BVwG W129 1415578-5

BVwGW129 1415578-522.5.2015

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z2
FPG §52 Abs9
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z2
FPG §52 Abs9

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W129.1415578.5.00

 

Spruch:

W129 1415578-5/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter DDr. Markus GERHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch RA XXXX, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.02.2014, Zl. 13-525185804/2133490 AIS 12 13.649, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführerin (in weiterer Folge auch: BF), eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 06.07.2010 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz (in weiterer Folge auch als erster Asylantrag bezeichnet). Hiezu wurde sie am 06.07.2010 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab im Wesentlichen an, dass ihr Sohn, XXXX, bereits in Mödling als Asylwerber lebe. Hinsichtlich ihres Fluchtgrundes führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie Probleme mit dem Militär gehabt habe, da ihr Sohn die Heimat verlassen habe. Sie sei von vier maskierten und bewaffneten Soldaten belästigt worden. Diese seien immer wieder gekommen und hätten nach ihrem Sohn gefragt.

I.2. Am 07.09.2010 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter niederschriftlich einvernommen und machte im Wesentlichen Folgendes geltend:

Sie sei im August 2009 wegen ihres Brustkrebses operiert worden und habe im Herbst 2009 auch eine Chemotherapie absolviert. Sie gelte als geheilt, habe aber noch alle drei Monate Kontrollen beim Onkologen in Russland gehabt und wolle diese Kontrolltermine auch in Österreich fortsetzen.

In der Russischen Föderation verfüge sie noch über ihre Tochter, sowie über drei Schwestern und zwei Brüder. Ihre Eltern seien ebenso wie ihr Ex-Mann bereits verstorben.

Sie habe aus Tschetschenien flüchten müssen, da wegen ihres Sohnes immer wieder Maskierte bei ihr eingedrungen seien. Ihr Sohn habe sich an keinen Kämpfen beteiligt, habe jedoch im Jahr 2003 einmal den Kämpfern Wasser gegeben. Im Jahr 2007, als er mit ihrem Bruder zur Arbeit gegangen sei, sei er festgenommen worden. Sie hätten ihn zwei Tage später am Dorfrand wieder aufgefunden. Mitte August 2007 seien dann Maskierte in ihr Haus eingedrungen und hätten ihren Sohn mitgenommen. Nachdem sie Lösegeld in der Höhe von US$ 4.000 bezahlt habe, sei ihr Sohn nach zehn Tagen freigelassen worden. Danach habe sie ihn nach Europa geschickt, damit er in Sicherheit sei. Nach der Ausreise ihres Sohnes seien diese Maskierten dann oft zu ihr gekommen und hätten nach ihrem Sohn gefragt. Sie hätten wissen wollen, wo er sich aufhalte und wen er unterstützt habe. Es habe jedoch nie persönliche Übergriffe auf sie gegeben. Sie sei dann aber krank geworden und habe sich für die Behandlungen oft in Rostow aufgehalten. Aufgrund ihrer Erkrankung und der ständigen Belastung sei am 14.05.2010 ihre Mutter verstorben. Aufgrund der ständigen Belästigungen durch die Soldaten habe sie sich dann entschlossen auszureisen und habe ihre Tochter zu deren Vater gebracht. Nach ihrer Ausreise seien die Maskierten dann zu ihrem Ex-Mann gekommen und hätten gedroht, ihre Tochter mitzunehmen, sollte diese nicht den Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin und ihres Sohnes bekanntgeben. Ihr Ex-Mann habe einen Herzfehler gehabt und sei aufgrund der Aufregung durch die Soldaten an einem Herzinfarkt am 22.07.2010 gestorben. Seither lebe ihre Tochter bei der Schwester der Beschwerdeführerin.

Seitdem ihre Mutter verstorben sei, habe sie nichts mehr in Russland. Im Falle der Rückkehr würde sie von den Soldaten weiter belästigt werden. Auch ihre Brüder und Neffen seien, als sie mit diesen noch am gleichen Hof gewohnt habe - dies habe sie bis zur Ausreise -, immer wieder belästigt worden.

Die Beschwerdeführerin legte dem Bundesasylamt folgende Unterlagen vor:

• Russischer Pensionsversicherungsausweis;

• Russischer Inlandsreisepass;

• Diverse Befunde von russischen Ärzten und verschiedenen Kliniken in Rostow, aus welchen sich ergibt, dass die Beschwerdeführerin Anfang des Jahres 2009 an Brustkrebs gelitten hat und in Rostow mit einer Chemo- und Strahlentherapie erfolgreich behandelt wurde. Weiters hat diese im November 2009 an einer Gallenblasenentzündung sowie mehrmals an einem Gebärmuttermyom gelitten und wurden bei ihr im Juni 2010 knotige Veränderungen der Schilddrüse gefunden.

I.4. Mit Bescheid vom 07.09.2010, Zahl: 10 05.887-BAT, wies das Bundesasylamt den ersten Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.) und erkannte der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten nicht zu. Weiters erkannte das Bundesasylamt der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies diese gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.). Begründend führte das Bundesasylamt darin aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin derart vage und oberflächlich gewesen sei und diese nicht einmal auf mehrfache Nachfrage ein detailliertes und umfassendes Bild ihrer Fluchtgründe zeichnen habe können, dass deren Angaben keinerlei Glaubwürdigkeit beigemessen werden könne. Zudem habe auch der Sohn der Beschwerdeführerin sein Vorbringen, auf welchem die Beschwerdeführerin ihre Fluchtgeschichte aufgebaut habe, nicht glaubhaft machen können und sei dessen Asylantrag vom Bundesasylamt als unbegründet abgewiesen worden. Abgesehen davon habe sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auch keine konkrete individuelle Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat ergeben.

Hinsichtlich der Erkrankungen der Beschwerdeführerin sei auszuführen, dass diese nicht so schwerwiegend seien, dass diese die Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden. Die Beschwerdeführerin habe in Rostow eine umfassende medizinische Behandlung erhalten und gelte als geheilt. Sie bedürfe lediglich regelmäßiger Kontrolluntersuchungen. Sie habe in Tschetschenien einer Arbeit nachgehen können und habe problemlos ihren Unterhalt erwirtschaftet. Es sei somit nicht davon auszugehen - insbesondere auch in Anbetracht der dem Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgung in der Russischen Föderation -, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten würde.

I.5. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin durch persönliche Übernahme am 14.09.2010 rechtmäßig zugestellt. Die Rechtsmittelfrist ließ die Beschwerdeführerin ungenützt verstreichen, weswegen der Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.09.2010 am 28.09.2010 in Rechtskraft erwuchs. Die von der Beschwerdeführerin am 29.09.2010 eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 28.10.2010, Zl. D13 415578-1/2010/4E, gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Rechtsmittelfrist) wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 29.11.2010, Zahl: 10 05.887-BAT, gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom 29.11.2010 wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 14.03.2011, Zl. D13 415578-2/2010/2E, gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG idgF als unbegründet ab.

I.7. Am 10.05.2011 stellte die Beschwerdeführerin den zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Hiezu wurde sie am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab im Wesentlichen an, dass sich an ihren Fluchtgründen seit dem ersten Asylverfahren sehr viel verändert habe. Sie habe seit circa einem Monat keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter. Sie habe viel Negatives gehört und vermute, dass sich ihre Tochter verstecke, da diese vermutlich Probleme wegen des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Ausland bekommen habe. Auch habe sie gehört, dass ihr ältester Bruder vor kurzem verstorben sei, wobei die Todesursache unbekannt sei. Damit sei ihr jedoch klar geworden, dass sich die Situation für sie zu Hause verschlechtert habe. Zudem habe sich ihr psychischer Zustand verschlechtert.

Weiters habe sie am 19.04.2011 eine Vorladung der Bezirkshauptmannschaft Baden wegen ihres Aufenthaltes für den 04.05.2011 erhalten. An diesem Tag sei es ihr aber psychisch so schlecht gegangen, dass sie mit der Rettung ins Krankenhaus eingeliefert habe werden müssen.

Im Falle der Rückkehr fürchte sie inhaftiert zu werden oder spurlos zu verschwinden. Zudem könne sie Ladungen vom inneren Ministerium vorlegen. Die Änderung ihrer Fluchtgründe sei ihr seit etwa 10 Tagen bekannt. Sie stelle erst jetzt einen neuen Asylantrag, da sie das Schreiben der BH Baden erhalten und so schnell wie möglich zum Bundesasylamt gekommen sei. Abschiebetermin habe sie noch keinen.

I.8. Am 16.05.2010 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter niederschriftlich einvernommen und machte im Wesentlichen Folgendes geltend:

Sie habe einen zweiten Asylantrag gestellt, da ihr Sohn mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern in Österreich sei und sich nach wie vor im Asylverfahren befinde. Zudem habe sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert. Sie stehe in psychiatrischer und onkologischer Behandlung. Sie könne nicht nach Tschetschenien zurückkehren, da sie dort wegen ihres Sohnes Probleme bekommen würde und auch eigene Probleme habe. Damit meine sie jene, die sie bereits in ihrem ersten Asylverfahren geltend gemacht habe. Im Falle der Rückkehr werde sie spurlos verschwinden oder eingesperrt werden. Zudem sei sie psychisch so krank, dass sie gar nicht wisse, was sie tue. Sie würde eine Rückkehr nicht überleben, lieber würde sie sterben. Auf Vorhalt, dass sie jedoch in der Lage gewesen sei, selbst einen zweiten Asylantrag zu stellen, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie auf die Ratschläge anderer angewiesen sei und sie von ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter zu Informationsstellen gebracht worden sei. Ihre Schwiegertochter sei auch krank und leide an epileptischen Anfällen.

In Tschetschenien verfüge sie noch über drei Schwestern und einen Bruder, zu welchem sie aber keinen Kontakt mehr habe. Sie habe gehört, dass dieser angeblich nicht mehr am Leben sei, wisse aber nichts Genaues. Seit einem Monat habe sie keinen Kontakt mehr nach Tschetschenien. Dies deswegen, da sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter habe. Sie wisse nicht was los sei.

Hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Probleme legte die Beschwerdeführerin verschiedene Befunde österreichischer Ärzte und Krankenhäuser vor, aus welchen sich ergibt, dass diese am 04.05.2011 wegen einer Panikattacke ins Krankenhaus eingeliefert worden sei. Weiters leide sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer generalisierten Angststörung und stehe deswegen im AKH Wien in psychiatrischer Betreuung. Die Beschwerdeführerin leide zudem an Hyperthonie und an einer Polyneuropathie nach Chemotherapie.

I.9. Am 24.05.2011 langte beim Bundesasylamt die gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Frau Dr. med. Ilse XXXX, ein, welche bei der Beschwerdeführerin folgende Diagnose stellte:

Bei der Beschwerdeführerin liege keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vor. Es könne am ehesten eine generalisierte Angststörung festgestellt werden. Eine traumatypische Symptomatik im engeren Sinne könne hingegen nicht festgestellt werden, insbesondere keine Symptomatik, welche von der ICD-10 gefordert werde, um diese zu diagnostizieren. Vielmehr bestehe von Beginn an eine appellative, vorwurfsvolle und gesteigerte Darstellung. Im weiteren Verlauf der Untersuchung sei dann immer wieder vorgebracht worden, sich nicht erinnern zu können mit trotzigem Verhalten. Es bestehe der Eindruck eines forcierten Vorbringens. Im Falle der Überstellung in den Herkunftsstaat könne eine Verschlechterung der Befindlichkeit nicht sicher ausgeschlossen werden. Eine akute Suizidalität liege zum Untersuchungszeitpunkt nicht vor. Eine Reisefähigkeit liege bei gut eingestelltem Blutdruck und Kontrolle durch den Amtsarzt vor Reiseantritt grundsätzlich vor. Eine ärztliche Begleitung sei empfehlenswert.

I.10. Am 10.06.2010 wurde die Beschwerdeführerin neuerlich vom Bundesasylamt im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter niederschriftlich einvernommen und machte im Wesentlichen Folgendes geltend:

Sie könne nicht nach Hause zurück, da sich ihr psychischer Zustand sehr verschlechtert habe. Ihr Blutdruck sei zu hoch und habe sie Angstzustände und Schlafstörungen und müsse sie ständig Medikamente nehmen, ohne die sie nicht leben könne. Seit einer Woche habe sie starke Herzschmerzen und sei vor drei Tagen über die Caritas die Rettung gerufen worden. Sie sei sehr krank und habe Krebs dritten Grades. Dies sei in Tschetschenien festgestellt worden. Wegen ihrer Krebserkrankung stehe sie am Beginn einer Therapie. Sie glaube, dass es sich um eine Chemotherapie handle. Es stehe noch nicht fest, wo diese Therapie durchgeführt werde, sie müsse zuerst alle Befunde - vom Psychologen und Psychiater - dem AKH Wien vorlegen. Sie wisse nicht, was die Ärzte sagen, derzeit bekomme sie jedenfalls noch keine Chemotherapie, da die Ärzte versuchen würden, ihren Blutdruck zu stabilisieren.

Das von Dr. XXXX erstellte Gutachten stehe in krassem Widerspruch zu den von ihr vorgelegten Befunden und habe sie zudem nicht gewollt, dass dem Bundesasylamt bekannt werde, was sie Dr. XXXX erzählt habe. Man habe sie jedoch gezwungen zu unterschreiben, dass die ärztliche Schweigerpflicht von Dr. XXXX aufgehoben werde.

Sie könne nicht zulassen, dass sie von ihrem Sohn getrennt werde. Dieser und ihre Schwiegertochter würden sie seit ihrer Einreise in Österreich pflegen und ihre Medikamenteneinnahme kontrollieren. Auf Vorhalt, dass dies auch ihre Verwandten in Tschetschenien machen könnten, gab die Beschwerdeführerin an, dass dies in der Heimat nicht so leicht sei und es ihre Verwandten dort auch nicht so leicht hätten. Sie habe dort im Prinzip auch keine Verwandten mehr und seien die auch selbst krank.

Sie wohne mit ihrem Sohn in keinem gemeinsamen Haushalt mehr, da sie von dort abgemeldet worden sei und dort nicht mehr weiter wohnen dürfe. Sie würde es sich aber wünschen. Ihr Sohn kümmere sich aber um sie und sei sie von diesem abhängig.

I.11. In dieser Einvernahme legte die Beschwerdeführerin neben einer Zeitbestätigung des AKH Wien, eine Überweisung von Dr. Oleh KORSH, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 03.06.2011 vor, welcher die Beschwerdeführerin zu einem Vertragsfacharzt für Chirurgie wegen "irgendwas am Rücken, das operiert werden muss" überweist.

I.12. Mit Bescheid vom 27.07.2011, Zahl: 11 04.509-EAST Ost, wies das Bundesasylamt den zweiten Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (= Spruchpunkt I.) und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (= Spruchpunkt II.). Begründend führte das Bundesasylamt darin aus, dass sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt im Vergleich zu ihrem Erstverfahren ergebe. Die Beschwerdeführerin habe lediglich das Fortbestehen eines Sachverhaltes behauptet, der bereits rechtskräftig als unglaubwürdig und nicht asylrelevant bewertet worden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage, noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lasse, stehe die Rechtskraft des Erstverfahrens dem neuerlichen Antrag entgegen.

Hinsichtlich der vorgetragenen gesundheitlichen Probleme und der vorgelegten Befunde sei auszuführen, dass im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung von Dr. XXXX festgestellt worden sei, dass die Beschwerdeführerin an keiner belastungsabhängigen psychischen Störung leide, sondern lediglich eine generalisierte Angststörung bestehe. Eine solche sei in Anbetracht der Länderfeststellungen in der Russischen Föderation behandelbar bzw. seien dort auch entsprechende Medikamente erhältlich. Im Falle der Rückkehr würde die Beschwerdeführerin über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen, zumal in der Russischen Föderation eine Armenfürsorge gegeben sei. Die Beschwerdeführerin sei arbeitsfähig und könne einer Beschäftigung nachgehen. Zudem verfüge die Beschwerdeführerin in Tschetschenien nach wie vor über Angehörige, die ihr Unterstützung zuteil werden lassen können. Es sei somit nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in eine Art. 3 EMRK widersprechende Lage gedrängt würde. Betreffend eine allenfalls vorzunehmende Abschiebung sei darauf hinzuweisen, dass vor einer Abschiebung nochmals eine Prüfung dahingehend vorzunehmen sei, ob eine beabsichtigte Abschiebung eine EMRK-widrige Behandlung bedeuten würde.

Die Beschwerdeführerin lebe mit ihrem Sohn und dessen Familie in Österreich nicht in einem gemeinsamen Haushalt und sei nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin über ein qualifiziertes Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Sohn verfüge bzw. auf diesen zwingend angewiesen sei. Über sonstige familiäre oder private Anknüpfungspunkte verfüge die Beschwerdeführerin in Österreich nicht und stelle deren Ausweisung daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

I.13. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 17.08.2011 fristgerecht eine Beschwerde, in welcher sie den Bescheid in seinem vollen Umfang wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes anfocht und im Wesentlichen Folgendes ausführte:

Ihr gesundheitlicher Zustand sei nur unzureichend ermittelt worden, da die gutachterliche Stellungnahme offenbar nicht auf die psychologischen und psychiatrischen Befunde eingehe, die sie vorgelegt habe. Die diesbezüglichen Ergebnisse divergieren erheblich und sei nicht erkennbar, weswegen die anderen Fachärzte eine mindere fachliche Qualifikation aufweisen sollen oder irgendein Interesse hätten, unrichtige Befunde zu erstellen. Es sei somit dringend erforderlich ein Obergutachten erstellen zu lassen, um ihren Gesundheitszustand abschließend beurteilen zu können. Es werde zudem mit keinem Wort der Konnex zwischen dem extrem verschlechterten Gesundheitszustand und der ständig bestehenden Gefahr der Trennung von ihrem Sohn thematisiert. Dies habe sich insbesondere am 04.05.2011 gezeigt, als ihr bei der Bezirkshauptmannschaft Baden mitgeteilt worden sei, dass sie ausreisen solle. Aufgrund der Aufregung sei sie kollabiert und sei mehrere Minuten nicht ansprechbar gewesen. Schließlich sei die Rettung gerufen und sich ins LKH Baden gebracht worden. Auch sonst sei sie wegen derartiger Zusammenbrüche schon mehrfach ins Krankenhaus gebracht worden. In die Beurteilung hätte somit jedenfalls mit einfließen müssen, in wie weit sich ihr Gesundheitszustand im Falle einer Trennung von ihrem Sohn weiter verschlechtern würde.

Keine Ermittlungen seien zudem hinsichtlich des plötzlichen Verschwindens ihrer Tochter erfolgt, obwohl dieses spurlose Verschwinden einer nahen Angehörigen aufgrund ihres Auslandsaufenthaltes auch für eine Gefahr im Falle ihrer Rückkehr spreche.

Auch liege keine entschiedene Sache vor, da sich der Sachverhalt sowohl hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Situation als auch im Hinblick auf das Verschwinden ihrer Tochter und des Todes ihres Bruders maßgeblich verändert habe.

Sie stehe offenkundig in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Sohn und habe mit diesem seit ihrer Ankunft in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. In dieser Zeit sei sie von ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter gepflegt worden und hätten sich diese auch darum gekümmert, dass sie zur richtigen Zeit ihre Medikamente einnehme. Aufgrund der Vielzahl der ihr verschriebenen Medikamente sei dies auch unbedingt erforderlich, da sie den Überblick darüber verloren habe. Sowohl in der Erledigung der täglichen Arbeit als auch in psychischer Hinsicht hätten sie diese unterstützt. Nach der negativen Entscheidung in ihrem Erstverfahren habe sie die Unterkunft verlassen müssen und wohne nunmehr alleine in Wien. Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter kommen sie dort jedoch sehr oft besuchen und setzen so ihre Unterstützungshandlungen fort.

I.14. Diese fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes, GZ. D13 415578-3/2011/3E vom 31.08.2011 gemäß § 68 Abs 1 AVG und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

Beweiswürdigend hinsichtlich des Vorbringens zur psychischen Situation der Beschwerdeführerin führte der Asylgerichtshof dabei insbesondere aus:

"Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten psychischen Erkrankungen (posttraumatische Belastungsstörung, generalisierte Angststörung) muss dieser die gutachterliche Stellungnahme von Dr. XXXX vom 24.05.2011 entgegen gehalten werden, welche zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt ist, dass bei der Beschwerdeführerin keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliegt. Dr. XXXX hat das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bei der Beschwerdeführerin somit eindeutig ausgeschlossen. Sie konnte nach Untersuchung der Beschwerdeführerin "am ehesten" eine generalisierte Angststörung feststellen, wobei sie in ihrer Stellungnahme mehrmals darauf hinweist, dass bei der Beschwerdeführerin der Eindruck und der Verdacht eines forcierten Vorbringens entstanden ist, da diese von Beginn an ihre Beschwerden vorwurfsvoll und gesteigert dargestellt hat und im weiteren Verlauf der Untersuchung zu einem trotzigen Verhalten übergegangen ist. Dass die Beschwerdeführerin an einer psychischen Krankheit leidet, die ihrem Refoulement nach Tschetschenien entgegen steht, kann in Anbetracht der Stellungnahme von Dr. XXXX somit gänzlich ausgeschlossen werden, sondern drängt sich beim zuständigen Einzelrichter auch in diesem Zusammenhang - insbesondere auch im Hinblick auf die Einschätzung von Dr. XXXX, es liege bei der Beschwerdeführerin ein forciertes Vorbringen vor - neuerlich der Verdacht auf, die Beschwerdeführerin hat zur Erlangung von subsidiärem Schutz um jeden Preis ihr Vorbringen hinsichtlich ihres psychischen Status massiv gesteigert, ohne dass hiefür eine ausreichende Grundlage vorhanden wäre. In Summe hat sich somit auch der psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im Hinblick auf das Erstverfahren nicht verschlechtert, sodass kein entscheidungsrelevant geänderter Sachverhalt vorliegt.

Selbst wenn die Beschwerdeführerin zukünftig einer psychologischen Behandlung bedürfen würde, muss neuerlich auf die zugrunde gelegten Länderfeststellungen insbesondere hinsichtlich der medizinischen Versorgung in der Russischen Föderation verwiesen werden, aus welchen sich eindeutig eine ausreichende medizinische Grundversorgung auch im Bereich der psychologischen Betreuung nach wie vor ergibt. Auch die generalisierte Angststörung der Beschwerdeführerin stellt daher keine solch schwere Erkrankung dar, die ihrem Refoulement nach Tschetschenien entgegenstehen würde bzw. sich eine entscheidungsrelevante Änderung des Sachverhaltes daraus nicht ergeben würde."

I.15. Am 1.10.2012 stellte die Beschwerdeführerin vor der Polizeiinspektion Traiskirchen den nunmehr gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz und gab im Rahmen der am 01.10.2012 durchgeführten Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Wesentlichen an, dass sie krank sei und psychische Probleme und gesundheitliche Probleme habe.

Befragt nach neuen Gründen, gaben die Beschwerdeführerin an, dass sie große Angst und großen Druck und Stress hätte. Ihre Tochter lebe noch in der Heimat und halte sich dort versteckt, da ihr Gefahr drohe. Dies belaste sie sehr.

Befragt hinsichtlich der Befürchtungen in der Heimat, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie Angst um ihr Leben hätte. Sie wüsste nicht, was sie in der Heimat erwarte. Sie sei nach ihrer Erkrankung geschwächt und könne das nicht ertragen. Hinweise auf unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe, die drohe ihr im Falle der Rückkehr drohe, konnte die Beschwerdeführerin nicht nennen.

Befragt, ob die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, gab sie an, dass sie das nicht genau wüsste, von wem die Gefahr ausgeht. Es könnten Regierungsleute sein.

Befragt, warum stellen sie erst jetzt einen (neuerlichen) Asylantrag stelle, gaben sie an, dass ihr neuer Rechtsanwalt ihr geraten habe, jetzt zu kommen. Ihr alter Rechtsanwalt habe ihr nicht gesagt, dass ihr zweiter Asylantrag negativ entschieden worden sei.

Sie legte eine Psychotherapeutische Bestätigung einer Psychotherapeutin des Vereins Hemayat vom 04.09.2012 vor, woraus mitgeteilt wurde, dass sie unter depressiven Episoden sowie Angst und Unruhezuständen, teilweise verbunden mit Suizidgedanken leide. Daneben bestehen wiederholende Schmerzattacken nach Chemotherapie wegen Mammacarcinom.

Weiters legte die Beschwerdeführerin einen klinischen Befundbericht, unterzeichnet von Ass-Prof. Dr. A. XXXX, AKH Wien vom 06.09.2012 vor. Hinsichtlich der Diagnose wird darin angeführt:

• Posttraumatische Belastungsstörung

• Rezidivierende depressive Störung, ggw. schwere Episode ohne psychotische Symptome

• Panikstörung

• ZnN. Mammae (Mastektomie re, 2009)

• Arzneimittel induzierte Polyneuropathie nach Chemotherapie

• Arterielle Hypertonie mit hyperintensiven Krisen

Weiters wurde darin ausgeführt, dass sich der Zustand der Patientin im letzten Jahr weiterhin verschlechtert habe. Es komme immer wieder zum Auftreten von Panikattacken und Suizidgedanken mit konkreten Plänen. Dzt. wäre die Patientin in hohem Maße suizidgefährdet.

Weiters wurde ein mit 13.8.2012 datierter Befund einer Röntgenordination vorgelegt, der zum Ergebnis kam, dass die Beschwerdeführerin "incipiente Zeichen einer Coxarthrose beidseits" habe und einen 5 mm höherstehenden Femurkopf aufweise.

Weiters wurde ein Patientenbrief über eine ambulante Behandlung in einem Krankenhaus der Stadt Wien vom 11.9.2012 vorgelegt (AS 53) sowie in weiterer Folge eine Behandlungsbestätigung eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 15.10.2012 wegen "PTBS.Larv.Depression.St.p.N.mammae 43 Art. Hypertonie".

I.16. Am 16.10.2012 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme verwies die Beschwerdeführerin auf ihren in Niederösterreich lebenden Sohn und dessen Familie, verwies auf ihre vormals vorgebrachten Fluchtgründe und auf Probleme, die mit ihrem Sohn in Zusammenhang stünden , ihre Nachbehandlung zur seinerzeitigen Krebsbehandlung und ihre psychischen Probleme. Weiters sei sie am Rücken operiert worden.

I.17. Am 27.11.2012 wurde die Beschwerdeführerin abermals vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen und verwies im Rahmen dieser Einvernahme abermals auf ihre angeschlagene Gesundheit und auf einen Selbstmordversuche, glaublich im September 2011.

I.18. Am 14.11.2012 wurde die Beschwerdeführerin einer Untersuchung im Rahmen der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren unterzogen. Dabei kam die Gutachterin Dr. XXXX zu dem Schluss dass keine belastungsabhängige psychische Störung vorliege. Lt. Schreiben ergebe sich heute kein Hinweis auf eine krankheitswertige Störung bzw. stellt sich die 2011 diagnostizierte Störung als Vollremission dar.

I.19. Am 7.12.2012 legte die Beschwerdeführerin im Wege ihres gewählten Vertreters eine Kursbesuchsbestätigung der Vereinigung für Frauenintegration vor.

Mit Schreiben vom 10.12.2012 nahm der Beschwerdeführervertreter zur gutachterlichen Stellungnahme und zu den vorgelegten Länderfeststellungen Stellung. Dabei wurde auch eine "Stellungnahme zum Gutachten" seitens Ass.-Prof. Dr. XXXX angefügt. In dieser Stellungnahme wurden die Untersuchungsergebnisse von Dr. XXXX in maßgeblichen Punkten in Zweifel gezogen. Im Einzelnen heißt es dazu:

"1. Die Referentin schreibt in ihrem Psychopathologischen Status, dass die kognitiven Funktionen ungestört seien. Frau XXXX war bei allen ihren Besuchen in der Transkulturellen Ambulanz in Konzentration und Mnestik deutlich reduziert.

2. Der Antrieb war bei allen Besuchen vermindert, weiters waren jeweils Unruhe- und Angstsymptomatik, mit täglich auftretenden Panikattacken, und tagsüber Flash-backs explorierbar.

3. Die Referentin beschreibt einerseits keinen Hinweis auf intrusive oder dissoziative Symptomatik, andererseits beschreibt sie unter:

derzeitige subjektive Beschwerden, dass die Patientin sähe, wie der Sohn geschlagen werde. Dies ist eine eindeutige intrusive Symptomatik, die Patientin hat die ganze Zeit über Flashbacks, was Hauptsymptom der posttraumatischen Belastungsstörung ist"

I.20. Mit Bescheid vom 14.3.2013, Zahl: 1213.649-EAST Ost, wies das Bundesasylamt den dritten Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (= Spruchpunkt I.) und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (= Spruchpunkt II.). Begründend führte das Bundesasylamt darin aus, dass sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt im Vergleich zu ihrem Erstverfahren ergebe. Die Beschwerdeführerin habe lediglich das Fortbestehen eines Sachverhaltes behauptet, der bereits rechtskräftig als unglaubwürdig und nicht asylrelevant bewertet worden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage, noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lasse, stehe die Rechtskraft des Erstverfahrens dem neuerlichen Antrag entgegen.

Zum (nunmehrigen) zentralen Vorbringen der Beschwerdeführerin, nämlich ihrer psychischen Beeinträchtigung führte das Bundesasylamt beweiswürdigen aus:

"Hinsichtlich Ihrer bereits wiederholt vorgetragenen Gesundheitssituation, insbesondere hinsichtlich der vorgetragenen rezidivierend-depressiven Störung als auch der erneut vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung sowie Panikstörung wird ausgeführt, dass hierzu ebenfalls entschiedene Sache vorliegt zumal bereits im Vorverfahren eine solche Gesundheitsstörung vorgetragen wurde. Siehe hierzu, beispielsweise S. 31, ärztliches Schreiben - AKH Wien vom 21.04.2012, zur Zahl 11 04.509 EAST-Ost. Es liegt somit ebenfalls eine entschiedene Sache hierzu vor. Jedenfalls ergibt sich aus dem auch im gegenständlichen Verfahren beigegebenen Feststellungen des Bundesasylamtes zu Ihrem Heimatland, dass eine posttraumatische Belastungsstörung zweifelsfrei auch in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien unzweifelhaft behandelt werden kann. PTSD (PTBS) ist in Tschetschenien ambulant und stationär durch Psychiater behandelbar, beispielsweise bei der Psychoneurologischen Republiksausgabestelle in Grosny oder im Psychiatrischen Republikskrankenhaus Samashki in Atschoj-Martan.

(SOS International (via MedCOI): BMA 4433, 31.10.2012).

Das nunmehrige Vorbringen ist daher unter Einbeziehung der Ausführungen des erkennenden Richters im zweiten Asylrechtsgang offenbar wiederum als bloßer Versuch zu werten, eine Abschiebung hintanzuhalten, ohne dass ein Asylgrund vorliegt, zumal hinsichtlich Ihrer damaligen angeblichen akuten Krebserkrankung festgestellt wurde, dass diese ausschließlich zur Erlangung von subsidiären Schutz um jeden Preis vorgetragen wurde. Gleiches gilt auch zu der in der Stellungnahme vom 10.12.2012 vorgetragenen ständigen begleitenden Therapie nach einer Brustkrebserkrankung. Bereits im Vorerkenntnis zu Ihrem zweiten Asylrechtsgang wurde durch den erkennenden Richter ausgeführt, dass Sie bereits in der Russischen Föderation eine umfassende onkologische Behandlung erhalten haben und auch eine allenfalls zukünftig bestehende Krebserkrankung einer Rückkehr in Ihr Heimatland nicht entgegen stehen würde bzw. sich eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes daraus nicht ergeben würde. Umso mehr wird oa. Einschätzung aufgrund des Umstandes getragen, dass Sie der nunmehr bereits zweimalig ausgesprochenen Ausweisungsentscheidung und der daraus resultierenden verpflichteten freiwilligen Ausreise, bislang nicht nachgekommen sind und geradezu notorisch rechtswidrig die Republik Österreich nicht verlassen haben und durch neuerliche Asylantragsstellungen einen Aufenthalt wiederum geradezu erzwingen wollen. Angemerkt wird noch, dass Sie angegeben haben, das aktuell offenbar nur regelmäßige Kontrolluntersuchungen stattfinden. Weswegen nunmehr ein Gutachten aus dem Bereich der Onkologie amtswegig eingeholt werden sollte, wie von Ihnen bzw. der rechtsfreundlichen Vertretung vorgetragen, bleibt dem Bundesasylamt verborgen und dient offenbar der Verfahrensverschleppung. Darüber hinaus haben Sie keine maßgeblichen Befunde hierzu vorgelegt, sondern vielmehr lediglich Kontrollprotokolle vorgelegt, woraus sich eben im Wesentlichen ergibt, dass Sie diese Kontrolluntersuchungen wahrnehmen. Eine Exploration, woraus eine Andersbewertung im Vergleich zu Ihren beiden Asylrechtsgängen indiziert wäre, ist nicht ersichtlich. Freilich sind vielfache Behandlungsspektren bei Krebserkrankungen auch in der Russischen Föderation zweifelsfrei gegeben und notorisch amtsbekannt in der Heimat vorhanden, mögen diese auch nicht den außergewöhnlich hohen Standards des österreichischen Gesundheitssystems genügen. Soweit nunmehr ärztliche Schreiben vorgelegt wurden, woraus sich oa. Erkrankungsbild ergibt und hierzu im Falle einer Abschiebung Wertungen vorgenommen wurden, so muss hierzu vorweg ausgeführt werden, dass offenbar bei geradezu sämtlichen von Ihnen vorgelegten ärztlichen Schreiben, welche zwar von hierzu geeigneten fachkundigen Personen ausgestellt wurden, jedoch als Grundannahme eine tatsächliche Bedrohung von Leib und Leben im Heimatland angenommen haben, das ermittelte ärztliche Ergebnis in weiten Teilen relativiert bzw. gänzlich entwertet. Offenbar behaupten Sie nach wie vor, dass Sie die Heimat wegen einer Bedrohung an Leib und Leben verlassen haben. In diesem Zusammenhang ist dem entgegenzusetzen, dass diese als konstruiert und als oberflächlich geschildert und damit als unglaubwürdig qualifiziert wurden, und damit vorzuwerfen, dass Sie nach wie vor nicht davon zurückschrecken unwahre Angaben sowohl im Asylverfahren als auch außerhalb im konkreten bei Arztbesuchen vorbringen. Unter Betrachtung dieses bedeutenden Gesichtspunktes relativiert sich die vorgetragene Retraumatisierung in der Stellungnahme vom 10.12.2012. Offenbar sind somit auch verschiedene Diagnosen, insbesondere von Frau Dr. XXXX erklärbar. Angemerkt wird hierzu noch, dass tendenziöse Stellungnahmen und spekulative Prognosen wenig geeignet sind ein fachlich-souveränes Gutachten darzulegen, dass alle Kriterien an ein medizinisches Gutachten erfüllen.

Der nunmehrige Antrag wurde im Wesentlichen erneut mit dem gesundheitlichen Zustand begründet. Sie brachten dahingehend medizinische Unterlagen und Krankheitsdiagnosen vor, die im Zuge einer medizinischen Untersuchung am 14.11.2012 durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und für Psychotherapeutische Medizin, Allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige berücksichtigt worden sind. Darin wurde weder eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung noch ein Hinweis auf eine krankheitswertige Störung bzw. stellt sich die 2011 diagnostizierte Störung als in Vollremission dar. Bereits in Ihrem zweiten Asylrechtsgang wurde durch den erkennenden Richter das Gutachten von Frau Dr. XXXX, Ihren damals geradezu gleichförmig vorgetragenen psychischen Erkrankungen (posttraumatische Belastungsstörung, generalisierte Angststörung) entgegengehalten. Das neuerliche durch die Behörde eingeholte Gutachten ist schlüssig und erfüllt alle Voraussetzungen für ein derartiges Gutachten und zeigt die angewendeten Methoden auf, zumal oa. Gutachterin über eine langjährige Erfahrung bei der Befundung von Asylwerbern hat und eine renommierte Gutachterin ist.

Es bestehen auch keine Zweifel an der Objektivität der herangezogenen Gutachterin, zumal diese kein Interesse am Ausgang des Verfahrens hat und seit Jahren zur Beurteilung psychischer Erkrankungen bei Asylwerbern eingesetzt wird.

Die Gutachterin kommt zum klaren Ergebnis, dass keine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt.

Es muss im Übrigen wiederholt festgehalten werden, dass ihr Fluchtvorbringen als vollkommen unglaubwürdig beurteilt worden ist, die medizinischen Befunde auch überwiegend dahingehend von nicht den Tatsachen entsprechenden Ereignissen ausgehen. Selbst wenn Sie zukünftig einer psychologischen Behandlung bedürfen würden, muss neuerlich auf die zugrunde gelegten Länderfeststellungen insbesondere hinsichtlich der medizinischen Versorgung in der Russischen Föderation / Tschetschenien verwiesen werden, aus welchen sich eindeutig eine ausreichende medizinische Versorgung auch im Bereich der psychologischen Betreuung nach wie vor ergibt. Auch die vorgetragenen Angsterkrankungen stellen daher keine solche schwere Erkrankung dar, die ihrem Refoulement nach Tschetschenien entgegenstehen würde bzw. sich eine entscheidungsrelevante Änderung des Sachverhaltes ernstlich daraus ergeben würde."

I.21. Mit Schriftsatz vom 3.4.2013 erhob die beschwerdeführende Partei fristgerecht Beschwerde und stellte gleichzeitig den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

I.22. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17.04.2013, GZ. D13 415578-4/2013/2E, wurde der Beschwerde gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Sinngemäß und zusammengefasst wurde dies wie folgt begründet: Der belangten Behörde sei vorzuwerfen, dass sie es verabsäumt habe, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt in einem nachvollziehbaren Ermittlungsverfahren zu ermitteln. Zentrales Vorbringen der Beschwerdeführerin sei ihre psychische Situation. Diesbezüglich stünden laut Aktenlage zwei einander in Kernaussagen widersprechende Befundungen gegenüber. Es wäre unumgänglich gewesen, diese augenscheinliche Unstimmigkeit der beiden Befundungen einer weiteren fachärztlichen Überprüfung bzw. Aufklärung zuzuführen. Gegenständlich sei jedenfalls der psychische Zustand der Beschwerdeführerin derart unklar, dass die Feststellung der Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen, insbes. posttraumatischen Belastungsstörungen in der Russischen Föderation jedenfalls nicht ausreiche, um die Gewährung subsidiären Schutzes auszuschließen. Im Ergebnis könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass gegenständlich ein neuer wesentlicher entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorliege, weswegen der Beschwerde stattzugeben sei.

I.23. Am 29.07.2013 wurde die Beschwerdeführerin im Auftrag der belangten Behörde durch Frau DDr. Gabriele XXXX, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Ärztin für Psychotherapeutische Medizin, gerichtlich beeidete und zertifizierte Sachverständige, untersucht.

Mit Gutachten vom 11.08.2013 stellte die Gutachterin bei der Beschwerdeführerin in psychiatrisch-neurologischer Hinsicht eine Anpassungsstörung (F43.22. ICD-10) sowie eine vorbefundete Polyneuropathie fest. Die Anpassungsstörung weise eine multifaktorielle Genese auf, es handle sich um eine krankheitswertige und behandlungsbedürftige psychische Störung, die mit depressiver Stimmung, Angstzuständen und emotionalen Beeinträchtigungen und Beeinträchtigungen der psychophysischen Belastbarkeit einher gehe.

Weiters wurde festgehalten, dass sich die Beschwerdeführerin als bewusstseinsklar, allseits ausreichend orientiert erwiesen habe. Gedächtnisstörungen seien weder in Vorbefunden beschrieben noch bei der aktuellen Untersuchung festgestellt worden.

I.24. Am 25.11.2013 wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen, dabei gab sie zusammengefasst und sinngemäß zu Protokoll: sie sei geschieden, habe einen Sohn, der in Österreich mit seiner Frau und zwei Kindern lebe; alle hätten einen "negativen Bescheid" bekommen. Sie habe auch eine Tochter in Tschetschenien, leider habe sie nicht oft Kontakt zu ihr.

Sie selbst nehme Tabletten, habe hohen Blutdruck und Brustkrebs, sie sei an der Brust operiert worden und habe acht Mal eine Chemotherapie gemacht. Sie werde auf Metastasen kontrolliert. Auch habe sie Probleme mit der Wirbelsäule und bekomme Spritzen.

Sie sei in ihrer Heimat operiert worden, die rechte Brust sei komplett entfernt worden, es habe natürlich die Krankenkasse alles bezahlt. Sie habe im Heimatland keine psychischen Probleme gehabt.

Vor der Ausreise habe sie gemeinsam mit ihren Eltern, der Tochter und dem Bruder und dessen Familie zusammen gelebt. Auch habe sie drei Schwestern in der Heimat, eine habe sich um sie gekümmert.

Sie habe ein Jahr lang eine Pension erhalten, eine Art Invaliditätspension, nach der Ausreise habe sie diese Pension nicht mehr bekommen.

Sie habe asylrelevante Probleme aufgrund ihres Sohnes gehabt, man habe sie zwingen wollen, ihren eigenen Sohn zu verraten, sie wolle nur auf ausdrücklichen Wunsch der belangten Behörde darüber sprechen, nicht freiwillig. Man habe nicht nur sie, sondern auch ihre Tochter bedroht. Man habe ihren Sohn einmal mitgenommen und zusammengeschlagen, sodass er nur noch auf vier Knochen habe gehen können wie ein Hund. Er sei damals unterwegs gewesen in die Arbeit, nach der Mittagspause, da hätten sie ihn erwischt. Die Familie habe zuerst nicht gewußt, von wem diese Übergriffe ausgegangen seien. Beim zweiten Mal seien die Militärs gekommen, das sei vor ihren Augen passiert. Sie hätten ihn wieder mitgenommen. Sie sei auch dabei geschlagen worden und auch ihre Tochter, ihr Bruder und ihr Neffe. Nach acht oder zehn Tagen hätten sie 4.000 Dollar Lösegeld verlangt, ihre Mutter habe zwei Kühe verkauft. Sie hätten ihn dann freikaufen können. Sie habe ihre Tocher zu ihrem Vater (Ex-Mann der BF) geschickt, dort habe man ihre Tochter aber gefunden und vergewaltigt. Drei Tage danach sei ihr Ex-Mann an einem Herzinfarkt verstorben.

Im Jahr 2003 seien Widerstandskämpfer vorbeigekommen und hätten von ihrem Sohn... (hier brach die BF ihre Ausführungen laut Protokoll ab), wirklich ausgebrochen sein die Probleme (erst) im Jahr 2007, als ihr Sohn mitgenommen worden sei. Insgesamt zwei Mal, einmal habe die Familie den Sohn freigekauft; später habe man nach dem Sohn gefragt. Nach seiner Ausreise habe man die BF belästigt und sie gefragt, wo der Sohn sei. Während der zweiten Festnahme des Sohnes habe man auch die BF geschlagen. Sie wisse das Datum nicht mehr genau, sie glaube, es sei im August 2007 gewesen. Weitere Vorfälle habe es nicht gegeben. Die Männer seien jeden Monat ein bis zwei Mal gekommen, bis zur Ausreise der BF. Auch als die BF im Spital gewesen sei, seien sie zur BF ins Haus gekommen.

Auf Vorhalt, sie habe 2010 ausgeführt, dass die Männer (nur) noch zwei oder drei Mal gekommen seien, antwortete die BF, sie wisse nicht, was geschrieben worden sei. Als sie im Spital gewesen sei, wären die Männer zwei, drei Mal gekommen.

Auf Vorhalt, dem Fluchtvorbringen des Sohnes sei sowohl durch das Bundesasylamt als auch durch den Asylgerichtshof die Glaubwürdigkeit versagt worden, erwiderte die BF, sie sei die Mutter und wisse natürlich, ob es passiert sei oder nicht. Sie hätten keine Ladungen oder ärztliche Bestätigungen, sie hätten sich nicht vorbereitet, nach wie vor werde ihr Sohn gesucht. Sie habe sich bemüht und trotz ihrer onkologischen Erkrankung gearbeitet. Die ganze Situation der Familie sei schwierig. In Bezug auf das psychiatrisch-neurologische Gutachten vom 11.08.2013 habe sie nichts hinzuzufügen, sie wisse, dass sie krank sei, das sehe auch die belangte Behörde selbst, in welchem Zustand sie sei.

Die erste oder zweite Mitnahme habe acht Tage gedauert. Einmal sei er am zweiten Tag entlassen worden, einmal habe es acht bis zehn Tage gedauert. Sie vergesse sehr viel. Beim ersten Mal sei er unterwegs gewesen, sie wisse nicht ob alleine oder in Begleitung, hätten ihn auf der Straße erwischt, bei der Freilassung hätten sie ihn am Ortsrand "hinausgeschmissen". Beim zweiten Mal hätten sie ihn ebenfalls am Ortsrand aussteigen lassen.

Auf Vorhalt, sie habe 2010 ausgeführt, es habe auf sie nie persönlich Übergriffe gegeben, nun gebe sie aber an, geschlagen worden zu sein, erwiderte die BF, sie wisse nicht, was geschrieben worden sei. Sie habe immer dasselbe gesagt und sage die Wahrheit.

Auf Vorhalt, sie habe 2010 auch ausgeführt, dass ihr Bruder den Sohn der BF zur Arbeit begleitet habe, heute wisse sie aber nicht, ob ihr Sohn in Begleitung gewesen sei, führte die BF aus, ihre Neffen hätten alle an einer Baustelle gearbeitet, dort sei er erwischt worden. Ihr Bruder hatte früher Probleme wegen ihres Sohnes, im Moment aber nicht. Im Falle einer Rückkehr würde nichts Gutes auf sie warten.

In Österreich würden ihr Sohn, ihre Schwiegertochter und zwei Enkelkinder leben. Ihr Sohn lerne Deutsch und suche nach Arbeit. Sein Verfahren sei negativ, er werde voraussichtlich weitere Rechtsmittel einbringen. Sie selbst werde vom Staat verfolgt. Sie habe keine sonstigen sozialen Bindungen zu Österreich. Sie habe zwei Kurse besucht, spreche aber nicht gut Deutsch. Im Falle einer Rückkehr hätte sie keine Möglichkeit einer psychologischen Betreuung, die medizinische Situation wäre sehr angespannt, auch könnte sie nicht arbeiten.

I.25. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.02.2014, Zl. 13-525185804/2133490 AIS 12 13.649, wurde der Antrag der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte die Identität der Beschwerdeführerin fest und traf Feststellungen zur Situation in deren Herkunftsstaat. Weiters wurde festgestellt, dass die BF an krankheitswertigen und behandlungsbedürftigen psychischen Störungen und Hypertonie leide. Nicht festgestellt werden konnte, dass die BF Verfolgungshandlungen ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt werden würde. Die BF verfüge in der Russischen Föderation über familiäre Anknüpfungspunkte, das Asylverfahren des in Österreich aufhältigen Sohnes sei negativ abgeschlossen und der Sohn in die Russische Föderation ausgewiesen worden.

Beweiswürdigend wurde unter anderem ausgeführt, dass das Asylvorbringen kaum substantiiert, widersprüchlich und unpräzise bzw. in seiner Gesamtheit dürftig erfolgt sei, die BF habe sich auch auf die Fluchtgründe des Sohnes berufen, in dessen Asylverfahren jedoch die Unglaubwürdigkeit dieser Fluchtgründe festgestellt worden sei.

I.26. Gegen diesen Bescheid brachte die BF fristgerecht im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Sinngemäß und zusammengefasst wurde das bisherige Vorbringen wiederholt: Der (in Österreich aufhältige) Sohn der BF werde verdächtigt, Widerstandskämpfer unterstützt, ein weiterer Sohn des BF sei deswegen bereits getötet worden. Sie selbst sei bei der Mitnahme ihres (in Österreich aufhältigen) Sohnes auch selbst geschlagen worden. Sie könne unmöglich nach Tschetschenien zurückkehren, die angeführten Fluchtgründe seien nach wie vor aktuell und ihre Furcht vor asylrelevanter Verfolgung sei wohlbegründet. Die belangte Behörde habe weiteres ihr refoulement-relevantes Vorbringen zur (auch medizinischen) Versorgungslage in der Russischen Föderation außer Acht gelassen, zudem seien viele Teile der Länderfeststellungen aus dem Jahr 2009. Der BF drohe asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der Familie. Auch leide die BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung, an depressiven Störungen sowie an Panik- und Angststörungen; diesbezüglich bestünden im Herkunftsstaat keine Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere nicht für eine posttraumatische Belastungsstörung. Zuletzt verstoße die angefochtene Entscheidung auch gegen Art 8 MRK, da sie in Österreich ein intensives Familienleben mit ihrem Sohn und dessen Familie führe; der Sohn befinde sich seit 6 Jahren in Österreich und habe gute Chancen in Österreich zu bleiben.

I.27. Am 08.10.2014 führte das Bundesverwaltungsgericht unter

Beiziehung einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine

öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die

Beschwerdeführerin, ihre rechtsfreundliche Vertretung und ihr Sohn

(als geladener Zeuge) teilnahmen. Das Bundesasylamt hatte auf die

Teilnahme an der Verhandlung verzichtet. Diese öffentliche mündliche

Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gestaltete sich in den

wesentlichen, hier wiedergegebenen Teilen wie folgt (Anmerkung zu

den verwendeten Abkürzungen: R = Richter, BF = Beschwerdeführerin,

BFV: Vertreterin, Z = Zeuge):

(...)

R befragt die BF, ob diese psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hindernisgründe vorliegen. Diese Frage wird von der BF dahingehend beantwortet, dass keine Hindernisgründe bei ihnen vorliegen.

R: Wie sieht es mit Ihrer Gesundheit heute aus, physisch und psychisch?

BF: Ich bin aufgeregt, aber sonst ist alles okay.

R: Stehen Sie derzeit in einer ärztlichen Behandlung? Welcher?

BF: Ja, ich stehe in psychiatrischer Behandlung und nehme auch Kontrolltermine wahr und außerdem stimmen meine Blutdruckwerte nicht.

R: Was stimmt mit Ihren Blutdruckwerten nicht?

BF: Der Blutdruck wird plötzlich sehr hoch, wenn ich aufgeregt bin. Das ist auf Grund meiner Erkrankung. Damit meine ich meine Krebserkrankung. Ich habe ein Krebsleiden und habe auch psychische Probleme.

R: Wie sieht es derzeit mit Ihrer Krebserkrankung aus? Wie sehen die Kontrollwerte aus?

BF: Ich stehe unter Kontrolle, leide aber oft unter Kopfschmerzen und an allgemeiner Schwäche, auch mein Blutdruck ist nicht in Ordnung.

R: Gibt es irgendwelche Hinweise (z.B. Tumormarker, auffällige Befunde), wonach die Krebserkrankung (Brustkrebsleiden) nicht überwunden ist?

BF: Eine Krebserkrankung wird nie überwunden. Ich stehe derzeit unter Kontrolle und es kann jederzeit auch schlechter werden.

R: Gibt es irgendeinen Hinweis, dass Sie derzeit einer aktuellen Behandlung bedürfen? Ist der Krebs neu ausgebrochen?

BF: Ich hoffe nicht, ich habe Kontrolluntersuchungen.

R: Ist es richtig, dass Sie hinsichtlich Ihrer Krebserkrankung im Heimatland behandelt wurden?

BF: Ja, das ist richtig, ich habe auch einige Chemotherapien bekommen. Ich leide aber an psychischen Folgeerscheinungen: Ich wache in der Nacht auf.

R: Bei wem stehen Sie denn in psychischer Behandlung?

BF: Ich war bei Dr. Topiz im AKH.

R: Sie verwenden die Vergangenheitsform, gibt es dafür einen Grund?

BF: Die Behandlung findet nach wie vor statt. Ich stehe auch auf der Warteliste für einen Psychologen. Ich war auch bei Fr. Dr. XXXX. Ich war auch bei Dr. XXXX.

BFV: Ich verweise auf den Schriftsatz vom 06.10.2014.

R: Gibt es sonst noch irgendwelche psychische oder physische schwerwiegende Erkrankungen, die Sie haben?

BF: Ich habe psychische und physische Leiden.

R: Können Sie mir das bitte etwas detaillierter zu Protokoll geben? Was haben wir bis dato noch nicht ins Protokoll aufgenommen?

BF: Ich habe Probleme mit der Wirbelsäule.

R: Haben Sie diesbezüglich einen aktuell medizinischen Befund?

BF: Nein.

R: Wieso nicht, ich habe Sie in der Ladung gebeten, aktuelle medizinische Befunde vorzulegen.

BF: Ich war diesbezüglich nicht im Krankenhaus, ich habe aber Schmerzen. Man hat mir gesagt, dass möglicherweise die Bandscheiben nicht in Ordnung sind.

R trägt die diesbezügliche Vorlage eines aktuellen medizinischen Befundes auf, binnen Frist von 28 Tagen.

R: Was fehlt noch an physischen Beschwerden im weitesten Sinne?

BF: Alle anderen Erkrankungen wurden bereits schriftlich dargelegt.

R: Ich habe einen ausführlichen Befund von Frau Dr. XXXX vom 19.08.2013 (AS III/539) wonach die BF an einer "Anpassungsstörung multifaktorieller Genese" leide.

BFV: Die Gutachterin stellt fest, dass es sich um eine krankheitswertige und Behandlungsbedürftige psychische Störung handelt, die mit depressiver Stimmung, Angstzuständen und emotionalen Beeinträchtigungen und Beeinträchtigungen der psychophysischen Belastbarkeit handle.

BFV: Außerdem wird ein im Punkt 2 die "Simulation" ausgeschlossen.

R: Angenommen, Sie müssten sich diesbezüglich in der Russischen Föderation in Behandlung begeben. Was spricht dagegen?

BF: Dort gibt es solche Behandlungen nicht und es wird dort solche Behandlungen nicht geben.

R: Das ist laut Aktenlage und Recherchen der belangten Behörde nicht zutreffend.

BFV: In den Länderfestellungen der Ersten Instanz im Bescheid wird über die Anfragebeantwortung Dissoziativanfälle wird selbst angeführt, russische Bürger haben eine Recht auf kostenfreie medizinische Grundversorgung, doch in der Praxis werden nahezu alle Gesundheitsdienstleistungen erst nach Leistung versteckter Geldzahlungen geleistet. Die BF kann sich das nicht leisten. Darüber hinaus wird auch angegeben, dass infolge dessen das Recht der Bürger auf kostenlose, medizinische Versorgung in staatlichen munizipalen Einrichtungen, die in der Verfassung garantiert werden, existieren in der Praxis nicht.

Vorhalt Akt I/115: Die Beschwerdeführerin wurde offiziell zur unentgeltlichen Behandlung der Krebserkrankung in ein Spital zugewiesen, daher sehe ich all diese Einwände als nicht gegeben an.

BFV: Das mag bei der Chemotherapie der Fall gewesen sein, gilt aber nicht für die psychische Behandlung. Es wurden mit der Beschwerde auch vorgelegt, Berichte, aus denen hervorgeht, dass Ärzte ernsthafte Bedenken hätten, ob die bestehenden Strukturen den bestehenden Bedarf decken können. Die persönlichen Ressourcen der Menschen zur Bewältigung sind erschöpft, das medizinische Personal arbeitet unter großem Druck und sie sind, wenn überhaupt, nur wenig entwickelt.

R: All diese Einwände hat die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte als nicht ausreichend erachtet.

BFV: Es gibt aber auch eine Judikatur, in der angeführt wird, dass gerade in Bezug auf Art.3 die Vertragsstaaten verpflichtet sind, eine besonders sorgfältige Untersuchung des spezifischen Sachverhaltes vorzunehmen. Ob sich die Antragsstellung bei einer Rückkehr in einer unmenschlichen Situation wieder finden würde (AKSOY VS. Türkei).

R: Sind Sie damit einverstanden, dass ich Sie unter Umständen - sollte die derzeitige Befundlage nicht ausreichen - durch Prof. Dr. XXXX begutachten lasse?

BF: Ja, gerne.

R befragt die BF, ob sie den Dolmetscher gut verstehe; dies wird bejaht.

(...)

BF: XXXX, in XXXX, StA: Russische Föderation.

BF beantragt Fahrtkostenersatz.

R beginnt mit der Befragung der BF:

R: Möchten Sie zu den im erstinstanzlichen Verfahren bzw. der Beschwerdeschrift vorgebrachten Fluchtgründen bzw. Umständen Ihrer Flucht von sich aus eine Erklärung abgeben bzw. Richtigstellung oder Ergänzungen vornehmen?

BF: Ja, ich habe etwas nicht ausgesprochen, etwas über mich und auch etwas über meinen Sohn. Was mich betrifft, habe ich die Wahrheit gesagt. Was meinen Sohn betrifft, habe ich auch die Wahrheit gesagt.

R: Dann haben wir ja kein Problem?!

BF: Ich habe nie ausgesprochen, dass er in die Berge gegangen ist.

R: Erst jetzt im dritten Asylantrag fällt Ihnen das ein?

BF: Ich habe das nicht vergessen, ich habe das nur nicht ausgesprochen, dass er in den Bergen war. Sie haben mich heute danach gefragt und ich beantworte Ihre Frage.

R: Sie haben zahlreiche Gelegenheiten gehabt, dies vor der belangten Behörde, aber auch vor dem Asylgerichtshof darzulegen. Warum haben Sie davon nicht Gebrauch gemacht?

BF: Ich habe Angst um meinen Sohn gehabt.

BFV: Dazu möchte ich ergänzen, dass gerade traumatisierte Personen sich in einem Aufarbeitungsprozess befinden, vor allem wenn sie sich in einer langjährigen psychiatrischen Behandlung befinden.

R: Wann ist den Ihr Sohn "in den Wald gegangen"?

BF: Im Sommer 2003.

R: Also nur einen Sommer?

BF: Nur zwei Wochen lang.

R: Was hat alles zur Verfolgungssituation Ihres Sohnes geführt? Ist das nur diese zweiwöchige Tätigkeit im Wald im Sommer 2003 oder ist das auch etwas anderes?

BF: Das war der einzige Grund. Ich habe immer die Wahrheit gesagt, ich habe nur nicht gesagt, dass er in den "Wald gegangen ist".

R: Gibt es sonst noch irgendetwas, was Sie ergänzen wollen?

BF: Es sind schon einige Jahre vergangen. Bis 2007 hat mein Sohn eine Ausbildung gemacht, er hat studiert. Er hat an der Fakultät für Geschichte studiert. Er hat es nicht mehr geschafft das Diplom abzuholen. Er hat alle Prüfungen gemacht, aber das Diplom gerade nicht mehr erhalten.

Der Zeuge (Z) wird in den Verhandlungssaal gerufen.

Z: XXXX

Nach nochmaliger Wahrheitserinnerung und nochmaligem Hinweis auf die Rechte und Pflichten als Zeuge.

Z: Ich bin der Sohn der Beschwerdeführerin und bereit heute meine Aussagen zu tätigen.

R: Können Sie ganz kurz Ihre Personalien angeben?

Z: Ich heiße XXXXgeboren und bin Russischer Staatsbürger. Mein Asylverfahren ist bereits rechtskräftig negativ beendet, aber ich habe ein Visum für Österreich.

R: Können Sie ganz kurz etwas über Ihre Ausbildung sagen? Was haben Sie in der Schule und danach gelernt?

Z: Ich besuchte 11 Klassen Grundschule, danach habe ich die Universität besucht, konkret habe ich an der Fakultät für Geschichte studiert. Das war an der staatlichen Universität in XXXX, 5 Jahre lang, aber ich habe noch kein Diplom bekommen. Ich von 2003 bis 2008, nein bis 2007 studiert. Auf Grund der Ausreise nach Österreich habe ich es gerade nicht mehr geschafft, mein Diplom zu bekommen, aber ich habe alle vorgeschriebenen Leistungen erbracht, das war ein Fernstudium. Ich habe aber mehrere Prüfungen gemacht. Ich musste zwei Mal im Jahr musste ich zur Prüfung erscheinen.

R: Was war das Thema Ihrer Diplomarbeit?

Z: Was meinen Sie mit "Diplomarbeit"?

R erläutert die Frage.

Z: Das mag jetzt so sein, damals war es nicht so.

R: Wann war der Krimkrieg?

Z: Ich weiß es nicht.

R: Das ist einer der wichtigsten Kriege der Geschichte der Russischen Föderation.

Z: Meinen Sie den zweiten Weltkrieg?

R: Nein, den meine ich nicht. Gehen wir etwa 100 Jahre zurück. Beschreiben Sie die Situation der heutigen Russischen Föderation/des damaligen russischen Zarenreiches um 1850 herum?

Z: Woher soll ich das wissen?

R: Welche Fächer hatte Ihr Diplomstudium der Geschichte?

Z: Ich war kein ausgezeichneter Student.

R: Sie werden doch wenigstens Ihre Prüfungsfächer kennen?

Z: Ich habe schon gelernt, aber kein Diplom bekommen.

R: Sehr viel haben Sie aber nicht gelernt, wenn Sie nicht einmal die Prüfungsfächer kennen?

Z: Ich kenne viele Leute, die studiert haben und die Prüfungsfächer nicht kennen.

R: Gibt es irgendetwas, was Sie mir hier anführen können, dass es auch nur annähernd glaubhaft macht, dass Sie wirklich Geschichte studiert haben? Ihre Antworten sind äußerst unglaubwürdig.

Z beginnt zu lachen.

BF beginnt laut zu schreien und kann nicht beruhigt werden.

R unterbricht die Verhandlung für eine Pause

BF legt sich auf den Boden und beginnt zu keuchen und zu schluchzen. R lässt durch Sicherheitsdienst den Notarzt rufen (14.58 Uhr). Der Sicherheitsdienst leistet Erste Hilfe.

Z: Wen interessiert, ob ich studiert habe? Von mir aus habe ich nicht studiert! Wir brauchen Hilfe! Daher sind wir nach Österreich gekommen.

R zu Z: Für die Einräumung von Internationalen Schutz ist die persönliche Glaubwürdigkeit ein wesentlicher Faktor.

Ein Sanitäterteam trifft um 15.06 Uhr ein. Es wird der Abtransport der BF ins AKH verfügt.

(Nur) dem Z wird das Protokoll rückübersetzt.

Z: Ich habe eine Frage. Als ich nach Österreich kam, hatte ich große Probleme. Sie können gerne kontrollieren oder anrufen, ob ich das Studium abgeschlossen habe. Es ist die tschetschenische staatliche Universität XXXX. Ich weiß nicht, was ich sonst noch dazu sagen soll. Sie können auch andere Dorfbewohner dazu befragen. Unser Dekan stammt auch aus unserem Dorf. Er war allerdings Dekan an einer anderen Fakultät, nämlich Wirtschaft und Finanzen.

Der R befragt die BFV, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen wolle. Dies wird verneint.

R vertagt die Verhandlung auf unbestimmte Zeit.

I.28. Am 26.11.2014 wurde die BF im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes von Prof. Dr. Georg XXXX in neurologisch-psychiatrischer Hinsicht untersucht. Mit Gutachten vom 01.12.2014 führte der Sachverständige sinngemäß und zusammengefasst aus, dass sich bei der BF eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert (ICD-10: F 33.4), finde. Unter regelmäßiger Behandlung und entsprechender medikamentöser Einstellung werde nur mehr eine sehr diskrete Restsymptomatik angeführt. Es habe sich ein im wesentlichen stabiler unauffälliger psychopathologischer Querschnittsbefund gefunden. Für eine in den Vorbefunden angeführte posttraumatische Belastungsstörung hätten sich zum nunmehrigen Untersuchungsbefund keine Hinweise ergeben; allerdings seien bedrohliche Ereignisse geschildert worden, welche vor 7 Jahre stattgefunden hätten und geeignet wären, eine posttraumatische Belastungsstörung auszulösen, sodass zumindest nicht auszuschließen ist, dass eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden hat, die nunmehr abgeklungen sei. Eine Fortsetzung der nervenärztlichen Behandlung und der entsprechenden medikamentösen Einstellung sei empfehlenswert. Es sei keine psychiatrische Erkrankung fassbar, welche die BF außer Lage setzen würde, gleichlautende Angaben zu Ereignissen aus der Vergangenheit zu tätigen.

I.29. Mit Schriftsatz vom 02.02.2015 nahm die BF dazu im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung sinngemäß und zusammengefasst wie folgt Stellung: Aus dem Gutachten gehe hervor, dass die BF an einer schweren Depression leide und dass sich ihr Zustand durch die Behandlung verbessert habe. Eine erzwungene Rückkehr würde zu einer Verschlechterung führen. Weder Dr. XXXX noch Dr. XXXX seien auf die posttraumatische Belastungsstörung eingegangen, während die Ärzte, die sich längere Zeit mit der BF befasst hätten, eine solche festgestellt hätten. Darüber hinaus gebe es den Verdacht von Metastasen im Rücken.

I.30. Mit Schriftsatz vom 09.02.2015 legte die BF eine vierzeilige Bestätigung einer Allgemeinmedizinerin über das Bestehen einer Posttraumatischen Belastungsstörung, des St. p. Mammacarcinom, art Hypertonus, Laryngoösophagealen Reflux, Gastritis, Hypercholesterinämie, deformierender Spondylose, Diskusprotrusion LS 3 u L4/5, Anulus fibrosus Einriß und einer oralen Glucosetoleranzstörung vor. Weiters wurden zwei MRT-Befunde zur linken Hüfte (glatte Gelenkskonturen, regelrecht konfigurierter Femurkopf, unauffällige Darstellung der beiden Hüftgelenke, keine signifikanten Arthrosezeichen, regelrechtes Markraumsignal des erfassten Beckenskeletts sowie des proximalen Femur bds., lumbosakrales Assimiliationsgelenk L5/S1 rechtsseitig als anatomische Variante) und über einen degenerativen Bandscheibenschaden der Lendenwirbelsäule und degenerative Diskopathie im Segment L4/5 sowie geringen degenerativen Veränderungen in den übrigen Lendenwirbelsäulensegmenten vorgelegt.

I.31. 09.03.2015 setzte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die russische Sprache öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihrer Vertreterin fort. Das Bundesasylamt hatte auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet. Diese öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gestaltete sich in den wesentlichen, hier wiedergegebenen Teilen wie folgt (Anmerkung zu den verwendeten Abkürzungen: R = Richter, BF = Beschwerdeführerin, BFV: Vertreterin):

(...)

R befragt die BF, ob diese psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hindernisgründe vorliegen. Diese Frage wird von der BF dahingehend beantwortet, dass keine Hindernisgründe bei ihnen vorliegen.

R: Wie sieht es mit Ihrer Gesundheit heute aus, physisch und psychisch?

BF: Ich bin aufgeregt, aber sonst ist alles okay.

R: Sie haben in den letzten Tagen und Wochen einige Dokumente zu Ihren medizinischen Problemen geschickt. Was ist das aus Ihrer Sicht gravierendste Problem?

BF: Der allgemeine Gesundheitszustand. Für mich sind meine Familie, mein Gesundheitszustand und meine Enkelkinder am wichtigsten. Ich habe mich an das Leben in Österreich gewöhnt.

R wiederholt die Frage.

BF: Alle meine Krankheiten sind wichtig, die gesamte Situation, in der ich mich befinde.

R: Rein äußerlich wirken Sie völlig gesund. Daher frage ich Sie, welche Krankheit oder welche Erkrankung Sie besonders beeinträchtigt?

BF: Ich bin froh, dass ich gesund aussehe. Was meinen Gesundheitszustand und meine Lage anbelangt, ist kein Grund zur Freude.

BFV: Aus dem Gutachten kann man nicht rein äußerlich die Beschwerden der BF erkennen.

Fortsetzung der Verhandlung.

R: Möchten Sie zu den im erstinstanzlichen Verfahren bzw. der Beschwerdeschrift vorgebrachten Fluchtgründen bzw. Umständen Ihrer Flucht von sich aus eine Erklärung abgeben bzw. Richtigstellung oder Ergänzungen vornehmen? Das gilt auch für die letzten Tage und Wochen.

BF: Ich möchte nichts sagen.

R wiederholt die Frage.

BF: Ich bin müde. Ich möchte bei meinen Kindern hier in Österreich bleiben. Ich habe mich an das Leben hier gewöhnt. Ich werde alles machen, was ich hier machen kann. Ich möchte auch Freunde kennen lernen.

BFV zu BF: Bitte antworten Sie auf die Fragen des Gerichtes. Das ist sehr wichtig.

BF: Ich bin sehr aufgeregt. Ich habe keine Kraft.

R wiederholt die Frage.

BF: Bitte lassen Sie mich bei meinen Kindern leben. Ich möchte hier Kontakt unter Menschen haben.

R: Entsprechen sämtliche von Ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bzw. der Beschwerdeschrift vorgebrachten Ausführungen der Wahrheit?

BF: Ja.

R befragt die BF hinsichtlich deren Namen, Geburtsdatum und Ihren Geburtsort, Familienstand. Im Falle einer Eheschließung wird die BF aufgefordert bekannt zu geben, ob es eine zivilrechtliche und/oder rituelle Eheschließung bzw. die wievielte Eheschließung es war.

BF: Ich heiße XXXX. Ich bin am XXXX geboren, im XXXX, ich bin geschieden und zwar seit XXXX. Das war für mich die erste Ehe und die einzige Ehe.

R: Führten Sie jemals einen anderen Namen?

BF: Mein Mädchenname heißt XXXX. Ich habe diesen Namen auch nach der Eheschließung behalten.

R: Wie viel Kinder haben Sie?

BF: 2 Kinder, mein Sohn lebt hier in Österreich, meine Tochter in Tschetschenien. Mein Sohn hat 2 Kinder. Meine Tochter ist kinderlos.

R: Haben Sie im Herkunftsstaat noch nahe Verwandte wie Eltern, Schwiegereltern Geschwister, etc.?

BF: Meine Eltern sind schon tot. Ich habe 3 Schwestern und 1 Bruder.

R: Wo leben die Schwestern und der Bruder?

BF: Der ältere Bruder ist außer sich. Er ist schon alt und krank.

R: Wenn es einen älteren Bruder gibt, muss es auch noch einen jüngeren Bruder geben?

BF: Ja, er lebt auch in Tschetschenien.

R: Haben Sie Onkel und Tanten?

BF: Nein.

R: Haben Sie in Österreich oder in der EU noch nahe Verwandte wie Eltern, Schwiegereltern Geschwister, etc.?

BF: Wie gesagt, mein Sohn und meine Enkelkinder.

R: Welchen Kontakt haben Sie zu Ihrem Sohn und Ihren Enkelkindern?

BF: Ich habe einen sehr guten Kontakt. Ich kann nicht ohne meinen Sohn und dessen Kinder leben und umgekehrt. Ich bin die Großmutter und das ist meine einzige Familie.

R: Wie oft sehen Sie Ihren Sohn und die Enkelkinder?

BF: Sie kommen zu mir. Ich kann nicht allzu viel unterwegs sein.

R wiederholt die Frage.

BF: Sie kommen manchmal jede Woche, manchmal jede 2. Woche. Außerdem lebe ich in Graz. Meine Familie lebt in Wien.

R: Welche Staatsbürgerschaft besitzen Sie?

BF: Russische Föderation.

R: Welcher Volksgruppe erachten Sie sich als zugehörig?

BF: Tschetschenin.

R: Gehören Sie einer derzeit einer Religionsgemeinschaft an? Wenn ja, welcher ?

BF: Islam.

R: Welche schulische oder sonstige Ausbildung haben Sie erhalten?

BF: Ich habe 10 Jahre die Grundschule besucht.

R: Welche berufliche Tätigkeit haben Sie im Herkunftsstaat ausgeübt, evtl. auch Hilfsarbeiten?

BF: Ich habe in einem Geschäft am Markt gearbeitet. Ein genaues Datum weiß ich nicht, ich kann mich nicht mehr erinnern.

R: Das kann ich mir nicht so ganz vorstellen, dass Sie das nicht so genau wissen.

BF: Von 2006 bis zum Zeitpunkt, als ich nach Österreich gekommen bin. Ich bin sehr schwach. Ich kann mich nicht an alle Daten erinnern.

R: Sie können sich immerhin erinnern, dass Sie von 2006 bis zur Ausreise gearbeitet haben?

BF: Ja. Ich habe viel gearbeitet. Ich habe auch in Wien gearbeitet, als ich noch in Wien gelebt habe. Ich habe bei der CARITAS gelebt und ich habe dort eine Möglichkeit gehabt.

R: Wovon haben Sie nach der Eheschließung gelebt?

BF: 1998 habe ich mich scheiden lassen. Ich habe am Markt gehandelt.Mein Mann bestritt zuvor den Unterhalt.

R: Was war zwischen 1998 und 2006?

BF: Meine Eltern haben mich unterstützt.

R: Wo lebten Sie im Laufe Ihres Lebens in Ihrem Herkunftsstaat?

BF: Ich bin im Rayon Urus-Martan geboren und habe nach der Eheschließung im Rayon Grosny gelebt. Nach der Scheidung habe ich wieder im Dorf Geki gelebt. Das ist im Rayon Urus-Martan. Dort lebte ich bis zur Ausreise.

R: Besitzen Sie im Herkunftsstaat noch eine Wohnung, ein Haus oder sonstige Unterkunft bzw. nennenswertes Vermögen?

BF: Ich habe keine Wohnung und kein Grundstück.

R: Was geschah mit dem elterlichen Grundstück?

BF: Dort leben die Brüder mit ihren Ehefrauen und Kindern.

R: Was geschah mit dem Haus, in dem Sie bis zu Ihrer Ausreise gelebt haben, ist es das elterliche Haus?

BF: Zuerst war das das Elternhaus, dann hat dort mein Bruder gelebt. Ich konnte dort nicht leben.

R: Haben Sie bis zu Ihrer Flucht jemals außerhalb Ihres Herkunftsstaates gelebt?

BF: Nein.

R: Haben Sie jemals in einem anderen Staat um Asyl angesucht?

BF: Nein.

R: Hatten Sie jemals einen Auslandsreisepass?

BF: Nein.

R: Waren Sie im Herkunftsstaat jemals in Haft oder sind Sie angehalten worden (diese Frage bezieht sich auch auf kurzfristige illegale Anhaltungen)? Wenn ja, wo, wie lange und warum?

BF: Ich wurde nicht festgenommen, nein.

R: Haben Sie sich politisch im Herkunftsstaat betätigt und/oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung?

BF: Nein.

R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Rasse, Nationalität bzw. Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

BF: Ich hatte Probleme auf Grund meines Sohnes.

R: Darauf kommen wir später zu sprechen. Wurden Sie aus religiösen Gründen verfolgt?

BF: Nein.

R: Was waren in chronologischer Reihenfolge die Beweggründe für Ihre Flucht?

(Die BF wird aufgefordert, zunächst im Überblick, jedoch lückenlos alle individuellen Verfolgungsgründe anzuführen.)

BF: Ich bin wegen meines Sohnes gekommen. Das ist mein einziger Sohn. Ich würde alles für ihn geben. Er hatte Probleme. Wir hatten auch seinetwegen Probleme. Verwandte von uns haben den gleichen Familiennamen. Unsere Ehe war nicht offiziell registriert. Deswegen kam es zu den Problemen. Mein Sohn war involviert. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Wir hatten mit den Föderalen Probleme. Er hatte Probleme. Wir konnten dort nicht bleiben, dann sind wir ausgereist.

R: Sie haben viermal eher sehr allgemein gesagt, dass Sie Probleme gehabt hätten. Können Sie das ein wenig konkretisieren?

BF: Mein Sohn hatte mit den Föderalen Probleme. Er wurde einmal bis zweimal mitgenommen und zusammen geschlagen. Wir wurden bedroht. Als wir von dort weggefahren sind, sagte man, dass wir nicht zurückkehren sollten. Meine Neffen wurden gequält. Meine Brüder wollten nicht, dass wir den Kindern indirekt Probleme bereiten. Wenn ich daran zurückdenke, wird mir heute noch schlecht. Geben Sie mir die Möglichkeit, bei meinen Enkeln zu bleiben. Solange mir das die Gesundheit erlaubt, werde ich mich um meine Enkel kümmern. Ich schwöre, dass ich die Wahrheit sage. Ich habe ein großes Geschäft gehabt, das hätte ich nicht zurückgelassen, wenn das alles nicht stimmt.

R unterbricht um 15.01 Uhr die Verhandlung auf Ersuchen der BFV.

Fortsetzung: 15.05 Uhr.

R: Wann wurde Ihr Sohn "einmal bis zweimal" mitgenommen und zusammen geschlagen?

BF: Das war 2007.

R: Welche konkreten Probleme hatten Sie selbst?

BF: Er ist mein Sohn.

R: Das ist per se hoffentlich kein Problem. Welche Probleme hatten Sie auf Grund Ihres Sohnes?

BF: Ich habe für meinen Sohn gelebt.

R: Auch das ist per se noch kein fluchtrelevantes Problem.

BF: Wenn Ihr Sohn dort wäre, ich bin,.... Ich war alleinerziehende Mutter meines Sohnes. Wenn er Probleme hatte, hatte auch ich Probleme.

R: Ich möchte ein allerletztes Mal die Frage stellen, welche konkrete Probleme Sie mit den Behörden der Russischen Föderation hatten?

BF: Ich bin die Mutter meines Sohnes. Ich habe ihn zur Welt gebracht.

R: Sie haben im Laufe Ihrer 3 Asylanträge mehrfach eigene Probleme mit russischen Behörden geschildert. Warum fällt Ihnen heute diesbezüglich absolut nichts ein?

BF: Das habe ich schon erzählt, dass ich wegen meines Sohnes Probleme hatte. Ich habe 220 Blutdruck.

R: Es ist leider sehr unglaubwürdig für mich, dass Sie sehr allgemein immer nur von Problemen sprechen, aber nicht im Geringsten in das Detail gehen wollen.

BF: Man hat uns nicht umgebracht, sondern zusammen geschlagen.

R: Wann hat man Sie zusammen geschlagen?

BF (grinst): Als die Leute kamen, um ihn zu holen.

R: Ich finde das im Gegensatz zu Ihnen nicht wirklich lustig. Ich möchte von Ihnen hören, wer wann und wo Ihren Sohn mitnehmen wollte, aus welchem Grund und wie und auf welche Weise er und Sie zusammen geschlagen wurden?

BF: Das waren die Föderalen, die Polizei oder die OMON. Sie trugen Masken. Ich weiß nicht, wann das war. Ich verliere täglich meine Sehkraft und mein Gedächtnis. Sie kamen nicht jeden Tag und auch nicht jede Woche. Sie haben uns überprüft.

R: Bitte formulieren Sie nicht so, was wann nicht war, sondern umgekehrt, was sich wann ereignet hat?

BF (verdreht die Augen): Ich habe nicht über das gesprochen, was nicht war. 2007 sind die Leute gekommen.

R: Nun wissen Sie, wann das war?

BF: Mir geht es generell sehr schlecht.

R: 2007 kommen also Leute zu Ihrem Sohn, was wollten diese von Ihrem Sohn?

BF: Sie sind in das Haus eingedrungen. Sie haben ihn mitgenommen. Ich habe ihn frei gekauft und zwar nach 10 Tagen. Dann sind die Leute wieder eingedrungen. Ich wurde zusammen geschlagen, er ebenso. Ich habe ihn nur mit Mühe von dort frei bekommen.

R: Er wurde auch ein zweites Mal mitgenommen?

BF: Ja.

R: Wie lange hat es beim 2. Mal gedauert, bis er frei kam?

BF: Das 1. Mal haben wir Lösegeld bezahlt, konkret waren das,... (BF denkt nach),.... 4.000 Euro.

R: Sie haben in Euro bezahlt?

BF: Ja.

R: Ein wenig ungewöhnlich. Typischerweise höre ich nur von Rubel und Dollar, aber natürlich ist auch Euro eine Währung, die nachvollziehbar ist.

R: Wie war es beim 2. Mal?

BF: Das war im gleichen Monat.

R: Haben Sie etwas bezahlen müssen?

BF: Wir haben das erste Mal oder das 2. Mal bezahlt. Einmal ist er geflüchtet. Er ist geflüchtet, als die Leute gekommen sind, um ihn zu holen.

R: Dann war er doch nur einmal im Gewahrsam dieser Leute?

BF (denkt lange nach).

R: So schwer kann das nicht sein.

BF: Ich bin eine Mutter, das ist sehr schwer für mich.

R: Sie selbst wurden auch zusammen geschlagen. Wie wurden Sie konkret zusammengeschlagen?

BF: Man hat mich auf die Wange geschlagen. Jemand hat mich mit der Hand und mit dem Gewehrkolben geschlagen. Auch mein Bruder und mein Neffe wurden geschlagen. Auch wir Frauen wurden geschlagen, aber nicht mit dem Gewehrkolben. Meine Mutter war 84 Jahre alt.

R: Jetzt habe ich in 2 Sätzen 2 Versionen. Wurden Sie nur mit der Hand oder auch mit dem Gewehrkolben geschlagen?

BF: Mein Bruder und mein Neffe wurden mit dem Gewehrkolben geschlagen. Ich wurde nur mit der Hand geschlagen. So wie man eben Frauen schlägt.

R: Leider oder Gott sei Dank weiß ich nicht, wie man Frauen mit der Hand schlägt. Was kann ich mir darunter vorstellen?

BF: Ich möchte nicht auf diese Frage antworten. Mit der offenen Hand. Der Bruder und die Neffen wurden mit dem Gewehrkolben geschlagen.

R: Haben Sie nachher medizinische Hilfe in Anspruch genommen?

BF (denkt nach):

R: So schwierig kann das nicht sein.

BF: Bei uns gibt es eine Polyklinik. Mein Sohn wurde mit Strom gefoltert.

R: Woher wissen Sie das mit der Stromfolter?

BF: Er hat überall schwarze Flecken.

R: Von der Stromfolter?

BF: Nein, von Knüppelschlägen.

R: Woher wissen Sie das mit der Stromfolter?

BF: Er hat es mir erzählt.

R: Sie haben eingangs von einer Namensgleichheit gesprochen. Was können Sie mir konkret erzählen, zu welchen Problemen das geführt hat?

BF: Ich habe gemeint, dass meine Familie den gleichen Familiennamen trägt, dass ich meinen Mädchennamen beibehalten habe, aber Probleme hat das nicht verursacht.

R: Außer diesen beiden "Kontakten" zu den russischen Behörden: Gab es noch weitere "Kontakte" im negativen Sinn oder sonst generell irgendwelche Kontakte zu Behörden?

BF: Nein.

R: Wenn sich all das 2007 zugetragen hat, warum haben Sie erst 2010 die tschetschenische Heimat verlassen?

BF: Weil wir gedacht haben, dass man uns in Ruhe lassen wird. Sie sind oft zu uns gekommen.

R: Vor nicht einmal 1 Minute haben Sie gesagt, dass es nur 2 Kontakte gab?

BF: Das ist nicht richtig.

R trägt aus dem Protokoll die Frage und die Antwort vor.

BF: Ich habe gedacht, dass Sie diese Angelegenheit meinen. Natürlich sind Sie immer wieder gekommen.

R: Noch allgemeiner als "Gab es noch weitere "Kontakte" im negativen Sinn oder sonst generell irgendwelche Kontakte zu Behörden?" kann ich wirklich nicht fragen.

BF: Ich schwöre, dass ich Ihre Frage nicht richtig verstanden habe.

R: Wie oft haben Sie konkret mit russischen Behörden im weitesten Sinn Probleme gehabt oder negative Erfahrungen im allerweitesten Sinne, selbst wenn man nur gefragt haben soll, wo sich Ihr Sohn befinden soll?

BF: Ich habe es nicht gezählt.

R: Wenigstens ungefähr.

BF: Im Monat dreimal oder viermal. Das Ganze in einem Zeitraum bis 2010. 2009 wurde ich operiert. Damals kamen die Leute auch mehrmals. Meine Brüder haben sich auch von mir losgesagt. Auch die Neffen wollten nicht, dass ich zurückkomme. Sogar jetzt kommen die Leute noch, um sich nach mir zu erkundigen.

R: Ich habe Ihnen zu Beginn der Verhandlung ausdrücklich die Gelegenheit gegeben, auch die aktuelle Entwicklung darzulegen. Davon haben Sie keinen Gebrauch gemacht. Wieso erzählen Sie erst jetzt davon?

BF: Ich bin nicht dort. Ich glaube, dass es weiter so ist. Ich weiß es aber nicht mit Bestimmtheit.

R wiederholt: Die Leute kommen etwa 2007 bis 2010 dreimal bis viermal im Monat. Ist das richtig?

BF: Ja.

R: 120-200 Kontakte in 4 Jahren?

BF: Ich habe nicht gesagt, dass das 200mal war.

R: Ich habe 4 Kalenderjahre (2007, 2008, 2009, 2010) und die Angabe von 3-4 Kontakten im Monat. Das macht etwa 120-200 Kontakte in 4 Jahren.

BF: Für eine Mutter war es jedenfalls oft.

R: Und man hat sich immer nur erkundigt, wo Ihr Sohn ist?

BF: Ich wusste, dass er nicht da ist. Sie haben mich trotzdem immer nach seinem Aufenthaltsort gefragt.

R: Keine Behörde der Welt kann dutzende Male ohne jeglichen Erfolg jemanden aufsuchen, ohne zu drastischeren Mitteln zu greifen. Diese Ressourcen hat keine Behörde dieser Welt.

BF: Woher soll ich wissen, wann sie gekommen sind und ob das Sinn ergibt oder nicht?

R: Jedes Mal sind die Personen erfolglos wieder abgezogen?

BF: Er war nicht zu Hause.

R: Warum kommt man viermal, fünfmal, sechsmal oder siebenmal oder eben 120mal?

BF: Woher soll ich das wissen?

R: Wollte man außer dem Aufenthaltsort noch etwas wissen oder in Erfahrung bringen?

BF: Woher sollte ich wissen, was sie sonst noch wissen wollen?

R: Zum Beispiel nach irgendwelchen Papieren oder Urkunden gefragt?

BF: Nach Papieren haben sie nicht gefragt.

BFV: Wurde Ihnen gedroht, als Sie geschlagen wurden? Hat man Ihnen dabei etwas gesagt?

BF: Man hat gesagt, dass man mich mitnehmen wird, wenn wir den Sohn nicht hergeben.

R: Obwohl man 120mal bei Ihnen war, werden Sie kein einziges Mal mitgenommen? Man scheint die eigene Drohung nicht wirklich ernst genommen zu haben.

BF: Ja. Was heißt nicht ernst? Diese Leute haben das ernst gemeint.

BFV: Gab es ein fluchtauslösendes Ereignis, warum Sie 2010 die Heimat verlassen haben?

BF: Weil man mich oder meine Tochter mitnehmen wollte, auch wenn ich krank war. Ich wollte die letzten Minuten meines Lebens mit meinem Sohn verbringen.

R: Warum nehmen Sie die älteren 120 Drohungen nicht ernst? Da hat man Sie auch nicht mitgenommen.

BF: Ich habe nicht gesagt, dass die Leute 120 Mal da waren. Für mich ist der Sohn das Wichtigste.

BFV: Warum war das eine Ereignis für Sie das Bedrückendste? Warum haben Sie ausgerechnet hier gesagt, dass Sie weg müssen?

BF: Ich habe weiterhin Angst gehabt.

BFV wiederholt die beiden Fragen.

BF: Für mich war das immer gefährlich. Meine Brüder, Neffen und Schwestern wollten nicht, dass ich dort bleibe. Sie hatten Angst um meine Mädchen. Deswegen bin ich von dort auch weggefahren.

BFV: Als Sie nach der Operation und der Krebserkrankung wieder in die Heimat zurückgekehrt sind?

BF: Ich war so fertig, dass ich überhaupt nichts machen konnte.

R: Sie sagten selbst, dass Sie von 2007 bis 2010 im Visier der Russischen Behörden waren. Haben Sie eigentlich zumindest einen Inlandspass gehabt?

BF: Ich hatte immer einen Inlandspass.

R: Wann wurde er zuletzt ausgestellt?

BF: Ich weiß das nicht.

R Vorhalt: Akt I./29: Der Pass wurde Ihnen am 15.04,2009 ausgestellt. Warum wird Ihnen ein Pass ausgestellt, wenn Sie im Visier der Russischen Sicherheitsbehörden sind?

BF: Alle haben damals einen Pass bekommen.

R: Wann haben Sie dieses Geschäft gehabt, das Sie zurückgelassen haben, welches Geschäft war das überhaupt?

BF: Ich habe dort Waren verkauft. Das war nicht auf dem Markt, dort war ich früher. Mein Geschäft war vielmehr im Dorf Gechi. Wir haben das Geschäft dort gepachtet. Es war im Zentrum.

R: Wie lange haben Sie dieses Geschäft gehabt?

BF: 3 Jahre lang. Von 2007 bis 2010.

R: In diesen 3 Jahren hatten Sie problemlos dieses Geschäft betrieben?

BF: Nein.

R: Welche Probleme gab es?

BF: Was das Geschäft anbelangt, hatte ich keine Probleme. Das war dann vorhin ein Missverständnis.

R: Obwohl Sie im Visier der Sicherheitsbehörden sind, lässt man Sie problemlos ein Geschäft betreiben, auch hier wird andauernd gegenteiliges von anderen Asylwerbern behauptet.

BF: Ich bin 2010 ausgereist. Ich weiß nicht, was dann passiert ist.

R: Vorhalt: Akt I/AS 27: Ihnen wurde am 01.07.2008 eine Pensionsbescheinigung ausgestellt. Aus welchem Grund war diese notwendig, wenn Sie bis 2010 ein Geschäft betrieben haben?

BF: Wegen der Krankheit und der bevorstehenden Operation.

R: Obwohl Sie auch hier im Visier der Russischen Behörden stehen gibt es kein Problem, dass man Ihnen eine Pensionsbescheinigung ausstellt und dass man Sie in einem staatlichen Krankenhaus operiert. Auch hier wird typischerweise von Asylwerbern aus dem Kaukasus Gegenteiliges vorgebracht. Auch generell erachte ich es nicht als typische Verfolgungsweise eines Staates.

BF: schweigt.

R: Möchten Sie dazu nichts sagen?

R wiederholt die Frage.

BF: Nein, dazu möchte ich nichts sagen.

R: Mit wie vielen Soldaten sind diese Behörden gekommen, um bei Ihnen nachzufragen? Gab es eine bestimmte Anzahl?

BF: Um zu fragen?

R: Ja.

BF: Manchmal einer, manchmal zwei.

R: Wie war es, als man Sie geschlagen hat?

BF: Viele. Für mich waren das viele.

R: Die Operation war in Dagestan, ist das richtig?

BF: Die Operation war in Rostow. In Dagestan wurde ich untersucht, dort sagte man, dass ich so schnell wie möglich operiert werden muss.

R: Sie haben doch in Tschetschenien gelebt? Aus welchem Grund lassen Sie sich in Dagestan untersuchen?

BF: Bei uns hat es in Tschetschenien nicht solche Spezialisten gegeben.

R: Hat Ihr Sohn vor 2007 auch schon Probleme mit russischen Behörden gehabt?

BF: Mit den russischen Behörden nicht.

R: Hat Ihr Sohn vor 2007 irgendwelche Handlungen getätigt, die ihn verdächtig erschienen ließen?

BF: Er ist in die Berge gefahren.

R: Was hat er dort gemacht?

BF: Ich weiß es nicht. Er war 2 Wochen in den Bergen, oder 3 Wochen oder 4 Wochen. Woher soll ich wissen, was er dort gemacht hat?

R: Hat er noch weitere Handlungen vor 2007 gesetzt, die ihn verdächtig erschienen lassen?

BF: Nein.

R Vorhalt: Akt. I./AS 139: Sie haben vor der belangten Behörde geschildert, dass er Widerstandskämpfer versorgt habe.

BF: Er hat sie nicht versorgt, er war involviert.

R: Wann haben Sie erfahren, dass er im Widerstand tätig war?

BF: 2003. Bis 2007 gab es nichts mehr danach.

R: Sie sagten soeben, er habe die Widerstandskämpfer nicht versorgt. Genau das haben Sie 2010 vor der belangten Behörde behauptet.

BF: In welchem Jahr sagte ich das?

R: 2010, nach Ihrer Einreise.

BF: 2003 hat er den Kämpfern Wasser gegeben. Als er aus Moskau gekommen ist, war er 2 oder 3 Wochen in den Bergen mit ihnen. Das habe ich erst viel später erfahren.

R: Sie sagten heute, man habe auch mit der Entführung Ihrer Tochter gedroht. Warum ist Ihre Tochter nicht geflohen?

BF: Ich habe die Tochter zum Vater geschickt. Weil man sie auch nicht in Ruhe gelassen hat. Er lebte damals in einem anderen Dorf. Der Kindesvater hatte auch einen Infarkt. Er ist danach 3 Tage verstorben.

R: Ist ein sonstiger Angehöriger nach einer Polizeiaktion gestorben?

BF (schweigt).

R wiederholt die Frage.

BF: Nein.

R: Wer ist noch nach einer Polizeiaktion gestorben von Ihren Verwandten?

BF: Niemand.

R wiederholt die Frage.

BF: Niemand.

R Vorhalt: Akt I/AS 139: Angeblich ist Ihre Mutter auf Grund der Aufregungen verstorben.

BF: Meine Mutter hatte sehr hohen Blutdruck. Sie ist deswegen gestorben.

R zitiert aus dem Akt.

BF: Das habe ich niemals gesagt.

R zitiert aus dem Akt.

BF: Sie hatte damals auf Grund des Stresses einen sehr hohen Blutdruck.

R: Wann starb Ihre Mutter?

BF: Mai 2010.

R unterbricht auf Ersuchen der BFV um 16.16 Uhr die Verhandlung.

Fortsetzung: 16.20 Uhr.

R Vorhalt Akt II/AS 95: Auch hier finde ich vor, dass man Sie auch mit Fußtritten malträtiert hat. Was sagen Sie dazu?

BF: Meine Brüder und meine Neffen wurden mit den Füßen traktiert. Ich wurde mit den Händen geschlagen.

R: Wurde noch jemand, beispielsweise Ihre Mutter, geschlagen?

BF: Meine Mutter war 86 Jahre alt, sie war sowieso in so einem schlechten Zustand, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Nachher hat sie nicht mehr lange gelebt.

R: Ich hoffe, ich übersehe auf die Schnelle nichts in den - doch immerhin nunmehr 3 - recht umfangreichen Asylakten: Haben Sie jemals von sich aus erzählt, dass Ihr Sohn im Widerstand tätig war?

BF: Er hat nicht gekämpft. Er war in den Bergen.

R: Woher wissen Sie, dass er nicht gekämpft hat?

BF: Er ist nach 2,3 oder 4 Wochen wieder zurückgekehrt. Wenn er gekämpft hätte, wäre er nicht zurückgekommen.

R: Woher wollen Sie das wissen?

BF: Ich habe nachher keinen Verdacht gehabt.

R: Wie haben Sie die 4.000 Euro aufgebracht?

BF: Ich habe im Geschäft gearbeitet. Wir hatten auch 2 Kühe. Wir haben Geld gespart.

R: Wie viel Geld haben Sie für die 2 Kühe bekommen? An wen haben Sie diese verkauft?

BF: Ich weiß es nicht. Das hat meine Mutter getan, um ihn frei zu bekommen.

R: Sie müssen wissen, wie viel Geld noch notwendig war, um die Differenz auf 4.000 Euro abzudecken?

BF: Ich habe im Geschäft gearbeitet.

R: Umso eher müssen Sie doch wissen, wie hoch die Differenz zwischen dem Verkaufspreis der Kühe und der Lösegeldforderung waren.

BF (grinst über das ganze Gesicht): Ich weiß nicht, wie viel Geld notwendig war. Meine Nachbarn haben auch etwas mitgeholfen.

R: Woher wussten Sie, dass ein Lösegeld gefordert wurde und von wem haben Sie das erfahren?

BF: Das sagte man uns.

R: Wer ist "man"? Wer ist "uns"?

BF: 2 Männer sind gekommen. Sie sind zu uns gekommen.

BF grinst und schweigt.

R: Ich finde das nicht lustig.

BF: Ich habe persönlich das Geld bezahlt.

R: Wer aus dem Familienkreis hatte nun auf Grund Ihres Sohnes welche Probleme?

BF: Ich selbst bin geschlagen worden. Mein Bruder und mein Neffe wurden auch geschlagen.

R: Hatten Ihre Brüder und Neffen sonstige Probleme?

BF: Nein.

R: Warum behauptet Ihr Sohn, dass man auch Ihren Bruder (also seinen Onkel) mitgenommen hat?

BF: grinst.

BF: Ja, die beiden wurden auch mitgenommen.

R: Sie müssen selbst lachen.

BF: Sie haben mich ursprünglich nicht gefragt, ob die beiden mitgenommen wurden. Außerdem muss ich heute nach Graz fahren.

R: Wie lange wurde Ihr Bruder mitgenommen? Wann war das?

BF: Nach 2 oder 3 Stunden wurden sie frei gelassen, das war, als man ihn das 2. Mal mitnehmen wollte.

R: Wo war damals Ihr Bruder?

BF: In seinem Haus.

R: Wo ist er festgehalten worden?

BF: Woher soll ich das wissen? Er wurde mitgenommen. Nach ca. 2 oder 3 Stunden wurde er frei gelassen. Man hat sie stark mit Gewehrkolben geschlagen.

R: Ihr Sohn wurde am 08.02.2011 strafgerichtlich verurteilt. Was wissen Sie darüber?

BF: Das bestreite ich.

R: Wie oft wurde Ihr Sohn festgenommen in Tschetschenien?

BF: 2x.

R: Jetzt auf einmal genau 2x? Vor 2 Stunden war es noch einmal bis zweimal, wo Sie sich eher auf einmal festgelegt haben. Das zweite Mal sei er rechtzeitig entkommen.

BF: Er wurde zweimal mitgenommen. Ich habe das gesagt, was ich früher gesagt habe, das sage ich weiterhin.

R: Was hat Ihr Sohn noch erzählt über seine Misshandlungen?

BF: Nichts.

R: Vor 2 Stunden sagten Sie, dass er mit Strom gefoltert wurde, das hätte er Ihnen erzählt.

BF: Nein, er hat nichts erzählt. Ich habe ihn gesehen, er hat nichts erzählen müssen.

R: Wie konnten Sie erkennen, dass Ihr Sohn mit Strom gefoltert wurde?

BF: Er hat Kügelchen überall. Man hat ihn hier mit dem Knüppel geschlagen.

R: Wie erkennen Sie eine Strommisshandlung?

BF: Ich habe noch nie eine solche Misshandlung gesehen. Man hat das gesehen, als man ihn angesehen hat.

R: Woher erkennen Sie, dass Ihr Sohn mit Strom gefoltert wurde?

BF: Ich habe das einfach gesehen. Er hat mir das schon früher gesagt.

R: Er hat Ihnen doch etwas gesagt?

BF: Ich wollte mich einfach nicht wiederholen.

R: Es folgen zwei Fragen, die bei mir jeder BF gestellt erhält somit auch wenn in weiterer Folge Asyl zuerkannt wird. 1. Frage: Haben Sie versucht, in Ihrem Herkunftsstaat Schutz vor den von Ihnen genannten Verfolgungshandlungen zu suchen (z.B. Anzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft, Inanspruchnahme von NGOs, etc.)

BF: Nein. Ich weiß nicht, woher die Leute zu mir gekommen sind, ich habe mich an niemanden gewandt.

R: Die 2. (rein hypothetische) Frage lautet: Was befürchten Sie für den Fall Ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat?

BF: Ich habe vor allen Sachen Angst.

R: Wovor fürchten Sie sich besonders?

BF: Ich weiß, dass sich die Lage wiederholen wird. Konkret kann ich das nicht sagen. Ich weiß, dass man die Leute nicht in Ruhe lässt, die schon einmal Probleme hatten.

R: Warum ist Ihre Tochter nicht ausgereist? Man hat früher Drohungen gegen Ihre Tochter ausgestoßen.

BF: Sie wird nachkommen. Ich hoffe das. Vielleicht wird sie heiraten. Vielleicht wird die Situation in Ordnung kommen für sie. Sie war schon einmal verheiratet.

R: Haben Sie in Österreich bislang eine Berufstätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt?

BF: Ich habe für die CARITAS gearbeitet.

R: Fühlen Sie sich in der Lage, auch körperliche anstrengende Arbeiten zu übernehmen?

BF: Ja. Ich werde auf allen Vieren jede Tätigkeit ausüben.

R: Wovon bestreiten Sie derzeit Ihren Lebensunterhalt?

BF: GVS.

R: Wie verbringen Sie den Alltag?

BF: Ich gehe in die Parks. Ich mag sehr gerne Hunde, dort gibt es viele Hunde. Ich gehe sehr gerne spazieren. Bei uns in der Nähe gibt es ein Geschäft in Graz, dort gibt es österreichische Kleidung. Dort spreche ich mit den Menschen. Ich gehe ein bisschen in die Berge, nicht sehr oft. Ich lerne Deutsch.

R: Haben Sie in Österreich Deutschkurse besucht?

BF: Ja. 2 Kurse habe ich absolviert. A1 und auch A2. Die Prüfung für den A2-Kurs habe ich noch nicht bestanden.

R: Sprechen Sie Deutsch? (Die BF wird ohne Unterstützung durch D aufgefordert, Fragen zum Namen, der Herkunft, etwaigen Hobbys oder der Familie zu beantworten).

BF: Ich früh aufstehen, spazieren, ich bisschen Fruhstück. Kaffeetrinken. Viele, viele spazieren. Bisschen sitzen Park, Hunde, Hunger. Fruhstück essen. Bisschen Deutsch lernen. Viele Deutsch, Kopfschmerzen. Bekannte zusammen spazieren.

R stellt fest, dass die BF Anfängergrundkenntnisse der deutschen Sprache (offenkundig etwa A1) aufweist.

R: Können Sie mir noch etwas auf Deutsch sagen?

BF: Ich lieben Österreich. Muss leben.

R: Was macht derzeit Ihr Sohn berufstätig?

BF: Mein Sohn besucht Kurse.

R: Wovon lebt er?

BF: Sozialhilfe. Jetzt hat er die Kurse gemacht. 550 oder 650 Euro. Ich weiß es nicht genau.

R: Wie soll er die Frau, die Kinder und Sie mit diesem Betrag ernähren?

BF: Er wird arbeiten.

R: Was macht die Schwiegertochter?

BF: A2 und B1-Prüfungen hat sie gemacht. Sie hat auch ein Praktikum gemacht.

R: Was könnte Ihre Schwiegertochter arbeiten?

BF: Sie könnte in einem Kindergarten arbeiten oder in einem Geschäft.

R: Wie alt sind Ihre Enkelkinder?

BF: 4 Jahre und 6 Jahre alt.

BFV verweist auf die vorgelegten Bestätigungen und Stellungnahmen.

R: Was wissen Sie über die österreichische Geschichte, Kultur oder Politik?

BF: Mir gefällt sehr die österreichische Kultur.

R: Was fällt Ihnen ein zur österreichischen Geschichte?

BF: Darüber weiß ich nichts. Als ich in Wien gelebt habe, habe ich für die CARITAS gearbeitet.

R: Das können nur ein paar Stunden in der Woche gewesen sein.

BF: Über die österreichische Geschichte weiß ich nichts.

R: Was wissen Sie über die österreichische Kultur?

BF: Mir gefällt es sehr.

R: Gibt es zum Beispiel bekannte Personen, die Ihnen einfallen (Maler, Komponisten, Schriftsteller etc.)?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Sagt Ihnen Mozart oder Schubert etwas?

BF: Nein.

R: Gibt es österreichische Feste, die Ihnen gut gefallen?

BF: Die österreichischen Feiertage und die österreichischen Tänze gefallen mir gut. Der Film Rex gefällt mir.

R: Mit welchen in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Personen oder Familien sind Sie befreundet, bitte nennen Sie Vor- und Familiennamen bzw. deren Adressen.

BF: Ich habe Freunde. Wenn ich in Parks gehe, dann treffe ich dort andere Leute.

R: Welche Freunde kennen Sie namentlich?

BF: Ich kenne Ingrid und Günther.

R: Können Sie von diesen Personen binnen 14 Tagen ein Befürwortungsschreiben organisieren?

BFV: Ja.

BF: Ich werde mich bemühen. Das ist eine sehr gute Familie.

R: Sind Sie in Österreich Mitglied in Organisationen, Vereinen, etc.?

BF: Nein. Ich kann gut kochen.

R: Wurden Sie in Österreich oder einem anderen europäischen Land jemals strafrechtlich verurteilt?

BF: Nein.

BFV: Was machen Sie mit Ihren Enkelkindern, wenn Sie diese sehen?

BF: Wir spielen und wir gehen in den Park. Wir gehen in die Wälder und in die Berge. In Graz gibt es sehr schöne Plätze. Wir spielen dort zusammen. Die Kinder sprechen gut Deutsch.

BFV: Abschließend verweise ich nochmals auf die Stellungnahme, insbesondere im Hinblick auf Spruchpunkte II. und III.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:

Die Beschwerdeführerin, deren Identität feststeht, ist Staatsbürgerin der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Sie gelangte am 06.07.2010 in das österreichische Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 07.09.2010, Zahl: 10 05.887-BAT, wies das Bundesasylamt den ersten Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.) und erkannte der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten nicht zu. Weiters erkannte das Bundesasylamt der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies diese gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid erwuchs am 28.09.2010 in Rechtskraft.

Am 10.05.2011 stellte die Beschwerdeführerin einen zweiten Antrag auf Internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 27.07.2011, Zahl: 11 04.509-EAST Ost, wies das Bundesasylamt den zweiten Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (= Spruchpunkt I.) und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (= Spruchpunkt II.). Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes, GZ. D13 415578-3/2011/3E vom 31.08.2011 gemäß § 68 Abs 1 AVG und § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

Am 01.10.2012 stellte die Beschwerdeführerin den nunmehr gegenständlichen dritten Antrag auf Internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin ist geschieden und lebt in Österreich alleine. In Österreich lebt (in einem anderen Bundesland) auch der Sohn der Beschwerdeführerin mit seiner Familie. In Österreich leben darüber hinaus keine weiteren Angehörigen der Beschwerdeführerin; im Herkunftsstaat leben eine Tochter der Beschwerdeführerin, zwei Brüder sowie drei Schwestern.

Das Asylverfahren des Sohnes der BF wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.04.2013, GZ D13 408091-2/2011/7E, rechtskräftig negativ abgeschlossen. Das asylrelevante Vorbringen des Sohnes der BF wurde beweiswürdigend als unglaubwürdig und widersprüchlich qualifiziert.

Es kann weder festgestellt werden, dass die beschwerdeführende Partei in der Russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt war, noch droht eine solche aktuell. Es kann nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführende Partei im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführende Partei im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht ihr weder eine unmenschliche Behandlung, Todesstrafe oder unverhältnismäßige Strafe noch eine sonstige individuelle Gefahr.

Die beschwerdeführende Partei leidete im Herbst 2013 an einer krankheitswertigen und behandlungsbedürftigen psychischen Störung (Anpassungstörung multifaktorieller Genese), im Herbst 2014 zeigte sich ein wesentlich gebessertes Bild: ein im wesentlichen stabiler unauffälliger psychopathologischer Querschnittsbefund. Es ist keine psychiatrische Erkrankung fassbar, welche die BF außer Lage setzen würde, gleichlautende Angaben zu Ereignissen aus der Vergangenheit zu machen. Die beschwerdeführende Partei leidet zwar an Bluthochdruck, Reflux, Gastritis, Übergewicht, schlechten Cholesterinwerten sowie degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates (Spondylose, Bandscheibenvorfall, Einriss des Bandscheibengewebes), jedoch an keiner akut lebensbedrohlichen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würde. Dies ergibt sich auch aus den Angaben der BF gegen Ende der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach sie - trotz aller zuvor angeführten körperlichen Beeinträchtigungen ! - in Österreich für die Caritas gearbeitet habe und zudem gewillt sei, auch körperlich anstrengende Arbeiten zu übernehmen, sie würde sogar "auf allen Vieren jede Tätigkeit ausüben".

Die beschwerdeführende Partei ist unbescholten.

Die beschwerdeführende Partei ist in Österreich derzeit nicht selbsterhaltungsfähig und lebt von der Grundversorgung. Sie ist von keiner in Österreich lebenden Person abhängig. Die beschwerdeführende Partei versteht und spricht die deutsche Sprache in einem geringfügigen Ausmaß. Sie verfügt über keine Kenntnisse zur österreichischen Politik, Geschichte oder Kultur. Sie ist nicht Mitglied bei einem Verein bzw. sonstigen Organisationen; sie hatte niemals ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

II.1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation sowie der Teilrepublik Tschetschenien:

Feststellungen zur Lage in Tschetschenien und zur IFA von Tschetschenen in Russland

(Stand Juni 2014)

Die Tschetschenische Republik ist eines der 83 Subjekte der Russischen Föderation. Die sieben mehrheitlich moslemischen Republiken im Nordkaukasus wurden jüngst zu einem neuen Föderationsbezirk mit der Hauptstadt Pjatigorsk zusammengefasst. Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Tschetschenien selbst ist (kriegsbedingt) eine monoethnische Einheit (93% der Bevölkerung sind Tschetschenen), fast alle sind islamischen Glaubens (sunnitische Richtung). Die Tschetschenen sind das älteste im Kaukasus ansässige Volk und nur mit den benachbarten Inguschen verwandt. Freiheit, Ehre und das Streben nach (staatlicher) Unabhängigkeit sind die höchsten Werte in der tschetschenischen Gesellschaft, Furcht zu zeigen gilt als äußerst unehrenhaft. Sehr wichtig ist auch der Respekt gegenüber älteren Personen und der Zusammenhalt in der (Groß‑)Familie, den Taips (Clans) und Tukkums (Tribes). Eine große Bedeutung hat auch das Gewohnheitsrecht Adat. Es gibt sprachliche und mentalitätsmäßige Unterschiede zwischen den Flachland- und den Bergtschetschenen.

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg, russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den russischen Geheimdienst FSB im März 2005 hat der bewaffnete Widerstand an Bedeutung verloren.

Laut Ministerpräsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramzan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten. Er hat seine Macht in der Zwischenzeit gefestigt und zu einem Polizeistaat ausgebaut "(Kadyrow'scher Privatstaat" Uwe Halbach). Seit 2. September 2010 trägt Kadyrow den Titel "Oberhaupt" Tschetscheniens.

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zum russischen Präsidenten im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen.

Bis Februar 2011 wurde Russland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg bereits in 162 Fällen für schwerste Menschenrechtsverletzungen während des zweiten Tschetschenien-Kriegs verurteilt. Im Februar 2011 wurde Ramzan Kadyrow von Präsident Medwedew zu einer zweiten fünfjährigen Amtszeit als Republiksoberhaupt ernannt. Der von Russland unterstützte Präsident Ramzan Kadyrow verfolgt offiziell das Ziel Ruhe, Frieden und Stabilität in Tschetschenien zu garantieren und den Einwohnern seines Landes Zugang zu Wohnungen, Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur zu bieten. Der russische Präsident Medwedew versucht Tschetschenien auch durch Wirtschaftshilfe zu "befrieden".

Neben der endgültigen Niederschlagung der Separatisten und der Wiederherstellung bewohnbarer Städte ist eine wichtige Komponente dieses Ziels die Wiederbelebung der tschetschenischen Traditionen und des tschetschenischen Nationalbewusstseins. Kadyrow fördert das Bekenntnis zum Islam, warnt allerdings vor extremistischen Strömungen wie dem Wahhabismus. Viele Moscheen wurden wiederaufgebaut, die Zentralmoschee von Grosny ist die größte in Russland. Jeder, der in Verdacht steht, ihn und seine Regierung zu kritisieren, wird verfolgt. Eine organisierte politische Opposition gibt es daher nicht. Die 16.000 Mann starken Einheiten Kadyrows sind für viele Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien bis heute verantwortlich.

(Tschetschenien, http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenien , Zugriff 11.01.2011, Ramzan Kadyrow, http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsan_Achmatowitsch_Kadyrow , Zugriff 11.01.2011, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus:

Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 25.11.2009, Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, Adat-Blutrache vom 5.11.2009, Martin Malek, Understanding Chechen Culture, Der Standard vom 19.01.2010, Eurasisches Magazin vom 03.05.2010, Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 20, The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 8, Issue 42, 02.03.2011, Ria Novosti (5.12.2012):

United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya, http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html , Zugriff 24.10.2013, Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html , Zugriff 24.10.2013)

1. Allgemeine Situation

In Tschetschenien hat Oberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Trotz deutlicher Wiederaufbauerfolge ist die ökonomische Lage in Tschetschenien desolat, es gibt kaum Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des staatlichen Sektors. Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle ging nach einem relativen Höchststand 2009 wieder zurück. Dennoch kam es 2010 und 2011 zu einigen ernsthaften Vorfällen. Im gesamten Nordkaukasus soll es nach Angaben des FSB 600 bis 700 aktive Rebellen geben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 15, Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 12 to 21 May 2011, 6.9.2011)

Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt, es kommt nicht mehr zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrow und anderen "pro-russischen" Kräften/Milizen - die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen - einerseits sowie den verbliebenen, eher in der Defensive befindlichen Rebellen andererseits. Die bewaffnete Opposition wird mittlerweile von islamistischen Kräften dominiert, welche allerdings kaum Sympathien in der Bevölkerung genießen. Die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf entlegene Bergregionen.

Seit Jahresbeginn 2010 ist es in Tschetschenien jedoch zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt, was teilweise ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien bewirkt. Die Macht von Ramzan Kadyrow, ist in Tschetschenien unumstritten. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe, über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Ministerpräsident Putin verfüge und sich großer Beliebtheit unter der Bevölkerung erfreue.

(Asylländerbericht Russland der Österreichischen Botschaft in Moskau, Stand 21.10.2010, Seite 15)

Der stetige Rückgang der föderalen Streitkräfte nach Ende der "heißen" Phase des zweiten Krieges ab 2002 kann als Zeichen für die verbesserte Sicherheitslage verstanden werden. Der Rückzug der russischen Truppen war nicht nur durch die Stabilisierung der Sicherheitslage, sondern auch durch die sukzessive Übergabe der Verantwortung auf lokale tschetschenische Streitkräfte, die erst in den letzten Jahren anwuchsen, möglich. Die andauernde Stationierung föderaler Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der trotz der Beendigung der von 1999 bis 2009 dauernden Anti-Terror-Organisation (ATO) nicht erfolgte Abzug zeigen, dass die tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin föderale Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen benötigen. Andererseits kann auch davon ausgegangen werden, dass Moskau seine Truppen vermutlich aus mangelndem Vertrauen in Kadyrow weiterhin dort stationiert lässt. Die in den letzten Monaten ergriffenen Maßnahmen und die Wortwahl der Präsidenten Medwedew und Kadyrow sowie des Ministerpräsidenten Putin zeigen jedenfalls, dass man zur Bekämpfung des "Terrorismus" im Nordkaukasus insgesamt weiterhin eher auf militärische Gewalt setzt, und soziale und wirtschaftliche Maßnahmen eine untergeordnete Rolle spielen.

Medwedew fordert weiterhin "brutale Maßnahmen" gegen Terroristen und spricht von einem "schonungslosen Kampf" gegen die Rebellengruppen. Auch in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Moskauer U-Bahn im März 2010 oder den Anschlag auf ein Kaffeehaus in Pjatigorsk im August 2010 sprach sich Medwedew für die "Zerstörung" der Kämpfer aus. In Anbetracht der 2014 in Sotschi stattfindenden olympischen Winterspiele wird gemutmaßt, dass Medwedew meinen könnte, allein die Anwendung roher Gewalt könne die Region genügend stabilisieren um die Abhaltung der Spiele nicht zu gefährden.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14)

Zusammenfassend ist auszuführen, dass nach Beendigung der Anti-Terror-Organisation 2009 temporär wieder vermehrt Anschläge in Tschetschenien zu verzeichnen waren. Die 2009 sprunghaft angestiegene Anzahl an Selbstmordanschlägen ist 2010 wieder stark eingebrochen. Der jüngste Angriff auf die Heimatstadt Kadyrows Zenteroi am 29. August 2010 lässt keine Zweifel, dass die tschetschenischen Rebellen auch zu taktisch herausfordernden Aktionen fähig sind. Von einer Stärkung der Widerstandsbewegung, die in der nächsten Zeit zu einem Ausbruch größerer Kamphandlungen führen könnte, ist jedoch nicht auszugehen.

Anders als im übrigen Nordkaukasus gingen die Angriffe bewaffneter Gruppen in Tschetschenien zurück.

(Amnesty International: Jahresbericht 2012 ,24.5.2012)

2011 gab es in Tschetschenien mindestens 201 Opfer des bewaffneten Konflikts, darunter 95 Tote und 106 Verwundete. 2010 waren es noch 250 Opfer gewesen (127 Tote, 123 Verletzte). Damit liegt Tschetschenien betreffend Opferzahlen hinter Dagestan an zweiter Stelle der nordkaukasischen Republiken. Gemäß Polizeiberichten wurden 2011 in Tschetschenien 62 Mitglieder des bewaffneten Untergrunds getötet (2010: 80), weitere 159 vermeintliche Kämpfer wurden festgenommen (2010: 166). 21 Sicherheitskräfte kamen bei Schießereien und Explosionen 2011 ums leben (2010: 44), 97 wurden verletzt (2010: 93). Des Weiteren wurden 2011 bei Terrorakten, Bombardierungen und Schießereien 12 Zivilisten getötet (2010: 3) und 9 verwundet (2010: 30).

2011 kam es in Tschetschenien zu mindestens 26 Explosionen und Terrorakten, 2010 waren es noch 37 gewesen. Unter den Explosionen und Terrorakten waren sieben Selbstmordanschläge.

(Caucasian Knot: In 2011, armed conflict in Northern Caucasus killed and wounded 1378 people, 12.1.2012, http://abhazia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/19641/ , Zugriff 3.12.2012)

Laut NRO "Kawkaski-Usel" waren 2011 in Tschetschenien 174 Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen zu beklagen, darunter 82 Tote.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 15)

2012 wurden zwischen Jänner und Mitte Oktober nach Angaben des Innenministeriums der Republik Tschetschenien 35 Kämpfer des bewaffneten Untergrunds in Tschetschenien getötet und weitere 80 verhaftet. Im selben Zeitraum seien 9 gemeinsame große Sonderoperationen gegen die Kämpfer durchgeführt worden.

(Caucasian Knot: The Ministry of Interior Affairs: 35 gunmen killed in Chechnya since the beginning of the year, 17.10.2012, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/22579/ , Zugriff 3.12.2012)

Die Gewalt im Nordkaukasus, angefacht von Separatismus, interethnischen Konflikten, dschihadistischen Bewegungen, Blutfehden, Kriminalität und Exzessen durch Sicherheitskräfte geht weiter, jedoch fiel das Gewaltlevel im Nordkaukasus allgemein 2012 um 10% verglichen mit dem Vorjahr. Die Gewalt in Tschetschenien ging 2012 stark zurück. (U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Andere kaukasische Teilrepubliken haben Tschetschenien bei der Zahl der registrierten Gewaltvorfälle überholt. 2012 gab es im Nordkaukasus insgesamt 700 kampfbedingte Todesopfer, davon mehr als die Hälfte in Dagestan, der größten kaukasischen Teilrepublik Russlands. Dort wurden knapp 300 Verbrechen verzeichnet, die mit Terrorismus im Zusammenhang standen, im restlichen Nordkaukasus 180.

(Tagesspiegel. Uwe Halbach (26.4.2013): Tschetschenien im Fokus, http://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/nach-den-anschlaegen-von-boston-tschetschenien-im-fokus/8130872.html ; Zugriff 24.10.2013)

Für die ersten neun Monate des Jahres 2013 berichtet Caucasian Knot 87 getötete Soldaten, 68 getöteten Zivilisten und 220 getöteten Rebellen im Nordkaukasus [Anm. nicht Tschetschenien allein]. Von staatlicher Seite wurde verlautbart, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2013 Straftaten, die mit Extremismus in Zusammenhang stehen im Nordkaukasus um 40% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen, jedoch terroristische Angriffe im selben Zeitraum um 10% sanken.

(Jamestown Foundation (4.12.2013): Eurasia Daily Monitor Volume 10 Issue 217. North Caucasus Prosecutor's Office Reports Rise in Extremism-Related Crimes)

Wenngleich sich die Sicherheitslage im Sinne dessen, dass keine großflächigen Kampfhandlungen stattfinden und es zu keiner Vertreibung der Zivilbevölkerung kommt, stabilisiert hat, so zeigt sich also, dass dies nicht zuletzt auf die repressive Machtausübung Ramzan Kadyrows und seiner Sicherheitskräfte zurückzuführen ist. Allgemein ist nach wie vor ein hohes Maß an Gewalt feststellbar, vor allem außerjudizielle Tötungen und Kollektivstrafen. Das teilweise brutale und in einigen Fällen als menschenrechtswidrig zu bezeichnende Vorgehen der Sicherheitskräfte (für das diese kaum belangt werden) bringt zwar auch Resultate mit sich, da immer wieder auch führende Kämpfer "neutralisiert", also getötet oder verhaftet, werden und die Sicherheitslage in Tschetschenien dadurch weitgehend stabilisiert werden konnte, andererseits trägt dieses Vorgehen dazu bei, dass sich auch junge Menschen, die sich zunächst nicht mit radikal-islamischem Gedankengut identifizieren, der Widerstandsbewegung anschließen. Deshalb wird die Rebellenbewegung auch in nächster Zeit nicht an Schlagkraft verlieren. Eine nachhaltige Befriedung ist also weiterhin nicht absehbar, die in Zusammenhang mit Tschetschenien so oft zitierte Gewaltspirale dreht sich weiter.

In Tschetschenien kam es im Sommer 2010 zu einer Spaltung innerhalb des bewaffneten Widerstands, als sich ein Teil der bewaffneten Kämpfer vom bis dahin einflussreichsten Anführer Doku Umarow und seiner Doktrin der Schaffung eines islamischen "Emirat Kaukasus" lossagte. Dieser Zwist führte, zusammen mit dem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen "Terroristen" und deren Angehörige, zu einer Abnahme der direkten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Widerstandskämpfern und Sicherheitskräften, ohne dass die Gewalt insgesamt weniger wurde. Die rund 20.000 "Kadyrowzy" sind nach wie vor aktiv. Die Jamestown Foundation schätzt, dass beinahe 90 Prozent der tschetschenischen islamistischen Gruppierungen nun dem Kommando von Emir Hussein unterstehen, während ein Großteil der dagestanischen, inguschetischen und kabardino-balkarischen "Jamaats" nach wie vor Umarow treu sind. Dieser wurde schon mehrmals totgesagt, was sich bis heute als falsch erwiesen hat.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation:

Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 4-5, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 6, 8 und 9; Russia, Freedom in the World 2012)

In Tschetschenien existiert noch immer eine islamistische Untergrundbewegung. Deren Mitglieder werden als "Wäldler" bezeichnet, da sie in den ausgedehnten und dichten Wäldern des Landes ihre Verstecke haben. Ihre Anzahl ist unbekannt. Sie sind jedoch zu effektiven Anschlägen, die meist als Selbstmordattentate erfolgen, fähig. Ziel der Islamisten ist die Errichtung eines "Kaukasischen Emirats" im Nordkaukasus. Ihr Anführer ist Doku Umarov, der selbsternannte "Oberste Emir" des Nordkaukasus. Die Städte gelten gegenwärtig als sicher vor Anschlägen durch die islamistischen Rebellen. Am gefährlichsten sind die Waldgebiete, insbesondere die Gebiete in den hohen Bergen an der Grenze zu Georgien sowie die Grenzgebiete zu Dagestan.

(BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete.

Einschätzungen zur zahlenmäßigen Stärke der Rebellen divergieren stark. In Tschetschenien ist es seit Jahresbeginn 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien).

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Im Ergebnis kann gesagt werden, dass Teile der Russischen Föderation, vor allem im Nordkaukasus, von hohem Gewaltniveau betroffen sind. Der relative Erfolg des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, bedeutende Rebellenaktivität in seinem Herrschaftsbereich einzuschränken, ging einher mit zahlreichen Berichten über außergerichtliche Tötungen und Kollektivbestrafung. Zudem breitete sich die Rebellenbewegung in den umliegenden russischen Republiken, wie Inguschetien, Dagestan und Kabardino-Balkarien aus. Hunderte Beamte, Aufständische und Zivilisten sterben jedes Jahr durch Bombenanschläge, Schießereien und Morde. Wenn auch die Gewalt im Nordkaukasus, angefacht von Separatismus, interethnischen Konflikten, dschihadistischen Bewegungen, Blutfehden, Kriminalität und Exzessen durch Sicherheitskräfte weiter geht, ging die Gewalt in Tschetschenien jedoch 2011 im Vergleich zu 2010 zurück.

(Freedom House: Freedom in the World 2013 - Russia, Jänner 2013, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

2.1. Sicherheitslage

Vertreter russischer und internationaler NROs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 15)

Bei Sondereinsätzen der Anti-Terror-Organisation geraten gelegentlich auch Zivilisten ins Schussfeld, wie etwa ein Vorfall im inguschetisch-tschetschenischen Grenzgebiet im Februar 2010 zeigt:

Bei diesem Sondereinsatz kamen je nach Angaben zwischen vier und 14 Zivilisten ums Leben. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass Sicherheitskräfte getötete Zivilisten manchmal als Kämpfer bezeichnen würden, um die Statistik zu schönen. Die derzeit stattfindenden Kämpfe führen jedoch nicht zu einer Vertreibung der Zivilbevölkerung.

Bis Mai 2011 hatte der EGMR in rund 180 Fällen Verletzungen der Artikel 2 und 3 der EMRK bei Einsätzen der Sicherheitskräfte in Tschetschenien festgestellt. 60% der Beschwerden betrafen das Verschwinden von Personen. [...] Die andauernden Muster der Straffreiheit für solch ernsthafte Verletzungen zählen zu den hartnäckigsten Menschenrechtsproblemen im Nordkaukasus. Es gab sicherlich mehrere positive Schritte wie die Einrichtung von Untersuchungskomitees, die Unterstützung der Teilnahme von Opfern bei der strafrechtlichen Verfolgung und die Verkündung mehrerer Direktiven hierzu. Viele Untersuchungen ergeben jedoch keinerlei Ergebnisse; in Fällen, in denen Behörden selbst in Verbrechen involviert waren bestehen Zweifel, inwieweit diese mit den Untersuchungsbehörden die notwendige Kooperation ermöglichen können.

(Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 12 to 21 May 2011, 6.9.2011)

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) will sicherstellen, dass die Polizei und Truppen des Innenministeriums, welche Sicherheitsoperationen durchführen, die Gesetze kennen. Daher führte das Komitee zwischen Juni 2010 und Jänner 2011 Informationsveranstaltungen für Sicherheitskräfte durch. Zudem führt das IKRK regelmäßigen Dialog mit föderalen und lokalen Exekutivbehörden über Festnahmen, Inhaftierungen und Gewaltanwendung.

(ReliefWeb: Russian Federation/Northern Caucasus: ICRC maintains aid effort, 1.3.2011,

http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/JARR-8EJHNK?OpenDocument&rc=4&emid=ACOS-635PN7 )

In den letzten Jahren kehrten nicht nur tausende Binnenflüchtlinge in ihre Häuser zurück, sondern auch Tschetschenen, die nach Europa flüchteten. Das subjektive Unsicherheitsgefühl verhindert eine solche Rückkehr scheinbar nicht. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in Tschetschenien weiterhin Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen oder unmenschliche Behandlung durch Sicherheitskräfte stattfinden und fragwürdige Maßnahmen wie die Kollektivbestrafung von Kadyrow und anderen tschetschenischen Amtsträgern gutgeheißen werden.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 5)

Nach wie vor finden im Nord-Kaukasus zahlreiche außergesetzliche Tötungen durch Behördenorgane und Angehörige bewaffneter Gruppierungen statt.

Obwohl es 2012 weniger Vorfälle gegeben hat als die Jahre zuvor, bleiben Landminen nach wie vor ein Problem (U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia).

Im gesamten Nordkaukasus gab es 2012 weiterhin regelmäßig Sicherheitseinsätze der Polizeikräfte. Dabei kam es Berichten zufolge häufig zu Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, rechtswidriger Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen sowie außergerichtlichen Hinrichtungen.

(Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/248036/374230_de.html ; Zugriff 11.12.2013)

2.2. Die Rebellen

Die tschetschenische Rebellenbewegung entwickelte sich bereits vor Ausbruch des zweiten Krieges immer mehr von einer separatistischen hin zu einem islamistischen Netzwerk und radikalisierte sich im Verlauf der Kriegsjahre erheblich. Damit einher ging die Ausbreitung der Gewalt auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, wo die Sicherheitslage mittlerweile als prekärer als in Tschetschenien gilt, sowie in geringerem Ausmaß auch auf Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien und Nordossetien. Durch die Ausrufung des "Kaukasus Emirats" durch Doku Umarow (Emir Abu Usman) Ende Oktober 2007 wurde offensichtlich, dass sich der tschetschenische Widerstand nunmehr als Teil einer pankaukasischen islamischen Bewegung betrachtet, deren Ziel nicht die Unabhängigkeit der Republik, sondern vielmehr die "Befreiung" der derzeit "von den Russen besetzten" "islamischen Lande" von "Ungläubigen" ist. Grundsätzlich kann die tschetschenische Rebellenbewegung daher heute nicht mehr losgelöst von den im gesamten Nordkaukasus agierenden Rebellengruppen betrachtet werden. Die einzelnen Gruppen des die Republiksgrenzen überschreitenden Netzwerks stehen zwar miteinander in Verbindung, handeln jedoch weitgehend autonom und dürften einzelne Angriffe auch nicht miteinander koordinieren.

Die tatsächliche Anzahl der Kämpfer ist unklar, Schätzungen reichen von 50 bis 60 (Aussagen Kadyrows) über rund 500 (FSB) bis zu 1.500 Mann (einzelne unabhängige Beobachter in Tschetschenien). Doku Umarow gab im März 2010 an, die Anzahl der Mudschaheddin im gesamten Nordkaukasus läge zwischen 10.000 und 30.000 Mann, bei entsprechenden Ressourcen könnte er fünf- bis zehnmal so viele anführen. Während die Angaben Kadyrows zu niedrig angesetzt sind (allein 2009 sollen offiziellen Angaben zufolge 190 Kämpfer in Tschetschenien ums Leben gekommen sein, in den ersten sieben Monaten 2010 51), sind jene Umarows sicherlich stark übertrieben.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14-15)

Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat den Tod des tschetschenischen Rebellenführers Doku Umarow bestätigt. Der "russische Bin Laden" sei bei einem Einsatz "neutralisiert" worden, sagte FSB-Chef Alexander Bortnikow am Dienstag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Zudem seien mehr als 200 Extremisten festgenommen worden. Dabei wurden große Mengen Waffen und Sprengsätze sichergestellt. Bortnikow sagte zudem, der FSB habe gemeinsam mit Polizei und Ermittlern die Hintermänner der tödlichen Terroranschläge in Wolgograd vom Dezember 2013 geschnappt. Die Attentate, denen 30 Menschen zum Opfer fielen, seien aufgeklärt, sagte Bortnikow. Mitte März hatte eine Internetseite der Islamisten im Konfliktgebiet Nordkaukasus den "Märtyrertod" Umarows mitgeteilt. Er galt als Chef des selbst-proklamierten sogenannten Emirats des Kaukasus. Die gleichnamige Extremistengruppe kämpft für eine islamistische Herrschaft im gesamten Kaukasusgebiet. Der Rebellenführer bekannte sich zu zahlreichen Gewalttaten im ganzen Land, darunter die Anschläge auf den Moskauer Flughafen Domodedowo im Jänner 2011 und die Moskauer U-Bahn im März 2010 mit insgesamt 77 Toten. In den vergangenen Jahren hatte es mehrmals Meldungen über den Tod Umarows gegeben, die nie bestätigt wurden. Der Terroristenführer selbst hatte gedroht, die ersten russischen Olympischen Winterspiele zu verhindern. Bei den Spielen in Sotschi war es im Februar allerdings ruhig geblieben. (Die Presse, Geheimdienst bestätigt Tod von Islamistenführer Umarov, 8.4.2014, http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1587995/ , Zugriff am 2.5.2014)

Ali Abu-Muhammad, geborener Aliaskhab Kebekov, bestätigte in einer Internetaussendung vom 18. März 2014 den Tod von Doku Umarow. Kebekov stellte fest, dass er zum neuen Führer des Kaukasus-Emirats gewährt wurde. Er war seit 2010 Sharia-Richter im Kaukasus-Emirat. Er kündigte die Fortführung des Jihad an und rief die Muslime des Nordkaukasus auf, sich dem Kampf anzuschließen. Er kündigte aber keine neuen Terroranschläge an. Der neue Rebellenführer stammt aus Dagestan und ist ethnischer Avare. Er spricht arabisch und kaum russisch. Er studierte in Syrien und war im Alkoholschmuggel in den 1990er Jahren involviert, bevor er konvertierte. Kebekov ist der erste nicht tschetschenische Führer der Kaukasischen Rebellen. Das bestätigt den Trend der letzten Jahre, dass sich das Schwergewicht der Kämpfe im Kaukasus von Tschetschenien nach Dagestan verlagert. Dies ist einerseits der auf die Stabilisierung der Situation in Tschetschenien gerichteten Politik und anderseits der Massenmigration tschetschenischer Rebellen nach Syrien geschuldet. Ebenso ist das der Effekt der schnellen Entwicklung radikalen Islams in Dagestan. Es ist zu erwarten, dass Dagestan das Zentrum des Jihad im Nordkaukasus bleiben wird, während die militärische Untergrundbewegung in den übrigen Republiken eine kleinere Rolle spielen wird. Während die Unterstützung für Kebekov in Dagestan unbestritten ist, ist dies in den übrigen Republiken nicht klar. Das zeigt sich auch in der langen führerlosen Zeit nach dem Tod Doku Umarows, was ggf. Meinungsverschiedenheiten in der Frage des künftigen Führers geschuldet war. Es wurde lange vermutet, dass Aslambek Vadalov, der letzte einflussreiche Veteran des Tschetschenienkrieges, ein ethnischer Tschetschene, Nachfolger Umarows wird. Kebekovs Machtergreifung könnte daher zu einer Fragmentierung des Kaukausus-Emirats und einer stärkeren Homogenisierung der Untergrundbewegung in Dagestan führen. (Osrodek Studiow Wschodnich im. Marka Karpia, Militants oft he North Caucasus have a new leader, 26.3.2014)

Einige Experten glauben, dass sich das Projekt Kaukasus-Emirat nach dem Tod von Doku Umarow signifikant ändern oder einschlafen wird. Der neue Führer des Kaukasus-Emirats, Alaiskhab Kebekov, wird aller Voraussicht nach eine mildere Form des Jihad verfolgen: Berichten zufolge ist er gegen Selbstmordanschläge. Die Wahl des neuen Emirs reflektiert die Verlagerung des Aufstandes von Tschetschenien nach Dagestan und von Nationalismus zur überstaatlichen islamistischen Ideologie. (Jamestown Foundation, Russian Authorities Step up Efforts to Disrupt North Caucasus Insurgency's Financing; Euarsia Daily Monitor, Vol. 11 Iss. 55, 24.3.2014)

Die tschetschenischen Rebellen leisteten ihren Treueeid auf den neuen Führer des Kaukasus-Emirats, Emir Abu Muhammad, obwohl der Emir von Tschetschenien, Emir Khamzat, der Umarows erster Stellvertreter war, nicht unter denen war, die den Eid geschworen haben. Es ist nicht klar, ob er an der Seite von Umarow gestorben ist.Einige Beobachter äußerten Zweifel, ob das tschetschenische Jamaat noch existiert oder nicht. Das Jamaat scheint aber weiterzubestehen und verfügt nun über größere Freiheiten, weil bisher ein Gutteil seiner Aktivitäten auf den Schutz von Doku Umarow konzentriert war. Dessen Bruder, Ahmad Umarow, bestätigte in einer Audiobotschaft, dass Khamzat der Emir von Tschetschenien bleibt. Ein Bombenanschlag am 3. April 2014 auf ein Militärfahrzeug bezeugt, dass die Rebellen in Tschetschenien nicht "neutralisiert" wurden. (Jamestown Foundation, Rebels Continue to Operate in Chechnya Despite Doku Umarov's Death; Eurasia Daily Monitor, Vol. 11, 68, 10.4.2014)

2.2.1. Das Vorgehen der Rebellen

In den ersten Jahren des zweiten Krieges kämpften ganze Armeedivisionen und Brigaden russischer Truppen gegen die Rebellen. Nachdem es den föderalen Truppen gelungen war, große Kampfverbände zu besiegen, gingen die Auseinandersetzungen in einen Guerillakrieg über. In den ersten Monaten des zweiten Tschetschenienkrieges waren die russischen Truppen, die sich vor allem auf die als Hochburgen der Rebellen geltenden südlichen Regionen der Republik konzentrierten, beinahe täglich Bombenanschlägen und Angriffen durch Heckenschützen ausgesetzt. Die Stärke und Kräfte der Kämpfer nahmen ab 2002 und deutlich mit 2004 ab, die Häufigkeit militärischer Aktionen ging zurück. Nachdem viele hochrangige Kommandeure der ersten Generation liquidiert worden waren, - nämlich im März 2002 Ibn al-Chattab, im Jänner 2003 Ruslan Gelajew, im März 2005 Aslan Maschadow, im Juni 2006 Abdul-Chalim Sadulajew und im Juli 2006 Schamil Bassajew - verlor die Rebellenbewegung in Tschetschenien insgesamt an Schlagkraft. Die jüngsten Anschläge im russischen Kernland - jener auf den Zug Newski-Express im November 2009 und die Moskauer U-Bahn im März 2010 - gingen Bekennerschreiben zufolge zwar ebenfalls auf das Konto nordkaukasischer Rebellen, allerdings vermutlich nicht tschetschenischer.

Heutzutage teilt sich die Rebellenbewegung in Tschetschenien in kleine, extrem mobile und unabhängige Gruppen von Kämpfern, die sich im gesamten Nordkaukasus praktisch mehr oder weniger frei bewegen können.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 16)

2.2.2. Neuerliche Gewalt durch Rebellengruppen

Als Gründe für den neuerlichen Gewaltausbruch werden nicht nur religiöser Extremismus und ethnischer Separatismus genannt. Auch die autoritäre Politik Kadyrows und die durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte begangenen Menschenrechtsverletzungen werden als Auslöser genannt. Wie bereits erwähnt werden Armut und die schlechte wirtschaftliche Lage sowie die weit verbreitete Korruption und Clanwirtschaft ebenso dafür verantwortlich gemacht, den Zulauf aus der tschetschenischen Bevölkerung zur Widerstandsbewegung nicht abreißen zu lassen.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14-18)

Am 19.10.2010 drangen Terroristen sogar bis zum schwer bewachten Parlament in Grosny vor. Aus bisher ungeklärten Gründen gelang es drei Terroristen die Sperre vor dem Parlamentsgebäude zu passieren. Einer der Angreifer sprengte sich davor in die Luft, zwei Untergrundkämpfer drangen in das Gebäude ein, lieferten sich im Erdgeschoss ein Feuergefecht mit den tschetschenischen Sicherheitskräften und sprengten sich dann selbst in die Luft. Außer den Terroristen wurden bei dem Überfall drei Personen getötet, darunter zwei Polizisten und ein tschetschenischer Zivilist. 17 Personen, darunter sechs Polizisten und elf Zivilisten, wurden verletzt. Mit dem Überfall zeigten die Separatisten, dass sie auch in Tschetschenien, wo es in den letzten Jahren weit weniger Anschläge gegeben hatte, als in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, noch handlungsfähig sind.

(Eurasisches Magazin: Der Terror in Tschetschenien ist zurück vom 06.12.2010)

Am 6. Juli 2010 forderte Putin im südrussischen Kislowodsk eine Amnestie für die Untergrundkämpfer im Nordkaukasus. Damit bewies er, dass man mit allen Mitteln Frieden erreichen will.

(Informationszentrum Asyl & Migration: Russische Föderation, Länderinformation und Pressespiegel zur Menschenrechtslage und politischen Entwicklung, Lage im Nordkaukasus vom September 2010, Seite 5)

Am 3.7.2013 hat Doku Umarov - der selbsternannte Emir des Kaukasus Emirats - die von ihm ausgerufene "Waffenruhe" zurückgenommen und damit gedroht, die Olympischen Winterspiele im Februar 2014 in Sotschi zu attackieren.

Bei zwei Selbstmordanschlägen auf einen Linienbus und im Bahnhof von Wolgograd (ehemals Stalingrad) waren am Sonntag (29.12.2013) und am Montag (30.12.2013) insgesamt mindestens 34 Menschen getötet und 72 Menschen verletzt worden. Moskau verdächtigt tschetschenische Islamisten, die damit gedroht haben, die Olympischen Winterspiele (7. bis 23. Februar) im knapp 700 Kilometer südwestlich gelegenen Sotschi attackieren zu wollen.

Nach den tödlichen Anschlägen in Wolgograd hat der russische Präsident Wladimir Putin verschärfte Anstrengungen für die Sicherheit der Olympischen Winterspiele in Sotschi angekündigt. Russland werde "entschieden und unnachgiebig den Kampf gegen Terroristen bis zu deren vollständiger Ausradierung fortsetzen", sagte Putin am Dienstag in seiner Neujahrsansprache laut Interfax.

(Quelle(n): Geopolitical Monitor (22.12.2013): Assessing the Terrorist Threat to the Sochi Olympics, http://www.geopoliticalmonitor.com/assessing-the-terrorist-threat-against-the-sochi-olympics-4897/ ;

Zugriff 2.1.2014, Der Standard (1.1.2014): Putin in Wolgograd:

"Widerliche Verbrechen",

http://derstandard.at/1388514289560/Putin-besucht-nach-Anschlaegen-Wolgograd ;

Zugriff 2.1.2014, ORF.at (31.12.2013): Sorge um Sicherheit in Sotschi, http://orf.at/stories/2212300/2212298/ ; Zugriff 2.1.2014)

Ein föderales Gesetz vom 2.11.2013 (Nr. 302-FZ) ermöglicht eine "Wertabschöpfung" bei Verwandten und Angehörigen hinsichtlich Vermögenszuwächse durch terroristische Tätigkeit.

2.3.1. Menschenrechte allgemein

Russland befindet sich seit dem Ende der Sowjetunion in einem umfassenden und schwierigen Transformationsprozess. Formal garantiert Russland in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten. Menschenrechtler kritisieren jedoch Mängel bei der praktischen Umsetzung der verbrieften Rechte. Repressive Traditionen und ein Mangel an Erfahrungen mit Rechtsstaatlichkeit verbinden sich mit einem teilweise immer noch fehlenden Bewusstsein für individuelle Rechte und Freiheiten. Hinzu kommen Mängel bei der Unabhängigkeit der Judikative und die verbreitete Korruption. Seit Mai 2012 werden ein wachsender staatlicher Druck auf die kritische Zivilgesellschaft und einzelne Akteure beobachtet. Bei der Terrorismusbekämpfung, insbesondere im Nordkaukasus, sind auch autoritäre Einschränkungen der Grundrechte zu beobachten. Trotz einiger Reformbemühungen unter dem damaligen Präsidenten Medwedew, namentlich im Strafvollzugsbereich, bestehen bei der Menschenrechtslage im Land in einigen Bereichen erhebliche Defizite fort.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Länder, Reise, Sicherheit - Russische Föderation - Innenpolitik, Stand Oktober 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , 6.2.2013)

Die wichtigsten Menschenrechtsverletzungen 2011 betrafen Verstöße gegen demokratische Prozesse, die Justizverwaltung und den Rechtsstaat, sowie die Meinungsäußerungsfreiheit. Weitere beobachtete Probleme umfassten physische Misshandlung von Wehrdienern durch Militärs; Einschränkungen der Versammlungsfreiheit; weit verbreitete Korruption auf allen Ebenen der Staatsführung und im Gesetzesvollzug; Gewalt gegen Frauen und Kinder; xenophobische Angriffe und Hassverbrechen; gesellschaftliche Diskriminierung, Schikane und Angriffe auf religiöse und ethnische Minderheiten und Immigranten; gesellschaftliche und behördliche Einschüchterung der Zivilgesellschaft und von Gewerkschaftern; Diskriminierung von Homosexuellen; und Einschränkungen der Arbeiterrechte.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

2.3.2. Die Menschenrechtslage in Tschetschenien

Die Regierung von Ramsan Kadyrow in Tschetschenien verletzt weiterhin Grundfreiheiten, ist in Kollektivbestrafungen von Familien vermeintlicher Rebellen involviert und fördert insgesamt eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung. Der tschetschenische Ombudsmann Nurdi Nukhazhiyev zeigte sich der wichtigsten NRO in der Region, Memorial, gegenüber unkooperativ. Die Behörden weigerten sich gelegentlich mit NRO, die ihre Aktivitäten kritisierten, zusammenzuarbeiten. Menschenrechtsgruppen beschwerten sich, dass Sicherheitskräfte unter dem Kommando Kadyrows eine bedeutende Rolle bei Entführungen spielten, entweder auf eigene Initiative oder in gemeinsamen Operationen mit föderalen Kräften. Darunter waren Entführungen von Familienmitgliedern von Rebellenkommandanten und -kämpfern.

Wie berichtet wird, wird Folter sowohl von lokalen Behördenorganen als auch von föderalen Kräften angewendet.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

Es werden weiterhin Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit den "anti-terroristischen" Operationen der Regierung berichtet. Anwälte, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen berichten über Entführungen, willkürliche Verhaftungen, Folter, "Verschwindenlassen" und widerrechtliche Tötungen. Der russische Ombudsmann hat mehrfach über Verstöße im Nordkaukasus berichtet, ebenso wie der Menschenrechtskommissar des Europarates. Solche Berichte scheinen vor Ort aber wenige Auswirkungen zu haben.

(Council of Europe - Parliamentary Assembly: The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, 5.3.2012)

Im Übrigen bezweifelt der Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ernsthaft, ob der tschetschenische Ombudsmann seine Rolle als unabhängige Institution zum Schutz der Menschenrechte in der Republik versteht.

(Council of Europe-Parliamentary Assembly (5.3.2012): The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1331036948_edoc12882.pdf ; Zugriff 9.12.2013)

Berichten zufolge verübten Beamte mit Polizeibefugnissen nach wie vor schwere Menschenrechtsverletzungen. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. In einigen Fällen wurden Opponenten und Kritiker Kadyrows in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Mord an Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden.

(Amnesty International: Jahresbericht 2012 [Beobachtungszeitraum 2011], 24.5.2012, ÖB Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, Stand September 2012)

In Teilen des Nordkaukasus kommt es weiterhin zu Entführungen, illegalen Festnahmen und Folter von Verdächtigen.

Menschenrechtsverletzungen werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. Mehrere Opponenten und Kritiker des Oberhauptes Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, wurden in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland, durch Auftragsmörder getötet (darunter Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden.

Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2.000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungskräften, Aufständischen, islamistischen Militanten und kriminellen Kräften zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, wie außergerichtlichen Tötungen, Folter, körperlichem Missbrauch und politisch motivierten Entführungen führte.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Der relative Erfolg des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow bei der Unterdrückung größerer Rebellenaktivitäten in seinem Einflussbereich wird begleitet von zahlreichen Berichten über außergerichtliche Hinrichtungen und Kollektivbestrafungen.

(Freedom House: Freedom in the World 2012 - Russia, März 2012)

Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Wiederholte Äußerungen von Präsident Medwedew und anderen Funktionsträgern deuten darauf hin, dass Recht und Gesetz hinreichend eingehalten und die Menschenrechte respektiert werden sollen. Die Urteile des EGMR werden von Russland nicht vollständig umgesetzt. 2011 wurden in Tschetschenien 20 Fälle registriert, in denen Personen entführt wurden, verschwanden oder gesetzwidrig verhaftet wurden (2010: 6). Memorial dokumentierte zwischen Jänner und September 2011 elf Fälle von Entführungen lokaler Einwohner durch Sicherheitskräfte. Opfer weigern sich aus Angst vor behördlicher Vergeltung zusehends über Verstöße zu sprechen. In einem Brief an eine russische NRO im März 2011 sagten die föderalen Behörden, dass die tschetschenische Polizei Untersuchungen von Entführungen sabotierten und manchmal die Täter deckten. In einem Schreiben an die NGO "Interregionales Komitee gegen Folter" bestätigte ein hochrangiger tschetschenischer Staatsanwalt, dass die Ermittlungen zu den Fällen von Verschwindenlassen in Tschetschenien ineffektiv seien. Vertreter russischer und internationaler NRO zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Schariah-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen.

(Caucasian Knot: In 2011, armed conflict in Northern Caucasus killed and wounded 1378 people, 12.1.2012, http://abhazia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/19641/ , Zugriff 3.12.2012, Human Rights Watch: World Report 2012, 22.1.2012, Amnesty International: Jahresbericht 2012 24.5.2012; Auswärtiges Amt:

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 15)

2.3.3. Religionsfreiheit

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist. Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen.

(BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen um seine Herrschaft zu rechtfertigen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und wies das Tragen einer Hidschab in öffentlichen Gebäuden an.

(U.S. Commission on International Religious Freedom (30.4.2013):

Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom,

http://www.uscirf.gov/images/2013 USCIRF Annual Report (2).pdf ; Zugriff 9.12.2013, Department of State (20.5.2013): 2012 International Religious Freedom Report - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/247446/371031_de.html ; Zugriff 9.12.2013)

Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht.

Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten, und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition rechtzufertigenden Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht.

(BAA Staatendokumentation (19.5.2011): Analyse zu Russland: Religion in der Republik Tschetschenien: Sufismus)

2.3.4. Menschenrechtsaktivisten und Gegner Kadyrows:

Seit 2009 wurde eine zunehmende Zahl von Menschenrechtsverteidigern aus dem Nordkaukasus drangsaliert, geschlagen, entführt und getötet. Auch der tschetschenische Präsident Ramzan Kadyrow beschuldigte am 3. Juli 2010 in einem Fernsehinterview Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, vom Ausland bezahlt zu sein, und bezeichnete sie als "Verräter, welche "die Idee des Mutterlands verkauft" hätten, zudem als "Feinde des Volkes, Feinde des Gesetzes, Feinde des Staates".

(Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 14-15)

Einer der zuletzt bekannt gewordenen Fälle betrifft den kritischen politischen Journalisten der Tageszeitung "Kommersant" Oleg Kaschin, der am 06.11.2010 vor seinem Haus von Unbekannten zusammengeschlagen und schwer verletzt wurde.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 9)

Die Verfolgung von Familienmitgliedern und Unterstützern von Widerstandskämpfern ist in der Russischen Föderation eine der Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus im Nordkaukasus. Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es dadurch Rebellen Lebensmittel, Kleidung oder Schlafstätten zur Verfügung zu stellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug.

In deutsch- und englischsprachigen Medien und Berichten von russischen und anderen Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen finden sich keine Hinweise, dass in den letzten Jahren oder derzeitig, Personen, die den Widerstand in den Jahren vor der letzten offiziellen Amnestie 2006 unterstützt oder selbst gekämpft und eine Amnestie in Anspruch genommen haben, oder die mit einer solchen Person verwandt sind, nunmehr allein deshalb verfolgt würden. Betroffen sind hauptsächlich Unterstützer und Familienmitglieder gegenwärtig aktiver Widerstandskämpfer. Um unbehelligt leben zu können müssen sich amnestierte Kämpfer und Unterstützer und deren Familien Ramsan Kadyrow gegenüber sicherlich weiterhin loyal zeigen. Ein Austritt aus den lokalen Sicherheitskräften, in denen viele der Amnestierten nunmehr arbeiten (müssen) wird nur bedingt möglich sein.

Obwohl eine strafrechtliche Verfolgung von Unterstützern des Widerstandskampfes möglich ist, greifen die tschetschenischen Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den Terrorismus weiterhin auf Mittel ohne rechtliche Grundlage zurück. Einerseits gibt es vereinzelte Berichte, dass Unterstützer ohne jegliches Verfahren für ihre vermeintliche Hilfeleistung "bestraft" werden. Andererseits finden sich zahlreiche Berichte über Formen der Kollektivbestrafung von Familienmitgliedern (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer. Betroffen ist vorwiegend der engere Familienkreis, also Eltern, Onkeln, Cousins und Ehefrauen. Die tschetschenischen Behörden gehen aufgrund der traditionell sehr engen Familienbande davon aus, dass Familien ihre im Wald lebenden Angehörigen unterstützen, vor allem aber davon, dass diese Familien im Stande sind, ihre Angehörigen zu einer Rückkehr aus dem Wald zu bewegen. Die Verfolgung beginnt mit dem Einsatz von Druckmitteln wie der Streichung von Sozialbeihilfen, und führt bis zur Niederbrennung der Wohnhäuser der betroffenen Familien. Offizielle Beschwerden oder Anzeigen hiergegen sind kaum möglich.

(BAA/Staatendokumentation: Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien, 20.4.2011)

2012 wurden ab Jahresbeginn bis September rund 40 Personen festgenommen, um auf die Rebellen Druck auszuüben. Die meisten der Verhafteten sind Frauen, die beschuldigt werden, den Rebellen Nahrung gekauft oder Unterkunft gegeben zu haben. Die offiziellen Statistiken können jedoch nicht für bare Münze genommen werden. Tschetschenische Exekutiv- und Sicherheitsbehörden unter der de-facto Kontrolle von Ramsan Kadyrow wenden gegenüber Verwandten und mutmaßlichen Unterstützern vermeintlicher Rebellen Kollektivstrafen an. Das Niederbrennen von Häusern vermeintlicher Rebellen, ein Mechanismus der Kollektivbestrafung, der seit 2008 angewandt wird, ging Berichten zufolge weiter. Im Juli 2011 berichtete Caucasian Knot über mehrere Häuser, die niedergebrannt wurden, die Familien junger Leute gehörten, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten. Im April 2012 wurde Rechtsaktivisten von Bewohnern des Dorfes Komsomolskoye/Bezirk Gudermes berichtet, dass Personen in Uniform die Häuser von den Eltern und Großeltern eines wenige Tage zuvor getöteten Rebellen niedergebrannt hatten. Kadyrow und andere tschetschenische Beamten haben bei mehreren Gelegenheiten ausgesagt, dass Angehörige von Aufständischen für ihre Rebellen-Verwandten zur Verantwortung gezogen werden müssen.

(The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 9, Issue 176, 27.9.2012, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, Human Rights Watch: World Report 2012, 22.1.2012, The Jamestown Foundation: North Caucasus Weekly -- Volume 13, Issue 10, 18.5.2012 / Caucasian Knot: Chechnya: houses of relatives of Bantaev, killed in special operation, burnt down, locals say, 5.5.2012, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/20948/ , Zugriff 3.12.2012)

Familien sehen sich weiterhin Vergeltungsmaßnahmen für angebliche Vergehen von Familienmitgliedern gegenüber. Kadyrow führte seine Anti-Widerstandsstrategie der kollektiven Bestrafung gegen Familienmitglieder von verdächtigen Aufständischen weiter, einschließlich des Anzündens ihrer Häuser.

Menschenrechtsgruppen beschwerten sich, dass Sicherheitskräfte unter dem Kommando Kadyrows eine bedeutende Rolle bei Entführungen spielten, entweder auf eigene Initiative oder in gemeinsamen Operationen mit föderalen Kräften. Darunter fielen Entführungen von Familienmitgliedern von Rebellenkommandanten und -kämpfern.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Es kann von niemandem mit Sicherheit gesagt werden, wie viele Rebellen heutzutage in Tschetschenien aktiv sind. Rekrutierung findet konstant statt. Rebellen und jene die aktive Rebellen unterstützen sind Hauptziel der tschetschenischen Behörden, während ehemalige tschetschenische Rebellen für die Behörden von weniger Interesse sein dürften. Aktive Rebellen werden für gewöhnlich während Sonderoperationen getötet, während Unterstützer festgenommen werden. Bei der Befragung von Personen, die der Zusammenarbeit mit Rebellen bezichtigt werden, soll es zu Folter kommen. In einer Reihe von Fällen wurden Personen für verschiedenartige Unterstützung der Rebellen zu Haftstrafen verurteilt.

(Landinfo: Tsjetsjenia: Tsjetsjenske myndigheters reaksjoner mot opprørere og personer som bistår opprørere, 26.10.2012, http://www.landinfo.no/asset/2200/1/2200_1.pdf , Zugriff 3.12.2012)

2.3.5. Sicherheitsbehörden

In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden oft zusammenfassend als Kadyrowzy bezeichnet, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften. Die tschetschenischen Sicherheitskräfte bestehen aus einem "relativ undurchsichtigen Geflecht von verschiedenen Einheiten", wie in einer Analyse der Staatendokumentation festgehalten wurde. Davon konnte man sich während des Forschungsaufenthalts überzeugen: Die zahlreichen in den Straßen der Hauptstadt Grosny zu sehenden Sicherheitskräfte tragen eine Vielzahl an verschiedenen Uniformen. Viele bewaffnete Männer in schwarzer oder Camouflage-Kleidung tragen keinerlei Abzeichen, die erkennen lassen würden, ob oder zu welcher polizeilichen oder militärischen Einheit sie gehören. Vereinzelt sieht man in den Straßen Grosnys auch Männer in Zivil, die eine Handfeuerwaffe im Gürtel tragen.

(Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation (12.2011): Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien)

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg).

Tschetschenische Kommandoeinheiten werden von russischen Eliteeinheiten wie z.B. ALFA (eine spezielle Eliteeinheit des FSB) für den Einsatz in bergigen Gebieten und Wäldern trainiert. Das Trainingslager für tschetschenische Spezialeinheiten befindet sich im Dorf Tsenteroi im Kurchaloi Distrikt. Aus dem Bericht der Jamestown Foundation geht hervor, dass der Major und seine Auszubildenden nicht-russische khakifarbene Uniform ohne jegliches Abzeichen einer bestimmten Behörde trugen.

(Jamestown Foundation (6.12.2013): Eurasia Daily Monitor Volume 10 Issue 219. Training of Chechen special forces causes controversy in Moscow)

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte führt nach wie vor häufig zu Menschenrechtsverletzungen. Bewaffnete Gruppen überfielen erneut Angehörige der Sicherheitskräfte, örtliche Staatsbedienstete und Zivilpersonen. Angriffe bewaffneter Gruppen wurden aus dem gesamten Nordkaukasus gemeldet. Im gesamten Nordkaukasus gab es 2012 weiterhin regelmäßig Sicherheitseinsätze der Polizeikräfte. Dabei kam es Berichten zufolge häufig zu Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, rechtswidriger Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen sowie außergerichtlichen Hinrichtungen.

Die Behörden verstießen systematisch gegen ihre Verpflichtung, bei Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte umgehend unparteiische und wirksame Ermittlungen einzuleiten, die Verantwortlichen zu identifizieren und sie vor Gericht zu stellen. In einigen Fällen wurden zwar Strafverfolgungsmaßnahmen ergriffen, meistens konnte im Zuge der Ermittlungen jedoch entweder kein Täter identifiziert werden oder es fanden sich keine Beweise für die Beteiligung von Staatsbediensteten oder man kam zu dem Schluss, es habe sich um keinen Verstoß seitens der Polizeikräfte gehandelt. Nur in Ausnahmefällen wurden Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Polizeibeamte wegen Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit Folter- und Misshandlungsvorwürfen ergriffen. Kein einziger Fall von Verschwindenlassen oder außergerichtlicher Hinrichtung wurde aufgeklärt und kein mutmaßlicher Täter aus den Reihen der Ordnungskräfte vor Gericht gestellt.

(Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/248036/374230_de.html ; Zugriff 9.12.2013).

2.3.6. Haftbedingungen

Die Situation im Strafvollzug ist unbefriedigend. Übergriffe von Wärtern auf Gefangene kamen weiterhin vor, ebenso wie Übergriffe von Gefangenen untereinander.

Die meisten Strafanstalten und Untersuchungsgefängnisse sind veraltet und überbelegt. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist vielfach nur gelegentlich möglich. Das Essen ist einseitig und vitaminarm. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Den Ärzten mangelt es im Allgemeinen an geeigneter Qualifizierung, Medikamente sind begrenzt verfügbar und Geräte sind alt. Spezialisten sind in den Haftanstalten nicht verfügbar, oftmals war nur eine Krankenschwester eingestellt.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 6.7.2012, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, )

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich in den letzten zehn Jahren langsam, aber kontinuierlich verbessert. Allerdings entsprechen die Haftbedingungen im Hinblick auf Verpflegung und medizinische Versorgung der Häftlinge sowie hygienische Einrichtungen nicht immer allgemein anerkannten Mindeststandards. Gerade in Jugendhaftanstalten und in Untersuchungsgefängnissen sind die Haftbedingungen besonders harsch.

(Österreichische Botschaft Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, September 2012)

Ein Vertreter einer NRO gab 2011 an, dass die Anwendung von Folter in Tschetschenien in den letzten Jahren anstieg. Gewöhnlich umfasst diese Folter starke Schläge und im Falle längerer Haftzeiten auch Elektroschocks, so dass bei einer Entlassung keine physischen Zeichen sichtbar sind. Memorial gab an, dass die Mehrheit der Personen, die in Haft sind oder von den tschetschenischen Behörden befragt werden, physischen Misshandlungen wie starken Schlägen, Verbrennungen, Ausreißen von Nägeln und Elektroschocks ausgesetzt ist.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Physische Misshandlung von verdächtigen Personen durch die Polizei würde systematisch und üblicherweise in den ersten Tagen nach einer Festnahme erfolgen. Im Kaukasus würde Folter Berichten zufolge von lokalen, aber auch von föderalen Strafverfolgungsbehörden angewandt. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass unter anderem Elektroschocks sehr häufig angewendet werden, da sie am ehesten keine Spuren hinterlassen würden. Im Nordkaukasus existierten weiterhin inoffizielle Gefängnisse.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013

3. Versorgungslage

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich dank großer Zuschüsse aus dem russischen Föderalen Budget nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen seit 2007 deutlich verbessert - ausgehend von sehr niedrigem Niveau. Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Die Staatsausgaben in Tschetschenien sind pro Einwohner doppelt so hoch wie im Durchschnitt des südlichen Föderalen Bezirks. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen dank föderaler Gelder fast vollständig wieder aufgebaut. Gleichwohl bleibt Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut der Bevölkerung das größte soziale Problem. Kadyrow möchte eine Art "Dubai des Kaukasus"(Uwe Halbach) aus Tschetschenien machen. Sowohl in die soziale, als auch in die technische Infrastruktur wurde investiert: In den Bau und die Renovierung von Wohnungen, medizinischen Einrichtungen, Schulen, Kaufhäusern, Straßen, Kanalisation, Stromversorgung u. ä. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen fast vollständig wieder aufgebaut - dort gibt es mittlerweile auch wieder einen Flughafen. Nach Angaben der EU-Kommission findet der Wiederaufbau überall in der Republik, insbesondere in Gudermes, Argun und Schali, statt. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen melden, dass selbst in kleinen Dörfern Schulen und Krankenhäuser aufgebaut werden. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser, etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen Erfolge. Der Wiederaufbau geht unter hohem Einsatz staatlicher Mittel rasch voran, die Arbeitslosigkeit bleibt aber nach wie vor ein schweres Problem. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau sachgerecht verwendet werden. Die humanitären Organisationen reduzieren langsam ihre Hilfstätigkeiten; sie konstatieren keine humanitäre Notlage, immer noch aber erhebliche Entwicklungsprobleme. Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen Bedingungen statt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16, Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 5; Amnesty International, Annual Report 2012)

Trotz der Bemühungen die notwendige Infrastruktur zu verbessern, haben die meisten gewöhnlichen Bürger keinen Nutzen aus den Wiederaufbaubemühungen in Tschetschenien gezogen. Für den Wiederaufbau wurden ausländische Arbeiter und Firmen herangezogen; Fabriken und andere Initiativen, die Arbeitsplätze in größerem Umfang schaffen könnten, wurden nicht wiederhergestellt. Deshalb sind viele gewöhnliche Bürger weiterhin von Sozialbeihilfen als Haupteinkommensquelle abhängig. Die Lebensqualität ist weiterhin schlecht, es besteht ein Mangel an leistbarem Wohnraum und medizinischen Einrichtungen, sowie eingeschränkter Zugang zu Wasser, Sanitäranlagen und anderen Betriebsmitteln und eine ungeeignete Transportinfrastruktur. Wo Bildung verfügbar ist, sind die Standards niedrig.

Dennoch gibt es Grund für Optimismus. Laut Aleksandr Khloponin [Bevollmächtigter Vertreter des Präsidenten im Föderationskreis Nordkaukasus] dauerte es mehr als zehn Jahre, um die Sicherheitslage in Tschetschenien zu verbessern, die Infrastruktur und Wohnraum wieder aufzubauen, vermisste Personen zu suchen, ethnische Gruppen zusammenzubringen und vieles anderes. Um diese Bemühungen weiterführen zu können, wurde 2010 eine "Strategie für die sozioökonomische Entwicklung des Föderationskreises Nordkaukasus bis 2025" beschlossen. Diese sieht für die kommenden Jahre größere Investitionen in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Baumaterialien, Tourismus, Industrieanlagen und Logistik vor. Jedoch wird es noch mehr Zeit brauchen, um die Situation für jedermann zu verbessern. Die Arbeitslosigkeit anzupacken ist sowohl für die föderale als auch die regionale Regierung die erste Priorität. In Tschetschenien ist die Arbeitslosigkeit von 45% 2010 auf 30% im August 2011 gesunken.

(Council of Europe - Parliamentary Assembly: The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, 5.3.2012)

Im Zusammenhang mit der Versorgungslage muss einmal mehr auf die hohe Korruption in der tschetschenischen Gesellschaft hingewiesen werden.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

3.1. Wohnsituation

Laut Beurteilung des tschetschenischen Eigentumsministeriums sowie des Wohnungsministeriums ist das Privateigentum anderer für Tschetschenen unantastbar. Aus diesem Grunde werden Häuser von Tschetschenen, die ausgereist sind, nicht von anderen Personen oder vom Staat in Besitz genommen. Es wurde in den diesbezüglichen Stellungnahmen sogar soweit ausgeholt, dass Häuser so lange leer stehen würden, bis der Besitzer zurückkäme.

(Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 23-24)

Wohnraum bleibt ein großes Problem. Nach Schätzungen der VN wurden in den Tschetschenienkriegen seit Anfang der neunziger Jahre über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Problematisch ist auch in diesem Zusammenhang die Korruption (man geht davon aus, dass 30-50% gewährter Kompensationssummen gleich wieder als Schmiergelder gezahlt werden müssen).

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

Die auf dem Land lebenden Tschetschenen leben nicht schlecht. Sie nutzen das fruchtbare Land zum Gartenanbau und halten sich ein bis zwei Nutztiere. Die Großfamilien wohnen in "Mehrgenerationenhäusern", d.h. auf einem Areal hinter hohen Mauern mit mehreren Häusern und Anbauten. Innerhalb der Großfamilie stehen alle füreinander ein. Der enge Zusammenhalt gewährleistet die Versorgung mit Nahrungsmittel.

Nächstgrößere Familienstrukturen sind die "Tejps" (Clans). Einer der bekanntesten ist der Benoi-Tejp, dem auch Ramsam Kadyrow angehört.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

3.2. Nahrungsversorgung

Hinsichtlich der Verfügbarkeit und der Kosten von Grundnahrungsmitteln ist auf die Mentalität des tschetschenischen Volkes zu verweisen, diese hat es laut Einschätzung des tschetschenischen Landwirtschaftsministeriums ermöglicht, dass die Menschen selbst während der beiden Kriege genug zu essen hatten. Laut Beurteilung des Landwirtschaftsministeriums gibt es aufgrund der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung der tschetschenischen Bevölkerung auch heutzutage keine Familie in Tschetschenien, die sich nicht die Lebensmittel kaufen kann, welche sie benötigt.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

23)

Das Notfall- und Rehabilitationsprogramm im Nordkaukasus soll für die Ernährungssicherheit und Ernährung durch "Empowerment" gefährdeter Bevölkerungsgruppen sorgen. Diese Ziele sollen dadurch erreicht werden, indem man die landwirtschaftliche und die auf Viehzucht basierende Produktion wieder aufnimmt und gleichzeitig verstärkt neue Kenntnisse über Ernährung und Klein-Farmbetriebe anwendet.

Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation) nahm am Inter-Agency-Transitional-Arbeitsplan für den Nordkaukasus 2007 teil, der die Durchführung von Aktivitäten zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und Stärkung ländlicher Existenzmöglichkeiten in der Region beabsichtigt. Insbesondere gehören zu den wichtigsten Zielen der FAO im Bereich der Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Produktion die Wiedereingliederung von sozial benachteiligten Gruppen, die Bereitstellung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln für Einkommen schaffende Maßnahmen, der Wiederaufbau der wichtigen landwirtschaftlichen Infrastruktur, die Gewährung von Dienstleistungen sowie die Stärkung der institutionellen Kapazitäten in der Landwirtschaft.

(Homepage der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation), Zugriff am 11. Jänner 2011,

http://www.fao.org/countries/55528/en/rus/ )

3.3. Arbeitslosigkeit und soziale Lage

Wichtigstes soziales Problem ist die Arbeitslosigkeit und große Armut weiter Teile der Bevölkerung. Nach Schätzungen der UN waren 2008 ca. 80% der tschetschenischen Bevölkerung arbeitslos und verfügen über Einkünfte unterhalb der Armutsgrenze (in Höhe von 2,25 USD/Tag). Der Durchschnittsgehalt lag in Tschetschenien laut Bundesstatistikdienst Ende 2011 bei RUB 13.919 RUB und somit über jenem der nordkaukasischen Nachbarrepubliken. Die durchschnittlichen monatlichen Lebenshaltungskosten in Grosny betragen laut statistischen Angaben der Russischen Föderation vom Dezember 2011 pro Person ca. 6.559 RUB (ca. 158 EUR).

Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Minen verhindern die Entwicklung landwirtschaftlicher Aktivitäten. Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16, IOM: Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2012, BAMF: IOM Individualanfrage ZC7, 18.01.2012)

Die offizielle Arbeitslosenrate ist in den letzten Jahren gesunken, ist aber nach wie vor ein großes Problem. Die inoffizielle Arbeitslosenrate wird weit höher geschätzt, ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung dürfte aber im informellen Sektor Einkommen schöpfen, bzw. aus landwirtschaftlichem Eigenanbau konsumieren. Unterstützung aus der Familie hat in der Republik große Tradition. Wenngleich Korruption auch im Bereich der Sozialbeihilfen bestehen dürfte, so sind in der Tschetschenischen Republik grundsätzlich dieselben föderalen sozialen Unterstützungen wie in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Zudem gibt es Sozialbeihilfen auf Ebene der Republik, wie beispielsweise finanzielle Unterstützung zur Gründung eines Kleinunternehmens oder Finanzhilfen für Behinderte.

Putin rief dazu auf, die Wirtschaft der Nordkaukasus-Region anzukurbeln. Um den Rückstand gegenüber anderen Regionen aufzuholen, brauche der Nordkaukasus laut Aussagen Putins rund zehn Prozent Wirtschaftswachstum jährlich und sei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit äußerst wichtig. Innerhalb von zehn Jahren sollen laut Putin mindestens 400.000 neue Arbeitsplätze im Nordkaukasus entstehen. Beim Wiederaufbau gibt es bereits Erfolge zu verzeichnen. In den vergangenen zwei Jahren sind in Tschetschenien beispielsweise 53 Schulen und 35 medizinische Einrichtungen in Betrieb genommen worden, deren Bau der Staat finanziert hat.

Im Rahmen eines seit 2008 laufenden Programms werden Personen unterstützt, die sich selbst einen Arbeitsplatz schaffen:

Arbeitslose, die einen kleinen Betrieb eröffnen, werden mit einer einmaligen Zahlung von 58.000 Rubel gefördert. Stellt man Arbeiter ein, erhält man für jeden Angestellten wiederum 58.000 Rubel. Insgesamt wurde das Programm bislang von 5.481 Personen in Anspruch genommen, 3.498 davon kamen aus dem ländlichen Raum. Zudem gibt es ein Programm zur Weiterbildung oder Umschulung - das "Programm für zusätzliche Maßnahmen für die Entwicklung von Arbeitsstellen". Hier werden für Personen, die sich weiterbilden wollen, Stipendien in der Höhe von 850 Rubel pro Monat vergeben. Diese Maßnahmen sollen zusätzlich die Arbeitslosenrate senken, um die soziale und wirtschaftliche Stabilität der Bevölkerung zu fördern. Zur Unterstützung von Arbeitslosen wurde in Stawropol ein Ressourcen-Zentrum errichtet, wo verfügbare Arbeitsstellen bestimmt und die Daten der Arbeitslosen im Nordkaukasus gesammelt werden. Die Bewohner des Nordkaukasus können sich dort melden und um Arbeitsplätze in anderen Regionen der Russischen Föderation ansuchen.

Für Alte und Invalide gibt es auch Unterstützung in Form von Lebensmittelhilfe. In jeder Region der Republik gibt es mittlerweile lokale Zentren, die sich mit diesen Fragen vor Ort beschäftigen. Diese Stellen suchen auch selbst bedürftige Personen, die sich nicht von selbst bei ihnen melden. Hierbei handelt es sich vor allem um alte und invalide Menschen. Diese Zentren machen auch ein Monitoring, wer was in welchem Umfang benötigt. Gemäß der Notwenigkeit werden dann finanzielle Hilfe, ärztliche Versorgung und materielle Unterstützung zur Verfügung gestellt. Zudem gibt es stationäre Einrichtungen für Personen, die in vollem Umfang versorgt und gepflegt werden müssen (z. B. Altenheime).

(Informationszentrum Asyl & Migration: Russische Föderation, Länderinformation und Pressespiegel zur Menschenrechtslage und politischen Entwicklung, Lage im Nordkaukasus vom September 2010, Seite 4, Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 5, 6, 37, 38)

3.4. Medizinische Versorgungssituation

Medizinische Grundversorgung ist in Tschetschenien flächendeckend gewährleistet. Spezialisierte Kliniken sind nur in der Hauptstadt Grosny verfügbar, was aber in Anbetracht der Größe der Republik (ungefähr der Steiermark) zu verstehen ist. Grundsätzlich ist medizinische Versorgung kostenlos, auf die allseits verbreitete Korruption muss aber auch hier hingewiesen werden. Für Behandlungen, die in Tschetschenien nicht verfügbar sind, besteht die Möglichkeit, zur Behandlung nach Stawropol (Distanz zu Grosny ca. 450 km), nach Moskau oder in andere russische Städte zu reisen.

(BAA Staatendokumentation: Bericht zum Forschungsaufenthalt Russland 2011, Dezember 2011)

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

Es gibt derzeit nach Auskunft des Gesundheitsministers insgesamt rund 368 medizinische Einrichtungen, wie (Rajon- und Republiks‑)Krankenhäuser und Polykliniken. Die Polykliniken sind Ambulanzen, in denen (Vorsorge‑)Untersuchungen und ambulante Behandlungen durchgeführt werden. Der Auskunft des Gesundheitsministeriums zufolge gibt es in jeder Siedlung der Republik medizinische Einrichtungen. Es gibt drei Krankenhäuser für psychisch Kranke sowie weitere Krankenhäuser, die sich mit Personen, welche an der Schwelle zu psychischen Krankheiten stehen, beschäftigen. Es gibt unter anderem 22 Rajons- und 32 Republikseinrichtungen für medizinische Behandlung und Prophylaxe in der Republik sowie in Grosny allein weitere 26 medizinische Einrichtungen

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

48)

Diverse Erkrankungen wie Hepatitis C, Coronare Herzkrankheiten, Posttraumatische Belastungsstörungen und sogar DES-Stent-Implantationen etc. können laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation in der Russischen Föderation (und in der Tschetschenischen Republik) behandelt und nachversorgt werden. In Tschetschenien ist die Versorgung mit medizinischen Spezialisten noch immer unzureichend und komplizierte Fälle werden für die Behandlung und Nachsorge von ihren örtlichen Kliniken in die nächsten Städte (Krasnodar, Rostov-on-Don, Machatschkala) überwiesen.

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Russische Föderation vom 10.08.2010, Seite 2)

Es gibt außerdem eine Vereinbarung mit China zur Behandlung von Kindern mit Geburtsfehlern und wurden in diesem Rahmen bereits einige Behandlungen durchgeführt.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

46)

Das Föderale Gesetz Nr. 326 über die medizinische Pflichtversicherung in der RF legt fest, dass jeder russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen kann. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der RF, unabhängig von der Meldeadresse, gewährleistet ist.

Allerdings gibt es Einschränkungen bei der freien Wahl der Klinik und des Arztes. Ein Wechsel der Klinik, bei der man sich als Patient angemeldet hat, ist nur einmal im Jahr möglich, ebenso ein Wechsel des Arztes. Außerdem kann ein Arzt einen Patienten wegen Überlastung ablehnen.

(IOM Länderinformationsblatt Russische Föderation Juni 2011; Antwort der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

3.4.1. Psychologische Bertreuung in Tschetschenien

Der Nichtregierungsorganisation Vesta zufolge können psychische Erkrankungen beispielsweise in dem Republiksambulatorium für Neuropsychologie (Grosny), in dem Republikskrankenhaus "Samaschkin" (Zakan-Jurt im Bezirk Atschchoi-Martan) und im Darbachin-Republikskrankenhaus (Braguny im Bezirk Gudermes) behandelt werden. Auch Internationale und Nichtregierungsorganisationen sind im Bereich der psychiatrischen Versorgung tätig.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, medizinische Versorgung vom 30.11.2009, Seite 9)

UNICEF entwickelte in Tschetschenien ein neues Programm, um Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und ihren Familien zu behandeln. In einer ersten Phase wurden 14 psychosoziale Rehabilitierungszentren in sieben tschetschenischen Bezirken eröffnet. UNICEF arbeitete mit lokalen Behörden und NRO zusammen, um passende Räumlichkeiten zu finden, Psychologen und andere Mitarbeiter auszubilden, und Studien über die Auswirkungen des Konfliktes auf Kinder durchzuführen. 50 lokale Kinderfachkräfte wurden mit Hilfe von Psychotherapeuten aus Israel und St. Petersburg ausgebildet. Zur Koordinierung des Programms wurde ein psychosoziales Führungskomitee mit den tschetschenischen Behörden eingerichtet. Der Psychosoziale Aktionsplan 2008-2012 soll ein Schlüsselinstrument zur Linderung der Konfliktauswirkungen auf Kinder werden.

(UNICEF: Russian Federation - Projects in the North Caucasus - Psycho-social recovery, ohne Datum, http://eng.unicef.ru/program_unicef/north_caucasus/recovery/ , Zugriff 1.6.2011)

Mit Stand März 2008 wurden 19 solcher von UNICEF unterstützten psychosozialen Zentren in Tschetschenien betrieben, im Jänner 2009 waren es bereits 29. Für 2009 war die Errichtung 17 weiterer Zentren geplant. In den Zentren wurden neben Psychologen auch jugendliche Freiwillige sowie Praktikanten von den tschetschenischen Universitäten beschäftigt.

(UNICEF: Russian Federation - Newsline - Help for children psychologically affected by war in Chechnya, 04.03.2008, http://www.unicef.org/infobycountry/russia_43075.html , Zugriff 1.6.2011 / UNICEF New Zealand: UNICEF will open 17 new psychosocial recovery centres in Chechnya, 11.02.2009 http://www.unicef.org.nz/article/680/UNICEFwillopen

17newpsychosocialrecoverycentresinChechnya.html, Zugriff 1.6.2011)

Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist in Tschetschenien ambulant und stationär durch Psychiater behandelbar.

(SOS International (via MedCOI): BMA 4433, 31.10.2012)

3.5. Rückkehrer

3.5.1. Derzeitige Situation von Rückkehrern

Eine Rückkehr von Tschetschenen in die Russische Föderation ist möglich, die meisten tschetschenischen Rückkehrer aus dem Ausland kehren in die Tschetschenische Republik zurück. Da in der Russischen Föderation Bewegungsfreiheit gilt, können sich aber ethnische Tschetschenen auch in jedem anderen Teil Russlands niederlassen.

Laut einem Vertreter der Internetzeitschrift "Kaukasischer Knoten" können Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit, die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung ist für viele (auch im Fall von Kompensationszahlungen) unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit ist um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten werden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, werden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal werden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt.

(ÖB Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, Stand September 2012)

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Ebenso liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert.

Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 24)

Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei".

Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation).

Seit 01.07.2010 implementiert IOM das Projekt "Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration von Rückkehrenden in die Russische Föderation / Republik Tschetschenien", das vom Österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Europäischen Rückkehrfonds kofinanziert wird. Im Rahmen des Projekts werden Russische Staatsangehörige aus der Republik Tschetschenien, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren möchten, nicht nur bei der Rückkehr, sondern auch bei ihrer Reintegration im Herkunftsland unterstützt.

Die Projektteilnehmer/innen erhalten nach ihrer Rückkehr Unterstützung von der lokalen Partnerorganisation (NGO Vesta), die soziale, rechtliche und wirtschaftliche Beratung zur Verfügung stellt und sie bei der Auswahl ihrer individuellen Reintegrationsmaßnahmen (z.B. Weiterbildungskurse, Geschäftsgründung, Erwerb von Werkzeug oder Materialien, etc.) unterstützt. Die Reintegrationsmaßnahmen erfolgen in Form von Sachleistungen im Wert von bis zu max. EUR 2.000 (pro Haushalt kann nur eine Person teilnehmen); im Fall von Kleingeschäftsgründungen, die eine Registrierung erfordern, ist eine zusätzliche Unterstützung von bis zu EUR 1.000 in Form von Sachleistungen möglich. Zusätzlich werden die Rückkehrer/innen bei der Deckung der Lebenserhaltungskosten während der ersten sechs Monate nach der Rückkehr mit EUR 500,- pro Fall unterstützt.

Die Reintegrationsunterstützung kann z.B. für die folgenden Maßnahmen genutzt werden:

• Berufsausbildung: z.B. Computer- oder Sprachkurse, Buchhaltung, Reparatur von Haushaltsgeräten, Reparatur von Mobiltelefonen, Mechaniker/in, Holzarbeiter/in, Friseurbetrieb, Nagelpflege, Näharbeit, etc.

• Ankauf von für die Ausübung eines Berufes benötigtem Werkzeug und geeigneter Ausrüstung

• Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens (z.B. in der Landwirtschaft, Milchwirtschaft, Ackerbau, Viehhaltung, Schweißer/in, Schneider/in, Zimmerer/in, kleine Geschäfte, Schönheitssalons, Werkstätten, Internet-Cafes, etc.). Die Unterstützung in Form von Sachleistungen wird unter anderem für den Ankauf von Ausrüstungsgegenständen, die für die Aufnahme des Betriebs nötig sind, sowie bei Bedarf für Geschäftsplanungs- und -managementstrainings verwendet.

• Organisation von Kinderbetreuung und medizinischer Versorgung für RückkehrerInnen mit besonderen Bedürfnissen.

(IOM - International Organisation of Migration (o.D.): Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration von Rückkehrenden in die Russische Föderation / Republik Tschetschenien. Laufzeit: 01.07.2010 bis 30.06.2014,

http://www.iomvienna.at/de/?option=com_content&view=article&id=545:unterstuetzung-der-freiwilligen-rueckkehr-und-reintegration-von-rueckkehrenden-in-die-russische-foederation-republik-tschetschenien&catid=92:unterstuetzte-freiwillige-rueckkehr-aus-oesterreich&Itemid=143&lang=de ; Zugriff 12.12.2013)

Mit Unterstützung von IOM sind in den letzten Jahren zahlreiche Personen (2010 waren es 606, 2011 waren es 528 und 2012 waren es insgesamt 525) von Österreich in die Russische Föderation zurückgekehrt. 2012 sind 381 Personen nach Grosny mit Hilfe von IOM zurückgekehrt. Der endgültige Rückkehrort ist IOM allerdings nicht immer bekannt.

(Beantwortung einer Anfrage des AsylGH an IOM Wien vom 20.03.2013)

Dem BMI-Verbindungsbeamten der ÖB Moskau liegt eine - nicht offizielle - Information vor, wonach Rücküberstellte von Charterflügen und in Einzelfällen solche von Linienmaschinen von Beamten des Föderalen Migrationsdienstes einen Fragebogen erhalten. Das Ausfüllen des Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. U.a. wird darin die Frage gestellt, wo man in der RF wohnhaft ist, aber auch, warum man in das Land, aus welchem man ausgewiesen wurde, überhaupt eingereist ist, warum man nicht mehr im Besitz seiner eigentlichen Reisedokumente ist, bzw. auch, ob man im Land, aus dem man ausgewiesen wurde, "ordentlich" behandelt worden ist.

Nach Auskunft des Vertrauensanwalts kann, wenn ein Haftbefehlt aufrecht ist, eine Person in Untersuchungshaft genommen werden. U-Haft kann vor allem dann verhängt werden, wenn Fluchtgefahr besteht. U-Haft wird zunächst für zwei Monate verhängt und kann dann um jeweils zwei Monate verlängert werden. Während der Untersuchungshaft gibt es auch Haftprüfungstermine, wo u.a. auch geprüft wird, ob noch Fluchtgefahr besteht.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Rückkehr nach Russland, Tschetschenien vom 15.01.2013

3.5.2. Frauen als Rückkehrer

Frauen, die nach Tschetschenien zurückkehren, können mit sozialen Beihilfen im Rahmen der Gesetzgebung der Russischen Föderation rechnen. Sozialhilfe und staatliche Zuwendungen stellen neben offiziellen Arbeitslöhnen und Einkommen aus semi-formellen, privaten oder unregelmäßigen Beschäftigungsformen eine wichtige Einkommensquelle für tschetschenische Haushalte dar. Dies gilt insbesondere für die sozial schwächsten sozialen Gruppen, zu denen unter anderem Familien ohne Männer gehören. Neben der auf föderaler Ebene geregelten Sozialversicherung (Renten, Krankenversicherung, Mutterschutz, Arbeitslosigkeit) bestehen auch regional implementierte, beitragsfreie Sozialhilfeprogramme, beispielsweise Kinderbeihilfe, Wohnbeihilfe oder Beihilfen für Invalide. Im Rahmen dieser beitragsfreien regionalen Programme besteht auch eines für Familienmitglieder von Kriegsveteranen und verstorbenen Soldaten.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 19)

3.5.3. Unbegleitete Minderjährige als Rückkehrer

Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können in einem Kinderheim unter-gebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen. Wie der damalige Präsident Medwedew im Herbst 2010 selbst einräumte, sind die Zustände in solchen Heimen nicht selten schlecht.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 24)

3.5.4 Flüchtlinge/Binnenvertriebene innerhalb und außerhalb Tschetscheniens

Schwierig bleibt die humanitäre Lage der tschetschenischen Flüchtlinge/ Binnenvertriebenen innerhalb und außerhalb Tschetscheniens, wiewohl ihre Zahl rückläufig ist. Laut Dänischem Flüchtlingsrat (DRC) leben allein in Tschetschenien und Inguschetien derzeit noch bis zu 5.000 Flüchtlinge in akuter Not. Die Binnenvertriebenen leben in Übergangsunterkünften, aber auch in Privatwohnungen oder bei Verwandten. Auf Drängen der russischen Seite hat UNHCR seine Mission zur Unterstützung von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen im Nordkaukasus 2011 beendet, sieht jedoch weiterhin erheblichen Handlungsbedarf auch in Tschetschenien. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben).

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

4. Frauen und Kinder

4.1. Allgemeine Stellung der Frauen

Gemäß Art. 19 Abs. 3 der Verfassung haben "Mann und Frau die gleichen Rechte und Freiheiten und die gleichen Möglichkeiten zu deren Realisierung". Die Anzahl von Frauen in Führungspositionen entspricht ungefähr dem europäischen Durchschnitt.

Ein großes Problem ist häusliche Gewalt.

Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass jährlich etwa 14.000 Frauen von ihren Partnern oder einem Angehörigen getötet werden. Als Hauptursachen hierfür gelten Alkoholismus, ein traditionell geprägtes Rollenverständnis und beengte Wohnverhältnisse. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuw eilen offenbar auch gar nicht nach.

Schutzmöglichkeiten für Frauen gibt es in Russland kaum: Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit und Soziales gibt es landesweit nur 23 staatliche Frauenhäuser.

Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Hauptopfergruppen. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 6.7.2012)

Frauen haben Schwierigkeiten, an politische Macht zu gelangen. Frauen haben 13% der Sitze in der Duma inne und weniger als 5% im Föderationsrat. Nur drei von 26 Kabinettsmitgliedern sind Frauen. Häusliche Gewalt ist weiterhin ein ernsthaftes Problem, die Polizei ist bei der Intervention in innerfamiliäre Angelegenheiten oft nachlässig.

(Freedom House: Freedom in the World 2013 - Russia, Jänner 2013)

Kriegsbedingt kam es in den letzten beiden Jahrzehnten zu Änderungen der Rolle der Frau in Tschetschenien. Viele Frauen fanden sich, nachdem sich ihre Männer in den Krieg begeben hatten, plötzlich in der Rolle der alleinigen Familienernährer(innen) wieder. Die Übernahme ehemals typisch männlicher Aufgaben stärkte die Rolle der Frauen in der tschetschenischen Gesellschaft, in diesem Zusammenhang wirkte auch das sowjetische Frauenbild, das von großer Gleichheit von Mann und Frau ausgeht, weiter. Dieses Phänomen wollen einige Teile der Gesellschaft, etwa Politiker und religiöse Autoritäten, nunmehr wieder rückgängig machen.

Im Zuge der letzten beiden Kriege kam es zum Verfall einiger Traditionen, andere gingen gänzlich verloren, oder werden nun in geänderter Form ausgeübt. Zu beobachten ist jedenfalls, dass es derzeit zu einem Wiederaufleben von Traditionen kommt, was unter anderem auf den Influx der ländlichen und eher traditionsbewussten Bevölkerung in der Hauptstadt Grosny zurückzuführen ist. Haupttriebkraft dieses Wiederauflebens ist jedoch die von Ramzan Kadyrow aktiv geförderte Rückbesinnung auf islamische und tschetschenische Traditionen, die zu einer moralischen Stärkung der Gesellschaft führen und einem Sittenverfall entgegenwirken soll. Inhaltlich nähert sich Kadyrow in seinem Frauenbild aber immer mehr den sog. Wahabiten als dem traditionellen tschetschenischen Islam("Macho-Islam"Uwe Halbach) Für Frauen äußert sich die Rückbesinnung auf tschetschenische/islamische Traditionen darin, dass die meisten von ihnen in der Öffentlichkeit nunmehr eine Kopfbedeckung tragen, obgleich hierzu keine (gesetzliche) Verpflichtung besteht. Zum Teil werden heute Kleidungsvorschriften propagiert, die es seit Jahrzehnten in Tschetschenien nicht mehr gegeben hat. Es wird auch von Paintball-Überfällen auf "westlich" gekleidete Frauen berichtet. Von einem gesellschaftlichen Druck sich an solche Kleiderordnungen zu halten kann ausgegangen werden. Des Weiteren wird Polygamie in den letzten Jahren verstärkt ausgeübt, diese wird in der Gesellschaft als "normal" betrachtet. Auch Ehrenmorde kommen verstärkt vor, wobei es sich hier eher um Einzelfälle handelt. Wie Beispiele zeigen ist vielfach unklar, wann es sich bei einem Mord an einer Frau tatsächlich um einen Ehrenmord handelt. Problematisch ist, dass aus Traditionsgründen oder durch Sicherheitskräfte begangene Verbrechen oft nicht angezeigt oder verfolgt werden.

Dies trifft auch auf die Tradition des (ehemals eher als Rollenspiel zu betrachtenden) Brautraubes zu, der heutzutage, durch Mitglieder der Kadyrowzy ausgeübt, gelegentlich zu tatsächlichen Entführungen und Zwangsheiraten führen kann. Aber auch Vergewaltigungen und Tötungen junger Frauen durch Kadyrowzy kommen vor. Häusliche und sexuelle Gewalt sind weiterhin Tabuthemen in der tschetschenischen Gesellschaft und werden gemeinhin gemäß den Traditionen gelöst, können jedoch bei den Behörden angezeigt werden. Ob Behören dabei Hilfe gewähren, ist jedoch mehr als fraglich. Bei Scheidungen bzw. im Falle des Todes eines Mannes "gehören" seine Kinder den Bräuchen folgend ihm bzw. seiner Familie. Auch hier besteht in der Praxis die Möglichkeit für Frauen, sich an Gerichte zu wenden, die im Normalfall zu Gunsten der Frau entscheiden dürften.

Die in Tschetschenien derzeit bewusst betriebene Wiederbelebung der Traditionen führt jedenfalls zu gewissen Ambivalenzen. So stellt etwa die stattfindende Einmischung politischer, behördlicher oder religiöser Autoritäten in Bereiche wie Kleiderordnung eine Verlagerung von Angelegenheiten vom privaten in den öffentlichen Bereich dar, was einen Widerspruch zur tschetschenischen Gewohnheit bedeutet: Das Aufzwingen von Verhaltensnormen durch Außenstehende ist nach Auffassung vieler TschetschenInnen gegen ihre Kultur, da dies eine nicht übliche Einmischung in Familien- bzw. Klanangelegenheiten darstellt. Die lokalen tschetschenischen Traditionen und der "korrekte" islamische Lebensstil scheinen in der von Kadyrow geforderten Form einem freien und liberalen Lebensstil für Frauen entgegenzustehen. Es kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass jede Tschetschenin gezwungen ist, sich zu verschleiern, dass Tschetscheninnen im Scheidungsfall prinzipiell die Kinder entzogen werden oder dass säkulare Frauen gemeinhin aus Gründen der "Ehre" ermordet werden. Ebenso wenig kann jedoch davon ausgegangen werden, dass alle Frauen im heutigen Tschetschenien frei und selbstbestimmt leben können. Die Rechte und Freiheiten der Tschetscheninnen werden derzeit immer mehr eingeschränkt. Der auf Frauen ausgeübte Druck, sich "angemessen" zu verhalten, wird größer und stärker. Ob und inwieweit eine tschetschenische Frau Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch nimmt, hängt, ebenso wie etwa Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, Kleidung, oder Vorgehen bei "unehrenhaftem Verhalten", stark von ihrer individuellen Situation ab: von ihrer Erziehung, ihren sozialen Netzwerken, vor allem also von ihrer Familie bzw. jener ihres Ehemannes, von deren Modernität, Traditionalität und Religiosität. Swetlana Gannuschkina (MEMORIAL) betont, dass Frauen ohne Mann derzeit in Tschetschenien nicht leben könnten. Die Revitalisierung der Traditionen wird nur von Teilen der Bevölkerung gutgeheißen, viele Tschetschenen - nicht nur Frauen, sondern auch Männer - stehen ihr durchaus kritisch gegenüber. Andererseits ist es für Frauen, die im westlichen Ausland gelebt haben und die dortigen Sitten übernommen haben, sehr schwer sich wieder in Tschetschenien zu Recht zu finden.

Jedenfalls werden durch die Rückbesinnung auf "Tschetschenische Traditionen" die Unterschiede zwischen den Geschlechtern vergrößert und die Vulnerabilität von Frauen und Mädchen gegenüber häuslicher und sexueller Gewalt erhöht.

(COI Workshop "Frauen in Tschetschenien" am 17.02.2012; Amnesty International, Annual Report 2012)

Es gab 2011 keine weiteren Berichte über Angriffe auf Mädchen und Frauen, die keine Kopftücher tragen wollten. Jedoch können jene, die dies verweigern, nicht im öffentlichen Dienst arbeiten oder Schulen und Universitäten besuchen (Human Rights Watch: World Report 2012, 22.01.2012)

In Tschetschenien hat der Druck auf Frauen erheblich zugenommen, sich gemäß den vom dortigen Regime als islamisch propagierten Sitten zu verhalten und zu kleiden. Russische Menschenrechtsorganisationen sprechen von systematischen Diskriminierungen, die nicht zuletzt im Widerspruch zur russischen Verfassung und anderen geltenden Gesetzen stehen.

(Auswärtiges Amt (10.6.2013): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Seite 13)

Auf Frauen wird Druck ausgeübt, Kopftücher im öffentlichen Raum zu tragen. In den meisten öffentlichen Gebäuden müssen Frauen Kopftücher tragen.

Ramsan Kadyrow hat sich öffentlich für Ehrenmorde ausgesprochen. In einigen Teilen des Nordkaukasus sind Frauen mit Brautentführung, Polygamie und erzwungenem Beachten islamischer Kleidungsvorschriften konfrontiert.

(Human Rights Watch (31.1.2013): Human Rights Watch: World Report 2013 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/237036/359908_de.html ; Zugriff 24.10.2013, U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, jedoch setzte die Regierung dieses Verbot nicht durchgängig um. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützten und gelegentlich halfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, waren Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Gemäß dem Föderalen Statistikdienst wurden 2011 bis November den Behörden 4.462 Vergewaltigungsfälle gemeldet (2010: 4.907). Jedoch meldeten Frauen Vergewaltigungen durch Personen, die ihnen bekannt waren, eher nicht. Zudem berichteten NRO zufolge viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden.

Häusliche Gewalt ist weiterhin ein großes Problem. Das Innenministerium hat Aufzeichnungen von mehr als 4 Millionen Tätern häuslicher Gewalt. Das Duma-Komitee zu Sozialer Verteidigung berichtete, dass es 2010 21.400 Morde gab, zwei Drittel davon waren Frauen, die in häuslichen Auseinandersetzungen starben, das sind um 50% mehr als noch 2002. Das Innenministerium berichtete, dass mindestens 34.000 Frauen jedes Jahr Opfer häuslicher Gewalt würden. Jedoch ist es aufgrund der Zurückhaltung der Opfer, über Fälle häuslicher Gewalt zu berichten, unmöglich verlässliche statistische Informationen zu erhalten. Offizielle Telefonverzeichnisse enthielten keine Informationen über Krisenzentren oder Frauenhäuser. Gemäß dem Moskauer "Anna National Center for the Prevention of Violence" gibt es lediglich rund 25 Frauenhäuser in ganz Russland, mit Betten für insgesamt etwa 200 Frauen.

Es gibt keine rechtliche Definition von häuslicher Gewalt. Föderale Gesetze verbieten tätliche Angriffe, Körperverletzung, Drohungen und Morde, aber die meisten Fälle häuslicher Gewalt fallen nicht unter die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Gemäß NRO ist die Polizei oft nicht willens, Beschwerden über häusliche Gewalt aufzunehmen und entmutigte Opfer oftmals, diese einzubringen. Laut dem "Zentrum zur Unterstützung von Frauen" waren selbst unter Exekutivbeamten viele Täter häuslicher Gewalt.

Physische und sexuelle Gewalt gegenüber Frauen verbreitet sich immer stärker in der Region.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia )

Grundsätzlich garantiert die Verfassung der Russischen Föderation Männern und Frauen dieselben Rechte. Dennoch sind Frauen von Diskriminierung v. a. am Arbeitsmarkt betroffen. Von einer gesellschaftlichen Diskriminierung alleinstehender Frauen und Mütter kann zumindest in Kernrussland nicht ausgegangen werden. Ein ernstes Problem in Russland stellt jedoch häusliche Gewalt dar. Dieses wird von Polizei und Sozialbehörden oft als interne Familienangelegenheit abgetan. Es gibt in der Russischen Föderation keine föderale Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt. Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei sind begrenzt. Eine Bestrafung der Aggressoren ist bei Körperverletzung, Rowdytum oder sonstigen gewalttätigen Übergriffen möglich. Obgleich die Zahl der Frauenhäuser in der Russischen Föderation zunimmt, ist deren Zahl noch gering (derzeit ca. 25 mit insgesamt 200 Betten). In Tschetschenien gibt es keine Frauenhäuser. Nachdem die gesetzlichen Regelungen den Opfern von häuslicher Gewalt nur teilweise Schutz bieten, fliehen Opfer von häuslicher Gewalt meist zu Freunden oder Bekannten, oder finden sich mit der Situation ab. Ein weit verbreitetes Problem, für das es ebenfalls keine gesetzliche Regelung gibt, ist sexuelle Belästigung. Die Situation im Nordkaukasus unterscheidet sich maßgeblich von der in anderen Teilen Russland.

(Österreichische Botschaft Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, September 2012)

Von der Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde angegeben, dass sich eine Frau zum Beispiel bei einer gewalttätigen Brautentführung, durchaus an die staatlichen Organe wenden könnte und auch Hilfe bekommen könnte, es sei aber bisher kein solcher Fall bekannt.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Frauen, Obsorge, Schutz durch Staatliche Behörden, Arbeitsmöglichkeiten vom 10.05.2013)

4.2. Wirtschaftliche Lage der Frauen

Die wirtschaftliche Lage von Frauen ist in Tschetschenien sicherlich schwierig. In Tschetschenien herrschen zwar insgesamt eine hohe offizielle Arbeitslosenrate und eine schlechte wirtschaftliche Lage, es ist jedoch unter Frauen vergleichsmäßig eine nicht unbeträchtliche wirtschaftliche Aktivität zu beobachten. Eine gewisse wirtschaftliche Selbstständigkeit von Frauen scheint schon in der Vorkriegszeit bestanden zu haben. Obgleich in Tschetschenien zahlreiche alleinstehende und alleinerziehende Frauen leben und diese in der Gesellschaft auch als "normal" betrachtet werden, hängen alleinstehende Frauen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien sicherlich stark von der Unterstützung ihrer (Groß‑)Familie ab. Soziale Unterstützungsleistungen bestehen, außer Acht gelassen werden darf aber nicht, dass Korruption in der gesamten Russischen Föderation, und noch viel mehr in der Republik Tschetschenien weit verbreitet ist. Dieses Otkat genannte Bestechungsgeld ist vermutlich auch für die Auszahlung staatlicher Unterstützungsleistungen zu entrichten. Die Entwicklungen der letzten Jahre weisen einerseits darauf hin, dass Tschetscheninnen - vor allem wirtschaftlich betrachtet - ihre Rolle in der Gesellschaft stärken konnten. Einige Quellen verweisen auf die Modernität und Selbstständigkeit der heutigen tschetschenischen Frau. Es muss jedoch wiederholt darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeiten einer Frau nach wie vor stark von ihrem sozialen Umfeld abhängen. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene werden Tschetscheninnen insgesamt zunehmend in die traditionelle Rolle der Hausfrau und Mutter zurückgedrängt. Die kadyrowsche (Re‑) Islamisierungspolitik bedeutet eine Diskriminierung von Frauen in der ohnehin männlich dominierten Kultur. Hinzugefügt werden muss, dass diese Politik Kadyrows nicht ausschließlich auf Frauen, sondern auf die gesamte tschetschenische Bevölkerung Auswirkungen hat. Die Entwicklung der Lage und Rolle der Frau in der heutigen tschetschenischen Gesellschaft stellt sich somit durchaus widersprüchlich dar. Weitere diesbezügliche Entwicklungen - etwa ob die Anzahl an berufstätigen Frauen in den nächsten Jahren zurückgeht - bleiben zu beobachten.

(Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Seite 4 bis 6)

Das Sozialversorgungssystem der RF ist vielfältig und beinhaltet verschiede Formen von finanziellen Unterstützungsleistungen, Dienstleistungen und Vergünstigungen. Diese variieren zum Teil von Region zu Region. Es ist stark von den Umständen im Einzelfall abhängig, auf welche dieser Leistungen und Vergünstigungen eine bestimmte Person Anspruch hat.

Zum Beispiel gibt es anlässlich der Geburt eines Kindes bzw. zu dessen Pflege in der Russischen Föderation ein Geburtengeld und ein monatliches Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von 11/2 Jahren. Das Geburtengeld beträgt in Russland/in Tschetschenien 2013 ca. EUR 327,-, das Kinderbetreuungsgeld ca. 62,- EUR für das erste Kind und ca. EUR 122,- für jedes weitere Kind. Das Existenzminimum in der Republik Tschetschenien lag Ende 2012 bei etwa 170 EUR pro Kopf (127 EUR für Pensionisten, 164 EUR für Kinder, 185 EUR für arbeitsfähige Personen)xxi. Für bedürftige Bürger, das heißt für Familien deren pro Kopf Einkommen geringer als ca. EUR 38,- ist, gibt es eine soziale Unterstützung in Höhe von 2,50 EUR für die Dauer von 6 Monaten.

Nach Einschätzung von verschiedenen Mitarbeitern von internationalen NGOs im Nordkaukasus sind die Sozialleistungen nicht ausreichend, damit eine alleinstehenden Frau mit Kindern allein davon leben könnte, andererseits wurde bestätigt, dass sich in Tschetschenien wohl immer ein Verwandter finden würden, der bereit sei die Familie mit Wohnraum als auch finanziell zu unterstützten.

Von einer Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde mitgeteilt, dass das System von Alimentenzahlungen in Russland/Tschetschenien im Fall einer Scheidung noch nicht besonders ausgereift ist. Im Fall des Todes des Ehemanns würden der Ehefrau ebenso wie jedem Kind jedoch eine Rente "aufgrund des Verlusts des Versorgers" zustehen, die durchaus ein vernünftiges Einkommen darstelle.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Frauen, Obsorge, Schutz durch Staatliche Behörden, Arbeitsmöglichkeiten vom 10.05.2013)

4.3. Soziale Lage der Kinder

Die soziale Lage der Kinder und Jugendlichen in Russland hat sich - auch aufgrund besserer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen - seit den 90er Jahren kontinuierlich verbessert. Das VN-Kinderhilfswerk UNICEF weist darauf hin, dass es in ganz Russland derzeit zwischen 20.000 und 100.000 "Straßenkinder" gebe. In den letzten Jahren ist ein Rückgang der Zahl der Straßenkinder zu verzeichnen. Nach aktuellen, laut Einschätzung der Botschaft glaubhaften, Schätzungen von UNICEF gibt es in Russland mehr als 730.000 Kinder ohne elterliche Fürsorge, von denen 180.000 Kinder in staatlichen Einrichtungen wohnen. Die öffentliche materielle Fürsorge für diese Kinder ist unzureichend. Über Zwangsarbeit von Kindern in Russland ist dem Auswärtigen Amt nichts bekannt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 18)

In Tschetschenien "gehören" bei Scheidungen bzw. im Falle des Todes eines Mannes dessen Kinder den Bräuchen folgend ihm bzw. seiner Familie. Es besteht jedoch in der Praxis die Möglichkeit für Frauen, sich an Gerichte zu wenden, die im Normalfall zu Gunsten der Frau entscheiden.

(Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Seite 4-5)

Grundsätzlich gilt in Tschetschenien die allgemeine Schulpflicht. Bis auf wenige Ausnahmen besuchen alle Kinder die Schulen. Es fehlt jedoch an Schulmaterialien, häufig können keine warmen Mahlzeiten ausgegeben werden, die Klassen sind zu groß, weil immer noch viele Schulgebäude zerstört sind. Im Moment werden jedoch zahlreiche Schulen renoviert.

(Gesellschaft für bedrohte Völker: Die Menschenrechtslage in den Nordkaukasusrepubliken, Juni 2010, Seite 14)

Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen materiellen Bedingungen statt. Nach Angaben der VN entspricht die Anzahl der Lehrer wieder dem Niveau vor den Tschetschenienkriegen, allerdings sei die Versorgung mit Lernmitteln häufig noch unzureichend.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

5. Wehrdienst in Tschetschenien bzw. von Tschetschenen:

Die Bestimmungen über die Wehrpflicht, den Wehrdienst sowie den alternativen Zivildienst gelten für das gesamte Gebiet der Russischen Föderation und somit auch für Tschetschenien. Wenn ein wehrpflichtiger Mann in Tschetschenien wohnt, wird er dort einberufen und leistet dort seinen Wehrdienst ab, sofern er tatsächlich einberufen wird. Grundsätzlich dient eine gewisse Anzahl von in Tschetschenien wohnhaften wehrpflichtigen Tschetschenen in Bataillonen, die Ramzan Kadyrow unterstehen. Konflikte zwischen tschetschenischen Wehrdienstleistenden und Offizieren ebenso wie Unterdrückung und Vorurteile der Offiziere, von denen eine Großzahl im Ersten und/oder Zweiten Tschetschenienkrieg gekämpft haben, gegenüber Wehrdienst leistende Tschetschenen sind häufig zu beobachten.

(ACCORD Anfragebeantwortung a-7349 vom 12.8.2010, ACCORD Anfragebeantwortung a-7371 vom 07.09.2010, ACCORD Anfragebeantwortung a-7387 vom 01.10.2010, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

Aus Tschetschenien werden ca. seit Beginn der neunziger Jahre keine Wehrpflichtigen mehr in die russische Armee aufgenommen. Einberufungen finden zwar statt (zuletzt Kadyrow-Erlass vom April 2010), beschränken sich aber auf Registrierung der tschetschenischen Wehrpflichtigen und Tauglichkeitsuntersuchungen. Aus dem Kontingent der Wehrpflichtigen werden jedoch offenbar regelmäßig Freiwillige ausgewählt und auf Vertragsbasis in Verbände der Armee in Tschetschenien aufgenommen. Grundsätzlich gilt, dass russische Wehrpflichtige in Tschetschenien nicht eingesetzt werden sollen, sondern nur Freiwillige.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25)

Seit 2001 haben nur wenige tschetschenische Wehrpflichtige ihren Dienst in zwei rein tschetschenischen Bataillonen abgeleistet, die gegen die Untergrundgruppen eingesetzt wurden. Diese Bataillone sind inzwischen aufgelöst.

(The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 9, Issue 128, 6.7.2012, Russland Aktuell: Wehrpflicht gilt nicht für Tschetschenen, 22.7.2011,

http://www.aktuell.ru/russland/panorama/kapitulation_wehrpflicht_gilt_nicht_fuer_tschetschenien_3342.html , Zugriff 3.12.2012)

5.1. Dauer und Art des Wehrdienstes

Die Bedingungen des Wehrdienstes sind hart. Die allgemeine Wehrpflicht besteht für Männer zwischen 18 und 28 Jahren. Der Grundwehrdienst dauert zwölf Monate und Angaben über Wehrdienst bzw. Wehrersatzdienst werden im Wehrregister vermerkt. Die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften kann als zumindest problematisch bezeichnet werden, da es nach wie vor zu Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige kommt. Der durch die Verkürzung der Wehrdienstzeit auf zwölf Monate (2007 noch zunächst 24, dann 18 Monate, seit der Einberufung vom 01.4.2008 zwölf Monate) erhoffte positive Effekt auf die Menschenrechtslage (d.h. Abbau von Frustration durch kürzere Dienstzeit und Abbau interner Machtstrukturen unter den Wehrpflichtigen) hat sich (noch) nicht deutlich bemerkbar gemacht.

(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, vom 07.03.2011, Seite 15, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

5.2. Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung:

Wenn ein wehrpflichtiger Mann in der Russischen Föderation gemeldet ist, ist er laut geltenden gesetzlichen Bestimmungen einzuberufen und hat er im für seine Meldeadresse zuständigen Militärkommissariat zu erscheinen. Bei jeder Einberufung versuchen sich mehrere tausend Jungmänner im Einberufungsalter ihrer Wehrpflicht zu entziehen, indem sie ihren Wohnort wechseln oder sich im Ausland aufhalten. Wehrpflichtige, die aus dem Ausland in die Russische Föderation zurückkehren, sind verpflichtet, sich innerhalb von zwei Wochen nach der Einreise beim zuständigen Wehramt (Kommandantur) zwecks Aktualisierung der Eintragungen im Wehrregister zu melden (Art. 10 des Föderalen Gesetzes über Militärpflicht und Militärdienst). Wehrpflichtige, die sich der Militärpflicht entzogen haben, können aufgrund des Art. 328 des Russischen Strafgesetzbuches strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wobei die (zusätzliche) Ableistung des Militärdienstes nach Überschreitung des Wehrpflichtalters von 27 Jahren nicht vorgesehen ist. In der Praxis ist die strafrechtliche Verfolgung der Wehrdienstentziehung nicht sehr wahrscheinlich, zumal die Gerichte in solchen Angelegenheiten nur mit großem Widerwillen ein Verfahren einleiten. Soweit es überhaupt zu einer Bestrafung kommt, so werden diese Handlungen in der Regel als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße belegt und zwar ohne Einleitung eines gerichtlichen Strafverfahrens. So wurden 2008 lediglich 91 Männer wegen Wehrdienstverweigerung mit einer - in den allgemeinen Vollzugsanstalten zu verbüßenden - Haftstrafe nach Durchführung eines gerichtlichen Strafverfahrens bestraft, während im selben Zeitraum rund 15.000 Personen mit einer Geldbuße - ohne Einleitung eines Strafverfahrens - in der Höhe bis zu 200.000 Rubel (ca. 4.700 Euro) wegen Wehrdienstverweigerung belegt worden sind. In diesem Zusammenhang wurde in den russischen Medien im September 2010 verbreitet, dass nach Feststellung der Moskauer Behörden in Moskau ca. 40.000 junge Männer, die den Wehrdienst verweigern, leben würden, nach der Frühlingsmusterung (01.10.2010 bis 31.04.2010) aber lediglich gegen zwei Personen ein Strafverfahren wegen Wehrdienstverweigerung eingeleitet worden sei.

(Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010).

5.3. Wehrersatzdienst

Zentrale Bestimmungen im föderalen Gesetz über den alternativen Zivildienst vom 28. Juni 2002 inklusive der Änderungen vom 22. August 2004, vom 31. Dezember 2005, vom 6. Juli 2006 und vom 9. März 2010 besagen, dass wehrfähige Männer ein Recht auf Ersatz des Militärdienstes durch alternativen Zivildienst haben, wenn der Militärdienst ihren Überzeugungen oder Glaubensvorstellungen widerspreche oder wenn der Wehrfähige einer kleinen Volksgruppe mit traditioneller Lebensweise zugehörig sei. In der Praxis hat der Wehrersatzdienst, der in der Russischen Föderation derzeit 21 Monate beträgt, bisher noch keine größere Bedeutung erlangt, zumal zurzeit in der gesamten Russischen Föderation lediglich 880 Zivildienstleistende registriert sind. Das Wehrkommissariat billigt etwa zwei Drittel der eingereichten Anträge, jedoch haben seit der Einführung des Gesetzes erst 4.328 Männer einen Antrag auf alternativen Zivildienst gestellt. Jeder zehnte wurde auf einer Baustelle eingesetzt. Über die Hälfte leistete den alternativen Zivildienst in einem sozialen Beruf ab. Bei erwarteten eineinhalb Jahren mühseliger Tätigkeit auf dem Bau, in Krankenhäusern, Altenheimen und Hospizen entscheiden sich viele junge Russen ohne langes Überlegen für den einjährigen Wehrdienst. Als Ursache für das weitgehend fehlende Interesse der Wehrpflichtigen an der Leistung des Ersatzdienstes wird vor allem die Länge des Ersatzdienstes genannt, die fast doppelt so lang ist wie die Dauer des Militärdienstes, sowie die schlechten Arbeitsbedingungen und der um ein mehrfaches niedrigere Sold im Vergleich zu der materiellen Vergütung der Militärdienstleistenden. Außerdem widerspricht die Leistung eines Wehrersatzdienstes der tschetschenischen Tradition.

(Accord Anfragebeantwortung a-7371 vom 07.09.2010, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

6. Innerstaatliche Relokationsmöglichkeit

Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.6.2013, Seite 24)

Die Kontrollposten der russischen Armee in Grosny gibt es nicht mehr.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NRO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen.

(Danish Immigration Service (11.10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Ethnische Tschetschenen und Angehörige anderer nordkaukasischer Nationalitäten können in der Russischen Föderation (Kernrussland) von Diskriminierung am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche sowie vor Gericht betroffen sein.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Grundsätzlich ist die Bewegungsfreiheit innerhalb Russlands gesetzlich gewährleistet, Bürger können ihren Wohn- und Aufenthaltsort frei wählen. Jedoch sind Bürger der Russischen Föderation gesetzlich verpflichtet, sowohl ihren vorübergehenden gegenwärtigen Aufenthaltsort, als auch ihren dauerhaften Wohnsitz den zuständigen Stellen des Innenministeriums zu melden. Der Registrierungsprozess stellt sich in der ganzen Russischen Föderation gleich dar. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum, eine Arbeitsstelle oder der Bezug von Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere hinsichtlich temporärer Registrierungen. Um sich temporär zu registrieren, muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird, das persönliche Erscheinen beim UFMS ist keine Voraussetzung mehr. Obwohl das Gesetz festschreibt, dass eine temporäre Registrierung ein Jahr Gültigkeit besitzt, stellen manche lokale Behörden vorübergehende Registrierungen lediglich für einen Zeitraum von drei Monaten aus.

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden, bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch die Vorlage einer Zug- oder Busfahrkarte. Die Behörden haben laut FMS sogar ein eigenes Verfahren, um die Identität von Personen, die nicht im Besitz von Identitätsdokumenten sind, festzustellen. Der Name der zu registrierenden Person wird in derartigen Fällen in Datenbanken gesucht und es erfolgen Einvernahmen der jeweiligen Person sowie von ihren in der Russischen Föderation aufhältigen Verwandten. Sobald die Identität der Person festgestellt wurde, werden die erforderlichen Unterlagen ausgestellt.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen hat etwas abgenommen, wenngleich russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit berichten.

Vor allem Kaukasier und Einwanderer aus Zentralasien sind in Russland mit ethnischen Diskriminierungen und einem grassierenden Rassismus konfrontiert. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen (Ausweis, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden statt, haben aber an Intensität abgenommen.

Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes sind keine Anweisungen der russischen Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen bekannt. Kontrollen von kaukasisch aussehenden oder aus Zentralasien stammenden Personen erfolgen seit Jahresbeginn 2007 zumeist im Rahmen des verstärkten Kampfes der Behörden gegen illegale Migration und Schwarzarbeit. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird an vielen Orten (u.a. in großen Städten wie Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen wirken sich im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit von aus anderen Staaten zurückgeführten Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Die Rücksiedlung nach Tschetschenien wird von Regierungsseite nahegelegt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 35 und 36; Fragenbeantwortung der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") und ihren Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") melden müssen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Viele Vermieter weigern sich zudem, entsprechende Vordrucke auszufüllen, u.a. weil sie ihre Mieteinnahmen nicht versteuern wollen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 35 und 36; Fragenbeantwortung der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

Tschetschenen verheimlichen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Der Föderale Migrationsdienst (FMS) bestätigte in diesem Zusammenhang, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen (Registrierungen für einen nicht länger als 90 Tage dauernden Zeitraum). Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des Föderalen Migrationsdienstes (FMS) bzw. an die jeweiligen territorialen Behörden (UFMS) schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird, und muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 6, 14-15, 58)

Viele regionale Regierungen schränken das Recht durch Regelungen für die Registrierung des Wohnsitzes, die an Sowjetzeiten erinnerten, ein.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 25.10.2013)

Laut Auskunft des Föderalen Migrationsdienstes (FMS) bestehen für Tschetschenen keine Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oder hinsichtlich der Ausstellung von innerstaatlichen Reisepässen oder anderen offiziellen Dokumenten. Auch laut Einschätzung eines Anwalts der Memorial Migration & Rights Programme and Civic Assistance Committee (CAC) haben Tschetschenen bei einer Registrierung in St. Petersburg nicht mehr Probleme als andere russische Bürger. Nichtregistrierte Tschetschenen können innerhalb Russlands allenfalls in der tschetschenischen Diaspora untertauchen und dort überleben. Ihr Lebensstandard hängt stark davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen. Eine Vertreterin von House of Peace and Non-Violence, verwies darauf, dass viele Tschetschenen in St. Petersburg keinerlei dauerhafte oder vorübergehende Registrierung besitzen. Diese Personen besorgen sich immer wieder neue Zug- oder Bus-Tickets, um damit darzulegen, dass sie sich nicht länger als 90 Tage in St. Petersburg befinden.

Ein Vertreter des föderalen Ombudsmannes hält fest, dass Tschetschenen im Allgemeinen die gleichen Rechte besitzen wie alle anderen Gruppen in der Russischen Föderation, dies gilt hinsichtlich Beschäftigung, Wohnungsbeschaffung, Gesundheitsvorsorge sowie Pensionsansprüche. Die tschetschenische Bevölkerung außerhalb von Tschetschenien pflegt sehr enge Beziehungen zueinander, versucht nahe beisammen zu leben und sich gegenseitig zu unterstützen. Laut seiner Einschätzung sind Tschetschenen sowie einige andere Gruppen außerhalb des Nordkaukasus gelegentlich mit Anfeindungen lokaler Gemeinschaften konfrontiert.

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar, da sie den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt ermöglicht. Grundsätzlich hat man in der Russischen Föderation am Ort der Registrierung Zugang zur medizinischen Versorgung, medizinische Notfallhilfe wird jedoch in der russischen Verfassung garantiert und völlig unabhängig von Registrierung und Aufenthaltsort jedem Menschen, unabhängig von dessen Staatsbürgerschaft, gewährt. Die ethnische Zugehörigkeit würde auch nach Auskunft von IOM an Dänemark beim Zugang zur medizinischen Versorgung keine Rolle spielen.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Diesbezüglich ist auch auf die Änderungen im Gesundheitswesen der Russischen Föderation zu verweisen und hervorzuheben, dass das Föderale Gesetz Nr. 326 über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation festschreibt, dass jeder russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen kann. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation, unabhängig von der Meldeadresse, gewährt wird. (Schreiben der österreichischen Botschaft in Moskau an den Asylgerichtshof vom 13.04.2012, IOM Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2012)

Laut SOVA gibt es keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen.

Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten.

(Danish Immigration Service (11.10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

IOM Russland erklärte, dass die Russische Föderation eine föderale Struktur hat und falls eine verdächtige Person von einer Verwaltungseinheit ausgeforscht wird, könnte nach dieser Person in der gesamten Russischen Föderation behördlich gesucht werden. Ob eine bundesweite Suche nach einer Person durch die Behörden eingeleitet wird, hängt davon ab, aufgrund welchen Verdachts die jeweilige Person ausfindig gemacht werden soll. Falls der Fall irgendwie im Zusammenhang mit internationalem Terrorismus steht, ist es sehr wahrscheinlich, dass die tschetschenischen Behörden eine bundesweite Suche nach dem Verdächtigten einleiten.

Khamzat Gerikhanov (Chechen Social and Cultural Association) erklärte, es sei üblich, dass tschetschenische Rebellen aus benachbarten Republiken im Nordkaukasus zurückgeschickt werden, um (strafrechtlicher) Verfolgung in Tschetschenien ausgesetzt zu sein. Ein Vertreter des föderalen Ombudsmannes erklärte demgegenüber, dass ihm keine Fälle bekannt wären, in denen russische Behörden auf Anfrage der tschetschenischen Behörden Tschetschenen verhaftet und zwecks Strafverfolgung zurück nach Tschetschenien überstellt hätten. Zumindest würden tschetschenische Behörden das russische föderale Justizwesen jedoch bei der Suche nach einer Person, die unter Verdacht steht, Mitglieder illegaler bewaffneter Gruppierungen zu unterstützen, in Anspruch nehmen. Die Entscheidung, ob eine Anfrage von tschetschenischen Behörden zu Recht besteht, trifft dabei die Bundesbehörde. Khamzat Gerikhanov gab weiters an, dass Unterstützer oder Verwandte von Anhängern der illegalen bewaffneten Gruppen, die in eine andere Region der Russischen Föderation gezogen sind, aufgefunden werden, falls nach diesen Personen offiziell auf Bundesebene gesucht wird. Wenn jemand illegale bewaffnete Gruppen zum ersten Mal oder schon vor vielen Jahren mit Nahrung, Unterkunft oder Transport unterstützt hat und sich in der Folge außerhalb von Tschetschenien niederlässt, würden die tschetschenischen Behörden keine bundesweite Suche nach diesen Personen einleiten oder große Anstrengungen unternehmen, um derartige Personen wieder zurück nach Tschetschenien zu überstellen.

Der föderale Ombudsmann hat nach eigenen Angaben noch keine Beschwerden über Belästigungen bzw. Bedrohungen von Tschetschenen durch andere Tschetschenen erhalten, die in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus wohnhaft sind. In dieser Hinsicht ist die Unterscheidung zwischen "high profile persons" und "low profile persons" wichtig. Personen, die von Kadyrow als Außenseiter oder Gegner seiner Regierung bzw. als Rivale seines Clans betrachtet werden, könnten Bedrohungen durch andere Tschetschenen ausgesetzt sein. Sogenannte "high profile persons" sind der Gefahr von Racheakten durch Mitglieder von Kadyrows Geheimdienst in der Russischen Föderation als auch im Ausland ausgesetzt. Demgegenüber werden "low profile persons", die nicht offiziell gegen Kadyrow eingestellt sind, in der Regel nicht belangt.

Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden.

Bereits das Bekanntwerden kleinster kritischer Äußerungen betreffend die Regierung Kadyrows würde jedoch zu einer Rüge durch die tschetschenischen Behörden führen. Ekaterina Sokiryanskaya von Memorial in St. Petersburg gab in diesem Zusammenhang an, dass in den meisten Fällen tschetschenische Behörden nach einer Person nicht offiziell suchen, sondern in der Lage sind, (inoffiziell) Personen in der Russischen Föderation und in vielen europäischen Ländern ausfindig zu machen und gegebenenfalls auch zu töten.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Was die Sicherheit von Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation betrifft, so kann eine Beurteilung der Gefährdung nur im Einzelfall erfolgen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Tschetschenen, die in Tschetschenien keine Probleme hatten und etwa nur zur Arbeitssuche in einen anderen Teil der Russischen Föderation kommen (diese haben möglicherweise mit Diskriminierung und Anfeindungen aufgrund der weit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit in Russland zu kämpfen) und Tschetschenen, die in Tschetschenien tatsächlich verfolgt werden (diese sind gegebenenfalls auch in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht sicher).

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann.

(Analyse der Staatendokumentation vom 20.4.2011 - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien)

Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine Ansiedlung von Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist. Den wesentlichsten Punkt stellt die Frage dar, ob diese Personen von Kadyrow als Außenseiter oder Gegner seiner Regierung bzw. als Rivale seines Clans betrachtet werden und kann man diesbezüglich eine Unterscheidung in "high profile persons" und "low profile persons" treffen. Angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung, die jedoch in den letzten Jahren wesentlich vereinfacht wurde, spielen überdies ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten sowie die Möglichkeit der Kontaktierung von NGOs eine Rolle.

7. Situation gemischt ethnischer bzw. gemischt religiöser Ehen

Wenn auch die Trennung der Volksgruppen relativ strikt ist, kommen gemischte Ehen auch in Tschetschenien vor. Gemischt-ethnische Ehen werden in der Regel von den (tschetschenischen) Eltern nicht gutgeheißen, wobei es viel schlimmer ist, wenn ein tschetschenisches Mädchen einen Angehörigen einer anderen Volksgruppe heiratet, weil dadurch der "Stammbaum unterbrochen werde", was eine "schwere Sünde" darstellt. Bis zur russischen Besetzung sind Mischehen zwischen Volkszugehörigen verschiedener Völker des Kaukasus durchaus üblich gewesen und es gibt keine Berichte darüber, dass die Angehörigen gemischt-ethnischer bzw. gemischt-religiöser Ehen in Tschetschenien und in angrenzenden Kaukasusrepubliken von staatlicher Seite oder von Privaten gezielt verfolgt werden.

(ACCORD Anfragebeantwortung a-7409-1 vom 21. Oktober 2010)

8. Lage in den Nachbarrepubliken im Nordkaukasus:

Der Tschetschenienkonflikt hatte in den zurückliegenden Jahren auch auf die Nachbarrepubliken im Nordkaukasus übergegriffen und die gesamte Region destabilisiert. Die Häufigkeit bewaffneter Auseinandersetzungen nimmt insbesondere in Inguschetien und Dagestan weiterhin zu. Die gesamte Region ist wirtschaftlich und sozial eine der am stärksten benachteiligten in der Russischen Föderation. Sie leidet in ganz besonderem Maße unter Korruption, ethnischen Spannungen und der Machtausübung durch einzelne Clans.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25)

Bei den Gewaltakteuren ist ein Ideologiewandel vom Ethno-Nationalismus zum islamischen Fundamentalismus zu beobachten.

Ist zwar grundsätzlich der gesamte Nordkaukasus davon betroffen, konzentriert sich die Gewalt hauptsächlich auf Dagestan. Im Jahr 2012 und bis August 2013 kamen bei Anschlägen und Gewaltakten in der gesamten Region knapp 1.000 Menschen ums Leben, etwa 800 wurden verletzt. Mehr als die Hälfte aller Opfer wurde in Dagestan registriert.

In der Region operieren militante salafistische Muslim-Bruderschaften (Jamaate), wobei die Gruppen lokal organisiert sind und weitgehend autonom handeln.

Zurückzuführen ist die wachsende Sympathie innerhalb der Bevölkerung des Nordkaukasus für gewaltsame Formen des Widerstandes auf die Rücksichtslosigkeit der russischen Sicherheitsorgane im "Kampf gegen den Terrorismus.

Die Gewalt im Nordkaukasus ist auch vor allem Ausdruck der anhaltenden sozio-ökonomischen und politischen Krise im Nordkaukasus. Die Region leidet seit langem unter Armut, Korruption und Vetternwirtschaft und liegen die Einkommen deutlich unter dem russlandweiten Durchschnitt. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20 bis 30 %, in Inguschetien sogar bei 50 %.

(http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54672/nordkaukasus vom 06.01.2014)

8.1. Blutrache in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan:

Im Kaukasus gab es lange keine Staaten im traditionellen Sinn des Wortes. Von den einheimischen Völkern gingen keine Staatsbildungen aus, die enge lokale und ethnische Grenzen überschritten haben. Die Macht staatlicher Stellen beschränkte sich gewöhnlich auf den Sitz des Herrschers. Die bergigen Regionen blieben davon weitgehend unberührt. Das nicht Vorhandensein eines Staates impliziert die Abwesenheit von staatlicher Macht und Gesetzen, das einzige Gesetz, das die gegenseitigen Beziehungen regelte, war für lange Zeit das Adat, das sogenannte Gewohnheitsrecht.

Die Tradition der Blutrache stellt einen Teil des Gewohnheitsrechts dar. Wenn der eigentliche Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, so wird sein engster Verwandter zum Ziel der Rache. Das Adat erlaubt nicht, dass die Rache durch irgendeine Regierungseinrichtung ausgeübt wird. Nur das Opfer oder seine Familie dürfen am Täter oder wenn dieser nicht direkt bestraft werden kann, an seiner Familie Rache nehmen. Frauen, Kinder und Alte sind von der Blutrache ausgenommen. Obwohl die Blutrache oft als brutal und grausam betrachtet wird, gilt sie in de facto in Anarchie lebenden Gesellschaften als notwendiger Mechanismus um das Chaos zu verhindern. Während der Sowjetherrschaft wurde versucht die Blutrache sowie das gesamte Adat auszumerzen. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts kommt es jedoch zu einem Wiederaufleben des Gewohnheitsrechts und zwar vor allem wegen der Korruption und der Machtlosigkeit der Regierung zusammen mit dem Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Staatssicherheit und die Justiz. Auch der kriegsbedingte Zusammenbruch staatlicher Strukturen und die "Fremdherrschaft" des russischen Staates führten zu einem Anstieg der Blutrache.

Jedoch ist man heute, wie die Einrichtung der Versöhnungskommission zeigt, daran interessiert, diese alten Bräuche wieder zurückzudrängen, um die entstehende Gewaltspirale, die bei einem relativ kleinen Volk wie den Tschetschenen auf lange Sicht durchaus für das Überleben der Gruppe bedrohliche Ausmaße annehmen kann, zu unterbrechen.

(Analyse der Staatendokumentation, Blutrache in Tschetschenien vom 05.11.2009)

8.2. Inguschetien:

Inguschetien ist mit seinen etwa 3.600 km2 die kleinste der Nordkaukasusrepubliken. Die Mehrheit der rund 410.000 Bewohner sind Inguschen. Sie gehören überwiegend dem sunnitischen Islam an. Außerdem leben Russen und Tschetschenen in Inguschetien. Etwa 20% der Einwohner sind ethnische Tschetschenen. Die ehemalige Hauptstadt Nasran ist die wichtigste Stadt, seit 2003 ist jedoch Magas die offizielle Hauptstadt. Inguschetien ist seit 1992 eine autonome Republik innerhalb der Russischen Föderation. Amtssprachen sind Inguschetisch und Russisch. Zwischen Inguschetien und Nordossetien kam es zwischen 1992 und 1993 zu einem Konflikt um ein Grenzgebiet, welches seit 1944 Ossetien gehört, auf das die Inguschen jedoch seit ihrer Rückkehr aus Zentralasien Anspruch erheben.

Im Dezember 2001 trat Präsident Ruslan Auschew von seinem Amt zurück. Als Nachfolger wurde im April 2002 der Geheimdienstgeneral Murat Zjazikow gewählt. Dies führte zu einer grundlegend anderen Haltung gegenüber dem Tschetschenienkrieg. Insbesondere kam es zu einem härteren Vorgehen gegenüber tschetschenischen Kämpfern. Dies führte letztlich zu einer gewissen Eskalation in Inguschetien.

(http://de.wikipedia.org/wiki/Inguschetien , Zugriff 09.01.2012, Junus-Bek Jewkurow,

http://de.wikipedia.org/wiki/Junus-bek_Bamatgirejewitsch_Jewkurow , Zugriff 11.01.2011)

Mit der Bestimmung von Junus-Bek Jewkurow im Oktober 2008 zum Nachfolger des entlassenen Präsidenten Zjazikow kam es aber zu einer innergesellschaftlichen Entspannung. Präsident Jewkurow, der auch Generalmajor der Russischen Armee ist, hat Oppositionsvertreter in die Regierung integriert und die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Konfliktlösungsansätze betont. Präsident Medwedew hat ihn dabei demonstrativ unterstützt. Von internationalen Organisationen (u.a. den Vereinten Nationen) wird die Sicherheitslage in Inguschetien als schlechter als in Tschetschenien eingestuft. Der Konflikt dauert unvermindert seit 2004 an und hat sich seit Sommer 2007 nochmals deutlich verschärft. Es kommt immer wieder zu Angriffen gegen die Sicherheitskräfte und staatliche Funktionsträger mit Toten und Verletzten sowie zu einer Häufung von Terroranschlägen. Die Sicherheitssituation scheint sich jedoch im ersten Halbjahr 2012 signifikant gebessert zu haben. Lokale Behörden können die Lage in der Region (Korruption, Überfälle von Rebellen, Willkür föderaler Sicherheitskräfte) augenscheinlich nicht kontrollieren. Das unverhältnismäßige und unterschiedslose Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die in Inguschetien operierenden Rebellen, das häufig die Zivilbevölkerung trifft, war einer der Hauptgründe für das Entstehen der inguschetischen Opposition.

Präsident Jewkurow hat wiederholt betont, dass die Probleme der Republik nur im Dialog zwischen Gesellschaft und Staatsorganen gelöst werden könnten. Für die schlechte sozioökonomische Lage in der Republik seien die Schwäche und der Vertrauensverlust der Staatsorgane und die Korruption ursächlich. Gleichwohl ist es seit Amtsantritt Jewkurows nicht zu einem Rückgang der Rebellenaktivität gekommen, auch wenden die Sicherheitskräfte weiterhin mitunter brutale Methoden an, bis hin zu extralegalen Tötungen im Vorgehen gegen vermeintliche Rebellen. Der Haltung Jewkurows ist es möglicherweise geschuldet, dass die Anzahl der Entführungen in Inguschetien im Jahr 2009 stark zurückging - laut Memorial auf 13 gegenüber 31 im Vorjahr 2008. 2010 wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen jedoch erneut mindestens zwölf Entführungen registriert, wobei davon sieben Personen ohne erneutes Lebenszeichen verschwunden sein sollen. Für die zweite Hälfte 2010 ist die Zahl der Terroranschläge in Inguschetien etwas zurückgegangen. Jewkurow selbst stellte Ende 2010 jedoch fest, dass es bezüglich der Rebellenaktivitäten keine Entwarnung geben könnte. Am 10.06.2009 wurde die Vizechefin des inguschetischen Obersten Gerichtshofs, Asa Gasgirejewa, bei einem Anschlag erschossen - 18 Monate, nachdem ihr Amtsvorgänger erschossen worden war.

Der inguschetische Präsident Jewkurow nannte in einer Stellungnahme das "rechtswidrige Verhalten der Sicherheitskräfte" und "Korruption" als Hauptgründe für die schwierige Lage in Inguschetien. Am 13.06.09 wurde der ehemalige inguschetische Innenminister Baschir Auschew in Nasran ermordet. Am 22.06.09 wurde Präsident Jewkurow bei einem Anschlag auf seinen Konvoi schwer verletzt. Am 25.10.2009 wurde der führende Oppositionspolitiker Makscharip Auschew in Kabardino-Balkarien bei der Rückfahrt nach Inguschetien erschossen. Seit 2006 kam es in Inguschetien wiederholt auch zu gezielten Übergriffen gegen russischstämmige Bewohner (Tötung russischer Familien in ihrem häuslichen Umfeld; Übergriffe an der Arbeitsstelle), deren Zahl durch ein gezieltes Regierungsprogramm wieder erhöht werden sollte.

Ausgehend von hohem Niveau, verzeichnet Inguschetien seit 2009 einen Rückgang bei der Zahl von Gewaltakten mit extremistischem Hintergrund. Die Lage bleibt jedoch volatil und gilt weiterhin als sehr schwierig. Lt. NRO "Kawkaski Usel" waren 2012 163 Konfliktopfer zu beklagen (2011: 108), darunter 79 Tote (2011: 70). Der Anstieg der Opferzahlen 2011/2012 fiel jedoch gegenüber dem Rückgang 2010/2011 (2010: 326 Opfer, darunter 134 Tote) gering aus.

Die gewisse Beruhigung, die in Inguschetien eingetreten ist, wird auch auf das vergleichsweise dialogorientierte Wirken des Republikoberhaupts, Junus-Bek Jewkurow, zurückgeführt.

Sorge bereitet nach wie vor die prekäre Wirtschaftslage. Die Arbeitslosigkeit beträgt nach Schätzungen der VN ähnlich wie in Tschetschenien bis zu 80%. Es wird befürchtet, dass Inguschetien erneut stärker in Gewalt abrutschen könnte, wenn sich auf mittlere Sicht keine Fortschritte bei der Wirtschaftsentwicklung einstellen. Diese bleiben aus, da neben der weiterhin schwierigen Sicherheitssituation auch in Inguschetien die rechtlichen Rah-menbedingungen nicht hinreichend gut sind und Korruption ein großes Problem darstellt.

Nach einem Bericht der Gesundheitsministerin Inguschetiens vom Februar 2009 befinden sich in Inguschetien immer noch 24.000 offiziell registrierte Flüchtlinge (überwiegend aus Tschetschenien und Nord-Ossetien). Dies belaste den Gesundheitssektor, der selbst für die einheimische Bevölkerung nicht ausreichend sei, zusätzlich. Im Vergleich zu der gesamten Russischen Föderation sei die Krankheitsrate sowie die Infektionsrate in Inguschetien doppelt so hoch. Im Bericht der Gesundheitsministerin wurden in diesem Zusammenhang insbesondere Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Krebs sowie verschiedene Traumata und Verletzungen, die auf Explosionen und Feuerwaffen zurückzuführen sind, genannt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 26 und 27 sowie vom 10.06.2013, Seite 17; Amnesty International, Annual Report 2012)

8.3. Dagestan:

Dagestan ist mit rund 50.300 km² und 3 Millionen Einwohnern die größte der Nordkaukasusrepubliken der Russischen Föderation. Die Hauptstadt ist Machatschkala. Die Sprachen mehrerer Völker sind in der Verfassung verankert. Die meisten Einwohner Dagestans sind Muslime.

Präsident Magomedali Magomedov, der Dagestan seit dem Ende der Sowjetunion geführt hatte, wurde im Februar 2006 von Mukhu Aliyev abgelöst. 2010 wurde Aliyev wiederum durch Magomedows Sohn Magomedsalam Magomedow als Präsident Dagestans abgelöst.

(BBC News, Regions and Territories: Dagestan, Stand Dezember 2007, Dagestan, http://de.wikipedia.org/wiki/Dagestan , Zugriff 09.01.2012, Magomedsalam Magomedow,

http://de.wikipedia.org/wiki/Magomedsalam_Magomedalijewitsch_Magomedow , Zugriff 09.01.2012

Angesteckt durch die Konflikte in Tschetschenien, hat sich die Sicherheitslage im multiethnischen Dagestan in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und bleibt sehr angespannt. Islamistischer Extremismus, Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans, Korruption und organisierte Kriminalität führen zu anhaltender Gewalt und Gegengewalt. Die beinahe täglichen Anschläge von Rebellen richten sich gezielt gegen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen, politische Führungskader, Polizeipatrouillen, Bahnlinien, Gas- und Stromleitungen und öffentliche Gebäude. Die Behörden reagieren darauf mit harter Repression.

Laut NRO "Kawkaski Usel" waren 2012 in Dagestan mindestens 683 Opfer der Konflikte zu beklagen, darunter 410 Tote.

Im Januar 2013 wurde der seit 2010 als Republikoberhaupt amtierende Magomedsalam Magomedow von Ramasan Abdulatipow abgelöst. Unter Magomedow hatte es vorsichtige Anzeichen gegeben, dass seine Administration stärker auf Dialog zur Bewältigung der Konflikte setzen will. Es wurden erste Mechanismen und Programme entwickelt, die zu einer Wiedereingliederung von Rebellen in die Gesellschaft führen sollen. Stärker propagiert wird ein gemäßigter Islam als Gegenstück zum Fundamentalismus der Extremisten. Als Grund für die Abberufung Magomedows gilt sein Unvermögen, die unruhige Republik zu befrieden und damit auch die Gefährdung für die vom 7.-23.2.2014 in der Region stattfindenden olympischen Winterspiele zu verringern. Es ist fraglich, ob sein Nachfolger imstande ist, eine grundlegende Verbesserung der Lage in Dagestan herbeizuführen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16 und 17)

In Dagestan verschwinden regelmäßig Personen; die NRO "Mütter Dagestans für die Menschenrechte" hat für die ersten acht Monate 2009 25 Entführungsfälle dokumentiert. Von öffentlicher Seite gibt es glaubhafte Schilderungen, dass kaum Hilfe bei der Suche nach diesen Personen geleistet wurde. Diese Übergriffe sind willkürlich, nicht gegen spezielle Bevölkerungsgruppen gerichtet. Problematisch ist die Tätigkeit tschetschenischer Sicherheitsorgane in Dagestan, die dort ohne Abstimmung mit den örtlichen Behörden Festnahmen durchführen. Dies hat wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dagestanischen Sicherheitsorganen geführt. Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat ein früher in der Region nicht vertretenes fundamentalistisches Verständnis des Islams zahlreiche Anhänger gefunden. Die staatlichen Behörden setzen die Mitglieder derartiger Gemeinden mit Extremisten oder potentiellen Terroristen gleich und erfassen sie in Listen. Mitunter müssen sich diese Personen regelmäßig bei der Miliz melden und sind erheblichem Druck ausgesetzt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25 und 26)

Anfang Mai 2011 ernannte Umarow persönlich Ibragimkhalil Daudow (Amir Salikh), einen 50-jährigen Afghanistan-Veteranen, zum neuen Anführer des dagestanischen Untergrundes. In Dagestan sind gemäß Schätzungen des Central Asia-Caucasus Analyst ungefähr 2500 Männer aktiv. Das ist mindestens die Hälfte aller bewaffneten Widerstandskämpfer im Nordkaukasus. Nach dem Tod Daudows Anfang Februar 2012 kämpfen mehrere Rivalen um seine Nachfolge.

(Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 9; Dt. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation Russische Föderation Mai 2012)

Im Mai 2013 wurde die rechte Hand Umarows, Dschamaleil Mutalijew, getötet.

(http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54672/nordkaukasus vom 06.01.2014)

9. Weitere Erkenntnisse über asyl- und abschiebungsrelevante Vorgänge

9.1. Echtheit von Dokumenten

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente, welche die betreffenden Staatsangehörigen mit sich führen (insbesondere Reisedokumente), sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt. Rund 20% der bei der Botschaft zur Echtheitsüberprüfung vorgelegten Dokumente sind Fälschungen. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle oder Gerichtsurteile. Asylsuchende aus der Russischen Föderation, insbesondere aus den russischen Kaukasusrepubliken, führen mitunter gefälschte Dokumente (z.B. unzutreffende Haftbefehle) oder unwahre Zeitungsmeldungen mit sich, mit denen staatliche Repressionsmaßnahmen dokumentiert werden sollen. Die Verwaltungsstrukturen in Tschetschenien sind größtenteils wieder aufgebaut, sodass die Echtheit von Dokumenten aus Tschetschenien grundsätzlich überprüft werden kann. Probleme ergeben sich allerdings dadurch, dass bei den kriegerischen Auseinandersetzungen viele Archive zerstört wurden.

9.2. Ausreisekontrollen und Ausreisewege

Die Grenz- und Zollkontrollen eigener Staatsangehöriger durch russische Behörden an den Außengrenzen entsprechen in der Regel internationalem Standard. Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen mit besonderer Aufmerksamkeit u. a. bei Ein- und Ausreisen überwachen und dunkelhäutige Personen aus dem Kaukasus häufig zu Dokumentenüberprüfungen herausgeholt werden.

Reisende müssen ihren Inlandspass vorweisen, wenn sie Fahrkarten oder Flugtickets kaufen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, S25, Seite 38-39; U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia )

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführerin gründen sich auf deren diesbezüglich glaubwürdigen Angaben. Die Feststellung ihre Identität betreffend gründet sich auf das vorgelegte Identitätsdokument. Auch das Bundesasylamt ging von diesem Sachverhalt aus. Im Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof bzw. nunmehrigem Bundesverwaltungsgericht ist auch kein Grund hervorgekommen, wonach an diesen Angaben zu zweifeln wäre.

Die Feststellungen zum physischen Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei ergeben sich aus den vorgelegten Befunden und ihren Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Die Feststellungen zum psychischen Gesundheitszustand ergeben sich aus den von der belangten Behörde (bei DDr. XXXX) sowie vom Bundesverwaltungsgericht (bei Prof. Dr. XXXX) in Auftrag gegebenen Gutachten. Beide Gutachten sind ausführlich, widerspruchsfrei und schlüssig sowie nachvollziehbar aufgebaut. Sie kamen unter Mitwirkung einer Dolmetscherin zustande, beruhen auf einer umfassenden Würdigung von Persönlichkeit, Lebensgeschichte, Lebensumständen und Verhalten der Beschwerdeführerin und legen in nachvollziehbarer Weise dar, in welchem psychischen Gesamtzustand sich die Beschwerdeführerin befindet. Die Beschwerdeführerin trat dem Sachverständigen-Gutachten nicht substantiiert entgegen, weshalb die Ergebnisse des Gutachtens den Feststellungen zugrunde gelegt werden konnten. Soweit die rechtsfreundliche Vertretung auf einen medizinischen Befund des XXXX (vom 18.09.2014) verweist, wonach bei der BF ein posttraumatisches Belastungssyndrom vorliege, ist zu entgegnen, dass in diesem Befund keine nachvollziehbare oder gar substantiierte Erörterung, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen diese Diagnosen getroffen wurden, vorgenommen wurde. Auch weist die Bestätigung im Vergleich zu den beiden von der belangten Behörde und vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigen-Gutachten einen weitaus geringeren Umfang auf. Dass unter derartigen Umständen die Bestätigung von XXXX als unschlüssig erscheinen muss, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Dies gilt umso mehr für jene Befunde und ärztlichen Bestätigungen der letzten Monate, die sich in einer zwei bis dreizeiligen Feststellung des Posttraumatischen Belastungssyndroms ohne jegliche Begründung erschöpfen, sodass ihnen jeglicher Beweiswert zu versagen ist.

Die Feststellungen zu den rechtskräftig abgeschlossenen (früheren) Verfahren der BF und ihres Sohnes ergeben sich aus der Aktenlage.

Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben und zu den im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen der beschwerdeführenden Partei ergeben sich aus den Angaben im Laufe des Verfahrens, insbesondere im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

II.2.2. Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen weder in der Verhandlung noch in einer Stellungnahme inhaltlich konkret und dezidiert entgegen getreten wurde, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation bzw. der russischen Teilrepublik Tschetschenien zugrunde gelegt werden konnten.

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass sich die allgemeine Lage in Tschetschenien in einem gewissen Ausmaß stabilisiert hat, wenngleich nicht verkannt wird, dass die Menschrechtslage im Nordkaukasus dennoch zumindest teilwiese weiterhin problematisch ist und dass mannigfaltige Bedrohungsszenarien bestehen und in Einzelfällen auch schwere Menschenrechtsverletzungen geschehen können. Diese Szenarien sind jedoch individuell glaubhaft zu machen und führen im Falle ihrer individuellen Glaubhaftmachung auch konsequenterweise zur Gewährung von Asyl.

II.2.3. Die behaupteten Fluchtgründe konnten aus folgenden Gründen den Feststellungen nicht zu Grunde gelegt werden:

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; 25.11.1999, 98/20/0357, uva.).

Dabei steht die Vernehmung des Beschwerdeführers als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Die erkennende Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Beschwerdeführer gleichbleibende, substantiierte Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und mit den Tatsachen oder allgemeinen Erfahrungen übereinstimmen.

Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650).

Das Bundesverwaltungsgericht kam nach gesamtheitlicher Würdigung und im Besonderen auf Grund der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu dem Schluss, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die von ihr behauptete Verfolgung und die Fluchtgründe unglaubwürdig ist und nicht den Tatsachen entspricht.

Diesbezüglich ist eingangs zunächst festzuhalten, dass bereits in den ersten beiden, rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsgängen keine asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung der Beschwerdeführerin festgestellt werden konnte., zudem wurde im (2013 rechtskräftig negativ abgeschlossenen) Asylverfahren des Sohnes der BF dessen asylrelevantes Vorbringen als unglaubwürdig eingestuft.

Auch im nunmehr dritten Rechtsgang bestätigte sich dieses Bild bzw. verstärkte sich sogar der Eindruck der Unglaubwürdigkeit der BF massiv.

Gab die BF im ersten und zweiten Rechtsgang noch an, dass ihr Sohn lediglich Widerstandskämpfer unterstützt habe, indem er im Jahr 2003 ein einziges Mal zufällig vorbeikommende Kämpfer mit Wasser bzw. Nahrung versorgt habe, so brachte sie erst im dritten Rechtsgang (zudem auch hier erst im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung) vor, dass ihr Sohn selbst Teil des Widerstands gewesen sei.

Doch selbst, wenn man die Widerstandstätigkeit außer Acht lässt und nur die Versorgungstätigkeit heranzieht, fällt auf, dass die BF die Versorgung auf eine einzige, gewissermaßen zufällige Begegnung ihres Sohnes mit vorbeiziehenden Kämpfern reduziert, während ihr Sohn in dessen eigenem Asylverfahren in der damaligen Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof vorbrachte, er habe die Widerstandskämpfer von 2003 bis Ende 2004 oder Anfang 2005 unterstützt.

Im dritten Verfahrensgang behauptete die Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde, die Sicherheitskräfte seien zwischen 2007 und ihrer Ausreise etwa ein bis zwei Mal pro Monat gekommen, eine Zahl, die sie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf drei bis vier steigerte. Darüber hinaus stellte sie die Behauptung auf, dass die Sicherheitsbehörden immer noch kämen, um sich nach ihr zu erkundigen. Erst auf ausdrückliche Nachfrage des Richters hin räumte sie ein, dass es sich dabei um eine reine Vermutung ihrerseits handle ("Ich glaube, dass es weiter so ist. Ich weiß es aber nicht mit Bestimmtheit."). Anschließend rechnete der Richter vor, dass drei bis vier Belästigungen durch die Sicherheitsbehörden im Monat zu einer Gesamtzahl von 120-200 Kontakten in den Kalenderjahren 2007, 2008, 2009, 2010 geführt haben müssten, wobei es der BF in weiterer Folge nicht einmal annähernd gelang glaubhaft zu machen, welchen Sinn es haben sollte, dass sich gerade die für schwerste Grundrechtsverletzungen bekannten Sicherheitsbehörden damit begnügt haben sollten, bei all diesen Kontakten lediglich nach dem Aufenthaltsort des Sohnes zu fragen, ohne zu drastischeren Maßnahmen zu greifen (zB Hausdurchsuchung, Festnahme der BF, etc.). Besonders unglaubwürdig erschien es, dass die Sicherheitsbehörden zwar eine solche Festnahme der BF angedroht haben sollten, jedoch kein einziges Mal bei diesen 120-200 Kontakten zu dieser Maßnahme gegriffen haben, obwohl sie jedes Mal ergebnislos abziehen mussten.

Die BF behauptete weiters im Erstverfahren, dass im Zuge einer Polizeiaktion ihre eigene Mutter verstorben sei. In der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fiel der BF zunächst nicht ein, dass eine Angehörige bei einer Polizeiaktion verstorben sein soll. Auf Vorhalt, dass die Mutter aufgrund der Aufregungen verstorben sein soll, gab die BF an, dass ihre Mutter lediglich aufgrund des hohen Blutdrucks verstorben sei. Auf Vorhalt der früheren Aussage vor dem Bundesasylamt behauptete die BF, diese Aussage nicht getätigt zu haben, um auf neuerlichen Vorhalt dieser rückübersetzten und von der BF mit ihrer Unterschrift bestätigten Aussage zu Protokoll zu geben, dass ihre Mutter aufgrund der Aufregung, des Stresses und des hohen Blutdrucks verstorben sei. Beim erkennenden Richter entstand auf diese Weise der Eindruck, dass die BF im Zuge des damaligen Erstverfahrens das offenbar rein durch den hohen Blutdruck bedingte Ableben der Mutter auf den Polizeieinsatz zurückführen wollte, um mit diesem gesteigerten Szenario ein besonders drastisches Bild ihrer Verfolgungssituation zu zeichnen.

Die BF behauptete weiters, man habe ihren Sohn mit Strom gefoltert, wich aber sämtlichen diesbezüglichen Nachfragen des Richters, wie man eine Stromfolter erkenne, aus, und behauptete schließlich, ihr Sohn habe ihr dies gesagt. Gegen Ende der Verhandlung wurde diese Stromfolter seitens des erkennenden Richters erneut zur Sprache gebracht, wobei die BF nunmehr angab, ihr Sohn habe nichts über seine Misshandlungen erzählt, sie hätte ihn gewissermaßen nur ansehen müssen. Auf neuerliche Nachfrage, wie man Stromfolter erkennen könne, gab sie an, dass ihr Sohn ihr (doch) davon erzählt habe. Auf die Anmerkung des Richters, ihr Sohn habe ihr also doch etwas erzählt, wich die BF mit der Aussage aus, sie habe sich nicht wiederholen wollen. Auch hier entstand beim erkennenden Richter der Eindruck, dass die BF mit der Behauptung einer (von mehreren Asylwerbern in Bezug auf Tschetschenien öfters vorgebrachten) Foltermethode auch hier ein gesteigertes, jedoch unzutreffendes Szenario entwerfen und ein besonders drastisches Bild der Verfolgungssituation zeichnen wollte.

Ganz generell zeigte sich, dass die BF - wann immer sie mit kritischen, insistierenden und mehrfach wiederholten Rückfragen des erkennenden Richters konfrontiert war - teils erneut schwammige oder ausweichende Antworten tätigte, teils grinsend oder lachend Antworten zu Protokoll gab, teils schwieg. Somit erweckte sie zusammengefasst nicht den Eindruck einer glaubwürdigen Beschwerdeführerin, welche an einer vertiefendenden Erörterung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes interessiert gewesen sein müsste.

Auch gelang es der BF in keiner Weise, im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht plausibel zu erklären, warum sie einerseits in den Jahren 2007 bis 2010 massiv verfolgt worden sein soll, warum aber andererseits die tschetschenischen Verwaltungsbehörden der BF am 15.04.2009 problemlos einen Reisepass ausstellten, die BF in den Jahren 2007-2010 problemlos ihr Geschäft betreiben ließen (gerade diesbezüglich wird von Asylwerbern, die vor ihrer Flucht im Kaukasus selbständig tätig waren, sehr glaubwürdig, schlüssig und nachvollziehbar das völlige Gegenteil geschildert), ihr am 01.07.2008 eine Pensionsbescheinigung ausstellten und ihr schließlich im Jahr 2009 eine unentgeltliche Krebsoperation sogar in einer anderen russischen Teilrepublik ermöglichten.

In einer Gesamtbetrachtung kommt das Bundesverwaltungsgericht angesichts der aufgezeigten Widersprüche, Unstimmigkeiten und Unplausibilitäten zum Schluss, dass das gesamte Vorbringen als erfundenes Konstrukt zwecks Asylerlangung zu werten ist; es besteht keine aktuelle individuelle Verfolgungsgefahr aus asylrelevanten Gründen.

Darüber hinaus ist erneut in diesem Zusammenhang auf die zugrunde liegenden Länderfeststellungen zu verweisen, aus denen sich ergibt, dass sich die allgemeine Lage in Dagestan in einem gewissen Ausmaß stabilisiert hat, wenngleich nicht verkannt wird, dass die Menschenrechtslage im Nordkaukasus dennoch zumindest teilweise weiterhin problematisch ist und dass mannigfaltige Bedrohungsszenarien bestehen und in Einzelfällen auch schwere Menschenrechtsverletzungen geschehen können. Wie schon weiter oben erwähnt: Diese Szenarien sind jedoch individuell glaubhaft zu machen und führen im Fall ihrer individuellen Glaubhaftmachung auch konsequenterweise zur Gewährung von Asyl.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

II.3.1. Bis zum Ablauf des 31.12.2013 bestand die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes gemäß Art. 129c des Bundes-Verfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 1/1930 i.d.F. BGBl. I Nr. 49/2012, nach Erschöpfung des Instanzenzuges über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen - das war bis zum Ablauf des 31.12.2013 das Bundesasylamt - zu erkennen. Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 7 B-VG wurde der Asylgerichtshof mit 01.01.2014 zum Bundesverwaltungsgericht. Dieses hat gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren (nach Maßgabe des § 75 Abs. 20 AsylG 2005) zu Ende zu führen. Das gegenständliche Verfahren war mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängig, somit ist das Bundesverwaltungsgericht nunmehr für die Erledigung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

II.3.2. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

II.3.3. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

II.3.3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (in der Fassung des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12. 2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn die Asylentscheidung erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03. 1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Sachverhalt erweist sich, wie beweiswürdigend dargelegt, als nicht geeignet, um eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, glaubhaft zu machen. Aus den Gesamtangaben der Beschwerdeführerin ist somit nicht ableitbar, dass sie in der Russischen Föderation konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätte, da sich aus dem Vorbringen keine glaubwürdige individuelle Verfolgung der Beschwerdeführerin ergeben hat. Die beschwerdeführende Partei konnte somit nicht glaubhaft darlegen, dass sie in ihrem Herkunftsstaat konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätte und sind die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK geforderten Voraussetzungen somit nicht erfüllt.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher zum Ergebnis, dass der beschwerdeführenden Partei im Herkunftsstaat weder individuelle Verfolgung - weder unmittelbar von staatlichen Organen noch von "Privatpersonen" - drohte noch aktuelle und konkrete Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung iSd Art. 1 Abschnitt 1 Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und konnte eine solche auch nicht von Amts wegen festgestellt werden.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

II.3.4. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, so ist einem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden. Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

§ 8 Abs. 1 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den Herkunftsstaat des Antragstellers. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 ist ein Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

Nach der (zur Auslegung der Bestimmungen zum subsidiären Schutz anwendbaren) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AsylG 1997 iVm § 57 FremdenG 1997 ist Voraussetzung einer positiven Entscheidung nach dieser Bestimmung, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 8.6.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, eine positive Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.1.2001, 2001/20/0011).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, 95/18/1293, 17.7.1997, 97/18/0336). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, 93/18/0214). Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 21.8.2001, 2000/01/0443; 26.2.2002, 99/20/0509; 22.8.2006, 2005/01/0718). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 2.8.2000, 98/21/0461). Dies ist auch im Rahmen des § 8 AsylG 1997 (nunmehr: § 8 Abs. 1 AsylG 2005) zu beachten (VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011).

Allgemeine Verhältnisse in einem Heimatstaat reichen nicht aus, wohlbegründete Furcht im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 zu begründen (VwGH 29.10.1993, 93/01/0859 betreffend Situation der ungarischen Minderheit). Allgemeine Informationen über die Situation im Heimatland der Beschwerdeführerin vermögen nichts zu ändern, weil es auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse immer auf die konkrete Situation des einzelnen Asylwerbers ankommt (vgl. VwGH 11.09.1996, 95/20/0197).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten (oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000;

VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; 8.6.2000, 99/20/0203; 8.6.2000, 99/20/0586; 21.9.2000, 99/20/0373; 25.1.2001, 2000/20/0367;

25.1.2001, 2000/20/0438; 25.1.2001, 2000/20/0480; 21.6.2001, 99/20/0460; 16.4.2002, 2000/20/0131; vgl. dazu überdies EUGH 17.2.2009, Meki Elgafaj/Noor Elgafaj vs. Staatssecretaris van Justitie, C-465/07 , a, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 45, wonach eine Bedrohung iSd Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 [StatusRL] auch dann vorliegt, wenn der einen bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat (unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG, dies ist nun auf § 8 Abs. 1 AsylG zu übertragen) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.2.2001, 98/21/0427; 20.6.2002, 2002/18/0028).

Erachtet die Behörde - wie im gegenständlichen Fall - im Rahmen der Beweiswürdigung die fluchtkausalen Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als nicht glaubhaft, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, 95/20/0380).

Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat die beschwerdeführende Partei keine sie konkret bedrohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. für eine aktuelle drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe glaubhaft zu machen vermocht, weshalb auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der beschwerdeführenden Partei in der Russischen Föderation eine konkret gegen sie gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK kann im Falle der beschwerdeführenden Partei nicht erkannt werden. Es gibt weder einen Hinweis darauf, dass die beschwerdeführende Partei bei einer Rückkehr in die Russische Föderation den in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 umschriebenen Gefahren ausgesetzt wäre, noch hat die beschwerdeführende Partei vorgebracht oder ist von Amts wegen hervorgekommen, dass sie an einer akut lebensbedrohenden Krankheit leiden würde oder liegen Hinweise auf "außergewöhnliche Umstände", die eine Abschiebung der beschwerdeführenden Partei unzulässig machen könnten, vor. In der Russischen Föderation besteht auch nicht eine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die beschwerdeführende Partei hat auch keine auf ihre Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstände" glaubhaft machen können, die ein Abschiebungshindernis bilden könnten. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht keineswegs, dass die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation nicht österreichischen Standards entspricht und aufwändigere Behandlungen allenfalls erst nach privater Bezahlung erfolgen. Nach der Judikatur des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und jener es Verfassungsgerichtshofes hat jedoch - aus dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK - im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden; dies selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich und kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gäbe (siehe VfGH 6.3.2008, B 2004/07 und die darin wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; vom 29.9.2007, B328/07 und B 1150/07; VfSlg. 13.837/1994, 14.119/1995 und 14.998/1997).

Vom Vorhandensein entsprechender Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation ist im vorliegenden Fall auszugehen: Gerade im vorliegenden Fall legte die BF Dokumente vor, wonach sie 2009 in der Russischen Föderation einem Spital zur unentgeltlichen operativen Behandlung ihrer Krebserkrankung zugewiesen wurde (Akt 1. Verfahren, AS 115).

Allfällige Schwierigkeiten bei der Gewährleistung einer entsprechenden medizinischen Behandlung in Russland erreichen im vorliegenden Fall die unbestreitbar "hohe Schwelle" des Art. 3 EMRK, wie sie von der erwähnten Judikatur festgesetzt wird, nicht (vgl. etwa EGMR 2.5.1997, 30.240/96, Fall D. v. Vereinigtes Königreich, wo die Abschiebung eines an AIDS im Endstadium erkrankten Staatsangehörigen von St. Kitts nicht bloß wegen dessen Krankheit, sondern aufgrund des Risikos eines Todes unter äußerst schlimmen Umständen als Verletzung von Art. 3 EMRK qualifiziert wurde; in anderen Fällen hatte der EGMR keine derart außergewöhnliche Situation angenommen: vgl. EGMR 29.6.2004, 7702/04, Fall Salkic ua

v. Schweden [psychische Beeinträchtigungen bzw. Erkrankungen]; 31.5.2005, 1383/04, Fall Ovdienko v. Finnland [Erkrankung an schwerer Depression mit Suizidgefahr]; 27.9.2005, 17416/05, Fall Hukic v. Schweden [Erkrankung an Down-Syndrom]; 22.6.2004, 17.868/03, Fall Ndangoya v. Schweden [HIV-Infektion]; zuletzt auch zurückhaltend EGMR 27.5.2008, 26.565/05, Fall N. v. Vereinigtes Königreich [AIDS-Erkrankung]).

Für die Russische Föderation kann nicht festgestellt werden, dass in diesem Herkunftsstaat eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unrechtmäßig erscheinen ließe. Auch ist kein kennzeichnender Grad willkürlicher Gewalt aufgrund eines bewaffneten Konflikts gegeben, der ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die beschwerdeführende Partei bei Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer individuellen Bedrohung des Lebens ausgesetzt zu sein. Im konkreten Fall ist nicht ersichtlich, dass eine gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, die die Außerlandesschaffung der beschwerdeführenden Partei im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen ließe. Die Abschiebung der beschwerdeführenden Partei würde sie jedenfalls nicht in eine "unmenschliche Lage", wie etwa Hungertod, unzureichende oder gar keine medizinische Versorgung, eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar den Verlust des Lebens, versetzen.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine ausweglose Lebenssituation geraten könnte. Die Beschwerdeführerin war vor der Flucht selbständig erwerbstätig und bezog zudem eine staatliche Pension, sie gab in der mündlichen Beschwerdeverhandlung weiters zu Protokoll, sie fühle sich - trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigungen - in der Lage, auch körperlich anstrengende Tätigkeiten zu übernehmen, sie sei sogar bereit "auf allen Vieren jede Tätigkeit auszuüben". Die Beschwerdeführerin hat in Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation den überwiegenden und prägenden Teil ihres Lebens verbracht, beherrscht die russische sowie die tschetschenische Sprache und ist mit den dort herrschenden Gepflogenheiten vertraut. Es kann ihr zugemutet werden, auch nach ihrer Rückkehr das für ihr Überleben Notwendige durch eigene und notfalls auch wenig attraktive Arbeit aus Eigenem zu bestreiten. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keine besonderen Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer Schatten- oder Nischenwirtschaft stattfinden. Im Falle einer Rückkehr wird es der beschwerdeführenden Partei deshalb möglich und zumutbar sein, durch eigene Arbeit jedenfalls das für den Lebensunterhalt Notwendige zu erlangen. Auch der Umstand einer mangelnden Berufsausbildung oder Berufserfahrung und der damit einhergehenden Benachteiligung am Arbeitsmarkt führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal die beschwerdeführenden Partei angesichts des bestehenden familiären und sozialen Netzwerkes nicht völlig auf sich alleine gestellt ist und entsprechende Unterstützung erhalten kann bzw. wird. Gerade im gegenständlichen Fall wird dies zu erwarten zu sein:

Die BF gab im Laufe des Verfahrens an, vor der Flucht auch von ihrer Schwester betreut worden zu sein bzw. dass auch derzeit ihre Tochter bei der Schwester der BF lebe. Eine völlige Perspektivenlosigkeit für die beschwerdeführende Partei kann somit schlichtweg nicht erkannt werden. Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr nach Tschetschenien sein wird, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben.

Wie erwähnt verfügt die beschwerdeführende Partei in Tschetschenien nach wie vor über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. In Tschetschenien leben zahlreiche Verwandte der Beschwerdeführerin, es ist daher davon auszugehen, dass die Verwandten bzw. Familienangehörigen der beschwerdeführenden Partei im Falle der Rückkehr zumindest anfänglich unterstützend zur Seite stehen werden und dass das vorhandene familiäre und soziale Umfeld der beschwerdeführenden Partei die Wiedereingliederung in die tschetschenische Gesellschaft - welche nach einer nicht überlangen Ortsabwesenheit keine Probleme bereiten sollte - erleichtern wird.

Außergewöhnliche Umstände, angesichts derer die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation die Garantien des Art. 3 EMRK verletzen würde, können unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes somit nicht erblickt werden.

Der beschwerdeführenden Partei ist es daher nicht gelungen, darzulegen, dass sie im Falle ihrer Abschiebung in die Russische Föderation in eine "unmenschliche Lage" versetzt würden. Daher verstößt eine allfällige Abschiebung der beschwerdeführenden Partei nicht gegen Art. 2, Art. 3 EMRK oder gegen die Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 und auch nicht gegen Art. 15 lit.c StatusRL.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher ebenfalls abzuweisen.

II.3.5. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

II.3.5.1.

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

§ 55 AsylG 2005 lautet:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Beim sogenannten "erweiterten Familienleben", zu Geschwistern, Onkel, Tanten, usw. wird ein "effektives Familienleben" gefordert, das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder speziell engen, tatsächlich gelebten Banden zu äußern hat (vgl. Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 343 f).

In Österreich lebt der Sohn der BF mit seiner Familie (Schwiegertochter der BF, zwei Enkelkinder der BF), jedoch in einem anderen Bundesland, wobei es laut Vorbringen der BF wechselseitige Besuche im Abstand von 1-2 Wochen gibt. Daraus kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch weder ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis ableiten noch das Bestehen einer entsprechenden Nahebeziehung im Sinne der obigen Ausführungen vorliegt. Sämtliche anderen Angehörigen der Beschwerdeführerin, darunter auch ihr zweites leibliches Kind, leben nach wie vor in der Russischen Föderation.

Es ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

Im Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf das Erkenntnis des VfGH vom 17. März 2005, VfSlg. 17.516, und die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Fremdensachen - darauf hingewiesen, dass auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen ist, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (VwGH 17. 2. 2007. 2006/01/0216). Eine lange Dauer des Asylverfahrens macht für sich allein keinesfalls von vornherein eine Ausweisung unzulässig (VwGH 2010/22/0094).

Dem öffentlichen Interesse, eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern, kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 17. 12.2007, 2006/01/0216; siehe die weitere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum hohen Stellenwert der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften: VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/0479; VwGH 16. 1. 2007, 2006/18/0453; jeweils VwGH 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; VwGH 22. 6. 2006, 2006/21/0109; VwGH 20. 9. 2006, 2005/01/0699).

Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31. 10. 2002, 2002/18/0190).

Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29. 9. 2007, B 1150/07; 12. 6. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, 282ff).

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

Geht man im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben der Beschwerdeführerin in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das die Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen hat, zu Lasten der Beschwerdeführerin aus und stellt eine Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.

Die Beschwerdeführerin stellte am 06.07.2010 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieses Verfahren wurde bereits nach zwei Monaten mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.09.2010, Zl. 10 05.8987-BAT, negativ abgeschlossen, wobei eine Ausweisungsentscheidung ausgesprochen wurde. Am 28.09.2010 erwuchs dieser Bescheid in Rechtskraft. Für die Beschwerdeführerin musste somit bereits nach wenigen Wochen nach ihrer illegalen eINReise absehbar gewesen sein, dass es zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt. Das Gewicht eines zwischenzeitig entstandenen Privatlebens wird somit schon dadurch gemindert, dass sich die Beschwerdeführerin bereits ab diesem Zeitpunkt nicht darauf verlassen konnte, ihr Leben auch nach Beendigung des Asylverfahrens in Österreich fortzuführen.

Die Beschwerdeführerin, welche sich etwas mehr als viereinhalb Jahren in Österreich befindet, ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig und lebt von der Grundversorgung. In Österreich leben, wie bereits erwähnt, der Sohn der Beschwerdeführerin mit seiner Familie; alle ein bis zwei Wochen finden wechselseitige Besuche statt. Die unbescholtene Beschwerdeführerin gab desweiteren an, an Deutschkursen teilgenommen zu haben und äußerte den Wunsch, bald Arbeit zu finden bzw. ein Studium aufzunehmen. Darüber hinaus sind jedoch keine Umstände erkennbar, welche eine besondere Bindung der Beschwerdeführerin an Österreich erkennen lassen würden. Ein besonderes Maß an sozialer und wirtschaftlicher Integration hat die Beschwerdeführerin für den Zeitraum von nunmehr etwas mehr als viereinhalb Jahren somit keinesfalls dargetan. Die Beziehungen der Beschwerdeführerin zu Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt insgesamt sehr schwach ausgeprägt, während sie in ihrem Herkunftsstaat, in welchem sie aufgewachsen ist und den überwiegenden Teil ihres bisherigen Lebens verbrachte, sozialisiert ist. Insbesondere muss berücksichtigt werden, dass mit Ausnahme des genannten Sohnes sämtliche enge Angehörige der Beschwerdeführerin - insbesondere ihr zweites Kind sowie Schwestern und Brüder - nach wie vor im Herkunftsstaat leben.

Die Interessen der Republik Österreich an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens als Teil der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, des wirtschaftlichen Wohls des Landes durch Vermeidung unkontrollierter Zuwanderung wiegen im gegenständlichen Fall insgesamt höher als die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet. Allein ein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt kann nämlich keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken. Eine andere Auffassung würde sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber sich rechtstreu Verhaltenden führen (VfGH 12. 6. 2010, U 613/10-10, vgl. idS VwGH 11. 12. 2003, 2003/07/0007).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 19. 2. 2009, 2008/18/0721, VwGH 4. 6. 2009, 2009/18/0138) wäre die Beschwerdeführerin nur dann unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK in weiterer Folge zu einer Legalisierung des Aufenthaltes vom Inland aus berechtigt, wenn eine rasche bzw. sofortige Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffes in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- oder Familienleben erforderlich wäre. Die angeführten persönlichen Bindungen der Beschwerdeführerin in Österreich stellen jedoch nach den oben dargestellten Kriterien in der Judikatur des EGMR keine besonderen Umstände im Sinne des Art. 8 EMRK dar, die es ihr unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen.

Aufgrund obiger Erwägungen sind auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach §§ 55 und 57 AsylG 2005 nicht gegeben.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den getroffenen Länderfeststellungen keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass sich aus diesen jedenfalls die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ergibt (vgl. dazu im weiteren auch das in diesem Verfahren ergangene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.02.2014, GZ: W188 1437165-1/4E).

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden und sich auch sonst nicht ergeben, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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