und habe dort zwölf Jahre lang gelebt. Für zwei Monate sei er nach Afghanistan zurückgekehrt, ehe er wieder in den Iran gegangen sei. Dort habe sich BF1 acht Jahre aufgehalten, bis die Familie ausgereist sei.

Zu den Fluchtgründen befragt gab BF1 im Wesentlichen an, dass er die Heimat verlassen habe, da er eine Feindschaft gehabt habe. Die Gegend sei damals in zwei Fraktionen (Ahmad Shah Masood gegen Hezb-e Islami) aufgeteilt gewesen, und es habe heftige Kämpfe gegeben. Bei diesen Kämpfen sei jemand getötet worden, und man habe ihm die Schuld dafür gegeben. Durch eine Frau "von der anderen Seite" habe BF1 erfahren, dass man ihn töten wolle. Damals sie der Schwiegervater seiner Schwester verstorben, und auf dem Weg zur Beerdigung sei auf ihn geschossen worden. Dabei sei sein Onkel väterlicherseits getötet und er von zwei Kugeln getroffen worden. Er habe sich noch ein, zwei Monate dort aufgehalten. Als er wieder etwas bei Kräften gewesen sei, sei die Familie ausgereist.

Ferner gab BF1 an, dass er keine bestimmte Position in seiner Fraktion innegehabt habe und alle bewaffnet gewesen seien. Als er kurzzeitig nach Afghanistan zurückgekehrt sei, habe er von einem Freund erfahren, dass ein Kommandant namens XXXX von dem Parlamentsabgeordneten XXXX eine Feindschaft mit der Familie habe.

Eine Rückkehr sei nicht möglich, da die Bedrohung nichts mit der Fraktion zu tun habe, sondern mit einer Feindschaft, weil BF1 angeblich jemanden getötet habe.

Zu seinem Tagesablauf in Österreich befragt sagte BF1, er besuche dreimal die Woche einen Deutschkurs und befinde sich in der Grundversorgung. Er habe eine freundschaftliche Beziehung zu einem Österreicher.

6. BF2 gab am Anfang ihrer Befragung vor dem BFA an, dass sie gesund sei und Medikamente gegen Bluthochdruck nehme. Sie schilderte, dass sie aus Kabul stamme und vor fünfundzwanzig Jahren geheiratet habe. BF2 sei Hausfrau gewesen und habe nebenbei als Schneiderin gearbeitet. Sie habe fünf Jahre lang eine Schule besucht. Vor zwanzig Jahren habe sie ihre Heimat verlassen und sei vor neun Jahren dorthin zurückgekehrt. Nach eineinhalb Monaten sei sie aber wieder in den Iran zurückgegangen.

Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab BF2 zusammengefasst an, dass diese damals Afghanistan verlassen habe, da das Leben von BF1 in Gefahr gewesen sei. Es habe damals zwei Fraktionen gegeben. Ein Onkel von einem Kommandanten von XXXX sei getötet worden, und man habe ihrem Mann die Schuld dafür gegeben. Dieser sei auf einer Beerdigung angeschossen und sein Onkel getötet worden. Bei der Rückkehr nach Afghanistan hätte ihr Mann von einem Bekannten erfahren, dass Leute, mit denen er in einer Feindschaft gewesen sei, jetzt mächtige Leute in der Regierung seien.

Zu ihrer Lebensweise in Österreich befragt brachte BF2 vor, dass sie keine sozialen oder privaten Bindungen in Österreich habe und kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation sei. Sie gehe in der Früh immer spazieren und sei mit dem Lehrer ihrer Tochter, der nun ihr Deutschlehrer sei, befreundet.

7. Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA am 24.05.2017 gab BF6 an, dass sie im Iran geboren worden sei und dort sieben Jahre lang eine Schule besucht habe. Sie habe nur gelernt, aber nicht gearbeitet. Sie sei nur einmal in Afghanistan gewesen. Ihre Eltern hätten den Beschluss gefasst, das Land zu verlassen, und BF6 habe keine Wahl gehabt. Diese seien auch hier, damit sie die Schule besuchen könne. Im Iran sei das nicht möglich gewesen. BF6 wolle kein Mensch sein, der nichts zustande bringe und nicht gebraucht werde. In der Heimat sei es gefährlich. Sie könne dort nicht alleine sein.

Zu ihrem Tagesablauf in Österreich befragt sagte BF6, sie besuche seit drei Monaten die Schule und gehe in die vierte Klasse. Nebenbei besuche sie einen Deutschkurs.

8. Das BFA wies mit den in den Sprüchen angeführten Bescheiden vom 30.05.2017 die gegenständlichen Anträge von BF1, BF2 und BF6 auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) (Spruchpunkte I.) und bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z13 AsylG (Spruchpunkte II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (in der Folge FPG) erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte III.) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte IV.).

In der Begründung der Bescheide gab das BFA die entscheidungsrelevanten Angaben von BF1, BF2 und BF6 wieder und traf Feststellungen zu deren Personen (ua. dass BF2 und BF6 keine westlich orientierten Frauen seien) und der Lage in Afghanistan. Eine vorgebrachte Furcht sei nicht festzustellen gewesen. Es liege keine Gefährdungslage in Bezug auf Afghanistan vor.

Beweiswürdigend führte das BFA insbesondere an, dass nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass eine Feindschaft bestanden habe und BF1, BF2 und BF6 bei einer Rückkehr in die Heimat keiner Gefährdung ausgesetzt sein würden. BF2 habe im Zusammenhang mit einer westlichen Orientierung nichts vorgebracht und trage ein Kopftuch. BF6 habe ebenfalls nicht vorgebracht, westlich orientiert zu sein. Eine schulische Ausbildung sei ihr auch in Afghanistan möglich.

Die Familie könne nach Kabul zurückkehren, wo es viele soziale Anknüpfungspunkte gebe.

9. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 30.05.2017 wurde BF1, BF2 und BF6 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG jeweils XXXX als Rechtsberatung zur Seite gegeben.

10. Am 30.05.2017 erfolgte jeweils eine Information über die Verpflichtung zur Ausreise.

11. Mit 07.06.2017 wurde XXXX jeweils zur rechtsfreundlichen Vertretung von BF1 und BF2 (und damit BF6) bevollmächtigt.

12. Mit Schreiben vom 08.06.2017 erhoben BF1, BF2 und BF6 zusammen mit BF3, BF4 und BF5 jeweils fristgerecht eine gleichlautende Beschwerde.

Die Beschwerden brachten im Wesentlichen vor, dass die Beschwerdeführer Afghanistan verlassen hätten und dorthin nicht mehr zurückkehren könnten, da BF1 beschuldigt werde, einen Anhänger der Gulbudin Hekmatyar-Fraktion erschossen zu haben. Der damalige Führer der Hesb-e Islami sei nach zwanzig Jahren seit Februar 2017 wieder in Kabul. Es sei zu befürchten, dass die gesamte Familie von den Anhängern umgebracht werde. Zudem seien BF1, BF5 und BF6 westlich orientiert.

Beigelegt wurden den Beschwerden folgende Unterlagen:

* Bestätigung von Schusswunden durch XXXX von BF1 vom 12.10.2016

* Empfehlungsbrief vom Verein XXXX vom 29.03.2017

* Teilnahmebestätigung an einer Deutsch-Kommunikationsgruppe von BF2, BF4, BF5 und BF6 vom 23.05.2017

13. Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) am 09.06.2017 vorgelegt.

17. Mit Schreiben vom 13.09.2017 wurde die Vollmacht zur rechtsfreundlichen Vertretung durch XXXX von BF1 bis BF6 bekanntgegeben und eine Beschwerdeergänzung erstattet. Darin brachten die Beschwerdeführer vor, dass es die Behörde unterlassen habe, aufgrund der amtswegigen Ermittlungspflicht eine geschlechterspezifische Befragung in Bezug auf BF3 und BF6 durchzuführen. Die Behörde habe auch eine nachvollziehbare Argumentation, warum diese der Ansicht sei, dass BF5 keine "westliche Orientierung" glaubhaft machen habe können, missen lassen. Zudem habe es das BFA bei der Prüfung des subsidiären Schutzes außer Acht gelassen, dass die Familie mehr als zwanzig Jahre im Iran verbracht habe. BF4 habe sein ganzes Leben im Iran verbracht und würde ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. BF3 könne seine Existenzgrundlage aufgrund seines Alters nicht sichern.

14. Am 14.11.2017 legte XXXX seine erteilte Vollmacht nieder.

15. Am 07.12.2017 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt. Das BFA verzichtete mit der Beschwerdevorlage vom 09.06.2017 auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Im Zuge dieser Verhandlung wurde durch Parteienvernehmung von BF1 bis BF6 in Anwesenheit ihrer Rechtsvertreterin Beweis erhoben.

Vorgelegt wurden dabei von BF1, BF2 und BF6:

* diverse Empfehlungsschreiben (05.12.2017, dreimal 28.11.2017)

* zwei Kurzbriefe von XXXX betr. BF1 vom 10.11.2017 und 15.09.2017

* Befund von BF1 vom 26.09.2017

* Deutschkursbestätigung von BF1 und BF2 ohne Datum

* ÖSD-Zertifkat A1 von BF6 vom 08.11.2017

26. Die Niederschrift der Befragung von BF1, BF2 und BF6 lautet auszugsweise:

"[...]

Zur heutigen Situation:

R: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF1-6: Wir sind gesund und können der Verhandlung ohne Probleme folgen.

R: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF3: Ich bin etwas schwerhörig.

BF1,2,4-6: Wir sind alle gesund.

[...]

R an BF1: Sie haben angegeben, dass Sie gesund sind, können Sie mir zu dem mir von Ihnen vorgelegten Befund Angaben machen?

BF1: Nach dem ersten negativen Bescheid habe ich Depressionen gehabt und stehe auch weiter unter ärztlicher Behandlung, und ich nehme auch Medikamente.

R: Welche Medikamente sind das?

BF1 übergibt eine angebrochene Medikamentenpackung " XXXX ".

R: Wieviel nehmen Sie davon?

BF1: Eine täglich. Seit drei Monaten nehme ich dieses Medikament. Das ist für sechs Monate vorgesehen, dass ich es nehmen soll. Davor hatte ich etwas anderes bekommen. Das konnte ich aber nicht vertragen. Deswegen wurde mein Medikament mit diesem getauscht.

R: Haben Sie darüber hinausgehende Behandlungen wie eine Gesprächstherapie usw.?

BF1: Ich bin zu meinem Hausarzt gegangen. Er hat mich zu einem Neurologen geschickt. Der Neurologe hat, wie er sagt, von meinem Kopf ein Röntgenbild gemacht, und mir ein Medikament verschrieben. Durch dieses Medikament habe ich bei meiner linken Hand und linkem Fuß Gefühlsstörungen bekommen. Ich bin noch einmal zum Arzt gegangen und habe ihm dieses Problem geschildert. Daraufhin hat er mir mein Medikament mit dem jetzigen getauscht. Eine psychologische Therapie hat er mir nicht empfohlen. Der Arzt hat mir gesagt, dass ich einen Schlaganfall gehabt habe. Am 10. Jänner ist der nächste Termin beim Arzt wegen eines neuerlichen Röntgen meines Kopfes.

[...]

BF2 ist mit langärmeligen Shirt und Hose bekleidet und trägt ein Kopftuch; BF5 und BF6 tragen Pullover, Hose und kein Kopftuch.

Zur Identität und Herkunft sowie zu den Lebensumständen:

[...]

R: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert? Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF1: Ich habe vier Jahre in Afghanistan eine Schule besucht und keine Berufsausbildung genossen. Ich hatte ein Lebensmittelgeschäft, in dem ich gearbeitet habe, und wir hatten einen "Weintraubengarten".

BF2: Ich habe fünf Jahre die Schule besucht und habe keine Berufsausbildung. In Afghanistan habe ich zuhause ab und zu als Schneiderin gearbeitet.

BF3: Ich habe keine Schule besucht und auch keine Berufsausbildung genossen. Ich habe in unserem "Weintraubengarten" gearbeitet.

BF4: Ich bin im Iran geboren, und dort habe ich insgesamt in vier

Jahren acht Schulklassen absolviert: Das heißt, dass wir in einem Jahr zwei Kurse à sechs Monate hatten. Es gab keine Ferien. Aufgrund der mangelnden Aufenthaltspapiere durften wir nicht die normalen iranischen Schulen besuchen. Diese Kurse haben durch die Afghanen stattgefunden. Ich habe im Iran als Tischler gearbeitet.

BF5: Ja, ich bin auch im Iran geboren und habe dort fünf Jahre die Schule besucht. Ich habe keine Berufsausbildung genossen und nicht gearbeitet.

BF6: Ich habe insgesamt acht Jahre die Schule besucht. Ich war Schülerin, als wir den Iran verlassen haben und habe daher keine Berufsausbildung absolviert und habe auch nicht gearbeitet.

[...]

R: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?

BF1: Damals war ich bei einer Widerstandsbewegung namens Jamiat, der Shora-e Nezar.

D: Die Shora-e Nezar ist der militärische Flügel der Jamiat gewesen. Die Shora-e Nezar ist jetzt auch an der Macht.

BF2-6: Wir waren keine Mitglieder im oben gefragten Sinne.

R: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?

BF1-3: Wir haben Afghanistan im Jahre 1995 das erste Mal verlassen. Wir sind ca. vor zehn Jahren, genau kann ich mich nicht daran erinnern, als Präsident Karzai an der Macht war, nach Afghanistan zurückgekehrt. Wir haben uns dort zwei Monate aufgehalten. Nachdem unsere Feinde im Parlament waren, haben wir Afghanistan wieder verlassen und sind zurück in den Iran gekehrt.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

[...]

R stellt fest, dass der BF1 die beiden zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen nicht verstanden und nicht auf Deutsch beantwortet hat.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF1: Ich habe bereits den A0-Kurs besucht. Dieser Kurs hat zweimal in der Woche für eine Stunde stattgefunden. Derzeit besuche ich den Sprachkurs A1.

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF1: Nein, ich besuche nur den Kurs.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF1: Im Flüchtlingsheim gibt es im Kellerbereich einen Raum, wo es verschiedene Geräte für Sport gibt. Dort gehe ich zum Fitness. Ich bin nicht Mitglied eines Vereins und habe auch keine anderen Aktivitäten.

R: Haben Sie österr. Freunde?

BF1: Ja.

R: Wen?

BF1: XXXX . Sie ist unsere Lehrerin und auch unsere Nachbarin.

R: Wovon leben Sie derzeit?

BF1: Von der Grundversorgung.

R: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF1: Ich habe eine Schwester in Afghanistan in Kabul. Mit ihr bin ich zwar im Kontakt, aber nicht regelmäßig. Sie ruft mich nach einem Monat, zwei, drei oder fünf Monaten an. Mein Schwager (der Bruder von meiner Frau) ruft uns regelmäßig über Internet "Imo" einmal in der Woche an. Er wohnt in Kabul. Ich habe einen Bruder im Iran und einen Bruder in Deutschland, mit denen ich auch in Kontakt stehe. Ich habe eine Tante väterlicherseits in Deutschland. Eine Schwester lebt auch im Iran.

R: Sie haben bei der Einvernahme angegeben, dass beide Schwestern in Afghanistan leben. Ist eine von ihnen umgezogen?

BF1: Ich habe drei Schwestern, zwei Schwestern von mir leben in Afghanistan und eine Schwester im Iran. Mich ruft allerdings nur eine Schwester aus Afghanistan an, und ich kann nicht sagen, warum mich meine zweite Schwester nicht anruft, ob sie finanziell nicht in der Lage ist oder warum. Ich kann das nicht sagen. Sie lebt auch in Kabul. Wenn sie bei meiner ältesten Schwester ist und mich meine älteste Schwester anruft, dann spricht sie auch mit mir.

R: Wie finanziert Ihre im Heimatland lebende Familie (die Schwestern und der Schwager) ihren Unterhalt?

BF1: Mein Schwager arbeitet im großen Obstmarkt. Meine älteste Schwester, das heißt ihr Mann, hat einen mobilen Marktstand, wo er auch Obst und Gemüse verkauft. Der Mann der zweiten Schwester hat einen "Weintraubengarten".

R: Wie geht es Ihrer Familie in Afghanistan finanziell?

BF1: Ich habe sie diesbezüglich nicht gefragt. Wenn ich sie gefragt habe, wie es ihnen geht, antworten sie, es geht, sie verdienen so viel, dass sie Tag und Nacht verbringen können.

R: Gibt es Grundstücke, die Ihnen oder Ihrer Familie gehören?

BF1: Wir haben zwar Grundstücke, ich vermute, zwei bis drei Jirib, aber diesbezüglich weiß mein Vater vielleicht Genaueres.

R: Würden Ihre Verwandten Sie im Falle der Rückkehr -zumindest zu Beginn -unterstützen und Ihnen bei der Wiedereingliederung behilflich sein können?

BF1: Wir haben dort Feinde, und sie sind sehr stark. Wir können nicht nach Afghanistan zurückkehren. Sie gehören der Hez-be Islami Hekmatyar, ansonsten könnte ich mir auch so einen mobilen Marktstand kaufen und arbeiten. Ich habe keine finanziellen Probleme.

R: Wenn Sie und Ihre Familie nach Afghanistan zurückkehren müssten, welche Bekleidung würden Sie von Ihrer Frau und Ihren Töchtern erwarten?

BF1: Das ist gar nicht möglich, dass wir nach Afghanistan zurückkehren. Wir haben eine private Feindschaft.

R: Das war nicht die Frage, das behandeln wir später. Wenn Sie und Ihre Familie nach Afghanistan zurückkehren müssten, welche Bekleidung würden Sie von Ihrer Frau und Ihren Töchtern erwarten?

BF1: Das wäre ihre eigene Entscheidung, wie sie sich anziehen wollen. In Afghanistan ist es aber nicht möglich, ohne Kopftuch unterwegs zu sein. Sie müssten eine Burka tragen.

R: Würden Sie Ihre Frau und Ihre Töchter in Afghanistan dabei unterstützen, eine Ausbildung zu machen bzw. arbeiten zu gehen?

BF1: Bei meiner Ehegattin ist das vorbei, aber meine Töchter werde ich 100% unterstützen, wenn sie ihre Schule absolvieren.

R: Ihre Frau hat angegeben, in Österreich arbeiten gehen zu wollen. Da ist es noch nicht vorbei, in Afghanistan schon?

BF1: Österreich und Afghanistan unterscheiden sich wie Himmel und Erde. In Afghanistan ist das nicht mehr möglich und in Österreich schon.

R: Würden Sie Ihre Töchter mit jemandem verheiraten, den diese nicht heiraten wollen?

BF1: Ich werde diese Entscheidung meinen Töchtern und meinem Sohn überlassen. Ich habe nichts damit zu tun.

R: Wer trifft in Ihrer Familie die Entscheidungen?

BF1: Wenn ich ehrlich bin, die Entscheidungen treffe ich mit meiner Frau gemeinsam.

R: Welche Zukunft stellen Sie sich für Ihre Kinder vor?

BF1: Meine Kinder bemühen sich, um zu lernen. Diesbezüglich haben wir auch Unterlagen vorgelegt. Ich erwarte mir eine positive Zukunft für meine Kinder.

R: Wer führt in Ihrer Familie den Haushalt?

BF1: Den Einkauf erledige ich gemeinsam mit meiner Frau, wenn wir vom Sprachkurs auf dem Weg zurück nach Hause sind. Meine Frau kocht, ich kann nicht kochen, aber beim Staubsaugen helfe ich meiner Frau bzw. beim Aufräumen. Die Kinder gehen in die Schule um 06:00 Uhr in der Früh, in die HAK und in die Hauptschule, und kommen um 15:30 Uhr -und manchmal auch später -zurück.

[...]

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

[...]

R: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF1: Ich habe die Wahrheit gesagt und habe nichts Neues hinzuzufügen. Der Dolmetscher war ein Paschtune, und er war etwas schwach. Er hat mir das ganze Protokoll nicht rückübersetzt. Er hat mir zwei, drei Sätze rückübersetzt und mich gebeten, das zu unterschreiben. Ich weiß es nicht, ob er alles richtig übersetzt hat.

R: Dann erzählen Sie mir Ihre ganze Fluchtgeschichte noch einmal.

BF1: Ich war bei Ahmad Shah Masood und unsere Gegner waren die Hezb-e Islami Hekmatyar. Wir hatten in unserem Dorf einen Abstand von hundert Metern zueinander. In den 25 Jahren Krieg in Afghanistan haben diese zwei Gruppierungen oder Parteien immer gegeneinander gekämpft. In dem Posten von uns war ich gemeinsam mit fünf Personen. Jeder von uns hat im Durchschnitt eineinhalb Stunden patrouilliert. Die Grenze zwischen uns war ein Bach. Auf einer Seite des Baches waren wir, und auf der anderen Seite war unser Gegner Hekmatyar. Dies war ein Außenbezirk von Kabul namens Walaswalar Kalakan. In dieser Nacht, wo ich auch auf diesen Posten war, in der Früh, als ich patrouilliert habe, habe ich gesehen, dass auf der anderen Seite des Baches (auf der Seite unserer Gegner) die Leiche eines älteren Mannes zu sehen war. Ich bin zurückgekommen und habe die Ältesten darüber informiert, dass dort die Leiche eines älteren Mannes liegt, und ich glaube, dass die Leiche seit mehreren Tagen dort gelegen ist, weil seine Augen vermutlich von einem Vogel gefressen waren. Die Ältesten sind gekommen. Sie haben die Leiche identifizieren können. Sie haben festgestellt, dass die Leiche einem Mann namens Rauf gehörte. Die Leiche gehörte dem Onkel mütterlicherseits des Kommandanten unserer Gegnergruppe, namens XXXX . Die Ältesten haben die Leiche von dort geholt und begraben.

R: Die Ältesten sind also auf die feindliche Seite gegangen, um den Feind zu begraben?

BF1: Das habe ich so nicht gesagt.

R: Gerade haben Sie angegeben wie folgt: "Die Ältesten sind gekommen. Sie haben die Leiche identifizieren können. Sie haben festgestellt, dass die Leiche einem Mann namens Rauf gehörte. Die Leiche gehörte dem Onkel mütterlicherseits des Kommandanten unserer Gegnergruppe, namens XXXX . Die Ältesten haben die Leiche von dort geholt und begraben."

BF1: Die Ältesten von unserer Seite haben die Leiche nicht begraben, sondern sie haben den Kommandanten XXXX informiert, dass die Leiche seines Onkels mütterlicherseits dort liegt. Sie sind gekommen und haben ihre Leiche geholt und begraben.

R: Wieso haben die Ältesten von Ihrer Seite überhaupt Kontakt mit dem Kommandanten XXXX gehabt?

BF1: Mit den Ältesten hat niemand etwas zu tun. Nur die bewaffneten gegnerischen Seiten hatten miteinander zu tun.

R: War der Leiter der Amtshandlung während der gesamten Rückübersetzung der Einvernahme anwesend?

BF1: Ja, aber solche Fragen hat er nicht gestellt, wie Sie heute gestellt haben.

R: Sie haben angegeben, dass der Dolmetscher nur zwei bis drei Sätze zurückübersetzt hat von einer 12-seitigen Niederschrift. Der Leiter der Amtshandlung hat in der Niederschrift festgehalten, dass die gesamte Niederschrift wortwörtlich rückübersetzt wurde. Auch vor dem Hintergrund, dass der Amtsleiter kein Dari spricht, wäre diesem doch sicherlich aufgefallen, dass die Übersetzung nicht nur zwei bis drei Sätze dauern kann. Was sagen Sie dazu?

BF1: Die gesamte Einvernahme von mir, meiner Frau und meiner Kinder hat insgesamt nicht länger als zwei bis drei Stunden gedauert. Wenn der Dolmetscher uns die gesamte Niederschrift rückübersetzt hätte, hätte er für die Rückübersetzung sicher eine Stunde oder länger gebraucht. Er hat aber mir nur zwei oder drei Sätze, die wichtigsten rückübersetzt und mich gefragt, ob alles in Ordnung ist, und ich habe das bestätigt.

R: Wieso haben Sie dann bestätigt, dass Ihre Aussagen vollständig protokolliert wurden?

BF1: Mir wurden die wichtigsten Sätze, wie ich heiße und wie der Weg zurück zu meinem Haus war, rückübersetzt und der Name von XXXX vorgelesen und gefragt, ob das stimmt. Ich habe das bestätigt, dass mein Onkel getötet wurde und ich auch verwundet wurden bin. Das wurde mir rückübersetzt, und ich habe das bestätigt.

R an D: Bitte übersetzen Sie für BF1 AS 98-102 (Einvernahme zu den Fluchtgründen). Der BF1 möge sagen, wenn irgendetwas von der Übersetzung nicht stimmt.

BF1: Auf Seite 99 ist ein Satz nicht protokolliert worden. Ich habe damals gesagt, dass Haji Dawoud der Kommandant der Gegner auf der Distriktebene war und XXXX war der Kommandant eines Dorfes. Der Name von XXXX steht aber hier im Protokoll überhaupt nicht. Weiters auf dieser Seite habe ich gesagt, dass ich mich einen Monat oder 27 Tage im Krankenhaus aufgehalten habe. Es ist protokolliert worden: "Ich hielt mich einen Monat und 27 Tage im Krankenhaus auf..." Sonst passt alles.

R: Wie lange ist der Vorfall her, dass Sie die Leiche gefunden haben?

BF1: Ich glaube, 22 oder 23 Jahre.

R: Sie haben angegeben, dass Sie ein einfacher Kämpfer waren. Wieso sollten gerade Sie beschuldigt worden sein?

BF1: Weil ich patrouilliert habe.

R: Sind in dem Krieg nicht oft Leute gefallen?

BF1:Wenn bei gegenseitigen Schießereien in einem Kampf Menschen getötet werden, ist das etwas anderes. Es sind bei Kämpfen Menschen getötet worden. Diese Person ist auch getötet worden, aber von wem, das weiß ich nicht, und das ist vor einigen Tagen passiert, weil seine Augen fehlten.

R: Der Mann ist in diesen Tagen niemandem abgegangen? Sie haben gesagt, Sie wurden beschuldigt, weil Sie zu dieser Zeit patrouilliert hatten; aber der Mann war ja schon seit ein paar Tagen tot. Ist er in der Zwischenzeit nicht vermisst worden?

BF: Nachdem ich die Leiche gesehen habe, haben vermutlich die Gegner gedacht, dass ich ihn bereits vor ein paar Tage getötet habe und jetzt den Leuten gesagt habe, dass dort eine Leiche liegt. Diese Frau hat mir gesagt, dass man mich zu diesem Fall beschuldigt.

R: Sie haben also auf einer Seite kontrolliert, wo auf der anderen Seite niemals ein Gegner unterwegs war oder patrouilliert hat? Sonst hätte der Gegner die Leiche ja schon früher finden müssen.

BF: Zur Grenze hatte niemand den Mut gehabt zu kommen, weil man gleich erschossen worden ist. Man hat sogar die Tiere, Kühe und Schafe erschossen. Dort in dieser Gegend sind Maulbeerbäume und gibt es auch Mauern. Ich habe eine Runde gemacht, und ich habe die Leiche gesehen. Ich vermute, dass die Gegnerseite nicht den Mut hat, zur Grenze zu kommen. Ich habe die Runde gemacht um zu schauen, ob unsere Gegner dort Hinterhalte ausgehoben haben.

R: Wer hat Ihnen erzählt, dass Sie beschuldigt werden?

BF1: Es war eine Frau von unserer Seite. Sie war auch etwas älter, ca. 50 Jahre alt, und auf der anderen Seite war sie verheiratet. Sie hat mir das erzählt.

R: Wieso denken Sie, dass Sie nach über 20 Jahren noch verfolgt würden?

BF1: Afghanistan ist ein Land, in dem die Feindschaften bis zu 100 Jahre gepflegt werden. Sie rächen sich für die getötete Person.

R: Gibt es noch andere Personen aus Ihrem Dorf, die wegen getöteter Männer beschuldigt oder verfolgt wurden?

BF1: Nein, wenn jemand im Kampf gefallen oder getötet worden ist, ist wegen einer Feindschaft niemand direkt bedroht worden, daher auf die Frage: Nein.

R: Mittlerweile ist die Jamiat-Partei, für deren Arm Shora-e Nezar, für die Sie gekämpft haben, in Afghanistan die stärkste Partei. Wieso denken Sie, dass Sie dann noch verfolgt werden bzw. von wem?

BF1: Die einfachen Kämpfer in Afghanistan sind entwaffnet worden, und die Stärksten haben ihre Waffen und ihre wichtige Positionen in der Regierung sowie ihre Bodyguards. Diejenigen, die auch im Parlament sitzen, sind bewaffnet und haben ihre Bodyguards. Wie gesagt, Haji Daoud ist Abgeordneter im Parlament und Kommandant XXXX ist dann sein Leibwächter. Ich werde von XXXX verfolgt.

R: Als auf Sie geschossen wurde, wer war dabei anwesend und wer wurde verletzt bzw. getötet?

BF1: Ich und mein Onkel väterlicherseits waren zur Trauerfeier unterwegs. Der Schwiegervater von meiner Schwester ist damals bereits drei Tage davor gestorben, und das war der dritte Tag nach seinem Tod. Von einem Hinterhalt wurde auf uns zwei geschossen. Wir zwei waren unterwegs, auf uns zwei wurde geschossen. Mein Onkel ist dadurch getötet worden, und ich bin von zwei Kugeln getroffen und verwundet worden.

R: Woher wollen Sie wissen, dass dies aufgrund der Beschuldigung war bzw. in einem Zusammenhang stand?

BF1: Diese Frau war bei dieser Sitzung von unseren Gegnern dabei gewesen, als unsere Gegner die Entscheidung getroffen haben, mich zu töten. Diese Frau hat mir gesagt, dass ich aufpassen soll, weil eine solche Entscheidung getroffen worden ist.

R: Das könnte ja irgendein Hinterhalt gewesen sein.

BF1: Wenn wir nicht das Ziel gewesen wären, vor uns sind viele Leute zu der Trauerfeier gegangen.

R: Wieso haben sie dann den Onkel erschossen, wenn sie eigentlich nur Sie erschießen wollten?

BF1: Sie haben auf mich auch geschossen, aber ich bin am Leben geblieben. Eine Kugel hat mich in die Brust getroffen und ist hinten hinausgegangen. Die andere Patrone ist in meinen Oberschenkel gegangen und hinten hinausgegangen. Dazu gibt es auch Fotos von den Narben.

R: Sie haben heute gesagt, wie eingeschränkt das Leben von Frauen in Afghanistan ist. Wie kann es dann sein, dass eine Frau an so einer Sitzung teilgenommen hat, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden?

BF1: Diese Frau war in der Familie von XXXX verheiratet gewesen, und deswegen hat sie von der Entscheidung auch erfahren und ist dort anwesend gewesen. Z.B. wenn in unserer Familie von zwei Männern eine Entscheidung getroffen wird, werden auch unsere Frauen davon wissen.

R: Wieviel haben Sie für den Schlepper bezahlt?

BF1: Wir haben 36.000,--Euro für den Schlepper bezahlt.

R: Woher hatten Sie so viel Geld?

BF1: Ich habe im Iran ein Secondhand-Geschäft für Fernseher, Kühlschränke und Hauseinrichtung etc. gehabt. Ich habe 20 Jahre gearbeitet, und auch mein Sohn hat gearbeitet. Wir haben gut verdient.

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF1: Ich habe kein besonderes Problem, außer diesen Leuten, die mich umbringen werden.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

[...]

R stellt fest, dass die BF2 die zuletzt gestellten verstanden und bemüht auf Deutsch beantwortet hat.

[...]

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF2: Ich habe A0 bereits besucht. Ich gehe derzeit zu einem Kurs und lerne ich "das zweite Buch".

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF2: Nein, zweimal in der Woche gehe ich zum Kurs.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF2: Nein, ich gehe in der Früh ca. eineinhalb bis zwei Stunden spazieren, weil ich einen hohen Blutdruck habe.

R: Haben Sie österr. Freunde?

BF2: Ja.

R: Wen?

BF2: XXXX ist unsere Nachbarin, XXXX .

R: Wie kommunizieren Sie mit ihnen?

BF2: Wenn sie Deutsch sprechen, die Teile, die ich verstehe und die ich antworten kann, antworte ich.

R: Leben Sie in Österreich alleine oder mit jemandem zusammen?

BF2: Ich lebe gemeinsam mit meiner Familie.

R: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach, machen Sie eine Ausbildung?

BF2: Nein, derzeit besuche ich einen Sprachkurs. Wenn ich die Sprache gelernt habe, habe ich vor, als Schneiderin zu arbeiten oder einer anderen Arbeit nachzugehen.

R: Wovon leben Sie derzeit?

BF2: Von der Grundversorgung.

R: Haben Sie schon eine Deutschprüfung abgelegt?

BF2: Nein.

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos) Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen?

BF2: Nein, zunächst möchte ich die Sprache lernen, und dann werde ich über eine Arbeit nachdenken.

R: Haben Sie sich erkundigt, welche Voraussetzungen man in Österreich braucht, um als Schneiderin arbeiten gehen zu können?

BF2: Ja, ich habe mich erkundigt. Mir wurde gesagt, dass ich zunächst die Sprache lernen soll. Nachdem ich die Sprache gelernt habe, gibt es einen Kurs, den ich zwischen sechs Monate und einem Jahr besuchen soll, und wenn ich dann die Prüfung bestanden habe, darf ich als Schneiderin arbeiten.

R: Bei wem haben Sie sich da erkundigt?

BF2: Ich habe Barbara gefragt.

R: Wie sieht derzeit Ihr Alltag in Österreich aus? Entspricht er dem, was Sie sich vorgestellt haben?

BF2: Ja, hier gibt es Ruhe. Mit ruhigen Nerven kann ich hier leben. Im Iran war ich wegen meinen Kindern besorgt, weil sie die Schule nicht besuchen konnten und dort keine Zukunft hätten. Ich war immer zuhause und konnte nicht arbeiten. Ich möchte auch gerne arbeiten.

Ich war immer dort um meinen Sohn besorgt, weil ich die Sorge hatte, dass mein Sohn oder mein Ehemann von der Polizei festgenommen und nach Afghanistan abgeschoben werden, und dort haben wir auch eine Feindschaft. Im Iran hatte ich immer einen höheren Blutdruck gehabt. Seitdem ich in Österreich bin, genügt es, wenn ich eine Tablette täglich wegen meinem Blutdruck nehme. Wenn ich zum Arzt gehe, sagt er immer: "Gut, gut."

R: Die Frage war eigentlich, wie sieht derzeit Ihr Alltag in Österreich aus?

BF2: In der Früh, wenn ich aufstehe, bereite ich das Frühstück für die gesamte Familie. Nach dem Frühstücken gehe ich dann spazieren. Manchmal, wenn ich beim Spazierengehen erschöpft bin, lese ich in meinem Deutschbuch, das ich bei meinem Spaziergang mitnehme. Wenn ich etwas zum Einkaufen habe, gehe ich einkaufen und bereite ich dann das Mittagessen zu. Wenn ich zum Deutschkurs muss, der zwei Mal in der Woche stattfindet, dann gehe ich zum Deutschkurs. Wenn nicht, kenne ich eine Iranerin, sie kann Deutsch und bringt mir Deutsch bei. Dann komme ich zurück. Dann bereite ich das Abendessen zu.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF2: Den Haushalt.

R: Wie wollen Sie Ihr Leben in Österreich gestalten, wenn Sie den Asylstatus bekämen?

BF2: Zunächst möchte ich die Sprache lernen. Dann möchte ich arbeiten.

R: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, wenn Sie den Asylstatus bekämen?

BF2: Ich soll arbeiten, mein Mann soll arbeiten, und meine Kinder sollen arbeiten.

R: Was würden Sie sagen, inwiefern sich Ihr Leben in Österreich von dem in Afghanistan oder im Iran hauptsächlich unterscheidet?

BF2: Hier ist das Leben ruhig. Man hat keine Sorgen, weil das Leben nicht in Gefahr ist, wie in Afghanistan. Im Iran, wenn sie die Afghanen sehen, zählen sie sie nicht zu den Menschen. Wir haben ca. 21 Jahre dort gelebt. Nur wenn wir uns eine Kleidung oder so etwas gekauft haben, haben sie uns ausgelacht und gesagt: "Die Afghanen und so ein Einkauf", "Die Afghanen und solche Kleider." In Afghanistan haben die Frauen keine Rechte. Ich hätte gerne gehabt, die Schule zu absolvieren und Lehrerin zu werden. Das ist mir nicht möglich gewesen. Wir sind jetzt bemüht, dass unsere Kinder nicht so wie wir werden. Sie sollen eine

Ausbildung haben und dienen können. Das ist auch mein Wunsch, dass ich auch jetzt etwas lerne und in meinem restlichen Leben arbeite.

R: Haben Sie eigenes Geld, über das Sie frei verfügen können?

BF2: Das Geld, was wir bekommen, ist bei mir, aber wenn mein Mann einkaufen geht, dann gebe ich ihm etwas zum Einkaufen, und wenn wir gemeinsam einkaufen gehen, dann geben wir von diesem Geld etwas aus.

R: Wer trifft in Ihrer Familie die Entscheidungen?

BF2: Meistens entscheide ich selbst.

R: Welche Zukunft stellen Sie sich für Ihre Kinder vor?

BF2: Ich möchte, dass sie was lernen, dass sie eine Arbeit haben. Die BF6 möchte hier Wirtschaft studieren und BF5 möchte Krankenschwester werden. Mein Sohn ist Tischler. Er möchte sich in diesem Bereich weiterbilden.

R: Wer führt in Ihrer Familie den Haushalt?

BF2: Ich mache den Haushalt. Wenn mein Mann nicht im Sprachkurs ist, unterstützt er mich dabei. Wenn mein Mann nicht zuhause ist, dann werde ich von meinem Sohn unterstützt.

R: Was macht Ihr Mann, wenn er Ihnen hilft?

BF2: Er hilft beim Aufräumen. Unser Wohnzimmer ist sehr groß. Er staubsaugt dieses Zimmer. Beim Kochen hilft er mir zum Beispiel beim Schneiden, Waschen usw.

R: Gehen Sie alleine einkaufen?

BF2: Bei manchen Dingen, bei denen sich mein Mann nicht auskennt, zum Beispiel Gewürze, gehe ich selbst einkaufen. Die schweren Einkäufe werden von meinem Mann erledigt.

[...]

R: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF2: Mein Bruder ruft mich einmal oder zweimal im Monat an oder einmal in der Woche. Im Monat ruft er mich zwei oder dreimal an.

R: Sonst noch wer?

BF2: Es leben auch noch zwei Schwestern von mir dort. Mit ihnen telefoniere ich sehr selten. Wenn sie ab und zu auf Besuch bei meinem Bruder sind, spreche ich mit ihnen am Telefon. Wir telefonieren über das Internet.

R: Wie finanziert Ihre im Heimatland lebende Familie ihren Unterhalt?

BF2: Mein Bruder arbeitet am Obstmarkt. Die Männer meiner Schwestern arbeiten.

R: Wie geht es Ihrer Familie im Heimatland finanziell?

BF2: Mein Bruder hatte vorher einen Lastwagen gehabt, und dadurch hatte er Transporte geführt. Aufgrund des Kriegszustandes in Afghanistan kann er diesem Job nicht mehr nachgehen. Über die finanzielle Lage meiner Schwestern kann ich nichts angeben. Über meinen Bruder würde ich sagen, sie ist schlecht.

R: Gibt es Grundstücke, die Ihnen oder Ihrer Familie gehören?

BF2: Mein Ehemann hat Grundstücke.

R: Ihr Ehemann hat ausgesagt, er weiß es nicht, ob er welche hat.

BF2: Das weiß ich nicht. Er hat Grundstücke.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

[...]

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF2: Mein Mann hat dort eine Feindschaft. Wenn wir zurückkehren würden, werden sie meinen Mann, mich und meine Kinder umbringen.

RV: Glauben Sie, dass beim BFA alles protokolliert wurde, was Sie gefragt wurden?

BF2: Ja, es ist alles protokolliert worden und auch rückübersetzt worden.

RV: Wurden Sie persönliche Dinge, wie Sie sich zum Beispiel ein Eheleben Ihrer Töchter vorstellen gefragt?

BF2: Ja, ich bin befragt worden.

RV: Was wurden Sie gefragt?

BF2: Ich wurde befragt, ob es ein Problem wäre, wenn meine Tochter einen Österreicher heiraten würde. Ich habe darauf geantwortet, wenn meine Tochter damit einverstanden ist, habe ich kein Problem.

R an BF2. Diese Frage findet sich aber nicht im Protokoll. Wieso haben Sie soeben angegeben, dass alles richtig protokolliert wurde, wenn sich diese Frage nicht im Protokoll findet?

BF2: Vielleicht befindet sich diese Frage in der Niederschrift von Mojdah, weil sie damals noch nicht volljährig war. Ich war während ihrer Einvernahme bei ihr als ihre gesetzliche Vertreterin anwesend. Der Leiter der Amtshandlung hat diese Frage an Mojdah gestellt. Ich habe darauf geantwortet, wenn sie das gern hat, ich habe damit kein Problem.

R: Ich wiederhole, Sie sind also der Meinung, dass alles richtig protokolliert wurde?

BF2: Ja.

[...]

R an BF2: Sind Sie damit einverstanden, dass Sie als gesetzliche Vertreterin bei der Befragung Ihrer Tochter anwesend sind, nicht aber Ihr Mann?

BF2: Ja.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

[...]

R stellt fest, dass die BF6 die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und gut auf Deutsch beantwortet hat.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF6: Ich bin in XXXX in einer Kirche zu einem Kurs gegangen, dieser Kurs hat in der Kirche stattgefunden, er war zwischen A0 und A1, ein Zwischenkurs.

R: Haben Sie schon Deutschprüfungen abgelegt?

BF6: Ja, ich habe den Deutschkurs A1 mit Zeugnis absolviert. Derzeit gehe ich in die Schule.

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

B6: Ich bin vorher in diesem Schuljahr in die Polytechnische Schule gegangen, für ca. 3 oder 4 Monate. Seitens der Schule bin ich zu einem Kinderspielzeuge-Geschäft geschickt worden, mittwochs habe ich von 07:00 Uhr bis 12:00 Uhr dort gearbeitet. Derzeit gehe ich in die Schule.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF6: Ich habe bereits angegeben, dass ich in die Schule, HAK, gehe. Wenn ich Zeit habe, gehe ich in unserem Heim zum Fitnessstudio. Je nachdem, wieviel Zeit ich habe, gehe ich eine oder zwei Stunden zum Fitness. Ich gehe auch laufen und spazieren, wenn ich Zeit habe.

R: Haben Sie österr. Freunde?

BF6: Ich habe zwar österreichische Freunde, aber nicht in meinem Alter. Sie sind etwas älter.

R: Leben Sie in Österreich alleine oder mit jemandem zusammen?

BF6: Ich lebe gemeinsam mit meiner Familie.

R: Wie sieht derzeit Ihr Alltag in Österreich aus?

BF6: Ich stehe um 05:00 Uhr auf, frühstücke und ziehe mich um. Um ca. 06:00 Uhr verlasse ich das Haus. Bis zum Bahnhof sind ca. 40 Minuten zu Fuß. Wir müssen um 07:55 Uhr in der Schule sein. Die Schule dauert bis 15:30 Uhr. Wenn wir dann zurück nach Hause kommen, ist es ca. 16:30 Uhr. Nach dem Essen lerne ich und mache Hausaufgaben. Zweimal in der Woche kommt ein Englischlehrer zu uns. Dreimal in der Woche kommt ein Deutschlehrer, der uns bei den Hausaufgaben unterstützt. Dann unterhalte ich mich mit der Familie, beschäftige mich mit dem Internet und dann gehe ich schlafen.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF6: Entweder gehe ich einkaufen oder bekommen wir Besuch oder gehen wir auf Besuch.

R: Wollen Sie sich Ihren Ehemann, wenn es einmal soweit ist, selber aussuchen?

BF6: Ja.

R: Was glauben Sie, dass Ihre Familie, insbesondere Ihr Vater und Ihr Bruder dazu sagen?

BF6 (lacht verlegen): Das weiß ich nicht.

BF2: Wenn ich nicht anwesend wäre, hätte sie etwas ausgesagt.

RI an BF2: Sind Sie in dieser Frage konservative Eltern?

BF2: Nein.

R an BF2: Was glauben Sie, was Ihre Tochter gesagt hätte, wenn Sie nicht hier sitzen würden?

BF2: Vielleicht schämt sie sich vor mir, wenn sie jemanden liebt.

R: Was sagen Ihre Eltern dazu, dass Sie kein Kopftuch mehr tragen?

BF6: Sie haben damit nichts zu tun.

R: Wollen Sie später arbeiten gehen?

BF6: Ja.

R: Was würden Sie gerne arbeiten?

BF6: Ich möchte zunächst die HAK fünf Jahre besuchen. Anschließend möchte ich an der Universität Wirtschaft studieren.

R: Was wollen Sie dann später damit arbeiten? Wissen Sie das schon?

BF6: Ich möchte gern in einer Firma arbeiten.

R: Was würden Sie sagen, inwiefern sich Ihr Leben in Österreich von dem im Iran hauptsächlich unterscheidet?

BF6: Der Unterschied ist so wie zwischen Himmel und Erde. Die Freiheiten, die ich in Österreich habe, hatte ich im Iran nicht. Im Iran konnte ich nicht einmal ein Handy bei mir haben. Ich musste dort einen Tschador tragen, obwohl ich das nicht gern hatte. Ich musste dort eine Begleitung haben, alleine durfte ich nicht irgendwo hingehen. Im Iran gab es keine Sicherheit. Ich war gezwungen, zum Beispiel um 12:00 Uhr nach der Schule zuhause zu sein. Das haben meine Eltern von mir erwartet. Hier ist es aber nicht so. Hier nach der Schule, wenn ich etwas brauche, gehe ich mit den Freundinnen einkaufen.

[...]

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

[...]

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF6: Wenn ich dort zurückkehren würde, aufgrund der Gründe meines Vaters kann ich dort nicht leben. Ich kann mir ein Leben in Afghanistan gar nicht vorstellen. Ich bin im Iran aufgewachsen."

17. Den Beschwerdeführern wurde in der Verhandlung vom 07.12.2017 hinsichtlich folgender vorgelegter Berichte zur Situation in Afghanistan die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt:

* Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, aktualisiert am 25.09.2017)

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016

* Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

18. Am 02.05.2018 übermittelte das BVwG den Beschwerdeführern die aktualisierte Version der im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderinformation, Stand 30.01.2018, zur Kenntnis und allfälligen Stellungnahme. Von den Beschwerdeführern langte keine Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

1.1. Zu den Personen von BF1, BF2 und BF6

1.1.1. BF1 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , BF2 den Namen XXXX , geboren am XXXX , und BF6 den Namen XXXX , geboren am XXXX .

BF1, BF2 und BF6 sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. BF1 und BF2 sind die Eltern der im Iran geborenen BF4, BF5 und BF6. BF3 ist der Vater von BF1. BF2 ist die Vertreterin der minderjährigen BF6 im gegenständlichen Verfahren.

BF1 und BF2 stammen aus Kabul und haben noch mehrere Angehörige in Afghanistan und im Iran:

BF1 hat zwei Schwestern in Kabul und eine Schwester und einen Bruder im Iran. Ein weiterer Bruder und eine Tante wohnen in Deutschland. Der Mann der ältesten Schwester hat einen mobilen Marktstand, und der Mann der zweiten Schwester kümmert sich um den "Weintraubengarten" der Familie in Afghanistan. BF1 hat Kontakt zu seiner Familie.

BF2 hat einen Bruder, zwei Schwestern, einen Cousin und zwei Cousinen in Kabul. Ihr Bruder besitzt einen Obstmarkt, und die Männer ihrer Schwestern arbeiten. BF2 pflegt Kontakt zu ihrer Familie, vor allem mit ihrem Bruder.

1.1.2. BF1 und BF2 gingen im Jahr 1995 in den Iran und hielten sich dort ca. zwölf Jahre lang auf, ehe sie für zwei Monate nach Afghanistan zurückkehrten. Danach gingen sie wieder in den Iran und hielten sich dort weitere acht Jahre bis zu ihrer Ausreise nach Österreich auf.

BF6, die im Iran auf die Welt kam, war bis auf diese zwei Monate niemals in Afghanistan.

1.1.3. BF1 besuchte vier Jahre lang die Schule in Kabul. Er arbeitete dort als Landwirt und besaß ein Lebensmittelgeschäft. Die Familie von BF1 ist im Besitz von Grundstücken und einem "Weintraubengarten" in Afghanistan. Im Iran arbeitete BF1 in einem Second-Hand-Geschäft für Fernseher, Kühlschränke und Hauseinrichtungen. Er beherrscht Dari in Wort und Schrift.

1.1.4. BF2 war Hausfrau in Afghanistan und im Iran und übte keine Erwerbstätigkeit aus. Im Iran war sie nebenbei als Schneiderin tätig. BF2 hat fünf Jahre lang die Schule besucht. Ihre Muttersprache ist Dari.

1.1.5. BF6 besuchte die Schule im Iran für acht Jahre. Sie hat keine Berufsausbildung absolviert oder jemals gearbeitet. Sie spricht Dari, Deutsch und Englisch.

1.1.6. BF1, BF2 und BF6 reisten Anfang 2016 zusammen mit BF3, BF4 und BF5 vom Iran aus über die Türkei, Griechenland und mehrere weitere Staaten nach Österreich. Die Reise kostete EUR 36.000,--.

1.1.7. BF1 lebt derzeit von der Grundversorgung und geht keiner Beschäftigung nach. Er hat einen Deutschkurs besucht (A0-Niveau) bzw. besucht derzeit einen Deutschkurs (A1-Niveau) und konnte die ersten beiden von der Richterin in der Verhandlung auf Deutsch gestellten Fragen beantworten, aber die beiden zuletzt gestellten Fragen weder verstehen noch auf Deutsch beantworten. Er hat bislang keine Deutschprüfung abgelegt. BF1 geht zum Fitness und hat österreichische Freunde. Er hat zudem einen Wertekurs absolviert.

BF1 leidet unter Depressionen, steht daher unter ärztlicher Aufsicht und nimmt Medikamente seit drei Monaten. Eine psychologische Therapie wurde ihm nicht empfohlen. Bei einer Untersuchung stellte man fest, dass BF1 einen Schlaganfall hatte.

1.1.8. BF2 geht in Österreich keiner Berufstätigkeit nach, sie ist Hausfrau und lebt von der Grundversorgung. BF2 nimmt seit September 2016 an Deutschkursen der Stadtgemeinde XXXX zweimal die Woche teil (A0-Niveau beendet; derzeit wird "das zweite Buch" dort gelernt) und konnte die in der Verhandlung auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen verstehen und bemüht auf Deutsch beantworten. Sie hat bislang keine Deutschprüfung abgelegt. BF2 ist weder ein Mitglied in einem Verein, noch geht diese einer sportlichen oder kulturellen Aktivität nach. BF2 hat österreichische Freunde. Sie hat zudem einen Wertekurs absolviert.

BF2 hat Bluthochdruck, ist ansonsten aber gesund.

1.1.9. BF6 hat einen Deutschkurs mit A1-Zeugnis absolviert und an einer Informationsveranstaltung zum österreichischen Bildungswesen von der Plattform " XXXX " teilgenommen. Sie besucht derzeit die Schule. BF6 konnte die in der Verhandlung auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen verstehen und gut auf Deutsch beantworten. In ihrer Freizeit geht sie zum Fitnessstudio, geht laufen oder spazieren. Sie hat mehrere österreichische Freunde.

BF6 leidet an keinen chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen.

1.1.10. Im Bundesgebiet befinden drei weitere Familienangehörige (BF3, BF4 und BF5) von BF1, BF2 und BF6.

BF1, BF2 und BF6 sind strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen von BF1, BF2 und BF6

1.2.1. BF1 war Teil einer Widerstandsbewegung der Shora-e Nazar (militärischer Flügel der Jamiat Ulema-e-Islam) unter der Führung von Ahmad Shah Masood gegen die Hezb-e Islami unter der Führung von Gulbuddin Hekmatyar, die gegeneinander kämpften. Bei einem der Kämpfe wurde der Onkel eines Kommandanten namens XXXX getötet.

Auf BF1 wurde bei der Beerdigung des Schwiegervaters seiner Schwester geschossen, wobei ihn zwei Kugeln trafen. Sein Onkel väterlicherseits wurde dabei erschossen. BF1 war eine zeitlang im Krankenhaus und verließ ca. ein bis zwei Monate nach dem Vorfall zusammen mit seiner Familie Afghanistan in Richtung Iran.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF1 und BF2 einer Verfolgung durch private oder staatliche Akteure (Kommandant XXXX ) in Afghanistan ausgesetzt waren. Diese wären zusammen mit BF6 im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer solchen auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass ein Zusammenhang zwischen der Tätigkeit von BF1 als Widerstandskämpfer und den Schüssen auf der Beerdigung bestand.

1.2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass BF6 ein Zugang zur Bildung in Afghanistan verwehrt wäre.

1.2.3. BF1, BF2 und BF6 wurden in ihrem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatten mit den Behörden ihres Heimatstaates keine Probleme. BF2 und BF6 waren nie politisch tätig und gehörten keiner politischen Partei an.

1.2.4. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF2 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. BF2 ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert.

1.2.5. BF6 lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Die persönliche Haltung von BF6 über die grundsätzliche Stellung der Frau in der Familie und der Gesellschaft steht im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. BF6 ist nunmehr von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen und deren an die Beschwerdeführer übermittelten Aktualisierungen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat von BF1, BF2 und BF6 getroffen:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 30.01.2018

1.3.1.1. Neuste Ereignisse

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

[...]

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

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Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

0. Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

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KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

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Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

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High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

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Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

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KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

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Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

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High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

[...]

KI vom 22.6.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q2.2017

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

[...]

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

[...]

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

[...]

KI vom 11.5.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q1.2017

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).

[...]

Im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften (meist Angriffe der Taliban) um 22% erhöht und machen damit 63% der sicherheitsrelevanten Vorfälle aus. Die Anzahl der IED-Vorfälle war 2016 um 25% niedriger als im Jahr davor und ist damit weiterhin rückläufig (UN GASC 3.3.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind auch weiterhin signifikanten Herausforderungen ausgesetzt - speziell was ihre operative Leistungsfähigkeit betrifft: Schwächen in den Bereichen Führung und Kontrolle, Leitung und Logistik, sowie hohe Ausfallsraten, haben maßgebliche Auswirkungen auf Moral, Rekrutierung und Leistungsfähigkeit (UN GASC 3.3.2017). Dennoch haben die afghanischen Sicherheitskräfte hart gegen den Talibanaufstand und terroristische Gruppierungen gekämpft und mussten dabei hohe Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wurden qualitativ hochwertige Spezialeinheiten entwickelt und Aufständische davon abgehalten Bevölkerungszentren einzunehmen oder zu halten (SIGAR 30.4.2017).

Der sich intensivierende Konflikt hat zunehmend Opfer bei Sicherheitskräften und Taliban gefordert. Die Rate der Neu- bzw. Weiterverpflichtungen ist zu niedrig, um die zunehmenden Desertionen und Ausfälle zu kompensieren. Bis Februar 2016 war die Truppenstärke des afghanischen Heeres bei 86% und die der afghanischen Nationalpolizei auf 94% ihres geplanten Mannschaftsstandes (UN GASC 3.3.2017).

Berichtszeitraum 18.11.2016 bis 14.2.2017

Im Berichtszeitraum wurden von den Vereinten Nationen 5.160 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert; dies bedeutet eine Erhöhung von 10% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (UN GASC 3.3.2017).

Im Jänner 2017 wurden 1.877 bewaffnete Zusammenstöße registriert; die Anzahl hatte sich gegenüber dem vorigen Vergleichszeitraum um 30 erhöht. Im Berichtszeitraum haben sich IED-Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um 11% verstärkt (UN GASC 3.3.2017).

High-profile Angriffe:

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge, wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017); was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre; jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).

[...]

Taliban

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).

Helmand

Die Taliban haben den Druck auf die Provinz Helmand erhöht; heftige Gefechte fanden Ende Jänner und Anfang Februar im Distrikt Sangin statt (UN GASC 3.3.2017): 10 der 14 Distrikte in Helmand werden entweder von den Taliban kontrolliert oder sind umstritten. In die Provinz Helmand wurde bereits eine Anzahl US-amerikanischer Soldaten entsendet (al-Jazeera 29.4.2017; vgl. auch: Khaama Press 11.4.2017). Auch das afghanische Verteidigungsministerium hat Befreiungsoperationen gestartet, die sogenannten Khalid-Operationen in Helmand aus den beiden Distrikten, Garamser und Nad-e Ali heraus (Khaama Press 11.4.2017). Militärischen Quellen zufolge, wurde im Mai eine riesige Kommandozentrale der Taliban im Distrikt Nad-e Ali zerstört (Sputnik News 10.5.2017).

Kunduz

Seit zwei Jahren ist Kunduz Zentrum intensiver Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LWJ 9.5.2017); die Stadt Kunduz fiel zweimal bevor die ANDSF und die Koalitionskräfte sie wieder unter ihre Kontrolle bringen konnten (SIGAR 30.4.2017; vgl. auch: LWJ 9.5.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie auch gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017). Der IS verliert weiterhin Gebiete, die zuvor von ihm kontrolliert wurden; Verantwortlich dafür sind hauptsächlich die Aktivitäten der afghanischen Luftstreitkräfte mit Unterstützung der Luftangriffe der NATO (SCR 28.2.2017).

Abdul Hasib, der IS-Anführer in Afghanistan, wurde im Rahmen einer militärischen Operation in Nangarhar getötet (BBC 8.5.2017; vgl. auch: NYT 7.5.2017); von Hasib wird angenommen für viele high-profile Angriffe verantwortlich zu sein - so auch für den Angriff gegen das Militärkrankenhaus in Kabul (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017).

In diesem Jahr wurden hunderte IS-Aufständische entweder getötet oder gefangen genommen (BBC 8.5.2017). Im April 2017 wurde die größte nicht-nukleare Bombe, in einer Region in Ostafghanistan eingesetzt, die dafür bekannt ist von IS-Aufständischen bewohnt zu sein (Independent 13.4.2017). Netzwerke bestehend aus Höhlen und Tunnels wurden zerstört und 94 IS-Kämpfer, sowie vier Kommandanten, getötet (Dawn 7.5.2017). Quellen zufolge waren keine Zivilisten von dieser Explosion betroffen (BBC 14.4.2017; vgl. auch: The Guardian 13.4.2017, al-Jazeera 14.4.2017).

[...]

1.3.1.2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9 .2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9 .2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9 .2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9 .2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9 .2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9 .2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

[...]

1.3.1.3. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

[...]

 

1.12.2015 - 15.2.2016

16.2.2016 - 19.5.2016

20.5.2016 - 15.8.2016

16.8.2016 - 17.11.2016

1.12.2015 - 17.11.2016

sicherheitsrelevante Vorfälle

4.014

6.122

5.996

6.261

22.393

Bewaffnete Zusammenstöße

2.248

3.918

3.753

4.069

13.988

Vorfälle mit IED¿s

770

1.065

1.037

1.126

3.998

gezielte Tötungen

154

163

268

183

768

Selbstmordattentate

20

15

17

19

71

      

(UN GASC 13.12.2016; UN GASC

7.9.2016; UNGASC10.6.2016; UN GASC 7.3.2016; Darstellung durch die Staatendokumentation des BFA )

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

Al-Qaida

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl. auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verslusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums, vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10% im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis, verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen, im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40%) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potentielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus - eine Steigerung von 43% (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkter Beseitigungsbemühungen, aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen, zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie z.B. des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).

Zivile Opfer

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an - nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge, sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.2.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Int. Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 9.2.2017); im April 2015 wurden 5 Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.4.2015).

Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

[...]

1.3.1.3.1. Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

Distrikt Kabul

Gewalt gegen Einzelpersonen

21

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

18

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

50

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

31

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

28

Andere Vorfälle

3

Insgesamt

151

  

(EASO 11.2016)

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Provinz Kabul

Gewalt gegen Einzelpersonen

5

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

89

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

30

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

36

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

1

Andere Vorfälle

0

Insgesamt

161

  

(EASO 11.2016)

Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

[...]

1.3.1.4. Erreichbarkeit

Im Jahr 2001 existierten in Afghanistan weniger als 80 km (50 Meilen) asphaltierter Straßen (TCSM 2.2.2015). Trotz Herausforderungen und Problemen wurden inzwischen mehr als 24.000 km Straße im Land asphaltiert. Zu den asphaltierten Straßen zählen

3.600 km regionaler Autobahnen, die "Ring Road", Provinzstraßen und nationale Autobahnen (Pajhwok 4.3.2016). Schätzungen zufolge, wurden im Ballungsraum Kabul alleine 925 km Straßen asphaltiert, mit der Aussicht auf zusätzliche Erweiterungen (TCSM 2.2.2015).

Unprofessionelles Fahrverhalten und beschädigte Straßen werden als die Hauptursache für Unfälle in Afghanistan gesehen, welche Dutzende Menschenleben jährlich fordern (Khaama Press 23.1.2016; vgl. auch:

Kabul Times 17.2.2017); ebenso sind schlecht asphaltierte Straßen Grund für Unfälle (Kabul Times 17.2.2017).

Ring Road

Straßen wie der "Highway 1" auch bekannt als "Ring Road", die den Kern des Landes umkreist, sind nun asphaltiert und machen das Land für Reisen und die Wirtschaft zugänglicher (Huffington Post 9.10.2015). Die afghanische Ring Road verbindet Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (USAID 2014; vgl. auch: The Guardian 22.10.2014). Sie verbindet aber auch 16 der 34 Provinzen Afghanistans miteinander. Die Gesamtlänge des Highway One ist 3.360 km (PRI 18.10.2013). Rund 14 Millionen Menschen leben um diesen Highway One (The Guardian 22.10.2014).

[...]

Kabul

In Kabul gibt es mehr als 40.000 Taxis. Der Fahrpreis wird noch vor dem Einsteigen mit dem Fahrer ausverhandelt (Afghan Embassy Washington D.C. o.D.). Bis zu 80% der Taxis in Kabul sind Toyota Corolla (Khaama Press 29.11.2013).

Beispiele für Busverbindungen

Kabul

In Kabul stehen viele Busse für Fahrten innerhalb Kabuls und die angrenzenden Außenbezirke zur Verfügung (Afghan Embassy Washington D.C. o.D.; vgl. auch: Tolonews 26.7.2015). Der sogenannten "Afghan Milli Bus Enterprise", dem staatlich betriebenen Busunternehmen, wurden in den vergangenen 14 Jahren bereits 900 Busse zur Verfügung gestellt. Im Juli 2015 wurde verlautbart, dass weitere 1.000 Busse von Indien gespendet werden würden (Tolonews 26.7.2015).

Für Reisen zwischen den Provinzen variieren die Preise ja nach Destination und Entfernung:

Distanz

Preis

Kabul - Herat

AFA 2.000

Kabul - Mazar-e Sharif

AFA 1.500

Kabul - Kandahar

AFA 1.500

Kabul - Bamyan

AFA 1.500

Kabul - Jalalabad

AFA 1.000

Kabul - Kunduz

AFA 1.400

Kabul - Maimana

AFA 2.000

  

(BAMF 10.2014)

Häufig werden Tuk-tuks - auch Zarang genannt in Afghanistan - verwendet (Olivier Chassot 17.4.2014), entweder als Taxi oder um Materialien zu transportieren (Olivier Chassot 17.4.2014; vgl. auch:

Jami Herat 10.12.2014), wie zum Beispiel in den folgenden Provinzen:

Badakhshan (Olivier Chassot 17.4.2014);

Farah (Pajhwok 17.3.2014);

In Maimana der Hauptstadt von Faryab (Tolonews 12.6.2014; vgl. auch:

EASO 21.1.2015);

Herat (Jami Herat 10.12.2014);

In Jawzjans Hauptstadt Sherbeghan¿(Radio Azadi 17.10.2011);

Kandahar und Ghazni (Jomhor News 29.7.2014);

In Kapisas Haupstadt Charikar (Pajhwok 10.2.2015);

Khost (Afghanistan Today 5.8.2015; vgl. auch: Khaama Press 19.4.2015);

Kunduz (Omar Sayami 17.2.2016; vgl. auch: Panoramio o.D.);

Nangarhar, insbesondere in Jalalabad existiert eine riesige Zahl der Motordreiräder oder "Tuk Tuks" (Khaama Press 20.2.2014; vgl. auch:

Pajhwok 17.8.2013);

Nimroz (NYT 18.10.2012);

Parwan (UNHCR o.D.);

Samangan (Paiwangah 24.8.2015);

In Takhars Hauptstadt Taloqan (Omar Sayami 20.5.2012);

Zabul (Paiwangah 12.11.2015).

Flugverbindungen

Laut dem World Factbook existieren in Afghanistan 23 Flughäfen mit asphaltierten Landebahnen und 29 Flughäfen, die nicht über asphaltierte Landebahnen verfügen (The World Factbook 25.2.2016).

Beispiele für internationale Flughäfen in Afghanistan

Internationaler Flughafen Kabul

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (NYT 4.1.2016; vgl. auch: Hamid Karzai Airport 2015). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in den internationalen Flughafen Hamid Karzai umbenannt. Dieser liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neuer internationaler Terminal wurde hinzugefügt und der alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (Hamid Karzai Airport 2015).

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh eröffnet (Pajhwok 9.6.2013).

Zugverbindungen

Das afghanische Straßennetzwerk ist sehr verkehrsreich - der Transport einer großen Menge von Wirtschaftsgütern und eine große Menge von Passagieren durch eben dieses Straßennetzwerk, haben zu großen Herausforderungen für die Straßeninfrastruktur und deren Instandhaltung geführt (AFRA o.D.).

[...]

Im März 2016 verlautbarte das Ministerium für öffentliche Bauarbeiten Vorgespräche zwischen den drei Ländern Afghanistan, Iran und Indien bezüglich des Aufbaus von Zugverbindungen zwischen dem iranischen Hafen Chabahar in die westliche Provinz Herat (Tolonews 14.3.2016; vgl. auch: Khaama Press 14.3.2016). Es wird erwartet, dass Afghanistan einen Meereszugang durch den strategischen Chabahar Hafen im Iran bis Ende nächsten Jahres erhält. Die Arbeiten am Hafen wurden diesbezüglich bereits aufgenommen. Der Hafen wird Afghanistan Zugang zu der Garland Autobahn gewähren (Khaama Press 14.3.2016), und zwar über das existierende iranische Straßennetzwerk und die Zaranj-Delaram Straße, welche von Indien im Jahr 2009 errichtet wurde (Khaama Press 14.3.2016; vgl. auch: ISW o.D.). Dies bedeutet folglich einen direkten Zugang zu den vier bedeutendsten Städten in Afghanistan, nämlich Herat, Kandahar, Kabul und Mazar-e Sharif (Khaama Press 14.3.2016).

Beispiel für int. Zugverbindungen nach Afghanistan

Nach Testläufen wurde im August 2011 die erste Zugverbindung zwischen dem an der afghanischen Grenze gelegenen Hairatan in Usbekistan nach Mazar-e Sharif aufgenommen. Die Streckenlänge beträgt 75 Kilometer (Railway Technology o.D.; vgl. auch: IPS News 27.3.2015).

Erwartet wird, dass bis Ende des Jahres täglich ein Güterzug aus der chinesischen Stadt Yiwu nach Afghanistan, bis Mazar-e Sharif, fahren wird; der Weg dorthin ist 7.500 km lang; die Fahrt dauert 15 Tage (Dawn 29.8.2016).

[...]

1.3.1.5. Rechtschutz/Justizwesen

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9 .2016).

[...]

1.3.1.6. Sicherheitsbehörden

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen machen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten - indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force - AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

Resolute Support Mission

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene, sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram), mit vier weiteren Niederlassungen in: Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016).

[...]

1.3.1.7. Folter und unmenschliche Behandlung

Laut afghanischer Verfassung ist Folter verboten (Art. 29) (AA 9 .2016; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004). Fälle von Folter durch Angehörige der Polizei, des NDS und des Militärs sind nachgewiesen und werden von den jeweiligen Behörden zumindest offiziell als Problem erkannt (AA 9 .2016; vgl. OHCHR 11.2.2016).

Generell sind Frauen und Kinder in Polizeigewahrsam und Haftanstalten besonders in Gefahr, misshandelt zu werden. In jüngerer Vergangenheit wurden im Zusammenhang mit Häftlingen, die im Zuge des bewaffneten Konfliktes in Afghanistan festgenommen wurden, grobe Missstände aufgedeckt (AA 9 .2016).

Im Jänner 2015, startete Präsident Ghani einen Nationalen Aktionsplan zur Eliminierung von Folter; das dafür zuständige Komitee wurde im Mai 2015 gegründet (HRW 27.1.2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Im November 2015, war das Justizministerium dabei ein neues Anti-Folter-Gesetz zu erarbeiten. Von diesem wird erwartet, weitläufige Bestimmungen zur Wiedergutmachung für Folteropfer zu enthalten (OHCHR 11.2.2016). Human Rights Watch zufolge, gab es im Jahr 2016 diesbezüglich keine weiteren Entwicklungen (HRW 12.1.2017).

Artikel 30 der afghanischen Verfassung besagt, dass Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt worden sind, ungültig sind (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Da die Abgrenzung zwischen polizeilicher und staatsanwaltlicher Arbeit nicht immer gewahrt ist, werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte zudem nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger. Schließlich liegt ein zentrales Problem in der Tatsache begründet, dass sich afghanische Richter/innen bei Verurteilungen fast ausschließlich auf Geständnisse der Angeklagten stützen. Das Geständnis als "Beweismittel" erlangt so überdurchschnittliche Bedeutung, wodurch sich der Druck auf NDS und Polizei erhöht, ein Geständnis zu erzwingen. Da die Kontrollmechanismen weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig sind, erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Allerdings scheint sich die Lage dieser Häftlinge insgesamt verbessert zu haben: rund 35% der Befragten gaben an, gefoltert worden zu sein (im Gegensatz zu 49% im UNAMA-Bericht von Januar 2013) (AA 9 .2016).

Im Juni 2015 gab der NDS wiederholt Anweisungen betreffend des Folterverbots, speziell zum Erhalt von Geständnissen (HRW 27.1.2016; vgl. auch AI 24.2.2016).

[...]

1.3.1.8. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9 .2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9 .2016).

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet - (AI 24.2.2016).

[...]

1.3.1.9. Haftbedingungen

Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten werden von unterschiedlichen Organisationen verwaltet:

Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), ist verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge. Das MoI und das Juvenile Rehabilitation Directorate (JRD) sind verantwortlich für alle Jugendrehabilitationszentren und Zivilhaftanstalten. Die Afghan National Police (ANP) unter dem Innenministerium und dem National Directorate of Security (NDS), ist verantwortlich für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Bezirksebene. Das Verteidigungsministerium betreibt die Nationalen Haftanstalten Afghanistans in Parwan und Pul-e-Charki (USDOS 13.4.2016).

Aus dem Bericht der UNAMA, dem eine fast zweijährige Studie (1. Februar 2013 bis 31. Dezember 2014) in 221 Anstalten in 28 verschieden Provinzen Afghanistans vorrausgegangen war, geht hervor, dass allgemein die Zahl der interviewten Häftlinge, die misshandelt bzw. gefoltert wurden, um 14% niedriger ist als im Vergleichszeitraum (Oktober 2011 bis Dezember 2013). Von den 790 befragten Häftlingen gaben 278 an misshandelt oder gefoltert worden zu sein, was in etwa 35% entspricht (UNAMA 2.2015; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Ein staatliches Komitee führte Interviews, um die im UNAMA-Bericht 2013 vorgebrachten Folteranschuldigungen zu prüfen. Die Feststellungen des Komitees wurden nicht veröffentlicht. Die Regierung hat die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (USDOS 13.4.2016). In einem Fall wurden zwei Beamte des nationalen Geheimdienstes (NDS) aufgrund von Folter strafrechtlich verfolgt (OHCHR 11.2.2016).

Im Juni 2015 erließ der NDS eine Anordnung, in der nachdrücklich auf das Verbot von Folter, insbesondere bei Polizeiverhören, hingewiesen wurde; trotzdem kam es zu Folter und anderen Misshandlungen und Isolationshaft, im afghanischen Strafvollzugssystem (AI 24.2.2016)

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind in den meisten Provinzen ein Problem. Beobachtern zufolge, werden Individuen gelegentlich von Polizei und Staatsanwälten, auf Basis von Handlungen, die nach afghanischem Recht nicht strafbar sind, ohne Anklage inhaftiert (USDOS 13.4.2016; vgl. AI 24.2.2016). Teilweise auch deshalb weil das Justizsystem nicht in der Lage ist, die Festgenommenen in gegebener Zeit weiter zu beamtshandeln (USDOS 13.4.2016). Die UNAMA berichtete von Verhaftungen wegen "moralischer" Vergehen, Vertragsbruch, Familiendisputen usw. zum Zwecke des Erhalts von Geständnissen. Beobachter berichten, dass ausschließlich Frauen für "moralische" Vergehen inhaftiert werden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AI 24.2.2016).

Das Gesetz gewährt einem/r Angeklagte/n das Recht gegen die Untersuchungshaft Einspruch zu erheben und eine Verhandlung in dieser Angelegenheit zu bekommen. Nichtdestotrotz, ist lange Untersuchungshaft ein Problem. Aufgrund fehlender Ressourcen, einer geringen Anzahl an Verteidigern, unerfahrenen Rechtsanwält/innen und Korruption, profitierten viele Häftlinge nicht von allen Bestimmungen der Strafprozessverordnung. Viele Häftlinge werden, trotz Bestimmungen, über die gesetzliche Frist festgehalten, selbst wenn es keine Anklage gibt (USDOS 13.4.2016).

Es gibt Berichte über harte und manchmal lebensbedrohliche Bedingungen und Misshandlungen in öffentlichen Haftanstalten (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AI 24.2.2016). Berichten zufolge, existieren von Mitgliedern der ANDSF privat geführte Gefängnisse, in denen gefoltert und misshandelt wurde (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.10. Religionsfreiheit

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9 .2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9 .2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9 .2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

[...]

1.3.1.11. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9 .2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.11.1. Tadschiken

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Die Tadschiken machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (GIZ 1.2017). Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

[...]

1.3.1.12. Frauen

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9 .2016).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Bildung

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

Frauenuniversität in Kabul

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vgl. auch:

MORAA 31.5.2016).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vgl. auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

Berufstätigkeit

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9 .2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

Frauen im öffentlichen Dienst

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9 .2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9 .2016).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9 .2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

Strafverfolgung und Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9 .2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9 .2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9 .2016)

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9 .2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9 .2016).

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9 .2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9 .2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: UNAMA 4.2015).

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9 .2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9 .2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9 .2016).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

Legales Heiratsalter

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016).

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9 .2016).

Frauenhäuser

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9 .2016).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.12.1. Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9 .2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9 .2016).

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9 .2016).

Kinderarbeit

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:

Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9 .2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).

Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fälle nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).

Bildungssystem in Afghanistan

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.

Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).

[...]

1.3.1.13. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr, die Regierung schränke die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] (USDOS 13.4.2016; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004).

In manchen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In manchen Teilen machen Gewalt von Aufständischen, Landminen und Improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Die Taliban verhängen nächtliche Ausgangssperren in jenen Regionen, in denen sie die Kontrolle haben - Großteiles im Südosten (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.13.1. Meldewesen

Es gibt keine Meldepflicht in Afghanistan (DIS 5.2012; vgl. auch: DW 9.10.2004).

[...]

1.3.1.14. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

Einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge, verkomplizieren rückkehrende Flüchtlinge die Situation der bereits mehr als eine Million Binnenvertriebenen, deren Anzahl sich aufgrund des Aufstandes im Jahr 2016 erhöht hat. Nach Meinung des IWF wird dies die Kapazitäten des Landes überfordern (DAWN 28.1.2017).

Die Zahl der Internvertriebenen im Jahr 2017 betrug 9.759 (Stand 4. Februar 2017) (UN OCHA 5.2.2017). 636.503 Menschen wurden insgesamt im Jahr 2016 aufgrund des Konfliktes vertrieben (UN OCHA 29.1.2017). Mehr als die Hälfte dieser Menschen (56%) waren Kinder unter 18 Jahren. Von Binnenvertreibung betroffen waren 31 Provinzen in unterschiedlichem Ausmaß; alle 34 Provinzen beherbergten Binnenvertriebene. Im Jahr 2016 stammten die meisten Binnenvertriebenen aus den Provinzen Kunduz, Uruzgan, Farah und Helmand. Gleichzeitig nahmen die Provinzen Helmand, Takhar, Farah, Kunduz und Kandahar die meisten Binnenvertriebenen auf. Viele Menschen suchen also in der Nähe ihrer Heimat Schutz. Binnenvertriebene tendieren dazu aus ländlichen Gebieten in die Provinzhauptstädte zu ziehen, oder in die angrenzenden Provinzen zu gehen. Sobald der Konflikt zu Ende ist, versuchen sie bald wieder nach Hause zu kehren (AAN 28.12.2016).

Der verhängnisvollste Monat war Oktober, in welchem die Taliban mehrere Provinzhauptstädte gleichzeitig angriffen: Kunduz City, Farah City, Maimana, und Lashkar Gah. Der Anstieg der IDP-Zahlen ist auch auf den Rückzug internationaler Truppen zurückzuführen, die durch Luftangriffe unterstützten; mittlerweile haben die Taliban ihre Angriffstaktik geändert und sind zu Bodenoffensiven übergegangen. Bodenoffensiven sind nicht nur die Ursache für Tote und Verletzte innerhalb der Zivilbevölkerung, sondern zwingen die Menschen aus ihren Heimen zu fliehen (AAN 28.12.2016).

Im Rahmen von humanitärer Hilfe wurden Binnenvertriebene, je nach Region und Wetterbedingungen, unterschiedlich unterstützt: Bargeld, Paket für Familien, winterliche Ausrüstung, Nahrungspakete, Hygienepakete, Decken, Zelte, und andere Pakete, die keine Nahrungsmittel enthielten usw. Auch wurde Aufklärung in Bereichen wie Hygiene betrieben (UN OCHA 5.2.2017; vgl. auch: UN OCHA 29.1.2017; UN OCHA 1.11.2016; UN OCHA 1.10.2016; vgl. ACBAR 7.11.2016).

Unterschiedliche Organisationen, wie z.B. das Internationale Rote Kreuz (IRC) oder das Welternährungsprogramm (WFP) usw. sind je nach Verantwortungsbereichen für die Verteilung von Gütern zuständig.

Dazu zählten: Nahrung, Zelte, sowie andere Güter, die keine Nahrungsmittel waren (IOM 17.4.2016; vgl. auch ACBAR 15.5.2016).

UNHCR unterstützt Rückkehrer/innen mit finanziellen Beihilfen in vier Geldausgabezentren, außerdem mit Transiteinrichtungen und elementaren Gesundheitsleistungen. Zusätzlich wurden sie in anderen Bereichen aufgeklärt, wie z.B. Schuleinschreibungen, Gefahren von Minen etc. (UNHCR 6.2016).

2017

Im Jänner 2017 wurde ein humanitärer Plan für US$ 550 Millionen aufgestellt, mit dem Ziel im Jahr 2017 die vulnerabelste und marginalisierteste Bevölkerung des Landes zu unterstützen. Ziel sind strategische und lebensnotwendige Interventionen: Nahrung, Unterkunft, Gesundheitsvorsorge, Ernährung, sauberes Wasser und Hygiene. Im Rahmen des "Afghanistan 2017 Humanitarian Response Plan" sollen etwa 5,7 Millionen Menschen erreicht werden (UN News Centre 23.1.2017).

2016

Im September 2016 suchten die Vereinten Nationen um 152 Millionen US Dollar an, um lebensnotwendige Hilfe für Internvertriebenen, nicht-dokumentierten Rückkehrer/innen und registrierten Flüchtlingen bieten zu können. Von den zugesagten 42 Millionen US Dollar wurden 40,2 Millionen US Dollar bereits entgegengenommen. Somit stand die gesamte humanitäre Unterstützung für Afghanistan im November 2016 bei 401 Millionen US Dollar (UN GASC 13.12.2016).

Flüchtlinge in Afghanistan

Laut UNHCR sind derzeit in Afghanistan rund 55.000 registrierte Flüchtlinge (darunter viele pakistanische Staatsangehörige) und ca. 300 Asylwerber. Der Großteil der Menschen aus Pakistan ist im Juni 2014 vor Auseinandersetzungen aus der Nord-Waziristan-Region nach Afghanistan geflüchtet (AA 9 .2016).

[...]

1.3.1.15. Grundversorgung und Wirtschaft

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl. auch: AA 11 .2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit, sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011, stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11 .2016).

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte; verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11 .2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung - Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit, nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen, sowie Gewalt, sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11 .2016).

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11 .2016).

Projekte der afghanischen Regierung:

Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens' Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität, sowie Zufriedenheit zu steigern und Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

[...]

1.3.1.16. Medizinische Versorgung

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 9 .2016).

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung

Artikel 52, (Max Planck Institute 27.1.2004)].

Im regionalen Vergleich fällt die medizinische Versorgung weiterhin drastisch zurück (AA 9 .2016). Dennoch hat das afghanische Gesundheitssystem in der letzten Dekade ansehnliche Fortschritte gemacht (The World Bank Group 10.2016; vgl. auch: AA 9 .2016). Dies aufgrund einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung, sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und unter 5-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter 5 Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (The World Bank Group 10.2016).

Die medizinische Versorgung leidet trotz erkennbarer und erheblicher Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 9 .2016).

Erhebliche Fortschritte der letzten Dekade sind: Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate hat sich signifikant reduziert; die Sterberate von Kindern unter 5 Jahren ist von 257 auf 55 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 165 auf

45. Die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken (WB 2.11.2016). Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten verbesserte sich von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal (WB 2.11.2016). Bei 34% der Geburten war ausgebildetes Gesundheitspersonal anwesend. Schätzungen der UN Population Division zufolge, verwenden 23% der Frauen in gebärfähigem Alter moderne Methoden der Empfängnisverhütung (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.17. Rückkehrer

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017); viele von ihnen sind, laut Internationalem Währungsfonds (IMF), hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.1.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60%) entschlossen sich - laut UNHCR - in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).

IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlinge, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind - davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind (Khaama Press 17.1.2017).

Afghanische Rückkehrer/innen, afghanische Flüchtlinge und nicht registrierte Afghan/innen

Iran

Seit 1. Jänner 2016 sind insgesamt 461.112 nicht-registrierte Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. In der zweiten Jännerwoche 2017 sind insgesamt 9.378 nicht registrierte Afghan/innennach Afghanistan durch Herat oder Nimroz zurückgekehrt; von diesen sind 3.531 freiwillig und 5.847 im Zuge von Abschiebungen zurückgekehrt - 2% der nicht registrierten Afghan/innen, die in den Transitzentren in Herat oder Nimroz ankamen, wurden von IOM unterstützt. Dazu zählten 101 UMF (Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge), denen IOM eine besondere Unterstützung zukommen ließ, inklusive medizinischer Behandlung, sichere Unterkünfte und die Suche nach Familienangehörigen (IOM 15.1.2017).

Ein UNHCR-Vertreter berichtete, dass afghanische Flüchtlinge in Gegenden zurückkehrten, in denen der Friede wieder hergestellt wurde. Dennoch sei es schwierig, alle afghanischen Flüchtlinge eines Jahres zu verteilen, da der Iran afghanische Migrant/innen zurückschickt und Afghanistan eine Anzahl wohnungsloser Menschen hat, die zusätzlich die Situation verkomplizieren (Pakistan Observer 2.1.2017). Die IOM-Transitzentren in Grenznähe bieten elementare Unterkünfte, Schutz für unbegleitete Minderjährige, Haushaltsgegenstände (Töpfe und Pfannen), sowie Transportmöglichkeiten für Familien, um sich in ihren Wunschgebieten ansiedeln zu können (DAWN 12.1.2017).

Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort

Eine steigende Zahl von Institutionen bietet Mikrofinanzleistungen an. Die Voraussetzungen hierfür unterscheiden sich, wobei zumeist der Fokus auf die Situation/Gefährdung des Antragenden und die Nachhaltigkeit des Projekts gelegt wird. Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch (IOM 2016).

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsenden Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebe zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden:

Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 Binnenvertriebenen, Flüchtlingen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt - um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkindern aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (UN News Centre 15.11.2016).

Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen - insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerber/innen Unterstützung nach der Ankunft im Land (AA 9 .2016). Mit Ausnahme von IOM gibt es keine weiteren Organisationen, die Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrer/innen in Afghanistan anbieten (IOM 2016).

Staatliches Pensionssystem

Es ist nur ein öffentliches Rentensystem etabliert. Das übliche Rentenalter liegt zwischen 63 und 65 Jahren, hängt jedoch vom Einzelfall ab. Personen, die in Afghanistan gearbeitet haben, haben Zugang zu Rentenzahlungen. Es gibt keine Einschränkungen, die einzige Voraussetzung ist, dass die Person mehr als 32 Jahre gearbeitet hat und zwischen 63-65 Jahren alte ist. Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen werden als vulnerabel/schutzbedürftig eingestuft. Sie können Sozialhilfe beziehen und zumindest körperlich benachteiligte Menschen werden in der Gesellschaft respektvoll behandelt. Schwierig ist es allerdings mit mental erkrankten Menschen, diese können beim Roten Halbmond und in entsprechenden Krankenhäusern (Ali Abad Mental Hospital, siehe Kontakte) behandelt werden (IOM 2016).

Es gibt keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Arbeitsministerium und der NGO ACBAR (www.acbar.org ) angeboten (IOM 2016).

Erhaltungskosten in Kabul

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zur 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

Wohnungssituation in Sar-e Pul

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Sar e Pol für zwei Personen belaufen sich auf ca. 180-200 USD pro Monat. Die monatlichen Mietkosten für ein durchschnittliches Haus betragen ca. 70-90 USD und 150-200 USD pro Monat für ein Luxusapartment (IOM 4.8.2016).

Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird nach folgendem fragen: Tazkira/ (Personalausweis/Pass); 2 Passfotos und AFA 1,000 bis 5,000 als Mindestkapital für das Bankkonto (IOM 2016).

Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv:

Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, Alfalah Bank Ltd., Bank-E-Millie Afghan, BRAC Afghanistan Bank, Development Bank of Afghanistan, Export Promotion Bank, Habib Bank of Pakistan, Kabul Bank, National Bank of Pakistan, Pashtany Bank, Punjab National Bank - India, The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank. Zu deren Leistungen zählen: Internationaler Geldtransfer via SWIFT (Society For World Wide Interbank Funds Transfer), inländische Geldtransfers in Afghanistan, diverse Kreditprodukte und andere Handelsleistungen, sowie Sparen und Girokonten (IOM 2016).

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist seit 2003 über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Um Geld nach Afghanistan zu überweisen, müssen die Betroffenen ein Konto in Afghanistan haben. Die Zentralbank beabsichtigt, sich vom kommerziellen Bankgeschäft zurückzuziehen, da die kommerziellen Banken ihre Tätigkeiten in Afghanistan ausbauen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten (IOM 2016). Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet (IOM 2016; vgl. auch: Western Union Holdings, Inc 2016 und Azizi Bank 2014).

Memorandum of Understanding (MoU)

Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Schweden haben seit 2002 mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen (MoU - Memorandum of Understanding) zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u. a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien schieben abgelehnte Asylbewerber/innen afghanischer Herkunft nach Afghanistan ab. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Der afghanische Flüchtlingsminister Balkhi (seit Ende Januar 2015 im Amt) lehnt die Rücknahme von afghanischen Flüchtlingen ab und ignoriert die MoUs, wurde jedoch von Präsident Ghani in seinem Einfluss beschnitten. Ein deutsch-afghanisches Rücknahme-MoU wurde am 2. Oktober 2016 in Kabul unterzeichnet (AA 9 .2016).

1.3.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016

1.3.2.1. Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ähnlich kann Personen mit Profilen gemäß 1.e (Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen) und 1.i (Frauen im öffentlichen Leben) von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Werte und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund können sie Opfer von Angriffen werden.

1.3.2.2. Angehörige ethnischer (Minderheiten‑)Gruppen

Die Bevölkerung Afghanistans besteht aus mehreren unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die traditionell ein hohes Maß an Autonomie gegenüber der Zentralregierung besitzen. Infolge verschiedener historischer Bevölkerungsbewegungen in der Vergangenheit - freiwilliger und erzwungener Art - wohnen einige Angehörige ethnischer Gruppen mittlerweile außerhalb der Gebiete, in denen sie traditionell der Mehrheit angehörten. Daher können Personen, die einer der größten ethnischen Gruppe des Landes angehören, tatsächlich an ihrem Wohnort zu einer ethnischen Minderheit gehören und dementsprechend aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit mit Diskriminierung oder Misshandlungen an ihrem Wohnort konfrontiert sein. Hingegen besteht möglicherweise für ein Mitglied einer ethnischen Gruppe oder eines Clans, der bzw. die auf nationaler Ebene eine Minderheit darstellt, kein Risiko aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in Gebieten diskriminiert zu werden, in denen diese ethnische Gruppe bzw. dieser Clan lokal die Mehrheit bildet.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen ethnischen Gruppen nicht notwendigerweise homogene Gemeinschaften bilden. Unter Paschtunen können beispielsweise starke Rivalitäten zwischen verschiedenen Untergruppen Spannungen und Konflikte verursachen. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass ethnische Zugehörigkeit und Religion oftmals untrennbar miteinander verbunden sind, insbesondere in Bezug auf die ethnische Gruppe der Hazara, die vorwiegend schiitisch ist. Daher ist es nicht immer möglich, zu unterscheiden, ob Religion oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe als primärer Grund für Vorfälle oder Spannungen anzusehen ist. Da die politische Zugehörigkeit wiederum oftmals von der ethnischen Zugehörigkeit abhängt, können (vermeintliche) politische Überzeugungen und ethnische Zugehörigkeit untrennbar miteinander verbundene Elemente in Konflikten und Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen sein. Es bestehen weiterhin starke Trennlinien zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Afghanistan. Im "Peoples under Threat"-Index von Minority Rights Group International ist Afghanistan als viertgefährlichstes Land der Welt für ethnische Minderheiten aufgeführt, insbesondere aufgrund der gezielten Angriffe auf Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und Religion.

Der Index weist insbesondere Hazara, Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und Belutschen als gefährdete ethnische Minderheiten in Afghanistan aus. Die Verfassung garantiert die "Gleichheit aller ethnischen Gruppen und Stämme". Dennoch klagen Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen über Diskriminierung von staatlicher Seite auch in Form von ungleicher Behandlung bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen.

[...]

1.3.2.3. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund "moralischer Vergehen" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "moralische Vergehen" zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "moralischen Vergehen" Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen. In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.

[...]

2. Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der unter I. dargestellte Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

2.1. Zu den Personen von BF1, BF2 und BF6

2.1.1. Zu den Feststellungen 1.1.1.

Mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten kann die Identität von BF1, BF2 und BF6 nicht festgestellt werden und gelten die in der gegenständlichen Rechtssache getroffenen Feststellungen zu den Identitäten (Name und Geburtsdatum) von BF1, BF2 und BF6 daher ausschließlich für die Identifizierung der Personen im Asylverfahren.

Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des jeweiligen Beschwerdeführers ergeben sich aus den konstant gleichlautenden Aussagen von BF1, BF2 und BF6 vor dem Stadtpolizeikommando Wels, dem BFA, in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und der Beschwerde.

Die Feststellungen zur Abstammung, Nationalität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie den familiären Verflechtungen von BF1, BF2 und BF6 stützen sich auf die eigenen, insoweit plausiblen Angaben von BF1, BF2 und BF6 im Rahmen des Verfahrens vor der belangten Behörde bzw. dem Verfahren vor dem BVwG. Bereits das BFA legte seiner Entscheidung diese Feststellungen zu Grunde, und es haben sich an diesen auch im Verfahren vor dem BVwG keine Zweifel ergeben.

Die Feststellungen zu den Angehörigen (finanzielle Lage, Gesundheitszustand, Kontaktpflege) stützen sich vor allem auf die diesbezüglichen glaubhaften Aussagen von BF1 und BF2 sowohl in der Erstbefragung als auch im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG. Dass BF2 vor allem mit ihrem Bruder in engem Kontakt steht, lässt sich aus der glaubhaften Aussage, dass sie mit diesem "einmal oder zweimal im Monat oder einmal in der Woche" telefoniere, ableiten (vgl. VP S. 23).

2.1.2. Zu den Feststellungen 1.1.2.

Die Feststellung, dass BF1, BF2 und BF6 bis zur Ausreise nach Österreich (bis auf zwei Monate) im Iran und BF1 und BF2 davor ca. zwanzig Jahre in Afghanistan gelebt haben, gaben diese übereinstimmend und insofern glaubhaft an.

2.1.3. Zu den Feststellungen 1.1.3.

Die Feststellungen zur Muttersprache und zum Ausbildungs- und Berufsstand (in Afghanistan und im Iran) von BF1 beruhen auf seinen plausiblen Angaben in der Erstbefragung sowie im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG. Diesbezüglich erwies sich das Vorbringen von BF1 als substantiiert, und es haben sich keine Ungereimtheiten ergeben, sodass diesen Angaben gefolgt werden konnte. Dass die Familie von BF1 im Besitz von Grundstücken und einem "Weintraubengarten" ist, gaben BF1 und BF2 zusammen mit BF3 und BF4 übereinstimmend vor dem BVwG an.

2.1.4. Zu den Feststellungen 1.1.4.

BF2 brachte widerspruchsfrei vor, sowohl in Afghanistan als auch im Iran Hausfrau gewesen zu sein, wobei sie im Iran zusätzlich Schneidertätigkeiten zuhause ausführte. Dass BF2 fünf Jahre in die Schule ging und Dari in Wort und Schrift beherrscht, führte diese glaubhaft im Zuge der Befragung vor dem BFA und der Beschwerdeverhandlung aus.

2.1.5. Zu den Feststellungen 1.1.5.

BF6 schildert glaubhaft, dass sie eine Schule im Iran besucht, jedoch keine Ausbildung gemacht oder jemals gearbeitet hat. Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen beruhen auf ihren plausiblen Angaben im Laufe des Verfahrens; betreffend Deutsch auch aufgrund der Beantwortung der auf Deutsch gestellten, nicht übersetzten Fragen der Richterin.

2.1.6. Zu den Feststellungen 1.1.6.

Die Feststellungen zum Fluchtweg vom Iran nach Österreich und zu den Ausreisekosten beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Erstbefragung von BF1, BF2 und BF6.

2.1.7. Zu den Feststellungen 1.1.7.

Die Feststellungen zur fehlenden Beschäftigung und hinsichtlich der Nutzung der Grundversorgung beruhen auf den Aussagen von BF1 und dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Eine Bestätigungen und ein Empfehlungsschreiben (ohne Datum) über die Teilnahme an einem Sprachkurs von " XXXX " wurde im Verfahren vorgelegt und der derzeitige Besuch eines Deutschkurses glaubhaft gemacht. Die entsprechenden Deutschkenntnisse wurden durch die erkennende Richterin festgestellt und im Verhandlungsprotokoll festgehalten (vgl. VP S. 9). Der Besuch eines Wertekurses ist einem Empfehlungsschreiben vom 05.12.2017 zu entnehmen. BF1 gab nachvollziehbar in der Beschwerdeverhandlung an, österreichische Kontakte zu haben.

Eine bestehende Depression und einen zurückliegenden Schlaganfall gab BF1 im Rahmen der Einvernahme vor dem BVwG erstmals bekannt. Betreffend die Depression legte er eine angebrochene Medikamentenpackung " XXXX " vor, der Insult wurde durch die Vorlage mehrerer ärztlicher Dokumente nachgewiesen.

2.1.8. Zu den Feststellungen 1.1.8.

Die getroffenen Feststellungen zu den sozialen Kontakten und der Tätigkeit von BF2 beruhen auf ihrem insoweit glaubhaften Vorbringen im Verfahren. Der Besuch von einem Deutsch- und einem Wertekurs wurde durch die Vorlage von einer Bestätigung und zwei Empfehlungsschreiben (05.12.2017 und ohne Datum) nachgewiesen. Ein Zertifikat über die Absolvierung einer Sprachprüfung wurde nicht vorgelegt, und BF2 gab in der Beschwerdeverhandlung auch selbst an, noch keine Prüfung abgelegt zu haben (vgl. VP S. 20). Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen ergeben sich aus den von der Richterin in der mündlichen Verhandlung gestellten, nicht übersetzten Fragen (vgl. VP. S. 19).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand von BF2 basieren auf deren eigenen übereinstimmenden Angaben in der Verhandlung vor dem BVwG und dem BFA.

2.1.9. Zu den Feststellungen 1.1.9.

Dass BF6 einen Deutschkurs besucht und eine Prüfung abgelegt hat, ergibt sich aus den vorgelegten Empfehlungsschreiben, einer Deutschkurs-Besuchsbestätigung und einem Sprachzertifikat. Dem Empfehlungsschreiben vom 28.11.2017 ist auch zu entnehmen, dass diese an einer Informationsveranstaltung betreffend das Bildungswesen teilgenommen hat. Die getroffenen Feststellungen zu den sozialen Kontakten und Freizeitaktivitäten gründen sich auf die insoweit glaubhaften Aussagen von BF6. Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen ergeben sich aus den von der Richterin in der mündlichen Verhandlung gestellten und nicht übersetzten Fragen (vgl. VP S. 37).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand von BF6 basiert auf deren eigenen durchgehend widerspruchsfreien Angaben.

2.1.10. Zu den Feststellungen 1.1.10.

Die Feststellungen, dass BF1, BF2 und BF6 im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten sind und Verwandte in Österreich haben, stützen sich auf die übereinstimmenden und plausiblen Aussagen von BF1, BF2 und BF6 im Zuge des Verfahrens und den Akteninhalt.

2.2. Zu den Fluchtgründen von BF1, BF2 und BF6

2.2.1. Zu den Feststellungen 1.2.1., 1.2.2. und 1.2.3.

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen basieren auf den von BF1, BF2 und BF6 in der Erstbefragung, vor dem BFA sowie auf den in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getroffenen Aussagen und deren Würdigung durch das Bundesverwaltungsgericht:

BF1, BF2 und BF6 brachten im Wesentlichen als Grund, nicht nach Afghanistan zurückkehren zu können, eine Feindschaft eines Kommandanten namens XXXX gegenüber BF1 vor.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet es zwar als glaubhaft, dass BF1 ein Unterstützer von Ahmad Shah Masood war und sich an den Kämpfen zwischen den Fraktionen beteiligt hat, weil BF1 die Kämpfe übereinstimmend im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG schilderte. Die von BF1 geltend gemachte Feindschaft zu einem Kommandanten namens XXXX , dessen Onkel in den Gefechten getötet wurde, war hingegen nicht überzeugend:

BF1 war nur ein einfacher Kämpfer, der - wie sein ganzes Dorf, etwa 100 Häuser - seine Fraktion bewaffnet unterstützt hat. Seinen Angaben nach gab es Unterstützung durch den ganzen Norden (seiner Aussage nach über 5.000.000 Unterstützer). Dabei erscheint es nicht plausibel, wie BF1 der Tod einer bestimmten Person angelastet werden könnte, da es das Bundesverwaltungsgericht als unwahrscheinlich erachtet, dass die Gegner wissen könnten, wer im Gefecht der Schütze des Getöteten war (vgl. auch die eigene Aussage von BF1 vor dem BFA,

S. 101: "LA: Also wissen Sie nicht ob Sie jemanden getötet haben?

VP: Nicht bewusst, im Krieg weiß man das nicht.").

In der Beschwerdeverhandlung tat BF1 erstmals kund, dass er damals an einem Posten gemeinsam mit fünf weiteren Personen patrouilliert und dabei eine Leiche entdeckt habe (vgl. VP S. 14). BF1 konnte sich nun sogar an den Namen der Person erinnern und dass Älteste des gegnerischen Dorfes gekommen seien, um den Leichnam abzuholen, und BF1 dabei gesehen hätten. Dass BF1 mit diesen Angaben, die möglicherweise eine Gefährdung indizieren würden, bis zur dritten Befragung zuwartete, ist nicht nachvollziehbar, zumal BF1 vor dem BFA bereits umfangreich befragt wurde. Durch dieses Aussageverhalten entstand vielmehr der Eindruck, dass der obige ergänzte Sachverhalt, dass BF1 Wache an jenem Posten war, in dessen unmittelbarer Nähe die Leiche aufgefunden wurde, nur konstruiert wurde, um zu begründen, weshalb die gegnerische Seite BF1 verdächtigt haben soll, an dem Tod des Onkels des Kommandanten Schuld zu haben. BF1 vermochte vor dem BFA noch keinen Grund anzuführen, weshalb man ihm schaden wolle (vgl. AS 100: "LA: Es ist nicht plausibel, warum Sie als einfacher ‚Kämpfer' beschuldigt worden sein sollen. VP: Einen Kommandanten kann man nicht einfach beschuldigen, der hat Bodyguards. Keine Ahnung."). Auch BF2 konnte vor dem BFA keine Angaben dazu machen (vgl. AS 96; "LA: Warum wurde Ihr Mann beschuldigt, diese Person getötet zu haben? VP: Ich weiß es nicht, wenn das einer meint, dann glaubt das jeder."). Das Bundesverwaltungsgericht schenkt diesem, erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Vorfall daher keinen Glauben.

Wenig überzeugend war in diesem Zusammenhang auch die Begründung von BF1, woher er wisse, dass er umgebracht werden solle. Dieser stützt sich lediglich auf Erzählungen einer Frau aus dem gegnerischen Dorf (vgl. AS 102), aber nicht auf eigene Wahrnehmungen. Dass die Frau bei einer Sitzung von Männern dabei gewesen sein soll, bei der die Entscheidung getroffen worden sei, BF1 zu töten (VP S. 17), ist aufgrund der vorherrschenden patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen in Afghanistan nicht plausibel. BF2 wiederum war sich nicht einmal sicher, ob BF1 die Frau überhaupt kenne oder die Nachricht nur durch den Schwiegervater erfahren habe (vgl. AS 88). Eine direkte Drohung hat BF1 demnach nie erhalten.

Eine bestehende Feindschaft ist weiters aufgrund nachstehender Gründe nicht schlüssig:

Es gibt mittlerweile ein Friedensabkommen zwischen den beiden Fraktionen und jene Partei, für die BF1 bewaffnet gekämpft hat, ist aktuell die stärkste Partei in Afghanistan (s. auch den diesbezüglichen Vorhalt vor dem BFA, AS 101). Die Ereignisse liegen zudem über zwanzig Jahre zurück. Auch wenn der damalige Kommandant XXXX aktuell als Leibwächter des Parlamentsabgeordneten XXXX Einfluss haben sollte (was BF1 übrigens auch nur vom "Hörensagen" eines Bekannten weiß), ist nicht glaubhaft, dass BF1 nach einem so lange zurückliegenden Vorfall und vor dem Hintergrund des Friedensabkommens deswegen noch eine Verfolgung drohen sollte. Dies insbesondere angesichts der Tatsache, dass es in Afghanistan kein Meldewesen gibt (s. Länderfeststellungen) und der Kommandant aufgrund eines über zwanzig Jahre zurückliegenden Ereignisses von der Rückkehr von BF1 nach Afghanistan erfahren und ohne Meldewesen dessen Aufenthaltsort finden müsste. BF1 kehrte bereits für zwei Monate nach Afghanistan zurück (vgl. AS 101, AS 99) und hielt es offensichtlich selbst für möglich, zurückzukehren und hat nicht geltend gemacht, dass es zu diesem Zeitpunkt oder danach eine Drohung gegeben hätte. Der Grund für die neuerliche Ausreise der Familie aus Afghanistan in den Iran war seiner Aussage nach keine konkrete Drohung, sondern dass BF1 ein Bekannter mitgeteilt hatte, dass "ein Kommandant von dem Parlamentsabgeordneten XXXX derjenige ist, der mit uns die Feindschaft hatte" (AS 99).

Es mag es zutreffen, dass BF1 im Zuge einer Beerdigung angeschossen und danach im Krankenhaus behandelt wurde (ein ärztliches Attest beweist Schusswunden), aber einen Konnex mit den Ereignissen als Widerstandskämpfer ist damit noch nicht hergestellt und konnte von BF1 nicht nachvollziehbar dargelegt werden.

Es ist sohin BF1, BF2 und BF6 aus den dargelegten Gründen nicht gelungen, eine konkrete, ihnen in Afghanistan drohende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

Soweit vorgebracht wurde, dass BF6 der Gang zur Schule in Afghanistan nicht möglich sei, wird angeführt, dass sich aus dem Länderberichtsmaterial nicht ergibt, dass Bildungseinrichtungen in Afghanistan von dieser nicht genutzt werden könnten. Es sind demgegenüber auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass die Eltern eine Ausbildung ihres Kindes verunmöglichen würden.

Die Feststellungen unter 1.2.2. ergeben sich aus dem Vorbringen von BF1, BF2 und BF6 im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG.

Das von BF2 erstattete Vorbringen, wonach die Familie Probleme mit den iranischen Behörden gehabt habe (auch in Zusammenhang mit dem Begräbnis des verstorbenen elfjährigen Sohnes; vgl. VP S. 41-42), bezieht sich auf den Aufenthalt im Iran und ist schon aus diesem Grund nicht von asylrechtlicher Relevanz.

2.2.2. Zu den Feststellungen 1.2.3.

In der Beschwerde vom 08.06.2017 machte BF2 geltend, eine westliche Orientierung angenommen zu haben.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vermochte BF2 jedoch weder überzeugend darzulegen, dass sie einen "westlichen" Lebensstil führe, noch, dass sie eine diesbezügliche innere Einstellung habe und dass sich diese nachhaltig verfestigt hätte:

BF2 hat zwar in ihrem etwa eineinhalbjährigen Aufenthalt in Österreich einen Sprachkurs besucht, aber noch keine Deutschprüfung abgelegt. Sie konnte die in der Verhandlung gestellten und nicht übersetzten Fragen verstehen und bemüht auf Deutsch beantworten. Die Deutschkenntnisse von BF2 sind aber trotz des schon längeren Aufenthalts in Österreich so gering (A0-A1 Niveau), dass alleine daraus keine nachhaltige Bestrebung für eine selbstbestimmte Lebensführung ersehen werden kann.

Auch der Tagesablauf der BF2 weist nicht auf ein Verhalten hin, das in Afghanistan verpönt wäre oder die Gefahr einer Verfolgung aufgrund unterstellter politischer bzw. religiöser Gesinnung birgt. Ihr in Österreich gepflegter Lebensstil stellt keinen nachhaltigen Bruch mit den in ihrem Herkunftsstaat verbreiteten gesellschaftlichen Werten dar. BF2 gab diesbezüglich an: "In der Früh, wenn ich aufstehe, bereite ich das Frühstück für die gesamte Familie. Nach dem Frühstücken gehe ich dann spazieren. Manchmal, wenn ich beim Spazierengehen erschöpft bin, lese ich in meinem Deutschbuch, das ich bei meinem Spaziergang mitnehme. Wenn ich etwas zum Einkaufen habe, gehe ich einkaufen und bereite ich dann das Mittagessen zu. Wenn ich zum Deutschkurs muss, der zwei Mal in der Woche stattfindet, dann gehe ich zum Deutschkurs. Wenn nicht, kenne ich eine Iranerin, sie kann Deutsch und bringt mir Deutsch bei. Dann komme ich zurück. Dann bereite ich das Abendessen zu." (vgl. VP S. 21).

Die Aktivitäten von BF2 finden in der geschützten Sphäre ihres Wohnortes statt. Dass sie in dieser Umgebung ihre Wohnung jeden Morgen verlässt, um in der geschützten Sphäre ihrer Wohnumgebung alleine spazieren zu gehen, ist als nach außen tretende Verhaltensweise keine ausreichende Grundlage für das Führen eines selbstbestimmten Lebens und lässt sich daraus auch nicht ableiten, dass ein freibestimmtes Leben Teil der Identität von BF2 geworden ist. Einkäufe in nahegelegenen Geschäften für den täglichen Bedarf stellen für sich genommen auch noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für das Führen eines selbstbestimmten Lebens dar und lässt sich daraus auch nicht ableiten, dass ein freibestimmtes Leben Teil der Identität der BF2 geworden wäre, zumal BF2 angab, dass sie nur bei manchen Dingen, bei denen sich ihr Mann nicht auskenne, selbst einkaufen gehe, schwere Einkäufe würden von ihrem Mann erledigt werden (vgl. VP S. 22).

Zwar verschließt sich BF2 mittlerweile nicht mehr dem Kontakt mit Österreichern (vor dem BFA gab diese noch an, über keinen sozialen Kontakte außer dem Deutschlehrer zu verfügen), bei jenen Leuten, mit denen BF2 nun in Kontakt steht, handelt es sich aber lediglich um beispielsweise eine Nachbarin und zeigt auf, dass BF2 nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt, obwohl sie hier nicht von gesellschaftlichen bzw. sozialen Normen eingeschränkt ist.

Das Geld, das die Familie erhält, befindet sich ihrer Angabe nach bei BF2 und diese trifft meistens Entscheidungen in der Familie selbst (vgl. VP S. 22), diese nimmt demgegenüber aber die Möglichkeiten zu sportlichen oder kulturellen Aktivitäten oder die Mitgliedschaft in einem Verein nicht in Anspruch (vgl. VP S. 19). Dies ist für sich genommen keine Lebensweise, die einen nachhaltigen Bruch mit den in ihrem Herkunftsstaat verbreiteten gesellschaftlichen Werten darstellen würde.

Zudem gab sie an, den Haushalt hauptsächlich selbst zu führen und antwortete auf die Frage, was sie in ihrer Freizeit mache, mit "den Haushalt" (vgl. VP. S. 21). Sie ist auch für das Kochen der Speisen und das Zubereiten des Frühstücks innerhalb der Familie zuständig, was insgesamt einem traditionellen Frauenbild entspricht.

BF2 äußerte in der Beschwerdeverhandlung den vagen Berufswunsch, in Zukunft als Schneiderin arbeiten oder einer anderen Arbeit nachgehen zu wollen (vgl. VP S. 20). Zwar sind die Angaben von BF2, einen Berufswunsch zu haben, nachvollziehbar, ein besonderes eigenes Engagement und eine klare Vorstellung sowie eine konkrete Planung ihres Berufszieles waren in der mündlichen Beschwerdeführung jedoch nicht erkennbar, mag sie sich auch bei einer ihrer Freundinnen dazu erkundigt haben ("Mir wurde gesagt, dass ich zunächst die Sprache lernen soll. Nachdem ich die Sprache gelernt habe, gibt es einen Kurs, den ich zwischen sechs Monate und einem Jahr besuchen soll, und wenn ich dann die Prüfung bestanden habe, darf ich als Schneiderin arbeiten."). Der grundsätzliche Wunsch nach einem Beruf kann jedoch keineswegs als ausschlaggebend für die Annahme einer Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" gewertet werden.

Genauso wenig kann aus den sehr allgemeinen Aussagen vor dem BVwG, dass Frauen in Afghanistan keine Rechte hätten (vgl. VP S. 21), weder abgeleitet werden, dass BF2 eine selbstbestimmte "westliche" Lebensweise anstrebt, noch kann dadurch eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" angenommen werden. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Beschwerdeführerinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der sozialen Gruppe Frauen zu gewähren wäre (vgl. VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994; VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182; BVwG 09.12.2014, W123 2007531-1).

Die Anstrengungen von BF2 stellen somit insgesamt keine besonderen Aktivitäten dar, aus denen geschlossen werden kann, dass es deren unbedingter Wille ist, eine "westliche Lebensweise" anzunehmen.

Darüber hinaus haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das nächste familiäre und soziale Umfeld (das heißt ihr Ehemann) es BF2 verunmöglichen würde, sich alleine in der Stadt zu bewegen, eine Ausbildung zu absolvieren und einen Beruf zu ergreifen.

BF2 erschien zur Einvernahme des BFA (vgl. AS 91) und zur mündlichen Beschwerdeverhandlung mit Kopftuch (vgl. VP S. 7). Daraus lässt sich ebenfalls schließen, dass BF2 zumindest kein grundsätzliches Problem mit den in Afghanistan in städtischen Strukturen möglichen Kleidervorschriften hat.

Dem Bundesverwaltungsgericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich - vor allem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten - vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei BF2 um eine in ihrer Grundeinstellung westlich orientierte Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstaat unterliegen würde.

2.2.3. Zu den Feststellungen 1.2.4.

BF6 brachte in der Beschwerde und detaillierter dann im Verfahren vor dem BVwG ihre Furcht vor einer Verfolgung aufgrund ihrer "westlichen Lebensweise" als Frau im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan vor. Diese war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere auch im Hinblick auf die vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen sowie ihrem Auftreten und ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Eindruck, der von BF6 in der Verhandlung gewonnen werden konnte, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen.

BF6 vermochte zu überzeugen, dass sie sich einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild zugewandt hat, danach lebt und daran festzuhalten gewillt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Einvernahme von BF6 in der Beschwerdeverhandlung den Eindruck gewonnen, dass es sich bei BF6 um eine Frau handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt und abgelegt hat und demgegenüber bereits stark westliche Werte verinnerlicht hat und - aus Überzeugung und in Abkehr zu der konservativ-afghanischen Tradition - auch danach lebt.

BF6 machte während ihrer Einvernahme vor dem BVwG den Eindruck eines selbstbewussten Mädchens, das fleißig und mit Freude an ihrer Ausbildung arbeitet und einen konkreten Berufswunsch (HAK abschließen, Wirtschaft studieren und in einem Büro arbeiten) hat. Durch ihren Schulbesuch schafft sie bereits die Voraussetzungen für ihre weiteren Pläne. So spricht sie auch bereits gut Deutsch, wie sie in der Verhandlung vor dem BVwG bewiesen hat. BF6 hat zudem verdeutlicht, dass sie ihre Lebensführung an das Leben westlicher Frauen angepasst hat und dass sie sich vor - in Afghanistan für Frauen üblichen - traditionellen Einschränkungen und gesellschaftlichen Vorgaben fürchtet ("im Iran konnte ich nicht einmal ein Handy bei mir haben", "ich musste dort einen Tschador tragen, obwohl ich das nicht gern hatte", "ich musste dort eine Begleitung haben", "ich war gezwungen, zum Beispiel um 12:00 Uhr nach der Schule zuhause zu sein", vgl. VP S. 39).

Weiters hat BF6 angegeben, "in Zukunft" heiraten zu wollen und sich die Entscheidung einer Partnerwahl selbst vorbehalten zu wollen (vgl. VP S. 39).

Insgesamt steht damit die nach außen hin auch erkennbare persönliche Wertehaltung von BF6 zu der in der afghanischen Gesellschaft vorherrschenden konservativ-restriktiven Wertehaltung hinsichtlich der Rolle und Stellung von Frauen im eindeutigen Widerspruch. Die persönliche und nach außen offen dargelegte Wertehaltung von BF6 an ein würdiges Leben als Frau steht zu der in Afghanistan weiterhin vorherrschenden Situation für Frauen im völligen Gegensatz.

In einer Gesamtschau der Angaben von BF6 im gesamten Verlauf des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint das Vorbringen von BF6 zu ihrer Furcht vor Verfolgung in Afghanistan daher insgesamt als glaubhaft. Es ist davon auszugehen, dass BF6 im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde und die staatlichen Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage sein würden, BF6 vor dieser Verfolgung im ausreichenden Maß Schutz zu bieten.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Zu den Feststellungen 1.3.

Die getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat stützen sich auf die in der Beschwerdeverhandlung ins Verfahren eingeführte Länderdokumentation (sowie deren im Rahmen des Parteiengehörs übermittelten Aktualisierungen) und die UNHCR-Richtlinien. Da die Berichte im Länderinformationsblatt auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der schlüssigen Situationsdarstellungen im Herkunftsstaat zu zweifeln. Dasselbe gilt angesichts der Seriosität der UNHCR-Richtlinien.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Anzuwendendes Recht und Zuständigkeit

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen, es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 82/2015, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag eines Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß § 16 Abs. 3 BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Im gegenständlichen Fall liegt daher ein Familienverfahren hinsichtlich BF1, BF2 und BF6 gemäß § 34 AsylG vor.

3.2. Zu A)

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht; vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.2.2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht von BF1, BF2 und BF6, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einem Kommandanten namens XXXX verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

Zur vorgebrachten Verfolgungssituation ist auszuführen, dass nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einer von Privatpersonen oder privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zukommt, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. etwa VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100, mwN). Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059, mwN).

Erachtet jedoch die zur Entscheidung über einen Asylantrag zuständige Instanz - wie im gegenständlichen Fall - im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 09.05.1996, Zl.95/20/0380).

Da BF1, BF2 und BF6 eine konkrete und aktuell drohende Verfolgung durch einen Kommandanten namens XXXX nicht hat glaubhaft machen haben können (vgl. II.2.2.1.), liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, diesbezüglich nicht vor.

3.2.4. Auch fehlende Bildungsmöglichkeiten in Afghanistan für BF6 konnten nicht glaubhaft gemacht werden (vgl. II.2.2.1.).

3.2.5. Betreffend die gesundheitlichen Einschränkungen von BF1 und BF2 (s. I.1.1.7 und I.1.1.8.) stehen auch in Afghanistan Krankenhäuser und Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung (s. Länderfeststellungen).

3.2.6. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung (vgl. II.2.2.) ausgeführt, hat BF2 unter anderem eine schlechte Behandlung der Familie im Iran ins Treffen geführt. Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen besteht hier schon deshalb nicht, da sich die begründete Furcht vor Verfolgung auf jenes Land beziehen muss, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitzt (in diesem Fall Afghanistan). Die Furcht vor Verfolgung in einem Land, das nicht das Heimatland ist, kann nämlich dadurch abgewendet werden, dass man den Schutz des Heimatlandes in Anspruch nimmt (VwGH 08.11.1989, 89/01/0338).

3.2.7. Eine Diskriminierung von BF2 in Bezug auf die Eigenschaft als Frau in Afghanistan konnte nicht aufgezeigt werden (vgl. II.2.2.2.). Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

Die Eigenschaft des Frau-Seins führt in der Judikatur alleine an sich nicht zu Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet.

Der Verfassungsgerichtshof führte in diesem Zusammenhang in dem Erkenntnis vom 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9, aus:

"Die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten hängt davon ab, mit welchen Konsequenzen die Asylwerberin aufgrund ihrer Haltung im Herkunftsstaat zu rechnen hat und ob diese als Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sind. Nach einer Stellungnahme des UNHCR von Juli 2003 sollten afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen oder dies tatsächlich tun, bei der Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182 mwN). Daraus leitet der VwGH ab, dass einer afghanischen Frau Asyl zu gewähren ist, wenn der von ihr vorgebrachte "westliche Lebensstil" in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionelle Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung droht. Es komme aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf an, ob sich eine Asylwerberin den gesellschaftlichen Normen ihres Heimatstaates anzupassen hat oder nicht (VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994; 16.1.2008, 2006/19/0182)."

Im gegenständlichen Fall führte das Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass BF2 seit ihrer Einreise im Juli 2016 keine "westliche" Lebensweise angenommen hat, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise von BF2 ist vielmehr gerade zu entnehmen, dass diese keinen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt bzw. bereits pflegt. Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt zudem dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).

BF2 verletzt mit ihrer Lebensweise die herrschenden gesellschaftlichen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.

3.2.8. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich jedoch, dass die behauptete Furcht von BF6, in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan wegen ihrer "westlichen Lebensweise" mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:

BF6 hat glaubhaft dargelegt (vgl. II.2.2.3.), dass sie auf Grund ihrer nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt sein würde.

Das von der persönlichen Wertehaltung von BF6 überwiegend getragene Frauen- und Gesellschaftsbild - selbstbestimmt leben zu wollen - steht im völligen Gegensatz zu der in Afghanistan immer noch vorherrschenden und durch bizarre gesellschaftliche und politisch-religiöse Zwänge gekennzeichneten Lebensweise.

Im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan wäre BF6 jeweils als Frau mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Den getroffenen Feststellungen zufolge ist dieses Risiko als spezifische Gefährdung, bei non-konformem Verhalten (das heißt bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie z.B. Bekleidungsvorschriften) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein, bei BF6 im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan gegeben und wäre diese mit einer Situation konfrontiert, in der sie in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt wäre.

Diese Situation ist auch durch die Aufnahme einer Bestimmung in der Verfassung von Afghanistan über die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz nicht beseitigt, da die praktische Handhabung dieser Vorschrift noch nicht abzusehen ist und überdies im Verfassungsdokument an anderer Stelle vorgesehen ist, dass kein Gesetz gegen den Glauben und die Vorschriften des Islam verstoßen dürfe, was als Rechtfertigung traditionell gesellschaftlicher Vorstellungen über die Rolle der Frau herangezogen werden könnte.

Zwar stellen diese Umstände bzw. diese zu erwartenden Diskriminierungen nicht notwendigerweise Eingriffe von staatlicher und damit von "offizieller" Seite dar, zumal sie von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet sind. Da das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist (VwGH 13.11.2001, 2000/01/0098), kommt es aber nicht darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. von Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen (z.B. von Teilen der lokalen Bevölkerung) ausgeht, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz besteht (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; VwGH 14.10.1998, 98/01/0262). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz vorliegt - wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung - ein "Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen (z.B. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß aufgrund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans, insbesondere auch in der Hauptstadt Kabul, einer systematischen asylrelevanten (Gruppen‑)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen kann bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Auslegung geprägten gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, jedoch Asylrelevanz erreichen.

Für BF6 wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Fall einer Rückkehr aufgrund ihrer "westlichen Orientierung" einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbarer Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein könnte.

Es ist zu prüfen, ob es BF6 möglich wäre, angesichts des sie betreffenden Sicherheitsrisikos ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos - trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat - wahrscheinlich ist:

Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen in allen Teilen des Staatsgebietes Sorge zu tragen, der afghanische Staat kommt somit seinen Schutzpflichten hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe nicht nach. In Afghanistan besteht derzeit weder ein diesbezüglich funktionierender Polizei- oder Justizapparat, noch ist davon auszugehen, dass der tatsächliche Machtbereich der gegenwärtigen Regierung über die Grenzen der Hauptstadt reicht. Den aktuellen Feststellungen zufolge ist weiters nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden. Vielmehr liegt gegenteilig ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Ausgehend davon kann BF6 nicht damit rechnen, dass sie angesichts des sie als westlich orientierte Frau betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden können.

Angesichts der dargestellten Umstände ist im Fall von BF6 daher davon auszugehen, dass sie in Afghanistan den Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.

Die Verfolgung aus dem Grund der politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.

Zur Begründung asylrechtlich relevanter Verfolgung kommt es nicht darauf an, ob der Asylwerber selbst die politische Gesinnung teilt, die ihm von den Behörden des Heimatstaates unterstellt wird, sondern lediglich darauf, ob die Verfolgungsmaßnahmen auf eine dem Asylwerber eigene bestimmte politische Gesinnung zurückgeführt werden (VwGH 30.09.1997, 96/01/0871). Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (VwGH 12.09.2002, 2001/20/0310; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357). Als politisch kann alles qualifiziert werden, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (VwGH 12.09.2002, 2001/20/0310).

Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. e der sogenannten Statusrichtlinie 2004/83/EG (in der aktuell geltenden Neufassung der Statusrichtlinie 2011/95/EU , ABl. 2011 L 337/9, diesbezüglich inhaltlich unverändert) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

Gemäß Art. 10 Abs. 2 Statusrichtlinie ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Bei der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen Rasse, Religion und Nationalität überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197).

Generell wird eine soziale Gruppe durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Personen entzogen sind, z.B. das Geschlecht. Frauen stellen beispielsweise eine "besondere soziale Gruppe" im Sinne der GFK dar (vgl. etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Band II [1986] 456). So bestimmen die Absätze 77 bis 79 des UNCHR-Handbuches über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vom September 1979 (Neuauflage: UNCHR Österreich, Dezember 2003):

"[Abs. 77.] In einer ‚bestimmten sozialen Gruppe' befinden sich normalerweise Personen mit ähnlichem Hintergrund, Gewohnheiten oder sozialer Stellung. Macht jemand Furcht vor Verfolgung aus diesem Grunde geltend, so könnte er häufig ebenso gut Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion oder Nationalität anführen. [Abs. 78.] Die Zugehörigkeit zu einer solchen sozialen Gruppe kann Anlass zur Verfolgung sein, wenn kein Vertrauen in die Loyalität der Gruppe der Regierung gegenüber besteht, oder auch wenn die politische Ausrichtung, das Vorleben oder die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der Gruppe oder auch schon allein die Existenz der Gruppe an sich als Hindernis für die Politik der Regierung angesehen werden. [Abs. 79] Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wird an sich allein noch nicht ausreichen, um die Forderung nach Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Es kann jedoch besondere Umstände geben, unter denen die bloße Zugehörigkeit ein ausreichender Grund für die Furcht vor Verfolgung sein kann."

Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie 2004/83/EG (in der Neufassung 2011/95/EU diesbezüglich unverändert) gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

* die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

* die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass BF6 die im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan drohende Situation aufgrund der von ihrer inneren Wertehaltung getragenen und nach außen hin erkennbaren überwiegenden Orientierung am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild - insbesondere ihrem Wunsch, selbstbestimmt leben zu können -, gemäß ihrem bisherigen Verhalten in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität ist.

BF6 wäre in ihrem Herkunftsstaat ohne hinreichende gesellschaftliche oder staatliche Unterstützung nicht oder nur unter nicht zumutbaren Verhältnissen in der Lage, sich selbst in einem ihre ausreichende Existenzgrundlage sichernden Ausmaß zu versorgen. Zudem würde BF6 in ihrem Herkunftsstaat mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Möglichkeit vorfinden, medizinische Behandlung in Anspruch nehmen zu können, da es zu wenige weibliche Ärztinnen gibt und die Inanspruchnahme eines männlichen Arztes durch eine Frau nicht sichergestellt ist. Weiters wären ihre Grundversorgungen angesichts der grundsätzlich eingeschränkten Bewegungsfreiheit der Frauen in Afghanistan nicht gewährleistet.

Sie wäre überdies Eingriffen in ihre physische und psychische Integrität ausgesetzt. Dies zeigt auch die festgestellte aktuelle komplexe Lage in Afghanistan, dass sich Verfolgungsmuster nicht nur als direkte, zielgerichtete Verfolgung durch einen konkreten Verfolger darstellen, sondern auch als eine diffuse Situation, in der missliebige, "fortschrittliche" bzw. den traditionellen Werten sich nicht unterwerfende Personen jederzeit damit rechnen müssen, von verschiedenen Verfolgern in willkürlicher und unvorhersehbarer Weise belangt zu werden.

Im Fall von BF6 liegt somit das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in ihrer politischen Gesinnung als überwiegend am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten Frau, die selbstbestimmt leben möchte, und in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, vor (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; VwGH 20.06.2002, 99/20/0172).

Aufgrund der persönlichen Situation von BF6 steht ihr auch die Möglichkeit der Zufluchtnahme in einem anderen Teil Afghanistans derzeit ebenfalls nicht offen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich BF6 aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen ihrer politischen Gesinnung (Orientierung an dem als "westlich" zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild) und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von dieser Gesinnung überzeugten afghanischen Frauen, die selbstbestimmt leben möchten, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde von BF6 stattzugeben und ihr gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2.9. BF2 ist die Ehefrau von BF1, deren Ehe bereits vor der Einreise nach Österreich bestanden hat. BF1 und BF2 sind die Eltern der minderjährigen BF6. BF1 und BF2 sind daher Familienangehörige einer Fremden - der BF6 -, der mit dem vorliegenden Erkenntnis der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden ist.

Zwischen BF1, BF2 und BF6 besteht ein aufrechtes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK.

Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt (Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 - Kommentar [2006] 504).

Im gesamten Verfahren haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, wonach BF6 mit ihren Eltern ein Familienleben in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre, sodass BF1 und BF2 im Familienverfahren jeweils der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 zuzuerkennen war.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten jeweils mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2.10. Die Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter war für BF1, BF2 und BF6 gemäß § 3 Abs. 4 bis 4b AsylG 2005 befristet zu erteilen, da die Asylanträge am 30.07.2016, demnach nach dem 15.11.2015, gestellt wurden (§ 75 Abs. 24 AsylG 2005).

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, sondern stellt die Entscheidungsfindung ausschließlich das Resultat einer eingehenden Glaubwürdigkeitsauseinandersetzung basierend auf den konkret im Verfahren präsentierten Angaben von BF1, BF2 und BF6 dar.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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