AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W192.2212509.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) mj. XXXX , geb. XXXX . 5.) mj. XXXX , geb. XXXX , 6.) mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2018, Zahlen 1.) 1105469405/160236335, 2.) 1105468800/160236195, 3.) 1105522709/160235890, 4.) 1105463401/160236390, 5.) 1105463706/160236535, 6.) 1153251608/170604205 zu Recht:
A) Die Beschwerden werden gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Erstbeschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Zweitbeschwerdeführerin und ihren zwei minderjährigen Kindern, darunter die Fünftbeschwerdeführerin sowie mit zwei Brüdern des Erstbeschwerdeführers, dem Drittbeschwerdeführer und dem Viertbeschwerdeführer, am 15.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für den später als weiteres Kind der Eheleute in Österreich geborenen Sechstbeschwerdeführer wurde am 19.05.2017 ein Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gestellt.
Bei der Erstbefragung am 15.02.2016 gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin übereinstimmend an, dass sie verheiratet seien, der Volksgruppe der Hazara angehören und dem Islam der schiitischen Ausrichtung angehören. Die Beschwerdeführer hätten sich zuletzt drei Jahre lang im Iran aufgehalten und seien über die Türkei und weitere Länder nach Österreich gelangt. Der Erstbeschwerdeführer habe seinen Reisepass in der Türkei verloren und die Reise durch einen Schlepper organisiert.
Zum Fluchtgrund brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass er in Afghanistan Automechaniker gewesen sei. Eines Tages habe sich in einem zu reparierenden Fahrzeug eine Waffe gefunden, welche jedoch nicht dem Erstbeschwerdeführer gehört habe. Er sei dann kontrolliert und die Waffe sichergestellt worden. An einem anderen Tag sei er von einer Gruppe Männer aufgesucht und bedroht worden, warum er den Hinweis der Polizei mitgeteilt hätte. Darauf habe er das Land verlassen und sei in den Iran gereist, wo er drei Jahre lang illegal gelebt habe. Seine Kinder hätten nicht die Schule besuchen dürfen und er hätte Angst gehabt, dass er wieder abgeschoben werde. Im Falle einer Rückkehr hätte er Angst vor den genannten Männern.
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte zum Fluchtgrund vor, dass man in Afghanistan in einem zu reparierenden Fahrzeug eine Bombe und eine Waffe gefunden habe. Personen hätten den Erstbeschwerdeführer beschuldigt, dass er die Polizei informiert habe und er sei deshalb bedroht worden. Daraufhin habe die Familie Afghanistan verlassen und illegal im Iran gelebt, wo sie Angst vor einer Abschiebung gehabt hätten. Im Falle einer Rückkehr befürchtet sie, dass ihr Mann getötet werde.
Mit Beschluss des zuständigen Bezirksgerichts vom 11.06.2018 wurde die Obsorge für den damals minderjährigen Drittbeschwerdeführer und den minderjährigen Viertbeschwerdeführer auf den Erstbeschwerdeführer übertragen.
Im entsprechenden Pflegschaftsverfahren gab der Erstbeschwerdeführer an, dass seine Eltern Anfang des Jahres 2016 beim gemeinsamen Versuch, die Grenze vom Iran in die Türkei zu überschreiten, von der Polizei gefasst worden seien. Er stehe im regelmäßigen telefonischen Kontakt mit den Eltern, mit denen er etwa einmal in der Woche sprechen könne. Diese seien einverstanden, dass er die Obsorge für seine minderjährigen Brüder übernehme.
Am 03.07.2018 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführer. Dabei gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er aus Afghanistan stamme, aber im zweiten Lebensjahr mit den Eltern in den Iran gezogen sei, wo er etwa 25 Jahre gelebt habe. Er habe dann knapp vier Jahre in Afghanistan gelebt, zwei Jahre davon der Stadt Herat. Er habe mit seiner Familie dann mehr als ein Jahr in Helmand gelebt und sei dann wieder nach Herat gezogen. Danach seien sie für zwei Jahre in den Iran und anschließend nach Europa gegangen. Der Erstbeschwerdeführer habe in Afghanistan als Auto-Spengler gearbeitet. Der Erstbeschwerdeführer habe keine näheren Verwandten in Afghanistan. Zu seinen Eltern und Brüdern im Iran habe er Kontakte über Internet. Der Erstbeschwerdeführer habe im Iran in einer Erwachsenenschule Lesen und Schreiben gelernt und seit frühester Jugend seinem Vater in der Werkstatt geholfen. Nach der Rückkehr nach Afghanistan habe die Familie in Herat ein Grundstück gekauft und ein Haus gebaut, das sein Vater später verkaufen habe lassen. In Helmand habe die Familie ein Haus gemietet.
Der Erstbeschwerdeführer habe im Iran mit der Zweitbeschwerdeführerin standesamtlich und traditionell die Ehe geschlossen. Der Erstbeschwerdeführer habe 2014 von Herat aus mit seinen Eltern, seiner Ehefrau und zwei Töchtern Afghanistan verlassen.
Zu den Gründen für die Stellung des Asylantrags brachte er vor, dass er nach dem Umzug aus dem Iran nach Afghanistan in Herat ein Grundstück gekauft und ein Haus zu bauen begonnen sowie eine Auto-Spengler-Werkstätte eröffnet habe. Seine Familie habe die Tante seiner Frau und deren Familie, die in Helmand lebe, kennengelernt und von dieser gehört, dass in Helmand bessere wirtschaftliche Möglichkeiten bestehen und ein Cousin Freunde habe, die Autos importieren. Die Familie sei der Empfehlung zum Umziehen gefolgt. Nach einigen Monaten in Helmand sei der Erstbeschwerdeführer eines Tages von der Arbeit heimgekommen und habe im Hof seine ältere Tochter – deren Beschwerdeverfahren bei der Gerichtabteilung W 175 anhängig ist - gesehen, die rote Spuren auf der Wange gehabt hätte. Diese habe angegeben, dass sie vom Cousin der Zweitbeschwerdeführerin geschlagen worden sei, was von der Zweitbeschwerdeführerin bestätigt worden sei. Der Erstbeschwerdeführer habe den genannten Cousin aufgesucht und zur Rede gestellt und dieser habe ihm vorgeworfen, dass die Tochter keine islamische Kleidung, insbesondere kein Kopftuch getragen habe, als sie auf der Straße gewesen sei. Weiters habe der Cousin gemeint, dass die damals fünf oder sechs Jahre alte Tochter im Alter von neun Jahren verheiratet werden müsse. Es sei ein Streit entstanden und der Erstbeschwerdeführer habe das Haus des Cousins verlassen. Am gleichen Tag sei der Cousin abends zur Familie des Erstbeschwerdeführers gekommen und habe ihm erklären wollen, dass diesem Land Mädchen kaum auf die Straße gehen dürften und schon gar nicht ohne Kopftuch. Es sei unter Beteiligung des ebenfalls anwesenden Bruders des Cousins zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung gekommen und der Cousin habe den Erstbeschwerdeführer mit einer Schusswaffe bedroht, er würde dem Beschwerdeführer erschießen, wenn er die Taliban beleidige. Der Cousin arbeite mit Taliban eng zusammen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei dazwischengetreten und sei im Zuge der Auseinandersetzung niedergestoßen worden. Der Erstbeschwerdeführer habe den Cousin mit einem Messer am Bein verletzt. Seine Eltern hätten beide durch Schreien aus dem Haus gejagt. Die beim Vorfall verletzte Zweitbeschwerdeführerin habe im Spital ihr Kind verloren.
Am nächsten Tag habe der Erstbeschwerdeführer dem Vater des Cousins die Waffe zurückgebracht und dieser habe zu einer Versöhnung aufgefordert. In einer Moschee des Viertels sei es zur Versöhnung gekommen und der Cousin habe gesagt, dass er kein Problem mehr mit der Familie des Erstbeschwerdeführers habe. Ab diesem Tag sei die Familie des Erstbeschwerdeführers ständig von Menschen auf Motorrädern, die zu seiner Werkstatt oder zu seinem Haus gekommen seien, belästigt worden, weil er sich mit dem Cousin gestritten und ihn verletzt habe. Er sei deshalb zu diesem Cousin gegangen, der gesagt habe, dass das Land in der Hand der Taliban sei, was er ihm schon einmal gesagt habe. Der Beschwerdeführer habe das Problem dem Mullah erklärt und man habe mit dem Cousin gesprochen. Dieser habe gemeint, eine Lösung sei, dass der Erstbeschwerdeführer seine ältere Tochter dem Sohn des Cousins versprechen würde.
Der Erstbeschwerdeführer habe über den Cousin recherchiert und sei darauf gekommen, dass dieser selbst den Taliban angehöre. Der Erstbeschwerdeführer sei mit seiner Familie von Helmand weggezogen und wieder nach Herat gegangen. Es habe nicht lange gedauert bis sie auch dort von Leuten belästigt worden seien. Es seien dieselben Leute aus Helmand gewesen, die immer wieder die gleiche Aussage getätigt hätten, dass der Erstbeschwerdeführer sich nicht vor dem genannten Cousin verstecken könne. Im Falle einer Rückkehr habe der Erstbeschwerdeführer Angst vor den Taliban, weil der genannte Cousin ein Talib sei. Auf die Frage nach seiner Funktion bei den Taliban führte aus, dass man nichts Besonderes machen müsse, es reiche, wenn man die Taliban immer nach Hause einlade und versorge, man gehöre dazu und habe Schutz.
Der Erstbeschwerdeführer bezeichnete sein Vorbringen auf Nachfrage als vollständig und tätigte keinerlei Angaben über die in der Erstbefragung behauptete Bedrohung wegen des angeblichen Waffenfundes.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei der Einvernahme am selben Tag zunächst an, dass sie nicht wolle, dass ihre Kinder einvernommen werden.
Die Zweitbeschwerdeführerin sei eine im Iran geborene Angehörige der tadschikischen Volksgruppe und Muslimin schiitischer Ausrichtung. Sie habe dort ihren Ehemann, den Erstbeschwerdeführer, geheiratet. Sie sei mit ihrer Familie 2010 nach Herat gekommen und dort bis 2014 geblieben. Dazwischen seien sie weniger als zwei Jahre in Helmand gewesen. Zum Alltagsleben in Afghanistan gab sie an, dass sie gut mit der Familie ihres Mannes gelebt habe. Sie sei Hausfrau gewesen, habe keinen Beruf ausgeübt und habe die Arbeit mit Ihrer Schwiegermutter geteilt. Sie seien zum Spazierengehen ausgegangen, etwa mit den Brüdern des Erstbeschwerdeführers. In Helmand habe sie so gelebt wie in Herat, habe dort aber eine Burka zum Ausgehen tragen müssen, während in Herat ein Tschador gereicht habe. Die Eltern und ein Bruder der Zweitbeschwerdeführer würden im Iran, ein weiterer Bruder seit acht Jahren in Österreich und ein Bruder in Deutschland leben.
Zu den Fluchtgründen brachte sie vor, dass es sich um Probleme des Erstbeschwerdeführers handle. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie eine Bedrohung durch ihren Cousin. Über den behaupteten auslösenden Vorfall brachte sie vor, dass es damit begonnen habe, dass ihre ältere Tochter weinend nach Hause gekommen sei und ein rotes Gesicht hatte. Der Cousin habe die Tochter geschlagen und gemeint, dass sie eine Burka tragen müsse. Diese sei damals erst fünf oder sechs Jahre alt gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe sich nicht darum gekümmert, bis ihr Mann gekommen sei und die Kleine so gesehen habe. Sie habe dem Erstbeschwerdeführer erzählt, was die Tochter ihr gesagt habe. Sie wisse nicht genau, was geschehen sei, nur dass ihr Mann den Cousin angesprochen habe und ein Streit entstanden sei. Der Cousin habe ihr gesagt, dass sie sich darum kümmern müsse, dass ihre Tochter so werde wie sich selbst. Sie habe ihm geantwortet, dass sie gezwungen sei, Burka zu tragen, sonst würde sie es auch nicht tun.
Auf die Frage nach einer persönlichen Involvierung brachte sie vor, dass der Cousin zu ihrer Familie gekommen sei und sie in der Küche einen Schrei gehört habe. Als sie herausgekommen sei, habe sie gesehen, dass der Cousin ihrem Mann eine Pistole an den Kopf gehalten habe und sie sei dazwischengetreten. Der Cousin habe sie zurückgestoßen und sie sei gestürzt. Im gleichen Moment habe ihr Mann ihm die Waffe zu entreißen versucht und ihn mit einem Messer am Bein verletzt. Es sei laut geworden und die Nachbarn seien dazugekommen und hätten den Cousin weggebracht. Die Zweitbeschwerdeführerin habe am gleichen Tag ihr Kind verloren.
Danach habe der Cousin „durchgedreht“ und habe „Schlägertypen“ auf sie und ihre Familie angesetzt. Er habe gesagt, sie könne ihre Tochter nicht zu einer Muslimin erziehen und sie solle diese zu ihm geben. Er habe gewollt, dass ihre ältere Tochter seinen Sohn heirate. Die Zweitbeschwerdeführerin habe aber gesagt, dass sie noch sehr klein sei.
Die Zweitbeschwerdeführerin habe daraufhin ihren Mann gedrängt, wieder nach Herat zurückzugehen. Aber auch dort seien „Schlägertypen“ gekommen, wobei sie nicht wisse, wie diese ihre Adresse gefunden hätten. Sie hätten mit der Familie keinen Kontakt mehr gehabt.
Auf die Frage, wer diese Leute gewesen seien, brachte sie vor, dass sie diese Leute nicht gekannt habe. Der Cousin habe gesagt, dass sie Taliban seien. Er habe nicht lockerlassen, entweder die Familie der Zweitbeschwerdeführerin sollte die ältere Tochter seinem Sohn gegeben oder er werde ihnen etwas antun. Der Cousin habe finanziell erfolgreich eine Firma als Glaser betrieben und die Zweitbeschwerdeführerin glaube, er sei am Opium-Anbau bei Taliban beteiligt gewesen.
Nach der Rückkehr von Helmand nach Herat habe sich die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Familie nur einen Monat dort aufgehalten, dann seien sie aus Afghanistan ausgereist.
Die Kinder hätten die gleichen Fluchtgründe.
Die Zweitbeschwerdeführerin bezeichnete ihr Vorbringen auf Nachfrage als vollständig und tätigte keinerlei Angaben über die in der Erstbefragung behauptete Bedrohung wegen des angeblichen Fundes einer Bombe oder einer Waffe.
Der damals minderjährige Drittbeschwerdeführer gab bei der Einvernahme am 03.07.2018 im Beisein des Erstbeschwerdeführers als gesetzlicher Vertreter an, dass er mit seiner Familie nach der Rückkehr aus dem Iran nach Afghanistan zwei Jahre in Herat, eineinhalb Jahre in Helmand und dann wiederum sechs Monate in Herat gelebt habe und danach für zwei Jahre wieder in den Iran gegangen sei. Er habe im Iran sowie in Herat eine Privatschule besucht.
Über den Fluchtgrund brachte vor, dass das Problem der genannte Cousin der Zweitbeschwerdeführerin gewesen sei. Dieser habe vom Drittbeschwerdeführer und seinen Geschwistern verlangt, dass sie mit ihm in die Moschee gehen. Es sei dort Propaganda für die Taliban gemacht worden, dass man mit diesen zusammenarbeiten solle. Nach einem Streit mit dem Erstbeschwerdeführer sei das Ganze eskaliert und der Cousin habe die Familie nicht mehr in Ruhe gelassen, auch als diese nach Herat zurückgegangen sei. Auf Befragen nach einer persönlichen Involvierung brachte der Drittbeschwerdeführer vor, dass dieser Cousin ihn in der Werkstatt des Erstbeschwerdeführers in Pausen unsittlich berührt habe. Der Drittbeschwerdeführer habe nicht gewagt, dem Erstbeschwerdeführer oder seinem Vater etwas zu sagen, weil er Angst vor dem Cousin gehabt habe. Dies sei drei oder viermal vorgekommen. Es habe auch andere junge Männer gegeben, aber die seien dort aufgewachsen und hätten gewusst, wie sie mit dem Cousin umgehen. Anfangs habe der Drittbeschwerdeführer geglaubt, es handle sich um einen blöden Scherz, bis ihm ein Nachbar gesagt habe, dass der Cousin pädophil sei. In Afghanistan sei sein Leben in Gefahr und es könne niemand mit den realen Gesetzen leben, wenn man nicht daran gewöhnt sei. Bei einer Rückkehr würde der Drittbeschwerdeführer sich nirgends auskennen, außer in Herat und er hätte Angst, dass der genannte Cousin ihn finden würde. Er hätte damals die ganze Familie bedroht.
Der Drittbeschwerdeführer machte keinerlei Angaben über eine etwaige Bedrohung wegen eine Fundes einer Waffe oder von Sprengmittel in der Werkstatt des Erstbeschwerdeführers.
2. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit, nicht jedoch die Identität der Beschwerdeführer fest. Die Verfolgungsbehauptungen der Beschwerdeführer wurden als nicht glaubhaft beurteilt. Die Behörde gründete ihre Beweiswürdigung primär auf den Umstand, dass die Beschwerdeführer ihre behauptete Bedrohungslage bei der Erstbefragung gänzlich anders dargestellt hätten als bei den Einvernahmen durch die Behörde, wobei sie auch im Zuge dieser Einvernahmen auf Nachfrage in keiner Weise die in der Erstbefragung noch behauptete Bedrohungssituation angesprochen hätten. Es sei den Beschwerdeführern möglich und zumutbar, sich bei einer Rückkehr in der sicher erreichbaren Stadt Mazar-e Sharif sowie in den sicheren Provinzen Bamyan oder Panjhsir niederzulassen. Weiters gründete die Behörde auf einzelne im Detail widersprüchliche Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin eine Feststellung, dass diese als Person nicht als glaubwürdig angesehen werden können.
Die behauptete Belästigung des Drittbeschwerdeführers durch den genannten Cousin wurde auf Grundlage von Plausibilitätserwägungen als unglaubhaft beurteilt.
3. In der mit Schriftsatz der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer vom 02.01.2019 dagegen erhobenen Beschwerde wurde zunächst aktenwidrig vorgebracht, dass die Beschwerdeführer vor dem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu Fluchtgründen angegeben hätten, dass ihre Familie vom Cousin der Zweitbeschwerdeführerin wegen ihrer Lebensweise belästigt worden sei. Im Schriftsatz wurde in weiterer Folge vorgebracht, dass der Erstbeschwerdeführer asylrelevantes Verfolgung von Seiten der Taliban glaubhaft geschildert habe. Zum tatsächlichen Ablauf der Erstbefragung wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer dabei aufgefordert worden sei, sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen, sondern diese nur kurz auszuführen. Wegen der beschränkten Dauer der Ersteinvernahmen und der Nachwirkung der traumatisierenden Ereignisse hätten die Beschwerdeführer die Fluchtgründe nicht im Detail vorbringen können. Dies könne aber keinesfalls als Widerspruch zum weiteren Vorbringen gewertet werden. Im Schriftsatz wurden weiters Zitate aus Länderberichten zur Sicherheitslage wiedergegeben und vorgebracht, dass die Beschwerdeführer im Sinne ihrer Verfolgungsbehauptungen im Herkunftsstaat bedroht seien, ihnen dort keine innerstaatliche Fluchtalternative zukomme und sie für ihre Aufenthaltsdauer als sehr gut integriert anzusehen seien. Es wurde die Anberaumung einer mündlichen öffentlichen Verhandlung beantragt.
Gegen die genannten Bescheide wurde weiters mit Schriftsatz einer Rechtsberatungsorganisation vom 09.01.2019 Beschwerde eingebracht und darin die von den Beschwerdeführern im Zuge der Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getätigten Verfolgungsbehauptungen wiederholt. Für die zuvor erfolgten abweichenden Angaben im Rahmen der Erstbefragung wurde als Erklärung angeboten, dass der Erstbeschwerdeführer nicht gewusst habe, dass er bei seiner Einvernahme wieder seine gesamte Geschichte von Anfang an hätte erzählen sollen, sondern er habe gedacht, dass er nun die Möglichkeit habe, bei den Schilderungen aus der Erstbefragung anzuknüpfen. Der Vorfall mit der Waffe im zu reparierenden Auto habe sich ereignet, als die Beschwerdeführer nach Helmand gezogen seien. Der Cousin der Zweitbeschwerdeführerin habe aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Taliban die Probleme bereinigen können und es seien die Beschwerdeführer fortan von den Taliban in Ruhe gelassen worden. Das Vorbringen der Beschwerdeführer sei daher als glaubhaft anzusehen. Zudem hätte die Behörde zum Schluss kommen müssen, dass die Beschwerdeführer aufgrund der prekären Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet jedenfalls in eine bedrohliche Lage geraten würden.
Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei den Beschwerdeführern nicht zumutbar. Ohne fallbezogene Begründung wurde vorgebracht, dass die Rückkehrkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig erklärt werden hätte müssen.
4. In den Beschwerdeverfahren des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin wurden Fristsetzungsanträge gestellt und entsprechende verfahrensleitende Anordnungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 18.12.2020 und vom 21.12.2020 Über die Erlassung von Entscheidungen binnen drei Monaten erlassen, die am 23.12.2020 und am 07.01.2021 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt sind.
Die Zuständigkeit der nunmehr zuständigen Gerichtabteilung für die vorliegenden Rechtssachen wurde durch die Entscheidung des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.02.2021 über eine Unzuständigkeitsanzeige begründet, wobei die Zuständigkeit für das Verfahren über den Antrag der älteren Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bei der davor zuständigen Gerichtsabteilung W175 verblieb.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 11.03.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an der die Beschwerdeführer und ihr Rechtsvertreter teilnahmen und zu der das Bundesamt keinen Vertreter entsandt hat. Dabei wurden die Verfolgungsbehauptungen und die Lebensverhältnisse der Beschwerdeführer erörtert und diesen Gelegenheit eingeräumt, sich zu Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat zu äußern. Die Beschwerdeführer haben keine solche Stellungnahme abgegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und Muslime schiitischer Ausrichtung. Ihre Muttersprache ist Dari.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet. Sie sind die leiblichen Eltern der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin und des minderjährigen Sechstbeschwerdeführers. Sie haben noch eine weitere minderjährige Tochter, in deren bei der Gerichtsabteilung W175 anhängigem Beschwerdeverfahren unter einem eine gleichlautende Entscheidung ergeht. Der Drittbeschwerdeführer ist der mittlerweile volljährige und der Viertbeschwerdeführer der noch minderjährige Bruder des Erstbeschwerdeführers, welchem durch Beschluss des zuständigen Bezirksgerichts vom 11.06.2018 die Obsorge für die damals beide minderjährigen Beschwerdeführer übertragen wurde.
Die Beschwerdeführer leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohenden Erkrankungen. Die Zweitbeschwerdeführerin nimmt seit September 2020 wegen eines depressiven Zustandsbildes Psychotherapie in Anspruch.
Die Familie des Erstbeschwerdeführers stammt aus der Provinz Kandahar. Dieser hat seit dem zweiten Lebensjahr bis 2010 im Iran gelebt, wo er die Ehe mit der Zweitbeschwerdeführerin geschlossen hat. Er hat dort eine Erwachsenenschule besucht und er hat in Afghanistan als Auto-Spengler und Taxilenker gearbeitet. Die Zweitbeschwerdeführerin war Hausfrau, verfügt über keine Schulbildung und hat keinen Beruf erlernt. Die Fünftbeschwerdebeschwerdeführerin befand sich während des Aufenthalts in Afghanistan im frühen Kindesalter, der Sechstbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren.
Der Drittbeschwerdeführer hat im Iran vier Jahre und in Afghanistan zwei Jahre lang Schulen besucht und auch mit dem Erstbeschwerdeführer als Auto-Spengler gearbeitet, der Viertbeschwerdeführer befand sich dort im frühen Kindesalter.
Die Beschwerdeführer haben sich nach der 2010 erfolgten Einreise aus dem Iran bis 2014 in Herat und Helmand aufgehalten, sind dann wieder in den Iran gereist und von dort 2016 über die Türkei und andere Staaten mit Schlepperunterstützung illegal nach Österreich gereist. Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer wurden bei der versuchten gemeinsamen Ausreise an der iranisch-türkischen Grenze von ihren Eltern getrennt; sie stehen mit ihren im Iran lebenden Eltern in regelmäßigem telefonischem Kontakt.
Die Beschwerdeführer stellten am 15.02.2016 nach illegaler Einreiseeinen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Der Erstbeschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des zuständigen Bezirksgerichts vom 29.01.2020 wegen der Vergehen des Diebstahls und der Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, deren Vollzug unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.
Die Zweitbeschwerdeführerin wurde gemäß dem Abschluss-Bericht der zuständigen Landespolizeidirektion am 21.09.2018 in einem Einkaufszentrum bei einem versuchten Diebstahl betreten; die zuständige Staatsanwaltschaft ist von der Verfolgung wegen des Vergehens nach § 127 StGB nach Ablauf der Probezeit gemäß § 203 Abs. 4 StGB endgültig zurückgetreten.
Die übrigen Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten bzw. noch strafunmündig.
1. 2. Zu den Verfolgungsbehauptungen der Beschwerdeführer:
Die vom Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin bei der Erstbefragung am 15.02.2016 jeweils behauptete Verfolgung der Familie durch regierungsfeindliche Kräfte nach dem Fund einer Waffe oder einer Bombe in der Werkstatt des Erstbeschwerdeführers war nicht glaubhaft.
Die vom Erstbeschwerdeführer, der Zweitbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer bei der Einvernahme am 03.07.2018 jeweils behauptete Verfolgung der Familie durch einen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin war nicht glaubhaft.
Selbst im Falle der Annahme der Bedrohung oder Verfolgung durch regierungsfeindliche Kräfte oder durch einen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin wäre der Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative offen gestanden.
Die Beschwerdeführer hätten im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung durch den Staat zu befürchten. Die Beschwerdeführer haben sich im Herkunftsstaat nicht politisch betätigt, waren nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatten keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.
Die Zweitbeschwerdeführerin und die Fünftbeschwerdeführerin wären im Herkunftsstaat alleine aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.
Die Zweitbeschwerdeführerin erledigt in Österreich die Hausarbeit und Einkäufe. Sie hat ein eigenes Konto und trifft (finanzielle) Entscheidungen. Sie hat Grundkenntnisse der deutschen Sprache und kann sich mit dem Hausarzt und dem Jugendamt verständigen, für die Psychotherapie wird eine Dolmetscherin herangezogen. Sie hat im Wintersemester 2019/2020 ein Radfahrtraining und zu Beginn des Wintersemesters 2020/2021 ein Schwimmtraining besucht, weil sei abnehmen möchte. Sie beschreibt ein selbstbestimmtes Leben in Österreich mit der Freiheit, einkaufen zu gehen und sich frei zu bewegen, ihren Kleidungsstil zu bestimmen, sowie der Möglichkeit, die Sprache und einen Beruf zu erlernen. Sie hat allerdings kein Sprachdiplom erworben und keine konkreten Schritte zur Vorbereitung einer Erwerbstätigkeit gesetzt.
Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht derart um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.
Die Ausübung ihrer hier in Österreich gelebten Lebensweise ist auch in den Großstädten Afghanistans möglich. Im Rahmen seiner Möglichkeiten wird ihr Mann sie auch in Afghanistan unterstützen.
Der Drittbeschwerdeführer ist mittlerweile volljährig und es ist nachhaltig unwahrscheinlich, dass er im Herkunftsstaat sexuellen Übergriffen oder Nachstellungen seitens eines Cousins der Zweitbeschwerdeführerin ausgesetzt sein sollte.
Dem Viertbeschwerdeführer, der Fünftbeschwerdeführerin und dem Sechstbeschwerdeführer würde alleine aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt mit asylrelevanter Intensität drohen.
1.3. Zur Lebenssituation in Österreich und zur Rückkehr in das Herkunftsland:
Der Erstbeschwerdeführer hat in Österreich Deutschkurse besucht aber kein Sprachdiplom erworben. Er bringt die Kinder in die Schule, geht spazieren und hilft im Haushalt, insbesondere bei der Gartenbetreuung. Er hat freiwillige Hilfsdienste in der Gemeinde geleistet. Dem Erstbeschwerdeführer wäre es möglich und zumutbar, sich nach einer Rückkehr in Herat oder auch in Mazar-e Sharif niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari) vertraut. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und verfügt über berufliche Erfahrungen als Auto-Spengler und Taxilenker. Er verfügt zwar derzeit über keine familiären Anknüpfungspunkte, angesichts seines guten Gesundheitszustandes, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner Berufserfahrung könnte er sich dennoch neuerlich in Herat oder in Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei er seine Berufserfahrung als Taxilenker oder Auto-Spengler nutzen könnte. Der Erstbeschwerdeführer konnte auch nach der 2010 erfolgten Rückkehr seiner Familie nach Afghanistan durch seine beruflichen Tätigkeiten für sich und seine Familie sorgen. Damals war es ihm möglich, zunächst eine wirtschaftliche Basis und eine eigene Unterkunft für seine Familie zunächst in Herat und dann auch in Helmand zu sichern, wobei er unternehmerisch erfolgreich agierte. Ihm wäre daher neuerlich der Aufbau einer Existenzgrundlage in Afghanistan möglich. Der Erstbeschwerdeführer wäre in der Lage, eine einfache Unterkunft für sich und die Familie zu finden. Der Erstbeschwerdeführer hätte zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Im Ergebnis ist aufgrund der Arbeitsfähigkeit und der bisherigen Berufserfahrung von einer Selbst- und Familienerhaltungsfähigkeit des Erstbeschwerdeführers auszugehen.
Der Zweitbeschwerdeführerin wäre es alleine nicht möglich und zumutbar, sich Herat oder in Mazar-e Sharif niederzulassen. Sie verfügt über keine Berufsausbildung und ist noch nie selbst für ihren Unterhalt aufgekommen. Da jedoch der Erstbeschwerdeführer für ihren Unterhalt sorgen könnte und dies auch in der Vergangenheit seit der Eheschließung getan hat, wäre der Zweitbeschwerdeführerin eine Rückkehr im Familienverband sehr wohl möglich und zumutbar.
Der Drittbeschwerdeführer hat in Österreich zwei Jahre eine neue Mittelschule besucht und damit die allgemeine Schulpflicht beendet. Er besucht seither eine HTL und strebt eine Ausbildung als Mechatroniker an. Der Drittbeschwerdeführer hat in einem Demenztageszentrum freiwillige Unterstützung geleistet und gehört einem American Football Club an. Beim Drittbeschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden jungen Mann mit Schulbildung, ihm wäre eine Teilnahme am Erwerbsleben zumutbar. Es wäre dem Drittbeschwerdeführer möglich, für seinen Lebensunterhalt in Afghanistan aufzukommen, zumal er auch schon vor seiner Ausreise mit dem Erstbeschwerdeführer als Auto-Spengler gearbeitet hat. Bei einem vorerst weiteren Verbleib im Familienverband nach der Rückkehr könnte der Drittbeschwerdeführer im Zusammenwirken mit seinem älteren Bruder (Erstbeschwerdeführer) ohne Schwierigkeiten zu seinem und zum Familieneinkommen beitragen.
Beim Viertbeschwerdeführer handelt es sich um einen unmündigen Minderjährigen, der im Familienverband mit seinem zur Obsorge berechtigten älteren Bruder, dem Erstbeschwerdeführer, lebt und weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügt. Da jedoch der Erstbeschwerdeführer bisher schon für das Familieneinkommen und damit auch für die Versorgung des Viertbeschwerdeführers aufgekommen ist, kann nicht festgestellt werden, dass der Viertbeschwerdeführer einem realen Risiko ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Lage zu geraten.
Dies gilt auch für die gemeinsamen Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin einschließlich der älteren Tochter.
Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Mit Stand 19.03.2021 scheinen in Afghanistan 56.044 Fälle und 2.462 Todesfälle auf. Die Feststellungen zu den derzeitigen Informationen betreffend COVID-19 sind amtsbekannt und der weltweiten Gesamtberichterstattung zu entnehmen. Die Feststellungen hinsichtlich der Anzahl der erkrankten und verstorbenen Personen Afghanistan stammen von der John Hopkins University & Medicine (https://coronavirus.jhu.edu/map.html ). Die Beschwerdeführer sind körperlich gesund und gehören mit Blick auf ihr junges Alter und das Fehlen einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Auch Kleinkinder sind nicht von einem erhöhten Ansteckungsrisiko betroffen und verläuft eine Infektion bei Kindern meist symptomlos. Es besteht keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf beziehungsweise mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung beziehungsweise einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.
Mit einem seit acht Jahren in Österreich lebenden Bruder der Zweitbeschwerdeführerin und dessen Familie leben die Beschwerdeführer nicht in gemeinsamen Haushalt und es liegt kein Abhängigkeitsverhältnis vor.
Die Beschwerdeführer sind in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig und haben ihren Lebensunterhalt aus Leistungen des Grundversorgungssystems bestritten.
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat
1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Stand 14.12.2020:
COVID-19
Letzte Änderung: 14.12.2020
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote (WHO 17.11.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (UNOCHA 12.11.2020).
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 23.9.2020; vgl. WB 28.6.2020).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (IOM 23.9.2020).
Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
Mit Stand vom 21.9.2020 war die Zahl der COVID-19-Fälle in Afghanistan seit der höchsten Zahl der gemeldeten Fälle am 17.6.2020 kontinuierlich zurückgegangen, was zu einer Entspannung der Situation in den Krankenhäusern führte (IOM 23.9.2020), wobei Krankenhäuser und Kliniken nach wie vor über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten berichten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (UNOCHA 12.11.2020; vgl. AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Auch sind die Zahlen der mit COVID-19 Infizierten zuletzt wieder leicht angestiegen (UNOCHA 12.11.2020).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung die mit einer Infizierung einhergeht hierbei eine Rolle spielt (UNOCHA 12.11.2020).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß des WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um zwischen 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 23.9.2020; vgl. WB 15.7.2020).
Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).
Frauen und Kinder
Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete an, alle Schulen im März 2020 zu schließen (IOM 23.9.2020), und die CBE-Klassen (gemeindebasierte Bildung-Klassen) konnten erst vor kurzem wieder geöffnet werden (IPS 12.11.2020). In öffentlichen Schulen sind nur die oberen Schulklassen (für Kinder im Alter von 15 bis 18 Jahren) geöffnet. Alle Klassen der Primar- und unteren Sekundarschulen sind bis auf weiteres geschlossen (IOM 23.9.2020). Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, sahen sich nun auch einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber der Rekrutierung durch die Konfliktparteien ausgesetzt. Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.8.2020). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt. Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (Martins/Parto: vgl. AAN 1.10.2020).
Bewegungsfreiheit
Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 23.9.2020). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen wie jenem in Bamyan statt (Flightradar 24 18.11.2020). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 23.9.2020).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Mit Stand 22.9.2020, wurden im laufenden Jahr 2020 bereits 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt - zuletzt jeweils 13 Personen im August und im September 2020 (IOM 23.9.2020).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 14.12.2020
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hauptfestung in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).
Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).
Für den Berichtszeitraum 1.1.2020-30.9.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012 (UNAMA 27.10.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020).
Die Sicherheitslage bleibt nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurde in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die allesamt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (UNGASC 17.3.2020).
Die Sicherheitslage im Jahr 2019
Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mission (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindliche Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020) . Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen - speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen - blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020). Es gab im letzten Jahr (2019) eine Vielzahl von Operationen durch die Sondereinsatzkräfte des Verteidigungsministeriums (1.860) und die Polizei (2.412) sowie hunderte von Operationen durch die Nationale Sicherheitsdirektion (RA KBL 12.10.2020).
Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu einem Anstieg feindlicher Angriffe um 6% bzw. effektiver Angriffe um 4% gegenüber 2018 (SIGAR 30.1.2020).
Zivile Opfer
Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte - insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).
Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite - insbesondere der Taliban - sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).
Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direktem (25%) und indirektem Beschuß (5%) verantwortlich - dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).
Die erste Hälfte des Jahres 2020 war geprägt von schwankenden Gewaltraten, welche die Zivilbevölkerung in Afghanistan trafen. Die Vereinten Nationen dokumentierten 3.458 zivile Opfer (1.282 Tote und 2.176 Verletzte) für den Zeitraum Jänner bis Ende Juni 2020 (UNAMA 27.7.2020)
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):
Taliban
Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt (EASO 8.2020c; vgl. USIP 11.2019) und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen (EASO 8.2020c; vgl. USIP 4.2020). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020).
Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.5.2020, AnA 28.7.2020) - Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jallaloudine Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020) und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020).
Mitte Juni 2020 berichtete das Magazin Foreign Policy, dass Akhundzada und Jallaloudine Haqqani und andere hochrangige Taliban-Führer sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt hätten und dass einige von ihnen möglicherweise sogar gestorben seien sowie dass Mullah Mohammad Yaqoob Taliban- und Haqqani-Operationen leiten würde. Die Taliban dementierten diese Berichte (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020, RFE/RL 2.6.2020).
Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020). Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 9.6.2020). Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban-Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017).
Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen haben und ethnisch paschtunisch sind (EASO 8.2020c; vgl. Osman 1.6.2020). Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 (EASO 8.2020c; vgl. NYT 12.9.2019) oder 55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020, UNSC 27.5.2020). Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).
Balkh
Letzte Änderung: 14.12.2020
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA Balkh 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Balkh 2019).
Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1,509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif (NSIA 1.6.2020). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) (PAJ Balkh o.D.; vgl. NPS Balkh o.D.) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (AAN 8.7.2020).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul (TD 5.12.2017). Rund 30 km östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab (OSM o.D.; vgl. TD 5.12.2017). Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan (LCA 4.7.2018).
Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sondern auch auf den Regionalstraßen (STDOK 21.7.2020). In Gegenden mit Talibanpräsenz, wie zum Beispiel in den südlichen Distrikten Zari (AAN 23.5.2020), Kishindeh und Sholgara, ist das Risiko, auf Straßenkontrollen der Taliban zu stoßen, höher (STDOK 21.7.2020; vgl. TN 20.12.2019).
In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (Kam Air Balkh o.D.; BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert (KP 10.2.2020; STDOK 21.7.2020), da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen (KP 10.2.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen (STDOK 21.7.2020). Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari als umkämpft galten (LWJ o.D.).
Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen (STDOK 21.7.2020). Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften (NYT 16.12.2019; REU 14.3.2019).
Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) "Shaheen" Corps (USDOD 1.7.2020; TN 22.4.2018), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020). Das Hauptquartier des 209. Afghan National Army (ANA) "Shaheen" Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Die meisten Soldaten der deutschen Bundeswehr sind in Camp Marmal stationiert (SP 7.4.2019). Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (USDOD 1.7.2020).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020). Im Zeitraum 1.1.-30.9.2020 dokumentierte UNAMA 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) in der Provinz, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist (UNAMA 10.2020). Im ersten Halbjahr 2020 war hinsichtlich der Opferzahlen die Zivilbevölkerung in den Provinzen Balkh und Kabul am stärksten vom Konflikt in Afghanistan betroffen (UNAMA 7.2020).
Der UN-Generalsekretär zählte Balkh in seinen quartalsweise erscheinenden Berichten über die Sicherheitslage in Afghanistan im März und Juni 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes (UNGASC 17.6.2020; UNGASC 17.3.2020; vgl. LWJ 10.3.2020) und auch im September galt Balkh als eine der Provinzen mit den schwersten Talibanangriffen im Land (BAMF 14.9.2020). Es kam zu direkten Kämpfen (UNOCHA 23.9.2020; AJ 1.5.2020; DH 8.4.2020) und Angriffen der Taliban auf Distriktzentren (UNOCHA 23.7.2020; REU 1.5.2020; UNOCHA 26.2.2020) oder Sicherheitsposten (NYTM 1.10.2020; NYTM 28.8.2020; AnA 18.3.2020; XI 7.1.2020). Die Regierungskräfte führten Räumungsoperationen durch (AN 25.6.2020; MENAFN 24.3.2020; AA 18.3.2020; XI 25.1.2020).
Ebenso wurde von IED-Explosionen, beispielsweise durch Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 28.8.2020), aber auch an Fahrzeugen befestigten Sprengkörpern (vehicle-borne IEDs, VBIEDs) (TN 25.8.2020; RFE/RL 25.8.2020; vgl. NYTM 28.8.2020) sowie Selbstmordanschlägen berichtet (TN 25.8.2020; RFE/RL 25.8.2020; RFE/RL 19.9.2020). Auch in Mazar-e Sharif kam es wiederholt zu IED-Anschlägen (NYTM 1.10.2020; AN 19.9.2020; TN 1.7.2020; AP 14.1.2020; TN 4.1.2020). Zudem wurde von der Entführung (DH 8.4.2020) und Ermordung von Zivilisten in der Provinz berichtet (NYTM 1.10.2020; DH 8.4.2020).
Herat
Letzte Änderung: 14.12.2020
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA Herat 4.2014). Herat ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Enjil, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kuhna, Obe, Pashtun Zarghun, Zendahjan und die „temporären“ Distrikte Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar, Kozeor), Zawol und Zerko (NSIA 1.6.2020; IEC Herat 2019), die aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.8.2018). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (NSIA 1.6.2020). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ Herat o.D.).
Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Herat im Zeitraum 2020-21 auf 2,140.662 Personen, davon 574.276 in der Provinzhauptstadt (NSIA 1.6.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ Herat o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. STDOK 13.6.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017, LCA 4.7.2018). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Straßen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (LCA 4.7.2018), die einen der größten Trockenhäfen Afghanistans beherbergt (KN 7.7.2020). Die Schaffung einer weiteren Zollgrenze zum Iran ist im Distrikt Ghoryan geplant (TN 11.9.2020). Eine Eisenbahnverbindung zwischen der Stadt Herat und dem Iran, die die Grenze an diesem Punkt überqueren wird, ist derzeit im Bau (1TV 28.10.2020, TN 11.9.2020). Über Tötungen und Entführungen auf der Strecke Herat-Islam-Qala wurde berichtet (UNAMA 7.2020, KN 7.7.2020; vgl. PAJ 6.2.2020) sowie über Sprengfallen am Straßenrand (KN 7.7.2020; vgl. PAJ 6.2.2020), auch auf der Ring Road (TN 10.10.2020). Darüber hinaus gibt es Berichte über illegale Zolleinhebungen durch Aufständische sowie Polizeibeamte entlang der Strecke Herat-Kandahar (HOA 12.1.2020, PAJ 4.1.2020; vgl. NYT 1.11.2020). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (STDOK 25.11.2020; cf. Kam Air Herat o.D.).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, kam es in Herat-Stadt in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte (AAN 21.4.2020; vgl. OA 20.7.2020). Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 (UNAMA 10.2020) sowie Oktober 2019 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten (AAN 21.4.2020). Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet (OA 20.7.2020, AAN 21.4.2020, AN 2.1.2020).
Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als "sehr sicher" galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban (STDOK 13.6.2019). Pushtkoh und Zerko befanden sich im Februar 2020 einem Bericht zufolge vollständig in der Hand der Taliban (AAN 28.2.2020), während die Kontrolle der Regierung in Obe auf das Distriktzentrum beschränkt ist (AAN 8.4.2020, AAN 20.12.2019). In Shindand befindet sich angeblich das "Taliban-Hauptquartier" von Herat (AAN 20.12.2019). Dem Long War Journal (LWJ) zufolge kontrollierten die Taliban Ende November 2020 jedoch keinen Distrikt von Herat vollständig. Mehrere Distrikte wie Adraskan, Ghoryan, Gulran, Kushk, Kushk-i-Kuhna, Obe und Shindand sind umstritten, während die Distrikte um die Stadt Herat unter der Kontrolle der Regierung stehen (LWJ o.D.; vgl. STDOK 13.6.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (SAS 2.11.2018; vgl. RUSI 16.3.2016). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab (SAS 2.11.2018). Die Rasoul-Gruppe, die mit der stillschweigenden Unterstützung der afghanischen Regierung operiert hat, kämpft mit Stand Jänner 2020 weiterhin gegen die Hauptfraktion der Taliban in Herat, wenn die Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen laut einer Quelle innerhalb der Rasoul-Fraktion auch nicht mehr so häufig und heftig sind wie in den vergangenen Jahren. Etwa 15 Kämpfer der Gruppe sind Anfang 2020 bei einem Drohnenangriff der USA gemeinsam mit ihrem regionalen Führer getötet worden (SAS 9.1.2020; vgl. UNSC 27.5.2020).
Während ein UN-Bericht einen Angriff in der Nähe einer schiitischen Moschee im Oktober 2019 dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) zuschrieb (UNGASC 10.12.2019) und ein Zeitungsartikel vom März 2020 behauptete, dass der ISKP eine Hochburg in der Provinz unterhält (VOA 20/3/2020), gab eine andere Quelle an, dass es unklar sei, ob und welche Art von Präsenz die ISKP in Herat hat. Angriffe gegen schiitische Muslime sind Teil des Modus operandi des ISKP, aber - insbesondere angesichts der Schwäche der Gruppe in Afghanistan - stellt ein Bekenntnis des ISKP zu einem bestimmten Angriff noch keinen vollständigen Beweis dafür dar, dass die Gruppe ihn wirklich begangen hat (AAN 21/4/2020). Ein Bewohner des Distrikts Obe hielt eine ISKP-Präsenz in Herat angesichts der Präsenz der Taliban z.B. im Distrikt Shindand für unwahrscheinlich (AAN 20.12.2019).
Auf Regierungsseite befindet sich Herat im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) "Zafar" Corps (USDOD 1.7.2020; vgl. ST 2.10.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020). Im Jahr 2020 wurden mehrere Fälle von zivilen Opfern aufgrund von Luftangriffen gemeldet (UNAMA 10.2020, AAN 24.2.2020, RFE/RL 22.1.2020).
Es kam in mehreren Distrikten der Provinz Herat zu Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban, sowie zu Angriffen der Taliban auf Regierungseinrichtungen (KP 20.11.2020, NYTM 29.10.2020, PAJ 15.10.2020, NYTM 1.10.2020, KP 5.9.2020, NYTM 28.8.2020, NYTM 27.2.2.2020, NYTM 30.1.2020). Die Regierungstruppen führten in der Provinz Operationen durch (AN 5.9.2020, AJ 23.7.2020, XI 29.1.2020b, RFE/RL 22.1.2020). Darüber hinaus wurde von Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand in verschiedenen Distrikten berichtet (KP 22.11.2020, NYTM 29.10.2020, TN 10.10.2020, NYTM 1.10.2020, NYTM 28.8.2020, TN 5.7.2020, NYTM 30.1.2020).
Vorfälle mit IEDs, wie die Detonation eines an einem Fahrzeug befestigten IEDs (VBIED) (KP 1.11.2020), einer Sprengfalle am Straßenrand (NYTM 28.8.2020) und eines weiteren IEDs passierten auch in der Stadt Herat (GW 10.11.2020; vgl. AAN 27.10.2020). Auch wurden sowohl in den Distrikten als auch der Stadt Herat gezielte Tötungen durchgeführt (NYTM 29.10.2020, NYTM 1.10.2020, NYTM 28.8.2020, NYTM 27.2.2.2020, NYTM 30.1.2020).
Erreichbarkeit
Letzte Änderung: 16.12.2020
Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 5.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der „Ring Road“, welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.1.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk werden systematisch geplant und umgesetzt. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung und Instandhaltung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, des Lapis Lazuli Korridors etc.) (STDOK 4.2018; vgl. TD 5.12.2017), aber auch Investitionen aus dem Ausland zur Verbesserung und zum Ausbau des Straßennetzes und der Verkehrswege (STDOK 4.2018; vgl. USAID o.D.a, WB 17.1.2020, ESRI 13.4.2020, ArN 11.11.2020, TD 8.1.2019, TN 25.5.2019, CWO 26.8.2019). Seit 2017 arbeiten die Weltbank und der Treuhandfonds für den Wiederaufbau Afghanistans mit dem afghanischen Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung und dem Ministerium für öffentliche Arbeiten zusammen und haben in diesem Zeitraum mehr als 2.200 Kilometer neue Straßen gebaut und mehr als 6.000 Kilometer bestehender Straßen modernisiert und instand gehalten (WB 17.1.2020; vgl. ESRI 13.4.2020, USADI o.D.a).
Jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Straßen im ganzen Land - vor allem durch unbefestigte Straßen, überhöhte Geschwindigkeit und Unachtsamkeit (GIZ 7.2019; vgl. AT 23/11/2019, PAJ 12/12/2019, ABC News 1/10/2020). Die Präsenz von Aufständischen, Zusammenstöße zwischen diesen und den afghanischen Sicherheitskräften, sowie die Gefahr von Straßenraub und Entführungen entlang einiger Straßenabschnitte beeinflussen die Sicherheit auf den afghanischen Straßen, unter anderem auch auf den Highway 1 (Ring Road) (USDOS 24.6.2020; vgl. EASO 9.2020). Einige Beispiele dafür sind die Straßenabschnitte Kabul-Kandahar (TN 17.1.2020; vgl. ST 24.4.2019), Herat-Kandahar (TN 17.1.2020; cf. PAJ News 5.1.2019), Kunduz-Takhhar (KP 20.8.2018; vgl. CBS News 20.8.2019) und Ghazni-Paktika (AAN 30.12.2019).
Internationale Flughäfen in Afghanistan
In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (LIFOS 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen zahlenmäßigen Anstieg ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).
Internationaler Flughafen Hamid Karzai [Internationaler Flughafen Kabul]
Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in „Internationaler Flughafen Hamid Karzai“ umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.).
Nationale (Kam Air, Ariana Air) und internationale Fluggesellschaften (z.B. Air India, Air Arabia, Fly Dubai...) bieten internationale Flüge von der Türkei, Indien, Aserbaidschan, Usbekistan, Pakistan, Saudi-Arabien, Kuwait, Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten und China nach Kabul an (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020).
Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Zaranj, Kunduz, Farah, Herat, Mazar-e Sharif, Maimana, Bamian, Faizabad, Chighcheran und Tarinkot (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020).
Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif
Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (PAJ 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern (STDOK 4.2018).
National Airlines (Kam Air, Ariana Air) bieten internationale Flüge von Russland, Indien und Iran nach Mazar-eh Sharif an (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020).
Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020).
Internationaler Flughafen Herat
Der Flughafen Herat befindet sich etwa 10 km südlich von Herat-Stadt entfernt. Derzeit werden auf dem Flughafen jährlich etwa 350.000 Passagiere abgefertigt, und die Verwaltung des Flughafens sowie die Instandhaltung des Flugplatzes werden von den NATO-Streitkräften unter italienischem Kommando durchgeführt (Tech o.D.).
Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Air) fliegen Herat international aus Iran an (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020).
Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Maimana und Chighcheran (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020).
Schiiten
Letzte Änderung: 16.12.2020
Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 6.10.2020; vgl. AA 16.7.2020). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 10.6.2020).
Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 16.7.2020). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2019 10 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, die 485 zivile Opfer forderten (117 Tote und 368 Verletzte), was einem Rückgang von 35 Prozent gegenüber 2018 entspricht, als es 19 Fälle gab, die 747 zivile Opfer forderten (233 Tote und 524 Verletzte). Der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) bekannte sich zu sieben der zehn Vorfälle und gab an, dass diese auf die religiöse Minderheit der schiitischen Muslime ausgerichtet waren (USDOS 10.6.2020). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019).
Die schiitische Hazara-Gemeinschaft bezeichnet die Sicherheitsvorkehrungen der Regierung in den von Schiiten dominierten Gebieten als unzureichend. Die afghanische Regierung bemüht sich erneut um die Lösung von Sicherheitsproblemen im schiitischen Gebiet Shia Hazara Dasht-e Barchi im Westen Kabuls, das im Laufe des Jahres Ziel größerer Angriffe war, und kündigte Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) an. Nach Angaben der schiitischen Gemeinschaft gab es trotz der Pläne keine Aufstockung der ANDSF-Kräfte; es wurde jedoch angemerkt, dass die Regierung Waffen direkt an die Wachen der schiitischen Moscheen in Gebieten verteilt habe, die als mögliche Angriffsziel angesehen werden (USDOS 10.6.2020).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.3.2020). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 10.6.2020).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 8.9.2020; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 10.6.2020).
Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 10.6.2020).
Relevante ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 16.12.2020
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen (NSIA 6.2020; vgl. CIA 6.10.2020). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016 ; vgl. CIA 6.10.2020). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 16.7.2020).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (STDOK 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 11.3.2020).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 16.7.2020). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 11.3.2020).
Hazara
Letzte Änderung: 16.12.2020
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.c.). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (STDOK 7.2016).
Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt Kabul, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.3.2019).
Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (STDOK 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (STDOK 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 10.7.2020). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (STDOK 7.2016). Ismailitische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 10.7.2020).
Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 16.7.2020; vgl. FH 4.3.2020) und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 16.7.2020). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 11.3.2020). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 4.3.2020; vgl. WP 21.3.2018).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (STDOK 7.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (STDOK 7.2016).
Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.3.2018). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (USDOS 10.7.2020).
Im Laufe des Jahres 2019 setzte der ISKP Angriffe gegen schiitische (vorwiegend Hazara) Gemeinschaften fort. Beispielsweise griff der ISKP einen Hochzeitssaal in einem vorwiegend schiitischen Hazara-Viertel in Kabul an; dabei wurden 91 Personen getötet, darunter 15 Kinder und weitere 143 Personen verletzt (USDOS 11.3.2020; vgl. STDOK 10.2020). Zwar waren unter den Getöteten auch Hazara, die meisten Opfer waren aber Nicht-Hazara-Schiiten und Sunniten. Der ISKP nannte ein religiöses Motiv für den Angriff (USDOS 11.3.2020). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Nach Angaben der schiitischen Gemeinschaft gab es trotz der Pläne keine Aufstockung der ANDSF-Kräfte; sie sagten jedoch, dass die Regierung Waffen direkt an die Wächter der schiitischen Moscheen in Gebieten verteilte (USDOS 10.7.2020). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (MEI 10.2018; vgl. WP 21.3.2018).
In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 11.3.2020).
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung: 16.12.2020
Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (CoA 26.1.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 16.7.2020). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.6.2018).
Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (HRW 30.6.2020; vgl. STDOK 25.6.2020, AA 16.7.2020), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst (AA 16.7.2020; vgl.: REU 2.12.2019, STDOK 25.6.2020). Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 16.7.2020; vgl. STDOK 25.6.2020).
Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frauen innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (STDOK 13.6.2019). In der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif und den angrenzenden Distrikten sind die Lebensumstände verglichen mit anderen Landesteilen gut. Hier gibt es Frauen, welche sich frei bewegen, studieren oder arbeiten können und auch selbst entscheiden dürfen, ob sie heiraten oder nicht. Es gibt aber auch in Mazar-e Sharif Frauen, deren Familien dies nicht erlauben (STDOK 21.7.2020).
Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. STDOK 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Jedoch ist sexuelle Belästigung in Afghanistan, speziell innerhalb der afghanischen Regierung, im Präsidentenpalast sowie anderen Regierungsinstitutionen, sowohl national als auch international zu Themen regelmäßiger Diskussionen geworden (STDOK 25.6.2020; vgl. AT 6.11.2019). Aus unterschiedlichen Regierungsbüros berichten seit Mai 2019 vermehrt afghanische Frauen von sexueller Belästigung durch männliche Kollegen und hochrangige Personen (STDOK 25.6.2020; vgl. RY 1.8.2019, BBC 10.7.2019).
Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Gemäß Artikel 83 und 84, sind Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm "Women's Economic Empowerment" gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 28.2.2019). So hat die afghanische Regierung unter anderem, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das Projekt "Enhancing Gender Equality and Mainstreaming in Afghanistan" (EGEMA) beispielsweise ist ein Gemeinschaftsprojekt der afghanischen Regierung und des UNDP (United Nations Development Program) Afghanistan und hat den Hauptzweck das Ministerium für Frauenrechte (MoWA) zu stärken. Es läuft von Mai 2016 bis Dezember 2020 (UNDP o.D)
Im Zuge der Friedensverhandlungen (siehe Abschnitt 1) bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (STDOK 25.6.2020; vgl. BBC 27.2.2020, BP 31.8.2020, TN 31.5.2019, Taz 6.2.2019), die im Islam vorgesehen sind, wie zu Lernen, zu Studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass 'im Namen der Frauenrechte' Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 6.2.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 3.9.2019). Die afghanischen Frauen sind jedoch ob der Verhandlungen mit den Taliban besorgt und fürchten um ihre mühsam erkämpften Rechte (BP 31.8.2020; vgl. WP 12.9.2020). Eine jener vier Frauen, die an den Verhandlungen mit den Taliban teilnehmen, glaubt nicht, dass sich die Taliban-Kämpfer, die an der Frontlinie stehen, geändert hätten (BP 31.8.2020).
Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (STDOK 13.6.2019; vgl. STDOK 25.6.2020).
Das afghanische Frauenministerium dokumentierte innerhalb eines Jahres (November 2018 - November 2019) 6.449 Fälle von Gewalt und Missbrauch gegen Frauen. Der Großteil dieser Fälle wurde in den Provinzen Kabul, Herat, Kandahar und Balkh registriert. Dem Frauenministerium zufolge, wurden rund 2.886 Fälle an Ermittlungsbehörden und Gerichte weitergeleitet, 456 Frauen bekamen Anwälte zugewiesen und 682 Fälle wurden durch Mediation zwischen den Parteien gelöst. Außerdem wurden 2.425 Fälle an Organisationen weitergeleitet, die sich für Frauenrechte einsetzen (STDOK 25.6.2020; vgl. RFE/RL 25.11.2019). Im Vergleich dazu registrierte die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für den Untersuchungsraum 2019 4.693 Vorfälle und für 2018 4.329 Vorfälle (AIHCR 23.3.2020; vgl. STDOK 25.6.2020). Ein hohes Maß an Gewalt gegen Frauen ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, wie z.B. die Sensibilisierung der Frauen für ihre Menschenrechte und die Reaktion auf häusliche Gewalt, ein geringes öffentliches Bewusstsein für die Rechte der Frauen, eine schwache Rechtsstaatlichkeit und die Ausbreitung von Unsicherheit in verschiedenen Teilen des Landes (AIHRC 23.3.2020).
Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 16.7.2020).
Bildung für Mädchen
Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten (HRW 30.6.2020; vgl. KUR 17.12.2019, STDOK 25.6.2020), Bildung afghanischer Mädchen sowie die Stärkung afghanischer Frauen ist seitdem ein Schwerpunkt internationaler Bemühungen (STDOK 25.6.2020; vgl. REU 2.12.2019). Auf nationaler Ebene hat das afghanische Bildungsministerium im Februar 2019 eine Bildungsrichtlinie eingeführt, um Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung zu erleichtern sowie die Analphabetenrate zu reduzieren (STDOK 25.6.2020; vgl.: OI 3.12.2019, AT 6.11.2019). Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen (USDOS 11.3.2020; vgl. UNICEF 8.2020). Untersuchungen von Human Rights Watch (HRW) und anderen belegen eine steigende Nachfrage nach Bildung in Afghanistan, einschließlich einer wachsenden Akzeptanz in vielen Teilen des Landes, dass Mädchen die Schule besuchen sollten. NGOs, die "gemeindebasierte Bildung" unterstützen - Schulen, die sich in Häusern in den Gemeinden der Schülerinnen und Schüler befinden - waren oft erfolgreicher, wenn es darum ging, Mädchen den Schulbesuch in Gegenden zu ermöglichen, in denen sie aufgrund von Unsicherheit, familiärem Widerstand und Gemeindeeinschränkungen nicht in der Lage gewesen wären, staatliche Schulen zu besuchen. Doch das Versäumnis der Regierung, diese Schulen in das staatliche Bildungssystem zu integrieren, hat in Verbindung mit der uneinheitlichen Finanzierung dieser Schulen dazu geführt, dass vielen Mädchen die Bildung vorenthalten wurde (HRW 30.6.2020).
Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. Zwischen 2018 und 2019 gab es einen Anstieg der Angriffe auf Schulen und Schulpersonal um 45% (UNICEF 8.2020). Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.5.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (UNICEF 2019).
Schätzungen zufolge, sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule - Mädchen machen dabei 60% aus (UNICEF 27.5.2019), in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85% (UNICEF 2019). 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen (UNICEF 27.5.2019). Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (HRW 17.10.2017).
Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen (BBW 28.8.2019): Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt - speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen (NYT 27.6.2019). Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u.a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass in bestimmten Gebäuden Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (STDOK 13.6.2019).
Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.5.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.5.2019; UNAMA 24.4.2019; PAJ 16.4.2019; PAJ 15.4.2019; PAJ 31.1.2019; HRW 17.10.2017). Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken (HRW 17.10.2017). Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab (NYT 21.5.2019). Obwohl die Taliban offiziell erklären, dass sie nicht mehr gegen die Bildung von Mädchen sind, gestatten nur sehr wenige Taliban-Beamte Mädchen tatsächlich den Schulbesuch nach der Pubertät. Andere gestatten Mädchenschulen überhaupt nicht. Diese Ungereimtheiten führen zu Misstrauen in der Bevölkerung. Beispielsweise haben Taliban in mehreren Bezirken von Kunduz den Betrieb von Mädchen-Grundschulen zugelassen und in einigen Fällen Mädchen und jungen Frauen erlaubt, in von der Regierung kontrollierte Gebiete zu reisen, um dort höhere Schulen und Universitäten zu besuchen. Im Gegensatz dazu gibt es in einigen von den Taliban kontrollierten Bezirken in der Provinz Helmand keine funktionierenden Grundschulen für Mädchen, geschweige denn weiterführende Schulen - einige dieser ländlichen Bezirke hatten keine funktionierenden Mädchenschulen, selbst als sie unter Regierungskontrolle standen. Ihre inkonsistente Herangehensweise an Mädchenschulen spiegelt die unterschiedlichen Ansichten der Taliban-Kommandeure in den Provinzen, ihre Stellung in der militärischen Kommandohierarchie der Taliban und ihre Beziehung zu den lokalen Gemeinschaften wider. In einigen Distrikten hat die lokale Nachfrage nach Bildung die Taliban-Behörden überzeugt oder gezwungen, einen flexibleren Ansatz zu wählen (HRW 30.6.2020).
Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv: Studenten müssen eine öffentliche Aufnahmeprüfung - Kankor - ablegen. Für diese Prüfung gibt es Vorbereitungskurse, mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften, die oft kostspielig sind und in der Regel außerhalb der Schulen angeboten werden. Unter den konservativen kulturellen Normen, die die Mobilität von Frauen in Afghanistan einschränken, können Studentinnen in der Regel nicht an diesen Kursen teilnehmen und afghanische Familien ziehen es oft vor, in die Ausbildung ihrer Söhne zu investieren, sodass den Töchtern die Ressourcen für eine Ausbildung fehlen (AF 13.2.2019).
Um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen, werden Bewerberinnen von unterschiedlichen Stellen unterstützt. Eine Hilfsorganisation hat beispielsweise bislang Vorbereitungsmaterialien und -aktivitäten für 70.000 Studentinnen zur Verfügung gestellt. Auch wurden Aktivitäten direkt in den Unterricht an den Schulen integriert, um der mangelnden Bereitschaft von Eltern, ihre Töchter in Privatkurse zu schicken, zu entgegnen (AF 13.2.2019).
Es gibt akutell (Stand Oktober 2020) 424.621 Studenten an den öffentlichen und privaten Universitäten Afghanistans. Davon sind 118.893 (28 %) weiblich. Im Jahr 2020 haben 61.000 Frauen die Zulassungsprüfung für das Universitätsstudium bestanden (RA KBL 12.10.2020a). Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich an öffentlichen Universitäten in Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen seit 2015 erhöht:
Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studenten zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten, aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen - Bamyan und Kunar - sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Zum einen haben im Jahr 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, des weiteren wurden 41 Frauen zum Studieren ins Ausland entsandt und 65 weitere werden ihren Masterabschluss 2018 mithilfe des Higher Education Development Programms erreichen (WB 6.11.2018).
Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen (MED o.D.). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für 'Frauen- und Genderstudies' (KP 18.10.2015; vgl. EN 25.10.2018; Najimi 2018). Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (UNDP 7.11.2017).
Berufstätigkeit von Frauen
Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht von Frauen auf Arbeit; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 11.3.2020). Viele afghanische Männer teilen die Ansicht, Frauen sollen das Haus nicht verlassen, geschweige denn politisch aktiv sein (STDOK 25.6.2020, vgl. WS 2.12.2019). Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 16.7.2020; vgl. BBW 28.8.2019). Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (STDOK 4.2018). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (BBC 6.9.2019).
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (UNGA 3.4.2019). Erfolgreiche afghanische Frauen arbeiten als Juristinnen, Filmemacherinnen, Pädagoginnen und in anderen Berufen (STDOK 25.6.2020; vgl. OI 3.12.2019). Ob Frauen berufstätig sind oder nicht, hängt vor allem vom Verhalten ihrer Familien, wie auch ihrem Ausbildungsniveau ab. Neben dem allgemeinen Mangel an Arbeitsmöglichkeiten aufgrund der Arbeitsmarktlage und Jobvoraussetzungen, welche Frauen aufgrund der historischen Benachteiligung bei der Ausbildung von Mädchen schwerer erfüllen können als Männer, sind es vor allem kulturelle Hindernisse die als Problemfelder gelten und Frauen von einer (bezahlten) Arbeitstätigkeit abhalten (STDOK 21.7.2020). Frauen berichten weiterhin, mit Missgunst konfrontiert zu sein, wenn sie nach beruflicher oder finanzieller Unabhängigkeit streben - sei es von konservativen Familienmitgliedern, Hardlinern islamischer Gruppierungen (STDOK 25.6.2020; vgl. REU 20.5.2019) oder gewöhnlichen afghanischen Männern (STDOK 25.6.2020; vgl. WS 26.11.2019). Für das Jahr 2020 wurde der Anteil der arbeitenden Frauen von der Weltbank mit 22,8% angegeben (WB 21.6.2020). Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an (KP 24.3.2019). So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen (USAID 24.7.2019). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: elf stellvertretende Ministerinnen, drei Ministerinnen und fünf Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv - manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (RFE/RL 6.12.2018). Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden (USAID 24.7.2019). Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (USDOS 11.3.2020); traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig - was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird (Najimi 2018). Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (USDOS 11.3.2020). Das hohe Ausmaß an sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist ein Grund, warum Familien ihren weiblichen Mitgliedern eine Arbeitstätigkeit außerhalb des Hauses, oder ein Studium nicht erlauben (STDOK 21.7.2020). Mittlerweile wurden landesweit mehr als 1.000 Unternehmen von Frauen gegründet, die sie selbst auch leiten. Die im Jahr 2017 gegründete afghanischen Gewerbebehörde „Women's Chamber of Commerce and Industry“, zählt mittlerweile 850 von Frauen geführten Unternehmen zu ihren Mitgliedern (STDOK 25.6.2020; vgl. OI 3.12.2019).
Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen (STDOK 4.2018; vgl. FMFB o.D.a) und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (FMFB o.D.b).
Politische Partizipation und Öffentlichkeit
Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 68 der 250 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert (AA 16.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an (MBZ 7.3.2019); insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen (AAN 17.5.2019). Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz- (AA 16.7.2020), Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2019 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall (USDOS 13.3.2019). Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (IARCSC) hat sich die Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst von 22% auf 24% für das Jahr 2019 und 26% im Jahr 2020 zum Ziel gesetzt (AA 16.7.2020).
Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (USDOS 11.3.2020).
Frauen sind nur selten in laufende Friedensverhandlungen integriert. Die Verhandlungen in Moskau im Februar 2019 waren eine Ausnahme, als zwei Frauen als Mitglieder der inoffiziellen Regierungsdelegation mit den Taliban verhandelten (TD 27.5.2019). Bei der Loya Jirga im Mai 2019 waren 30% der Delegierten Frauen. Einige von ihnen gaben jedoch an, dass sie ignoriert, marginalisiert und bevormundet wurden (NYT 3.5.2019; vgl. STDOK 25.6.2020).
Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender - Radio Roshani - nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen (BBC 6.9.2019). Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten, werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (BBC 19.4.2019).
Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung
Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt (USDOD 6.2019). Häusliche Gewalt wird Berichten zufolge vor Gericht nicht als legitimer Grund für eine Scheidung angesehen (STDOK 21.7.2020). Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den 'Familienfrieden' durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 16.7.2020). Im Fall einer Scheidung wird häufig die Frau als alleinige Schuldige angesehen. Auch ist es verpönt, Probleme außerhalb der Familie, vor Gericht zu lösen (STDOK 21.7.2020). Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert (USDOS 11.3.2020). Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (MoI) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des MoI ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen (USDOD 6.2019). Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs (USDOD 12.2018). Gesellschaftlicher Widerstand erschwert es den FRUs Verbrechen geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsheirat und Menschenhandel anzuzeigen (USDOD 12.2019).
Es existieren Projekte zur Verbesserung des Rechtszugangs von Frauen. Es besteht beispielsweise ein Netzwerk aus Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, welches Fälle aufspürt, bei denen Personen Rechtsbeistand benötigen. Das Programm richtet sich nicht ausschließlich an Frauen, unterstützt diese aber auch bei Rechtsproblemen mittels Fürsprache und der Vermittlung von Rechtsbeiständen. So wurde beispielsweise für eine Frau, welche aufgrund verschiedener Vorwürfe im Gefängnis saß, eine Rechtsvertretung bereitgestellt.
EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch
Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt. Das EVAW sowie Ergänzungen im Strafgesetzbuch werden jedoch nur unzureichend umgesetzt (AA 16.7.2020). Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie (AAN 29.5.2018). Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsdialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern - das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von 5 bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, und bis zu 20 Jahre oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (USDOS 11.3.2020).
Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen - auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.5.2018). Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (AI 28.8.2019).
Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch; obwohl die Regierung gewisse Angelegenheiten, die unter EVAW fallen, auch über die EVAW-Strafverfolgungseinheiten umsetzt Einem UN-Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015-12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.5.2018).
Frauenhäuser
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 16.7.2020). Es gibt 27 - 28 Frauenhäuser (USDOS 11.3.2020) in Afghanistan unter dem MOWA (Ministry of Women Affairs) und der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission), die vom Staat und von NGOs betrieben werden (RA KBL 12.10.2020a).
Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für „unmoralische Handlungen“ und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt (AA 16.7.2020). Das Frauen selbst in Städten wie Mazar-e Sharif völlig alleine leben ist nur schwer vorstellbar (STDOK 16.7.2020). Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 16.7.2020). Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Auch das Ministerium für Frauenangelegenheiten arrangiert manchmal Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können (USDOS 11.3.2020).
Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (AA 16.7.2020).
Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden (UNAMA/OHCHR 5.2018). Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 22 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (USDOS 11.3.2020).
In manchen Fällen werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, anzeigen. Manchmal, wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Die Schutzzentren für Frauen sind insbesondere in den Großstädten manchmal überlastet und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert. Es kommt auch vor, dass Frauen stellvertretend für männliche Verwandte inhaftiert werden, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (USDOS 11.3.2020).
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist, unabhängig von der Ethnie, weit verbreitet und kaum dokumentiert (AA 16.7.2020; vgl. AI 30.1.2020). Von den im Jahre 2019 4.693 durch AIHRC dokumentierten Fällen von Gewalt gegen Frauen waren 194 (4,1%) sexueller Gewalt zuzuschreiben (AIHRC 23.3.2020).
Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 16.7.2020). Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (STDOK 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 11.3.2020). Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (UNAMA 5.2018).
Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet (AA 16.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, MBZ 7.3.2019, 20 minutes 28.11.2018), wobei die Datenlage hierzu sehr schlecht ist (AA 16.7.2020). Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 16.7.2020). Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden (USDOS 11.3.2020). In der Praxis wird das Alter, in dem Buben und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Das verhindert, dass Mädchen vor dem Alter von fünfzehn Jahren heiraten. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht (MBZ 7.3.2019). Auch haben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, ein erhöhtes Risiko, verheiratet zu werden (MBZ 7.3.2019). Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; jedoch ist die Durchsetzung dieses Gesetzes limitiert (USDOS 11.3.2020). Nach Untersuchungen von UNICEF und dem afghanischen Ministerium für Arbeit und Soziales wurde in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kinderehen um 10% reduziert. Die Zahl ist jedoch weiterhin hoch: In 42% der Haushalte ist mindestens eine Person unter 18 Jahren verheiratet (MBZ 7.3.2019).
Mahr ist eine Art Morgengabe, deren Ursprung sich im Koran findet. Es handelt sich um einen Geldbetrag, den der Bräutigam der Braut geben muss. Dies ist in Afghanistan weit verbreitet (MoLSAMD/UNICEF 7.2018), insbesondere im ländlichen Raum (WAW o.D.) und sollte nicht mit dem Brautpreis (Walwar auf Pashto und Toyana/Sherbaha auf Dari) verwechselt werden. Der Brautpreis ist eine Zahlung, die an den Vater der Braut ergeht, während Mahr ein finanzielles Versprechen des Bräutigams an seine Frau ist. Dem islamischem Recht (Sharia) zufolge haben Frauen, die einen Ehevertrag abschließen, einen Anspruch auf Mahr, damit sie und ihre Kinder im Falle einer Scheidung oder Tod des Ehegatten (finanziell) abgesichert sind. Der hanafitischen Rechtsprechung zufolge darf eine Frau die Mahr nach eigenem Ermessen nutzen - das heißt, sie kann diese auch zurückgeben oder mit ihrem Mann oder ihrer Großfamilie teilen. Befragungen in Gemeinschaften zufolge wird die Mahr fast nie so umgesetzt, wie dies in der islamischen Rechtsprechung vorgeschrieben ist - selbst dann, wenn die betroffenen Personen das Heiratsgesetz, in dem die Mahr festgehalten ist, kennen (AAN 25.10.2016). Entgegen dem islamischen Recht erhält in der Regel nicht die Braut, sondern ihre Familie das Geld. Familien mit geringem Einkommen neigen daher dazu, ihre Töchter bereits in jungen Jahren zu verheiraten, da die Morgengabe für jüngere Mädchen in der Regel höher ist (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Oft sind die Männer deutlich älter und haben schon andere Ehefrauen (WAW o.D.).
Die Praktiken des Badal (Vergeltung) und Ba‘ad/Swara (die Praxis der Streitschlichtung, bei der die Familie des Täters ein Mädchen an die Familie des Opfers verkauft) (STDOK 7.2016) , sind stark von den wirtschaftlichen Bedingungen getrieben und tief mit den sozialen Traditionen verwurzelt (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Das Gesetz kriminalisiert Zwangs-, Minderjährigen- und Ba'ad-Ehen sowie die Einmischung in das Recht der Frau, ihren Ehepartner zu wählen. NGOs berichten von Fällen, in denen Ba'ad nach wie vor praktiziert wird, oft in abgelegenen Provinzen. Die Praxis des Brautaustauschs zwischen Familien wurde nicht kriminalisiert und blieb weit verbreitet. (USDOS 11.3.2020; vgl. WAW o.D.). Durch einen Brauttausch im Sinne von Badal sollen hohe Kosten für beide Familien niedrig gehalten werden (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die betroffenen Frauen oder Mädchen fügen (EASO 12.2017).
Familienplanung und Verhütung
Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 16.7.2020; vgl. UNPF 17.7.2018). Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (UNPF 17.7.2018). Dem Strafgesetzbuch zufolge, ist das Verteilen von Kondomen zulässig, jedoch beschränkte die Regierung die Verbreitung nur auf verheiratete Paare (USDOS 11.3.2020).
Das Gesundheitsministerium bietet Sensibilisierungsmaßnahmen u.a. für Frauen und verteilt Arzneimittel (Pille). In Herat-Stadt und den umliegenden Distrikten steigt die Zustimmung dafür und es gibt Frauen, welche die Pille verwenden; in den ländlichen Gebieten hingegen stoßen solche Maßnahmen meistens auf Unverständnis und werden nicht akzeptiert. Internationale NGOs und das Gesundheitsministerium bieten hauptsächlich in den Geburtenabteilungen der Krankenhäuser Aufklärungskampagnen durch Familienplanungsberater an (STDOK 13.6.2019).
Ein von den US-Amerikanern initiiertes Programm, welches im Zeitraum von 1.2015 bis 1.2020 (RB KBL 20.10.2020) lief, USAID’s Helping Mothers and Children Thrive (HEMAYAT), zielte darauf ab, den Zugang und die Verwendung von Verhütungsmitteln, Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheitsdienstleistungen zu erhöhen. Ein weiteres Ziel war das Zuweisungssystem auf Provinzebene zu verbessern. Allein durch die Ausbildung und die Bereitstellung von Ausrüstung konnten 25 Hebammenzentren in den Provinzen Balkh, Herat und Kandahar etabliert werden.
Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 16.7.2020). Frühe und Kinderheiraten und eine hohe Fertilitätsrate mit geringen Abständen zwischen den Geburten tragen zu einer sehr hohen Müttersterblichkeit [Anm.: Tod einer Frau während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Schwangerschaftsende] bei. Diese ist mit 638 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten die höchste in der Region (UNICEF 8.2020; zum Vergleich Österreich: 4).
Es gibt keine Berichte zu Zwangsabtreibungen oder unfreiwilligen Sterilisierungen (USDOS 11.3.2020).
Reisefreiheit von Frauen
Diesbezüglich bewegen sich die Aussagen der Quellen innerhalb einer gewissen Bandbreite. Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen definitiv eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. STDOK 25.6.2020, STDOK 4.2018, MBZ 7.3.2019, STDOK 13.6.2019). Die einen Quellen formulieren, dass Frauen sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen können. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 16.7.2020; vgl. STDOK 25.6.2020, MBZ 7.3.2019, STDOK 13.6.2019). Nach Aussage einer NGO-Vertreterin hingegen, kann sie selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie lokale Kleidungsvorschriften einhält (z.B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen (STDOK 4.2018). Generell hängt das Ausmaß an Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit der Frauen unter anderem vom Wohnort, der Einstellung ihrer Familien, der Sicherheitslage und dem Bildungsgrad ab (STDOK 21.7.2020). In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (MBZ 7.3.2019).
Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (STDOK 4.2018; vgl. STDOK 13.6.2019). Es gibt in Mazar-e Sharif eine Fahrschule für Frauen. In rund drei Jahren haben dort ca. 500 Frauen einen Führerschein gemacht, was von der DoWA (Departments of Women’s Affairs) unterstützt wird (STDOK 21.7.2020).
Kinder
Letzte Änderung: 16.12.2020
Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Von den ca. acht Millionen Schulkindern sind rund drei Millionen Mädchen. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). UNAMA zählte 2019 874 getötete und 2.275 verletzte Kinder (3%-Anstieg im Vergleich zu 2018), dies entspricht 30% aller zivilen Opfer (AA 16.7.2020).
Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt - mit rund 47% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren (UNFPA 18.12.2018; vgl. NSIA 1.6.2020). Das Durchschnittsalter liegt in Afghanistan bei 18,4 Jahren (WoM 6.10.2020) und die Volljährigkeit beginnt mit dem 18. Geburtstag (AA 16.7.2020).
Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (Ventevogel et al. 2013).
Schulbildung in Afghanistan
Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zum Abschluss der Unterstufe der Sekundarschule (d.h. nach sechs Jahren Grundschule und drei Jahren Sekundärbildung) verpflichtend (USDOS 11.3.2020; vgl. IOM 2019). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung. Ob ein Kind tatsächlich in der Schule eingeschrieben wird, hängt vom Bildungsstand der Familie ab. Bildung wird vom Staat bis zum Hochschulabschluss in staatlichen Bildungseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Bildungsministerium hat aber keine ausreichenden Ressourcen, um die Bedürfnisse für ganz Afghanistan abzudecken (STDOK 4.2018).
In Afghanistan existieren zwei Bildungssysteme parallel zueinander. Für den Religionsunterricht sind die Mullahs in den Moscheen zuständig, während die Regierung für den kostenlosen akademischen Unterricht an den staatlichen Schulen sorgt. Von 6 bis 10 Jahren besuchen die Schülerinnen und Schüler Grundschulen, in denen sie die Grundlagen des Lesens, Schreibens, Rechnens und ihrer nationalen Kultur erlernen. Es folgen drei Jahre Mittelschule. Am Ende der Phase müssen die Schülerinnen und Schüler eine Prüfung ablegen, wenn sie ihre Schulbildung fortsetzen wollen. In der Sekundarschule haben die Schüler die Wahl, entweder drei Jahre lang eine akademische Laufbahn fortzusetzen, die vielleicht zur Universität führen könnte, oder stattdessen Fächer wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel und Lehrerausbildung zu studieren. Beide Studiengänge schließen mit einer "Bachelor"-Prüfung ab (IOM 2019).
Kinder können in Afghanistan öffentliche, private oder religiöse Schulen besuchen (EASO 4.2019). Der Unterricht in öffentlichen Bildungseinrichtungen von der Grundschule bis einschließlich der Universität ist kostenlos. Nur private Schulen und Universitäten erheben Studiengebühren (IOM 2019). Die Regierung versorgt die Schüler mit Schulbüchern. Jedoch sind das Budget und die Anzahl der Bücher meistens nicht ausreichend; auch wird das Unterrichtsmaterial oft zu spät zugestellt: z.B. vier Monate nach Unterrichtsbeginn. Aus diesen Gründen gibt es in Afghanistan einen Schwarzmarkt für Bücher, wo Familien kopierte Versionen der Schulbücher erwerben können. Der Staat versucht vergebens, dies zu verhindern. Die Regierung bietet weder Stipendien an, noch stellt sie Schulmaterialien für ärmere Familien zur Verfügung. In besonders verarmten Gebieten verteilen Organisationen wie UNICEF Schulmaterialien. Solche Hilfsaktionen betreffen allerdings nur die ländlichen Gebiete und auch dort ist das Ausmaß nicht ausreichend: in der Regel werden zwischen 80 und 100 Schulen versorgt. Einige private Schulen vergeben Stipendien, z.B. die Afghan-Turk Schule. Meistens handelt es sich hierbei um Leistungsstipendien für Schüler von der siebten bis zur zwölften Klasse. Jedes Jahr werden zwischen 100 und 150 Stipendien je nach Kapazität der Schule vergeben (STDOK 13.6.2019).
Laut UNICEF wird in Afghanistan 3,7 Millionen Kindern im Alter zwischen 7 und 17 Jahren die Schulbildung vorenthalten, 60% von ihnen sind Mädchen (UNICEF 23.8.2020). Gemäß Schätzungen der CSO besuchten im Zeitraum 2016-17 landesweit 56,1% der Kinder im Grundschulalter eine Grundschule (CSO 2018; vgl. STDOK 10.2020). Es existieren allerdings erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts und Wohnorts: Während 77,5% der Buben in urbanen Gebieten und 66% in ländlichen Gebieten eine Grundschule besuchten, waren es bei den Mädchen 45,5% im städtischen Raum und 40,3% auf dem Land. Nur schätzungsweise 6,6% der Angehörigen der nomadischen Gruppe der Kuchi im Grundschulalter besuchten im Zeitraum 2016-17 eine Grundschule (10% der Buben und 2,5% der Mädchen). Im Bereich der sekundären und tertiären Schulbildung (Mittelschule/höhere Schule, bzw. Universität) sind die Schulbesuchsraten in allen genannten Gruppen niedriger (CSO 2018).
Die Schulbesuchsrate unter Buben aus Rückkehrerfamilien liegt bei 55%, während es bei den Mädchen nur 30% sind. Unter den Binnenvertriebenen (internally displaced persons, IDPs) besuchen 64% der Buben und 42% der Mädchen eine Schule (UNHCR 5.2018). Damit beispielsweise Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrern aus Pakistan auch die Möglichkeit zum Schulbesuch haben, arbeitet das Norwegian Refugee Council (NRC) mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern (STDOK 4.2018).
Als Gründe für die niedrigen Schulbesuchsraten werden insbesondere bei Mädchen kulturelle Gegebenheiten, wahrgenommene oder tatsächliche Unsicherheit und die Distanz bis zur nächsten Schule genannt. Für alle Kinder ist Armut neben Wohnort, Geschlecht und etwaigen Behinderungen, ein bestimmender Faktor für den Schulbesuch oder -abbruch, bzw. Nichteintritt (EASO 4.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, UNICEF 23.8.2020). Kinder mit psychischen Problemen, Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten, unterschiedlichem linguistischem Hintergrund, Bewohner von Slums, Straßenkinder, Kinder von saisonal migrierenden Familien, Flüchtlinge und Binnenvertriebene gehen einer Studie zufolge überproportional oft nicht zur Schule. Ebenso wirkt sich Kinderarbeit negativ auf den Bildungsverlauf der betroffenen Kinder aus (EASO 4.2019).
Neben der Qualität der Ausbildung ist die niedrige Schuleintrittsrate ein Hauptproblem des afghanischen Bildungssystems (EASO 4.2019), auch wird von Mängeln hinsichtlich der Infrastruktur der Schulen - beispielsweise bei der Strom- und Wasserversorgung sowie den Sanitäranlagen (SIGAR 2.2018; SIGAR 3.2017) - bzw. fehlenden Schulgebäuden berichtet (SIGAR 30.1.2019). Die Gelder für die Instandhaltung der Schulen sind sehr gering und so werden diese oft von den Eltern zur Verfügung gestellt oder internationale Organisationen wie UNICEF führen Wartungsarbeiten bzw. Reparaturen durch. In einigen Fällen, z.B. wenn das Schulgebäude zu klein und die Zahl der Schüler zu groß ist, wird der Unterricht in Zelten durchgeführt. Hierbei stellen die Wetterbedingungen oft eine Herausforderung dar: Herat ist z.B. oft starken Winden ausgesetzt, dadurch sind Zelte dort nicht als Unterrichtsstätten geeignet. Bezüglich der Schulzeit wird Afghanistan in „kalte“ und „warme“ Provinzen aufgeteilt: In ersteren schließen die Schulen mangels Heizmöglichkeiten im Winter und in letzteren wird der Unterricht wegen der hohen Temperaturen im Sommer unterbrochen (STDOK 13.6.2019).
Auch wird Korruption als ein Problem des afghanischen Bildungssektors genannt (HRW 30.6.2020). Lehrer sind oftmals unterqualifiziert und das Lernumfeld für die Kinder inadäquat. Die Anzahl der Lehrer korreliert zudem nicht mit der Anzahl an Schülern und ist regional ungleich verteilt (EASO 4.2019). Es besteht der Verdacht, dass Lehrposten aufgrund von Nepotismus und Bestechung vergeben werden (SIGAR 30.1.2019). Insbesondere in den Provinzen wird der Lehrberuf aufgrund der niedrigen Bezahlung und der Sicherheitsrisiken als wenig attraktiv wahrgenommen (EASO 4.2019).
Mitte März schloss die Regierung Afghanistans unter anderem Schulen um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Diese Maßnahmen waren zwar notwendig, um die Bevölkerung vor der Ausbreitung des Virus zu schützen, haben jedoch dazu geführt, dass der Zugang von Kindern zu Bildung gestört wurde und Eltern, Erziehungsberechtigte und Betreuer unter neuen Belastungen zu leiden hatten. Die wirtschaftlichen Härten, die mit den Sperrmaßnahmen verbunden sind, erhöhen den Druck auf die Kinder, Geld für ihre Familien zu verdienen, insbesondere wenn sie nicht in der Schule sind, was sie anfälliger für Rekrutierungen macht (UNAMA 10.8.2020).
Sicherheitsaspekte
Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. Zwischen 2018 und 2019 gab es einen Anstieg der Angriffe auf Schulen und Schulpersonal um 45 Prozent (UNICEF 23.8.2020).
Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.5.2019).
Die unsichere Lage führt dazu, dass viele Eltern ihre Kinder aus Angst um ihre Sicherheit nicht in die Schule schicken. Die afghanische Regierung hat jedoch mit der Verabschiedung des ersten Kinderschutzgesetzes des Landes, das vollständig mit der Konvention über die Rechte des Kindes in Einklang steht, durch einen Präsidialerlass immensen politischen Willen zum Schutz der afghanischen Kinder gezeigt (UNICEF 23.8.2020).
Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.5.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.5.2019; UNAMA 24.4.2019; PAJ 16.4.2019; PAJ 15.4.2019; UNAMA 24.2.2019; PAJ 31.1.2019; HRW 17.10.2017).
Insbesondere in den von Taliban kontrollierten Gebieten, schränken gewalttätige Angriffe auf Schüler/innen, insbesondere auf Mädchen, den Zugang zur Bildung ein. Taliban und andere Aufständische bedrohen und greifen Schulbeamte, Lehrer/innen und Student/innen, insbesondere Mädchen an; auch wurden sowohl Buben- als auch Mädchenschulen niedergebrannt (USDOS 11.3.2020).
Nach Vorfällen in der Provinz Farah legten Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste nahe, dass die Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten der Taliban dies ab (NYT 21.5.2019).
Kinderarbeit
Afghanistan hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children’s Situation Summary Report vom 14.Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet (AA 16.7.2020). Viele Familien, insbesondere die von Frauen geführten, sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen (AA 16.7.2020; vgl. ILO 2018). Daher ist eine konsequente Umsetzung des Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindern erlauben sollen, neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt. Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 16.7.2020).
Trotz Verbesserungen mangelt es nach wie vor an einer wirksamen Regelung zur Verhinderung von Kinderarbeit. Nach afghanischem Recht ist das Mindestalter für eine Erwerbstätigkeit 18 Jahre, jedoch können Kinder zwischen 15 und 17 Jahren arbeiten, wenn „die Arbeit nicht schädlich ist, weniger als 35 Stunden pro Woche beträgt und eine Form der Berufsausbildung darstellt“. Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht arbeiten (EASO 4.2019). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 sind insbesondere zwei Faktoren zentral: 1.) ob eine Familie intakt ist, oder bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen; 2.) ist auch die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung (APPRO 4.2018).
CSO schätzte den Anteil der arbeitenden Kinder gemäß der Definition von Kinderarbeit der International Labour Organization (ILO) unter den fünf- bis 17-Jährigen im Zeitraum 2013-14 auf 26,5%. Gemäß der Definition von Kinderarbeit durch UNICEF waren nach CSO-Schätzung im selben Zeitraum 29,4% der fünf- bis 17-Jährigen in Kinderarbeit involviert, wobei UNICEF - anders als ILO - auch Tätigkeiten im Haushalt berücksichtigt. Bei beiden Definitionen von Kinderarbeit lag der Anteil der arbeitenden Buben (ILO: 32,7%; UNICEF: 34,1%) über jenem der Mädchen (ILO: 19,6%; UNICEF: 24,2%). Kinderarbeit ist unter IDPs weiter verbreitet, als in anderen Bevölkerungsschichten (NRC 27.9.2018).
Arbeitsgesetze sind meist unbekannt und Vergehen werden oftmals nicht sanktioniert. Arbeitende Kinder sind besonders gefährdet, Gewalt oder sexuellen Missbrauch zu erleiden. Dies kann durch den Arbeitgeber, aber auch durch andere Personen geschehen. Für Kinder, welche ungeschützt im öffentlichen Raum arbeiten, besteht beispielsweise ein erhöhtes Risiko von Entführungen, sexuellen Übergriffen und in manchen Fällen auch Tötungen (APPRO 4.2018).
Neben Kinderarbeit, welche ausschließlich dem Gelderwerb dient, existieren in Afghanistan auch Beschäftigungsverhältnisse von Kindern, welche sich an einem Lehrmodell orientieren. Eltern geben ihre Kinder dabei bei einem Arbeitgeber in die Lehre, um dem Kind das Erlernen eines Berufs zu ermöglichen. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 erfüllen viele Arbeitgeber ihre Pflichten gegenüber den Kindern und behandeln diese entsprechend, jedoch können Arbeitgeber bei Vergehen gegenüber den Kindern kaum zur Rechenschaft gezogen werden (APPRO 4.2018).
Beobachtungen verschiedener Organisationen, darunter IOM, Weltbank, UNICEF und ILO, deuten darauf hin, dass Kinderarbeit während der COVID-19-Krise für viele Familien zu einem Bewältigungsmechanismus geworden ist. Während der Abriegelung blieben Schulen geschlossen, was die Situation für die Kinder verschlechtert und sie zwingt, Vollzeit zu arbeiten (IOM 23.9.2020; vgl. UNICEF 12.6.2020). In Koordination mit dem Afghanistan Protection Cluster (APC) führte IOM 1.659 Haushaltsbefragungen bei undokumentierten Rückkehrern durch, um die Auswirkungen von COVID-19 auf das Umfeld des Schutzes in elf Provinzen zu untersuchen. Vorläufige Ergebnisse weisen auf eine Zunahme der Kinderarbeit an einigen Orten hin: Ghor und Sar-i-Pul waren die Provinzen mit den höchsten Raten, die im Juni 2020 ihren Höchststand erreichten (mit 81% bzw. 63%) (IOM 23.9.2020; vgl. GPC 5.5.2020).
Waisenhäuser
Die Lebensbedingungen in afghanischen Waisenhäusern sind schlecht. Laut NGOs sind bis zu 80% der vier- bis 18-Jährigen in den Waisenhäusern keine Waisen, sondern Kinder, deren Familien nicht für ihre Verpflegung, Unterkunft oder Bildung sorgen können. Kinder in Waisenhäusern berichteten von psychischem, physischem und sexuellem Missbrauch, manchmal werden sie auch zu Opfern von Menschenschmuggel. Sie haben keinen regelmäßigen Zugang zu Wasser, Heizung im Winter, Sanitäranlagen innerhalb des Hauses, Gesundheitsleistungen, Freizeiteinrichtungen oder Bildung (USDOS 11.3.2020).
Sexueller Missbrauch und körperliche Züchtigung von Kindern
In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. UNAMA konnte 2019 acht Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein (AA 16.7.2020). Obwohl gesetzlich verboten, bleibt die körperliche Bestrafung in Schulen, Rehabilitationszentren und anderen öffentlichen Einrichtungen weit verbreitet (USDOS 11.3.2020; vgl. APPRO 4.2018, UNSC 29.3.2019). Dem afghanischen Strafgesetzbuch zufolge, stehen Kindesmissbrauch und -vernachlässigung unter Strafe. Körperliche oder geistige Züchtigung sowie Misshandlung eines Kindes können wie folgt bestraft werden: eine Geldstrafe von 10.000 Afghanis (rund 130 USD) bis zu einem Jahr Gefängnis, vorausgesetzt das Kind erleidet keine schweren Verletzungen oder Behinderung. Die Verurteilung wegen Gefährdung des Lebens eines Kindes wird mit einer Strafe von ein bis zwei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe von 60.000 bis 120.000 Afghanis (ca. 800 bis 1.600 USD) in bar geahndet (USDOS 11.3.2020).
Die afghanische Polizei war im Jahr 2018 nur begrenzt zur Bekämpfung von Sexualverbrechen fähig, teilweise aufgrund der niedrigen Anzahl von Frauen in der Polizei (rund 1.8% der Kräfte). Im Jahr 2018 dokumentierte die UNAMA in dieser Hinsicht 37 Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Fünf Vergewaltigungen und eine Zwangsheirat wurden von UNAMA bestätigt, welche von Konfliktparteien begangen wurden - unter anderem von Mitgliedern der Taliban sowie einer weiteren nicht identifizierten Person einer regierungsfeindlichen Gruppierung. In fünf von sechs Fällen wurden die Angeklagten von den Behörden belangt und verurteilt. UNAMA hat auch zwei Fälle von sexueller Gewalt gegen Buben durch Mitglieder der afghanischen Nationalpolizei überprüft; in einem Fall handelte es sich um Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“ auch „Knabenspiel“) (UNSC 29.3.2019).
Berichten zufolge schlug die Polizei Minderjährige und missbrauchte sie sexuell. Minderjährige, welche sich in Missbrauchsfällen an die Polizei wandten, berichteten von weiteren Belästigungen durch Exekutivbeamte - insbesondere bei Fällen von Bacha Bazi; und hielten die Minderjährige davon ab Vergehen zu melden (USDOS 11.3.2020). Es wird von sexuellen Übergriffen durch die Streitkräfte, der Afghan Local Police (ALP) und Afghan National Police (ANP) berichtet (HRC 28.1.2019; vgl. UNSC 29.3.2019; SIGAR 18.1.2018).
Bacha Bazi
Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi, was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird (AA 16.7.2020). Bacha Bazi ist eine Praxis, bei der Buben von reichen oder mächtigen Männern zur Unterhaltung, insbesondere Tanz und sexuellen Handlungen, ausgebeutet werden (UNAMA 24.2.2019, vgl. UNAMA 7.2020). In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Befindlichkeiten lediglich vier Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfällen stattzufinden (AA 16.7.2020; vgl. UNAMA 24.2.2019). Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14.2.2018 in Kraft trat, wurde die Bacha Bazi-Praxis erstmalig explizit unter Strafe gestellt (AA 16.7.2020). Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht (MoJ 15.5.2017). Aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet. Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 16.7.2020).
Üblicherweise sind die Buben zwischen zehn und 18 Jahren alt (SBS 20.12.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Buben wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. AA 16.7.2020).
Rekrutierung Minderjähriger
Das Problem der Rekrutierung von Kindern, einschließlich Zwangsrekrutierung sowie Entführungen und sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch regierungsfeindliche Gruppen, Milizen oder afghanische Sicherheitskräfte besteht weiter fort (AA 16.7.2020). Im ersten Halbjahr 2020 konnte UNAMA die Rekrutierung von 23 Jungen verifizieren, wobei 22 davon im Nordosten und einer im Osten des Landes rekrutiert wurden (UNAMA 10.8.2020). Im Jahr 2019 waren es laut UNAMA insgesamt 64 Jungen, die vor allem im Norden des Landes durch die Taliban sowie durch afghanische Sicherheitskräfte rekrutiert wurden (AA 16.7.2020). Die UNO verifizierte im Jahr 2018 die Rekrutierung und den Einsatz von 45 Buben sowie einem Mädchen - einige von ihnen wurden bereits im Alter von acht Jahren rekrutiert; sie sollten kämpfen, improvisierte Sprengkörper bauen, Selbstmordanschläge ausführen usw., wurden aber auch Opfer sexueller Ausbeutung. In diesem Zusammenhang wurden mindestens 22 Buben getötet. 67% dieser Verstöße, gegen insgesamt 31 Kinder, wurden bewaffneten Gruppierungen zugeschrieben, wie z.B. der Teherik-e Taliban Pakistan, den Taliban, dem ISKP und einer weiteren nicht identifizierten bewaffnete Gruppe. 15 Kinder wurden von der ALP, der ANP und regierungsnahen Milizen rekrutiert und eingesetzt (UNGASC 20.6.2019).
In Bezug auf die afghanischen Sicherheitskräfte ist die Rekrutierung von Minderjährigen zum einen auf fehlende Mechanismen zur Überprüfung des Alters von Rekruten zurückzuführen. Zum anderen setzt sich die Praxis einiger Distrikt-Kommandeure fort, die formale Rekrutierungsvorschriften bewusst umgehen, um Minderjährige in die Sicherheitskräfte einzugliedern - zum Teil, um sich an ihnen sexuell zu vergehen. Die afghanische Regierung bemüht sich, diese Art von Rekrutierung zu unterbinden und hat die Rekrutierung Minderjähriger mittels Präsidialdekret unter Strafe gestellt. Das Dekret ist am 2.2.2015 in Kraft getreten, die Umsetzung verläuft schleppend. Die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch die afghanischen Sicherheitskräfte ist deutlich zurückgegangen. Die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zum besseren Schutz der vom bewaffneten Konflikt betroffenen Kinder beinhaltet unter anderem auch Schutzeinheiten für Kinder in den afghanischen nationalen Polizeirekrutierungszentren, die inzwischen in allen 34 Provinzen existieren (UNGASC 20.6.2019). Laut UNAMA zeigen die sog. „Child Protection Units“ der ANP Rekrutierungszentren erste Erfolge und haben dazu geführt, dass 2019 bei über 400 Minderjährigen der Rekrutierungsprozess rechtzeitig unterbunden wurde (AA 16.7.2020; vgl. UNICEF 23.8.2020). Im Jahr 2019 wurden 266 Kindersoldaten aus bewaffneten Oppositionsgruppen freigelassen oder befreit und bei der Wiedereingliederung unterstützt (UNICEF 23.8.2020).
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 16.12.2020
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020) [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung (CoA 26.1.2004; vgl. FH 4.2.2019)]. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen. Als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit werden Sicherheitsbedenken genannt. Besonders betroffen ist das Reisen auf dem Landweg (AA 16.7.2020). Dazu beigetragen hat ein Anstieg von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen (AA 16.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.2.2019). In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht (FH 4.2.2019). Auch schränken gesellschaftliche Sitten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein (USDOS 11.3.2020; vgl. STDOK 6.2020).
Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.7.2020).
Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischsten sie ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.3.2019).
Auch in größeren Städten erfolgt in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen. Dies schlägt sich sowohl in einem Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder (AA 16.7.2020).
Es gibt internationale Flughäfen in Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif, bedeutende Flughäfen, für den Inlandsverkehr außerdem in Ghazni, Nangharhar, Khost, Kunduz und Helmand sowie eine Vielzahl an regionalen und lokalen Flugplätzen. Es gibt keinen öffentlichen Schienenpersonenverkehr (AA 2.9.2019).
Meldewesen
Letzte Änderung: 16.12.2020
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig 'gelbe Seiten' oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen (EASO 2.2018; vgl. STODK 13.6.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer (STDOK 13.6.2019). Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.7.2020).
Da es in der Vergangenheit zu Fällen kam, bei denen Wohnungen zur Vorbereitung von terroristischen oder kriminellen Taten verwendet wurden, müssen nun insbesondere in Kabul, aber auch in Mazar-e Sharif unter Umständen beispielsweise in Stadtzentren gewisse Melde- und Ausweisvorgaben beim Mieten einer Wohnung oder eines Hauses erfüllt werden (STDOK 21.7.2020). Es ist gesetzlich vorgeschrieben, das sich Mieter wie auch Vermieter beim Abschluss einer Mietvereinbarung mit einem Identitätsnachweis ausweisen, was jedoch nicht immer eingehalten wird. In Gebieten ohne hohes Sicherheitsrisiko ist es oftmals möglich, ohne einen Identitätsnachweis oder eine Registrierung bei der Polizei eine Wohnung zu mieten. Dies hängt allerdings auch vom Vertrauen des Vermieters in den potentiellen Mieter ab (STDOK 21.7.2020; vgl. RA KBL 5.4.2020).
IDPs und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 16.12.2020
Im Jahresverlauf 2019 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre. UNHCR berichtet für den Zeitraum 1.1.-6.11.2019 380.289 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden (USDOS 11.3.2020). Mit Stand 9.8.2020 wurden 115.070 Menschen aufgrund des Konflikts zu IDPs - wofür landesweite Kämpfe zwischen nicht-staatlichen Akteuren und den nationalen afghanischen Sicherheitskräften verantwortlich waren (UNOCHA 12.8.2020). Die genaue Zahl der IDPs lässt sich jedoch nicht genau eruieren zumal viele in abgelegenen Regionen oder in städtischen Slums Zuflucht suchen bzw. in Gebieten leben, die von aufständischen Gruppen kontrolliert werden und daher nicht erfasst werden können (STDOK 10.2020).
Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. In allen 34 Provinzen werden IDPs aufgenommen (USDOS 11.3.2020).
Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. 75% der Binnenflüchtlinge sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 16.7.2020).
Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft (USDOS 11.3.2020).
IDPs sind in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kommt es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen (USDOS 11.3.2020).
Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen (USDOS 11.3.2020).
Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs (UNOCHA 20.10.2018), zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah (STDOK 13.6.2019). Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert und es werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt (UNOCHA 22.7.2019). Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD (STDOK 13.6.2019).
Grundversorgung
Letzte Änderung: 16.12.2020
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 16.7.2020; AF 2018). Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. UNOCHA erwartet, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u. a. Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung) angewiesen sein werden (AA 16.7.2020). Laut einer IPC-Analyse vom April wird die Zahl der Menschen, die in Afghanistan unter akuter Ernährungsunsicherheit der Stufe 4 der Emergency-IPC leiden, im Zeitraum Juni-November 2020 voraussichtlich von 3,3 Millionen auf fast 4 Millionen ansteigen (USAID 12.6.2020).
Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 170 von 189 des Human Development Index (UNDP o.D). In humanitären Geberkreisen wird von einer Armutsrate von 80% ausgegangen. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 16.7.2020). Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018), so leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze (STDOK 21.7.2020; vgl. NSIA 2019).
Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).
Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018).
Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus (AA 16.7.2020; vgl. WB 4.2020).
Arbeitsmarkt
Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan (AA 16.7.2020; vgl. STDOK 10.2020) Er ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert (STDOK 10.2020; vgl. Ahmend 2018; CSO 2018). Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen (AA 16.7.2020), auch wenn es keine offiziellen Regierungsstatistiken über die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt gibt (IOM 23.9.2020). Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt (NSIA 1.6.2020; vgl STDOK 10.2020). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (STDOK 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020, CSO 2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (STDOK 4.2018; vgl. CSO 2018).
Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).
Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. (STDOK 21.7.2020; vgl. STDOK 13.6.2020, STDOK 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (STDOK 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (STDOK 4.2018).
In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (CSO 2018; vgl. IOM 23.9.2020). Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (STDOK 4.2018).
Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).
Während Frauen am afghanischen Arbeitsmarkt eine nur untergeordnete Rolle spielen, so stellen jedoch im Agrasektor 33% und im Textilbereich 65% der Arbeitskräfte (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018)
Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat und Mazar-e Sharif
Herat
Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (STDOK 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).
Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).
Mazar-e Sharif
Mazar-e Sharif und die Provinz Balkh sind historisch betrachtet das wirtschaftliche und politische Zentrum der Nordregion Afghanistans. Mazar-e Sharif profitierte dabei von seiner geografischen Lage, einer vergleichsweise effektiven Verwaltung und einer relativ guten Sicherheitslage (STDOK 21.7.2020; vgl. GOIRA 2015). Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015). Balkh ist landwirtschaftlich eine der produktivsten Regionen Afghanistans wobei Landwirtschaft und Viehzucht die Distrikte der Provinz dominieren (STDOK 21.7.2020; vgl. MIC 2018). Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden (STDOK 21.7.2020).
In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden (STDOK 21.7.2020).
Dürre und Überschwemmungen
Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Diese hatte primär Auswirkungen auf den Agrarsektor mit Verlusten bei Viehbeständen (STDOK 10.2020; vgl. STDOK 21.7.2020, STDOK 13.6.2019, Accord 26.5.2020) und verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (FAO 23.11.2018; vgl. AJ 12.8.2018).
Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen hatten 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen mussten, galt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als „angespannt“ bis „krisenhaft“ (FEWS NET 8.2019).
Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019; vgl. STDOK 21.7.2020). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben worden waren (GN 6.3.2019).
Günstige Wetterbedingungen während der Pflanzsaison 2020 lassen eine weitere Erholung der Weizenproduktion von der Dürre 2018 erwarten. COVID-19 bedingte Sperrmaßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, da sie in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt werden konnten (IOM 21.7.2020).
Lebensmittelunsicherheit
Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen (CSO 2018; vgl. USAID 11.4.2019), wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist (CSO 2018). Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen (CSO 2018). Nach Angaben der FAO sind weiterhin etwa 13,5 Millionen Menschen in Afghanistan mit einer schweren akuten Ernährungsunsicherheit konfrontiert (FAO o.D).
2018 gaben rund 30% der 15.012 Befragten an, dass sich die Qualität ihrer Ernährung verschlechtert hat, während rund 17% von einer Verbesserung sprachen und die Situation für rund 53% gleich blieb. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Personen, welche angaben, dass sich ihre Ernährungssituation verschlechtert habe, im Westen des Landes über dem Anteil in ganz Afghanistan. Beispielsweise die Provinz Badghis war hier von einer Dürre betroffen (AF 2018).
Die COVID-19-Krise führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein (IOM 23.9.2020).
Bank- und Finanzwesen
Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird dabei nach folgendem fragen: Ausweisdokument (Tazkira), 2 Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital für das Bankkonto. Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv: unter anderem die Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, oder The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank (IOM 2018).
Hawala-System
Über Jahrhunderte hat sich eine Form des Geldaustausches entwickelt, welche Hawala genannt wird. Dieses System, welches auf gegenseitigem Vertrauen basiert, funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich. Hawala wird von den unterschiedlichsten Kundengruppen in Anspruch genommen: Gastarbeiter, die ihren Lohn in die Heimat transferieren wollen, große Unternehmen und Hilfsorganisationen bzw. NGOs, aber auch Terrororganisationen (WKO 2.2017; vgl. WB 2003; FA 7.9.2016).
Das System funktioniert folgendermaßen: Person A übergibt ihrem Hawaladar (X) das Geld, z.B. 10.000 Euro und nennt ihm ein Passwort. Daraufhin teilt die Person A der Person B, die das Geld bekommen soll, das Passwort mit. Der Hawaladar (X) teilt das Passwort ebenfalls seinem Empfänger-Hawaladar (M) mit. Jetzt kann die Person B einfach zu ihrem Hawaladar (M) gehen. Wenn sie ihm das Passwort nennt, bekommt sie das Geld, z.B. in Afghani, ausbezahlt (WKO 2.2017; vgl. WB 2003).
So ist es möglich, auch größere Geldsummen sicher und schnell zu überweisen. Um etwa eine Summe von Peshawar, Dubai oder London nach Kabul zu überweisen, benötigt man sechs bis zwölf Stunden. Sind Sender und Empfänger bei ihren Hawaladaren anwesend, kann die Transaktion binnen Minuten abgewickelt werden. Kosten dafür belaufen sich auf ca. 1-2%, hängen aber sehr stark vom Verhandlungsgeschick, den Währungen, der Transaktionssumme, der Vertrauensposition zwischen Kunde und Hawaladar und nicht zuletzt von der Sicherheitssituation in Kabul ab. Die meisten Transaktionen gehen in Afghanistan von der Hauptstadt Kabul aus, weil es dort auch am meisten Hawaladare gibt. Hawaladare bieten aber nicht nur Überweisungen an, sondern eine ganze Auswahl an finanziellen und nicht-finanziellen Leistungen in lokalen, regionalen und internationalen Märkten. Beispiele für das finanzielle Angebot sind Geldwechsel, Spendentransfer, Mikro-Kredite, Tradefinance oder die Möglichkeit, Geld anzusparen. Als nichtmonetäre Leistungen können Hawaladare Fax- oder Telefondienste oder eine Internetverbindung anbieten (WKO 2.2017; vgl. WB 2003).
Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen
Letzte Änderung: 16.12.2020
Afghanistan ist von einem Wohlfahrtsstaat weit entfernt und Afghanen rechnen in der Regel nicht mit Unterstützung durch öffentliche Behörden. Verschiedene Netzwerke ersetzen und kompensieren den schwachen staatlichen Apparat. Das gilt besonders für ländliche Gebiete, wo die Regierung in einigen Gebieten völlig abwesend ist. So sind zum Beispiel die Netzwerke - und nicht der Staat - von kritischer Bedeutung für die Sicherheit, den Schutz, die Unterstützung und Betreuung schutzbedürftiger Menschen (STDOK 4.2018).
Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen (BAMF/IOM 2018; vgl. EC 18.5.2019). Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht (SEM 20.6.2017; vgl. BDA 18.12.2018). Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (BDA 18.12.2018).
Ein Pensionssystem ist nur im öffentlichen Sektor etabliert (BAMF/IOM 2018). Der zu pensionierende Staatsbedienstete erhält die Pension jährlich auf ein Bankkonto überwiesen. Die Pension eines Regierungsbeamten kann von seinen Familienmitgliedern geerbt werden (STDOK 4.2018). Berichten zufolge arbeitet die afghanische Regierung an der Schaffung eines Pensionssystems im Privatsektor (IWPR 6.7.2018). Private Unternehmen können für ihre Angestellten Pensionskonten einführen, müssen das aber nicht. Manche Arbeitgeber zahlen ihren Angestellten Abfertigungen, welche die Angestellten sich nach einem gewissen Zeitraum ausbezahlen lassen können (STDOK 4.2018). Die weitgehende Informalität der afghanischen Wirtschaft bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitskräfte nicht in den Genuss von Pensionen oder Sozialbeihilfen kommt (ILO 5.2012). Die International Labour Organization (ILO) berichtet, dass im Jahr 2010 rund 10% der afghanischen Bevölkerung im pensionsfähigen Alter eine Pension erhielten (ILO 2017).
Für Bedienstete des öffentlichen Sektors gibt es neben einer Alterspension finanzielle Unterstützung im Falle von Invalidität aufgrund einer Verletzung während des Dienstes, wie auch Witwenpensionen und Zulagen bei Armut oder im Fall von Arbeitslosigkeit (BDA 18.12.2018).
Das afghanische Arbeits- und Sozialministerium (MoLSAMD) bietet ad hoc Maßnahmen für einzelne Gruppen, wie zum Beispiel Familienangehörige von Märtyrern und Kriegsverwundete, oder Lebensmittelhilfe für von Dürre betroffene Personen, jedoch keine groß angelegten Programme zur Bekämpfung von Armut (STDOK 13.6.2019).
Unterstützungsprogramm - das Citizens’ Charter Afghanistan Project (CCAP)
Im Rahmen des zehn Jahre andauernden „Citizens’ Charter National Priority Program“ (TN 18.1.2018) wurde im Jahr 2016 das Citizens’ Charter Afghanistan Project ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, die Armut in teilnehmenden Gemeinschaften zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern, indem die Kerninfrastruktur und soziale Leistungen durch Community Development Councils (CDCs) gestärkt werden. Das CCAP soll Entwicklungsprojekte unterschiedlicher Ministerien umsetzen und zu einem größeren Nutzen für die betroffenen Gemeinschaften führen (WB 10.10.2016; vgl. ARTF o.D. WB 6.12.2019, AAN 31.5.2020). Das CCAP ist das erste interministerielle und sektorübergreifende Prioritätenprogramm, in dem Ministerien im Rahmen eines strukturierten Ansatzes gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Folgende Ministerien sind hauptsächlich in dieses Projekt involviert: MRRD (Ministry of Rural Rehabilitation and Development), MoE (Ministry of Education), MoPH (Ministry of Public Health) und MAIL (Ministry of Agriculture, Irrigation & Livestock) (ARTF o.D.).
Ziel des Projektes war es von Anfang an, 3,4 Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen, die Qualität von Dienstleistung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, ländliche Straßen und Elektrizität zu verbessern sowie die Zufriedenheit der Bürger mit der Regierung und das Vertrauen in selbige zu steigern. Außerdem sollten vulnerable Personen - Frauen, Binnenvertriebene, behinderte und arme Menschen - besser integriert werden (WB 10.10.2016; vgl. AAN 31.5.2020). Alleine im Jahr 2016 konnten 9,3 Millionen Afghanen von den Projekten profitieren (TN 23.11.2017). Es wird jedoch berichtet, dass die Aktivitäten des Projektes in einigen Gemeinden hinter dem Zeitplan zurückbleiben, weil das MRRD (Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung) keinen Zugang hat oder unterbesetzt ist. NGO Mitarbeiter berichten außerdem, dass sie 10% der finanziellen Mittel als Steuer an die Taliban abgeben mussten (AAN 31.5.2020).
Im Rahmen des CCAP wurden auch Sensibilisierungskampagnen betreffend COVID-19 in ländlichen Gebieten durchgeführt. Bis Juni 2020 wurden Treffen mit Ratsmitgliedern und Mullahs in etwa 12.000 Gemeinden in 124 Bezirken in ganz Afghanistan abgehalten (WB 28.6.2020).
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 16.12.2020
Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 16.7.2020). Nach den Prognosen des Afghanistan Humanitarian Needs Overview 2020 werden etwa 3,7 Millionen Menschen aufgrund von Konflikten, Naturkatastrophen und Vertreibungen medizinische Nothilfe benötigen (UNOCHA 17.12.2019; vgl. WHO 8.2020). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WB o.D.a.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 16.7.2020). Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt (RA KBL 20.10.2020)
Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Staatsbürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (STDOK 4.2018; vgl. CoA 2004, AA 16.7.2020). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (STDOK 4.2018). Eine medizinische Versorgung in rein staatlicher Verantwortung findet jedoch kaum bis gar nicht statt. Insbesondere im Zuge der Covid-19-Pandemie zeigten sich Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das bei Vorsorge (Schutzausstattung), Diagnose (Tests) sowie medizinischer Versorgung von Erkrankten akute Defizite aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 16.7.2020; vgl. WHO 8.2020). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. BDA 18.12.2018). Zahlreiche Staatsbürger begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018).
Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2017 waren 76% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte „Out-of-pocket“-Zahlungen durch Patienten (WB o.D.b).
Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 16.7.2020). Berichten zufolge können Patienten in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (STDOK 4.2018).
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 16.7.2020).
Um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Zwischen 2009 und 2018 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (STDOK 4.2018).
Innerhalb des Jahres 2019 wurde Gesundheitszentren im ganzen Land gebaut sowie Unterprojekte unter dem Projekt der Weltbank "SEHATMANDI" implementiert (RA KBL 20.10.2020). Das Entwicklungsziel des SEHATMANDI-Projekts für Afghanistan besteht darin, die Nutzung und Qualität der Gesundheits-, Ernährungs- und Familienplanungsdienste zu verbessern. Das Projekt besteht aus drei Komponenten. Die erste Komponente, die Verbesserung der Leistungserbringung, dient der Finanzierung leistungsbezogener Verträge zur Bereitstellung des Basispakets von Gesundheitsdiensten (BPHS) und des wesentlichen Pakets von Krankenhausdienstleistungen (EPHS) in 31 Provinzen. Die zweite Komponente, die Stärkung des Gesundheitssystems und seiner Leistung, wird einen systematischen organisierten Ansatz unterstützen, der darauf abzielt, im Gesundheitsministerium (MOPH) und bei den Interessengruppen eine Kultur des Leistungsmanagements zu etablieren. Die dritte Komponente, die Stärkung der Nachfrage und der Rechenschaftspflicht der Gemeinschaft für wichtige Gesundheitsdienste, wird eine Reihe von Aktivitäten finanzieren, die von Kommunikationskampagnen zur Steigerung des allgemeinen Bewusstseins für Gesundheitsrechte wie auch für spezifische Gesundheitsverhaltensweisen reichen, um das MOPH und die Leistungserbringer dabei zu unterstützen, besser auf die Gesundheitsbedürfnisse der Gemeinschaft einzugehen (WB o.D.c.).
Im Rahmen eines MoU (Memorandum of Understanding) zwischen dem Gesundheitsministerium und drei indischen Privatunternehmen am 16.6.2020 im Wert von 12,5 Millionen Dollar wurde der Bau von zwei Gesundheitszentren und einer pharmazeutischen Fabrik in Afghanistan vereinbart. Außerdem wurden im vergangenen Jahr die Vereinbarungen für den Bau eines Gesundheitszentrums in Kabul und 53 Gesundheitszentren in den Provinzen Kandahar und Helmand unterzeichnet. Darüber hinaus übernahm Aga Khan Health Services (AKHS) als Teilprojekt im Rahmen des nationalen Projekts (SEHATMANDI) im Februar 2019 die Verwaltung der Gesundheitseinrichtungen in den Provinzen Bamyan und Badakhshan bis Juni 2021 auf der Grundlage einer leistungsabhängigen Bezahlung. Im Januar 2019 erhielt das Schwedische Komitee für Afghanistan (SCA) den neuen SEHATMANDI-Vertrag zur Durchführung von Interventionen des Basispakets der Gesundheitsdienste (BPHS) und des Essential Package of Health Services (EPHS) in der afghanischen Provinz Wardak bis zum 30. Juni 2021 (RA KBL 20.10.2020).
Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. WHO und USAID zählten 2019 insgesamt 275 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, die zu Schließungen der Einrichtungen führten. Nur 34 Einrichtungen konnten zwischenzeitlich wieder öffnen. 2019 kamen es zu 20 Tötungen, 31 Verwundungen und 31 Entführungen an medizinischem Personal. Dieser Trend setzt sich 2020 fort (AA 16.7.2020). So gab es zwischen Jänner und August 2020 30 Angriff auf Gesundheitseinrichtungen (WHO 8.2020)
Zugangsbedingungen für Frauen
Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen. Im Bereich Säuglingssterblichkeit hat Afghanistan aber weiterhin die weltweit dritthöchste Sterblichkeitsrate (AA 16.7.2020). Afghanistan bleibt damit einer der gefährlichsten Geburtsorte der Welt (MSF o.D). Geburten finden zunehmend in medizinischen Einrichtungen, bzw. unter Betreuung von ausgebildetem medizinischem Personal statt und auch die Nachversorgung nach Geburten hat zugenommen. Während die Mehrheit der Frauen im städtischen Raum bei der Geburt durch geschultes Personal betreut wird, trifft dies in ländlichen Gebieten allerdings immer noch auf weniger als die Hälfte der Geburten zu (NSIA 2018). Frauen sind beim Zugang zur Gesundheitsversorgung mit spezifischen Problemen konfrontiert, darunter beispielsweise einem geringen Wissen über Gesundheitsprobleme, einer niedrigen Alphabetisierungsrate (AAN 2.12.2014), Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und einem beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln (AAN 2.12.2014; vgl. UNOCHA 17.12.2019, STDOK 13.6.2019). Verbote von medizinischen Untersuchungen von Patientinnen durch männliches medizinisches Personal wirken sich aufgrund des niedrigeren Anteils von Frauen in medizinischen Berufen negativ auf den Zugang von Frauen zu medizinischen Leistungen aus (UNOCHA 17.12.2019). Gemäß afghanischer Gesellschaftsnormen sollten Frauen von Ärztinnen untersucht werden. Es kommt somit zu Einschränkungen bei der Gesundheitsversorgung von Frauen wenn keine Ärztinnen verfügbar sind. Manche Frauen konsultieren in den Dörfern oder Distrikten allerdings unter Umständen auch Ärzte. Einschränkungen bei der Bewegungsfreiheit wirken sich auch auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung aus: In Gebieten unter Talibankontrolle ist es für Frauen unter Umständen nicht möglich, zum Arzt zu gelangen (STDOK 21.7.2020).
Afghanistan gehört zu den wenigen Ländern, in welchen die Selbstmordrate von Frauen höher ist als die von Männern. Die weite Verbreitung psychischer Erkrankungen unter Frauen wird von Experten mit den rigiden kulturellen Einschränkungen, welchen Frauen unterworfen sind und welche ihr Leben weitgehend auf das eigene Heim beschränken, in Verbindung gebracht (BDA 18.12.2018).
Medizinische Versorgung in der Städten Herat und Mazar-e Sharif
Herat:
Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken (TN 7.4.2017) unter anderem das staatliche Herat Regional Hospital (RA KBL 20.10.2020)l. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass „viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben.“ Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).
Mazar-e Sharif:
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (STDOK 4.2018).
Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patienten in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (STDOK 4.2018; vgl. RA KBL 20.10.2020). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).
COVID-19
Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten mit Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan seit März 2020 Anzeichen und Symptome von COVID-19 (IOM 23.9.2020). Nach offiziellen Zahlen der Johns-Hopkins-Universität waren mit 22.9.2020 39.074 Personen positiv auf COVID-19 getestet worden (IOM 23.9.2020; vgl. JHU 22.9.2020). Bis 2.9.2020 wurden insgesamt 103.722 Tests durchgeführt (IOM 23.9.2020).
Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID 19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Infizierten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung (RA KBL 20.10.2020).
Rückkehr
Letzte Änderung: 16.12.2020
In den letzten zehn Jahren sind Millionen von Migranten und Flüchtlingen nach Afghanistan zurückgekehrt. Während der Großteil der Rückkehrer aus den Nachbarländern Iran und Pakistan kommt, sinken die Anerkennungsquoten für Afghanen im Asylbereich in der Europäischen Union und die Zahl derer die freiwillig, unterstützt und zwangsweise nach Afghanistan zurückkehren nimmt zu (MMC 1.2019). Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan hat starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen (IOM 7.5.2020).
Von 1.1.2020 bis 12.9.2020 sind 527.546 undokumentierter Afghanen aus Iran (523.196) und Pakistan (4.350) nach Afghanistan zurückgekehrt - in der Woche vom 6.9.2020 bis 12.9.2020 waren es ca. 21.500 undokumentierte Rückkehrer (UNHCR 17.9.2020). Im gesamten Jahr 2018 kehrten, im Vergleich dazu, aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 nach Afghanistan zurück: 773.125 (laut AA 775.000) aus Iran und 32.725 (laut AA 46.000) aus Pakistan (IOM 5.1.2019, vgl. AA 16.7.2020). Die Anzahl der seit 1.1.2020 bis 31.7.2020 von IOM unterstützten Rückkehrer aus Iran (53.595) und Pakistan (1.731) beläuft sich auf 55.326 (IOM 29.8.2020).
Die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan ist aktuell (Stand 24.9.2020) über den Luftweg möglich. Es gibt internationale Flüge nach Kabul, Mazar-e Sharif und Kandahar (IOM 23.9.2020; vgl. Flightradar 24.9.2020). Es sei darauf hingewiesen, dass diese Flugverbindungen unzuverlässig sind - in Zeiten einer Pandemie können Flüge gestrichen oder verschoben werden (IOM 23.9.2020).
Seit 12.8.2020 ist der Spin Boldak Grenzübergang an der pakistanischen Grenze sieben Tage in der Woche für Fußgänger und Lastkraftwagen geöffnet (UNHCR 12.9.2020). Der pakistanische Grenzübergang in Torkham ist Montags und Dienstags für Rückkehrbewegungen nach Afghanistan und zusätzlich am Samstag für undokumentierte Rückkehrer und andere Fußgänger geöffnet (UNHCR 12.9.2020)
Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration (MMC 1.2019; vgl. IOM KBL 30.4.2020, Reach 10.2017). Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder nach Iran, Pakistan oder weiter nach Europa migrierten (IOM KBL 30.4.2020; vgl. Seefar 7.2018). Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (STDOK 4.2018; vgl. STDOK 14.7.2020; IOM AUT 23.1.2020). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 16.7.2020).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich (IOM KBL 30.4.2020; vgl. MMC 1.2019, Reach 10.2017). Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk (STDOK 13.6.2019, IOM KBL 30.4.2020), auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (STDOK 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (STDOK 4.2018).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 16.7.2020). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (STDOK 13.6.2019).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 16.7.2020) und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt (IOM KBL 30.4.2020) Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrer gekommen sein soll (STDOK 10.2020; vgl Seefar 7.2018), wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird (Seefar 7.2018). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (STDOK 13.6.2019).
Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen (STDOK 21.7.2020; vgl. STDOK 13.6.2020, STDOK 4.2018). Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 16.7.2020; vgl. IOM KBL 30.4.2020, STDOK 10.2020). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 11.3.2020). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (STDOK 13.6.2019).
Viele afghanische Rückkehrer werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).
Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (STDOK 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (STDOK 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).
Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung
Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (STDOK 4.2018).
Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 3.2020). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014; vgl. Kandiwal 9.2018).
Die afghanische Regierung hat 2017 mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Erste Landstücke wurden identifiziert, die Registrierung von Begünstigten hat begonnen (AA 16.7.2020).
Unterstützung durch IOM
Die internationale Organisation für Migration (IOM - International Organization for Migration) unterstützt mit diversen Projekten die freiwillige Rückkehr und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan. In Bezug auf die Art und Höhe der Unterstützungsleistung muss zwischen unterstützter freiwilliger und zwangsweiser Rückkehr unterschieden werden (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020; STDOK 13.6.2019; STDOK 4.2018). Im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr kann Unterstützung entweder nur für die Rückkehr (Reise) oder nach erfolgreicher Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt auch bei der Wiedereingliederung geleistet werden (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020).
Anmerkungen: Informationen von IOM zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 22.9.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ, können aber aufgrund der COVID-19 Pandemie kurzfristigen Änderungen unterworfen sein (IOM 23.9.2020).
Mit 1.1.2020 startete das durch den AMIF der Europäischen Union und das österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanzierte Reintegrationsprojekt RESTART III. Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten RESTART und RESTART II steht dieses Projekt ausschließlich Rückkehrern aus Afghanistan zur Verfügung. RESTART III, ist wie das Vorgängerprojekt auf drei Jahre, nämlich bis 31.12.2022 ausgerichtet und verfügt über eine Kapazität von 400 Personen. Für alle diese 400 Personen ist neben Beratung und Information - in Österreich sowie in Afghanistan - sowohl die Bargeldunterstützung in der Höhe von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.800 Euro geplant (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020).
Die Teilnahme am Reintegrationsprojekt von IOM ist an einige (organisatorische) Voraussetzungen gebunden. So stellen Interessenten an einer unterstützen freiwilligen Rückkehr zunächst einen entsprechenden Antrag bei einer der österreichischen Rückkehrberatungseinrichtungen - dem VMÖ (Verein Menschenrechte Österreich) oder der Caritas bzw. in Kärnten auch beim Amt der Kärntner Landesregierung. Die jeweilige Rückkehrberatungsorganisation prüft dann basierend auf einem Kriterienkatalog des BMI, ob die Anforderungen für die Teilnahme durch die Antragssteller erfüllt werden. Für Reintegrationsprojekte ist durch das BMI festgelegt, dass nur Personen an dem Projekt teilnehmen können, die einen dreimonatigen Aufenthalt in Österreich vorweisen können. Es wird hier jedoch auf mögliche Ausnahmen hingewiesen, wie zum Beispiel bei Personen, die im Rahmen der Dublin-Regelung nach Österreich rücküberstellten werden. Des weiteren sieht die BMI-Regelung vor, dass nur eine Person pro Kernfamilie die Unterstützungsleistungen erhalten kann (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020). Im Anschluss unterstützt die jeweilige Rückkehrberatungseinrichtung den Interessenten beim Antrag auf Kostenübernahme für die freiwillige Rückkehr. Wenn die Teilnahme an dem Reintegrationsprojekt ebenso gewünscht ist, so ist ein zusätzlicher Antrag auf Bewilligung des Reintegrationsprojektes zu stellen. Kommt es in weiterer Folge zu einer Zustimmung des Antrags seitens des BMI wird ab diesem Zeitpunkt IOM involviert (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020).
[Anm.: Es besteht auch die Möglichkeit jederzeit einen Antrag auf freiwillige Rückkehr zu stellen, auch ohne Teilnahme an dem Projekt. Eine Mitarbeiterin von IOM Österreich weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es hier keine Trennung zwischen freiwilligen und unterstützten Rückkehrern gibt. Grundsätzlich spricht man von unterstützter freiwilliger Rückkehr und zusätzlich gibt es die Reintegrationsunterstützung bei Projektteilnahme. (IOM AUT 23.1.2020; vgl. STDOK 14.7.2020)]
Neben Beratung und Vorabinformationen ist IOM für die Flugbuchung verantwortlich und unterstützt die Projektteilnehmer auch bei den Abflugmodalitäten. Flüge gehen in der Regel nach Kabul, können auf Wunsch jedoch auch direkt nach Mazar-e Sharif gehen [Anm.: Unter Umgehung von Kabul]. Die Reise nach Herat beispielsweise findet in der Regel auf dem Luftweg über Kabul statt (IOM KBL 26.11.2018). Die österreichischen Mitarbeiter unterstützen die Projektteilnehmer beim Einchecken, der Sicherheitskontrolle, der Passkontrolle und begleiten sie bis zum Abflug-Terminal (STDOK 14.7.2020). Teilnehmer am Reintegrationsprojekt RESTART III von IOM landen in der Regel (zunächst) in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Dort werden sie von den örtlichen IOM-Mitarbeitern direkt nach Verlassen des Flugzeuges empfangen und bei den Ein- bzw. Weiterreiseformalitäten unterstützt. An den Flughäfen anderer Städte wie Mazar-e-Sharif, Kandahar oder Herat gibt es keine derartige Ausnahmeregelung (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM KBL 26.11.2018; IOM AUT 23.1.2020).
RESTART sowie die Folgeprojekte RESTART II und RESTART III unterscheiden sich nur minimal voneinander. So ist beispielsweise die Höhe der Barzahlung und auch die Unterstützung durch Sachleistungen gleich geblieben, wobei im ersten RESTART Projekt und in der ersten Hälfte von RESTART II nur 2.500 Euro in Sachleistung investiert wurden und die restlichen 300 Euro für Wohnbedürfnisse, Kinderbetreuung oder zusätzlich für Bildung zur Verfügung standen. Dies wurde im Verlauf von RESTART II geändert und es ist nun auch in RESTART III der Fall, sodass die gesamte Summe für eine einkommensgenerierende Tätigkeit verwendet werden kann (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 27.3.2020).
Im Zuge der COVID-19 Pandemie befinden sich IOM-Mitarbeiter in Afghanistan teilweise im Home-Office. Rückkehrer können jedoch weiterhin IOM-Büros kontaktieren, werden jedoch gebeten, persönliche Besuche in IOM-Räumlichkeiten auf ein Minimum zu reduzieren und stattdessen über Telefon oder andere online Tools zu kommunizieren. Virtuelle Beratung wird für Projektteilnehmer sowohl in Afghanistan wie auch in Österreich angeboten (IOM 23.9.2020). Nach Angaben von IOM kann es bei der Entwicklung der einzelnen Projekte aktuell aufgrund der Pandemie zu Verzögerungen und langsamen Entwicklungen kommen (IOM 23.9.2020). Es wird zudem verstärkt auf Banküberweisungen gesetzt wobei die Projektteilnehmer entsprechend informiert werden. Zur raschen Eröffnung eines Bankkontos muss ein gültiges Identitätsdokument (z.B.: Tazkira) vorgelegt und verschiedene Formulare (je nach Bank oder Vertretern der jeweiligen Communities) ausgefüllt und unterzeichnet werden. Überweisungen innerhalb derselben Bank können in wenigen Minuten durchgeführt werden. Bei anderen Banken kann die Überweisung mehrere Tage in Anspruch nehmen. Ein Bankkonto kann von allen Personen, auch jenen, die keine persönlichen Kontakte in Afghanistan haben, eröffnet werden (IOM 10.2020)
Mit Stand 22.9.2020, wurden im laufenden Jahr 2020 bereits 70 Teilnahmen akzeptiert im Rahmen des Restart III Projektes und sind im Zuge des Projektes 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt - zuletzt jeweils 13 Personen im August und im September 2020 (IOM 23.9.2020). Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmern, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).
IOM-RADA
IOM hat mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Projekt „RADA“ (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM 5.11.2019).
Innerhalb dieses Projektes gibt es eine kleine Komponente (PARA - Post Arrival Reception Assistance), die sich speziell an zwangsweise rückgeführte Personen wendet. Der Leistungsumfang ist stark limitiert und nicht mit einer Reintegrationsunterstützung vergleichbar. Die Unterstützung umfasst einen kurzen medical check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von 12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.). Diese ist jedoch nur für Rückkehrer zugänglich die über den internationalen Flughafen von Kabul reisen (STDOK 14.7.2020; vgl. IOM AUT 23.1.2020, IOM 23.9.2020).
Wohnungen
In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2019), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein (IOM 2019).
Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2018).
1.4.2. Auszug aus der EASO Country Guidance Afghanistan, Stand Dezember 2020:
Die Provinz Herat im Westen von Afghanistan wird zu den relativ ruhigen Provinzen gerechnet, wobei einige Bezirke umkämpft sind oder von Taliban kontrolliert werden. Die Hauptstadt Herat steht unter Kontrolle der Regierung. Nicht zielgerichtete Gewalt findet in Herat auf einem so niedrigen Niveau statt, dass generell kein reales Risiko für Zivilpersonen besteht, dadurch betroffen zu werden.
Der Flughafen von Herat liegt etwa 10 km westlich der Stadt und es werden Inlandsflüge und internationale Flüge betrieben. Die Straßenverbindung von Herat zum Flughafen wird von Sicherheitskräften kontrolliert. Eine Person kann zur Stadt Herat ohne ernsthaftes Risiko anreisen. Das Regionalkrankenhaus von Herat ist ein öffentliches Spital, das kostenfreie stationäre und ambulante Behandlung durch Psychiater und Psychologen anbietet, wobei auch bei Verfügbarkeit die Möglichkeit zum Zugang zur freien Medikation besteht.
Die Provinz Balkh im Norden von Afghanistan wurde bis 2019 üblicherweise als eine der relativ ruhigen und stabilsten Provinzen von Afghanistan beschrieben, wobei der Rücktritt des früheren Gouverneurs dann als Grund zu einer Verschlechterung der Sicherheitssituation angesehen wurde. Bei einem seither erfolgten Anstieg von Aktivitäten der Taliban steht die Mehrheit der Distrikte von Balkh unter Kontrolle der Regierung. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif steht unter Kontrolle der Regierung. In Mazar-e Sharif wurde im Unterschied zum Trend in der gesamten Provinz eine vergleichsweise geringe Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle berichtet. In Mazar-e Sharif findet nicht zielgerichtete Gewaltausübung auf einem so niedrigen Niveau statt, dass generell kein reales Risiko für Zivilpersonen besteht, davon persönlich betroffen zu sein.
Der Flugplatz von Mazar-e Sharif liegt 8 km östlich der Stadt. Zuletzt wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bezug auf den Flughafen berichtet. Eine Person kann grundsätzlich ohne ernsthaftes Risiko in die Stadt Mazar-e Sharif anreisen.
Es gibt etwa 10 bis 15 Spitäler in Mazar-e Sharif, die meisten davon privat, und 30 bis 50 Gesundheitskliniken. Es bestehen auch zwei Einrichtungen, die Leistungen im Bereich der psychischen Gesundheit erbringen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Beschwerdeführern
Die Feststellungen über die familiären Verhältnisse der Beschwerdeführer, Staatsangehörigkeit, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie Muttersprache basieren auf den auf den diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die Feststellungen über die jeweiligen Aufenthaltsorte, Schulbildung, Analphabetismus, Beschäftigungen und Angehörige in Afghanistan, im Iran und in Österreich konnten anhand der Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens getroffen werden.
Hinsichtlich seines Schulbesuchs und der Arbeit als Auto-Spengler wird den Angaben des Drittbeschwerdeführers bei der Einvernahme am 03.07.2018 gefolgt; da der Drittbeschwerdeführer nach zunächst erfolgter Behauptung kürzerer Zeiten des Schulbesuchs in der Beschwerdeverhandlung am 11.03.2021 und Vorhalt seiner Angaben vom 03.07.2018 jene als richtig bezeichnet hatte, wird auch hinsichtlich der Arbeitserfahrung den zeitnäher erstatteten Ausführungen gefolgt.
Die gesundheitliche Beeinträchtigung der Zweitbeschwerdeführer ergibt sich aus einer in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Bestätigung einer Psychotherapeutin. Die anderen Beschwerdeführer haben nicht vorgebracht, an schweren Erkrankungen zu leiden.
Dass die Beschwerdeführer am 15.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellten, ist den Verwaltungsakten zu entnehmen.
Aktenkundig ist, dass das Beschwerdeverfahren der älteren Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nach einer Entscheidung des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.02.2021 in der Gerichtsabteilung W175 anhängig ist. Die Beschwerdeführer leben mit dieser Tochter zusammen in einem Haushalt.
Die Feststellungen über die strafgerichtliche Verurteilung des Erstbeschwerdeführers und über die Erledigung des Strafverfahrens der Zweitbeschwerdeführerin durch Diversion sowie jene, dass die weiteren Beschwerdeführer, soweit sie strafmündig sind, im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten sind, ergibt sich aus den eingeholten Strafregisterauszügen, der entsprechenden Urteilsausfertigung und der Mitteilung der zuständigen Staatsanwaltschaft.
2.2. Zu den Verfolgungsbehauptungen der Beschwerdeführer
Das bei der Erstbefragung am 15.02.2016 erstattete Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, es sei in der Werkstatt des Erstbeschwerdeführers in einem zu reparierenden Fahrzeug eine Waffe (nach Angaben des Erstbeschwerdeführers) bzw. eine Bombe und eine Waffe (nach Angaben der Zweitbeschwerdeführerin) gefunden worden und Männer (offensichtlich gemeint: Regierungsfeindliche Kräfte) hätten den Erstbeschwerdeführer danach beschuldigt, dass er der Polizei einen Hinweis gegeben habe, worauf die Waffe sichergestellt worden sei, war nicht glaubhaft. Der entsprechende Vorfall ist sowohl vom Erstbeschwerdeführer als auch von der Zweitbeschwerdeführerin bei der Erstbefragung als unmittelbarer Anlass für das Verlassen des Herkunftsstaates dargestellt worden. Weiters wurde als Verfolger ausschließlich jene „Männer“ (offensichtlich gemeint: Regierungsfeindliche Kräfte) bezeichnet. Demgegenüber haben sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin im weiteren Verlauf des Verfahrens bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 03.07.2018 über eine derartige Bedrohung keinerlei Angaben gemacht und haben Verfolgungsbehauptungen lediglich im Hinblick auf einen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin geäußert. Im Verlauf dieser niederschriftlichen Einvernahmen haben die genannten Beschwerdeführer ihre Angaben auf Nachfrage jeweils als richtig und vollständig bezeichnet.
Im Berufungsschriftsatz vom 02.01.2019 haben die Beschwerdeführer für diese bereits in der Beweiswürdigung der angefochtenen Bescheide aufgegriffene grobe Diskrepanz keinerlei Erklärung angeboten, sondern es wurde darin aktenwidrig vorgebracht, dass die Beschwerdeführer bereits bei der Erstbefragung vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes den genannten Cousin der Zweitbeschwerdeführerin als Verfolger bezeichnet hätten.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben bei der Erstbefragung weder zur Frage nach dem Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates noch nach Rückkehrbefürchtungen auf eine etwaige Bedrohung durch einen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin hingewiesen, sondern lediglich den behaupteten Vorfall in Nachfolge des Fundes einer Waffe oder einer Bombe angesprochen. Beide Beschwerdeführer haben mit ihrer Unterschrift bestätigt, dass ihnen die jeweilige Niederschrift rückübersetzt wurde und keine Ergänzungen oder Korrekturen erforderlich seien. Die Behauptung der Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung am 11.03.2021, sie habe über eine Bedrohung durch ihren Cousin bereits bei der Erstbefragung Angaben gemacht, ist demnach nicht glaubhaft. Dies wurde in der Beschwerdeverhandlung auch durch den Umstand bestätigt, dass die Zweitbeschwerdeführerin angab, sie habe dieses Vorbringen im Zusammenhang mit der erfolgten Frage, ob sie mit einer Recherche in Afghanistan einverstanden wäre, getätigt, worauf sie einräumen müsste, dass eine solche Frage nicht bei der Erstbefragung, sondern bei der Einvernahme vor dem BFA gestellt wurde.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht die geringere Bedeutung der Aussagen der Befragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, insbesondere, wenn es um die näheren Fluchtgründe geht. Dennoch ist es nicht verwehrt, diese in die Beweiswürdigung miteinfließen zu lassen. Im vorliegenden Fall haben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nach der Niederschrift der jeweiligen Erstbefragung auch bestätigt, dass sie gesund seien und der Einvernahme ohne Beeinträchtigung folgen könnten.
Die genannten Widersprüche erstrecken sich auf den Anlass für die behauptete Bedrohung und auch auf die Person der Verfolger und bestehen daher nicht bloß hinsichtlich marginaler Details der vorgebrachten Bedrohungssituationen. Sie wurden auch nicht erst durch eine detaillierte Erhebung von Fluchtgründen im Rahmen der Erstbefragungen offenbar.
Im weiteren Beschwerdeschriftsatz vom 09.01.2019 wurde vorgebracht, dass sich der Vorfall mit der Waffe im zu reparierenden Auto ereignet habe, als die Beschwerdeführer nach Helmand gezogen seien und dass in weiterer Folge der Cousin der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Taliban die Probleme für die Beschwerdeführer bereinigt hätte. Dieser Erklärungsversuch steht im Widerspruch zu den Angaben der Beschwerdeführer in der Erstbefragung, wonach sie nach dem damals behaupteten Vorfall Afghanistan verlassen hätten, und kann auch nicht in Einklang mit den sonstigen Angaben der Beschwerdeführer im Verfahren gebracht werden. Bei der Einvernahme der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt am 03.07.2018 haben diese keinerlei Angaben über einen derartigen Vorfall und eine nachfolgende Intervention des Cousins der Zweitbeschwerdeführerin zugunsten der Beschwerdeführer getätigt. Bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 11.03.2021 wurde wiederum seitens der Zweitbeschwerdeführerin behauptet, sie „habe das mit dem Auto auch gehört“, aber das Problem sei die Bedrohung durch den Cousin gewesen. Demgegenüber beschrieb der Erstbeschwerdeführer bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 11.03.2021 einen derartigen Vorfall wiederum dahingehend abweichend, dass dieser sich in seiner Werkstatt in Helmand ereignet habe, bevor die Beschwerdeführer Helmand verlassen hätten. Dabei brachte er vor, dass die Polizei ein zu reparierendes Auto durchsucht habe und einen Karton mit Batterien und Sprengstoff gefunden habe, der sichergestellt worden sei. Später sei der Cousin der Zweitbeschwerdeführerin zu ihm gekommen, und habe ihm vorgeworfen, er wisse, dass der Erstbeschwerdeführer die Polizei informiert hätte. Diese weitere Variante des behaupteten Vorfalls weicht von dessen Darstellung durch beide Beschwerdeführer bei der Erstbefragung dahingehend ab, dass der Vorfall nicht - wie bei der Erstbefragung angegeben - unmittelbar zum Verlassen von Afghanistan geführt habe, sondern die Beschwerdeführer nach ihren Angaben von Helmand für einen Zeitraum von etwa sechs Monaten nach Herat übersiedelt und erst danach ausgereist seien. Auch hat der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung abweichend von seinen Ausführungen im der Erstbefragung nunmehr als Urheber der Bedrohung nach Sicherstellung der Waffen nicht eine Gruppe Männer (offensichtlich gemeint: Regierungsfeindliche Kräfte) sondern den Cousin der Zweitbeschwerdeführerin bezeichnet.
Da der Erstbeschwerdeführer wie auch die Zweitbeschwerdeführerin bei der Einvernahme vor dem Bundesamt am 03.07.2018 keinerlei Angaben über eine Drohung des Cousins der Zweitbeschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Fund - sei es einer Waffe oder von Sprengstoff - in einem zu reparierenden Fahrzeug getätigt haben, ist ersichtlich, dass es sich nicht um tatsächlich erlebte Ereignisse der Beschwerdeführer gehandelt hat. Dies wird letztlich auch durch den Umstand bekräftigt, dass die im zu reparierenden Fahrzeug angeblich aufgefundenen Gegenstände widersprüchlich bezeichnet wurden. So hat der Erstbeschwerdeführer bei der Erstbefragung von einer Waffe, die Zweitbeschwerdeführerin bei der Erstbefragung von einer Bombe und einer Waffe und der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung von einer von einem Karton mit Batterien und Sprengstoff gesprochen. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass es sich beim behaupteten Bedrohungsszenario um eine im Ergebnis schlecht zwischen den Beschwerdeführern abgesprochene Sachverhaltskonstruktion handelt, mit der sie eine günstigere Entscheidung über ihre Anträge herbeiführen wollten.
Dies gilt aber ebenso für die erstmals bei der Einvernahme vor dem Bundesamt am 03.07.2018 behauptete Bedrohung durch einen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben im Verfahren zwar im Wesentlichen übereinstimmend den Ausgangssachverhalt des behaupteten Konfliktes mit einem solchen Cousin, nämlich dessen tätlichen Übergriff auf die ältere Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin und die nachfolgende gewaltsame Auseinandersetzung mit beiden Beschwerdeführern beschrieben, allerdings die daran anknüpfende Bedrohungssituation im Verfahren in grob widersprüchlicher Weise dargestellt.
So hat der Erstbeschwerdeführer behauptet, dass es nach der behaupteten gewaltsamen Auseinandersetzung und einem im Ergebnis nicht wirksamen Schlichtungsverfahren in der Moschee dazu gekommen sei, dass seine Familie in Helmand immer wieder von Menschen auf Motorrädern belästigt worden sei, die zur Werkstatt oder zu seinem Haus gekommen seien. Der Erstbeschwerdeführerin hat allerdings in der Einvernahme bei der Behörde keinerlei Angaben dahingehend gemacht, dass der genannte Cousin, wie in der Beschwerdeverhandlung steigernd behauptet - nach der Beschlagnahme von Sprengmittel in einem zu reparierenden Fahrzeug - persönlich Drohungen gegen ihn ausgesprochen hätte. Wäre eine derartige Bedrohung tatsächlich gegeben und maßgeblich dafür gewesen, dass die Beschwerdeführer den Ort Helmand verlassen und nach Herat übersiedelt wären, so hätte der Beschwerdeführer diesbezügliche Angaben nicht nur bereits bei der Einvernahme am 03.07.2018, sondern auch bei seiner Erstbefragung gemacht. Da dies nicht der Fall war, muss davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer die von ihnen bei der Erstbefragung eingeführte konstruierte Verfolgungsbehauptung im weiteren Verlauf des Verfahrens gegen die angebliche Bedrohung durch den Cousin ausgewechselt haben.
Die Zweitbeschwerdeführerin hat bei der Einvernahme vor dem Bundesamt am 03.07.2018 behauptet, dass der Cousin irgendwelche „Schlägertypen“ auf ihre Familie angesetzt hätte, bis sie von Helmand nach Herat übersiedelt worden seien. Aber auch nach der Rückkehr nach Herat seien dort „Schlägertypen“ gekommen, wobei die Zweitbeschwerdeführerin diese als Person nicht gekannt hätte. Im Widerspruch dazu behauptete die Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung am 11.03.2021, dass die anhaltende weitere Bedrohung in Herat durch den genannten Cousin selbst erfolgt sei, der mit seinen Brüdern 2 bis 3 Mal nach Herat gekommen sei. Wenn die Familie der Zweitbeschwerdeführerin tatsächlich durch ihren Cousin bedroht worden wäre - sei es durch ihn persönlich mit seinen Brüdern oder durch von ihm gesandte, der Zweitbeschwerdeführerin persönlich nicht bekannte Personen bzw. „Schlägertypen“ - so wäre die Zweitbeschwerdeführerin in der Lage gewesen, einen solchen Sachverhalt im Verfahren widerspruchsfrei darzustellen. Da dies nicht der Fall war, ist ersichtlich, dass auch die behauptete Bedrohung durch den angeblichen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin nicht den Tatsachen entspricht.
Die bei der Beschwerdeverhandlung getätigten Angaben der Zweitbeschwerdeführerin, dass ihre Familie nach der Rückkehr in Herat 2 bis 3 Mal vom Cousin selbst und seinen Brüdern bedroht worden sei, steht im Übrigen auch im Widerspruch zu den Behauptungen des Erstbeschwerdeführers bei der Einvernahme am 03.07.2018, wonach er in Herat von ihm nicht bekannten Leuten aus Helmand im Auftrag des Cousins und nicht von diesem selbst bedroht worden sei.
Diese Bedrohungssituation haben die genannten Beschwerdeführer erst nach der Erstbefragung ersonnen, was der Grund dafür ist, dass weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin im Verlauf der Erstbefragung irgendwelche Angaben über die Bedrohung durch diesen Cousin oder auf ihn bezogene Rückkehrbefürchtungen geäußert haben.
Der Drittbeschwerdeführer hat im gesamten Verfahren keine konkreten Angaben über Wahrnehmungen von Auswirkungen einer Bedrohung durch den Cousin der Zweitbeschwerdeführerin oder von ihm beauftragte Personen wegen des behaupteten Ausgangskonfliktes um die traditionelle Kleidung der älteren Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin getätigt. Er hat in der Beschwerdeverhandlung angegeben, persönlich von diesem Cousin nicht bedroht worden zu sein und bei der Bedrohung seiner Familie nicht anwesend gewesen und sehr jung gewesen zu sein. Dabei ist der Eindruck entstanden, dass der Drittbeschwerdeführer auf Fragestellungen über den vom Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin behaupteten Konflikt mit dem Cousin der Zweitbeschwerdeführerin bewusst ausweichend reagierte. Es wird davon ausgegangen, dass er in Absprache mit diesen bestrebt war, durch Vermeidung konkreter Angaben zu verhindern, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer mit weiteren Widersprüchen belastet wird.
Es bleibt somit zusammenfassend festzuhalten, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat weder durch regierungsfeindliche Kräfte wegen des behaupteten Fundes einer Waffe oder von Sprengstoff in einem vom Erstbeschwerdeführer zu reparierenden Auto bedroht sind, noch durch einen im Naheverhältnis zu Taliban stehenden Cousin der Zweitbeschwerdeführerin wegen eines gewaltsam ausgetragenen Konfliktes um die Bekleidung der älteren Tochter des Erstbeschwerdeführers bzw. deren geforderte Verehelichung mit einem Sohn dieses Cousins, da das entsprechende Vorbringen der Beschwerdeführer nicht glaubhaft war.
Soweit der Drittbeschwerdeführer weiters vorgebracht hat, dass er im Herkunftsstaat sexuellen Nachstellungen und Übergriffen dieses pädophilen Cousins ausgesetzt gewesen sei, ist davon auszugehen, dass der mittlerweile volljährige Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr schon allein aufgrund seines Alters keiner derartigen Bedrohung ausgesetzt wäre. Er hat in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auch angegeben, dass er sich nach entsprechenden Avancen des Cousins von ihm „distanziert“ hätte und in weiterer Folge eingeräumt, dass er von ihm nicht persönlich bedroht worden sei. Es ist daher nachhaltig unwahrscheinlich, dass wegen solcher Vorfälle eine Bedrohung für den Drittbeschwerdeführer von einem Cousin der Zweitbeschwerdeführerin ausgeht.
Dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung durch den Staat zu befürchten hätten, ergibt sich schon aus den Angaben der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens.
Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan weder vorbestraft sind noch jemals dort inhaftiert waren, gründen sich – ebenso wie die Feststellungen, dass sie mit den Behörden ihres Herkunftsstaates bislang nicht in Konflikt geraten sind, nie politisch tätig waren und auch keiner politischen Partei angehörten – zum einen auf die gleichbleibenden Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin und zum anderen auf das Fehlen entsprechender amtswegig aufzugreifender Hinweise.
Die Feststellung, dass die Zweitbeschwerdeführerin alleine aufgrund ihres Geschlechts im Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären, beruht auf folgenden Erwägungen:
Die Zweitbeschwerdeführerin vermochte im Rahmen der mündlichen Verhandlung weder überzeugend darzulegen, dass sie einen „westlichen Lebensstil“ führe, noch, dass sie eine diesbezügliche innere Einstellung habe und dass sich diese nachhaltig verfestigt hätte.
Sie verfügte zum Zeitpunkt der Verhandlung nur über geringe Deutschkenntnisse. Sie kümmert sich in Österreich um den Haushalt, wobei sie von ihrem Ehemann unterstützt wird. Die Zweitbeschwerdeführerin zeigte sich (auf Nachfrage) am Beruf einer Konditorin interessiert, hat aber keine konkreten Schritte unternommen, um sich über eine allfällige Ausbildung und Einstiegsmöglichkeiten zu informieren. Sie nimmt in Österreich in geringem Umfang am sozialen Leben teil.
Auch wenn die Zweitbeschwerdeführerin über eine eigene Bankomatkarte verfügt, zumindest meistens das Haushaltsgeld verwaltet und sich in Österreich so kleidet, wie sie es möchte und auch dezent geschminkt auftritt, war letztlich keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung zu erkennen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines „westlichen Verhaltens“ oder eine „westliche Lebensführung“ als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann. Ihr in Österreich gepflegter Lebensstil stellt keinen nachhaltigen Bruch mit den in ihrem Herkunftsstaat verbreiteten gesellschaftlichen Werten dar.
Der geschilderte Tagesablauf entspricht insgesamt eher einem traditionellen Frauenbild, zumal die Unterstützung durch ihren Mann für sich genommen noch keine „westliche Lebensweise“ nahelegt.
Auch kann aus den allgemein gehaltenen Aussagen der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht, wonach sie in Österreich ein ruhiges und freies Leben führe, weder abgeleitet werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine selbstbestimmte „westliche Lebensweise“ anstrebt, noch kann dadurch eine Verinnerlichung einer „westlichen Lebensweise“ angenommen werden. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Beschwerdeführerinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe Frauen zu gewähren wäre.
Zwar bemühte sich die Zweitbeschwerdeführerin sichtlich, bei der Beschwerdeverhandlung eine innere Haltung darzustellen, die als modern und selbstbewusst bezeichnet werden kann. Es entstand im Verlauf ihrer Einvernahme jedoch der Eindruck, dass die Antworten der Zweitbeschwerdeführerin keinen tiefergehenden substantiellen Hintergrund aufwiesen.
So beschränkten sich ihre Antworten hinsichtlich ihrer vorgebrachten „westlichen Orientierung“ auf die Möglichkeit, einkaufen zu gehen und ohne Vorgaben außer Haus gehen zu können. Persönliche Freiheit bedeute für sie, sich kleiden zu können, wie sie wolle, und spazieren zu gehen, ohne dass jemand sie frage, wohin sie gehe. Damit zeigt sie keinen relevanten Unterschied zu ihrer bei der Einvernahme am 03.07.2018 beschriebenen Situation im Herkunftsstaat auf, wo sie zumindest Kleidung selbst eingekauft habe und zum Spazierengehen bzw. Wandern oder Picknicken ausgegangen sei.
Dem Bundesverwaltungsgericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich – vor allem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten – vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine in ihrer Grundeinstellung „westlich orientierte“ Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstaat unterliegen würde.
Aus den länderkundlichen Dokumenten geht hervor, dass in den Großstädten Afghanistans die von der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich gepflegte Lebensweise durchaus möglich ist.
Dies gilt auch für die minderjährigen Töchter der Zweitbeschwerdeführerin. Diese wären nach übereinstimmenden Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren im Herkunftsstaat nicht der Gefahr einer Zwangsverehelichung ausgesetzt, wobei diese Haltung der Eltern auch Bestandteil der tatsachenwidrig behaupteten Bedrohungssituation durch einen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin war.
Hinsichtlich der Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin und der jüngeren Brüder des Erstbeschwerdeführers wurden auch dieselben Verfolgungsgründe wie für den Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin behauptet. Die diesbezüglichen obigen Erwägungen sind daher auch für diese Angehörigen der Familie heranzuziehen.
Bezüglich der Feststellung, dass die Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin und der minderjährige Bruder des Erstbeschwerdeführers alleine aufgrund des Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt asylrelevanter Intensität zu befürchten hätte, wird auf die festgestellte Berichtslage verwiesen. Da eine Rückkehr der genannten Beschwerdeführer im Familienverband erfolgt, ist davon auszugehen, dass ihre Versorgung durch den Erstbeschwerdeführer wie vor der Ausreise sichergestellt ist. Sie haben Zugang zu Schulbildung wie der Drittbeschwerdeführer und – nach den Feststellungen der an sie ergehenden Beschwerdeentscheidung – die ältere Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bei ihrem Voraufenthalt im Herkunftsstaat
2.3. Zur Lebenssituation der Beschwerdeführer in Österreich und zur Rückkehrmöglichkeit nach Afghanistan
Die Feststellungen zur Möglichkeit einer Ansiedlung der Beschwerdeführer in Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif ergeben sich – unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan – aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben der Beschwerdeführer.
Was die generelle Sicherheitslage für die Zivilbevölkerung betrifft, ist festzuhalten, dass Herat und Mazar-e Sharif laut den getroffenen Länderfeststellungen in einer Provinz mit einer im landesweiten Vergleich stabilen Sicherheitslage liegen. In Mazar-e Sharif findet willkürliche Gewalt auf so geringem Niveau statt, dass kein reales Risiko für Zivilpersonen besteht, dadurch betroffen zu sein (vgl. EASO, Country Guidance 2020).
Die Beschwerdeführer können Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen. Entsprechend den aktuellen Länderinformationen werden auch die Straßen zwischen den etwas außerhalb des Stadtgebiets gelegenen internationalen Flughäfen und den Städten Herat und Mazar-e Sharif als generell sicher eingestuft (vgl. auch EASO, Country Guidance 2020).
Die Prognose, dass sich die Beschwerdeführer in Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen können, ergibt sich aus den Länderinformationen in Zusammenschau mit den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers. Es gibt keinen Anhaltspunkt, wieso der Erstbeschwerdeführer nicht in der Lage sein sollte, wie bereits 2010 und 2013/2014 bei den Voraufenthalten in Herat oder auch in Helmand seine Existenz und die seiner Familie – etwa auch durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten – zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden. Dass die Wohnraum-, Arbeitsmarkt- und Versorgungslage angespannt ist, ergibt sich aus den Länderberichten, wonach in großen Städten zwar an sich Wohnraum zur Verfügung steht, es jedoch eine erhebliche Anzahl an Rückkehrern gibt. Aus den in den Feststellungen zitierten Länderberichten geht aber hervor, dass es auf Grund der Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt zwar schwierig, aber insbesondere im Bereich der Gelegenheitsarbeiten ohne besondere Vorkenntnisse möglich ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und auf diese Weise ein Einkommen auf dem dort üblichen Niveau zu erzielen.
Die Beschwerdeführer sind mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten aufgrund des Aufenthalts in Afghanistan in einem afghanischen Familienverband vertraut. Sie beherrschen Dari auf muttersprachlichen Niveau, sodass ihnen eine Verständigung in Afghanistan problemlos möglich sein wird. Dem in Österreich geborenen Sechstbeschwerdeführer ist eine allenfalls erforderliche Anpassung nach der Rückkehr im Familienverband möglich. Wie bereits festgestellt, ist der gesunde Erstbeschwerdeführer arbeitsfähig und arbeitswillig. Der volljährige Drittbeschwerdeführer hat im Herkunftsstaat zwei Jahre eine Schule sowie davor im Iran vier Jahre lang eine Schule besucht und im Betrieb des Erstbeschwerdeführers erste Berufserfahrung erworben. Zudem hat der Erstbeschwerdeführer im Vorfeld der Ausreise Richtung Europa langjährig sowohl in Afghanistan als auch im Iran den Lebensunterhalt der Familie durch Ausübung unterschiedlicher beruflicher Tätigkeiten finanziert, sodass er seine Selbsterhaltungsfähigkeit bereits in der Vergangenheit sowohl im Herkunftsstaat als auch im Ausland unter Beweis gestellt und berufliche Erfahrungen gesammelt hat, welche er sich auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan und Niederlassung in einem urbanen Gebiet zu Nutze machen könnte. Der Erstbeschwerdeführer konnte sowohl als Auto-Spengler als auch als Taxilenker in Afghanistan und im Iran eigenständig für seinen Lebensunterhalt aufkommen, wobei er laut eigenen Angaben und auch jenen der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers wirtschaftlich erfolgreich agiert hat. Er brachte nicht vor, je von einer finanziellen Notlage betroffen gewesen zu sein und nannte auch sonst keine Umstände, welche zur Annahme führen würden, dass dieser einer Rückkehr nicht mehr in der Lage sein sollte, durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit für den Lebensunterhalt der Familie aufzukommen.
Weiters stehen die Beschwerdeführer in Kontakt zu den im Iran lebenden Eltern und Brüdern des Erstbeschwerdeführers, Drittbeschwerdeführers und Viertbeschwerdeführers, welche ihnen im Bedarfsfall, allenfalls anteilsmäßig, finanzielle Unterstützung zukommen lassen könnten.
Laut den vorliegenden Länderberichten bestehen für Rückkehrer und Binnenvertriebene zudem Möglichkeiten, von in Afghanistan ansässigen Hilfsorganisationen unterstützt zu werden. Zur Erleichterung einer Rückkehr könnten die Beschwerdeführer zudem eine finanzielle Rückkehrhilfe gemäß § 52a BFA-VG in Anspruch nehmen. Diese könnten den Lebensunterhalt anfänglich durch Gelegenheitsabreiten erwirtschaften und Unterstützung durch in Afghanistan ansässige Hilfsorganisationen in Anspruch nehmen, sodass auch eine Niederlassung in ihrem Herkunftsstaat mit keinen unüberwindbaren Schwierigkeiten einherginge.
Auch die aktuelle Situation in Afghanistan betreffend die Covid-19-Pandemie ändert nichts an der Zumutbarkeit der Rückkehr nach Afghanistan, da die physisch gesunden Beschwerdeführer weder bezogen auf ihr Alter, noch auf den Gesundheitszustand zur besonderen Risikogruppe für eine schwere Covid-19-Erkrankung zählen und die Anzahl an Covid-19-Infizierten in Afghanistan im Vergleich zur Gesamtbevölkerung noch gering ist und keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung der Beschwerdeführer gegeben sind. Nach den Feststellungen unternehmen die afghanischen Behörden Anstrengungen zur Eindämmung der Pandemie und erhalten dafür auch Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft. Soweit in Zusammenhang mit der Eindämmung der Pandemie vorübergehend Ausgangssperren in einer Reihe von afghanischen Städten verhängt worden sind, von denen insbesondere Tagelöhner betroffen waren, so handelte es sich bei den genannten Sperren um temporäre Maßnahmen. Aus jetziger Sicht darf davon ausgegangen werden, dass diese nach einem Abklingen der Krise wieder gelockert werden, sodass es dem Erstbeschwerdeführer möglich sein wird, sich am Arbeitsmarkt zurechtzufinden und sich mit Hilfsarbeiten entsprechend den dortigen Anforderungen ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Die eingetretenen Einschränkungen des Wirtschaftslebens und der Preisanstieg von Grundnahrungsmitteln führen nicht dazu, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr eine ausweglose Lebenssituation vorfinden würden. Die Bewegungsfreiheit innerhalb Afghanistans ist laut dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zuletzt nicht eingeschränkt, temporäre Unterkunftsmöglichkeiten waren geöffnet. Die Beschwerdeführer haben im Verfahren auch keine konkreten Rückehrbefürchtungen in Zusammenhang mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie geäußert. Es liegen bei den Beschwerdeführern somit keine außergewöhnlichen Umstände im Zusammenhang mit Covid-19 vor.
Den Beschwerdeführern ist demnach aufgrund der individuellen Umstände im vorliegenden Fall - der Erstbeschwerdeführer war bereits in der Vergangenheit als gesunder Mann ohne Vulnerabilitätsaspekte, welcher über Schulbildung sowie langjährige Berufserfahrung in unterschiedlichen Bereichen in Afghanistan und im Iran verfügte, nach der Rückkehr aus dem Iran nach Herat, nach der Übersiedlung nach Helmand und neuerlichem Umzug nach Herat jeweils in der Lage, den Lebensunterhalt der Familie zu erwerben - ein wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen in den urbanen Zentren, insbesondere in Herat oder Mazar-e Sharif, möglich.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich die Beschwerdeführer nach anfänglichen Schwierigkeiten in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen können.
Die Feststellung, dass es der Zweitbeschwerdeführerin möglich und zumutbar wäre, sich in Herat oder in Mazar-e Sharif niederzulassen, basiert ebenfalls auf einer Zusammenschau der länderspezifischen Feststellungen mit den bei der Zweitbeschwerdeführerin vorliegenden persönlichen Umständen.
Festzuhalten ist zunächst, dass es der Zweitbeschwerdeführerin alleine nicht möglich und zumutbar wäre, sich in dort niederzulassen. Zwar handelt es sich bei der Zweitbeschwerdeführerin um eine junge und arbeitsfähige Frau, die bisher im Iran und in Afghanistan gelebt hat. Wie sich aus den insoweit glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin ergibt, hat diese jedoch keine Schulbildung, verfügt über keine Berufsausbildung und ist noch nie selbst für ihren Unterhalt aufgekommen.
Da es aber ihrem Ehemann, dem Erstbeschwerdeführer – wie bereits ausführlich dargelegt – möglich wäre, für den Unterhalt der Zweitbeschwerdeführerin zu sorgen und dies auch in der Vergangenheit getan hat, wäre der Zweitbeschwerdeführerin eine Rückkehr im Familienverband sehr wohl möglich und zumutbar.
Da nach den Länderfeststellungen in Herat der Zugang zu Psychiatern und Psychologen angeboten wird und in Mazar-e Sharif durch Einrichtungen Leistungen im Bereich der psychischen Gesundheit erbracht werden, ist für die Zweitbeschwerdeführerin auch eine Fortsetzung der Therapie wegen des zuletzt diagnostizierten depressiven Zustandsbildes möglich.
Die Feststellung, dass es dem Drittbeschwerdeführer möglich und zumutbar wäre, sich in Herat oder in Mazar-e Sharif niederzulassen, basiert auf einer Zusammenschau der länderspezifischen Feststellungen mit den beim Drittbeschwerdeführer vorliegenden persönlichen Umständen.
Diesbezüglich sind seine Sprachkenntnisse (Dari), seine Schulbildung und seine grundsätzliche Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen. Bei einem vorerst weiteren Verbleib im Familienverband wäre es dem Drittbeschwerdeführer jedenfalls möglich, für seinen Unterhalt auszukommen, er könnte gemeinsam mit seinem älteren Bruder zum Gesamtfamilieneinkommen beitragen.
Es handelt sich bei den weiteren Beschwerdeführern um unmündige Minderjährige, die im Familienverband mit den Eltern bzw. dem Obsorgeberechtigten leben und weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügen. Eine Rückkehr im Familienverband ist den Beschwerdeführern zumutbar, da der Erstbeschwerdeführer in der Vergangenheit schon für das Familieneinkommen und damit auch für die Versorgung dieser Beschwerdeführer aufgekommen ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass diese Beschwerdeführer einem realen Risiko ausgesetzt wären, in eine existenzbedrohende Lage zu geraten. Dies gilt auch für die ältere Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin
Minderjährige Kinder gelten zwar vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen in Afghanistan als besonders vulnerable Antragsteller (gefährdet besonders durch Munitionsrückstände, körperliche Übergriffe durch Erwachsene, Zwangsverehelichung sowie auch durch die angespannte Versorgungslage). Doch im konkreten Fall bestehen intakte Familienverhältnisse und die Gefährdungen der weiteren Beschwerdeführer in Mazar-e-Sharif und Herat sind als relativ gering einzuschätzen, zumal sich derartige Beeinträchtigungen auch nicht vor der Ausreise der Beschwerdeführer ergeben haben.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Der Länderberichte wurde mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und in dieser in das Verfahren eingebracht; die Beschwerdeführer haben dazu keine Stellungnahme abgegeben.
Aus den vorliegenden Länderinformationen ist abzuleiten, dass die Lage in Afghanistan generell nach wie vor weder sicher noch stabil ist, dass jedoch hinsichtlich der Sicherheitslage zwischen den verschiedenen Provinzen und innerhalb der Provinzen zwischen den einzelnen Distrikten differenziert werden muss.
Nach wie vor gibt es Regionen, in denen eine relativ gute Sicherheitslage vorherrscht. Insbesondere in den großen Städten, die unter staatlicher Kontrolle stehen und die über die notwendige Infrastruktur und Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts verfügen (etwa Herat und Mazar-e Sharif). Die folgenden Umstände, die im gegenständlichen Fall im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geprüft wurden, wären in Betracht zu ziehen: Alter, Geschlecht, Familienstand, Gesundheitszustand, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, Kenntnisse der lokalen Bedingungen, Unterstützungsnetzwerk und Religion. Soweit von Relevanz kann verfügbare Reintegrationsunterstützung auch als zusätzlicher Faktor berücksichtigt werden, welche vorübergehend zur Reintegration in Afghanistan beiträgt (EASO-Country Guidance Afghanistan, S. 172f)
Auf Grund des sozialen und wirtschaftlichen Hintergrundes der Beschwerdeführer und unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass es diesen schon 2010 noch ihrer Rückkehr aus dem Iran nach Afghanistan jeweils möglich war, sich wirtschaftlich zunächst in Herat, nach etwa zwei Jahren in Helmand und dann wieder in Herat zu etablieren, ist davon auszugehen, dass dies für sie auch nunmehr bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat möglich und zumutbar ist. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es bei einer solchen Rückkehr zu einer Beeinträchtigung der besten Interessen der minderjährigen Beschwerdeführer kommen sollte, zumal es beim Voraufenthalt dem damals minderjährigen Drittbeschwerdeführer möglich war eine Schule zu besuchen und auch keine konkrete Gefährdung durch Kinderehen oder Kinderarbeit gegeben ist. Diese Beurteilung entspricht auch der Einschätzung durch EASO (Country Guidance Afghanistan, S. 175), wonach in einem solchen Fall eine Rückkehr von Familien mit Kindern möglich ist.
UNHCR hat in der Richtlinie vom 30.08.2018 zu einer IFA in Kabul festgehalten, dass angesichts der derzeitigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Situation in Kabul eine IFA in Kabul generell nicht verfügbar ist (s. S. 114).
Selbst wenn man der Richtlinie von UNHCR betreffend Kabul folgt, ist festzuhalten, dass eine solche Schlussfolgerung in Bezug auf eine IFA im Hinblick auf Mazar-e Sharif und Herat auch in den aktualisierten UNHCR-Richtlinien nicht enthalten ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher – auch unter Berücksichtigung der Länderberichte - derzeit nicht davon aus, dass eine IFA in Mazar-e Sharif und Herat angesichts der derzeitigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Situation ausgeschlossen ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).
Der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften ist iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zuletzt etwa VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; 28.11.2019, Ra 2018/19/0203) kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
3.1.2. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, kommt dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, im Vorfeld der Ausreise einer Bedrohung durch regierungsfeindliche Kräfte respektive durch einen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin ausgesetzt gewesen zu sein, keine Glaubhaftigkeit zu. Infolgedessen kann auch eine etwaige künftige Verfolgung aller Beschwerdeführer aus einem solchen Grund nicht als glaubhaft erachtet werden. Unabhängig davon bestünde für die Beschwerdeführer – selbst sie an den seinerzeitigen Aufenthaltsorten tatsächlich dem Risiko einer Verfolgung durch dort aktive regierungsfeindliche Kräfte oder einen dort ansässigen Cousin der Zweitbeschwerdeführerin unterliegen würden – die Möglichkeit, sich dieser Gefährdungslage im Wege der Inanspruchnahme einer zumutbaren innerstaatlichen Schutzalternative, insbesondere in Mazar-e Sharif, zu entziehen.
3.1.3. Soweit die Zweitbeschwerdeführerin eine Verfolgungsgefahr in Afghanistan aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau vorbrachte, vermochte sie eine individuelle und konkrete Betroffenheit einer allfälligen Verfolgung wegen der Verletzung sozialer Normen nicht aufzuzeigen. Die bloße Tatsache, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine afghanische Frau ist, ist für sich alleine genommen ohne Berücksichtigung ihrer konkreten und individuellen Lebensumstände im Herkunftsstaat, ihrer persönlichen Einstellung und Wertehaltung sowie ihres bisherigen Verhaltens nicht ausreichend, um mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgehen zu können.
Im Hinblick auf die herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß aufgrund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang ist überdies darauf hinzuweisen, dass sich laut jüngsten Länderberichten die Situation von Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017-0018). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer bedrohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (VwGH 22.03.2017, 2016/17/0388; vgl. auch VfGH 12.06.2015, E 573/2015-9).
Im gegenständlichen Fall führte das Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass die Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise keine „westliche Lebensweise“ angenommen hat, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemeinverbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Den bisherigen Aktivitäten und der Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass diese einen „westlichen“, selbstbestimmen Lebensstil anstrebt oder bereits pflegt. Auch eine entsprechende innere Wertehaltung konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt zudem dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß verletzt, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des derzeitigen Lebensstils) eine Verfolgung iSd GFK drohen würde.
3.1.4. Dass es den minderjährigen Beschwerdeführern in Afghanistan grundsätzlich nicht möglich wäre, künftig ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) zu führen, wurde im Hinblick auf ihre konkrete familiäre Situation und die Berichtslage nicht dargetan.
Zu prüfen bleibt, ob unter dem Aspekt der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ iSd GFK (z.B. Gruppe der Kinder) eine asylrelevante Verfolgungsgefahr alleine aufgrund des Alters der minderjährigen Beschwerdeführer bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan zu erwarten ist. Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen „Rasse, Religion und Nationalität“ überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine – nicht sachlich gerechtfertigte – Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (vgl. dazu VwGH 20.10.1999, 99/01/0197). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. etwa die UNHCR-Richtlinie zum Internationalen Schutz: „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ vom 07.05.2002, S. 2; Feßl/Holzschuster, AslyG 2005, 107, James C. Hathaway/Michelle Foster, „Membership of a Particular Social Group“, International Journal of Refugee Law Vol. 15 No. 3 (Juli 2003), 479; Guy S. Goodwin-Gill/Jane McAdam, The Refugee in International Law3 (2007), 79 f). Art. 10 Abs. 1 lit. d der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Statusrichtlinie) umschreibt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Die Annahme einer „sozialen Gruppe“, welcher die minderjährigen Beschwerdeführer als verfolgte Personen angehören könnten, scheidet jedoch im vorliegenden Fall aus: Mag es auch in Afghanistan häufig zu Kinderarbeit und Misshandlungen bis zu Missbrauch von Kindern und Jugendlichen kommen, würde die Annahme einer sozialen Gruppe aller minderjährigen Kinder in Afghanistan schon wegen der Disparität einer solchen Gruppe ohne zusätzliche Merkmale zu weit gehen. Dazu ist auch anzumerken, dass die Richtlinien des UNHCR zum Internationalen Schutz betreffend Asylanträge von Kindern zwar für die Zwecke dieser Richtlinie jede Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, als Kind definieren, jedoch immer wieder darauf hinweisen, dass unabhängig davon, dem tatsächlichen Reifegrad der betreffenden Person der Vorrang vor dieser Definition einzuräumen ist. Abgesehen davon ist aus der Berichtslage nicht ersichtlich, dass der Umstand, minderjährig zu sein, alleine Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen könnte. So trifft die minderjährigen Beschwerdeführer eine solche potentielle Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aufgrund eines besonderen Merkmals oder einer besonderen Eigenschaft oder eines Hintergrundes, der nicht verändert werden kann, und treffen die aufgezeigten Gefahren in Afghanistan auch nicht nur Minderjährige. Selbiges könnte beispielsweise auch auf junge Erwachsene ohne bestehenden Familienverband, Menschen mit Behinderung etc. zutreffen. Der Verfolgungsgrund zur Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe besteht dann, wenn die Verfolgung wegen bestehender Gruppenzugehörigkeit erfolgt, weshalb sich jene, die erst durch die Verfolgung zu einer sozialen Gruppe werden, nicht auf jenen Grund berufen können. Verfolgung aus diesem Konventionsgrund ist daher lediglich dann zu bejahen, wenn die Repression nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen (d.h. sie würden nicht verfolgt, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten) und sich die Anknüpfung an dieses Merkmal oder die auf dem Merkmal basierende konkrete Art der Unterscheidung nicht mit sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, sondern illegitim erscheint (vgl. Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 [2006], 105). Die für minderjährige Kinder potentiell bestehenden Gefahren treffen in Afghanistan aber, wie dargelegt, nicht nur Kinder bzw. Jugendliche, auch wenn diese – insbesondere bei Fehlen eines familiären Rückhalts – aufgrund ihrer Schutzlosigkeit leichtere Opfer sind, sondern durchaus auch andere Personengruppen.
Es ist richtigerweise – auch angesichts der Berichtslage – davon auszugehen, dass ein erhöhtes Risiko besteht, dass alleinstehende Jugendliche und junge Männer Opfer von Kriminalität oder Zwangsrekrutierung werden. Diese Verfolgung trifft sie aber nicht, weil sie einer bestimmten sozialen Gruppe angehören, sondern weil sie den Verfolgern leichter zur Verfügung stehen und diesen weniger entgegenzusetzen haben. Es handelt sich nicht um eine Verfolgung aufgrund der Stellung als Kind bzw. Jugendlicher, sondern um die Heranziehung des jeweils Schwächsten für die Ziele der jeweiligen Verfolger. Dieser Aspekt begründet aber für sich genommen keine Asylrelevanz, sondern ist bei der Frage zu berücksichtigen, ob subsidiärer Schutz zu gewähren ist.
In Bezug auf die in Betracht kommenden Risiken ist zudem wesentlich, dass von den Beschwerdeführern nicht dargelegt wurde, dass konkret ihnen die Verwirklichung eines solchen Risikos mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe. Hinweise darauf, dass gerade die minderjährigen Beschwerdeführer aufgrund von Eigenschaften, die sie von anderen in Afghanistan aufhältigen Personen maßgeblich unterscheiden würden, besonders von jenen Risiken betroffen wären, haben sich im Verfahren nicht ergeben. Vielmehr geht es um allgemein in Afghanistan mögliche Gefährdungspotentiale, die generell aufgrund der notorischen Situation im Herkunftsstaat vorhanden sind, sodass weitestgehend (d.h. nicht nur die Beschwerdeführer betreffend) eine entsprechende allenfalls eintretende Möglichkeit einer Verfolgung gegeben ist. Eine Verfolgungsgefahr ist jedoch nach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Dass im Falle der minderjährigen Beschwerdeführer eine mehr als nur entfernte Möglichkeit einer Verfolgung bestünde, ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Eine allgemeine systematische Verfolgung von minderjährigen Kindern kann auf Basis der Quellenlage nicht angenommen werden und wurde von den Beschwerdeführern auch nicht behauptet. Prekäre Lebensbedingungen wie etwa im Fall von verwaisten Kindern und Jugendlichen, die ohne Unterstützung in sklavenähnlichen Verhältnissen leben müssen, können im Fall der minderjährigen, im Familienverband lebenden Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan ebenso wenig bejaht werden (vgl. etwa VwGH 09.07.2002, 2001/01/0281). Nach dem Gesagten begründet sohin die Minderjährigkeit der Beschwerdeführer (in Verbindung mit der allgemein prekären Lage im Herkunftsstaat) mangels Anknüpfung an einen Konventionsgrund keine Asylrelevanz.
3.1.5. Der Drittbeschwerdeführer ist vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat schon wegen seines mittlerweile eingetretenen Altern nicht der Gefahr ausgesetzt, nach einer Rückkehr Opfer von „bacha bazi“-Praktiken zu werden. Aus sonst hätte er keine Nachstellungen seitens eines etwaigen pädophilen Cousins der Zweitbeschwerdeführerin zu befürchten, da er nach eigenen Angaben in der Beschwerdeverhandlung selbst in der Lage gewesen sei, sich von diesem zu distanzieren.
3.1.6. In Ermangelung von den Beschwerdeführern individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob sie im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale – etwa wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara – unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden „Gruppenverfolgung“ ausgesetzt wären.
Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht finden:
Den oben zitierten Länderberichten ist u.a. zwar zu entnehmen, dass Schiiten – speziell jene, die der Volksgruppe der Hazara angehören – Diskriminierungen durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt sind und sich Diskriminierungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung äußern würden. In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials erreicht diese Gefährdung jedoch gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan lebende schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara – unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit – nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande). Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zur (auch) hier maßgeblichen Berichtslage bereits wiederholt festgehalten, dass auf deren Basis nicht davon ausgegangen werden kann, Angehörige dieser Volksgruppe würden in Afghanistan einer Gruppenverfolgung unterliegen (vgl. etwa VwGH 28.01.2020, Ra 2019/20/0404-10; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160; 28.03.2019, Ra 2018/14/0428).
Da eine Gruppenverfolgung – in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit – von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben ist und die Beschwerdeführer diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan haben, lässt sich aus diesem Vorbringen eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführer nicht ableiten.
3.1.7. Auch der mehrjährige Aufenthalt der Beschwerdeführer in Europa führt zu keiner individuellen und konkret gegen sie gerichteten Verfolgung als Rückkehrer. Die Beschwerdeführer haben im Verfahren auch keine konkreten Befürchtungen hinsichtlich einer möglichen Bedrohung wegen des langjährigen Auslandsaufenthalts geäußert. Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige Gruppenverfolgung kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden. So sind tausende Flüchtlinge aus Europa sowie aus Pakistan zurückgekehrt und es wurde nicht dargelegt, warum gerade die Beschwerdeführer einer entsprechenden Verfolgung ausgesetzt sein würde. Allfällige Diskriminierungen und Ausgrenzungen erreichen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht jenes Ausmaß, das erforderlich wäre, um von einer spezifischen Verfolgung aller Rückkehrer aus Pakistan oder Europa ausgehen zu können.
3.1.8. Da auch sonst keine konkrete gegen die Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung in ihrem Heimatstaat vorliegt und – angesichts der unter einem ergehenden gleichlautenden Entscheidung im Beschwerdeverfahren der älteren Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin - auch kein Anlass für die Gewährung desselben Schutzes im Familienverfahren vorliegt, waren im Ergebnis die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.
3.2.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist einem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 zu verbinden. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß Abs. 3 leg.cit. bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
3.2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (s. zuletzt VwGH 09.11.2020, Ra 2020/20/0373-7).
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.
Überdies hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 23.03.2017, Ra 2017/20/0038 bis 0040; 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, jeweils mwN; sowie EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff; EGMR 01.10.2019, 57467/15, Savran gegen Dänemark, Rz 44 ff ).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 05.09.2013, 61204/09, I gegen Schweden; siehe dazu auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; 05.12.2017, Ra 2017/01/0236;).
Für den hier in Rede stehenden Herkunftsstaat Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134; 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 13.09.2016, Ra 2016/01/0096; 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf die seit 2013 bestehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).
3.2.3. Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den „Antrag auf internationalen Schutz“ und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).
Nach der Rechtsprechung des VwGH zu § 11 Abs. 1 AsylG 2005 (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, Rn. 14-24; 29.05.2019, Ra 2019/20/0208, mwN) ist im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung das Kriterium der "Zumutbarkeit" gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen. Die Frage der Zumutbarkeit soll danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein „relativ normales Leben“ ohne unangemessene Härte führen kann. Dabei ist gemäß § 11 Abs. 2 AsylG 2005 (Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie) auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen. Der Verwaltungsgerichtshof hielt fest, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates selbstverständlich wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Es muss dem Asylwerber aber auch möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss.
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 123, mwN). Weiters entspricht es in Bezug auf Afghanistan der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er keine Angehörigen in Afghanistan hat (vgl. auch dazu VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 124, mwN; 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Zur Beurteilung der Rückkehrsituation sind laut höchstgerichtlicher Rechtsprechung hinreichend aktuelle Länderberichte heranzuziehen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl. etwa VfSlg. 19.466/2011; VfGH 21.09.2012, U 1032/12; 26.06.2013, U 2557/2012; 11.12.2013, U 1159/2012 ua.; 11.03.2015, E 1542/2014; 22.09.2016, E 1641/2016; 23.09.2016, E 1796/2016; 27.02.2018, E 2124/2017; 12.12.2019, E 3369/2019-9). Im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ordnet Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) an, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des UNHCR oder des EASO, eingeholt werden; diesen misst das Unionsrecht auch sonst besonderes Gewicht bei (vgl. zB auch Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes [Verfahrensrichtlinie] und etwa EuGH 30.05.2013, Rs. C-528/11, Halaf, Rz 44). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfSlg. 20.021/2015, 20.166/2017; VfGH 24.09.2018, E 761/2018; 30.11.2018, E 3870/2018; VfGH 12.12.2019, E 3369/2019-9) und des Verwaltungsgerichtshofes (jüngst etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 07.06.2019, Ra 2019/14/0114; 31.10.2019, Ra 2019/20/0309) ist diesen Berichten daher besondere Beachtung zu schenken.
Die Berichtslage zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Afghanistan zeigt auf, dass die Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes zwar weiterhin volatil bleibt, das Ausmaß der Gewalt und die Betroffenheit von Zivilisten laut den vorliegenden Statistiken jedoch je nach Region unterschiedlich sind und willkürliche Gewalt in Afghanistan und insbesondere in den unter Kontrolle der Regierung stehenden urbanen Gebieten nicht in einem solchen Ausmaß stattfindet, als dass jeder Staatsbürger durch die bloße Anwesenheit auf dem Stadtterritorium konkret gefährdet ist, einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu erleiden.
3.2.3.1. Vor diesem Hintergrund ist für den vorliegenden Fall zunächst festzuhalten, dass die Beschwerdeführer zwar langjährig im Iran gelebt haben, sich aber von 2010 bis 2014 in Afghanistan in Herat und Helmand aufgehalten haben und dort auch wirtschaftlich integriert waren.
Die Beschwerdeführer können zufolge den Feststellungen – unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan – aus den oben angeführten Länderberichten zu den Provinzen Balkh und Herat in Zusammenschau mit den persönlichen Lebensumständen der Beschwerdeführer in zumutbarer Weise auf eine Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif verwiesen werden, wo sie eine ausreichende Sicherheitslage und durch Erwerbstätigkeit des Erstbeschwerdeführers und gegebenenfalls des Drittbeschwerdeführers eine zumutbare Lebensgrundlage vorfinden.
Es trifft nach der Rechtsprechung des VwGH (Ra 2021/20/0026 vom 11.02.2021) in dieser Allgemeinheit nicht zu, dass nach den „UNHCR-Richtlinien“ und den „EASO-Guidelines“ eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan lediglich alleinstehenden, gesunden und arbeitsfähigen Männern, nicht aber Familien „mit Frau und Kindern“ offenstehe. Angesichts der eine besondere Konstellation im vorliegenden Einzelfall bildenden hervorgehobenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die der Erstbeschwerdeführer beim Voraufenthalt der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat gezeigt hat, ist eine Rückkehr der Beschwerdeführer möglich und zumutbar.
Da die Zweitbeschwerdeführerin in Herat und Mazar-e Sharif gemäß den Feststellungen Zugang zu einer Behandlung der gesundheitlichen Beeinträchtigung hat, ergeben sich auch daraus keine Gründe für die Gewährung von subsidiärem Schutz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies zuletzt festgehalten, dass der bloße Verweis auf wirtschaftliche Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung des SARS-CoV-2 Virus, ohne aufzuzeigen, von welchen konkreten Auswirkungen der Beschwerdeführer betroffen gewesen wäre, keine exzeptionellen Umstände darlegt, nach denen im Fall der Ansiedelung in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan in Betracht kommenden Orten die reale Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK garantierten Rechte zu gewärtigen oder die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative unzumutbar wäre (vgl. VwGH 05.10.2020, Ra 2020/20/0329-6, Rz 10ff). In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung bereits klargestellt wurde (vgl. zuletzt VwGH 18.12.2020, Ra 2020/20/0416-6; 09.11.2020, Ra 2020/20/0373-7), dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. auch VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0297; 02.07.2020, Ra 2020/20/0212; 03.07.2020, Ra 2020/14/0255).
Die Beschwerdeführer haben im Verfahren keine individuellen Rückkehrbefürchtungen im Hinblick auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie genannt. Der Verweis in den Länderberichten auf steigende Lebensmittelpreise, den „Lockdown“ sowie den (ehemals) eingeschränkten Flugverkehr und die erschwerte Möglichkeit, Arbeit und Wohnraum zu finden – zeigt nicht auf, dass den Beschwerdeführern die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar wäre (vgl. VwGH 07.10.2020, Ra 2020/14/0432, Rz 16, mwN).
3.2.3.2. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der Beschwerdeführer ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass sie im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass den Beschwerdeführern dort eine Ansiedlung möglich und auch zumutbar ist. Die Beschwerdeführer haben im Verfahren vor dem Bundesamt sowie in der Beschwerde nicht detailliert und konkret dargelegt, dass exzeptionelle Umstände vorliegen, die ein reales Risiko einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten.
Im Ergebnis waren daher die Beschwerden auch hinsichtlich Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung stellen sich die maßgeblichen Rechtsgrundlagen wie folgt dar:
3.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Das AsylG 2005 regelt in seinem 7. Hauptstück die Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie das Verfahren zur Erteilung derselben. Die darin enthaltenen Bestimmungen lauten auszugsweise:
„Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK
§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung‘ zu erteilen.
[…]
Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) – (4) […]
Antragstellung und amtswegiges Verfahren
§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. (3) – (13) […]“
Die maßgeblichen Bestimmungen des 7. und 8. Hauptstücks des FPG lauten:
„Abschiebung
§ 46. (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn
1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.
(2) – (6) [...]
[...]
Verbot der Abschiebung
§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
[...]
Rückkehrentscheidung
§ 52. (1) (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wirdund ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) – (8) [...]
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) – (11) […]
[...]
Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) – (5) […]“
§ 9 BFA-VG lautet wie folgt:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) – (6) [...]“
3.3.2. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
3.3.3. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch die Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurden. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.
3.3.4. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).
3.3.4.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
3.3.4.2. Die Beschwerdeführer haben keine ausgeprägten familiären Bindungen in Österreich, sodass eine Rückkehrentscheidung nicht geeignet ist, einen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Familienlebens zu begründen, zumal sie alle ebenso wie die ältere Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin von gleichlautenden Entscheidungen betroffen sind.
3.3.4.3.1 Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH).
Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).
3.3.4.3.2. Im vorliegenden Fall halten sich die Beschwerdeführer seit der Antragstellung im Februar 2016 im Bundesgebiet auf, wo sie nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorläufigen Aufenthaltsrechts im Asylverfahren verfügt haben. Die Beschwerdeführer sind illegal nach Österreich eingereist und stellten in weiterer Folge jeweils den im Ergebnis nicht berechtigten Antrag auf internationalen Schutz, den sie auf eine tatsachenwidrige Sachverhaltskonstruktion zu stützen versucht haben. Die Dauer der Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt gegen Norwegen, Appl. 47017/09).
Eine intensiv ausgeprägte Integration des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich liegt unter Berücksichtigung ihrer rund fünfjährigen Aufenthaltsdauer nicht vor; es ist der Zeitraum des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH) und der oben getroffenen Ausführungen jedenfalls nicht als sehr lang anzusehen. Die Beschwerdeführer haben sich zwar Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet, aber trotz des Besuchs mehrerer Deutschkurse kein Sprachdiplom erworben. Sie waren im Bundesgebiet bislang nicht selberhaltungsfähig, gingen keiner Erwerbstätigkeit nach und haben keine Schritte gesetzt, um einen Eintritt ins Erwerbsleben vorzubereiten. Sie haben ehrenamtlichen Tätigkeit ausgeübt. Die Beschwerdeführer haben zufolge der Darstellung ihrer Routinen im Alltagsleben keine Bindungen in sozialer oder wirtschaftlicher Hinsicht zum Bundesgebiet dargetan, sodass eine erfolgte Integrationsverfestigung nicht festzustellen war.
Der Drittbeschwerdeführer hat gute Kenntnisse der deutschen Sprache, hat den Pflichtschulabschluss erworben und betreibt eine weitere Ausbildung an einer HTL, die minderjährigen Viert- und Fünftbeschwerdeführer besuchen ebenso wie die ältere Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin Pflichtschulen.
Die Beschwerdeführer mit Ausnahme des in Österreich geborenen Sechstbeschwerdeführers verbrachten den Großteil bzw. einen beträchtlichen Teil des Lebens im Iran und in Afghanistan. Sie wurden auch im Iran in einem in afghanischen Umfeld sozialisiert und der Drittbeschwerdeführer besuchte in diesen Staaten auch Schulen. Es ist daher davon auszugehen, dass sich diese Beschwerdeführer in die dortige Gesellschaft problemlos wieder eingliedern können. Dies wird angesichts des Umstandes, dass seine Beziehungen angesichts seines Alters im Wesentlichen auf die Familie konzentriert sind, auch für den in Österreich geborenen Sechstbeschwerdeführer möglich sein.
Das Interesse der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung etwaiger privater Kontakte in Österreich ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei seinem Aufenthalt im Bundesgebiet stets seines unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus bewusst sein musste: Sie durften sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der als unbegründet abzuweisen war (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347, 26.02.2004, 2004/21/0027, 27.04.2004, 2000/18/0257; vgl. auch EGMR 08.04.2008, Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).
Um von einem für die Abwägungsentscheidung relevanten Grad an Integration (§ 9 Abs. 2 Z. 4 BFA-VG) ausgehen zu können, müssen sich die betroffenen Minderjährigen während ihrer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet bereits soweit integriert haben, dass aus dem Blickwinkel des Kindeswohles mehr für den Verbleib im Bundesgebiet als für die Rückkehr in den Herkunftsstaat spricht, und dieses private Interesse mit dem öffentlichen Interesse eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und damit des Zu-sammenhalts der Gesellschaft in Österreich korreliert. Aus der Sicht der Minderjährigen be-deutet dies vor allem, dass sie sich gute Kenntnisse der deutschen Sprache aneignen, ihre Aus- und/oder Weiterbildung entsprechend dem vorhandenen Bildungsangebot wahrnehmen und sich mit dem sozialen und kulturellen Leben in Österreich vertraut machen, um - je nach Alter fortschreitend - am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich teilnehmen zu können. (VwGH 25.04.2019, Ra 2018/22/0251 mwN)
Aus den Feststellungen zu den minderjährigen Beschwerdeführern und auch zum gerade volljährig gewordenen Drittbeschwerdeführer ergibt sich, dass diese sich nicht nur gute Deutschkenntnisse angeeignet haben, sondern auch die Bildungsangebote wahrnehmen und sich mit dem sozialen und kulturellen Leben vertraut gemacht haben und weiterhin machen. Was dagegen aus dem Blickwinkel des Kindeswohls für eine Rückkehr spricht, ist die Bindung zu den Eltern bzw. zum Obsorgeberechtigten und das gesamte familiäre Netzwerk.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt betont, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt. (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 mwN) Die Beschwerdeführer halten sich den Feststellungen nach ein wenig – knapp einen Monat - länger als fünf Jahren rechtmäßig im Inland auf. Auch der VwGH hat eine Aufenthaltsdauer von mehr als fünf Jahren im Inland schon als einen bei der Interessensabwägung entscheidungswesentlichen Umstand genannt. (VwGH 09.12.2020, Ra 2020/18/0449) Fallbezogen hat demnach ins Gewicht zu fallen, dass die Beschwerdeführer sich mehr als fünf Jahre rechtmäßig im Inland aufhalten, wobei diese Dauer allerdings nur geringfügig überschritten wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z. 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt. (VwGH 21.05.2019, Ra 2019/19/0136 mwN)
Das entspricht auch der Rechtsprechung des VfGH, wonach der Umstand, dass sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste und somit nicht damit rechnen durfte, dauerhaft in Österreich bleiben zu können, einem Minderjährigen, der seine Eltern nach Österreich begleitete, nicht in jenem Maße zugerechnet werden kann wie seinen Obsorgeberechtigten. (Vgl. nochmals VfGH 10.03.2011, B1565/10 ua, Slg 19357)
Für eine Rückkehrentscheidung wider die Beschwerdeführer sprechen all dem gegenüber deren illegale Einreise, der Umstand, dass sie ihr Leben bisher überwiegend im Iran und im Herkunftsstaat verbracht haben und die Landessprache sprechen. Dazu kommt bei allen Beschwerdeführern das öffentliche Interesse daran, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.
Der Umstand der Anpassungsfähigkeit spielt allerdings auch bei der Beurteilung eine Rolle, ob Minderjährige einen Eingriff in ihr Privatleben durch eine gemeinsame Ausreise mit dem Obsorgeberechtigten deshalb hinzunehmen haben, weil dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des Obsorgeberechtigten eine überragende Bedeutung zukommt. (VwGH 25.04.2019 Ra 2018/22/0251 mwN)
Es ist unverkennbar, dass die Integrationsleistung von des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin weit hinter jener der anderen Beschwerdeführer zurückbleibt, was sich vor allem in den Sprachkenntnissen zeigt, aber auch im Ausmaß des Umgangs mit Ausbildungsmöglichkeiten.
Mit Blick darauf und auf die noch hinzutretende Straffälligkeit des Erstbeschwerdeführers und den Umstand, dass die Zweitbeschwerdeführerin bei einer durch Diversion erledigten Straftat betreten worden ist, hat das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin als den Obsorgeberechtigten überragende Bedeutung.
3.3.4.4. Den privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251). Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich.
Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
3.3.4.5. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.
Festzuhalten ist, dass es den Beschwerdeführern bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG auch nicht verwehrt ist, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (so auch VfSlg. 19.086/2010 unter Hinweis auf Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 861).
3.4. Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. zu erlassen. Es ist auch – wie bereits ausgeführt – kein Aufenthaltstitel nach § 57 leg.cit. von Amts wegen zu erteilen.
§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass den Beschwerdeführern kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Zusammenhang gegeben.
3.5. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234). Wird in einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz im Zusammenhang mit einer Rückkehrentscheidung eine amtswegige Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG getroffen (bzw. vom BVwG überprüft), so ist diese Feststellung, soweit sie sich auf den Herkunftsstaat bezieht, (wegen der inhaltlichen Übereinstimmung des Prüfungsmaßstabs) nur die Konsequenz der Nichtgewährung von Asyl und von subsidiärem Schutz. In dieser Konstellation kommt ihr demnach nur die Funktion zu, den Zielstaat der Abschiebung festzulegen (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Zur Beurteilung im Lichte des § 52 Abs. 9 FPG kann – zumal dazu auch nichts gesondert vorgebracht wurde und auch (iSd. § 50 Abs. 3 FPG) keine Empfehlung des EGMR vorliegt – auf die Ausführungen iZm. §§ 3, 8 AsylG verwiesen werden (vgl. auch VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Der auf § 52 Abs. 9 FPG 2005 gestützte Ausspruch der belangten Behörde erfolgte daher zu Recht.
3.6. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 leg.cit. zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 leg.cit. 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist zur freiwilligen Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden (§ 55 Abs. 3 leg.cit.).
Da solche Umstände im Verfahren nicht hervorgekommen sind, hat das Bundesamt zu Recht eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, weshalb sich die Beschwerden gegen Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide ebenfalls als unbegründet erweisen (zur Festlegung der Frist einer freiwilligen Ausreise in Zusammenhang mit allfälligen Reisebeschränkungen angesichts der Covid-19-Pandemie siehe VwGH 25.11.2020, Ra 2020/19/0251-5).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
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