BVwG W112 2120590-1

BVwGW112 2120590-121.11.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W112.2120590.1.00

 

Spruch:

W112 2120592-1/52E

 

W112 2120590-1/27E

 

W112 2120589-1/28E

 

Schriftliche Ausfertigung des am 15.07.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, 2. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, und 3. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, die Minderjährigen vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch die XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.12.2015, 1. Zl. 830716306-1660649,

2. Zl. 830716404-1660637 und 3. Zl. 830716502-1660629, zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 50, 52 Abs. 2, 55 FPG mit der Maßgabe abgewiesen, dass Spruchpunkt III. zu lauten hat:

 

"Ihnen wird gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.

 

Es wird gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 50 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die RUSSISCHE FÖDERATION zulässig ist."

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers. Am 13.05.2013 stellten die Beschwerdeführer Asylanträge in XXXX . Sie warteten den Ausgang des Verfahrens nicht ab, sondern reisten gemeinsam unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet weiter und stellten hier am 31.05.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.05.2013 gab die Erstbeschwerdeführerin befragt zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass ihr Lebensgefährte am 06.01.2013 in XXXX verhaftet und mitgenommen worden sei. Es sei ihm die Flucht nach Österreich gelungen. Im Februar 2013 seien mehrere Männer zur Erstbeschwerdeführerin nachhause gekommen und haben nach ihrem Lebensgefährten gefragt. Die Erstbeschwerdeführerin habe dessen Aufenthaltsort nicht verraten. Zwei Tage später seien die Männer wiedergekommen und hätten die Erstbeschwerdeführerin mit einem Elektroschocker gefoltert. Nach ca. einer Woche seien neuerlich Männer zu ihrem Haus gekommen, da sie nicht zuhause gewesen sei, hätten diese das Haus der Erstbeschwerdeführerin angezündet. Die Erstbeschwerdeführerin sei bei verschiedenen Bekannten untergekommen und sei am 09.05.2013 Richtung Europa geflüchtet.

 

3. Einer vom Bundesasylamt eingeholte gutachterliche Stellungnahme vom 18.06.2013 zufolge littdie Erstbeschwerdeführerin an keiner krankheitswertiger psychischen Störung. Sie habe keine Einbußen in Kognition oder Aufmerksamkeit, keine traumatypischen Symptome, keine Zeichen von Angst oder Schreckhaftigkeit.

 

4. Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 29.10.2013 vom Bundesasylamt zu ihrem Gesundheitszustand und dem ihrer Kinder - dem Zweit- und Drittbeschwerdeführer - niederschriftlich einvernommen. Die weitere Einvernahme wurde zum Zweck der Durchführung der Einvernahme mit einer Referentin desselben Geschlechts vertagt.

 

5. Ein vom Bundesasylamt eingeholtes neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 17.11.2013 ergab, dass die Erstbeschwerdeführerin an einer Anpassungsstörung mit leichtgradigen depressiven Reaktionen litt. Sie war allseits orientiert und in der Lage schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit war bei diesem Krankheitsbild nicht auszugehen. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht bestand im Falle einer Überstellung in die Russische Föderation nicht die reale Gefahr, dass die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte. Zur Behandlung der Anpassungsstörung kamen - unter Beachtung der Nebenwirkungen --alle gängigen antidepressiven Medikamente in Frage.

 

6. Die Erstbeschwerdeführerin legte am 02.09.2014 eine psychotherapeutische Stellungnahme vom 13.08.2014 vor, aus der hervorging, dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt (XXXX), an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (XXXX) und unter dem Tod eines Familienangehörigen (XXXX) litt. Der chronifizierte XXXX der Erstbeschwerdeführerin bedurfte besonderer Sorgfalt sowohl im Umgang als auch bei jeglicher Befragung in Bezug auf das belastende Ereignis.

 

7. Am 20.01.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin bekannt, Österreich freiwillig verlassen zu wollen, und stellte für sich und ihre Kinder einen Antrag auf Übernahme der Heimreisekosten.

 

8. Am 28.07.2015 fand die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin durch das dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) durch eine weibliche Verfahrensleiterin statt. Die Erstbeschwerdeführerin gab betreffend ihre Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass sie wegen ihres Mannes nach Österreich gekommen sei. Sie selbst habe keine eigenen Probleme in der Russischen Föderation gehabt. Ihr Mann sei von 2005 bis 2009 wegen einer "Drogengeschichte" im Gefängnis gewesen. Nach seiner Haftentlassung habe ihr Mann als XXXX gearbeitet, sie haben die Wohnung renoviert, ein weiteres Kind bekommen und haben in Frieden gelebt. Im XXXX 2013 sei ihr Mann von drei Männern mitgenommen worden. Die Erstbeschwerdeführerin habe ihn danach nicht mehr gesehen, sie habe dann die Heimat verlassen und erst in XXXX erfahren, dass sich ihr Mann in Österreich befinde.

 

Für den Zweit- und den Drittbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

 

Betreffend ihren Rückkehrwunsch gab die Erstbeschwerdeführerin einerseits an, dass dieser immer noch bestehe. Andererseits führte sie aus, dass sie aktuell nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren wolle und die Rückkehrvorbereitungen abgebrochen habe.

 

In Österreich lebe die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen zusammen von der Grundversorgung. Sie sei weder in einem Verein tätig noch gehe sie einer Arbeit nach.

 

9. Das Bundesamt vernahm die Erstbeschwerdeführerin am 16.12.2015 neuerlich ein. Die Erstbeschwerdeführerin gab an, dass sich an ihren Fluchtgründen seit der Einvernahme im Juli 2015 nichts geändert habe. Sie habe bereits sämtliche Gründe, warum sie ihre Heimat verlassen habe, geschildert. Andere Gründe habe sie nicht. In Österreich versorge die Erstbeschwerdeführerin ihre Kinder und kümmere sich um den Haushalt. Der Zweitbeschwerdeführer besuche die XXXX Klasse XXXX schule und der Drittbeschwerdeführer gehe in den Kindergarten.

 

10. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit den Bescheiden vom 28.12.2015 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf ihren Herkunftsstaat RUSSISCHE FÖDERATION (Spruchpunkt II.) ab und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005. Unter einem erließ es gegen die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Ihnen wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend führte das Bundesamt aus, dass die Erstbeschwerdeführerin ihr Fluchtvorbringen nicht habe glaubhaft machen können, zumal sie nichts über die Probleme ihres Ehemannes habe angeben können. Betreffend den Zweit- und den Drittbeschwerdeführer habe sich aus dem Ermittlungsverfahren keine Verfolgung ihrer Person und keine wohlbegründete Furcht vor einer solchen aus den Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ergeben. Ebenso drohe den Beschwerdeführern im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Bei der Erstbeschwerdeführerin handle es sich um eine arbeits- und selbsterhaltungsfähige Frau, die vor ihrer Ausreise im Elternhaus gelebt habe, wo sie nun wieder Unterkunft nehmen könnte. Psychische Erkrankungen seien in Russland behandelbar. Darüber hinaus können die Beschwerdeführer auf Angehörige im Herkunftsstaat zurückgreifen. Da sich der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer in der Obsorge der pflege- und unterhaltspflichtigen Familienmitglieder befinden und eine Trennung nicht bevorstehe, sei eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ableitbar. Die Rückkehrentscheidung greife nicht in das Familienleben der Beschwerdeführer ein, da sie alle gemeinsam mit dem Ehemann der Zweitbeschwerde-führerin bzw. dem angeblichen Vater des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers im selben Umfang von aufenthaltsbeenden Maßnahmen betroffen seien. Die Beschwerdeführer haben auch keine besonders enge Beziehung zu anderen Verwandten in Österreich. Ebenso greife die Rückkehrentscheidung auch nicht in das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung des Privatlebens ein. Die Erstbeschwerdeführerin sei der deutschen Sprache nicht mächtig, übe keine regelmäßige, legale Beschäftigung aus und habe sich um eine solche auch nicht bemüht. Sie lebe von der Grundversorgung. Auch sei sie weder Mitglied in einem Verein, noch in einer Organisation ehrenamtlich tätig. Die Bindung der Erstbeschwerdeführerin zum Herkunftsstaat sei wesentlich stärker als zu Österreich, da sie den Großteil ihres Lebens in Russland verbracht habe, dort sozialisiert worden sei und die dortige Sprache spreche. Auch leben nahe Verwandte der Erstbeschwerdeführerin nach wie vor im Herkunftsland. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass es der Erstbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Das Familienleben des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers beschränke sich auf ihre Familie. Weitere Bindungen oder private Interessen in Österreich seien nicht erkennbar.

 

11. Mit Schreiben vom 29.12.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin bekannt, dass der Drittbeschwerdeführer nie eine Geburtsurkunde gehabt habe und sie bei der Ankunft in Österreich die Geburtsurkunde des Sohnes ihrer Schwester vorgelegt habe.

 

12. Gegen die Bescheide des Bundesamtes vom 28.12.2015 erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und fochten die Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung in vollem Umfang an. Sie beantragten, das Bundesverwaltungsgericht möge die angefochtenen Bescheide zur Gänze beheben und den Beschwerdeführern Asyl gemäß § 3 AsylG 2005 gewähren; in eventu möge das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 den Beschwerdeführern den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen und Spruchpunkt III. aufheben; zudem möge es feststellen, dass die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist und daher feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG 2005 vorliegen und den Beschwerdeführern gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel von Amts wegen zu erteilen ist; in eventu möge es die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und zur Durchführung eines neuen Verfahrens und Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverweisen; jedenfalls möge das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführen und die Erstbeschwerdeführerin ohne Anwesenheit ihres Ehemannes einvernehmen sowie das Verfahren der Beschwerdeführer im Familienverfahren mit dem Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. dem Vater des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers führen sowie eine gemeinsame Entscheidung mit diesem im Familienverfahren erlassen.

 

Begründend führte die Beschwerde aus, dass die Behörde kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren geführte habe und die Erstbeschwerdeführerin nicht ausreichend detailliert befragt habe. Der Erstbeschwerdeführerin sei es aufgrund ihres psychischen Zustandes nicht möglich gewesen ihre eigenen Fluchtgründe vorzubringen, weshalb ihr nunmehriges Vorbringen nicht vom Neuerungsverbot umfasst sei.

 

Die belangte Behörde hätte bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens Feststellungen dazu treffen müssen, dass die Erstbeschwerdeführerin vor ihrer Heirat gemeinsam mit ihrer Schwester festgenommen und im Gefängnis von Soldaten serienvergewaltigt worden sei. Während ihr Mann im Gefängnis gewesen sei, habe die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Schwester in einem XXXX gearbeitet. Ihre Schwester habe dort einen reichen Kommandanten kennengelernt. Es sei dann ein inoffizielles Gesetz von XXXX erlassen worden, dass unter anderem Frauen, die alleine im XXXX arbeiten, getötet werden sollten. Der Kommandant habe ein Treffen mit ihrer Schwester vereinbart, von dem diese nicht mehr zurückgekommen sei. Als die Erstbeschwerdeführerin die Leiche ihrer Schwester identifiziert habe, habe ein Polizist ihre Daten aufgenommen und ihr gedroht sie auf die Fahndungsliste zu setzen, wenn sie nicht auf die Polizeistation komme. Die Erstbeschwerdeführerin sei deshalb mit ihrer Stiefmutter dorthin gegangen. Der Polizist habe sie beschimpft und gefragt, wer ihre Schwester umgebracht habe. Die Erstbeschwerde-führerin habe dann ein Telefonat des Polizisten mithören können, woraus sie geschlossen habe, dass der Polizist der Mörder ihrer Schwester gewesen sei und dieser mit der Polizei zusammenarbeite. Die Erstbeschwerdeführerin habe danach in Angst und versteckt in Russland gelebt. Nachdem ihr Mann aus dem Gefängnis entlassen worden sei, seien sie immer wieder umgezogen. Nachdem ihr Mann im Jahr 2013 verschwunden sei, seien Männer zwei Mal zu ihr nachhause gekommen und haben sie misshandelt; beim dritten Mal sei sie nicht zuhause gewesen, weshalb ihr Haus angezündet worden sei. Sie sei in Russland auch diskriminiert worden, weil ihr Vater Tschetschene und ihre leibliche Mutter Russin gewesen sei.

 

Weiters wurde vorgebracht, dass der Drittbeschwerdeführer nicht XXXX , sondern XXXX heiße und sein Geburtsdatum nicht der XXXX , sondern der XXXX sei. Der Zweitbeschwerdeführer sei zudem nicht der leibliche Sohn von XXXX , sondern der Sohn ihres Ex-Mannes, welcher ermordet worden sei.

 

Der Rückkehrwunsch der Erstbeschwerdeführerin sei auf den psychisch schlechten Zustand, ihre Verwirrung und die Angst der Erstbeschwerdeführerin, dass man ihr die Kinder wegnehme, zurückzuführen. Sie habe diesen Wunsch nicht mehr. Zudem habe sie in der Heimat niemanden, der sie unterstütze, weil niemand Probleme wegen ihr bekommen wolle. Darüber hinaus haben die Verwandten ihrer Stiefmutter weder die Erstbeschwerdeführerin noch ihre bereits verstorbene Schwester gemocht.

 

Die belangte Behörde habe das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet, da es lediglich allgemein gehaltene Länderfeststellungen, die sich nicht auf die spezielle Situation der Beschwerdeführer beziehen, herangezogen habe. Aufgrund des unzureichenden Ermittlungsverfahrens habe das Bundesamt keine ganzheitliche Würdigung ihres individuellen Vorbringens vorgenommen.

 

Der Erstbeschwerdeführerin drohe aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu ihrem Mann sowie aus politischen Gründen, wegen der Weigerung ihres Mannes mit XXXX zusammenzuarbeiten, und aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen in XXXX allgemein sowie zur sozialen Gruppe der Frauen in XXXX , die sich nicht sittengemäß (wie es dem Frauenbild XXXX entspricht) verhalten haben und aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu ihrer Schwester, die aus diesem Grund ermordet worden sei (Ehrenmord), Verfolgung in der Russischen Föderation. Zudem könne die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der heftigen Traumatisierung und der posttraumatischen Belastungsstörung nicht in die Russische Föderation zurückkehren. Der Erstbeschwerde-führerin sei deshalb der Status der Asylberechtigten jedenfalls jedoch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

 

Das Bundesamt habe die Verhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung nur unzureichend geprüft und von seinem Ermessen rechtswidrig Gebrauch gemacht, insbesondere sei das Kindeswohl nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Rückkehrentscheidung hätte für dauerhaft unzulässig erklärt werden müssen und es hätte den Beschwerdeführern gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 eine Aufenthaltsberechtigung von Amts wegen erteilt werden müssen.

 

Unter einem wurden medizinische Unterlagen betreffend die Erstbeschwerdeführerin, eine Bestätigung des Kindergartenbesuchs des Drittbeschwerdeführers und eine Schulbesuchsbestätigung betreffend den Zweitbeschwerdeführer vorgelegt.

 

13. Das Bundesverwaltungsgericht forderte die Beschwerdeführer mit Parteiengehör vom 24.07.2018 auf, gravierende Veränderungen an ihrem Gesundheitszustand bekanntzugeben sowie alle damit in Zusammenhang stehenden Beweismittel vollständig vorzulegen und Bescheinigungs- bzw. Beweismittel zu ihren Fluchtgründen und ihrer Identität sowie Unterlagen und Dokumente betreffen ihre aktuellen Lebensverhältnisse und familiären Beziehungen in Österreich zu übermitteln.

 

Mit Schreiben vom 07.08.2018 legten die Beschwerdeführer medizinische Unterlagen, Bestätigungen und Befunde betreffend die Erstbeschwerdeführerin vor, aus denen sich ergab, dass diese Psychotherapie in Anspruch nahm und in medizinischer Behandlung stand. Betreffend den Zweit- und den Drittbeschwerdeführer wurden Schulzeugnisse, ein Patientenbrief und eine Bestätigung des Kinderschutzzentrums XXXX vorgelegt. Es wurde zudem bekanntgegeben, dass die Erstbeschwerdeführerin nunmehr von ihrem Mann getrennt lebe.

 

14. Die Beschwerdeführer legten mit Schreiben vom 13.09.2018 jeweils eine Bestätigung vor, dass sich die Erstbeschwerdeführerin in Therapie und der Zweitbeschwerdeführer in psychotherapeutischer Betreuung befand. Der Zweitbeschwerdeführer befinde sich auf der Warteliste für einen Psychotherapieplatz.

 

15. Das Bundesverwaltungsgericht forderte die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 28.11.2018 auf, alle persönlichen Dokumente (Reisepass, Geburtsurkunde, usw.) im Original zur mündlichen Verhandlung mitzubringen.

 

16. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.01.2019 eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch sowie im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer und einer Vertreterin des Bundesamtes durch.

 

Die Befragung der Erstbeschwerdeführerin gestaltete sich wie folgt:

 

"R: Ich entnehme dem Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass Sie XXXX , Staatsangehörigkeit: Russische Föderation,

Volksgruppe: XXXX , moslemischer Glaube, traditionell verheiratet mit XXXX , sind. Ist das korrekt?

 

BF: Das ist korrekt.

 

R: Wann und wie haben Sie XXXX kennengelernt?

 

BF: Ich habe ihn 2004 kennengelernt, aber ein genaues Datum kann ich nicht mehr angeben. Ich habe im Bezirk XXXX gelebt. Mein erster Mann ist verstorben und ich bin zu meiner Mutter umgezogen. Ich habe bei meiner Mutter gelebt und dort hat es einen militärischen Stab gegeben.

 

R: Wann und wie haben Sie ihn geheiratet?

 

BF: Ein oder zwei Monate später haben wir geheiratet. Das genaue Datum kann ich nicht sagen. Wir haben nach muslimischen Ritus mit einem Mullah geheiratet.

 

R: Ihr Mann hat Sie 2004 geheiratet, Sie ihn bereits 2003 (lt. Erstbefragung). Können Sie das erklären?

 

BF: Nein, das kann nicht sein. Das kann nicht sein, dass ich früher ein anderes Jahr angegeben habe.

 

R: Es geht darum, dass Sie und Ihr Mann ein anderes Jahr angegeben haben.

 

BF: Ich habe nicht gesagt, dass das im Jahr 2003 war.

 

R: Wann sind Sie zusammengezogen?

 

BF: Im Bezirk XXXX haben wir zusammengelebt und dann sind wir nach XXXX übersiedelt zur Großmutter.

 

R wiederholt die Frage.

 

BF: Ich kann Ihnen alles schildern, was passiert ist, aber ich tue mir schwer mit Zeitangaben.

 

R: Wie viel Zeit verging zwischen Zusammenziehen und Hochzeit?

 

BF: Wir sind gleich zusammengezogen.

 

R: Wie haben Sie Beziehung während der Haft gelebt und wie lange war er in Haft?

 

BF: 2006 wurde er festgenommen, aber ich kann den Monat nicht sagen. Freigelassen wurde er 2009 oder 2010 am 27.10.09. Ist der Oktober der 9te oder 10te Monat?

 

R: Der 10te.

 

BF: Dann war das am 27.10.2009.

 

R: Wie haben Sie die Beziehung während der Haft geführt?

 

BF: Wir haben uns sehr geliebt und uns sehr gut verstanden. Ich habe nie gedacht, dass ich einen Tag ohne sein kann.

 

R wiederholt die Frage.

 

BF: Wir haben uns Fotos geschickt. Ich kann Ihnen das sogar zeigen. Mir ging es schlecht.

 

R: Sie haben Ihm also per Post Fotos geschickt.

 

BF: Nein, wir haben uns per Telefon geschrieben.

 

R: Meinen Sie damit Mobiltelefon?

 

BF: Ja.

 

R: Wie oft haben Sie sich per Mobiltelefon geschrieben?

 

BF: Je nachdem, welche Möglichkeit er dazu hatte. Nicht jeden Tag. Es hat Tage gegeben, wo er mir viele Male schreiben konnte. Manchmal hat er mich am nächsten Tag angerufen, das war unterschiedlich. Es war so, dass ein Freund von ihm ein Telefon hatte und das ging nur, wenn er Zugang zu diesem Telefon hatte.

 

R: Ich habe Probleme damit mir vorzustellen, dass Mobiltelefone in russischen Gefängnissen erlaubt sind. In österreichischen Gefängnissen sind sie verboten. XXXX hat auch angegeben, wegen quasi politischer Anklagen inhaftiert gewesen zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Zugang zu einem Mobiltelefon bekommt.

 

BF: In Russland ist alles möglich. Ich weiß es nicht, es war wirklich so. Ich habe auch ein Foto von XXXX und zwei anderen am Handy. Man sieht Gitter.

 

R: Warum haben Sie das Foto nicht gleich vorgelegt?

 

BF: Man hat mich nicht danach gefragt. Man hat uns nie nach sowas gefragt.

 

R: Hatten Sie auch auf andere Weise Kontakt zu XXXX zu dieser Zeit?

 

BF: Ich habe ihn auch besucht und ihm gutes Essen geschickt.

 

R: Wie oft haben Sie ihn besucht?

 

BF: Alle vier Monate ca., aber ich kann mich nicht genau erinnern.

 

R: Beschreiben Sie, wie so ein Besuch abgelaufen ist.

 

BF: Zuerst hat man alles übergeben und es wurde alles aufgeschrieben. Manchmal ist es dann nicht gelungen ihn zu sehen. Manchmal haben wir drei Nächte dort übernachtet.

 

R: Wo haben Sie übernachtet?

 

BF: Im Gefängnis.

 

R: Hat das Gefängnis ein Gästehaus?

 

BF: Dort gibt es eine gesonderte Stelle für die Besucher. Einzelne Zimmer.

 

R: Von wann bis wann bestand die Hausgemeinschaft?

 

BF: Wir haben nicht wie eine normale Familie, wie Mann und Frau gelebt. Wir haben das vielleicht einen Monat lang gemacht und haben uns danach lange nicht gesehen. Wir haben miteinander telefoniert. Wir haben gefragt, wo der andere ist, haben uns getroffen und dann sind wir auseinandergegangen.

 

R: Von wann bis wann haben Sie nach der Haftentlassung von XXXX fix zusammengelebt?

 

BF: Nicht lange. Wir haben in XXXX gelebt. Wir haben eine Wohnung gemietet.

 

R: Wie lange?

 

BF: Ich weiß es nicht mehr.

 

R: Ungefähr wann vor der Ausreise haben Sie nicht mehr zusammengewohnt?

 

BF: Wir haben bis zur Ausreise zusammengelebt.

 

R: Wann und wie haben Sie sich von ihm scheiden lassen?

 

BF: Ich habe mich hier von ihm scheiden lassen. Ich bin nach XXXX übersiedelt, ich kann mich daran auch nicht mehr erinnern.

 

R: Laut Stellungnahme vom 09.08.2018 (OZ 18) ist XXXX seit 18.04.2016 mit XXXX zusammen. Führt er beide Beziehungen parallel?

 

BF: Nein, er war mit XXXX zusammen.

 

R: Waren Sie da noch verheiratet oder geschieden?

 

BF: Wir haben uns scheiden lassen.

 

R: Das heißt im April 2016 waren Sie schon geschieden?

 

BF: Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wann er sie kennengelernt hat.

 

R: Leisten er Ihnen oder den Kindern Unterhalt?

 

BF: Er liebt XXXX sehr und XXXX liebt ihn auch sehr. Wenn er Geld hat, dann gibt er uns Geld.

 

R: XXXX befand sich XXXX in Strafhaft. Wie lebten Sie in der Zeit die Beziehung?

 

BF: Ich wusste nicht, dass er sich im Gefängnis befindet. Ich wusste das nicht.

 

R: Sie hatten in diesem Zeitraum keinen Kontakt zu ihm?

 

BF: Ja, wir hatten keinen Kontakt. Ich wusste nichts von ihm.

 

R: Sie waren mit XXXX und XXXX seit 28.07.2017 im Grundversorgungsquartier XXXX untergebracht - wie XXXX 23.02.2018-27.06.2018. Haben Sie in der Zeit wieder mit XXXX zusammengelebt?

 

BF: Nein.

 

R: Beschreiben Sie Ihre Beziehung zu XXXX aktuell!

 

BF: Wir verstehen uns sehr gut. Wir werden niemals dem anderen etwas Schlechtes wünschen.

 

R: Sind Sie voneinander abhängig?

 

BF: Ich brauche seine Hilfe.

 

R: Wie konkret leistet er Hilfe?

 

BF: Ich brauche Hilfe, ich habe ein Kind ohne Vater. Er spricht immer mit ihm und er sagt "Papa" zu ihm.

 

R: Von welchem Kind sprechen Sie?

 

BF: XXXX .

 

R: Beschreiben Sie die Beziehung der Kinder zu XXXX aktuell!

 

BF: Sie ist gut. Die Beziehung ist so wie eine Beziehung zwischen Vater und Sohn. Ich weiß, dass er nicht der Vater ist. Ich denke jeden Tag darüber, wie er zu den Kindern ist.

 

R: Leben die Kinder mit ihm zusammen?

 

BF: Nein, sie leben bei mir.

 

R: Wer macht Haushalt, Gewandt und Essen für die Kinder?

 

BF: Ich.

 

R: Wer geht mit den Kindern zu Ärzten, Behörden oder Elternsprechtagen?

 

BF: Wenn ich es schaffe, dann mache ich es. Aber wenn es mir nicht gut geht, dann rufe ich ihn an.

 

R: Meinen Sie jetzt, dass er die Kinder zur Schule bringt oder Elternsprechtage.

 

BF: Ich meine die Elternsprechtage.

 

R: Wie viele Tage in der Woche verbringen die Kinder bei XXXX ?

 

BF: Zwei Tage am Wochenende. Die Frau hat ja auch ein Kind, XXXX , die Kinder spielen miteinander. Ich rufe immer an und frage, wie es ihnen geht.

 

R: Was machen Sie in dieser Zeit?

 

BF: Ich erhole mich. Ich erhöhe die Dosis meiner Tabletten und schlafe.

 

R: Gab es häusliche Gewalt (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht, falls häusliche Gewalt von Ihnen ausging)?

 

BF: Welche Gewalt?

 

R erläutert die Frage.

 

BF: Nein.

 

R: Wurde gegen XXXX jemals eine Wegeweisung oder ein Betretungsverbot erlassen?

 

BF: Nein.

 

R: Wurde XXXX jemals aus diesem Grund angezeigt? Gab es ein Strafverfahren?

 

BF: Nein. Er ist nicht so ein Mann.

 

R an BFV: Laut der Kinder- und Jugendhilfe der XXXX (OZ 18) wurde 30.01.2014-26.06.2014 eine Abklärung durchgeführt auf Grund einer Gefährdungsmeldung Ihres Vertragspartners, der XXXX . Was war die Ursache der Gefährdungsmeldung?

 

BF: Da gab es eine Frau namens XXXX , eine Ukrainerin. Ich weiß nicht, welche Beziehung es zwischen XXXX und XXXX gegeben hat. Dort hat er ein Einzelzimmer bekommen. Das war noch bevor ich dort hingekommen bin. Als ich dort war, war er in einem Einzelzimmer untergebracht. XXXX hat sich gut mit XXXX verstanden. Wir haben dann eine andere Unterkunft bekommen und XXXX und ich haben begonnen viel zu streiten. Dann hat XXXX eine Meldung gemacht, ich glaube am ehesten, dass sie das beim Jugendamt gemacht hat. Wir hatten dann zwei oder drei Termine, ich kann mich nicht genau erinnern. XXXX hat XXXX sehr verteidigt.

 

R: Nach der Einreise lebten Sie eine Woche in der XXXX , dann zwei Monate lang in der XXXX , dann ein Jahr lang in XXXX , bis Sie unabgemeldet privat verzogen. Warum und zu wem zogen Sie nach XXXX ?

 

BF: Weil wir immer miteinander gestritten haben.

 

R. Bei wem und wo haben Sie dann gelebt?

 

BF: In einer Pension, ich kann mich nicht genau erinnern. Dort war ein großes "Wasser". Das war eine Pension.

 

R: Einen Monat später wurden Sie wieder in XXXX in das Betreuungsquartier aufgenommen. Anfang 2016 ersuchten Sie um die Überstellung in ein Quartier in XXXX angesucht und lehnten Unterkünfte in XXXX , XXXX und XXXX ab. Warum wollten Sie dort nicht hin? In XXXX waren Sie ohnedies vier Monate lang untergebracht!

 

BF: Ich weiß es nicht. Ich wollte hier leben, aber jetzt will ich das nicht mehr.

 

R: Was meinen Sie mit "hier"?

 

BF: Ich meine damit XXXX .

 

R: Sie hatten zwei Kinder bei sich im Alter von XXXX Jahren und XXXX Jahren - also kindergarten- und schulpflichtig. Die waren schon drei Jahre lang in XXXX aufhältig. Warum haben Sie sie aus diesem Umfeld herausreißen wollen, noch dazu während des Schuljahres?

 

BF: Ich stand unter Stress. Ich wollte mit jemandem sprechen, ich wollte mehr Menschen um mich herumhaben. Ich bin auch ein Mensch, ich will das auch.

 

R: Bei wem lebten Sie in der XXXX , in der XXXX und in der XXXX ?

 

BF: In der XXXX war ich einfach angemeldet, aber habe nicht dort gelebt.

 

R: Wie meldet man sich einfach an?

 

BF: Ich hätte dort leben können, aber dort war noch eine Frau.

 

R: Wo haben Sie dann mit den Kindern gelebt?

 

BF: Bei einer Freundin namens XXXX .

 

R: Haben Sie in der XXXX und der XXXX gelebt oder waren Sie dort auch nur angemeldet?

 

BF: Nur angemeldet. Ich habe bei XXXX gelebt. Sie hat einen behinderten Sohn. Ich habe für ihn gekocht und geputzt.

 

R: Leben Sie aktuell in einer Beziehung?

 

BF: Nein.

 

R: Wie ist Ihr Gesundheitszustand? Benötigen Sie aktuell Medikamente oder Therapien?

 

BF: Ja, psychisch. Von der Ambulanz haben ich einen Befund.

 

BFV legt vor:

 

• Röntgenbefund auf Verdacht auf XXXX

 

• Psychosoziale Behandlung

 

BF: Das ist alles.

 

R: Sie haben im Zulassungsverfahren angegeben, dass Sie XXXX haben?

 

BF: Ja, ich habe tatsächlich ein XXXX . Das hat man mir bereits in XXXX gesagt.

 

R: Das soll seit 2013 nicht behandelt worden sein?

 

BF: Man hat mir gesagt, dass man dafür 200.000 zahlen muss.

 

R: In Österreich soll das nicht behandelt worden sein?

 

BF: Nein.

 

R: Und XXXX ?

 

BF: Nein, er braucht keine Medikamente.

 

R: Braucht XXXX Medikamente oder Therapien?

 

BF: Er braucht keine Medikamente, aber er bekommt Psychotherapie.

 

R: Wurden Sie, XXXX oder XXXX in der Russischen Föderation behandelt?

 

BF: Ja, XXXX war in Behandlung. Er hat vier Jahre lang gehustet. Es war dann die Frage, ob er XXXX hat oder nicht. Hier wurde gesagt, dass er nicht XXXX hat, aber zuhause hat er zweimal eine XXXX gehabt.

 

R: Und XXXX ?

 

BF: Ich habe XXXX in der russischen Föderation nicht ins Krankenhaus gebracht.

 

R: Laut Akt kam er mit einem XXXX auf die Welt, ich kann mir nicht vorstellen, dass das nicht behandelt wurde.

 

BF: Nein, es hat keine Behandlung gegeben. Hier wurde er auch untersucht. Ich habe ihn zu einer Ärztin gebracht, aber sie hat gesagt, dass alles normal ist.

 

R: Haben Sie, XXXX oder XXXX Österreich seit Ihrer Asylantragstellung einmal verlassen?

 

BF: Nein.

 

R: Besitzen Sie außer dem asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Österreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht?

 

BF: Nein.

 

R: Haben Sie in Österreich oder in anderen Staaten außerhalb Ihres Herkunftsstaates noch Verwandte?

 

BF: Ja, ich habe weitschichtige Verwandte. Hier zum Beispiel, hier gibt es meine Stiefmutter (D: Das kann auch Pflegemutter bedeuten, es heißt "Mutter die man sich nimmt"), ihren Bruder, er heißt XXXX .

 

R: Handelt es sich bei der Freundin XXXX um die Frau des Bruders Ihrer Pflegemutter?

 

BF: Nein, sie heißt nur auch XXXX . Das ist nur eine Freundin.

 

R: Seit wann lebt Ihre Pflegemutter in Österreich?

 

BF: Sie lebt nicht in Österreich und war nie hier.

 

R: Wie ist der Kontakt zu Ihrem Pflegeonkel XXXX und seiner Familie?

 

BF: Wir haben einen guten Kontakt, wir besuchen uns manchmal. Das ist alles.

 

R: Wie war die Beziehung zu XXXX , als Sie noch in Russland waren?

 

BF: Manchmal ist er zur Schwester gekommen und wir sind auch hingekommen. Das waren normale verwandtschaftliche Beziehungen.

 

R: Warum geben Sie in der Stellungnahme vom 07.08.2018 an, dass Sie keine Verwandten in Österreich haben?

 

BF: Weil ich keine leiblichen Verwandten hier habe. Die Pflegemutter ist ja keine richtige Mutter. Ich habe hier keine leiblichen Verwandten.

 

R: Haben Sie in der Russischen Föderation noch Verwandte? Wenn ja:

welche?

 

BF: Väterlicherseits habe ich noch Verwandte, aber ich habe keinen Kontakt mehr zu ihnen.

 

R: Wo leben Ihre Verwandten genau?

 

BF: Sie leben im Dorf XXXX , in XXXX .

 

R: Wie geht es Ihren Verwandten in XXXX ?

 

BF: Ich weiß es nicht.

 

R: Laut der Einvernahme am 29.07.2015 haben Sie folgende Verwandte in der Russischen Föderation:

 

 

 

 

 

 

 

 

Stimmen diese Angaben?

 

BF: Ich korrigiere, dass die Tante XXXX heißt und nicht XXXX . Stadt XXXX , Gebiet XXXX , vier bis fünf Fahrstunden von XXXX entfernt. Die übrigen Angaben stimmen.

 

R: Warum hat die Pflegemutter, die Ihren Angaben zufolge nur eine Bekannte Ihrer Mutter ist, denselben Nachnamen wie Ihr Vater und Sie?

 

BF: Nein, das ist nicht mein Geburtsname. Es gab keine Geburtsurkunden und Dokumente. Sie hat für uns alles erledigt, deswegen tragen wir ihren Familiennamen.

 

R: Wie heißen Sie dann wirklich?

 

BF: XXXX . Es gibt aber keine Papiere auf diesen Namen.

 

R: Wie heißt Ihre Schwester dann wirklich?

 

BF: Sie heißt XXXX .

 

R: Haben Sie in der Russischen Föderation enge Freunde? Wenn ja, wie gestaltet sich der Kontakt zu Ihnen?

 

BF: Ich habe keine Freunde dort. Ich habe nur Kontakt mit der Mutter und XXXX und mit einem alten Mann, namens XXXX . Sonst habe ich keinen Kontakt.

 

R: Haben Sie in Österreich enge Freunde? Wenn ja, wie gestaltet sich der Kontakt zu Ihnen?

 

BF: Ich habe auch hier keine Freunde.

 

R: Besuchen Sie in Österreich Deutschkurse oder Berufsqualifizierungsmaßnahmen?

 

BF: Ja ich habe in der XXXX einen Kurs besucht. Dann hat mir das Jugendamt vorgeworfen, dass ich das Kind allein gelassen habe. Dann bin ich in XXXX übersiedelt. Dort haben wir auch Kurse bekommen, diese waren im November zu Ende. Dann sind wir in XXXX übersiedelt und habe den Berater gesagt, dass ich auf einen Kurs warte.

 

R: Welche Ausbildung hat XXXX , der jetzt XXXX Jahre alt ist, in Österreich gemacht?

 

BF: Alle Schulen.

 

BFV legt dazu die Zeugnisse der letzten drei Jahre und Integrationsbestätigung der Lehrerin vor.

 

R: Besucht er immer noch die XXXX schule in XXXX ?

 

BF: Ja.

 

R: In der XXXX Klasse?

 

BF: Ja.

 

R: Welche Ausbildung haben Sie in der Russischen Föderation absolviert?

 

BF: Keine.

 

R: Sie haben die Grundschule nicht besucht?

 

BF: Nein.

 

R: Das ist ungewöhnlich. Warum?

 

BF: Als ich schulpflichtig war, gab es den ersten und den zweiten Krieg. Wir hatten keine Möglichkeit die Schule zu besuchen.

 

R: Wieso können Sie dann so gut Russisch?

 

BF: Als ich hierherkam, konnte ich nicht wirklich gut Russisch. Auch jetzt kann ich nicht gut Russisch.

 

R an D: Wie ist die Verständigung mit der BF?

 

D: Ich verstehe die BF vollkommen problemlos. Die BF spricht nicht perfekt Russisch, aber es gibt keine Probleme.

 

R: XXXX reiste mit XXXX Jahren ins Bundesgebiet ein. Welche Ausbildung machte er in der Russischen Föderation?

 

BF: Drei Klassen.

 

R: Sie gaben an, dass er eine Privatschule besuchte. Beschreiben Sie die Schule und die Ausbildung! War das ein Internat?

 

BF: Das war eine Internatsschule, weil es mir so schwer war. Ich habe ihn dort abgegeben. Ich habe ihn aber oft besucht.

 

R: Woher hatten Sie das Geld dafür?

 

BF: Ich habe gearbeitet.

 

R: Als was haben Sie gearbeitet?

 

BF: Bis zu meinem zweiten Kind habe ich einen reichen Mann kennengelernt. Ich habe in einem XXXX gearbeitet. Dann habe ich auf XXXX gearbeitet und Spachtelarbeiten und Stuckaturen gemacht. Ich habe jede Arbeit angenommen, auch als Klofrau oder Reinigungskraft auf Toiletten.

 

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos) in Österreich Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen?

 

BF: Ich habe eine Arbeit gefunden, bei einem Araber. Ich habe ein Papier genommen und bin zum AMS gegangen, aber ich habe dort ein Schreiben bekommen, dass ich nicht arbeiten darf.

 

R: Haben Sie in Österreich bislang eine Berufstätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeit ausgeübt?

 

BF: Ja, ich habe geputzt. Ich kenne drei ältere Damen, bei denen habe ich geputzt. Ich habe von den Frauen niemals Geld gefordert, wenn sie mir Geld geben wollen, dann tun sie das. Ich putze sehr ordentlich. Ich bekomme manchmal sogar etwas mehr Geld von ihnen. Das ist eine ältere Dame. Eine XXXX hat mir gesagt, dass ich dort hinkommen kann und für vier Stunden putzen kann. Diese hat das dann weitererzählt und so habe ich dann bei anderen geputzt.

 

R: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt, seit Sie in Österreich leben?

 

BF: Ich arbeite sonst nicht. Ich gehe vielleicht einmal im Monat dieser Tätigkeit nach. Ich bekomme das Geld von der Pension und das reicht uns auch.

 

R: Bekommen Sie das Geld oder XXXX ?

 

BF: Ich bekomme das Geld.

 

R: Welche Ausbildung macht XXXX ?

 

BF: Er geht in die XXXX Klasse Volkschule, davor hat er die XXXX schule besucht und davor den Kindergarten. Ich kann mich nicht mehr erinnern, vor wie lange.

 

R: Welche Sprachen sprechen XXXX und XXXX ?

 

BF: Untereinander sprechen sie Deutsch und mit mir Tschetschenisch, sonst nichts.

 

R: Können Sie Russisch?

 

BF: Nein.

 

R: Welche Fernsehsendungen schauen sie?

 

BF: Sie schauen YouTube, weil wir keinen Fernseher haben.

 

R: In welcher Sprache schauen Sie fern?

 

BF: Deutsch und Russisch.

 

R: Ich gehe dann davon aus, dass sie zumindest grundlegend Russisch können, sonst würden sie das Fernsehen ja nicht verstehen.

 

BF: Nein, aber ich zwinge sie dazu, damit sie zumindest ein bisschen Russisch können.

 

R: Wie nehmen Sie am sozialen Leben in Österreich teil (Mitgliedschaft bei Vereinen, Organisationen, ehrenamtliches Engagement, etc.)?

 

BF: Können Sie sich an meine Vertrauensperson vom letzten Mal erinnern?

 

R: Ja.

 

BF: Wir gehen zusammen zu den XXXX .

 

R: Seit wann?

 

BF: Seit wir übersiedelt sind. Sie kommt und wir lesen und lernen gemeinsam.

 

R: Welche Übersiedlung meinen Sie?

 

BF: Sie kam bereits in der XXXX zu uns.

 

R: Haben Sie Belege dazu?

 

BF: Nein.

 

R: Sind Sie den XXXX beigetreten?

 

BF: Nein, noch nicht.

 

R: Noch nicht?

 

BF: Wir gehen dorthin, sie kommt jeden Samstag zu uns. Bevor sie kommt putzen wir zuhause. Sie gefällt uns sehr. Wir hören uns das gemeinsam an, damit meine ich auch XXXX und XXXX .

 

R: Warum haben Sie dieses Vorbingen erst jetzt getätigt?

 

BF: Sie haben mich nicht danach gefragt.

 

R: Warum haben Sie es nicht von sich aus vorgebracht?

 

BF: Ich wusste das nicht.

 

R an BFV: Warum haben Sie der BF nicht dazu geraten, das früher anzugeben?

 

BFV: Ich höre auch zum ersten Mal davon.

 

R: Wie verbringen Sie den Alltag in Österreich?

 

BF: Ich lese. Sie lässt mir Bücher da, die ich lese.

 

R: In welcher Sprache lesen Sie die Bücher?

 

BF: In Russisch.

 

R: Wie können Sie lesen, wenn Sie nie in der Schule waren?

 

BF. Für meine Bedürfnisse kann ich schon lesen und schreiben, aber nicht fehlerfrei.

 

R: Was machen Sie sonst noch?

 

BF: Ich koche und putze. Ich hole das Kind, essen und dann gehen wir schlafen.

 

R: Jetzt sprechen Sie nur von einem Kind.

 

BF: Von dem jüngeren, der ältere kommt von selbst.

 

R: Beschreiben Sie das soziale Umfeld von XXXX in Österreich und in der Russischen Föderation!

 

BF: Er ist ein sehr guter Junge, er ist ein sehr kluger Junge. In der Schule ist nicht alles wirklich sehr gut, aber sonst schon. Er ist menschlich ein guter Junge.

 

R wiederholt die Frage.

 

BF: Er beschäftigt sich mit dem Telefon. Er liest Bücher auf Deutsch. Früher hatte er noch Zusatzunterricht gehabt, in Mathematik usw., aber das macht er nicht mehr.

 

R: Wie verbringt XXXX seine Freizeit?

 

BF: Auch so.

 

R: Also lesen und mit dem Handy spielen?

 

BF: Ja.

 

R: Schildern Sie Ihren Lebenslauf bis zur Ausreise aus der Russischen Föderation! Wo und mit wem zusammen haben Sie wann gelebt?

 

BF: Bis zum achten Lebensjahr habe ich bei meiner Mutter im Bezirk XXXX gelebt. Dann habe ich und meine Schwester bei meiner Pflegemutter gelebt, im Bezirk XXXX , in der Straße XXXX . Dort habe ich mein ganzes Leben gelebt.

 

R: Haben Sie bis zur Ausreise dort gelebt?

 

BF: Ich habe woanders gelebt, wenn ich Probleme hatte.

 

R. Wann haben Sie woanders gelebt?

 

BF: Ich lebte bei der Pflegemutter und dann 2002 oder 2003 habe ich geheiratet und zwar einen XXXX . Er wurde dann umgebracht und dann bin ich wieder zu meiner Mutter gezogen, das war vielleicht XXXX . Ich kann mich an die Zahlen und Daten nicht mehr erinnern.

 

R: Nehmen Sie die Geburt Ihres Sohnes XXXX als Referenz.

 

BF: Er ist XXXX geboren oder nein, XXXX . Wir sind zu meiner Mutter übersiedelt und dann habe ich XXXX kennengelernt.

 

R wiederholt die Frage.

 

BF: Anfang XXXX , aber genau weiß ich das nicht.

 

R: Wenn das XXXX war, kann dieser XXXX nicht der Vater von XXXX gewesen sein.

 

BF: Der Umzug war XXXX .

 

R: Im wievielten Monat waren Sie dann schwanger?

 

BF: Ich kann mich nicht genau erinnern.

 

R: Bei der ersten Schwangerschaft weiß man sowas doch.

 

BF: Ich wusste lange nicht, dass ich schwanger bin.

 

R: Wann ist Ihnen dann aufgefallen, dass Sie schwanger sind?

 

BF: Als ich zu meiner Mutter gezogen bin.

 

R: Im wievielten Monat waren Sie da? Sie werden ja untersucht geworden sein.

 

BF: Ja, eine Untersuchung hat es gegeben, aber ich kann mich nicht erinnern.

 

R: Wie viele Monate nach der Übersiedlung kam XXXX auf die Welt?

 

BF: Ich kann mich nicht erinnern.

 

R: Lebten Sie auch mit XXXX mit ihrer Pflegemutter zusammen oder wohnten Sie nach der Heirat getrennt?

 

BF: Ich lebte mit ihm von meiner Pflegemutter getrennt. Wir lebten in XXXX .

 

R. Wo haben Sie gelebt?

 

BF: Wir hatten ein Haus.

 

R: Wem gehörte das?

 

BF: ich weiß es nicht, XXXX war dafür verantwortlich.

 

R. Haben Sie mit ihm ganze Zeit in XXXX gelebt oder auch woanders?

 

BF: Wir sind dann noch nach XXXX übersiedelt. Wir haben an verschiedenen Stellen gelebt.

 

R: Wie lange sind Sie innerhalb von XXXX umgezogen?

 

BF: Ich weiß es nicht mehr.

 

R: Sind Sie bis zur Ausreise in XXXX gewesen oder sind Sie davor umgezogen?

 

BF: Ja, wir haben in XXXX gelebt und als er verhaftet wurde, habe ich mit seiner Großmutter zusammengelebt. Dann ist sie gestorben, ich wie nicht mehr, wann das war. Dann hat die Tante die drei-zimmer Wohnung verkauft, die XXXX gehört hat. Ich musste dann die Wohnung, in der früher die Großmutter gelebt hat, verlassen. Dann bin ich zu meiner Mutter in XXXX übersiedelt, damit meine ich ihr Haus.

 

R. Wie lange haben Sie dort gelebt?

 

BF: Ich habe lange dort gelebt. Ich habe offiziell dort gelebt, aber ich musste auch flüchten.

 

R: Wir lange waren Sie bei Ihrer Pflegemutter, nachdem Sie aus XXXX zurückkamen?

 

BF: Ich weiß es nicht mehr, lange. 2006 wurde er festgenommen, dann hat die Tante die Wohnung verkauft, ich bin übersiedelt, dann haben ich und meine Schwester zu arbeiten begonnen.

 

R wiederholt die Frage.

 

BF: Ich glaube bis 2010 war ich dort.

 

R: Und danach?

 

BF: Wir haben verschiedenen Stellen gelebt.

 

R: Wie lebt man mit einem kleinen Kind an verschiedenen Stellen?

 

BF: Wir haben in XXXX gelebt und dann wurde ein Zimmer gebaut und wir sind dorthin übersiedelt, aber wir waren auch dort nicht immer. Das war im Bezirk XXXX , mein Mann und ich haben das gebaut. Das war dann bis zur Ausreise so. Wir haben die letzte Zeit vor der Ausreise dort gelebt.

 

R: War das ein Zimmer auf einem eigenen Grund oder wo genau haben Sie das gebaut?

 

BF: Wir haben das dorthin gebaut, wo die Adresse war. Wir haben das Zimmer auf den Hof unserer Pflegemutter gebaut. Sie hat da nicht mehr gelebt. Sie ist ein paar Straßen weitergezogen.

 

R: Warum hat sie nicht mehr dort gelebt?

 

BF: Weil sie eine Wohnung bekommen hat. Sie hatte vier Kinder und war für uns zwei Obsorge berechtigt und hat daher die Wohnung bekommen.

 

R: In der Einvernahme vom 29.07.2015 gaben Sie an, dass die Wohnung an Ihrer Meldeadresse eine Eigentumswohnung war. Was ist mit dieser? Wer schaut auf sie?

 

BF: Das war die Wohnung meiner Mutter. Ich bin dort angemeldet und habe dort immer gelebt.

 

R: Und jetzt?

 

BF: Nachdem Tod meiner Mutter hat den Vertrage meine Pflegemutter übernommen. Zurzeit lebt niemand dort.

 

[...]

 

R: Wurde das richtig protokolliert, was Sie vorher angegeben haben?

 

BF: Sie haben mich gefragt, wie lange ich in dem Bezirk gewohnt habe. Das war 2009. Ich bin immer hin und weggegangen. Falls ich irgendetwas nicht richtig gesagt habe, machen Sie bitte kein Problem daraus.

 

BFV legt vor:

 

• Bericht XXXX betreffend XXXX

 

• Schulbesuchsbestätigung Bewertungsbogen für XXXX "

 

"Fortgesetzte Befragung der BF

 

R: Sie wiesen sich bei der Asylantragstellung mit einem Führerschein aus, gaben aber vor dem Bundesamt an, nicht Autofahren zu können und den Führerschein habe ein Cousin besorgt - können Sie das erklären?

 

BF: Das war der Bräutigam meiner Schwester. Er war der Leiter einer Behörde namens XXXX .

 

R: Was ist das für eine Behörde?

 

BF: Er war der Leiter von XXXX . Ich weiß nicht, wie ich Ihnen erklären soll, was das ist.

 

R: Was meinen Sie mit "Den hat dieser Mann besorgt"?

 

BF: Ich habe ihn gebeten, damit er das macht. Ich kann nicht fahren.

 

R: Haben Sie die Fahrprüfung gemacht?

 

BF: Nein.

 

R: Ist der Ausweis gekauft?

 

BF: Nein, er hat mir das unentgeltlich gemacht.

 

R: Wann wurde der Führerschein ausgestellt?

 

BF: Ich weiß es nicht.

 

R: Sie müssen doch ungefähr wissen, wann Sie Ihren Führerschein bekommen haben?

 

BF: Ich kann mich nicht mehr erinnern.

 

R: Sie müssen doch das Jahr wissen?

 

BF: Ich schaffe es jetzt nicht, mich daran zu erinnern.

 

R: Verfügen Sie über sonstige identitätsbezeugende Dokumente?

 

BF: Ich habe meinen Pass abgegeben.

 

R zeigt den vom BFA vorgelegten Inlandsreisepass.

 

BF: Ja, geben Sie in mir zurück.

 

R: Noch wird er für die Verhandlung benötigt.

 

R: In Ihrem Inlandsreisepass sind keine Kinder eingetragen. Können Sie mir das erklären?

 

BF: Ich habe den Pass bekommen als ich aus XXXX ausgereist bin. Ich habe den Pass an dem Tag bekommen oder vorher. Ich weiß es nicht mehr genau.

 

R: Das ist aber keine Begründung dafür, dass keine Kinder im Pass eingetragen sind.

 

BF: Ich weiß es nicht. Ich habe den Pass an dem Tag oder vorher bekommen. Ich habe den Pass bekommen, als ich XXXX verlassen habe.

 

R: Da haben Ihre Kinder aber schon gelebt?

 

BF: Ich habe den Pass nicht selbst bekommen, man hat mir den Pass gebracht.

 

R: Wer hat Ihnen den Pass gebracht?

 

BF: Meine Schwester.

 

R: Wie hat Ihre Schwester den Pass bekommen?

 

BF: Ich weiß es nicht genau. Sie hat Beziehungen gehabt und hat das heimlich gemacht. Sie hat auch viel Geld bezahlt.

 

R: Was ist mit dem alten Pass?

 

BF: Den hat mir der Mann weggenommen.

 

R: Welcher Mann?

 

BF: Der biologische Vater von XXXX . Er heißt XXXX .

 

R: Wann hat er Ihnen den Pass weggenommen?

 

BF: Das war im Oktober 2009.

 

R: Für XXXX liegen mittlerweile zwei verschieden Geburtsurkunden vor - eine vom 07.05.2013 und eine vom 14.03.2008. Warum?

 

BF: Woher soll er zwei Geburtsurkunden haben?

 

R: Es liegen zwei vor, nur eine hat eine Bestätigung. Warum hat das Kind zwei?

 

BF: Das kann nicht sein. Es gibt nicht zwei verschiedene. Es konnte ja keine zweite Urkunde ausgestellt werden. Ich sehe das zum ersten Mal in meinem Leben. XXXX hat ja hier auch eine Geburtsurkunde, das ist die 2013 ausgestellte.

 

R: Warum haben Sie dann eine andere Geburtsurkunde aus 2008 ans BFA geschickt?

 

BF: Die kenne ich nicht, haben Sie das Original?

 

R: Sie haben nur die Kopie mit handschriftlich Eingabe an das BFA übermittelt.

 

R an BehV: Ist das Ihr Eingangsstempel auf AS 427?

 

BehV: Ja.

 

R: Ich halte fest, dass nicht geklärt werden kann, warum zwei verschieden Geburtsurkunden vorliegen.

 

BF ersucht mehrfach um die Ausgabe des Originals.

 

R erklärt, dass die BF nur die Kopie übermittelt hat.

 

R: Sind XXXX und XXXX Ihre Kinder? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

 

BF: Ja, sicher sind das meine Kinder. Ich habe deswegen auch einen DNA-Test durchführen lassen.

 

R: Wen haben Sie testen lassen?

 

BF: Mutter, Vater und für das Kind XXXX .

 

R: Wen haben Sie als Vater testen lassen?

 

BF: XXXX .

 

R. Haben Sie das Ergebnis?

 

BF: Ja, aber ich habe vergessen es mitzunehmen.

 

R: Was war das Ergebnis?

 

BF: Das der Vater kein leiblicher Vater ist, aber ich bin die Mutter.

 

R: Was ist herausgekommen?

 

BF: Dass ich die Mutter bin.

 

R: Wie wurde die Testung durchgeführt?

 

BF: Für den Mutter und den Vater wurde ein Mundhöhlenabstrich gemacht?

 

R: Haben Sie das selbst gemacht oder die Laborantin?

 

BF: Die Laborantin und sie hat auch Fotos gemacht.

 

R: Was war mit dem Kind?

 

BF: Man hat uns gesagt, dass der Vater nicht der leibliche Vater ist.

 

R: Wie wurde die Probe beim Kind genommen?

 

BF: Meine Psychiaterin hat mir die Adresse gegeben. Wir sind zu dritt dorthin gegangen, wir haben uns hingesetzt. Zuerst hat man dem Vater den Mundhöhlenabstrich gemacht, dann mir und dann XXXX . Dann hat man die drei Proben hingelegt und man Fotos gemacht, um zu prüfen, dass wir wirklich dort waren.

 

R erteilt eine Frist von zwei Woche zur Vorlage des DNA-Test, sowie die Vorlage der Fotodokumentation.

 

R: Wer ist der Vater von XXXX ? XXXX behauptet zwar in seinem Asylverfahren, der Vater zu sein, in der Geburtsurkunde von XXXX nicht er als Vater eingetragen! XXXX Vatersname lautet XXXX ! Er ist nicht wie von XXXX angegeben XXXX , sondern laut Geburtsurkunde am XXXX geboren. Sie gaben an, XXXX Sei von ihrem ersten Ehemann! Was sagen Sie dazu?

 

BF: Nein, mein erster Mann - der XXXX - ist der Vater von XXXX .

 

R: XXXX ist sicher nicht sein Vater?

 

BF: Sicher nicht.

 

R: XXXX gab in der Erstbefragung am 21.01.2013 auch an, der Vater von XXXX , XXXX alt zu sein! Ist das Kind von Ihnen?

 

BF: Wir wollten das Kind XXXX nennen, aber dann haben wir den Namen XXXX gelassen, aber er ist nicht der Vater.

 

R: In der Verhandlung am 28.12. haben Sie noch angegeben, dass Sie XXXX in der Kuschelzelle gezeugt haben.

 

BF: Ein anderer.

 

R: Sie haben während Sie Ihren Mann im Gefängnis besucht haben, mit einem anderen Häftling ein Kind gezeugt?

 

BF: Nein, der Vater ist XXXX , aber ich bin davon nicht überzeugt, weil ich danach mit XXXX war.

 

R: XXXX gab in der Einvernahme vom 29.07.2015 an, der Vater von XXXX , geb. XXXX zu sein. In der Erstbefragung hat er noch angegeben, dass sein Sohn nur XXXX alt ist. Demnach wäre er im XXXX zur Welt gekommen. Gerade bei so kleinen Kinder merkt man diesen Altersunterschied drastisch. Es klingt also nicht so, als ob XXXX und XXXX dieselbe Person wären.

 

BF: Hören Sie mir zu. Ich bin die Mutter das hat der DNA-Test ergeben.

 

R: XXXX ist laut Geburtsurkunde am XXXX geboren und der Sohn von XXXX , sein Vatersname ist XXXX . Möchten Sie dazu etwas angeben?

 

BF: Das ist die Geburtsurkunde von der Schwester.

 

R: Laut Geburtsurkunde ist die Mutter von XXXX . Was sagen Sie dazu?

 

BF: Ja, XXXX . Das ist meine Schwester.

 

R: Wie kommen Sie auf die Idee eine fremde Geburtsurkunde zu verwenden?

 

BF. Wie hätte ich hierherkommen können?

 

R: Der Bräutigam Ihrer Schwester besorgt für Sie einen Führerschein, ohne dass Sie die Fahrprüfung haben, sowie Ihre Schwester einen Reisepass für Sie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie für das Kind nicht eine Geburtsurkunde auftreiben.

 

BF: Ich hatte Angst dorthin zu gehen und mit meinen Daten eine Geburtsurkunde zu machen.

 

R: Sie hätten den Vater nicht angeben müssen, genau wie bei XXXX .

 

BF: Dort spielt nicht der Vater die Hauptrolle, sondern ich und mein Kind.

 

R: Erst mit der Eingabe vom 29.12.2015 gaben Sie an, dass die Geburtsurkunde gar nicht von Ihrem Sohn, sondern von Ihrem Neffen sei. Was hat Sie daran gehindert, dies früher anzugeben?

 

BF: Als wir die Beschwerde eingereicht haben, oder?

 

R: Warum erst so spät?

 

BF: Ich hatte Angst, dass man mich hier findet.

 

R: Sie haben Ihren Führerschein vorgelegt. Was macht das für einen Unterschied, wenn Sie auch die Geburtsurkunde Ihrer Schwester vorlegen?

 

BF: Ich weiß es nicht.

 

R: Wer hätte Sie hier finden sollen?

 

BF: Dieser Mann.

 

R: Also nicht Ihre Schwester und deren Mann?

 

BF: Nein.

 

R: Ist XXXX Ihr Sohn oder Ihr Neffe?

 

BF: Er ist mein Sohn.

 

R: Warum sollten Ihre Schwester und Ihr Schwager im MAI 2013 einen gebührenpflichtigen Notariatsakt über die Vollmacht an Sie, XXXX mitzunehmen, errichten lassen, wenn er Ihr Sohn ist?

 

BF: Sie wissen das XXXX keine Dokumente mit meinem Namen hat. Alle haben mir geholfen auszureisen. Verstehen Sie das?

 

R: Laut Notariatsakt sind Sie bevollmächtigt, mit XXXX in den Schengenraum auszureisen, inkl. nach XXXX , und zurück nach XXXX . Ein länger als beabsichtigter Aufenthalt mit XXXX außerhalb der Grenzen der Russischen Föderation, "darin in XXXX " ist aber nicht vorgesehen! (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

 

Die Verhandlung wird um 17:48 Uhr für eine kurze Beratung von BF und BFV unterbrochen.

 

BF: Das ist mein Kind. In einiger Zeit werden Sie das verstehen. Sicher ist das mein Kind.

 

R: Eine Vollmacht zur Stellung eines Asylantrages in Österreich, wobei der Aufenthalt im Rahmen von Asyl ja längerfristig ausgelegt ist, kann der Vollmacht nicht entnommen werden! Was sagen Sie dazu? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

 

BF: Das ist mein Kind.

 

R: Haben Sie Beweismittel dafür, dass XXXX Ihr Sohn ist? Widrigenfalls geht das Gericht auf Grund der Geburtsurkunde und der Vollmacht davon aus, dass Sie nicht die Mutter sind! Auch in XXXX wurde nur XXXX als Ihr Sohn geführt.

 

BF: Ich bin dann nach Österreich gekommen und habe die Dokumente abgegeben. Man hat sich das lange nicht angeschaut und uns diese Fragen nicht gestellt.

 

R: Gibt es Beweismittel oder sonstige Unterlagen, zu Ihrem Privat- und Familienleben oder Ihrer Identität, Ihren Lebensumständen sowie Ihrem Gesundheitszustand, die Sie bislang im Verfahren nicht vorgelegt haben und heute vorlegen möchten? Das bezieht sich auch auf XXXX oder XXXX .

 

BF: Nein.

 

R: Der Inlandsreisepass wird vom Bundeskriminalamt auf Echtheit überprüft. Es wird eine vierwöchige Frist zur Abgabe eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, das ausgehändigt wird (Stand 12.11.2018).

 

R: Sie haben angegeben, dass Ihr alter Inlandsreisepass abgenommen wurde. Den neuen haben Sie am 08.Mai 2013 bekommen. Wie kann dann Ihre Schwester für die Vollmacht Ihren alten Inlandsreisepass aus 2007 verwenden, wenn er Ihnen bereits 2009 abgenommen wurde?

 

BF: Sie ist dort nicht mit dem Pass hingegangen. Sie hat das über Beziehungen gemacht.

 

R weist daraufhin, dass nach Ablauf der Frist für die Vorlage eines hieb- und stichfesten DNA-Tests, eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts ergeht, dass Sie XXXX der Erziehungsgewalt seiner Eltern entführt habe. Möchten Sie dazu etwas angeben? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht)

 

BF: Das habe ich verstanden. Das ist wahr ich habe gesagt, ich bin die Mutter und das stimmt wirklich.

 

[...]

 

R: Wurde das richtig protokolliert, was Sie vorher angegeben haben?

 

BF: Zu den Geburtsurkunde möchte ich angeben, dass weder das eine, noch das andere Datum auf der Geburtsurkunde von XXXX richtig ist. Weiters möchte ich angeben, dass der Vater von XXXX nicht XXXX , sondern XXXX heißt.

 

BehV: Ich möchte für den nächsten Verhandlungstermin die Frage vormerken, wer die BF bewogen hat, das DNA-Gutachten zu machen."

 

In der mündlichen Verhandlung wurde den Beschwerdeführern das Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation Stand November 2018 ausgehändigt und ihnen eine vierwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt.

 

17. Der vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Untersuchungsbericht des Bundeskriminalamtes vom 21.01.2019 ergab betreffend den Personalausweis der Erstbeschwerdeführerin, dass dieser authentisch war und sich keine Hinweise für das Vorliegen einer Verfälschung ergaben. Eine Beurteilung der Ausstellungsmodalitäten war nicht möglich.

 

18. Mit Schriftsatz vom 24.01.2019 legte die Erstbeschwerdeführerin ein DNA-Gutachten vor, wonach die Mutterschaft der Erstbeschwerdeführerin betreffend den Drittbeschwerdeführer bestätigt wurde. Die Vaterschaft von XXXX betreffend die minderjährigen Beschwerdeführer war mit Sicherheit ausgeschlossen.

 

19. Mit Schriftsatz vom 07.02.2019 erstatteten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zum ausgehändigten Länderinformationsblatt sowie zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.01.2019, worin zusammengefasst vorgebracht wurde, dass die Situation für Frauen insbesondere in XXXX mehr als bedenklich sei. Vergewaltigungen seien im Nordkaukasus weit verbreitet und Ehrenmorde, häusliche Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen seien ein großes Problem. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr keine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 und 3 EMRK erleiden würden. Die Beschwerdeführer hätten unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse keinen Zugang zu der für sie notwendigen (fach)ärztlichen Versorgung.

 

Die minderjährigen Beschwerdeführer seien hauptsächlich bzw. zum Großteil ihres Lebens in Österreich sozialisiert worden und hätten Anschluss an die österreichische Gesellschaft gefunden. Sie würden kein Russisch sprechen und hätten in Russland keine Freunde (mehr) sowie keinen Kontakt zu ihren dort lebenden Verwandten. Zumindest hinsichtlich der minderjährigen Beschwerdeführer würden die Bindungen zu Österreich die Bindungen zur Russischen Föderation an Intensität überwiegen. Zudem sei zu befürchten, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in eine unsichere wirtschaftliche Situation geraten würden.

 

20. Das Bundesverwaltungsgericht setzte am 21.02.2019 die mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch sowie im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer und der Rechtsvertreterin von XXXX der Erstbeschwerdeführerin und einer Vertreterin des Bundesamtes fort.

 

Die Befragung der Erstbeschwerdeführerin gestaltete sich wie folgt:

 

"R: Sie wurden bereits beim Bundesasylamt bzw. bei den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben?

 

BF: Ich weiß nicht, ich wurde einvernommen in XXXX und in XXXX auch. Aber die Einvernahme ist nicht so verlaufen wie wir es wollten. Probleme hat es keine gegeben, aber der Richter hat nicht so viele Fragen gestellt.

 

RI: Sie wurden mehrfach befragt, ob Sie alles vorgebracht haben, was Sie vorbringen wollten. Ich habe die Protokolle gesehen, es wurden Ihnen sehr viele Fragen gestellt.

 

BF: In XXXX ?

 

RI: Ja.

 

BF: Über unsere Probleme konnte ich nicht reden, über die Fluchtgründe, weil man uns nicht danach gefragt hat.

 

RI: Sie wurden gefragt, warum Sie ausgereist sind und ob Sie alles vorgebracht haben, ich kann nichts sehen, dass Sie nicht alles vorbringen konnten.

 

BF: Ich weiß nicht, wenn ich das so gesagt habe, dann habe ich es gesagt.

 

R: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung und dem Bundesamt und dem Bundesasylamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtigstellen oder ergänzen?

 

BF: Natürlich habe ich immer die Wahrheit gesagt.

 

RI: Das letzte Mal haben Sie gesagt, dass Ihr Sohn XXXX heißt und Sie die Geburtsurkunde von XXXX von Ihrer Schwerster ausgeborgt haben. Das haben Sie beim BFA und BAA nicht so gesagt.

 

BF: Das haben wir nicht gesagt, weil das ja nur ca. eine halbe Stunde gedauert hat.

 

RI: Ich habe hier 4 Einvernahmen. Warum haben Sie da schon nicht angegeben, dass Ihr Sohn ganz anders heißt?

 

BF: Man hat mich nicht gefragt. Ich kann mich nicht daran erinnern, ich glaube nicht, dass man mich danach gefragt hat. Bei der Einvernahme hat man mich nicht danach gefragt. Ich habe nach der Berufung alle Dokumente geschickt. Ich habe auch sehr auf diese Verhandlung gewartet. Ich wollte um Hilfe bitten. Man hat mich nicht danach gefragt.

 

R: Warum haben Sie die Dokumente erst mit der Beschwerde geschickt?

 

BF: Wenn man sich das durchliest, dann wird man mich verstehen. Wissen Sie, vielleicht bin ich wirklich mit Problemen gekommen.

 

RI: Haben Sie im Übrigen vor dem BFA und dem BAA immer die Wahrheit gesagt?

 

BF: Ja.

 

R: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheids etwas geändert?

 

BF: Es fällt mir schwer auf diese Frage zu antworten. Ich weiß nicht was Sie wirklich meinen. Ich glaube nicht, dass sich etwas geändert hat. Ich habe Angst zu sagen, dass sich etwas geändert hat und etwas nicht.

 

RV: Bereits am 13.09.2013 lag ein Arztbrief vor, eine posttraumatische Belastungsstörung nach kriegsschwerer Kriegsdramatisierung mit Folter. Diagnostiziert wurde unter anderem auch XXXX , der schon seit 5 Jahren bestünde, ausgeprägte XXXX , XXXX und dergleichen sowie am 13.08.2014 eine psychologische Stellungnahme von Frau Dr. XXXX eingelangt ist, wo unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass eine auf Grund des chronifizierten XXXX mit besonderer Sorgfalt im Umgang und bei der Befragung nach belastenden Ereignissen besteht.

 

RI: Wie weit erachten Sie das als neu entstandene Fluchtgründe?

 

RV: Das wollte ich bereits zum davor Gesagten angeben.

 

R: Ist Ihnen der Inhalt der Beschwerdeschrift bekannt?

 

BF: Nein.

 

RI: Sie wissen nicht was in Ihrer Beschwerde steht?

 

BF: Nein.

 

R: Haben Sie das nicht mit Ihrer Mandantin durchgesprochen?

 

RV: Doch. RV zeigt BF die Beschwerde.

 

BF: Jetzt weiß ich es schon.

 

R: Halten Sie den Inhalt der Beschwerdeschrift und die dort gestellten Anträge aufrecht?

 

BF: Ja.

 

R: Warum mussten Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Schildern Sie Ihre Fluchtgründe so detailliert wie möglich!

 

BF: Wir sind ausgereist weil Leute zu uns gekommen sind und nach XXXX gefragt haben, deswegen sind wir ausgereist. Das wussten alle. Alle haben uns geholfen. Alle haben das verstanden, dass das wirklich notwendig ist. Alle haben verstanden, dass uns nichts Gutes erwartet. Die Leute sind gekommen und haben Fragen gestellt 3 Tage später sind sie wieder in der Nacht gekommen. Ein Mann hat meinen Sohn an die Wand geworfen. Die Leute haben gesagt, dass sie uns finden, auch wenn wir unter der Erde sind. Dann hat mir die Schwester mit dem Pass geholfen, Sie wissen das, das ist das mit den Dokumenten. Wenn man das dort erfahren wird, dann wird die Schwester Probleme haben. Aber Gott hat uns beschützt und dank seiner Hilfe konnten wir herkommen. Ich wundere mich selbst wie ich es geschafft habe herzukommen.

 

R: Können Sie mir detailliert schildern warum Sie ausgereist sind? Was waren die Gründe?

 

BF: Leute sind gekommen und haben nach XXXX gefragt, und gefragt wo er ist. Ich habe gesagt, dass sie ihn mitgenommen haben und ich weiß nicht wo er ist. Er hat in der Bewachung gearbeitet, vielleicht hat er wen umgebracht, ich weiß es nicht.

 

R: Was würde Sie persönlich im Falle einer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?

 

BF: Uns erwartet dort der Tod.

 

R: Warum?

 

BF: Was heißt warum. Der XXXX ist dort, das ist sozusagen der dortige Gott. Er entschiedet wer zu leben hat und wer nicht.

 

R: Warum sollte er entscheiden, dass Sie nicht zu leben haben?

 

BF: Unter jeder Ziegel dort liegt eine Leiche. Alles ist dort mit Blut beschmiert, jeder Rubel.

 

R: Aber warum konkret sollten Sie getötet werden?

 

BF: Weil ich mit seinem Kind geflüchtet bin.

 

R: Mit dem Kind von XXXX ?

 

BF: Nein, von XXXX .

 

R: Das letzte Mal hat er XXXX geheißen.

 

BF: Dann habe ich das gesagt.

 

RV: Damals wurde das korrigiert, weil XXXX protokolliert wurde.

 

R: Was ist nun jetzt richtig?

 

BF: XXXX .

 

R: Ich habe Sie vorher 3 Mal nachgefragt, ob XXXX stimmt.

 

RV: Er heißt XXXX .

 

BF: Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube XXXX .

 

R: Warum sind Sie mit dem Kind von XXXX geflohen?

 

BF: Weil man ihn mitgenommen hätte, ich hätte ihn dann nicht mehr gesehen. Ich hätte ihn dann nicht mehr sehen können, nach seiner Geburt.

 

R: Das haben Sie jetzt vorher, als ich Sie nach Ihren Fluchtgründen gefragt habe, nicht angegeben, warum?

 

BF: Ich verstehe es nicht.

 

R wiederholt die Frage.

 

BF: Ich erkläre es Ihnen. Als ich hergekommen bin, wollte ich das überhaupt nicht sagen. Ich habe hier begonnen zu leben, ich habe es hier erfahren, dass die Frauen hier Rechte haben, das hat mich verwundert. Ich habe das verheimlich, das hat mich sehr gequält. Dann habe ich begonnen hier zu leben und habe das alles verstanden. Ich habe verstanden, dass ich erzählen kann, hier werde ich nicht geschlagen.

 

R: Von wem wurden Sie geschlagen?

 

BF: Hier hat mich keiner geschlagen. Ich meine Allgemein. Das ist ein Gefühl.

 

RI: Warum mussten Sie die Russische Föderation verlassen?

 

BF: Ich bin geflüchtet, wegen XXXX . Ich bin nicht aus persönlichen Gründen geflüchtet, sondern wegen XXXX . Aber diesen Grund hat es auch gegeben. Ich habe mich versteckt gehalten, ich habe nicht an einer Stelle gelebt. Ich hatte immer furchtbare Angst, wenn jemand an der Tür geklopft hat, egal wo ich war.

 

R: Waren das alle Ihre Fluchtgründe?

 

BF: Ja.

 

R: Was würde passieren, wenn Sie (hypothetisch) an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb XXXX s zurückkehren müssten?

 

BF: Ich kann das nicht, überhaupt nicht. Ich habe ein Kind ohne Dokumente. Wenn ich mich irgendwo beschweren werde, dass er keine Geburtsurkunde hat, wird man mich gleich ergreifen.

 

RI: Sie haben gesagt, dass Sie Ihren Führerschein dadurch bekommen haben, dass Ihr Cousin bzw. der Freund Ihrer Schwester der Behördenleiter von XXXX (=Verkehrsamt) ist Ihnen den Führerschien besorgt hat, ohne dass Sie jemals die Fahrprüfung gemacht haben. Sie haben angegeben, dass Ihre Schwester den Führerschein hat machen lassen, ich sehe keine Probleme auch eine Geburtsurkunde machen zu lassen.

 

BF: Das war XXXX , das war noch vor dem Tod meiner Schwester. Wir zwei haben sehr gut ausgeschaut, wir waren hübsch, sie war XXXX und hat schön ausgeschaut, wenn sie nach etwas gefragt hat wurde es gleichgemacht.

 

R: Das kann nicht stimmen, Sie haben gesagt, Ihr alter Reisepass wurde Ihnen erst 2009 weggenommen.

 

RV: Die BF spricht vom Führerschein.

 

R: Wie sind Sie dann an den Inlandsreisepass gekommen ausgestellt am 08.05.2013?

 

BF: Meine Schwester hat mir den Pass gebracht, es wurde viel Geld dafür bezahlt. Meine Schwester hat dort gesagt, dass ich ausreisen werde und deshalb dort keine Probleme entstehen werden.

 

R: Das war XXXX nicht XXXX ?

 

BF: Ja, XXXX war schon verstorben.

 

R: Warum sollte es daher nicht gelingen für den XXXX eine Geburtsurkunde zu bekommen?

 

BF: Wie kann ich hinkommen. Man wird ja gleich die Mitteilung weiterleiten.

 

R: Das verstehe ich nicht.

 

BF: Ich werde ja gesucht. XXXX sucht mich. Tagsüber war ich praktisch nicht draußen, ich hatte immer ein Kopftuch und ich war verschleiert. Wie könnte ich hinkommen und um die Geburtsurkunde ansuchen.

 

R: Was würde Sie jetzt daran hindern eine Geburtsurkunde für XXXX zu bekommen?

 

BF: Wie?

 

R: Indem Sie es beantragen?

 

BF: Wo.

 

R: Bei der Botschaft?

 

BF: Ich weiß gar nicht wo ich mich da wenden kann.

 

R: Warum sollte XXXX Sie suchen?

 

BF: Weil das sein Kind ist. Er wird wahrscheinlich niemals mit der Suche aufhören.

 

R: Wer ist XXXX ?

 

BF: Das ist ein Abgeordneter.

 

R: Warum sollte man Sie dann aber 2013 ausreisen haben lassen, wenn Sie von XXXX gesucht werden?

 

BF: Er hat mich nicht ergriffen, ich habe mich versteckt gehalten, ich überlegte mir jeden Schritt dort. Auch jetzt habe ich diese Gewohnheit.

 

R: Sie haben als Fluchtgrund angegeben, dass [Sie] nach der Geburt von XXXX 3 Mal von Militärangehörigen zuhause aufgesucht wurden. Ich kann mir daher nicht vorstellen, dass Sie dabei nicht gefunden worden wären, wenn Sie gesucht wurden?

 

BF: Die Leute zu mir gekommen sind haben nicht nach mir gesucht, sondern nach XXXX . Aus diesem Grund bin ich ausgereist. Man hat mich gesucht und dann auch noch nach XXXX . Wenn die Leute zum Schluss erfahren hätten, dass das wirklich ich bin?

 

R: Es wurde Ihnen aber ein Pass ausgestellt nachdem Ihre Schwester zugesagt hat, dass Sie ausreisen werden. Das passt jetzt mit der Suche nach Ihnen nicht zusammen.

 

BF: Derjenige hat ja dafür Geld bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass der Mann der das gemacht hat, der mir den Pass ausgestellt hat, nicht öffentlich sagen wird, dass er sowas gemacht hat.

 

R: Er braucht es nicht sagen, es ergibt sich aus den Akten.

 

BF: Ich weiß nicht wer das gemacht hat, meine Schwester hat mir das nicht gesagt.

 

R: Was weiß XXXX von der Geburt und dem Aufenthaltsort von XXXX ?

 

BF: Ich weiß es nicht.

 

R: Hat er die Schwangerschaft mitbekommen?

 

BF: Ja, sicher das weiß er. Ich war damals im 6. oder 7. Monat schwanger, 6,5 Monate.

 

R: Sie haben die Beziehung zu XXXX nicht unter Ihren Fluchtgründe geschildert.

 

BF: Ja, ich sage es Ihnen ja jetzt.

 

R: Möchten Sie noch etwas zu dieser Beziehung angeben?

 

BF: Mit wem?

 

R: XXXX .

 

BF: Ich habe überhaupt keinen Bezug mehr zu ihm. Ich bin ihm auf Instagram gefolgt, jetzt ist aber sein Account blockiert.

 

R: Wie heißt er auf Instagram?

 

BF: XXXX .

 

R: Wie heißen Sie auf Instagram?

 

BF: Ich habe dort nicht meine Adresse angegeben, ich habe einen anderen Namen.

 

R wiederholt die Frage.

 

BF: Ich habe mich dort als Mann eingetragen. XXXX . Mein Sohn weiß das. Auf Instagram gibt es sogenannte Kanäle, man kann einen eigenen beanspruchen. Mein Sohn kennt sich da aus. Er hat mir so eine Seite gemacht und dort steht XXXX . Ich habe ihn immer beobachtet.

 

R: Hat jemand im Saal Instagram?

 

Dies wird von allen Anwesenden verneint.

 

R: Gibt es etwas, dass Sie bis dato jetzt in der Verhandlung noch nicht vorgebracht haben und angeben möchten?

 

BF: Ich glaube, dass ich alles gesagt habe.

 

R: Hatten Sie in der Verhandlung Gelegenheit alles vorzubringen, was Sie vorbringen wollten?

 

BF: Ja, meine Schwangerschaft. Ja.

 

R: Wann sind XXXX , XXXX und XXXX verschwunden?

 

BF: 2003 oder 2004. Genau weiß ich es nicht.

 

R: Waren Sie seit 2003 oder 2004 Verfolgung wegen der Brüder Ihrer Pflegemutter ausgesetzt?

 

BF: Nein, aber ich war mit einem Wahhabiten verheiratet und ich habe zuhause viele Fotos gehabt und auch von den Frauen von den Wahhabiten, diese Fotos wurden mir weggenommen.

 

R: Wann?

 

BF: 2003 oder 2004. Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern.

 

R: Ihr erster Mann starb nach sechsmonatiger Ehe 2002/2003. Waren Sie nach der Konfiskation. Der Fotos seinetwegen Verfolgung ausgesetzt?

 

BF: Nein, nicht wegen der Fotos aus einem anderen Grund.

 

R: Warum?

 

BF: Weil er viele Pistolen, Waffen hatte. Das war bei mir, uns.

 

R: Wann wurden Sie deswegen seinetwegen verfolgt?

 

BF: 2003, 2004 als er verstorben ist. Ich schwöre auf Allah, dass es so war, ich bin zu einem Wahhabiten namens... BF überlegt... ich weiß es wirklich nicht wie er hieß, ich bin aber hingegangen und habe gesagt, dass ich als "Kamikaze" auftreten möchte. Ich habe das entschieden. Ich habe damals ein ganz anderes Weltbild gehabt. Ich habe mich mit ihm getroffen und er hat gesagt, dass ich noch einen älteren fragen soll und dass ich mich dafür gut vorbereiten muss. Der Kommandant wusste auch, dass ich zuhause viele Waffen habe. Die sollte ich den Wahhabiten übergeben.

 

R: Wollten Sie jetzt einen Selbstmordanschlag machen oder den Wahhabiten die Waffen übergeben?

 

BF: Ich wollte einen Selbstmordanschlag machen aber die Wahhabiten wollten die Waffen.

 

R: Sie haben nach über 5 Jahren Asylverfahren angegeben, dass Sie einen Selbstmordanschlag machen wollten, warum?

 

BF: Weil mich keiner danach gefragt. Niemand hat mich bis jetzt danach gefragt.

 

R: Sie gaben in der psychiatrischen Untersuchung an, dass Militärangehörige bei der Pflegemutter nach Ihnen gesucht haben, weil Sie die Waffen Ihres ersten Ehemannes versteckt haben. Gleichzeitig sind Ihr Schwager und ihr zweiter Ehemann Ihren Angaben zufolge beim Militär - ich kann mir nicht vorstellen, dass das Militär Sie nicht findet, wenn es Sie sucht! Das Haus in dem Sie gewohnt haben hat XXXX Ihrer Mutter zur Verfügung gestellt hat.

 

BF: Das war 2003 oder 2004, es gab damals Kriegshandlungen. Damals gab es nur sehr wenige Häuser dort, sie sprechen über das was später passiert ist. Da ging es auch um die Kinder vom Bruder um die Vormundschaft. Ich weiß nicht wann sie das vom XXXX bekommen hat, das war 2006 oder nachher.

 

R: Sie haben 2 Kinder als zeitliche Anhaltspunkte, wann war die Verfolgung ungefähr?

 

BF: Nicht lange ich kann mich nicht erinnern.

 

R: Wann?

 

BF: Das war schon vor dem ersten Kind, das war 2003, ich habe das Kind XXXX zur Welt gebracht. Als er gestorben ist, wollte ich auch hingehen, ich war damals XXXX Jahre alt, ich hatte ein ganz anderes Weltbild.

 

R: Waren Sie wegen ihres zweiten Mannes jemals Verfolgung ausgesetzt außer den 3 Besuchen bei Ihnen?

 

BF: Er ist verschwunden und dann sind die Leute gekommen und haben gefragt wo XXXX ist und dass sie ihn auch unter der Erde finden werden.

 

R: Sonst war Sie wegen XXXX nie einer Verfolgung ausgesetzt?

 

BF: Nein.

 

R: Laut Ihren Angaben in der Psychiatrischen Untersuchung wurde die Wohnung, in die sie mit Ihrem Mann zogen, angezündet, laut Ihren Angaben in der Einvernahme am 28.07.2015 hingegen die Wohnung, in der Ihre Pflegemutter lebte - das Haus, in dem Ihnen von XXXX kostenlos eine Wohnung zur Verfügung gestellt worden war. Können Sie das erklären?

 

BF: Dort wo ich angemeldet war, dort hat meine Mutter nicht mehr gelebt. XXXX hat für die 4 Kinder, Großmutter und die Mutter eine Wohnung zu Verfügung gestellt und ich war dort auch, auch angemeldet. Das war eine 2-Zimmer Wohnung. Wir sind übersiedelt. Das ist das Haus wo ich angemeldet war und dann sind wir übersiedelt hier, das war die Wohnung die XXXX zur Verfügung gestellt hat.

 

R: Wann sind Sie übersiedelt?

 

BF: Ich kann mich nicht erinnern wann das war. Das Haus war alt, dort ist nichts mehr geblieben, das Haus war in einem sehr schlechten Zustand. Ich und XXXX haben dort ein Zimmer hergerichtet und eine Dusche und wir haben begonnen dort zu leben, damit das niemand weiß, dass wir dort leben.

 

R: Ab wann haben Sie dort gelebt?

 

BF: Ich kann mich nicht mehr erinnern, wir haben in XXXX gelebt...

 

R: War die Übersiedlung vor oder nach der Geburt von XXXX ?

 

BF: Nach der Geburt.

 

R: Wie viel vor der Ausreise war das ungefähr?

 

BF. Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich kann mich an nichts mehr gut erinnern, ich sage Ihnen das nur ungefähr, ich kann es nur ungefähr erklären. Bitte machen Sie daraus keine falschen Schlussfolgerungen.

 

R: Laut Ihren Angaben in der Erstbefragung kamen "die Männer" zunächst einmal um zu fragen, dann einmal um zu fragen und zu foltern und dann um das Haus anzuzünden. Laut Ihren Angaben in der psychiatrischen Untersuchung kamen "die Männer" zuerst um zu fragen, dann um das Haus anzuzünden und dann wieder um zu fragen und zu foltern. Welche Reihenfolge stimmt?

 

BF: Dass was Sie jetzt gesagt haben, habe ich so gesagt.

 

R: Das sind 2 unterschiedliche Schilderungen. Welche stimmt?

 

BF: Das erste Mal sind die Leute gekommen und haben mich gefragt, ich habe gesagt, ich weiß nicht wo er ist sie haben ihn ja mitgenommen. Dann nach 2 Tagen sind die Leute wiedergekommen und haben das Haus angezündet und dann habe ich bei meiner Mutter gelebt. Dann sind sie zum Haus meiner Mutter gekommen. Das habe ich so gesagt, das ist wirklich so gewesen.

 

R: In der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren ist extra vermerkt, dass keine emotionale Tiefe bei Nähe zum Trauma bestand, insbesondere zur Folter mit Strom waren keine nonverbalen Begleitphänomene beobachtbar. Möchten Sie dazu etwas angeben?

 

BF: Ich weiß es nicht. Welche Emotionen zeige ich.

 

R erklärt BF die Frage.

 

BF: Ich weiß es nicht. Ich wurde 2 Mal oder 3 Mal mit Strom gefoltert. Ich weiß es nicht.

 

R: Laut Ihren Angaben in der Einvernahme vom 26.07.2015 beim Bundesamt waren Sie nach dem Anzünden Ihres Hauses auf der Flucht, laut Ihren Angaben in der psychiatrischen Untersuchung nicht auf der Flucht wie Sie jetzt angegeben haben, sondern bei Ihrer Mutter. Was stimmt?

 

BF: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe Ihnen das erste Mal schon erklärt. Ich war bei meiner Mutter.

 

R: Sie waren bis zur Ausreise bei Ihre Mutter oder auf der Flucht?

 

BF: Ich war nicht auf der Flucht. Aber manchmal habe ich bei Bekannten übernachtet. So war das.

 

R: Laut der Erstbefragung wurden Sie gefoltert und Ihr Sohn geschlagen - laut Ihren Angaben in der psychiatrischen Untersuchung Sie und Ihre Mutter vergewaltigt. Welche Variante stimmt?

 

BF: Ja, so war das.

 

R: Welche Schilderung stimmt jetzt?

 

BF: Als die Leute das letzte Mal gekommen sind, ist das wirklich passiert. Die Mutter ist über 50 sie wurde vergewaltigt. Da gab es den Zaun, dann gab es einen großen Hof und dort gab es einen Hinterausgang, da waren 5 oder 7 Männer dort. XXXX wurde an die Wand stark geschlagen.

 

R: Was meinen Sie mit an die Wand geschlagen?

 

BF: Er ist auf dem Bett gelegen, hat geweint, es war kein Kinderbett, es war ein großes Bett und hat geschrien. Er hatte Angst, also hat er ihn genommen und gegen die Wand geworfen. Ich habe auch hier, BF zeigt auf den Kopf, blauen Fleck.

 

R: XXXX war damals noch keine XXXX Jahre alt, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein so kleines Kind nur einen blauen Fleck davonträgt, wenn man es an die Wand schmeißt.

 

BF: Ich habe das deswegen hier in XXXX geschilderten und habe auch den blauen Fleck gezeigt.

 

R: Auf die Länderberichte zur Kollektivbestrafung wird hingewiesen - sowohl Ihre Familie als auch die Familie von XXXX arbeitet im tschetschenischen Staatsdienst!

 

BF: Warum ist das wichtig, XXXX hat die Wohnung für die Kinder gegeben und für die Großmutter, die sich immer um die Kinder gekümmert hat. Dort wo die wichtigsten Leute waren, sie war dort immer mit den kleinen Kindern und hat gebeten ihr eine Wohnung zu geben. Sie hat vorgeschlagen, dass sich die Leute unsere Wohnverhältnisse anschauen können.

 

R: Waren Sie seit 2008 Verfolgung wegen 2008 verstorbenen Schwester ausgesetzt?

 

BF: Ich weiß es nicht. Wenn ich damals mit meiner Schwester zusammen gewesen wäre, wäre ich jetzt auch tot.

 

R: Ihre Schwester ist 2008 gestorben, waren Sie seit 2008 einer Verfolgung wegen Ihrer Schwester ausgesetzt?

 

BF: Ja.

 

R: Schildern Sie mir das.

 

BF: Ich weiß nicht wie man mich verfolgt hat, man hat aber nach allen jungen Frauen gesucht, die "spazierengehende Mädchen" (D: eine in XXXX gebräuchliche Bezeichnung für leichte Mädchen) waren.

 

RV: Bezeichnet spazierengehende Mädchen auch XXXX ?

 

BF: Ja. Ich war unter diesen Mädchen. Als man sie getötet hat. Damit meine ich meine Schwester. Ich hatte 2 Telefone als sie umgebracht wurde. Ich hatte 1 Telefon mit dem ich mit meinem Mann gesprochen habe, wenn ich ihn gesehen habe und ein eigenes Telefon für Gespräche mit meiner Schwester und mit allen meinen Bekannten. Er hat mich damals kontrolliert und er wollte nicht einmal, dass ich mit meinen Freundinnen spreche. Mit er meine ich meinen Mann. Ich habe das eine Telefon abgeschaltet und sie hat mich viele Male angerufen, als sie im Sterben war, sie hat auch die Freundinnen angerufen. Eine Freundin namens XXXX , sie hat zum Schluss bei ihr gelebt. Sie ist von ihrer Wohnung rausgekommen, sie hat sie angerufen und gesagt, komm her hier ist es sehr schön. Ich habe 3 Tage im Gefängnis übernachtet. Sie hat nicht mit unserer Pflegemutter gelebt, sie hat die Mutter angerufen und sie hat gesagt, dass 6 junge Frauen umgebracht wurden und die Pflegemutter hat gesagt, dass sie vorsichtig sein soll.

 

R: Wurden Sie nach 2008 wegen dem Tod Ihrer Schwester verfolgt?

 

BF: Ja. Ich wurde verfolgt. Ich habe mich versteckt. Auch die Telefone. Ich habe sogar Angst gehabt meinen Mann anzurufen und ich habe auch Angst gehabt ihn zu treffen. Ich habe auch nicht einmal meinen Mutter oder meinen Mann angerufen. Ich habe mich lange versteckt, ich habe lange das Haus nicht verlassen.

 

R: Wie wurden Sie nach 2008 wegen Ihrer Schwester verfolgt?

 

BF: Die Leute sind nicht zu mir gekommen, aber, wenn man gewusst hätte wo ich bin, wenn sie mich gesehen hätten. XXXX hat einen Befehl erlassen, er hat gesagt, dass alle "leichten Mädchen" die im Restaurant arbeiten oder so, die sollen alle beseitigt werden. Wenn mich ein Kunde gesehen hätte, hätte man mich gleich umbringen können.

 

R: Was meinen Sie mit Kunden?

 

BF: Wir hatten Kunden, auch reichere Kunden, auch ältere Männer, die Geld hatten.

 

R: Was meinen Sie damit? Kunden im Restaurant oder Freier?

 

BF: Ich habe mit ihnen geschlafen.

 

R: Sie haben also als XXXX gearbeitet?

 

BF: Ja.

 

R: Ich habe Sie aber was Anderes gefragt, wurden Sie nach 2008 wegen Ihrer Schwester verfolgt.

 

BF: Ich erkläre es ihnen. Alle Männer, ich meine, wenn mich jemand gesehen hätte, einer von den Männern, einer von den Militärangehörigen, dann hätte man mich umgebracht um zu einem "Ergebnis" zu kommen.

 

R: Sie haben angegeben regelmäßig Ihren Mann bis 2009/2010 im Gefängnis besucht zu haben, dh Sie hatten regelmäßig Kontakt zu Behörden nach 2008.

 

BF: Welche Behörden?

 

R: Im Gefängnis wird man kontrolliert, es gibt dort Polizei gegebenenfalls auch Militär.

 

BF: Es war ja nicht so, dass man genau nach mir gesucht hat. Aber die anderen Frauen wurden umgebracht und wenn mich jemand damals angerufen hätte und mir gesagt hätte, ich kann kommen, weil er Geld hat, dann wäre ich gekommen und er hätte mich umgebracht. Ich bin nicht zur Fahndung ausgeschrieben.

 

R: Wie haben Sie die Ausreise finanziert?

 

BF: Alle Bekannten haben mir geholfen.

 

R: Gab es Probleme bei der Ausreise?

 

BF: Nein.

 

R: Kamen Sie im Zuge vom Menschenhandel nach Österreich?

 

BF: Nein.

 

R: Laut Erstbefragung sind Sie legal unter Verwendung von Inlands- und Auslandsreisepass aus der Russischen Föderation nach XXXX ausgereist, mit der Bahn von XXXX über XXXX und XXXX nach XXXX in XXXX . Stimmt das?

 

BF: Ja. Nicht mit dem Zug. Nach XXXX bin ich mit einem Bus gekommen.

 

R: Ihr Auslandsreisepass wurde 2013 ausgestellt, eine Geburtsurkunde von XXXX am 07.05.2013, die Bestätigung der Staatsbürgerschaftsbehörde auf der Geburtsurkunde stammt vom 08.05.2013, sein Reisepass vom 25.04.2013, - statt in anderen Teilen der Russischen Föderation Schutz zu suchen, traten Sie also in der Zeit der von Ihnen relevierten Verfolgung vor Ihrer Ausreise am 09.05.2013 mehrfach an die Behörden heran. Wie bringen Sie das mit Ihrem Vorbringen in der Erstbefragung, dass Sie ab Februar geflüchtet bei Bekannten lebten, in Einklang?

 

BF: Wie hätte ich in Russland leben können. Wo hätte ich um Hilfe ansuchen können.

 

R: Wie passt das Vorbringen, dass Sie dann seit Februar versteckt lebten, mit so viele Behördenwegen zusammen?

 

BF: Ich war nicht bei den Behörden. Das alles wurde für mich erledigt, der Auslandspass, der Inlandspass, das hat alles meine Schwester und Ihr Mann für mich gemacht.

 

R: Das heißt die Eltern von XXXX , von dem Sie angeblich die Geburtsurkunde ausgeborgt haben?

 

BF: Ja.

 

R: Warum gaben Sie in der Beschwerde und heute relevierten sexuellen Übergriffe nicht vorher an?

 

BF: Man hat mich nicht danach gefragt, ich hatte Angst darüber zu spreche, ich möchte das nochmals betonen, ich habe nichts gewusst, dass ich das sagen kann.

 

R: In der Beschwerde geben Sie zunächst nur an, dass Ihre Schwester im Gefängnis serienvergewaltigt wurde, dann und in der psychotherapeutischen Stellungnahme heißt es, dass Sie und Ihre Schwester im Gefängnis serienvergewaltigt wurden.

 

BF: Nicht im Gefängnis.

 

R: Sondern?

 

BF: Dort wo wir gelebt haben, dort in der Nähe hat es einen militärischen Stab gegeben und einen großen Betrieb. Es wurde zuerst eine Gruppe vom Militärangehörigen gebracht, es wurde gearbeitet und dann wurde die zweite Gruppe gebracht.

 

R: Das heißt Sie wurden nie im Gefängnis vergewaltigt auch nicht von Ihrem Mann?

 

BF: Nein.

 

R: Wann waren diese geschilderten Vergewaltigungen?

 

BF: Das war damals als ich zurückgekommen bin um dort zu leben.

 

R: Ungefähr?

 

BF: 2005, nein, 2006. Als XXXX im Gefängnis war. Dann bin ich zurückgekommen zur Mutter um dort zu leben. Meine Schwester war damals XXXX Jahre alt. Es hat einen Militärangehörigen namens XXXX gegeben. Er war Sturmmann überall.

 

R: XXXX war seit 2008 nicht mehr Kommandant von XXXX . Das heißt die Vergewaltigungen waren vorher?

 

BF: Ja.

 

R: Wurden Sie danach noch einmal vergewaltigt? Kam es nach 2008 zu Vergewaltigungen?

 

BF: Mich nicht, nein. Ich habe das selbst...

 

R: Bisher gaben Sie an, dass Ihre Schwester nach einem Anruf wegging und Sie sie im Leichenschauhaus identifizieren mussten - wie kann Sie Ihnen dann von Serienvergewaltigungen erzählt haben, heißt das, das war vorher?

 

BF: Ich habe es nicht verstanden.

 

R wiederholt die Frage.

 

BF: Ja, vorher.

 

RV: Die BF hat zuvor angegeben, dass die Schwester dabei XXXX war. Gestorben ist sie mit XXXX Jahre.

 

R: Ist Ihre Schwester wie im verwaltungsbehördlichen Verfahren angegeben erschossen oder wie in der Beschwerde angegeben verbrannt worden?

 

BF: BF zeigt am Kopf, man hat sie mit einer Pistole in die Stirn geschossen und dann wurde sie in Brand gesetzt. Sie ist dort 3 Tage im Wald gelegen.

 

R: Wie haben Sie eine verbrannte Leiche identifiziert?

 

BF: Fast verbrannt, die Hälfte war verbrannt. BF zeigt vom Kopf über den Körper bis zur Hüfte. Sie war zwar zur Unkenntlichkeit verbrannt aber ich habe sie trotzdem erkannt.

 

R: Wie schafft man es eine bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche durch Augensch[...]ein zu identifizieren?

 

BF: Ich habe sie sofort gekannt. Sie hatte rosafarbigen Lidschatten.

 

R: Ihre Schwester ist verbrannt, lag 3 Tage im Wald und Sie haben Sie am Lidschatten erkannt?

 

BF: Ja, das Lidschatten war nicht verschmiert, so wie sie ihn aufgetragen hat so war er. Ihre Hand, BF zeigt die Handstellung.

 

R: Wie haben Sie an dieser Handstellung Ihre Schwester erkannt.

 

BF: Wissen Sie, auch wenn Sie gänzlich verbrannt wäre, hätte ich sie natürlich erkannt.

 

R: Warum gaben Sie das nicht in den Einvernahmen nach der psychiatrischen Untersuchung an - am 28.07.2015 oder 16.12.2015, im Rahmen des Parteiengehörs zu den Länderberichten oder mit Ihrer handschriftlichen Stellungnahme vom 29.12.2015? Sie wurden in den Einvernahmen am 28.07.2015 oder 16.12.2015 mehrfach ausdrücklich gefragt, ob Sie noch etwas vorzubringen haben!

 

BF: Ich habe das erst vor kurzem aufgedeckt, ich meine, ich wusste nicht, ob ich darüber sprechen kann, das habe ich Ihnen heut schon gesagt, wie soll ich das erklären.

 

R: Der Psychiater war sogar ein Mann und ihm konnten Sie es erzählen, und er sagte Ihnen, dass Sie es im Asylverfahren angeben sollen das war 2013 und Sie sagen es trotzdem 2 Jahre nicht im Asylverfahren. Warum nicht?

 

BF: Ich wollte nicht das XXXX erfährt, dass das nicht sein Kind ist und abgesehen davon habe ich nicht genug Vertrauen gehabt und ich wusste nicht, dass ich nicht davon sprechen kann.

 

R: Sie kommen nach Österreich und suchen hier internationalen Schutz und haben aber kein Vertrauen zu der Behörde, obwohl sich das Verfahren über 2 Jahre gezogen hat, vor dem BFA.

 

BF: Ja.

 

R: Das Protokoll der psychotherapeutischen Sitzung, dass Sie mit der Beschwerde im Jänner 2016 vorlegten, datiert vom 27.02.2014 - es ist nicht ersichtlich, warum Sie das nicht früher vorbringen konnten, obwohl Sie so viel Unterstützung hatten!

 

BF: Niemand hat mich so gefragt, wie Sie heute, ich meine so ausführlich. Abgesehen davon, wollte ich gar nicht darüber sprechen. Aber jetzt habe ich Ihnen alles gesagt, alles was passiert ist. Es steht ja alles da, ich weiß das alles. Als ich dorthin gegangen bin um meine Schwester zu identifizieren...

 

R: Sie haben vorher angegebenen, dass Sie nicht wollten, dass XXXX erfährt, dass er nicht der Vater von XXXX / XXXX ist. 2014 wurden Sie mehrfach vom Jugendamt kontrolliert. Sie hatten so viel Unterstützung, warum konnten Sie das nicht vorbringen?

 

BF: Ich wollte es nicht.

 

R: Wie lange waren Sie bei Dr. XXXX in Behandlung? Sind Sie von XXXX aus hingefahren?

 

BF: Wer ist das.

 

R: Die Psychologin bei der Sie in Behandlung waren Ihrer Beschwerde zufolge?

 

BF: Ich kann mich nicht mehr erinnern.

 

R: Sind Sie von XXXX aus hingefahren?

 

BF: Wo war Sie?

 

R: In XXXX , in XXXX .

 

BF: Ich habe dort gelebt.

 

R: Sind Sie von XXXX aus noch zu Ihr gefahren?

 

BF: Nein.

 

R: Sie sind also 2014 nach XXXX gezogen.

 

BF: Ich kann mich nicht erinnern.

 

R: Nein, Sie sind 2016 nach XXXX gezogen, wo waren Sie dann nach 2016 in psychologischer Behandlung?

 

BF: In XXXX , dort war ich bei einem Psychologen. Als das mit XXXX passiert ist.

 

R: Laut meinen Akten ist das der XXXX .

 

BF: Ich war auch dort, ich kann es nicht genau sagen, ich war bei XXXX und auch bei den andere.

 

R: Das heißt Sie waren von 2016-2018 auch in Behandlung, weil Sie angegeben haben, dass Sie bei XXXX bis 2018 auf der Warteliste standen?

 

BF: Ja, wahrscheinlich.

 

RV: Es wurden die Befunde des XXXX vorgelegt, diese beziehen sich auf den Zeitraum vom 19.09.2017-10.07.2018.

 

R: Aus den psychiatrischen Gutachten vom 18.06.2013 (keine belastungsabhängige krankheitswertige Störung) und 17.11.2013 (Anpassungsstörung mit einer leichtgradig depressiven Reaktion im Zusammenhang mit dem offenen Asylverfahren, den derzeitigen Lebensumständen und der psychosozialen Situation) ergibt sich keine Hinderung daraus, die behauptete Vergewaltigung schon vorher vorzubringen, Sie wurden als in der Lage befunden, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen und machten dem Psychiater gegenüber auch Angaben zur behaupteten Vergewaltigung. Die Stellungnahme Ihrer Psychotherapeutin vom 13.08.2014, die nur nebulos von "außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß" spricht, datiert vielmehr aus der Zeit, in der die XXXX die Jugendwohlfahrt zur Gefährdungsabklärung geholt hatte. Der Befund vom September 2013 führt im psychologischen Konsilium aus, dass auf Grund der Sprachbarriere keine Befunderhebung möglich war. Möchten Sie dazu etwas sagen?

 

BF: Nein. Was kann ich dazu sagen.

 

R: Sie stellten am 20.01.2015 Anträge auf freiwillige Rückkehr und erklärten sich mit der Gegenstandslosigkeit Ihres Verfahrens einverstanden. Warum?

 

BF: Nein, ich habe mich nur dafür interessiert.

 

R: Was heißt das?

 

BF: Ich habe damals mit meinem Mann gestritten, ich wollte ihn ärgern und habe gesagt, ich fahre zurück.

 

R: Wenn Sie um Ihren Mann zu ärgern zurück fahren wollen., spricht das nicht für eine intensive Bedrohung in Ihrem Herkunftsstaat?

 

BF: Nein, ich habe das nicht im Herzen entschieden, ich habe nur... damals haben wir ernsthaft miteinander gestritten. Wenn ich das wirklich entschieden hätte, wäre ich zurückgekehrt.

 

R: Warum zogen Sie dann die Anträge wieder zurück?

 

BF: Ich habe die Anträge nicht zurückgezogen, ich bin nur einfach nicht mehr hingegangen. Ich ging nur hin, weil ich mich dafür interessiert habe.

 

R: In der Einvernahme am 28.07.2015 gaben Sie überhaupt an, nur wegen Ihres Mannes nach Österreich gekommen zu sein und keine eigenen Probleme vorzubringen zu haben. Das Vorliegen weiterer Gründe verneinten Sie, als Grund für die Wahl von Österreich gaben Sie an, dass Ihr Onkel hier sei und die Sozialleistungen gut seien. Können Sie das erklären?

 

BF: Nein. Ich habe Zuhause auch nicht schlecht gelebt. Es hat viel Arbeit gegeben, ich hatte viele Bekannte. Wegen Sozialleistungen.

 

R: Sie haben das gesagt.

 

BF: Nein, Sie sehen wie wir hier leben wir bekommen nur das Geld für das Essen und ich bekomme das Geld für den Sohn. Beide Kinder haben guten Appetit und das Essen reicht nur für die Kinder. Ich schwöre auf Allah, dass es mir hier gar nicht gut gefällt, überhaupt nicht.

 

R: Welche Asylgründe haben XXXX / XXXX und XXXX ?

 

BF: Warten Sie kurz. Der erste Grund hat XXXX , weil der Vater von XXXX ein Wahhabite war und deswegen gibt es eine Gefahr. Alle wissen das XXXX nicht sein Vater ist. Bei XXXX ist es auch so, XXXX wird mir abgenommen. Ich weiß nicht was mit mir passieren wird. Ich weiß es einfach nicht, deswegen kann ich es nicht sagen. Ich denke mir, dass er sein eigenes Kind nicht umbringen wird, aber ich werde ihn nie wiedersehen können. Sie wissen, dass XXXX sehr viel Kinder hat von verschiedenen Frauen. Die Mütter sehen die Kinder nicht.

 

R: Was hat das jetzt mit den Kindern von XXXX zu tun?

 

BF: XXXX ist der Vater vom XXXX , er ist wie XXXX , er ist der zweite Mann dort.

 

R: Sie sind von XXXX nach XXXX gezogen, haben die Kinder dadurch die Schule wechseln müssen?

 

BF: Das jüngere Kind ja.

 

R: Haben Sie mittlerweile eine Geburtsurkunde von XXXX die stimmt oder können Sie mir Ihre Aussage vom letzten Mal erklären, wonach beide vorliegenden Geburtsurkunden nicht stimmen.

 

BF: Das ist die wirkliche Geburtsurkunde, ich weiß gar nicht, was Sie an der Geburtsurkunde auszusetzen haben.

 

RV: Beim letzten Mal hat die BF angegeben, dass sie zu den Geburtsurkunden sagen möchte, dass weder das eine noch das andere Datum richtig sei, dabei hat es aber eine Verwechslung gegeben. Die BF wurde mit den unterschiedlichen Ausstellungsdaten konfrontiert und dachte, dass es sich um Geburtsdaten handelt.

 

R: Können Sie mir erklären Wie es zu den 2 unterschiedlichen Geburtsurkunde kommt?

 

RV: Auf der 2. Findet sich der Vermerk, dass es sich um ein Duplikat handelt, die erneute Ausstellung desselben Dokuments.

 

R: Warum haben Sie ein Duplikat bestellt?

 

BF: Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht mehr erinnern.

 

R: Die geschilderte Entnahme der DNA-Proben widerspricht dem, wie diese Proben laut der Homepage dieses Labors genommen werden. Mit schriftlicher Stellungnahme bestätigte das Labor zwar Ihre Angaben, weigert sich aber der gerichtlichen Ladung nachzukommen und diese Aussage unter Wahrheitspflicht als Zeugen zu machen. Möchten Sie dazu etwas sagen?

 

BF: Wir mussten uns hinsetzen. Zuerst vom Vater dann von mir und dann vom Kind, von XXXX . Was haben Sie hier zu beanstanden?

 

R: Laut der Mitteilung des Labors wurde die Identität von XXXX / XXXX dadurch bestätigt, dass Sie angegeben haben, dass er ist und die weiße Asylverfahrenskarte ohne Photo vorgelegt haben. Dann gibt es noch ein Familiengruppenfoto vor einem Gemälde. Möchten Sie dazu etwas angeben?

 

BF: Ja, dort ist auch XXXX .

 

R: Laut dem von Ihnen vorgelegten DNA-Test sind sie die Mutter der weiteren getesteten Person. Laut dem von Ihnen vorgelegten Befund vom 20.11.2018 waren Sie NIE schwanger. Können Sie mir das erklären? Spenden Sie Eizellen? Haben Sie eine Leihmutter engagiert?

 

BF: Mein Gott. Ich habe nicht so einen Kopf.

 

R: Waren Sie mal schwanger oder nicht?

 

BF: Ja, ich war schwanger. Das hat ein österreichisches Labor gemacht, sie werden ja nicht lügen.

 

R: Der andere Befund ist auch aus Österreich.

 

R: Wie kommen Sie zu 2 Kindern bei 0 Schwangerschaften?

 

BF: Wer hat Ihnen das gesagt?

 

R: So steht es im [von Ihnen] vorgelegten Befund. In diesem steht im Übrigen auch, dass Sie nie operiert wurden, dass in Ihrem Vorbringen, dass Sie schwer vergewaltigt wurden und wegen so viel Blut im Bauchraum operiert werden wussten. Erklären Sie mir es!

 

BF: Das was dort steht ist nicht wahr. Ich wollte kein zweites Kind.

 

R: Was hat das damit zu tun?

 

BF: Nach dem ersten Kind, habe ich gesagt, aus ich will kein zweites. Wenn ich aus einer guten Familie wäre, oder gut verheiratet wäre, wäre meine Entscheidung anders, hätte ich gut geheiratet, einen guten Mann, dann hätte ich mir das vorstellen können aber unter meinen Umständen ein zweites Kind, das wollte ich nicht. Ich wurde gezwungen, ich wurde in einem Haus festgehalten, ich habe [habe] dort 6,5 Monate gelebt, das war das Haus von XXXX .

 

R: Wie können Sie alle 3-4 Monate bzw. 3-4 Mal im Monat Ihren Mann im Gefängnis besucht haben, wenn sie 6,5 Monate gefangen gewesen sind.

 

BF: Sie sagen etwas ganz anders.

 

R: Stimmen Sie einer vom Gericht angeordneten genethischen Untersuchung auf Abstammung von Ihnen, den beiden Kindern XXXX / XXXX und XXXX sowie XXXX zu?

 

RV: Ich erteile als Vertreterin von XXXX die Zustimmung zur Testung.

 

BF: Ja, ich stimme zu. Aber das was Sie gesagt haben, ist nicht wahr, ich habe das nicht gesagt, was Sie gesagt haben, dass ich es gesagt habe.

 

R fordert BF auch binnen 1 Monats einen gynäkologischen Befund vorzulegen, ob sie schwanger war.

 

R: Haben Sie Eizellen gespendet z.B. Ihrer Schwester?

 

BF: Nein, ich mache so etwas nicht. Ich verstehe auch nicht, warum Sie das jetzt überprüfen wollen. Ich verstehe nicht warum Sie diesen Weg gehen, weswegen quälen Sie mich, das ist für mich ein großer Stress, ich bin einverstanden, es wird beweisen, dass das meine Kinder sind. Ich bitte Sie.

 

Die Verhandlung wird für 5 Minuten unterbrochen.

 

R: Möchten Sie Fragen an die Beschwerdeführerin stellen?

 

RV: Ja. Können Sie uns noch mehr über die Umstände der Schwangerschaft mit XXXX erzählen?

 

BF: Das war im Oktober. Meine Tage waren zu Ende und dann, ich war zuerst in XXXX , nachdem ich die Tage hatte, war ich zusammen mit meinem Mann XXXX und dann sind wir nach XXXX gegangen, dann sind wir zurück nach XXXX gekommen. Dann hat mir eine Freundin gesagt, dass es einen Mann gibt und wir zu ihm kommen können und gemeinsam Tee trinken können und dass er uns dafür Geld gibt. Wir sind hingegangen. Wir haben das nicht vorab geregelt, ob das "ihr Mann sein wird oder mein Mann". Jedenfalls gingen wir zu dem Mann ins Haus. Die Leute haben dort viele Häuser, so Residenzen. Wir sind dort gesessen, haben gemeinsam Tee getrunken und gesprochen. Dann habe ich mich auf ein Sofa gesetzt und meine Freundin ist mit ihm irgendwo hingegangen. Dann ist eine Frau gekommen, sie hat mich begrüßt und setzte sich neben mich. Sie fragte mich, ob ich für den Mann ein Kind gebären kann, sie sagte, dass er mir dafür Geld geben wird und eine Wohnung, aber ich war damit nicht einverstanden, ich war nicht einverstanden, ich sagte nein. Das war schrecklich. Und dann dachte ich das meine Freundin zurückkommen wird, aber sie ist nicht zurückgekommen und ich sagte zu der Frau, dass ich auf meine Freundin warte. Dann sind zwei junge Militärangehörige gekommen und sie sagten mir, dass ich mitkommen soll. Es war schon dunkel als sie gekommen sind und dann sind wir gemeinsam gesessen. Und dann sagten sie, dass ich mitkommen soll, ich fragte wohin. Einer der Männer hat mir gesagt, dass ich mich hinsetzen soll, es war verdunkelt, man hat mich irgendwohin gebracht mit dem Auto, ich weiß nicht wo das war und dann ging etwas auf... es war etwas Großes...wie ein Tor... wie heißt das auf Russisch. Er sagte mir dann steig aus, dann bin ich ausgestiegen. Es war sehr schön dort und das Haus, er sagte komm rein, ich kam rein und setze mich hin. Die zwei wurden dann angerufen und sie haben auch telefoniert, dann ist eine Frau gekommen. Sie sagte, dass sie mit mir dort leben wird und ich Kinder zur Welt bringen werde. Wir haben dann dort übernachtet, man hat mir das Telefon abgenommen. Am nächsten Tag ist XXXX gekommen, man hat auf mich sehr stark eingeredet, aber ich war nicht damit einverstanden. Dann hatten wir Sex miteinander und dann ist 1 Monat vergangen, er ist ca. 1 Monat lang gekommen, es hat keine Gewalt gegeben, er hat mir gesagt, dass ich nur Kinder zur Welt bringen soll und er mir dafür Geld gibt und ich ein Haus bekomme, ich war aber nicht einverstanden. Er hat mir gesagt, dass er mich sowieso nicht freilassen wird, auch wenn ich nicht damit einverstanden bin, er sagte, dass ich so sterben werde wie meine Schwester. Er hat gesagt, dass ich noch als Kamikaze auftreten kann und noch meine Schwester rächen kann. Dann bin ich schwanger geworden. 6 1/2 Monate habe ich dann dort gelebt und bin nirgends gegangen, ich hatte auch kein Telefon, niemand ist gekommen, die Frau hat mit mir gelebt.

 

RV: Wie haben Sie sich aus der Situation befreit?

 

BF: Ich wurde von dort nicht freigelassen. Als ich schwanger wurde, bin ich fast verrückt geworden. Ich wollte das Kind nicht. Wie soll ich das sagen. Ich hatte große Angst, ich wusste nicht wie ich von dort flüchten kann. Nach 6 1/2 Monaten habe ich eine Blutung in der Nacht bekommen, man hat mich in das 9. Städtische Krankenhaus gebracht, die Frau war mit. Man hat gesagt, dass die Öffnung schon so groß ist wie 2 oder 3 Finger, und dass ich schon gebären kann. Dann habe ich eine Magnesiuminfusion bekommen um ca. 4 Uhr in der Früh war das zu Ende. Ich bin dann aufgestanden, neben mir lag die Frau auf einem Bett, ich bin aufs Klo gegangen und dann bin ich wieder zurück, ich habe ihre Tasche mitgenommen. Ich habe das Telefon von ihr dort gelassen, ich habe aber ihre Tasche mitgenommen. Dort gibt es einen Aufzug und hier war die Treppe, so neben dem Lift waren Treppen und vom Lift hinunter. Aber man bräuchte einen Chip für den Lift. Also bin ich dorthin gegangen wo die Chips sind habe ihn genommen und die Männer waren dort wo die Treppen im Stiegenhaus waren, sie haben uns bewacht. Ich bin mit dem Aufzug gefahren. Ich bin von dort rausgekommen, ich habe aber ihre Stimmen gehört, bin dann schnell zum Korridor und weg von dort. Das war nach 4Uhr, vielleicht um 5 Uhr. Ich habe den Chip weggeworfen und bin weitergelaufen. Dort gibt es Wohnungen und Autos. Ich habe irgendeine Tür aufgemacht, ich habe mich hingelegt. Ca. 2 Stunden bin ich dort gelegen. Dann ist ein Mann gekommen und hat die Tür aufgemacht, er hat sich hingesetzt, hat mich aber hinten nicht gesehen, das war ca. um 6 Uhr in der Früh, wahrscheinlich fuhr er irgendwo zur Arbeit. Er ist gefahren und gefahren und ich habe mich dann hingesetzt. Er ist auch lange bei der Ampel geblieben. Ich habe mich dann hingesetzt und habe ihn um Hilfe gebeten, er hat mich kurz angeschaut und gefragt, wer ich bin, ich bekam Angst und ich sagte, ich habe Angst helfen sie mir, er fragte womit er helfen kann, ich sagte, er soll mich weit weg von hier bringen, dort wo die Taxis sind habe ich gesagt, irgendwo. Er sagte gut und brachte mich hin. Ich bin dann mit einem Taxi weitergefahren. Ich bin zu der Tochter nach XXXX , sie war verwundert, sie hat mich umgezogen und sagte, dass ich schnell von dort weggehen soll. Sie hat dann ein Taxi gerufen und ich bin mit dem Taxi weitergefahren. Meine Mutter wohnt in einem Dorf, ich bin in das Dorf gefahren. Ich habe gesagt, dass ich geflüchtet bin, sie hat auch große Angst bekommen und sie hat gesagt, dass sie mich woanders verstecken wird. Ich habe dann bei der Mutter gelebt, woanders. Dort habe ich XXXX geboren zuhause. Als ich ihn geboren habe, wissen Sie, ich habe Allah gesagt, lieber Gott warum hast du ihn mir gegeben, aber ich konnte ihn nicht weggeben. Ich weiß nicht, ich bin fast verrückt geworden.

 

RV: Von welchem Jahr sprechen wir?

 

BF: XXXX .

 

RV: Das heißt XXXX wurde XXXX geboren?

 

BF: Ja.

 

RV: Wann wurden Sie bei XXXX eingesperrt?

 

BF: Nach dem XXXX . Monat XXXX . Als ich XXXX geboren habe, hatte ich einen Schnitt.

 

R: Sie hatten bei einer Hausgeburt einen Dammschnitt?

 

BF: Nein, das ist von alleine gekommen, das war ein Riss. Das war sehr schmerzhaft.

 

RV: Haben Sie XXXX jemals erzählt, dass Sie sich XXXX haben?

 

BF: Nein. Seine Verwandten auch Bekannten haben gesagt, er soll mich lassen, dass ich keine ordentliche und gute Frau bin, aber XXXX hat mich sehr geliebt und ich habe ihn auch geliebt. Er hat davor die Augen verschlossen. XXXX ist ein sehr guter Mann. Er hat mir viel geholfen. Er hat mir geholfen von diesem Scham wegzukommen.

 

RV: Hat XXXX jemals gezweifelt, dass er der Vater von XXXX ist?

 

BF: Ja, er hat gesagt, dass er blaue Augen hat.

 

RV: Was haben Sie daraufhin zu XXXX gesagt?

 

BF: Ich habe gesagt, auch meine Mutter, und meine Schwester haben blaue Augen. Aber ich habe gespürt und gewusst, dass er das in Wirklichkeit gar nicht wissen will. Denken Sie nicht, dass wir schlechte Leute sind, wir haben hier um Hilfe gebeten.

 

RV: Waren Sie sich sicher, dass XXXX nicht der Vater von XXXX ist?

 

BF: Ja, 99% war ich davon überzeugt. Aber 1% hatte ich die Hoffnung, dass es anders ist. Ich habe ihn immer verglichen. Ich verglich verschiedene Körpermerkmale, jetzt habe ich den Test gemacht und bin beruhigt.

 

R: Weiß XXXX von dem Testergebnis?

 

BF: Nein.

 

RV: Hat er Sie danach gefragt?

 

BF: Gestern hat er mich gefragt. Er hat gesagt, dass die Anwältin gefragt hat. Er hat gestern gesagt, dass ich das Ergebnis zeigen soll.

 

RV: Warum haben Sie ihm das Ergebnis nicht gezeigt?

 

BF: Ich will das nicht. Aber sagen Sie das auch nicht.

 

R: Das Ergebnis der gerichtlichen Untersuchung wird natürlich allen Parteien zugestellt, wie Sie das intern handhaben ist Ihre Entscheidung.

 

RV: Sie haben bereits in der mündlichen Verhandlung am 28.12.2018 als Zeugin angegeben, dass XXXX nicht der Vater von XXXX ist, XXXX war zwar während Ihrer Zeugeneinvernahme nicht anwesend, allerdings war Ihre Zeugenaussage in der Niederschrift ersichtlich. XXXX war daher bereits am 28.12.2018 bekannt, dass Sie angegeben habe, dass er nicht der Vater sei.

 

BF: Nein.

 

RV: Hat XXXX auch nach dem 28.12.2018 sich um XXXX gekümmert?

 

BF: Ja, auch jetzt ist er bei ihm mit XXXX . XXXX hat Fieber er ist zuhause.

 

RV: Hat sich das Verhältnis zwischen XXXX und XXXX seit dem 28.12.2018 verändert?

 

BF: Nein, XXXX liebt ihn sehr, mein Sohn liebt ihn auch.

 

BehV: XXXX der zweite Sohn war schulpflichtig zum Zeitpunkt der Ausreise, wann haben Sie XXXX aus der Schule herausgenommen?

 

BF: Ich kann mich nicht mehr erinnern.

 

BehV: Welches Monat oder wie lange ca. vor der Ausreise?

 

BF: XXXX Klasse.

 

BehV: Zu welchem Zeitpunkt haben Sie XXXX aus der Schule genommen?

 

BF: Im Mai gibt es Sommerferien, nach der Schule.

 

BehV: Welches Jahr?

 

BF: In welchem Jahr bin ich hergekommen?

 

R: 2013.

 

BF: Ja, dann war das 2013.

 

R: Was hat Sie daran gehindert das umfangreiche Vorbringen, dass Sie jetzt durch Ihre Vertreterin angeben habe, bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren anzugeben, immerhin haltet sich über einen Sachverhalt der über 10 Jahre zurückliegt.

 

BF: Ich weiß nicht, ich wurde danach gefragt. Das wurde erst zum ersten Mal gefragt.

 

R: Mir ist insbesondere aufgefallen in der Verhandlung heute, dass Sie Emotionen nur dann zeigen, wenn Sie über Ihre Schwester und Ihre Kinder erzählen, im Übrigen haben sie es sehr emotionslos erzählt, können Sie mir das erklären?

 

BF: Ich bin seit 6 Jahren hier, ich quäle mich jeden Tag. Ich habe natürlich Emotionen. Welche Emotionen brauchen Sie? Ich kann hier nicht umfallen, ich kann nicht sagen, dass mir schlecht ist, glauben sie mir dann, wenn ich daliege und sage, dass es mir schlecht ist, ich beantworte ihre Fragen. Ich verstecke meinen Schmerz. Sie stellen Fragen und ich antworte. Welche Emotionen brauchen Sie?

 

R: Mir ist aufgefallen, dass Sie bei [belastenden] Ereignissen einmal so und einmal anders reagieren. Weiter ist mir aufgefallen, dass Sie mich und die D lange prüfend angeschaut haben, nachdem Sie erzählt haben, dass man sie aufgefordert hat schwanger zu werden und da eine Pause gemacht haben, warum?

 

BF: Wenn Sie das gewusst hätten...

 

R: Können Sie mir erklären warum Sie das gemacht haben?

 

BF: Ich weiß es nicht. Ich bin ein offener Mensch, ich habe eine sehr reine Seele. Egal was passiert ich bin ein trotzdem sehr angenehmer, freundschaftlicher Mensch, dass was ich in meiner Seele habe, ist auch auf meinem Gesicht zu sehen, wahrscheinlich bin ich ein guter Mensch. Sie schauen mich an, aber ziehen sie keine schlechten Schlussfolgerungen. In der tschetschenischen Sprache hätte ich das besser sagen könne, was ich spüre, und über meine Gefühle erzählen kann.

 

R: Mir fehlt viel mehr faktisch in dieser langen Schilderung vom Leben völlig Ihr 2. Sohn für den Sie Obsorge pflichtig haben und das bei einer Schilderung einer 6 1/2 Monate langen Verschleppung?

 

BF: Ja, er war im Internat.

 

R: Sie haben angeben, dass Sie ihn regelmäßig besucht haben, weil sie ihn vermisst haben, dass der Besuch ausgesetzt wurde haben sie nicht erzählt.

 

BF: Sicher habe ich ihn besucht, bis ich verschleppt wurde. Nachher habe ich ihn ca. 1 Jahr nicht besucht, 6 1/2 Monate und eine Zeit nachher.

 

BehV: Bei der ersten Einvernahme am 28.07.2015 haben Sie geantwortet auf die Frage welche Ausbildung Ihre Kinder in der Heimat erhalten haben, sie wurden in XXXX geboren und haben dort keine Ausbildung erhalten. Beide Kinder haben keine Ausbildung in Russland erhalten, haben Sie angegeben.

 

BF: Nein, das habe ich sicher nicht gesagt.

 

BehV: Warum haben Sie später dann das Internat angeführt?

 

BF: Ich habe das nicht gesagt, ich habe gesagt, dass mein Kind im Internat war. Man konnte auch dafür zahlen, dass das Kind dort untergebracht sein kann.

 

R: Geben Sie den Namen und die Adresse des Internats an.

 

BF: Das ist im XXXX . Rayon und die Adresse kann ich nicht mehr angeben.

 

R: Geben Sie den Namen an?

 

BF: Ich weiß die Bezeichnung nicht. Ich weiß nur, dass das im XXXX . Rayon ist.

 

R: Wenn mein Kind 3 Jahre lang in die Schule geht, dann weiß ich doch den Namen der Schule.

 

BF: Es hieß XXXX

 

Befragung des BFA.

 

R: Wurde die BF von männlichen oder weiblichen Einvernahmeleiterin befragt?

 

BehV: Es sind alle 3 Einvernahmen von einer weiblichen Einvernahmeleiterin durchgeführt worden.

 

RV: Bei der ersten beim BAA war es ein Mann.

 

R: Ja, XXXX . Die beiden anderen Einvernahmen waren von Frau XXXX .

 

BehV: Die ganze erste Einvernahme vor dem BAA ist nicht im Bescheid wiedergegeben. Der Bescheid stützt sich nicht darauf, sondern auf die Einvernahmen von den weiblichen Referentinnen.

 

RV: Sie ist Gegenstand des Verfahrens.

 

R: Wurde die BF in Anwesenheit von XXXX befragt oder alleine?

 

BehV: Sie wurde immer alleine befragt [...].

 

R: Was haben Sie getan um die Verwandtschaftsverhältnisse zu prüfen?

 

BehV: Über die Befragung hinausgehende Recherchen wurden nicht gemacht.

 

R: Sie haben aber eine Geburtsurkunde wo die Eltern vom XXXX drinnen stehen, wie sind Sie von der Vertretungsbefugnis ausgegangen?

 

BehV: Die Urkunden wurden erst später vorgelegt. Die vorliegenden waren die Kopien, die zweite nachgereichte am 08.02.2016 Nr. XXXX für XXXX und für XXXX die XXXX .

 

R: Sie haben keine Prüfungen vorgenommen?

 

BehV: Nein.

 

R: Sie hatten auch den Dublin Akt und in XXXX wurde nur 1 Kind als Kind geführt, das hat sie nicht stutzig gemacht?

 

BehV: Nein.

 

R: Haben Sie die polnischen Unterlagen von sich aus angefordert?

 

BehV: Nein.

 

RV: Ist es richtig, dass nicht eruierbar ist, wann die Urkunden im Verfahren vorgelegt wurden?

 

BehV: Momentan nicht. BehV nimmt Einsicht im BFA Akt.

 

R: Ich sehe vor der Bescheiderlassung die Vorlage der Pässe von BF1 und BF2, die Vorlage betreffend die Urkunden der Kinder, erst nach der Bescheiderlassung aber vor Beschwerdeerhebung.

 

R: Was ist mit dem Pass von XXXX ?

 

BehV: Da muss ich mich erkundigen. Ich werde dazu schriftlich Stellung nehmen.

 

RV: Bereits vor den Einvernahmen mit weiblicher Referentin lagen einige Arztbriefe und psychiatrische Stellungahmen vor, aus denen hervorging, dass die BF schwerste Misshandlungen, Vergewaltigungen, sexuelle Gewalt erlebt hat und auch darauf hingewiesen wurde, dass es bei der Befragung hinsichtlich dieser besondere Sorgfalt bedarf. Jedoch ist aus dem Einvernahmeprotokollen ersichtlich, dass eine Befragung im Hinblick auf die in den Befunden erwähnte Vergewaltigung und sexuelle Gewalt vorlag.

 

BehV: Aufgrund von den Befunden wurde das amtswegige psychiatrisches Gutachten erstellt und zwar am 17.11.2013. Innerhalb der Einvernahme und zwar bei jeder der von der weiblichen Referentin geführten Einvernahmen, wurde am Anfang der Einvernahme nach der Gesundheit, nach der Therapie und den Medikamenten gefragt. Zum Fluchtgrund wurde sie mehrmals befragt und zwar einerseits mit dezidierten konkreten Fragen und im freien Fluss und es ist in keiner Antwort auch nicht im Erzählen des Grundes auch nur irgendwie auf die Vergewaltigungen eingegangen worden, sodass die Behörde da jetzt nachfragen hätte müssen. Zuvor ist die BF auf die Mitwirkungspflicht und Wahrheitspflicht aufmerksam gemacht worden und sie hat auch mehrmals innerhalb der Befragung sich immer wieder auf ihren Mann bezogen, der Mann entschied, dass sie ausreisen sollen, sie sei nur da, weil der Mann es wollte. Es ging nicht hervor, dass sie etwas verbirgt, dass sie nicht vorbringen wollte.

 

RV: Warum haben Sie nicht konkret nach der Vergewaltigung gefragt?

 

BehV: So wie sie mir die Einvernahme darstellt, ist der Sachverhalt nach der Einvernahme klar gewesen.

 

RV legt vor: Anmeldebestätigung für Deutschkurs A1 ab 18.02.2019 betreffend BF2, wird in Kopie zum Akt genommen.

 

R: Möchten Sie eine abschließende Stellungnahme abgeben?

 

BehV: Der Bescheid ist 2015 gemacht worden, es ist alles drinnen enthalten, was wir zu dem Zeitpunkt als Sachverhalt hatten die damals aufgekommen sind. Jetzt im Zuge der Beschwerde und Beschwerdeverhandlungen findet auch die Behörde sehr wichtig wegen den beiden Söhnen, die Testung noch einmal von allen 4 Familienmitglieder vorzunehmen und zum Kern des Asylgrundes sehen wir keine Änderung und keine Neuerung.

 

RV: Ich würde gerne anmerken, dass die BF bei den Einvernahmen über das konkrete fluchtauslösende Ereignis im Zusammenhang mit ihren damaligen Mann XXXX berichtet hat. Wie es jedoch aufgrund ihres psychischen Zustands als auch aus Scharm und aufgrund der möglichen weitreichenden Folgen für ihr Familienleben also ihr Kind und vermeintlichen Vater und deren Beziehung, war es ihr nicht möglich dieses Vorbringen früher zu erstatten und es kann daher nicht alleine deshalb als unglaubwürdig angesehen werden, dass die BF dies erst jetzt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgebracht hat.

 

RV: Nach der EGMR-Judikatur sind im Artikel 3 EMRK Verletzungen jedenfalls beachtlich insofern wird das innerstaatliche Neuerungsverbot durchbrochen.

 

BF: Ich bitte Sie sehr, geben Sie uns die Chance hier zu leben, auch wenn wir die einzigen Asylanten hier sein sollten, ich bitte Sie sehr darum.

 

R fragt die BF, ob sie die Dolmetscherin gut verstanden habe; dies wird bejaht.

 

[...]

 

R: Wurde das richtig protokolliert, was Sie vorher angegeben haben?

 

BF: Ja, keine weiteren Anmerkungen."

 

Die Erstbeschwerdeführerin merkte an der Niederschrift folgendes an:

 

"o Zu Seite 10 gebe ich an, dass es nicht der Freund meiner Schwester war, sondern der Bräutigam.

 

o Zu Seite 13 gebe ich an, dass ich mich jetzt erinnert habe, dass der Mann XXXX hieß.

 

o Zu Seite 29 gebe ich an, dass die Tochter in XXXX missverständlich ist, es handelt sich um die Tochter der Pflegemutter.

 

o RV: Zu Seite 20 merken wir an, dass der BF vorgehalten wird, dass Sie in der Beschwerde zunächst angeben hätte, dass Ihre Schwester im Gefängnis serienvergewaltigt worden sei, jedoch auf Seite 6 der Beschwerde vom 11.01.2016 wird angeführt, dass "meine Schwester und ich wurden gefangen genommen und in einem Gefängnis serienvergewaltigt", dass das aber kein Widerspruch ist bzw. dass Sie sich geirrt haben."

 

21. Das Bundesverwaltungsgericht beauftragte mit Beschluss vom 21.02.2019 ein forensisches Abstammungsgutachten zu den Beschwerdeführern sowie XXXX .

 

22. Die Erstbeschwerdeführerin übermittelte mit Schriftsatz vom 07.03.2019 einen gynäkologischen Befund aus dem hervorging, dass die Erstbeschwerdeführerin bereits geboren hatte.

 

23. Gemäß dem Abstammungsgutachten vom 04.04.2019 galt die Mutterschaft der Erstbeschwerdeführerin zum Zweit- und zum Drittbeschwerdeführer als praktisch erwiesen. Die Vaterschaft von

XXXX zu den minderjährigen Beschwerdeführern war mit Sicherheit ausgeschlossen.

 

24. Das Bundesverwaltungsgericht setzte am 15.07.2019 die mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch sowie im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer fort. Das Bundesamt nahm an der Verhandlung nicht teil.

 

Die Befragung der Erstbeschwerdeführerin gestaltete sich wie folgt:

 

"R: Hat sich seit der letzten Verhandlung etwas an Ihren Fluchtgründen geändert?

 

BF: Nein.

 

R: Hat sich seit der letzten Verhandlung etwas an Ihrem Gesundheitszustand geändert?

 

BF: Nein.

 

R: Hat sich seit der letzten Verhandlung etwas in ihrem Privat- und Familienleben geändert?

 

BF: Ich weiß es nicht.

 

R erörtert die Frage.

 

BF: Nein.

 

R: Hat sich seit der letzten Verhandlung etwas Neues betreffend XXXX ergeben?

 

BF: Nein.

 

R: Haben Sie vielleicht neue Zeugnisse, die Sie vorlegen wollen?

 

BFV legt vor:

 

Abschlusszeugnis von XXXX betreffend XXXX . Klasse XXXX (Deutsch, Englisch und Mathematik grundlegende Allgemeinbildung; alle Noten positiv. Er hat die XXXX abgeschlossen)

 

Bestätigung über Schulplatz für XXXX

 

Schulbesuchsbestätigung für XXXX betreffend XXXX . Klasse XXXX als außerordentlicher Schüler. Er wurde nicht beurteilt, hat eine Deutschförderklasse besucht und ist nicht zum Aufsteigen in die nächste Schulstufe berechtigt.

 

Bestätigung des XXXX betreffend XXXX . Er nimmt seit April 2018 traumaspezifische Psychotherapie in Anspruch.

 

Bestätigung des XXXX betreffend XXXX , wonach die BF1 seit Mai 2018 regelmäßig dolmeschgestützte Psychotherapie in Anspruch nimmt.

 

Vier Verschreibungsblätter, wonach die BF1 XXXX verschiedene Psychopharmaka nimmt.

 

Arztbrief vom 21.05.2019 betreffend XXXX , dazu wurde ein XXXX festgestellt. Die OP wurde am Tag davor durch Lokalanästhesie durchgeführt + Röntgenbefund.

 

R: Benötigen Sie auf Grund der XXXX eine Nachbehandlung?

 

BF: Nein.

 

R: Wie behandeln Sie den XXXX?

 

BF: Gar nicht.

 

R: Hat sich seit der letzten Verhandlung etwas Neues betreffend XXXX ergeben?

 

BF: Nein, er ist... Nein.

 

R: Das Gericht ordnete ein forensisches DNA-Gutachten an. Demnach sind Sie die Mutter von XXXX und XXXX . Möchten Sie dazu etwas angeben?

 

BF: Nein.

 

R: Nach demselben Gutachten ist XXXX nicht der Vater von XXXX und XXXX . Möchten Sie dazu etwas angeben?

 

BF: Nein.

 

R: Laut Strafakt nennt XXXX / XXXX XXXX durchgehend XXXX . Warum?

 

BF: XXXX ?

 

R erörtert die Frage.

 

BF: Ich weiß nicht, warum.

 

R: Wie heißt der BF2, XXXX oder XXXX ?

 

BF: XXXX .

 

BFV: Haben Sie Kontakt mit Ihrer Pflegeschwester XXXX ?

 

BF: Ja, schon. Manchmal kontaktiert sie mich, aber nicht immer. Einmal in zwei Monaten oder so, aber sie wechselt immer die Telefonnummer und ich kann sie nicht zurückrufen. Ich warte immer bis sie mich kontaktiert.

 

BFV: Wissen Sie, ob der Mann XXXX noch beim Militär ist?

 

BF: Ich glaube nicht, alle Telefonate werden in XXXX abgehört, solche Sachen darf man daher am Telefon nicht besprechen. Alle haben dort große Angst.

 

BFV: Hat Ihnen Ihre Pflegemutter erzählt, ob nach Ihrer Flucht aus XXXX einmal nach Ihnen gefragt wurde?

 

BF: Ja, es kommen immer Frauen, die sich als meine Freundinnen vorstellen. Sie sagen, dass ich ihnen Geld schulde und es ihnen zurückgeben muss.

 

BFV: Sie haben angegeben, dass der Freund Ihrer Schwester Ihnen einen Führerschein verschafft hat. Handelt es sich dabei um den Freund Ihrer Schwester XXXX oder XXXX ?

 

BF: Den Freund von XXXX .

 

BFV: Wie haben Sie die Situation als XXXX in XXXX und XXXX , wo Sie Ihren Angaben zu Folge auch gearbeitet haben, empfunden?

 

BF: Wie soll ich das erklären?

 

BFV: Haben Sie die Situation als gefährlich empfunden?

 

BF: Natürlich war das gefährlich, dort sind XXXX verboten. Offiziell sind das auch keine XXXX , aber es kommen dort alle hin und es gibt einen Leiter, es gibt dort ein Caféhaus und einzelne Zimmer und es gibt auch Saunen. Es werden dort nur sehr junge Frauen arbeiten, bis sie 25 Jahre alt werden, dann nicht mehr. Es wäre sehr gefährlich, wenn jemand offiziell darüber eine Nachricht übergeben hätte und wir dort ergriffen worden wären.

 

BFV: Haben Sie im Zuge Ihrer Arbeit als XXXX Misshandlungen erlitten?

 

BF: Ja, sicher. Sie haben mich auch früher gefragt, warum ich weine. Dort ist es nicht so, wie hier. Hier ist es in Ordnung, dass es die XXXX gibt. Ein Mann hatte z.B. einen sehr kleinen Penis und konnte ihn nicht zur Erektion bringen und hat mich gezwungen, alles Mögliche zu tun. Er war sehr nervös und ist fast durchgedreht und dann war sehr sauer und wütend. (Im Rahmen der Rückübersetzung: Er hat mich geschlagen, ich habe hier eine Narbe (BF zeigt zwischen Augenbraue und Haaransatz rechts)

 

R: Wann war das?

 

BF: Das war vor dem Tod meiner Schwester, vor 2008.

 

R: Bis wann haben Sie als XXXX gearbeitet?

 

BF: Wie meinen Sie das?

 

R: Wann haben Sie damit aufgehört oder gehen Sie diesem Erwerb immer noch nach?

 

BF: Während der Schwangerschaft habe ich aufgehört.

 

R: Der ersten oder der zweiten?

 

BF: Der zweiten.

 

R: Warum haben Sie das nicht bereits früher vorgebracht, das Verfahren dauert schon sechs Jahre?

 

BF: Ich habe das erst vor Kurzem verstanden, dass ich das sagen sollte. Ich wusste das nicht.

 

BFV: Haben Sie heute alle Ihre verordneten Medikamente eingenommen?

 

BF: Nein.

 

R: Warum nicht?

 

BF: Weil die Arzneimittel zu Ende sind. Ich bin in der Früh zur Beraterin gegangen und sie sagte, dass sie bis zum Abend die Arzneimittel beschaffen wird, aber ich habe noch genügend Arzneimittel mit.

 

[BFV]: Wir hatten letzte Woche ein Vorbereitungstreffen, da haben Sie mir gesagt, dass Sie am Tag der Vorbereitung Ihre Medikamente nicht eingenommen haben, weil Sie ansonsten so benommen sind, dass Sie nicht alles erzählen können, was Sie wollen. Können Sie mir das beschreiben?

 

BF: Wenn ich die Tabletten nehme, geht es mir schlecht und mir ist alles egal. Ich kann auch jetzt nicht alles sagen, was ich fühle. Ich kann Ihnen das Bild, das ich in mir trage, nicht weitergeben.

 

R: Ich gehe davon aus, dass wenn die Psychotherapeutin sagt, dass Sie einvernahmefähig sind, davon ausgeht Sie, die Ihnen verordneten Medikamente genommen haben und die Einvernahmefähigkeit trotzdem vorliegt.

 

BFV: Die Psychotherapeutin hat mit der Verschreibung der Medikamente nichts zu tun. Dies erfolgt durch einen Psychiater.

 

R: Gehen Sie davon aus, dass die Psychotherapeutin keine Ahnung hat, welche Medikamente die BF1 nimmt?

 

BFV: Das entzieht sich meiner Erkenntnis. Ich möchte anmerken, dass die Psychotherapeutin kein Gutachten betreffend die Einvernahmefähigkeit erstellt hat, sondern mir gegenüber lediglich auf Grund ihrer Wahrnehmungen in den Therapiesitzungen ihre Einschätzung mitgeteilt hat, dass trotz der schwierigen psychischen Situation eine Befragung vermutlich möglich ist.

 

BFV: Hat XXXX derzeit Kontakt zu Ihren Kindern?

 

BF: Ja.

 

BFV: Möchten Sie, dass dieser Kontakt auch in Zukunft besteht?

 

BF: Ja. Wissen Sie warum? Weil ich ihn ungesetzlich geboren habe. Wenn meine Söhne das erfahren werden, werden sie mir das nicht verzeihen. Wir können nicht einmal hier leben, wenn diese Information weitergegeben wird. Bei uns ist das nicht möglich. Bei uns gibt es ein Schariagericht, das sich mit solchen Fällen beschäftigt. Das ist eine Schande. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das erklären soll. Man wird uns das immer ins Gesicht sagen, aber Sie wissen das wahrscheinlich; Sie kennen unsere Kultur und unsere muslimischen Gesetze."

 

Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer erstattete die folgende Stellungnahme:

 

"Der BF1 droht in erster Linie Verfolgung durch XXXX , da die BF1 das Kind XXXX seiner Verfügungsgewalt entzogen hat und aus der Gefangenschaft geflohen ist. XXXX hat bereits die Drohung ausgesprochen, dass die BF1 - wie ihre Schwester - sterben werde, wenn sie nicht kooperiert (Seite 28 NS 21.02.2019). Weiter droht der BF1 Verfolgung auf Grund des Naheverhältnisses und als ehemalige Ehefrau von XXXX . Ein weiterer Verfolgungsgrund ist die Gefahr der Blutrache in Hinblick auf den Sohn XXXX , der von einem XXXX abstammt. Weiter droht der BF1 als Zugehörige zur sozialen Gruppe der ehemaligen XXXX Verfolgung durch staatliche Behörden. Diesbezüglich ist auch auf die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 22.10.2015 zu XXXX zu verweisen. Die BF1 gehört zu dem der Risikogruppe, der im Ausland abgelehnten Asylwerbern an, die im Falle der Wiedereinreise in die russische Föderation besondere Aufmerksamkeit bei Behörden erfahren. Dass es bei dieser Personengruppe regelmäßig zu dokumentierten Fällen von Entführungen, Folter und Ermordungen kommt, ist bspw. der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 31.05.2016 zur Lage von Personen, die nach negativen Asylbescheid zurückgekehrt sind, zu entnehmen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch ein Verwandter der BF1 in Österreich Asyl erhalten hat, nämlich der Onkel XXXX . Dass die BF1 zum Zeitpunkt der Flucht verfolgt wurde und ihr Reisepass nur durch Bestechung erwirkt werden konnte, ergibt sich auch daraus, dass XXXX nicht als Kind im Reisepass vermerkt ist, obwohl die Mutterschaft der BF1 (auch in XXXX ) unstrittig ist. Dass es für die BF1 keine Rückkehroption zur Pflegemutter oder deren Verwandten gibt, ergibt sich auch daraus, dass diese Angst vor einer Verfolgung haben, weshalb die BF1 in den letzten Jahren vor der Flucht auch nicht bei diesen leben konnte (siehe Seite 29 NS 21.02.2019). Das sich bei einer Verfolgung durch Behördenvertreter oder diesen nahestehenden Personen keine IFA in XXXX bzw. der gesamten Russischen Föderation ergibt, ist nachfolgendem Erkenntnis zu entnehmen: BVwG vom 25.01.2018 W196 2011006-1, sowie BVwG vom 05.06.2016 zu W215 1435187-1. Hinsichtlich der Rückkehrsituation der Kinder wird angeben, dass sich XXXX nicht mehr im anpassungsfähigen Alter befindet, er schlecht Russisch spricht und ab Herbst einen Schulplatz in einer XXXX Schule hat. Für XXXX ist ein sicheres und stabiles Umfeld wichtig, insbesondere nach den sexuellen Übergriffen, wegen derer er sich in psychotherapeutischer Behandlung befindet. Er hat fast sein ganzes Leben in Österreich gelebt. Die Familie ist derzeit in ein enges Betreuungsnetzwerk eingebunden. Auf Grund des erhöhten Betreuungsbedarfs befinden sie sich in einer entsprechenden Unterkunft. Die BF1 wird bei der Wahrnehmung Ihrer ärztlichen Termine unterstützt und ihr Medikamentenmanagement wird von der Betreuung übernommen. Am 31.07.2019 findet bei XXXX ein Termin zur aktuellen Befundung zum Gesundheitszustand der BF1 statt. Abschließend wird die Einvernahme der Zeugin Frau Mag. XXXX , Psychotherapeutin der BF1, zum Beweis dafür, dass sich der Gesundheitszustand der BF1 bei einer Abschiebung irreversibel und lebensbedrohlich verschlechtern würde, beantragt. Die BF1 wird die Zeugin von Ihrer Verschwiegenheitspflicht entbinden. Ladungsadresse:

XXXX .

 

R: Warum wird der Antrag erst jetzt gestellt?

 

BFV: Weil sich der Gesundheitszustand laut dem aktuellem Telefonat mit der Therapeutin letzter Woche stark verschlechtert hat.

 

R: Können Sie das belegen?

 

BFV: Durch die Einvernahme der Zeugin.

 

R: Warum wurde die Zeugin nicht stellig gemacht, es handelt sich bereits um den dritten Verhandlungstermin in diesem Verfahren.

 

BFV: Dies wäre auf Grund der Kurzfristigkeit und der therapeutischen Verpflichtungen von Mag. XXXX nicht möglich gewesen.

 

R: Können Sie einen schriftlichen Befund vorlegen, da die BF in kontinuierlicher psychotherapeutischer Behandlung steht, muss ein solcher ja vorliegen (siehe Bestätigung vom 10.07.2019).

 

BFV: Nach Erhalt der Ladung wurde mit XXXX Kontakt aufgenommen, um eine Therapiebestätigung und einen aktuellen Befundbericht für die Verhandlung gebeten. Die Therapiebestätigung konnte zeitgerecht ausgestellt werden. Als ehestmöglicher Termin für eine Befundung wurde Seitens XXXX der 31.07.2019 genannt. Alle Vorkehrungen für eine Befundung an diesem Tag wurden getroffen.

 

R: Die Ladung wurde am 13.06.2019 zugestellt. Ich kann daher nicht sehen, dass Sie nicht innerhalb dieses Monats den Befund vorlegen konnten, zumal sich die BF in laufender Behandlung befindet."

 

Nach Schluss der Verhandlung verkündete die Richterin das Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG und erteilte Rechtsmittelbelehrung.

 

Das Protokoll der Verhandlung wurde den Beschwerdeführern sowie der Rechtsvertreterin im Anschluss an die Verhandlung persönlich übergeben, dem Bundesamt am folgenden Tag elektronisch zugestellt.

 

25. Die Beschwerdeführer beantragten mit Schreiben vom 16.07.2019 die schriftliche Ausfertigung des am 15.07.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses, dieser wurde dem Bundesamt zugestellt.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

 

1.1.1. Die Identität der Beschwerdeführer stand nicht fest.

 

Die Erstbeschwerdeführerin war ledig und Mutter des Zweit- und Drittbeschwerdeführers; sie war deren gesetzliche Vertreterin. XXXX war nicht der Vater des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers. Es konnte nicht festgestellt werden, wer der Vater der minderjährigen Beschwerdeführer war. Die Erstbeschwerdeführerin gab im verwaltungsbehördlichen Verfahren wissentlich falsch XXXX als Vater ihrer Kinder und XXXX als XXXX aus und verwendete fremde Dokumente zum Nachweis ihrer Identität sowie eine notarielle Beglaubigung falschen Inhalts.

 

Die Erstbeschwerdeführerin war Staatsangehörige der RUSSISCHEN FÖDERATION, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekannte sich zum muslimischen Glauben. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin war Tschetschene, ihre Mutter Russin. Die Erstbeschwerde-führerin wurde in XXXX in XXXX geboren und wuchs dort mit ihrer Schwester bei einer Pflegemutter und deren Tochter in einem Haus in XXXX in der XXXX auf, welches der Pflegefamilie der Erstbeschwerdeführerin von Präsident XXXX annähernd kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Es konnte nicht festgestellt werden, dass das Haus abgebrannt war, es stand vielmehr leer.

 

Die Erstbeschwerdeführerin sprach Russisch und Tschetschenisch; sie besuchte zumindest XXXX lang die Schule im Herkunftsstaat und bestritt ihren Lebensunterhalt als XXXX und durch XXXX . Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin in einem XXXX gearbeitet hat oder sonst als XXXX gearbeitet hat.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin 2003/2004/während sie mit dem Zweitbeschwerdeführer schwanger war, XXXX heiratete, der wegen Raubes verurteilt wurde und seit 15.10.2006 eine Haftstrafe verbüßte.

 

Die Beschwerdeführer lebten seit der Haftentlassung von XXXX am XXXX 2009 zusammen mit diesem und der Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin in XXXX im Haus von XXXX in der XXXX . Er bestritt den Lebensunterhalt durch XXXX . Sie arbeitete in dieser Zeit nicht. Es konnte nicht festgestellt werden, dass sie nach seiner Haftentlassung an verschiedenen Adressen lebte und immer wieder umgezogen ist.

 

Der Zweitbeschwerdeführer besuchte in der Russischen Föderation eine Privatschule und lebte in einem Internat.

 

1.1.2. Die Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin bestritt ihren Lebensunterhalt durch eine staatliche Pension und arbeitete nebenbei XXXX . Sie lebte nach wie vor im Haus von XXXX in XXXX in der XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin hatte ein gutes Verhältnis zu ihrer Pflegemutter und deren Tochter und stand auch von Österreich aus ständig in Kontakt mit ihnen.

 

Die Schwester der Beschwerdeführerin, XXXX , ist gestorben. Die Umstände des Todes können nicht festgestellt werden.

 

XXXX , die (Pflege‑)Schwester der Erstbeschwerdeführerin, war mit

XXXX verheiratet, diese hatten drei Kinder XXXX , XXXX und XXXX . Die Familie lebte in XXXX , XXXX war Beamter beim MILITÄR. XXXX arbeitete am XXXX und betrieb aktuell eine große XXXX in XXXX . Finanziell ging es ihnen sehr gut.

 

Die Erstbeschwerdeführerin hatte sieben Onkel und Tanten väterlicherseits, die alle in XXXX lebten, zu denen sie aber wenig Kontakt hatte, und eine Tante namens XXXX mütterlicherseits in XXXX , 5h außerhalb von XXXX .

 

Ihre Pflegemutter hatte vier Brüder und zwei Schwestern. Der Pflegeonkel XXXX lebte seit mit seiner Gattin und ihren sieben Kindern in XXXX als anerkannter Flüchtling. Onkel XXXX war verschwunden. Seine Witwe XXXX hatte zwei Kinder und lebte in zweiter Ehe in XXXX . Onkel XXXX war ebenfalls verschwunden, seine Witwe XXXX und die drei Kinder lebten in XXXX , sie wurden vom Geliebten der Witwe versorgt. Der Onkel XXXX war verschwunden. Seine Witwe XXXX lebte mit den vier Kindern nach zweiter Ehe in verschiedenen Beziehungen.

 

1.1.3. Bei der Erstbeschwerdeführerin lag im Zulassungsverfahren keine krankheitswertige psychische Störung vor. Während des Verfahrens litt sie an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion in Zusammenhang mit dem offenen Asylverfahren, den derzeitigen Lebensumständen und der psychosozialen Situation. Sie litt auch 2019 noch an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Eine massive Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustandes konnte nicht festgestellt werden. Die Erstbeschwerdeführerin befand sich in Psychotherapie und nahm XXXX Psychopharmaka ein; sie war aussagefähig. Im Falle der Rückkehr konnte es zu einer kurz- bis mittelfristigen Verschlechterung des Zustandes kommen, aber zu keiner realen Gefahr, dass sie in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte.

 

Im Herkunftsstaat wurde sie wegen XXXX - und XXXX schmerzen behandelt, in Österreich wegen eines XXXX ; aus diesem Grund bedurfte sie keiner Nachbehandlung. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie an XXXX litt.

 

Die Erstbeschwerdeführerin war arbeitsfähig.

 

Der Zweitbeschwerdeführer hatte XXXX und war bereits in XXXX in Behandlung.

 

Der Drittbeschwerdeführer hatte bei der Geburt einen XXXX , war in XXXX schon in Behandlung und bedurfte aus diesem Grund in Österreich keiner Behandlung mehr. Er litt seit den polizeilichen Ermittlungen an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit leicht depressiver Episode.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

 

1.2.1. Die Erstbeschwerdeführerin reiste wegen XXXX aus, sie hatte keine eigenen Probleme. Sie reiste aus, weil XXXX dies beschloss.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass XXXX beim Militär war und im XXXX 2013 von Militärangehörigen mitgenommen wurde. Es konnte nicht festgestellt werden, dass im Februar 2013 mehrere russischsprachige Männer zur Erstbeschwerdeführerin nach Hause kamen und nach ihrem Lebensgefährten fragten, sie mitnahmen und sie folterten, dass sie danach noch einmal kamen und ihr Haus anzündeten und sie und ihre Mutter dabei auch vergewaltigten.

 

1.2.2. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin und ihre Schwester gefangen genommen und im Gefängnis serienvergewaltigt wurden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin vom militärischen Stab auf einem Stützpunkt vergewaltigt wurde. Es konnte nicht festgestellt werden, dass sie in ihrem Herkunftsstaat vielen schlimmen sexuellen Übergriffen der Soldaten in ihrem Heimatort ausgesetzt war.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Schwester der Erstbeschwerdeführerin 2008 nach einem Anruf das Haus verließ, nicht mehr nach Hause kam, getötet wurde und von der Erstbeschwerdeführerin im Leichenschauhaus identifiziert wurde. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin in der Russischen Föderation einer Verfolgung durch den angeblichen Mörder ihrer Schwester ausgesetzt war.

 

1.2.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin ca. 2002 mit XXXX Jahren einen XXXX heiratete, der sich als Polizist ausgab und ca. 6 Monate später getötet wurde; dass die Erstbeschwerdeführerin danach die Waffen ihres Ehemannes versteckte und dass danach nach ihr gesucht wurde, konnte ebenso nicht festgestellt werden. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin in der Russischen Föderation nach dem Tod ihres Mannes einen Selbstmordanschlag verüben wollte.

 

Selbst wenn dieses Vorbringen zugetroffen hätte, war sie aus diesem Grund keiner Verfolgung mehr ausgesetzt.

 

Es drohte ihr keine Blutrache im Hinblick auf den Zweitbeschwerdeführer wegen dessen Abstammung von einem XXXX .

 

1.2.4. Die Erstbeschwerdeführerin war in der Russischen Föderation nicht politisch tätig, nach ihr wurde nicht gefahndet, sie war nicht Mitglied einer Organisation, hatte im Herkunftsstaat keine Probleme wegen ihres Religionsbekenntnisses, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder durch Privatpersonen. Sie war auch an keinen bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich den XXXX beitrat.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin diskriminiert wurde, weil ihr Vater Tschetschene war und ihre Mutter Russin.

 

Den Beschwerdeführern drohte im Falle der Rückkehr in die RUSSISCHE FÖDERATION weder von staatlicher Seite noch durch Privatpersonen Verfolgung wegen ihrer Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit.

 

1.2.5. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Drittbeschwerdeführer der Sohn des Abgeordneten XXXX alias XXXX war und die Erstbeschwerdeführerin im Falle der Rückkehr umgebracht würde, weil sie mit ihm ausgereist war; es konnte nicht festgestellt werden, dass sie vor XXXX alias XXXX geflohen war.

 

Ihr drohte keine Verfolgung als Zugehörige zur sozialen Gruppe der ehemaligen XXXX .

 

1.2.6. Die minderjährigen Beschwerdeführer waren im Herkunftsstaat keiner Gefährdung ausgesetzt.

 

1.2.7. Den Beschwerdeführern drohte im Falle der Rückkehr in die RUSSISCHE FÖDERATION keine Verfolgung wegen ihres Antrags auf internationalen Schutz in Österreich und/oder wegen ihres Aufenthalts außerhalb der RUSSISCHEN FÖDERATION.

 

Der Erstbeschwerdeführerin drohte im Falle der Rückkehr in die RUSSISCHE FÖDERATION keine Verfolgung wegen der Asylgewährung an ihren Onkel XXXX .

 

1.2.8. Die Beschwerdeführer reisten im MAI 2013 legal mit INLANDSund AUSLANDSREISEPASS aus der Russischen Föderation aus und illegal in XXXX ein. Probleme bei der Ausreise aus der Russischen Föderation gab es nicht. Der Beschwerdeführerin wurde am 08.05.2013 in XXXX ein neuer Inlandsreisepass ausgestellt; sie reiste mit dem Zug aus, wobei die Tickets auf Namen gekauft werden müssen. Sie stellten am 13.05.2013 Anträge auf internationalen Schutz in XXXX , warteten aber Ihr Verfahren nicht ab und reisten nach Österreich weiter. Sie reiste unrechtmäßig nach Österreich weiter.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin erst in XXXX von im Dublin-Verfahren überstellten Asylwerbern erfahren hat, dass XXXX in Österreich ist.

 

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:

 

Die Beschwerdeführer konnten in die RUSSISCHE FÖDERATION in ihre Heimatstadt in XXXX zurückkehren oder in einen anderen Landesteil ziehen, zB nach XXXX , wo die Tante mütterlicherseits der Erstbeschwerdeführerin lebte. Alle drei Beschwerdeführer sprachen die Landessprachen Russisch und Tschetschenisch, die minderjährigen Beschwerdeführer wurden im Rahmen der russischen bzw. tschetschenischen Tradition sozialisiert. Die Beschwerdeführer verfügten in XXXX über ein familiäres Netz - insbesondere die Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin, ihre (Pflege‑)Schwester und Onkel und Tanten väterlicherseits. Die Beschwerdeführer konnten - wie bereits vor ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation - gemeinsam mit der Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin im Haus von XXXX wohnen. Der Familie drohte keine Obdachlosigkeit. Die Erstbeschwerdeführerin konnte aufgrund ihrer Schulbildung und beruflichen Erfahrung durch Erwerbstätigkeit die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse für sich und ihre Kinder befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Erstbeschwerdeführerin konnte selbst für ihr Auskommen und Fortkommen sowie für das ihrer Kinder sorgen. Zudem konnte die Erstbeschwerdeführerin wie vor der Ausreise auf die Unterstützung im Familienverband zurückgreifen, der ihr auch bei der Besorgung von Dokumenten (Führerschein, Inlandsreisepass, Geburtsurkunde) und der Ausreise behilflich war. Darüber hinaus konnten ihre Verwandten, insbesondere die Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin sowie ihre (Pflege‑)Schwester falls erforderlich bei der Betreuung ihrer Kinder helfen. Darüber hinaus konnte sie das Sozialsystem der RUSSISCHEN FÖDERATION in Anspruch nehmen.

 

Die Existenz des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers war über ihre Mutter gesichert.

 

Die Beschwerdeführer litten an keinen schweren physischen oder psychischen akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, die eine Rückkehr in die RUSSISCHE FÖDERATION iSd Art. 3 EMRK unzulässig gemacht hätten.

 

1.4. Zur Situation der Beschwerdeführer in Österreich:

 

1.4.1. Die Beschwerdeführer reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 31.05.2013 im Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden nach der Ablehnung XXXX in Österreich zugelassen. Mit Bescheiden vom 28.12.2015, der Erstbeschwerdeführerin zugestellt am 30.12.2015 durch Hinterlegung, wies das Bundesamt die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf den Status von Asylberechtigten, als auch den Status von subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist und räumte ihnen eine Frist für die freiwillige Ausreise von ZWEI Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ein. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 11.01.2016 rechtzeitig und zulässig Beschwerde. Seit Zulassung ihrer Verfahren verfügten sie über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Rahmen des Asylverfahrens. Die Beschwerdeführer verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens.

 

1.4.2. Die Erstbeschwerdeführerin sprach nicht Deutsch und hatte in Österreich keine Bildungsmaßnahmen ergriffen. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt durchgehend durch die Grundversorgung und machte Remunerationstätigkeiten im Rahmen der Grundversorgung. Sie putzte überdies bei Pensionistinnen und bekam von diesen Geld dafür; sie arbeitete nicht auf der Basis von Dienstleistungscheques.

 

Sie hatte eine Freundin in XXXX , die XXXX hieß. Darüber hinaus hatte die Erstbeschwerdeführerin in Österreich keine Freundschaften geschlossen.

 

1.4.3. Der (Pflege‑)Onkel der Erstbeschwerdeführerin XXXX lebte seit XXXX in Österreich. Die Erstbeschwerdeführerin besuchte ihren (Pflege‑)Onkel XXXX in XXXX gelegentlich; die Beschwerdeführer lebten mit diesem nicht im gemeinsamen Haushalt. Zwischen diesem und den Beschwerdeführern bestand weder ein finanzielles noch ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis.

 

1.4.4. Die Beschwerdeführer lebten mit XXXX zusammen in einem Grundversorgungsquartier der XXXX in XXXX . Seit JUNI 2014 lebten die Beschwerdeführer 1 Monat in XXXX , danach zogen sie für zwei Jahre nach XXXX zurück. Im Juli 2016 zogen Sie in ein privates Quartier in XXXX , im November 2016 nach XXXX , drei Wochen später nach XXXX , wobei nicht festgestellt werden konnte, dass die Beschwerdeführer an diesen Adressen tatsächlich lebten, acht Monate später nach XXXX in ein Grundversorgungsquartier, 9 Monate später nach XXXX , zuletzt nach XXXX .

 

Die Kinder- und Jugendhilfe der XXXX führte ab 30.01.2014 auf Gefährdungsmeldung der XXXX hin eine Gefährdungsabklärung durch, die wegen Verzugs der Beschwerdeführer nach XXXX abgeschlossen wurde; die Akten wurden nicht nach XXXX übermittelt; er konnte nicht mehr ausgehoben werden. Der Jugendwohlfahrt in XXXX waren die Beschwerdeführer nicht bekannt. Es gab keine häusliche Gewalt, keine Wegweisung und kein Betretungsverbot. Die Erstbeschwerdeführerin war auch kein Opfer von Menschenhandel. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer war nie geduldet.

 

XXXX lebte jedenfalls seit mindestens DREI Jahren nicht mehr mit den Beschwerdeführern zusammen und leistete ihnen auch keinen Unterhalt. Er war nicht obsorgeberechtigt, die Kinder lebten nicht bei ihm.

XXXX verbrachte manchmal Nachmittage oder in den Ferien eine Woche mit den minderjährigen Beschwerdeführern, wobei XXXX nicht viel Interesse an einer Beziehung zu XXXX hatte; eine intensive Beziehung der minderjährigen Beschwerdeführer zu XXXX bestand nicht. Auch im Verfahren von XXXX wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Beziehung der minderjährigen Beschwerdeführer zu ihm konnte im selben Ausmaß wie aktuell in der Russischen Föderation fortgesetzt werden.

 

1.4.5. Der XXXX jährige Zweitbeschwerdeführer besuchte in Österreich die XXXX schule und schloss diese im JUNI 2019 erfolgreich ab. Er sprach tschetschenisch, deutsch und russisch. Er absolvierte Deutsch, Englisch und Mathematik nur mit dem Zusatz "grundlegende Allgemeinbildung" bzw. 3. Leistungsgruppe. In der Freizeit las er und spielte mit dem Handy.

 

1.4.6. Der XXXX jährige Drittbeschwerdeführer besuchte in Österreich den Kindergarten, die XXXX schule und die XXXX schule . Er sprach tschetschenisch, deutsch und russisch. In der Freizeit las er und spielte mit dem Handy. Er war 2017/2018 außerordentlicher Schüler in der XXXX schule. Er besuchte 2018/2019 als außerordentlicher Schüler die XXXX Klasse XXXX schule, wurde aber nicht beurteilt und war zum Aufstieg in die nächste Klasse nicht berechtigt. Er hatte deutliche Entwicklungsrückstände im Bereich Sprache und Aufmerksamkeit.

 

XXXX wurde in Österreich nicht sexuell missbraucht. Das Strafverfahren gegen XXXX wurde eingestellt.

 

1.4.7. Die Beschwerdeführer stellten am 22.01.2015 Anträge auf unterstützte freiwillige Rückkehr in die Russische Föderation, weil die Beziehung zu XXXX nicht gut war und die Erstbeschwerdeführerin nur mehr mit den Kindern nach XXXX zurückkehren wollte; sie hätte bei Verwandten wohnen können, die Pflegemutter und die (Pflege‑)Schwester hätten für sie gesorgt. Zudem beantragte Sie Reintegrationshilfe für die Eröffnung einer XXXX . In der Einvernahme am 16.12.2015 widerrief sie unbegründet den Antrag auf freiwillige Rückkehr mit der Begründung, sie wolle hierbleiben.

 

1.4.9. Die Beschwerdeführer waren in Österreich strafrechtlich unbescholten.

 

1.5. Die allgemeine Lage in der Russischen Föderation stellt sich im Übrigen wie folgt dar:

 

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom 31.08.2018; letzte Kurzinformation eingefügt am 12.11.2018

 

Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

 

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt.

 

Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5 .2018b).

 

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5 .2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

 

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rechtsschutz / Justizwesen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

 

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

 

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

 

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

 

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

 

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

 

Kurzinformation vom 12.11.2018

 

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013):

Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunterfällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 21.5.2018). Der Konflikt im Nordkaukasus zwischen Regierungskräften, Aufständischen, Islamisten und Kriminellen führt zu vielen Menschenrechtsverletzungen, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen und daher auch zu einem generellen Abbau der Rechtsstaatlichkeit. In Tschetschenien werden Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitsbehörden mit Straffreiheit begangen (US DOS 20.4.2018, vgl. HRW 7.2018, AI 22.2.2018).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB, das Untersuchungskomittee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 20.4.2018).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 20.4.2018).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 21.5.2018).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnenderweise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramzan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramzan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018). Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Von Seiten des tschetschenischen MVD [Innenministerium] sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Einrichtung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hatte angeblich 9.000 Angehörige. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramzan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ersuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch "ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden "unantastbaren Polizeieinheiten" zu tun haben" (EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Korruption

 

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen sowie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).

 

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert, um sich selbst zu bereichern (FH 1.2018).

 

Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, die Regierung bestätigt aber, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind. Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 20.4.2018, vgl. EASO 3.2017). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (US DOS 20.4.2018).

 

Korruptionsbekämpfung gilt seit 2008 als prioritäres Ziel der Zentralregierung. Bis 2012 wurde die dafür notwendige Gesetzesgrundlage geschaffen. Beispielsweise wurden die Sanktionen festgelegt. Aufsichtsbehörden erhielten mehr Befugnisse, darunter die Finanzkontrolle, die Generalstaatsanwaltschaft und der Geheimdienst (FSB). Es wurden vermehrt Überprüfungen eingeleitet. In der Folge stieg die Anzahl der Strafverfahren. Zu Beginn richteten sie sich hauptsächlich gegen untere Chargen, seit 2013 jedoch auch gegen hochrangige Beamte und Politiker, wie einzelne Gouverneure, regionale Minister und stellvertretende föderale Minister und einen früheren Verteidigungsminister. Positiv bewertete die russische Zivilgesellschaft die 2009 geschaffenen Gesetze, welche die staatlichen Behörden und die Justiz verpflichteten, über ihre Aktivitäten zu informieren. Im Zusammenhang mit der Korruptions-Bekämpfung entstanden zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die ab 2011 einen gewissen Einfluss auf die Arbeit der Behörden ausüben konnten und erreichten, dass das Handeln von Dienststellen und Gerichten teils transparenter wurde. In einzelnen Bereichen der Verwaltung wurde die Korruption reduziert, oft abhängig von einzelnen integren und innovativen Führungsfiguren. Beobachter sind sich jedoch einig, dass sich die Situation nicht substantiell verbessert hat. Am endemischen Charakter der Korruption in der Verwaltung hat sich bisher nichts geändert. Das gilt auch für das Justizsystem und für die Polizei, die 2011 reformiert wurde. Die Gründe für den Misserfolg sind vielschichtig. Auf höchster Ebene scheint die russische Führung kein echtes Interesse an der Korruptions-Bekämpfung zu haben, da sie selber vom korrupten System profitiert. Externe Beobachter kritisieren, der Kreml nutze Anti-Korruptions-Maßnahmen, um Gegner zu schwächen und die Elite zu kontrollieren. Aufsehenerregende Fälle dienten dazu, die Popularität des Präsidenten in der Bevölkerung zu stärken. Im Verwaltungsapparat sind die konkreten Regeln zur Korruptionsbekämpfung unterentwickelt, es fehlen zum Beispiel Mechanismen zur Integritätsprüfung der Mitarbeiter/innen. Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind laut BTI zwar oft mit kompetenten Personen besetzt, es fehlen ihnen jedoch die Kompetenz und die Ressourcen, um effektiv zu handeln. Laut Elena Panfilova, ehemalige Direktorin von Transparency International Russland, herrscht unter russischen Beamten und dem Justizpersonal kein Verständnis für die Problematik von Interessenskonflikten, vielmehr scheinen verwandtschaftliche und freundschaftliche Gefälligkeiten wichtiger als die berufliche Integrität. Durch korrupte Praktiken sind Abhängigkeiten zwischen Mitarbeiter/innen, zwischen Personen in verschiedenen Hierarchiestufen und zwischen Institutionen entstanden. Solche "verfilzten Strukturen" blieben völlig unkontrolliert und weil jeder jeden deckt, ist eine systematische Aufarbeitung kaum möglich. In der Verwaltung werden deshalb im Vergleich zur Anzahl der Staatsangestellten relativ wenige Strafverfahren wegen Korruption eingeleitet, auch weil die Gerichte selber korruptionsanfällig sind. Zu Schuldsprüchen kommt es selten, wenn doch, ist das Strafmaß vielfach gering oder wird insbesondere bei hohen Geldbußen nicht vollstreckt. Auf weitere Institutionen, die zur Korruptionsbekämpfung notwendig sind - unabhängige Gerichte, freie Medien und die Zivilgesellschaft - wird vermehrt Druck ausgeübt. Auch im Nordkaukasus beschränken sich Anti-Korruptionskampagnen vor allem auf einzelne aufsehenerregende Festnahmen von Beamten. Es ist davon auszugehen, dass Ramzan Kadyrow Korruptionsbekämpfung dazu nutzt, um gegen unliebsame Personen vorzugehen. Die tschetschenische Staatsanwaltschaft bestätigt 2014, dass es in Anbetracht des Ausmaßes des Problems zu vergleichsweise wenigen Strafverfahren kommt. Und diese endeten oft ohne Schuldspruch. Häufig betreffen sie Alltagskorruption, das heißt, die unteren Chargen der Verwaltung. Laut Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, befragt durch ICG, sind die Polizisten, die in Korruptionsfällen ermitteln, selber korrupt. Um gegen Korruption innerhalb der Polizei vorzugehen, wurden die Löhne erhöht. Die erforderliche Summe, um eine Stelle bei der Polizei zu erhalten, blieb jedoch derart hoch, dass die Abhängigkeit von informellen Zahlungen weiterhin bestand. Die Lohnerhöhungen brachten deshalb keine substantiellen Verbesserungen. Eine Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ist in Tschetschenien noch weniger gegeben als im übrigen Russland, da Nichtregierungsorganisationen seit Jahren stark unter Druck stehen und die Bevölkerung tendenziell versucht, jeglichen Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (SEM 15.7.2016).

 

Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 7.2018a).

 

Korruption ist vor allem in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete der "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland. In der Folge wird der Rechtsstaat unterlaufen und der Zugang zum Gesundheitswesen - außer der Notfallversorgung - hängt zu einem großen Teil von den finanziellen Mitteln der Patienten und ihres sozialen Umfeldes ab (SEM 15.7.2016).

 

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018).

 

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018). Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland ist derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt. Laut einer Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%). Der Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Unter Druck steht auch die Freiheit der Kunst, wie etwa die jüngsten Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. (AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Die unabhängige Novaya Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien herausgebracht werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ende 2015 wurden nach Angaben von Memorial mehrere hundert Menschen aufgrund oberflächlicher "Verdachtsmerkmale" wie zu kurzer Bärte tagelang in Behördengewahrsam genommen, ohne dass den Angehörigen hierzu Auskunft erteilt wurde (AA 21.5.2018). 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 21.5.2018, vgl. HRW 18.1.2018), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (HRW 18.1.2018).

 

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Novaya Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Novaya Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht. Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018).

 

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax behauptete Kadyrow am 21. November 2017, dass der Terrorismus in Tschetschenien komplett besiegt sei, es gebe aber Versuche zur Rekrutierung junger Menschen, für welche er die subversive Arbeit westlicher Geheimdienste im Internet verantwortlich machte (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter Memorial und Human Rights Watch, prangern die seitens der regionalen Behörden praktizierte Sippenhaft von Familienangehörigen in Tschetschenien an. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Religionsfreiheit

 

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 21.5.2018). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht, und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2018c, vgl. SWP 4.2013).

 

Bestimmte religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Auch hier stützt man sich vor allem auf das Extremismusgesetz [das sogenannte Yarovaya-Gesetz] (ÖB Moskau 12.2017). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden unter anderem auch private religiöse Reden kriminalisierten (USCIRF 4.2018) und es wird benutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen (FH 1.2018). Die NGO Sova sieht als Hauptgründe der exzessiven Implementierung des Gesetzes einerseits die schlechte Schulung von Polizeibeamten, andererseits den Missbrauch der Rechtsvorschrift zum Vorgehen gegen oppositionelle bzw. unabhängige Aktivisten (ÖB Moskau 12.2017). Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namen des Vertreibers verteilten (HRW 18.1.2018).

 

Besonders Muslime, die in Verdacht stehen, extremistisch zu sein, sind von strengen Strafen betroffen (USCIRF 4.2018), aber auch moderate muslimische Organisationen sehen sich stärkeren Kontrollen ausgesetzt. Im Jahr 2015 wurde in der Staatsduma ein Gesetz angenommen, der die Kontrolle des Justizministeriums über die Finanzflüsse religiöser Organisationen erhöhen soll. Gruppen, die aus dem Ausland Gelder oder sonstige Vermögenswerte erhalten, werden in Zukunft den Behörden mehr Informationen vorlegen müssen. Im Zuge der Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Juni 2016 wurden auch die Auflagen für Missionstätigkeiten außerhalb religiöser Institutionen präzisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 21.5.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islams. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013).

 

In Tschetschenien setzt Ramzan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islams durch. Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden. Anhänger eines "nicht traditionellen" Islams, oder Personen mit Verbindungen zu Aufständischen können Opfer von Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte werden (USCIRF 4.2018). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Kämpfern propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Instrumentalisierung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Befürwortung der Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

 

Mutmaßliche Dschihadisten werden in Tschetschenien inhaftiert, und es kann zu Folterungen und außergerichtlichen Tötungen kommen (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Zeugen Jehovas

 

Am 20.4.2017 verbot das Oberste Gericht die Moskauer Zentrale und die 395 Regionalverbände der Zeugen Jehovas in Russland. Zur Begründung hieß es, die Religionsgemeinschaft mit ihren mehr als 170.000 Anhängern sei "extremistisch" (AI 22.2.2018, vgl. ÖB Moskau 12.2017, HRW 18.1.2018). Zeugen Jehovas, die sich weiter zu ihren Überzeugungen bekannten, mussten mit Strafverfolgung und Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren rechnen (AI 22.2.2018). Laufende Gerichtsverfahren beziehen sich etwa auf die staatliche Beschlagnahmung von Eigentum der Religionsgemeinschaft oder die Diskreditierung ihrer Schriften als extremistische Literatur (ÖB Moskau 12.2017). Mit Ende des Jahres 2017 waren einige Einrichtungen der Zeugen Jehovas konfisziert (FH 1.2018). Gläubige sollen sich laut Medienberichten bei der Ausübung ihrer Religion nunmehr in die Verborgenheit zurückziehen. Gewisses Aufsehen erregte in den vergangenen Monaten die Festnahme sowie das Verfahren gegen einen Zeugen Jehovas, der allerdings dänischer Staatsangehöriger ist (ÖB Moskau 12.2017). Die Zeugen Jehovas, Medien und NGOs berichten von diversen Festnahmen und Geldstrafen in Höhe von bis zu 100.000 Rubel (ca. 14.000 €). Zudem kam es zu einer Vielzahl von Gewalttaten durch Unbekannte gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus). Viele Gläubige haben Russland bereits verlassen (AA 21.5.2018).

 

Kurzinformation vom 12.11.2018:

 

Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF

(http://minjust.ru/ru/extremist-materials?field_extremist_content_value ) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 5.7.2018 bzw. am 31.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.6.2011 am 20.9.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20. April 2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig.

 

Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.4.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.8.2017 bis zum 29.9.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen.

 

Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden.

 

Art. 282.3 des russ. StGB

(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845bc43-ee6f3eadfa69f65119c941fa/ ) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet:

 

"Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit

 

1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.

 

2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren.

 

Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."

 

Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt.

 

Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0%), die Ukrainer (2,2%), die Armenier (1,9%), die Tschuwaschen (1,5%), die Baschkiren (1,4%), die Tschetschenen (0,9%), die Deutschen (0,8%), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch gemischte Ehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2018c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation Sova verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 21.5.2018).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

Relevante Bevölkerungsgruppen

 

Frauen

 

Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau. Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von Frauen. Im Rahmen der 62. Sitzung der CEDAW von Oktober-November 2015 wurde der rezente Staatenreport der Russischen Föderation diskutiert. In seinen Schlussbemerkungen begrüßte das Komitee die Fortschritte im russischen Rechtssystem zum Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen, insbesondere in den Bereichen Arbeitsrecht und Schutz für Schwangere. Folgende Empfehlungen wurden an die russische Regierung gerichtet: Verabschiedung eines umfassenden Anti-Diskriminierungsgesetzes, Verbesserungen beim Zugang von Frauen zu rechtlichen Beschwerdemechanismen, die Ausarbeitung eines nationalen Aktionsplans gegen Menschenschmuggel, die Stärkung der Teilnahme von Frauen am politischen und öffentlichen Leben (z.B. durch Einführung von Quotenregelungen für Frauen in der Staatsduma, dem Föderationsrat, den Ministerien oder dem diplomatischen Dienst), die Einführung eines alters- und genderspezifischen Sexualkundeunterrichts in Grund- und Mittelschulen, die Bekämpfung von Diskriminierung am Arbeitsplatz (z.B. durch Überarbeitung der Liste von Berufsverboten für Frauen in rund 450 Berufen) und die Verbesserung des Zugangs zu qualitativer Gesundheitsversorgung für Frauen in ländlichen Gebieten (ÖB Moskau 12.2017).

 

Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt die häusliche Gewalt dar (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018). Ein Großteil der Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt wird durch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen übernommen. Im Nationalen Netzwerk gegen Gewalt sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Laut dem Nationalen Zentrum zur Vorbeugung von Gewalt ANNA wird jede dritte russische Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von physischen Übergriffen von Seiten eines Mannes (ÖB Moskau 12.2017). Jährlich sterben in Russland ca. 14.000 Frauen aufgrund von Gewaltanwendung von Seiten ihrer Ehemänner oder Lebenspartner (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018), fast zwei Drittel aller Morde sind auf häusliche Motive zurückzuführen (ÖB Moskau 12.2017). Das Innenministerium spricht von 10.000 solchen Fällen im Jahr 2016. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuweilen gar nicht nach (AA 21.5.2018). Laut Statistiken der Organisation ANNA wenden sich 60% der Frauen, die die nationale Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt anrufen, nicht an die Polizei. 76% jener Frauen, die bei der Polizei um Unterstützung suchen, sind damit unzufrieden. Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. Auch das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zeigte sich bei der letzten Diskussion zur Russischen Föderation im Herbst 2015 besorgt über die weite Verbreitung von Gewalt gegen Frauen sowie die unverlässlichen offiziellen Daten dazu. Ein vom Arbeits- und Sozialministerium gemeinsam mit Frauenrechtsorganisationen ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur Vorbeugung häuslicher Gewalt, der insbesondere der Polizei mehr Verpflichtungen zum Kampf gegen häusliche Gewalt auferlegt und einen besseren Opferschutz vorschreibt, wurde von der Duma Ende 2016 abgelehnt (ÖB Moskau 12.2017). Mit einer Gesetzesnovelle wurde häusliche Gewalt im Juli 2016 unter Strafe gestellt. Allerdings wurden diese Änderungen von der Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für Familie, Frauen und Kinder kritisiert. Sie seien übertrieben und richteten sich gegen die familiären Werte. Die orthodoxe Kirche erklärte, dass körperliche Züchtigung ein gottgegebenes Recht sei, sofern sie im vernünftigen Maße und mit Liebe durchgeführt werde (AA 21.5.2018). Im Februar 2017 unterzeichnete Präsident Putin ein Gesetz, das Gewalttätigkeiten entkriminalisierte, die nur Schmerzen und keine bleibenden physischen Schäden verursachen (FH 1.2018, vgl. HRW 18.1.2018, AI 22.2.2018), oder die nicht öfter als einmal im Jahr vorkommen (HRW 18.1.2018). Die Neuregelung führte dazu, dass in einigen Regionen die Zahl gewaltsamer Übergriffe gegen Frauen zunahm (AI 22.2.2018).

 

Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 7.2018c). Frauen sind in Politik und Regierung unterrepräsentiert. Sie halten weniger als ein Fünftel der Sitze in der Duma und im Föderationsrat. Nur drei von 32 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 1.2018).

 

Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter mit zusätzlicher Haft bei erschwerenden Umständen. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung durch Ehemänner bzw. durch Bekannte keine Priorität einräumen (US DOS 20.4.2018). NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht (US DOS 20.4.2018, vgl. EASO 3.2017).

 

In einem Bericht der kanadischen COI-Abteilung findet sich der Hinweis, dass Amnesty International und ANNA [National Centre for the Prevention of Violence] 2013 von 23 Unterkünften für Opfer von häuslicher Gewalt in Russland berichten. RFE/RL berichtet sogar über 40 solcher Unterkünfte. Diese 23 Unterkünfte sind kleine Abteilungen der über 3.000 kleinen, staatlich unterstützten Sozialzentren in ganz Russland. Einige dieser Sozialzentren bieten Unterstützung in Notsituationen für Opfer von häuslicher Gewalt, wie z.B. temporäre Unterkunft. Frauen können dort bis zu sechs Monate bleiben, aber nicht alle Unterkünfte erlauben Kinder über 14 Jahre. Eine Registrierung in der Region scheint notwendig. Es gibt in vielen Regionen in ganz Russland ca. 140 staatliche Unterkünfte, einige nehmen Opfer von häuslicher Gewalt auf, auch wenn nur ein geringer Anteil des Personals dafür ausgebildet ist. Diese Unterkünfte dürften höchstens jeweils zwölf Betten haben. Dies sind Kurzzeitunterkünfte für ein bis sechs Monate. Diese staatlichen Unterkünfte sind für Frauen, die eine Krise erleben oder sich in einer schwierigen Lebenslage befinden. Frauen können für einige Zeit dorthin, damit ihnen geholfen wird, z.B. um gewalttätigen Beziehungen oder Obdachlosigkeit zu entkommen. Normalerweise ist das Ziel der Sozialarbeiter aber die Familie wieder zu vereinen. Keine dieser Unterkünfte ist speziell für Opfer von häuslicher Gewalt, aber manche erkennen häusliche Gewalt als Krisensituation an, andere nicht. In Moskau gibt es eine Unterkunft für Opfer von häuslicher Gewalt - laut Amnesty International - mit Platz für ca. zwölf Frauen. Reuters gibt an, dass es dreißig Betten gibt. Die Moskauer Unterkunft heißt "Nadeschda" und unterstützte im Jahr 2012 500 Personen, unter anderem mit Psychotherapie. Hier dürfen Frauen bis zu zwei Monate bleiben. Eine Registrierung in Moskau ist notwendig. Es gibt auch eine öffentliche Unterkunft in Khimki, einem Vorort von Moskau. Auch hier ist eine Registrierung in Khimki notwendig. St. Petersburg hat ein regionales und sechs kommunale Unterkünfte mit insgesamt 85 Betten. Häusliche Gewalt ist hier als schwierige Lebenssituation anerkannt, jedoch ist es möglich, dass einige Mitarbeiter auf Aussöhnung fokussieren und/oder die Frauen für die Gewalt verantwortlich machen. Laut ANNA gibt es drei Unterkünfte für Opfer von häuslicher Gewalt in St. Petersburg. Andere kommunale oder staatliche Unterkünfte für Frauen in Krisen befinden sich in Murmansk (7 Betten), Petrozavodsk (7 Betten); Syvtyvkar, in Komi (9 Betten) und Sorgvala (5 Betten). Es ist aber unklar, wie diese Unterkünfte häusliche Gewalt einstufen. Zusätzlich zu den Unterkünften in Moskau, St. Petersburg und Khimki gibt es Unterkünfte für häusliche Gewalt in Izhevsk, Yekaterinburg, Tomsk, Tyumen, Perm, Petrozavodsk, Murmansk, Saratov, Tula, Krasnodar, Arkhangelsk, Vologda, Chelyabinsk, Vladivostok, Khabarovsk, und zwei Unterkünfte in Barnaul (IRB 15.11.2013) [es konnten keine aktuelleren Informationen gefunden werden].

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Frauen im Nordkaukasus insbesondere in Tschetschenien

 

Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018) aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu gibt es kaum. Die Gewalt gegen Frauen bleibt in der Region ein Thema, dem von Seiten der Regional- und Zentralbehörden zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Erschwert wird die Situation durch die Ko-Existenz dreier Rechtssysteme in der Region - dem russischen Recht, Gewohnheitsrecht ("Adat") und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach "Traditionen" als nach den russischen Rechtsvorschriften. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, die in der Republik Tschetschenien unter Ramzan Kadyrow propagiert werden, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer "Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit" (ÖB Moskau 12.2017). Die Heirat einer 17-Jährigen Tschetschenin mit einem 47-jährigen örtlichen Polizeichef im Frühjahr 2015 gilt als Beispiel für die verbreitete Praxis von Zwangsehen. Außerdem weist sie auf eine Form der Polygamie hin, die zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich ist (AA 21.5.2018).

 

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf, und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, soll aber nie eine Tradition in Tschetschenien gewesen sein. Frauen sind sowohl unter islamischem Recht als auch im Adat hoch geschätzt. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in eine den Männern untergeordnete Position. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren. Es ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft sind. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird, und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014). Gleichberechtigung ist in den islamisch geprägten Republiken ein kaum diskutiertes Thema. Frauenrechtsorganisationen engagieren sich, um dies zu ändern. Doch es fehlt die Unterstützung durch Behörden. Die traditionellen kaukasischen Werte und Normen würden dennoch dazu führen, dass Frauenrechte im Nordkaukasus öfter verletzt würden als in anderen Regionen Russlands. Für Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien sind starke Traditionen durchaus charakteristisch. Weitaus weniger ausgeprägt sind sie in Nordossetien, Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien. Andererseits übt auch die Religion ihren Einfluss aus, denn die Rechte der Frau im Islam sind anders definiert als die Frauenrechte in der russischen Verfassung. Frauen in Tschetschenien wird beispielsweise vorgeschrieben, wie sie sich zu kleiden haben. Seit 2008 dürfen sie Ämter und Bildungseinrichtungen nur betreten, wenn sie einen langen Rock tragen und Arme und Haar bedeckt sind.

Nichtregierungsorganisationen versuchen die Lage zu verbessern. 2015 sollen in Tschetschenien sechs oder sieben Frauenrechtsorganisationen tätig gewesen sein - so viele wie noch nie. Sie helfen dabei, Probleme zu lösen, oftmals ohne öffentliche Aufmerksamkeit, da sie nicht offen vorgehen können. Wie Umfragen zeigen, wollen tschetschenische Frauen einerseits mehr über ihre Rechte erfahren, andererseits würden sie sich aber niemals öffentlich positionieren (RBTH 22.6.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Scheidung und Obsorge

 

Fragen der Obsorge für minderjährige Kinder sind in der Russischen Föderation grundsätzlich im Familienkodex 1995 geregelt. Gemäß Art 61 haben die Eltern eines Kindes die gleichen Rechte und Pflichten in Bezug auf ihre Kinder. Die elterlichen Rechte erlöschen mit der Volljährigkeit des Kindes, also mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Gemäß Art 18 sind grundsätzlich die russischen Personenstandsbehörden (ZAGS) zur Durchführung von Scheidungsverfahren zuständig, in den Fällen der Art 21 bis 23 die Gerichte. Gemäß Art 21 hat eine Scheidung gerichtlich zu erfolgen, falls gemeinsame minderjährige Kinder vorhanden sind, es sei denn, der andere Ehepartner ist verschollen, geschäftsunfähig oder zu einer drei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt worden. Gemäß Art. 24 Z 1 können die Ehegatten dem Gericht im Scheidungsverfahren eine Vereinbarung vorlegen, in der sie unter anderem regeln, bei welchem Elternteil die Kinder leben werden und wie hoch die Alimentationszahlungen für die Kinder sein sollen. Fehlt eine solche Vereinbarung der Eltern oder verletzt sie die Interessen der Kinder oder eines Elternteils, so ist das Gericht verpflichtet, diese Fragen zu entscheiden. Gemäß Art 66 Z 1 hat ein Elternteil, der nicht beim Kind lebt, das Recht auf Kontakt mit diesem, auf Teilnahme an der Erziehung und bei Entscheidung von Ausbildungsfragen. Gemäß Z 3 sind bei Nichterfüllung der Gerichtsentscheidung die Maßnahmen des Kodex über Verwaltungsübertretungen zu setzen. Bei böswilliger Nichterfüllung der Gerichtsentscheidung kann das Gericht auf Antrag des nicht beim Kind lebenden Elternteils die Entscheidung fällen, diesem das Kind zuzusprechen, falls das im Interesse des Kindes liegt. Dabei ist dessen Meinung zu beachten. Art. 57 bestimmt generell, dass ein Kind das Recht hat, seine Meinung zu beliebigen familienrechtlichen Fragen, die seine Interessen berühren, auszudrücken und im Zuge von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren angehört zu werden. Die Berücksichtigung der Meinung des Kindes ist verpflichtend, wenn es älter als zehn Jahre ist, es sei denn, sie widerspräche seinen Interessen. Die Nichterfüllung einer Gerichtsentscheidung über die Ausübung elterlicher Rechte (z.B. Besuchsrechte) kann eine Verwaltungsübertretung gemäß Art. 5.35 des Kodex über Verwaltungsübertretungen darstellen und Geldstrafen von 2.000.- bis 3.000.- Rubel nach sich ziehen, im Wiederholungsfall 4.000.- bis 5.000.- Rubel oder bis zu 5 Tage Verwaltungshaft. Theoretisch möglich ist auch die Durchsetzung der elterlichen Rechte mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers. Prinzipiell wird der Gerichtsvollzieher in der Praxis zunächst das Gespräch mit beiden Elternteilen suchen, um die Gründe der Nichterfüllung des Gerichtsurteils zu ergründen. Gelingt es im Rahmen des Gesprächs nicht, die Erfüllung der Gerichtsentscheidung herbeizuführen, müsste der Gerichtsvollzieher diese theoretisch zwangsweise durchsetzen. Dies geschieht in der Praxis aber äußerst selten, weil offensichtlich ist, dass sich eine Zwangsabnahme des Kindes äußerst negativ auf dessen psychischen Zustand auswirken würde und somit nicht im Interesse des Kindes läge (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Die Praxis in der Russischen Föderation sieht so aus, dass bei Scheidungen minderjährige Kinder zu 99% bei der Mutter bleiben (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Obsorge in der Republik Tschetschenien

 

Da die Republik Tschetschenien Teil der Russischen Föderation ist, gelten die russischen Gesetze auch dort und sind anzuwenden. In der Praxis spielen neben dem positiven Recht traditionell aber auch das islamische Recht und das Adat (arab. "Gewohnheiten, Bräuche", also das ungeschriebene Recht (Gewohnheitsrecht) eine Rolle. Ein Artikel vom 04.08.2017 mit dem Titel: "Kampf gegen Scheidungen in Tschetschenien: was die Statistik sagt", besagt, dass im Sommer 2017 eine Kampagne zur Stärkung der Familie begonnen hat. In Tschetschenien sei es traditionell üblich, dass die Kinder nach einer Scheidung in der Familie des Vaters blieben. Nach den islamischen Traditionen müsse ein Kind in den ersten Lebensjahren von einer islamischen Mutter erzogen werden, aber diese Tradition werde in Tschetschenien derzeit nicht befolgt. Laut Statistik für 2016 gab es beispielsweise in Tschetschenien:

 

a) 0,9 Scheidungen pro 1.000 EW (Russland: 4,1), womit Tschetschenien in der RF an 84. und vorletzter Stelle unter den 85 russischen Föderationssubjekten lag;

 

b) 149 Scheidungen pro 1.000 Eheschließungen (Russland: 617), damit an 85. und letzter Stelle in der RF. 2016 wurden in Tschetschenien

1.231 Scheidungen registriert (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Ein Artikel vom 11.12.2013 zum Problemkreis "Tschetschenische Frauen - Scheidung - Kinder" besagt, dass man tschetschenischen Frauen nach der Scheidung den Kontakt mit den Kindern verbietet. Oft bleiben in Tschetschenien die Kinder nach der Scheidung der Eltern beim Vater. Der Ex-Mann und seine Verwandten beschränken, ungeachtet ihrer gesetzlichen Rechte, den Umgang der Mutter mit dem Kind. (...) Nach missglückten Versuchen (Anm: der Vermittlung durch einen islamischen Theologen) reichte sie eine Klage bei Gericht ein, als dessen Folge der Vater die Kinder am Vorabend der 1. Tagsatzung aus Tschetschenien wegbrachte. (...) Gemäß dem Islam werden die Kinder nach der Scheidung der Eltern bis zu einem bestimmten Alter von der Mutter erzogen, falls sie nicht nochmals geheiratet hat: Buben bis sieben Jahre, Mädchen bis zum Erreichen der Volljährigkeit. Erst danach werden die Kinder dem Vater übergeben. Der Apparat des Bevollmächtigten für Menschenrechtsfragen in Tschetschenien versuche Hilfestellungen in diversen Fragen zu geben, insbesondere in Familienfragen, wenn geschiedenen Frauen der Kontakt mit ihren Kindern verwehrt wird. Die Möglichkeiten zur Hilfeleistung seien aber begrenzt und würden sich darauf beschränken, einen Anwalt zu organisieren und eine Klage einzubringen. Außerdem gebe es bei der geistlichen Führung der Muslime der tschetschenischen Republik noch die "Kommission zur Regulierung familiärer Konflikte", deren Mitarbeiter sich bemühen würden, Konflikte friedlich zu regeln und es nicht zu Gerichtsverfahren kommen zu lassen. Das Arbeitsspektrum umfasse die ganze Bandbreite familienrechtlicher Probleme, insb. Konfliktsituationen zwischen den Eltern, die mit den Kindern zusammenhängen. Seit der Gründung im März 2012 seien 3.164 Ansuchen um Hilfeleistung an die Kommission gerichtet worden, von denen zu

2.963 Anträgen eine Entscheidung ergangen sei (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Ein Artikel vom 10.01.2012 über die Erziehung der Kinder nach der Scheidung besagt, wenn die Eltern des Kindes zusammenleben, werden die materiellen Aufwendungen vom Vater getragen und die Kinder von der Mutter erzogen. Falls sich die Eltern scheiden lassen und die Kinder das Alter von 7-8 Jahren noch nicht erreicht haben, wird es vorgezogen, die Kinder an Frauen zu geben, vorzugsweise an die Mutter. Damit die Mutter das Recht hat, die Kinder zu erziehen, muss sie a) islamischen Glaubens, b) vernünftig (im Sinne von nicht psychisch erkrankt), c) Vertrauen erweckend (nicht sündhaft im Sinne des Islam) und darf d)nicht verheiratet sein. Falls die Mutter stirbt oder geisteskrank wird, geht das Recht der Erziehung auf die Großmutter mütterlicherseits über, danach auf die Großmutter väterlicherseits, danach auf die Schwester, schließlich auf nahe männliche Verwandte. Falls das Kind das Alter von 7-8 Jahren erreicht hat und sich die Eltern scheiden lassen, lässt man das Kind bei dem Elternteil, den das Kind wählt. Dieses Wahlrecht steht Mädchen wie Buben gleichermaßen zu. Falls das Kind keinen Vater hat, wählt es zwischen der Mutter und dem Großvater väterlicherseits. Falls ein Sohn die Mutter wählt, bleibt er nachts bei der Mutter und tagsüber beim Vater. Falls der Sohn den Vater wählt, hat dieser nicht das Recht, jenen Besuch bei der Mutter zu verbieten. Falls die Mutter den Sohn besuchen will, hat der Vater nicht das Recht, ihr das zu verbieten. Falls die Tochter den Vater wählt, hat er das Recht, ihr Besuche bei der Mutter zu verbieten, nicht jedoch, der Mutter Besuche bei der Tochter. Falls die Tochter die Mutter wählt, bleibt sie Tag und Nacht bei ihr und der Vater hat das Recht, sie zu besuchen. Falls das Kind beide wählt, entscheidet das Los. Falls das Kind keinen Elternteil wählt, kommt es zur Mutter. Wenn ein Sohn volljährig wird, trägt er für sich selbst die Verantwortung. Wenn die Tochter volljährig und verheiratet ist, muss sie beim Ehemann leben. Falls sie nicht verheiratet ist und nie verheiratet war, wählt sie, bei wem sie leben möchte. Falls sie ohne Eltern leben möchte und man ihr das nicht gestattet, muss sie einen der Beiden wählen. Falls sie keine Eltern mehr hat, geht das Recht, sich um sie zu kümmern, auf den Bruder über, danach auf den Onkel väterlicherseits. Falls sie verheiratet war, soll sie mit den Eltern leben. Falls diese geschieden sind, wählt sie einen Elternteil, aber man verpflichtet sie nicht dazu. All das ist möglich, falls es keine Befürchtung gibt, dass sie sich unsittlich benehmen könnte. Falls eine solche Befürchtung besteht, haben der Vater, Großvater, Bruder oder Onkel das Recht, ihr zu verbieten, dass sie selbständig lebt (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Ein Artikel vom 21.04.2016 besagt, dass im Nordkaukasus Kinder nach der Scheidung immer in der Familie des Vaters blieben - selbst nach dessen Tod - und ein Gerichtsurteil nichts bedeute. Nach Meinung russischer Beamter würden die örtlichen Gerichte auch die örtlichen Traditionen bei ihren Entscheidungen beachten. Sie würden zwar oft im Sinne der Mutter entscheiden, die Entscheidung würde von den Verwandten des Vaters aber ignoriert. Nach Erfahrung tschetschenischer Gerichtsvollzieher lebten die Kinder oft bei den Verwandten des Vaters, die das Kind dem behördlichen Zugriff entziehen würden, indem der Wohnort des (nicht gemeldeten) Kindes oft gewechselt würde. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass tschetschenische Gerichte offenbar nur selten mit Familienrechts- und Obsorgefragen befasst werden und außergerichtliche Lösungswege in der Praxis eine bedeutendere Rolle spielen. Selbst wenn Frauen vor Gericht Recht bekommen, ist eine Umsetzung des Urteils oft nicht möglich (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

In Tschetschenien wurde im Juni 2017 ein Rat von Beamten und religiösen Autoritäten eingerichtet, die geschiedene Ehepaare wieder zusammenbringen soll. Personen, die zögerten zu kooperieren, einschließlich Frauen aus gewalttätigen Ehen, wurden angeblich unter Druck gesetzt (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Kurzinformation vom 12.11.2018

 

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Meldewesen

 

Gegen Jahresmitte 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst (FMS), der für die Registrierung verantwortlich war, aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanentem und temporärem Wohnort registrieren (EASO 8.2018). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde wo eine Person wohnt und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen "Gosuslugi" oder per Email (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren braucht man einen Pass, einen Antrag für die Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse beantragt werden. Auch die Beendigung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

 

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung gemacht werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tagen dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag für temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

 

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011, vgl. US DOS 20.4.2018).

 

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung für Tschetschenen aber kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korrupten Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens

 

Die Bevölkerung Tschetscheniens schrumpft seit einigen Jahren, vor allem durch Abwanderung. Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie ziehen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation. Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen) in der Rostow Region (über 11.000 Personen), in Stawropol Krai (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 9.000 Personen), in der Wolgograd Region (knapp 10.000 Personen) und in der Astrachan Region (über 7.000 Personen). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung nicht ihre Nationalität angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Wolgograd Region um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten, da es in Tschetschenien einen Mangel an Arbeitsplätzen gibt. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Unter den Tschetschenen in St. Petersburg gibt es Geschäftsmänner, Sicherheitsbeamte, Rechtsanwälte, McDonald's Franchisenehmer, aber auch Ärzte, Universitätsprofessoren und Maler. Viele arbeiten im Baugewerbe und im Ölgeschäft, zumeist in mittleren Betrieben, oder besitzen ein eigenes Geschäft oder eine Firma. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten "Vaynakh-Kongress" (eine Organisation, die oft auch als "tschetschenische Diaspora" bezeichnet wird) veranstaltet wird, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Zahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel 19. Bewegungsfreiheit, bzw. 19.1. Meldewesen] (EASO 8.2018). Außerdem ist es schwieriger eine Registrierung in Moskau oder beispielsweise in St. Petersburg zu erlangen, als in anderen Regionen. Dies gilt aber nicht nur für Tschetschenen (DIS 8.2012). Tschetschenen in Moskau arbeiten oft in der Automobil-, Hotel-, und Restaurantbranche. Viele besitzen auch Tankstellen, oder arbeiten im Baugewerbe und im Taxigeschäft (EASO 8.2018).

 

Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen die oppositionellen Strömungen in Inland sowie die Diaspora im Ausland. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften (ÖB Moskau 12.2017). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen. Es wird berichtet, dass Kadyrow in Moskau jederzeit auf 1.000 bis 2.000 bewaffnete Männer zurückgreifen und weitere 20.000 relativ einfach hinzuziehen können soll (Telegraph 24.2.2016). Auch soll es einige hundert tschetschenische Sicherheitsbeamte in Moskau geben, die illegale Aktivitäten ausüben (New York Times 17.8.2017). In Moskau soll es außerdem einen bewaffneten Trupp von ca. 30 tschetschenischen Bodyguards geben. Gegen den Anführer dieses Trupps soll es Strafverfahren wegen eines bewaffneten Vorfalls, Kidnapping und Folter gegeben haben, es wurden jedoch alle Ermittlungen eingestellt, da er Beziehungen zur Regierung haben soll (EASO 8.2018). Es scheint, als hätten die föderalen Exekutivkräfte wenig Handhabe gegen Kadyrow bzw. seine Leute (EASO 8.2018).

 

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen (AA 21.5.2018). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Kanäle zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall muss auch schlüssig begründet sein (DIS 1.2015). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor Ramzan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent (AA 21.5.2018).

 

Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in der Russischen Föderation trotz der vergangenen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grundversorgung

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,5 Millionen, somit ungefähr 64% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3% (WKO 4.2017), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region (IOM 2017).

 

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2018 den 107. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wurde für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 2% prognostiziert (GIZ 6.2018b).

 

Nach zwei Jahren in der Rezession ist die russische Konjunktur auf einem Pfad der langsamen Erholung. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen (38.040 Rubel im August 2017) und die Durchschnittsrente (12.934 RUB im August 2017). Bedingt durch die hohe Inflationsrate und die Erhöhung der kommunalen Abgaben sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen (6% im 2016) und die Armutsrate bleibt hoch. Die soziale Lage in Russland ist weiterhin angespannt. Mehr als 15% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Das per Verordnung bestimmte monatliche Existenzminimum liegt mit 10.329 Rubel (2. Quartal 2017) weit unter dem Wert, der faktisch zum Überleben notwendig ist. Auffällig ist, dass der Mindestlohn mit 7.800 Rubel sogar die Grenze des Existenzminimums unterschreitet. Lediglich 7% der Bevölkerung verfügen über ein monatliches Einkommen von mehr als 60.000 Rubel. 39% des russischen BIP entstehen in der Schattenwirtschaft. Im 1. Quartal 2017 waren bis zu 63% der Bevölkerung armutsgefährdet. Dies kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. Diese Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Ungünstig ist die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören. Nur 26% aller Beschäftigten arbeiten in privaten Unternehmen. Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen von Arbeitgebern aufgrund fehlender Fortbildung als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen öfters nur den Mindestlohn (AA 21.5.2018).

 

Die Lage der Rentner (29,5 % der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär (Rentenniveau: 30% des letzten Einkommens). In den ersten fünf Monaten 2017 waren die Altersrenten zwar um 7,6% höher als 2016, dies war aber die kumulierte Auswirkung von inflationsausgleichenden Indexierungen und einer einmaligen Sonderzahlung von 5.000 Rubel im Jänner 2017. Durch letztere stiegen die Renten einmalig um 37,3% und das Vermögen der Rentner um 33%. Die Stärke dieses Effekts zeigt letztlich vor allem, wie niedrig das Ausgangsniveau der Renten und Ersparnisse war. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Niveau der Rente zwischen 2012 und Ende 2016 um 19% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Die spezifischen Interessen der Rentner übertragen sich damit auch auf die Familien, die sie mitfinanzieren. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2016 um 54% (AA 21.5.2018).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2018/964 bis zum 31.1.2019 verlängert (WKO 22.8.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Sozialbeihilfen

 

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2017). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Am Tag der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft [14. Juni 2018] hat die Regierung einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten finden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt (GIZ 7.2018c).

 

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2018c).

 

Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2017).

 

Zu dem Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017).

 

Behinderung:

 

ArbeitnehmerInnen mit einem Behindertenstatus haben das Recht auf eine Behindertenrente. Dies gilt unabhängig von der Schwere der Behinderung, der Beitragsdauer und Arbeitsstatus. Diese wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 2017).

 

Arbeitslosenunterstützung:

 

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Ebenfalls wird dieses durch eine maximale und minimale festgelegte Höhe der russischen Rechtslage determiniert. Seit 2009 beträgt die Mindestlohnhöhe pro Monat 850 Rubel (12 Euro) und der Maximallohn

4.900 Rubel (71 Euro). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden (IOM 2017).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen:

 

BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können bundesstaatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2017 lag dieser Zuschuss bei 453.026 Rubel (ca 6.618 Euro) (IOM 2017).

 

Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung. Vorausgesetzt für OMS sind Unterlagen wie ein gültiger Pass und die Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren. Diese müssen bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden. An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung - Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2017).

 

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, Stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Medizinische Leistungen stehen im allgemeinen kostenfrei zur Verfügung. Es gibt jedoch auch private Anbieter (IOM 2017), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 5.1.2016). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 5.1.2016, vgl. Ostexperte 22.9.2017) Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 7.2018c, vgl. IOM 2017, AA 21.5.2018, ÖB Moskau 12.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt jedoch ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 7.2018c).

 

Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Das Hauptproblem ist weniger die fehlende technische Ausstattung als vielmehr ein gravierender Ärztemangel und eine unzureichende Aus- und Fortbildung. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf klinische Behandlung ausgerichtet ist und gleichzeitig Allgemeinmediziner und Chirurgen fehlen. Das Problem wurde vom Staat erkannt. Die Zahl der Ärzte ist 2016 leicht gestiegen. Dank großangelegter Prophylaxe-Programme hat sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen vervierfacht (AA 21.5.2018).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 12.2017). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann (ÖB Moskau 12.2017). Die Palliativmedizin muss erheblich ausgebaut werden, es fehlen vor allem stark wirkende Schmerzmedikamente. Im Zuge der Lokalisierungspolitik der Russischen Föderation sinkt der Anteil an hochwertigen ausländischen Medikamenten. Es wurde über Fälle von Medikamenten ohne oder mit schädlichen Wirkstoffen berichtet. Im starken Kontrast zum Erleben der Bevölkerung sieht die Regierung ihre Reformen im Gesundheitswesen pauschal als Erfolg und führt als Beleg die gestiegene Lebenserwartung an (AA 21.5.2018).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 7.2018c).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel 19. Bewegungsfreiheit und 19.1 Meldewesen) (DIS 1.2015, vgl. AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung - inklusive Notfall- und spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind (DIS 1.2015).

 

Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos weitergegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung):

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen wie Minderjährige, Studenten, Arbeiter usw. und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenschwestern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015, vgl. GIZ 7.2018c, AA 21.5.2018). Trotzdem gibt es medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes (von hier stammt Ramzan Kadyrow). In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen auch günstiger (BDA CFS 31.3.2015).

 

In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Spezialisten arbeiten, die aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges teurer als in öffentlichen Institutionen aufgrund von komfortableren Aufenthalt, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind: "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten (z.B. Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS/PTSD, Depressionen, etc.)

 

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

 

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).

 

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

 

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

 

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (auch in Tschetschenien!):

 

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Leberzirrhosen und -transplantationen, Diabetes

 

Nierenerkrankungen und (Hämo‑)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation als auch in Tschetschenien verfügbar (BMA 7878, BDA 31.3.2015). Es werden in Russland auch Transplantationen gemacht, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberzirrhosen und Lebertransplantationen sind z.B. in Moskau im European Medical Center behandelbar (BMA 7788). In Tschetschenien kann keine Lebertransplantation durchgeführt werden (BMA 7789). Krankenhäuser und Spitäler haben bestimmte Quoten bezüglich Behandlungen für Personen (z.B. Lebertransplantation) aus anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (DIS 10.2011, vgl. BDA 31.3.2015). Auch Diabetes ist in der Russischen Föderation behandelbar (BMA 8906).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Stellung eines Asylantrags im Ausland führt nicht prinzipiell zu einer Verfolgung. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 21.5.2018).

 

Rückkehrende zählen nicht automatisch zu den schutzbedürftigen Personenkreisen. Wie alle russischen Staatsangehörige können sie ebenfalls durch das Wohlfahrtssystem Leistungen erhalten. Mikrokredite für Kleinunternehmen können bei Banken beantragt werden (der Zinsatz liegt bei mindestens 10,6%). Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründung an (IOM 2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Dokumente

 

In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden (AA 21.5.2018). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:

 

2.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin machte divergierende Angaben zu ihrer Identität: Während Sie im verwaltungsbehördlichen Verfahren angab, XXXX zu sein, gab sie in der mündlichen Verhandlung am 10.01.2019 auf die Frage, warum Sie denselben Familiennamen wie ihre Pflegemutter habe, an, dass sie in Wahrheit XXXX heiße, Dokumente auf diesen Namen habe sie nicht.

 

Die Erstbeschwerdeführerin hatte einen Führerschein auf den Namen XXXX , mit dem sie sich auswies, konnte aber nicht Autofahren und hatte die Fahrprüfung nie gemacht; ein Freund ihrer Schwester XXXX , der Leiter der Verkehrspolizei in XXXX war, hatte ihn ihr ausgestellt, gezahlt hat sie nicht dafür; dies stand auf Grund ihrer Aussagen fest. Diesem Dokument kam aber ob der Ausstellungsmodalitäten kein Beweiswert zu.

 

Ihren Inlandsreisepass legte die Erstbeschwerdeführerin erst am 16.12.2015 vor, obwohl sie die gesamte Zeit über über ihn verfügte, weil sie damit ausgereist war.

 

Für den Zweitbeschwerdeführer, der laut Geburtsurkunde XXXX hieß, im Straftakt von seinem Bruder durchgehend als XXXX bezeichnet wurde und laut der Erstbeschwerdeführerin in der hg. mündlichen Verhandlung richtigerweise XXXX hieß, legte sie in Österreich und XXXX zwei unterschiedliche Geburtsurkunden - eine ausgestellt am 07.05.2013 und eine vom 14.03.2008 - vor und gab an, dass das Geburtsdatum auf beiden falsch war; in Österreich legte die Erstbeschwerdeführerin diese Geburtsurkunde auch erst am 16.12.2015. Die in XXXX vorgelegte Geburtsurkunde vom 07.05.2013 trug auf der Rückseite die Bestätigung der Staatsbürgerschaftsbehörde, dass der Zweitbeschwerdeführer die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation erworben hatte. Die Aussage der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung am 10.01.2019, dass das Geburtsdatum des Zweitbeschwerdeführers auf beiden falsch sei, bezog sie in der Verhandlung am 27.02.2019 allerdings nur auf das Ausstellungsdatum. XXXX gab in seinem verwaltungsbehördlichen Verfahren an, der Vater des Zweitbeschwerdeführers zu sein und dass der Zweitbeschwerdeführer mit Nachnamen XXXX heiße. Die Vaterschaft von XXXX war jedoch schon auf Grund des Vatersnamens in der Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers ausgeschlossen. Es stand auf Grund des forensischen DNA-Gutachtens fest, dass die Erstbeschwerdeführerin die Mutter des Zweitbeschwerdeführers war und XXXX nicht sein Vater.

 

Betreffend den Drittbeschwerdeführer legte die Drittbeschwerdeführerin ebenfalls erst am 16.12.2015 im Verfahren eine Geburtsurkunde vor, derzufolge der Vater von XXXX und die Mutter XXXX waren. Erst in der Eingabe vom 29.12.2015 - nach der Erlassung des Bescheides - gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass der Drittbeschwerdeführer nicht XXXX sei, sondern dass sie sich die Geburtsurkunde ihres Neffen "ausgeborgt" habe, den Namen XXXX oder XXXX ; das Geburtsdatum XXXX statt dem Geburtsdatum XXXX gab sie erst in der Beschwerde an. XXXX bezeichnete den Drittbeschwerdeführer vor der Einreise der Erstbeschwerdeführerin als XXXX - sohin geboren im XXXX , auch wenn nicht glaubhaft war, dass ein XXXX altes Baby mit einem XXXX alten bzw. XXXX alten verwechselt wurde. Es stand auf Grund des forensischen DNA-Gutachtens fest, dass XXXX nicht sein Vater war, die Erstbeschwerdeführerin die Mutter des Drittbeschwerdeführers war und ihn als ihren Neffen XXXX ausgab und fremde Dokumente zum Nachweis seiner Identität sowie eine notarielle Beglaubigung falschen Inhalts verwendete.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin für den Drittbeschwerdeführer keine Geburtsurkunde ausstellen lassen hätte können, da sie oder jemand, dem sie Vollmacht erteilt hatte, in den Tagen vor der Ausreise zahlreiche Behördenkontakte hatte - betreffend ihren Pass, das Duplikat der Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers und seiner Staatsbürgerschaftsbestätigung und den Notariatsakt - vor allem da die Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers zeigte, dass die Ausstellung von Geburtsurkunden ohne Eintragung des Vaters problemlos möglich war. Eine Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin, die das Ausstellen einer Geburtsurkunde für den Drittbeschwerdeführer verunmöglicht hätte, war vor dem Hintergrund des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin, dass ihr die für die Ausreise benötigten Dokumente und Tickets ausgestellt wurden und dass sie problemlos ausreiste, nicht glaubhaft, insbesondere, da sie behauptete, vor der Ausreise mehrfach von Militärangehörigen aufgesucht worden zu sein, die dabei den Drittbeschwerdeführer verletzt hätten. Es war nicht glaubhaft, dass diese sie und den Drittbeschwerdeführer bei den Hausdurchsuchungen angetroffen, aber nicht erkannt hätten, wäre nach ihnen gesucht worden.

 

Beide Kinder waren nicht in dem von der Erstbeschwerdeführerin vorgelegten Inlandsreisepass vom 08.05.2013 als ihre Kinder eingetragen, obwohl beide zum Zeitpunkt des Ausstellungsdatums bereits auf der Welt waren. Entgegen der Aussage der Erstbeschwerdeführerin, wonach ihr der Inlandsreisepass vom 30.05.2007 im Jahr 2009 abgenommen worden sei, ergab sich aus der von ihr in XXXX vorgelegten notariellen Zustimmungserklärung der Schwester und des Schwagers der Erstbeschwerdeführerin vom 07.05.2013, dass darin zum Identitätsnachweis der Erstbeschwerdeführerin noch ihr Inlandsreisepass vom 30.05.2007 verwendet wurde. Dass der Erstbeschwerdeführerin der Reisepass vom 07.05.2007 im Jahr 2009 abgenommen worden sei, war daher nicht glaubhaft; ebenso war nicht glaubhaft, dass ihre Schwester das ohne ihren Pass gemacht habe, da es sich um einen Notariatsakt handelte und der neue Pass erst am Tag nach dem Notariatsakt vom 07.05.2013 ausgestellt wurde. Es lag daher vielmehr nahe, dass sich die Erstbeschwerdeführerin für die Ausreise einen neuen Pass hatte ausstellen lassen. Eheschließungen waren in diesem nicht eingetragen. Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am 10.01.2019 und 21.02.2013, ihre Schwester XXXX habe ihr den Inlandsreisepass vom 08.05.2013 über Beziehungen bzw. durch Bestechungsgeld beschafft, änderte ungeachtet der Frage der Glaubhaftigkeit dieser Aussage nichts am Umstand, dass dieser von den zuständigen Behörden ausgestellt wurde, ebenso wie die anderen Dokumente.

 

Die Identität der Beschwerdeführer konnte ob dieser Widersprüche trotz der Vorlage von echten Dokumenten nicht festgestellt werden.

 

Dass die Erstbeschwerdeführerin die Mutter des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers war, stand auf Grund des forensischen DNA-Tests vom 04.04.2019 entgegen dem von der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung am 10.01.2019 vorgelegten Befund vom 20.11.2018, wonach sie nie schwanger war, während sie nach dem Befund vom 07.03.2019 vermutlich zwei Mal schwanger war, fest, auch wenn in ihrem 2013 ausgestellten Inlandsreisepass keine Kinder eingetragen waren; eine Eizellenspende wurde von der Erstbeschwerdeführerin verneint. Somit war sie die gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Beschwerdeführer.

 

Auf Grund des forensischen DNA-Tests vom 04.04.2019 stand entgegen der Angaben der Erstbeschwerdeführerin im verwaltungsbehördlichen Verfahren und den Angaben von XXXX fest, dass dieser nicht der Vater des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers war. Während die Erstbeschwerdeführerin in der Beschwerde angab, dass XXXX nicht der Vater des Zweitbeschwerdeführers sei, machte sie bezüglich des Drittbeschwerdeführer keine entsprechenden Angaben, sondern gab erst als Zeugin in der mündlichen Verhandlung von XXXX am 28.12.2018 bekannt, dass dieser auch nicht der Vater des Drittbeschwerdeführers sei, nachdem sie zuvor angegeben hatte, den Drittbeschwerdeführer mit XXXX während dessen Haft im Gefängnis gezeugt zu haben. Auf Grund ihrer Reaktionen in der hg. mündlichen Verhandlung stand fest, dass ihr die Durchführung des Abstammungsgutachtens mit XXXX unangenehm war; entgegen der Aussage der Erstbeschwerdeführerin in ihrer Verhandlung stand jedoch auf Grund der Verhandlung vom 28.12.2018 fest, dass XXXX spätestens ab diesem Zeitpunkt in Kenntnis darüber war, dass er nicht der Vater der Kinder war. Eine Änderung der Beziehung von XXXX zu den minderjährigen Beschwerdeführern danach wurde nicht vorgebracht. Eine Gefährdung der minderjährigen Beschwerdeführer oder der Erstbeschwerdeführerin aus diesem Grund durch XXXX war daher nicht glaubhaft.

 

Die Erstbeschwerdeführerin gab als Zeugin in der Verhandlung am 28.12.2018 weiters an, dass ihr erster Ehemann, der XXXX , der Vater des Zweitbeschwerdeführers gewesen sei und sie nicht wisse wer der Vater des Drittbeschwerdeführers sei. In der mündlichen Verhandlung vom 10.01.2019 gab die Erstbeschwerdeführerin zunächst hingegen an, dass der leibliche Vater des Drittbeschwerdeführers XXXX heiße, führte nach Rückübersetzung der Niederschrift jedoch an, dass der Vater des Drittbeschwerdeführers XXXX sei; wohingegen sie in der Verhandlung am 21.02.2019 diesen jedoch - trotz dreifacher Nachfrage, ob der Name richtig sei - als XXXX bezeichnete. Aufgrund der widersprüchlichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin und ihres Aussageverhaltens in der Verhandlung am 21.02.2019, wonach sie erst auf konkreten Vorhalt ihrer Angaben in der letzten Verhandlung, den Namen des Vaters des Drittbeschwerdeführers korrigierte, konnte nicht festgestellt werden, wer der Vater der minderjährigen Beschwerdeführer war. Hinzu kam, dass das XXXX alias XXXX alias XXXX betreffende Vorbringen nicht glaubhaft war.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Erstbeschwerdeführerin, ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit und derer ihrer Eltern, ihren Sprachkenntnissen sowie zu ihrem Lebenslauf (ihre Geburt und ihr Aufwachsen bei einer Pflegemutter und deren Tochter; ihre Berufserfahrung als XXXX und auf XXXX ) und ihrem derzeitigen Familienstand gründeten auf den diesbezüglich im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren, denen auch im Verfahren von XXXX nicht widersprochen wurde.

 

Dass die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Schwester, ihrer Pflegemutter und deren Tochter in XXXX in einem Haus, das ihnen von Präsident XXXX annähernd kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, aufwuchs, ergab sich aus den diesbezüglich im Wesentlichen übereinstimmendenden und stringenten Angaben der Erstbeschwerdeführerin und XXXX beim Bundesamt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass das Haus abgebrannt ist, zumal XXXX als Grund für die Übersiedlung der Pflegemutter in die XXXX angab, dass dieses Haus größer war. Einen Brand des Hauses in der XXXX erwähnte er hingegen nicht, sondern gab beim Bundesamt ausdrücklich an, dass dieses Haus leer stehe.

 

Ungeachtet des Widerspruchs, ob die Erstbeschwerdeführerin nie zur Schule ging (mündliche Verhandlung 10.01.2019), nur zwei Klassen (Einvernahme vor dem Bundesamt) oder XXXX Jahre lang (Erstbefragung), widersprach die Aussage, dass sie nicht zur Schule ging, dem Bildungssystem in der Russischen Föderation und es war nicht glaubhaft, zumal sie als Begründung angab, dass sie auf Grund des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges keine Möglichkeit gehabt habe die Schule zu besuchen. Glaubhaft war jedoch auf Grund der von der Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung bestätigten einfachen, aber guten Russischkenntnisse der Erstbeschwerdeführerin und ihrer eigenen Angabe, wonach sie die lateinische Schrift lesen könne, dass die Erstbeschwerdeführerin zumindest XXXX Jahre lang die Schule im Herkunftsstaat besuchte.

 

Entgegen dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin in den mündlichen Verhandlungen, sie habe in einem XXXX gearbeitet habe (mündliche Verhandlung 10.01.2019; 15.07.2019) bzw. sonst als XXXX gearbeitet habe (Verhandlung 21.02.2019), war dies aufgrund ihrer Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren und in der Beschwerde, dass sie als XXXX (in einem XXXX ) und auf XXXX gearbeitet habe, XXXX jedoch mit keinem Wort erwähnte, nicht glaubhaft. Es entsprach es der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht wurden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kamen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Übergriffe in ihrer Beschäftigung als Prosituierte brachte die Erstbeschwerdeführerin überdies erst am dritten Verhandlungstag auf ausdrückliche Befragung durch ihre Vertreterin an, nachdem sie während langer und ausführlicher Befragung und in freiem Vortrag diese Probleme nicht geschildert hatte. Bereits auf Grund des Aussageverhaltens der Erstbeschwerdeführerin war ihr Vorbringen nicht glaubhaft. Dazu gehörte das dabei auffallende Aussageverhalten, bei dem die Erstbeschwerdeführerin die Dolmetscherin wiederholt prüfend ansah, ob sie ihr glaubte, ebenso, dass sie diese Probleme, die sie auf explizite Befragung durch ihre Vertreterin schilderte, im Gegensatz zu Schilderungen betreffend ihre Kinder oder ihre Schwester völlig emotionslos vorbrachte.

 

Dass ihre Schwester XXXX verstorben ist, war auf Grund der diesbezüglich gleichbleibenden, auch emotionalen Schilderung der Erstbeschwerdeführerin glaubhaft. Auf Grund der nicht glaubhaften bzw. nicht möglichen Schilderung der Todesumstände und ihrer Identifizierung konnten aber die Umstände des Todes der Schwester nicht festgestellt werden.

 

Die Erstbeschwerdeführerin gab in der Erstbefragung an, dass sie und XXXX im Jahr 2003 geheiratet haben und in der Einvernahme beim Bundesamt am 28.07.2015, dass sie vor 10 Jahren - somit im Jahre 2005 - die Ehe geschlossen hätten, während XXXX bei seiner Einvernahme beim Bundesamt angab zu Beginn des Jahres 2004 die Erstbeschwerdeführerin geheiratet zu haben; Ende 2003 habe er seine Frau kennengelernt. In der Verhandlung von XXXX gab dieser hingegen an, dass er die Erstbeschwerdeführerin Anfang 2004 kennengelernt und geheiratet habe. Nach Vorhalt der Angaben der Erstbeschwerdeführer in deren Erstbefragung, gab XXXX lediglich ausweichend an, dass er seine Frau Ende 2003/Anfang 2004 kennengelernt habe. In der Verhandlung am 10.01.2019 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie XXXX 2004 kennengelernt habe und ein oder zwei Monate später geheiratet habe. Es war aber nicht glaubhaft, dass vor allem die Erstbeschwerdeführerin, die in diesem Zeitraum mit dem Zweitbeschwerdeführer schwanger war, eine Eheschließung nicht im zeitlichen Verhältnis zu ihrer Schwangerschaft einordnen konnte. Nach Vorhalt ihrer bisherigen Angaben, brachte sie lediglich vor, dass sie 2003 nicht als Jahr ihrer Heirat angegeben habe; dabei handelte es sich um eine Schutzbehauptung, zumal dies der Niederschrift der Erstbefragung zu entnehmen war, deren Richtigkeit nach Rückübersetzung durch die Unterschrift der Erstbeschwerdeführerin bestätigt wurde. Dass nie eine standesamtliche Ehe geschlossen worden war und daher auch keine Vaterschaftsvermutung zu Gunsten von XXXX zum Tragen kam, stand sowohl auf Grund des Inlandsreisepasses der Erstbeschwerdeführerin als auch der Entlassungsbestätigung von XXXX aus 2009 fest, derzufolge er ledig war.

 

Ebenso machten XXXX und die Erstbeschwerdeführerin keine glaubhaften Angaben zur - zeitlich näher liegenden - Scheidung: Sowohl XXXX als auch die Erstbeschwerdeführerin gaben in der Verhandlung am 28.12.2018 (als Zeugin) einerseits an, dass sie nicht mehr miteinander verheiratet seien, führten jedoch auch gleichzeitig aus, dass sie sich nicht hätten scheiden lassen. Zudem konnte XXXX in seiner Verhandlung am 28.12.2018 weder angeben wann, noch wie er sich von der Erstbeschwerdeführerin habe scheiden lassen. Auch die Erstbeschwerdeführerin konnte in der Verhandlung am 10.01.2019 nicht angeben, wann sie sich von XXXX habe scheiden lassen. Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin und XXXX bezüglich ihrer Heirat und ihrer allfälligen Scheidung waren sohin widersprüchlich und vage, weshalb nicht festgestellt werden konnte, dass die Erstbeschwerdeführerin 2003/2004/während sie mit dem Zweitbeschwerdeführer schwanger war, XXXX geheiratet hatte.

 

Die Feststellungen zur wirtschaftlichen und häuslichen Situation der Beschwerdeführer nach der Haftentlassung von XXXX am XXXX 2009 - das Datum der Haftentlassung ergab sich aus der (nach dem ersten Verhandlungstermin im Verfahren von XXXX im Verfahren der Erstbeschwerdeführerin für XXXX von dessen Vertreterin abgegebenen Entlassungsbestätigung) - beruhten auf den diesbezüglich im Wesentlichen übereinstimmenden und stringenten Angaben der Erstbeschwerdeführerin und XXXX beim Bundesamt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer nach der Haftentlassung von XXXX an verschiedenen Adressen lebten und immer wieder umzogen, wie die Erstbeschwerdeführerin dies in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung am 10.01.2019 im Widerspruch zu ihren Aussagen im verwaltungsbehördlichen Verfahren angab. Vielmehr ergab sich aufgrund der diesbezüglich übereinstimmenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin und XXXX beim Bundesamt, entgegen den Ausführungen der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer in der Verhandlung am 15.07.2019, wonach die Erstbeschwerdeführerin bereits die letzten Jahre vor ihrer Flucht nicht bei ihrer Pflegemutter und deren Verwandten hätte leben können, dass die Beschwerdeführer seit der Haftentlassung von XXXX zusammen mit diesem und der Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin in XXXX im Haus von XXXX in der XXXX lebten.

 

Dass es sich bei dem Haus in der XXXX um das Eigentumshaus von XXXX handelte, stützte sich auf dessen diesbezüglich stringenten Angaben beim Bundesamt. Den Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am 10.01.2019, dass die Wohnung an der die Erstbeschwerdeführerin gemeldet war, die Eigentumswohnung ihrer Mutter gewesen sei, war nicht zu folgen, zumal sie dies erstmals im Verfahren erwähnte und dazu widersprüchlich ausführte immer in dieser Wohnung gelebt zu haben, obwohl sie kurz davor in der Verhandlung noch ausgeführt hatte, dass sie an verschiedenen Stellen lebte. Zudem gab sie in der mündlichen Verhandlung am 10.01.2019 zunächst auch an, dass sie mit XXXX ein Haus gehabt habe, für das dieser verantwortlich gewesen sei, so dass auch auf Grund dieser Aussage davon auszugehen ist, dass es sich bei dem Eigentumshaus um das von XXXX handelte. Dass das Haus von XXXX verkauft worden sei, widersprach den stringenten und übereinstimmenden Angaben von XXXX und der Erstbeschwerdeführerin beim Bundesamt, wonach die Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin nach deren Ausreise noch in dem Haus lebte.

 

Dass der Zweitbeschwerdeführer in der Russischen Föderation eine Privatschule besuchte und in einem Internat lebte, stützte sich auf die diesbezüglich schlüssigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin.

 

2.1.2. Die Feststellungen zur Situation der Pflegemutter in der Russischen Föderation stützten sich auf die diesbezüglich schlüssigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin in den mündlichen Verhandlungen und im Verwaltungsverfahren. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde ergab sich sowohl aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der psychiatrischen Untersuchung als auch aus ihren Ausführungen beim Bundesamt, dass sie ein gutes Verhältnis zu ihrer Pflegemutter und deren Tochter hatte und auch von Österreich aus ständig mit ihnen in Kontakt stand. Zudem gab die Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung am 10.01.2019 und 15.07.2019 an, dass sie mit ihrer Pflegemutter und deren Tochter in Kontakt stehe. Dass die Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin noch im Haus von XXXX lebte, gründete auf ihrer diesbezüglich schlüssigen Aussage beim Bundesamt und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorkam.

 

Die Angaben zu den Verwandten der Erstbeschwerdeführerin sowie zu den Geschwistern der Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin basierten auf den diesbezüglich im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der hg. mündlichen Verhandlung und im Verwaltungsverfahren.

 

2.1.3. Die Erstbeschwerdeführerin gab in der Erstbefragung am 31.05.2013 an, der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können. Laut gutachterlicher Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 18.06.2013 litt die Erstbeschwerdeführerin an keiner krankheitswertigen psychischen Störung und auch sonst keinen psychischen Krankheitssymptomen. Sie hatte keine Denkstörungen, war allseits orientiert und bewusstseinsklar. Die Stimmung war klagsam, die Befindlichkeit subjektiv negativ getrübt, der Affekt überschießend. Es gab bei der Untersuchung keine Schreckhaftigkeit, keine Zeichen frei flottierender Angst, keine tiefgreifende Verstörung, keine intrusiven oder dissoziativen Symptome und keine vegetativen Begleitreaktionen. Es gab keine emotionale Tiefung bei der Nähe zum (vorgebrachten und hg. nicht für glaubhaft befundenen) Trauma. Es konnte keine krankheitswertige psychische Störung festgestellt werden, es fanden sich keine Einbußen in Kognition und Aufmerksamkeit, keine traumatypischen Symptome und keine Zeichen von Angst oder Schreckhaftigkeit.

 

Laut Befund der Abteilung für Interne Medizin des KH XXXX vom 13.09.2013 litt die Erstbeschwerdeführerin an massiven XXXX schmerzen und seit fünf Jahren an XXXX . Die Anamneseerhebung war schwierig gewesen, weil die Patientin nur russisch und tschetschenisch sprach. Es konnten eine schwere Kriegstraumatisierung mit PTBS und Somatisierung der Beschwerden als Ursache erhoben werden. Nach psychologischer Erstbetreuung wurde eine PTBS mit intrusiven Elementen, massiven XXXX , XXXX , häufigen Flash-Backs und Hyperarousal eruiert und eine neuroleptische und schlaffördernde Therapie angesetzt.

 

In der Einvernahme vom 29.10.2013 gab die Erstbeschwerdeführerin keine psychischen Probleme an.

 

Auf Grund des Befundes des KH XXXX wurde die Beschwerdeführerin am 14.11.2013 im AKH XXXX neurologisch-psychiatrisch begutachtet. Demnach war die Beschwerdeführerin wach, orientiert und kontaktfähig. Die Stimmungslage war depressiv verfärbt, der Antrieb vermindert, die Affekte abgeflacht, sie war vermehrt weinerlich und traurig. Es wurde eine Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion festgestellt, dies in Zusammenhang mit dem offenen Asylverfahren, der derzeitigen Lebensumstände und der psychosozialen Situation der Erstbeschwerdeführerin. Sie war in der Lage, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen, eine dauerhafte Behandlungsbedürftigkeit lag nicht vor. Im Falle der Überstellung in die Russische Föderation konnte es zu einer kurzbis mittelfristigen Verschlechterung des Krankheitsbildes kommen, da in diesem Fall der Wunsch, in Österreich bleiben zu können, nicht erfüllt wurde. Es bestand aber nicht die reale Gefahr, dass sie auf Grund der psychischen Störung in einen lebensbedrohenden Zustand oder die Krankheit in einem lebensbedrohenden Ausmaß verschlechtert würde. Die medikamentöse Therapie sollte fortgesetzt werden, es kamen alle gängigen Antidepressiva in Frage.

 

Am 02.09.2014 legte die Erstbeschwerdeführerin eine Psychotherapeutische Stellungnahme vom 13.08.2014 von der Psychotherapeutin XXXX vor, wonach die Beschwerdeführerin einem "Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt gewesen" sei. Sie litt demzufolge an PTBS mit Angst und depressiver Reaktion gemischt, andauernder Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie dem Zustand nach dem Tod eines Familienangehörigen. Es sei nicht zu erwarten gewesen, dass die Beschwerdeführerin gänzlich gesunden könne, sie leide an einem chronifizierten Erregungszustand. Sie bedürfe im Umgang und bei jeglicher Befragung besonderer Sorgfalt, das schwebende Asylverfahren wirke sich negativ auf sie aus. Sie benötige dringend die Stabilität und Sicherheit Österreichs, um einen Teil ihrer tiefen Verzweiflung ablegen zu können.

 

In der Einvernahme am 28.07.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie in psychotherapeutischer Behandlung bei XXXX sei, aber keine Medikamente nehme und in der Lage sei, eine Einvernahme durchzuführen, ebenso in der Einvernahme am 16.12.2015. In dieser gab sie zusätzlich aber an, gesund zu sein, nicht in Therapie zu sein und keine Medikamente zu nehmen.

 

Der Beschwerde wurde hingegen die DRITTE psychotherapeutische Stellungnahme von XXXX zur Erstbeschwerdeführerin beigelegt (die ZWEITE wurde nie vorgelegt), wonach sie im 14tätigen Rhythmus in dolmetschergestützter Psychotherapie sei. Sie schildere in vielen anderen Stunden die XXXX , die Ermordung ihrer Schwester und die schwierige Flucht. Es sei auf Grund der vielen Details sehr wahrscheinlich, dass es sich um selbst erlebte Ereignisse handelte und es erscheine zur Wahrheitsfindung sinnvoll, die Erstbeschwerdeführerin über diese Ereignisse noch weiter zu befragen, denn es sei ein fataler Fehler, wenn die Beschwerdeführerin in ihre Heimat deportiert werden würde und ihr Leben sowie das ihrer Familie in Gefahr käme.

 

In der hg. mündlichen Verhandlung konnte die Beschwerdeführerin den Namen von XXXX , bei der sie in Behandlung war, nicht zuordnen; auf Grund ihrer Aussagen stand fest, dass Sie 2016-2018 nicht in Psychotherapie war.

 

Das Gericht folgte dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom am 14.11.2013, das im Gegensatz zu den Stellungnahmen von XXXX seine Methodologie offenlegte und den Befund nachvollziehbar begründete; dieses fand auch in der Bestätigung des Vereins XXXX , wonach die Beschwerdeführerin seit MAI 2018 wegen PTBS in dolmetschergestützter Psychotherapie war, seine Deckung. Im Übrigen widersprach die Beschwerdeführerin den Angaben in der 3. Stellungnahme von XXXX , auf den diese ihre Schlussfolgerungen stützte, in der hg. mündlichen Verhandlung, wonach sie nie in einem Gefängnis vergewaltigt worden sei, dies habe nicht zugetroffen; die Angaben zur Identifzierung ihrer toten Schwester, die die Beschwerdeführerin in der hg. mündlichen Verhandlung machte, waren im Übrigen nicht möglich.

 

Dass sich die Erstbeschwerdeführerin in Psychotherapie befand und Psychopharmaka sowie Schlafmittel XXXX ) einnahm, ergab sich aus den im Verfahren vorgelegten Bestätigungen der Psychotherapie des Verein XXXX und den Verordnungen des XXXX . Eine massive Verschlechterung ihres Zustandes konnte auf Grund des Vergleichs der vorliegenden Befunde nicht festgestellt werden.

 

Dass die Beschwerdeführerin einvernahmefähig war, bestätigte sie selbst vor jeder hg. Befragung, dies gab lt. ihrer Vertreterin auch die behandelnde Psychotherapeutin an. Dass diese jedoch in Unkenntnis davon gewesen sei, welche Psychopharmaka die Erstbeschwerdeführerin nehme, war nicht glaubhaft.

 

Der Antrag auf Ladung der Psychotherapeutin als Zeugin zum Beweis dafür, dass sich der Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin im Falle der Abschiebung irreversibel und lebensbedrohlich verschlechtern würde, war abzulehnen: Dass die Erstbeschwerdeführerin an PTBS litt, stand fest, auf Grund des psychiatrisch-neurologischen Gutachtens und dem Befund des Vereins XXXX stand fest, ebenso, welcher Medikamente sie bedurfte und dass es zu keiner massiven Verschlechterung ihrer Erkrankung kam. Auf Grund des Gutachtens vom 17.11.2013 stand fest, dass im Falle der Überstellung eine kurz- bis mittelfristige Verschlechterung des Krankheitsbildes möglich war, aus neurologisch-psychiatrischer Sicht aber im Falle der Überstellung nicht die reale Gefahr bestand, dass die Beschwerdeführerin auf Grund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte. Die Durchführung des Beweises war daher nicht nötig. Der Antrag wurde vielmehr offensichtlich zur Verschleppung des Verfahrens gestellt, erst am Ende des dritten Verhandlungstages, fünf Monate nach Beginn der mündlichen Verhandlung (Auch bis dahin wurde das Verfahren verschleppt: Die Dokumente der Beschwerdeführer wurden erst nach der Bescheiderlassung vorgelegt, das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin Großteiles erst in der Beschwerde erstattet, die Beweismittel im Verfahren von XXXX wurden erst in der Verhandlung der Beschwerdeführer zwei Monate später vorgelegt, am ersten Verhandlungstag der Beschwerdeführer war bereits der von der Erstbeschwerdeführerin in Auftrag gegebene DNA-Test nicht vorgelegt worden). Weder wurde die Psychotherapeutin stellig gemacht, noch ein schriftliches Gutachten vorgelegt, obwohl die Ladung zum letzten Verhandlungstermin einen Monat davor erging und sich die Beschwerdeführerin dem Befund zufolge seit 2018 in regelmäßiger Therapie befand; im Übrigen stellte die Vertreterin der Beschwerdeführerin selbst die Tauglichkeit der sachverständigen Zeugin in Frage, da sie angab, diese wisse gar nicht, welche Medikamente die Beschwerdeführerin nehme. Dem vorgelegten Befund der Zeugin folgte das Gericht ohnedies.

 

Die Behandelbarkeit von PTBS in der Russischen Föderation und die Verfügbarkeit von Psychopharmaka, auch in XXXX , ergab sich aus den Länderberichten.

 

Dass die Erstbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat wegen XXXX - und XXXX schmerzen behandelt wurde, ergab sich aus den diesbezüglich schlüssigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin beim Bundesasylamt. Die XXXX ergab sich aus dem vorgelegten Befund, dass die Erstbeschwerdeführerin aus diesem Grund keiner Nachbehandlung bedurfte, aus ihren Angaben. Nicht glaubhaft war, dass die Erstbeschwerdeführerin seit 2013 an XXXX litt und dieser auch in Österreich nicht behandelt worden sei bzw. dass man Geld dafür von ihr haben wollte, zumal sie lt. gutachterlicher Stellungnahme im Zulassungsverfahren am 20.06.2013 eine Mammographie hatte.

 

Dass die Erstbeschwerdeführerin arbeitsfähig war, ergab sich daraus, dass sie vor der Einreise ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestritt, bis sie mit XXXX zusammenzog, in Österreich Remunerationstätigkeiten im Rahmen der Grundversorgung machte und überdies bei älteren Frauen putzte, wenn auch nicht auf Basis von Dienstleistungscheques oder angemeldet. Dass sie nicht arbeitsfähig sei, ergab sich auch nicht aus vorgelegten Befunden.

 

Die Feststellung, dass der Zweitbeschwerdeführer XXXX hatte und deshalb bereits in XXXX in Behandlung war, ergab sich aus den diesbezüglich schlüssigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin beim Bundesasylamt; es bestand ein Verdacht auf XXXX , diese wurde jedoch nicht festgestellt.

 

Entgegen den Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung am 10.01.2019, wonach der Drittbeschwerdeführer in der Russischen Föderation nie im Krankenhaus gewesen sei und keine Behandlung erhalten habe, gab die Erstbeschwerdeführerin beim Bundesasylamt nachvollziehbar an, dass der Drittbeschwerdeführer aufgrund seines XXXX bei Geburt in der Russischen Föderation in Behandlung stand und in Österreich aus diesem Grund keiner Behandlung mehr bedurfte. Aus dem Befund vom 12.12.2018 ergab sich, dass der Drittbeschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit leicht depressiver Episode litt. Er machte Psychotherapie.

 

Dass PTBS in der Russischen Föderation, auch in XXXX behandelbar war, stand auf Grund der Länderberichte fest; die Therapie in der Russischen Föderation wurde idR medikamentös und nicht psychotherapeutisch durchgeführt, Psychotherapie war eingeschränkt, jedoch auch möglich.

 

2.2. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

 

2.2.1. Dass die Erstbeschwerdeführerin wegen XXXX nach Österreich reiste und sie sonst keine Fluchtgründe hatte, stand auf Grund ihrer Aussage beim Bundesamt fest. In der zweiten Einvernahme vor dem Bundesamt am 16.12.2015 gab sie ebenfalls an, dass sich an ihren Fluchtgründen nichts geändert habe und sie keine weiteren Gründe habe, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe; sie habe nur den Wunsch in Österreich zu bleiben. Auch in der Verhandlung vom 21.02.2019 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie nicht aus persönlichen Gründen, sondern wegen XXXX geflohen sei.

 

Die Angaben von XXXX betreffend seine Tätigkeit beim Militär waren widersprüchlich und nicht glaubhaft. So gab XXXX im verwaltungsbehördlichen Verfahren schlüssig an, dass er in der Russischen Föderation als XXXX und XXXX tätig war. Dass er Militärangehöriger gewesen sei, erwähnte er beim Bundesamt hingegen nicht; lediglich die Erstbeschwerdeführerin gab bei der Untersuchung für die gutachterliche Stellungnahme am 14.11.2013 an, dass XXXX beim Militär gearbeitet habe. Im Gegensatz dazu gab XXXX am 16.12.2015 beim Bundesamt jedoch ausdrücklich an, dass er keinen Militärdienst geleistet habe. Auch aus der im Verfahren der Beschwerdeführer vorgelegten Bestätigung des Amtes der Föderalen Strafvollzugsbehörde der Russischen Föderation für die Tschetschenische Republik vom XXXX 2009 ging hervor, dass XXXX zum Zeitpunkt der Strafhaft noch militärpflichtig war, sodass er davor nicht beim Militär gewesen sein konnte. Dies konnte er auch mit unscharfen Fotos von Menschen in militärischer Bekleidung nicht belegen, zumal er im verwaltungsbehördlichen Verfahren konsequent angegeben hatte, nie an bewaffneten oder gewalttätigen Konflikten teilgenommen zu haben. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass XXXX Militärangehöriger war.

 

Die Angaben von XXXX betreffend seine angebliche Mitnahme im XXXX 2013 waren widersprüchlich und nicht glaubhaft. Zudem stand seine Aussage beim Bundesamt, wonach er in der Nacht von 04. auf 05.01.2013 von Männern aus seiner Wohnung mitgenommen wurde, nicht im Einklang mit der Aussage der Erstbeschwerdeführerin, die in der Verhandlung vom 28.12.2018 bezüglich der Mitnahme von XXXX 2013 als Zeugin angab, dass sie dies selbst nicht gesehen habe, weil ihr Mann XXXX gewesen sei und kommen und gehen konnte, wann er wollte. Wäre XXXX tatsächlich in der Nacht aus seiner Wohnung mitgenommen worden, wäre davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin, die mit XXXX in einer Wohnung gelebt hatte, dies mitbekommen hätte, zumal sie damals auch nicht erwerbstätig war und ein kleines Kind hatte. In der Verhandlung am 28.12.2018 gab XXXX zum Vorfall der Mitnahme zunächst an, dass er im Bezirk XXXX gewesen sei, als man ihn mitgenommen habe; er könne es nicht genauer angeben, weil er sich die Straßennamen nicht merke. Dies aber nicht glaubhaft, weil XXXX auf Nachfrage ausführte, dass er um XXXX in das Haus, wo er mit der Erstbeschwerdeführerin gelebt habe gegangen sei und sogleich von hinten gepackt worden sei. Dass XXXX die Adresse seiner Wohnung nicht nennen konnte, war nicht nachvollziehbar.

 

Da schon die Mitnahme von XXXX nicht glaubhaft war, war auch das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin, sie sei von den Männern, die nach XXXX gesucht hätten, aufgesucht, gefoltert und vergewaltigt worden, nicht glaubhaft. Zudem ergaben sich viele Ungereimtheiten und Widersprüche, so dass das Vorbringen auch deshalb nicht glaubhaft war:

 

Die Erstbeschwerdeführerin schilderte zwei verschiedene Versionen betreffend das Aufsuchen durch Männer, die nach XXXX gesucht haben, das Anzünden des Hauses und die Folterung durch diese Männer. Den Angaben in der Erstbefragung zufolge seien zunächst Männer gekommen um die Beschwerdeführer nach XXXX zu fragen, das nächste Mal haben die Männer wieder nach XXXX gefragt und die Erstbeschwerdeführerin gefoltert und das dritte Mal haben die Männer das Haus angezündet. In der psychiatrischen Untersuchung gab die Erstbeschwerdeführerin jedoch an, dass die Männer zuerst gekommen seien um nach XXXX zu fragen, dann um das Haus anzuzünden und dann wieder um nach XXXX zu fragen und sie zu foltern. Dass die Erstbeschwerdeführerin nicht gleichbleibend angeben konnte, ob das Haus angezündet wurde, bevor, oder nachdem sie gefoltert wurde, war nicht glaubhaft. Hinzu kam, dass der diesbezüglich glaubhaften Aussage von XXXX zufolge das Haus nicht abgebrannt ist. Während die Erstbeschwerdeführerin in der Einvernahme beim Bundesamt angab, dass sie nach dem Anzünden ihres Hauses auf der Flucht gewesen sei, gab sie bei der psychiatrischen Untersuchung und in der mündlichen Verhandlung am 21.02.2019 an, dass sie nicht auf der Flucht, sondern bei ihrer Mutter gewesen sei. Danach gab sie lediglich ausweichend an, dass nicht gesagt habe, dass sie auf der Flucht gewesen sei; sie sei nicht auf der Flucht gewesen, sondern habe manchmal bei Bekannten übernachtet. Auch die Handlungen, die von den Männern gegenüber dem Drittbeschwerdeführer gesetzt wurden, schilderte die Erstbeschwerdeführerin nicht glaubhaft: Ungeachtet der Frage, ob der Erstbeschwerdeführer geschlagen oder gestoßen wurde (Begutachtung im Zulassungsverfahren), gab sie in der Verhandlung am 21.02.2019 an, dass der Drittbeschwerdeführer "an die Wand geschlagen" bzw. geworfen worden sei. Da der Drittbeschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt unabhängig davon, von welchem Geburtsdatum man ausging, noch keine 1 1/2 Jahre alt war, war es unplausibel, dass dieser dabei lediglich einen blauen Fleck davongetragen habe, diesen aber noch drei Monate später, nach der Einreise nach XXXX , hatte.

 

Daher konnte nicht festgestellt werden, dass im Februar 2013 mehrere russischsprachige Männer zur Erstbeschwerdeführerin nach Hause kamen und nach XXXX fragten, sie mitnahmen und sie folterten, dass sie danach noch einmal kamen und ihr Haus anzündeten und die Erstbeschwerdeführerin und ihre Mutter dabei auch vergewaltigten.

 

2.2.2. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin und ihre Schwester gefangen genommen und im Gefängnis serienvergewaltigt wurden als ihre Schwester ca. XXXX alter, sohin ca. 2004, wie sie laut der der Beschwerde beiliegenden

3. Psychotherapeutischen Stellungnahme angab; dem widersprach die Erstbeschwerdeführerin ausdrücklich in der Verhandlung am 21.02.2019, sie sei nicht im Gefängnis, sondern vom militärischen Stab auf einem Stützpunkt vergewaltigt worden. Es war auch nicht plausibel, dass die beiden Schwestern, hätte dies zugetroffen, zu Hause wohnen geblieben wären, statt sich Hilfe zu holen oder in Sicherheit zu bringen, zB zu der nahe XXXX lebenden Tante, zumal die Erstbeschwerdeführerin auch angab, es habe regelmäßig Übergriffe gegeben. Im Übrigen wäre diese Tat wenn man von dem von der Beschwerdeführerin angegebenen Alter ihrer Schwester ausging, während ihres Zusammenlebens mit XXXX passiert, während sie mit dem Zweitbeschwerdeführer schwanger war, oder kurz danach. Dieser erwähnte jedoch nichts davon.

 

Entgegen den Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin im verwaltungsbehördlichen Verfahren, wonach ihre Schwester erschossen worden sei, brachte sie in der Beschwerde vor, dass ihre Schwester verbrannt worden sei. In der Verhandlung am 21.02.2019 gab sie an, dass ihrer Schwester in die Stirn geschossen und dann in Brand gesetzt worden sei und ihre Leiche drei Tage im Wald gelegen sei. Nicht möglich waren die Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin, sie habe ihrer Schwester, obwohl sie in den Kopf geschossen, im Wald gelegen und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt worden sei, am rosafarbenen Lidschatten identifiziert. Dass der Lidschatten, obwohl ihrer Schwester in die Stirn geschossen worden sei, sie verbrannt worden sei und die Leiche drei Tage im Wald gelegen sei, nicht verschmiert gewesen sei und die Erstbeschwerdeführerin sie deshalb erkannt habe, war nicht nachvollziehbar - die Beschwerdeführerin beschrieb ausdrücklich, dass die Leiche ihrer Schwester vom Kopf über den Torso bis zur Hüfte verbrannt gewesen sei. Ebenso nicht möglich war, dass die Erstbeschwerdeführerin die Brandleiche ihrer über den Torso verbrannten Schwester an einer typischen Handhaltung erkannt hatte. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass die Schwester der Erstbeschwerdeführerin 2008 nach einem Anruf das Haus verließ, nicht mehr nach Hause kam, getötet wurde und von der Erstbeschwerdeführerin im Leichenschauhaus identifiziert wurde, wie die Erstbeschwerdeführerin im hg. Verfahren erstmals vorbrachte; dieses Vorbringen unterfiel zudem dem Neuerungsverbot, da es bereits vor der Beschwerdeerhebung bekannt war und sie es laut psychotherapeutischer Stellungnahme auch schon während des verwaltungsbehördlichen Verfahrens vorbrachte.

 

Die Erstbeschwerdeführerin brachte erstmals in der Beschwerde vor, dass sie einer Verfolgung durch einen Polizisten, der ihrer Schwester umgebracht habe, ausgesetzt gewesen sei, während sie bei der Anamnese lediglich angab, dass ihre Schwester nach einem Anruf weggegangen und nicht mehr nach Hause gekommen sei und die Erstbeschwerdeführerin sie ihm Leichenhaus identifiziert habe. Dass sie daraufhin einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, erwähnte sie jedoch mit keinem Wort. Auch in beiden Einvernahmen beim Bundesamt führte die Erstbeschwerdeführerin keine Verfolgung durch den angeblichen Mörder ihrer Schwester an. Zudem fiel auf, dass die Erstbeschwerdeführerin entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde in der Verhandlung am 21.02.2019 keine konkrete Verfolgung durch den angeblichen Mörder ihrer Schwester mehr anführte, sondern lediglich pauschal angab, dass alle XXXX in XXXX umgebracht worden seien. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin einer Verfolgung durch den angeblichen Mörder ihrer Schwester ausgesetzt war. Auch dieses Vorbringen unterfiel daher dem Neuerungsverbot und war im Übrigen nicht glaubhaft.

 

Nicht glaubhaft war überdies, dass der Vater des Drittbeschwerdeführers ihr gedroht habe, es werde ihr gehen wie ihrer Schwester. Die Erstbeschwerdeführerin brachte die von ihr geschilderte Ermordung ihrer Schwester in Zusammenhang mit XXXX - allerdings war nicht dieser, sondern sein Bruder XXXX Kommandant des Bataillons XXXX . Dessen ungeachtet war der XXXX mit dem von XXXX verfeindet. Es war daher nicht ersichtlich, warum betreffend die Verfolgung der Beschwerdeführer der XXXX und " XXXX " XXXX kooperiert haben sollten.

 

Das Vorbringen betreffend die Vergewaltigungen und die Ermordung der Schwester sowie die Verfolgung durch den Mörder der Schwester waren vielmehr unglaubhafte Steigerungen des Fluchtvorbringens. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen. Vielmehr musste grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entsprach, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht wurden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kamen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Es war davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin damit versuchte, ihrem Vorbringen einen zusätzlichen Aspekt hinzuzufügen.

 

Es war überdies nicht ersichtlich, dass die Erstbeschwerdeführerin dies nicht bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren hätte vorbringen können, in dem sie nach der Erstbefragung drei Mal einvernommen wurde, zudem wurde ihr schriftlich Parteiengehör eingeräumt und der gutachtende Psychiater hatte die Erstbeschwerdeführerin darauf hingewiesen, das ihm erstattete Vorbringen auch im Asylverfahren vorzubringen. Dies ergab sich vielmehr bereits aus der psychotherapeutischen Stellungnahme. Auch durch das Geschlecht der Einvernehmden ergab sich kein Hinderungsgrund: Die Beschwerdeführerin wurde auf ihren Wunsch hin nach der ersten Einvernahme von Referentinnen einvernommen. Diesen gegenüber erstattete sie das Vorbringen nicht, dem männlichen Psychiater hingegen eine Vergewaltigung in anderem Zusammenhang. Das Vorbringen unterfiel daher dem Neuerungsverbot.

 

2.2.3. Es war nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin ca. 2002 in erster Ehe mit einem XXXX verheiratet war, der sich als Polizist ausgegeben habe und ca. ein halbes Jahr später gestorben sei; dieser sei der Vater des Zweitbeschwerdeführers. Eine Eheschließung schien in ihrem Inlandsreisepass nicht auf. In der Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers war kein Vater eingetragen. Im verwaltungsbehördlichen Verfahren erstattete die Erstbeschwerdeführerin dieses Vorbringen nicht, nur in der psychiatrischen Begutachtung. Eine Verfolgung aus diesem Grund brachte die Erstbeschwerdeführerin weder in dieser Begutachtung, noch im hg. Verfahren glaubhaft vor. Es war auch nicht plausibel, dass die Erstbeschwerdeführerin, sollte sie aus diesem Grund verfolgt worden sein, XXXX weitere Jahre im Herkunftsstaat, zu Hause, wohnhaft blieb.

 

Insbesondere war nicht glaubhaft, dass sie danach die Waffen ihres Ehemannes versteckt habe und dass danach nach ihr gesucht worden sei: Die Erstbeschwerdeführerin lebte mit ihrer Pflegemutter in einem von Präsident XXXX zur Verfügung gestellten Haus, war an dieser Adresse gemeldet und ihr Schwager war Militärangehöriger. Es war ausgeschlossen, dass das Militär sie nicht gefunden hätte, hätte man nach ihr gesucht.

 

Nicht nachvollziehbar, gesteigert und unglaubhaft waren die Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung am 21.02.2019, wonach sie nach dem Tod ihres angeblich ersten Ehemannes, der XXXX gewesen sei, zu einem Angehörigen der XXXX gegangen sei und einen Selbstmordanschlagen durchführen wollte. Es war nicht nachvollziehbar, dass sie dieses Vorbringen nicht bereits früher gemacht hätte, hätte es zugetroffen. Eine Verfolgung aus diesem Grund in den XXXX Jahren vor ihrer Ausreise hatte sie auch selbst nicht behauptet.

 

Die Vertreterin der Beschwerdeführer brachte am Ende der Verhandlung am 15.07.2019 eine drohende Verfolgung in Blutrache vor, weil der Zweitbeschwerdeführer der Sohn eines XXXX sei. Es konnte jedoch weder festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführer der Sohn eines XXXX war, noch dass die Erstbeschwerdeführerin mit einem XXXX verheiratet war. Eine Verfolgung aus diesem Grund in den XXXX Jahren vor der Ausreise hatte die Erstbeschwerdeführerin nicht vorgebracht. Es war daher nicht glaubhaft, dass die Erstbeschwerdeführerin oder der Zweitbeschwerdeführer aus diesem Grund im Falle der Rückkehr einer Gefahr ausgesetzt wären. Hinzu kam, dass mehrere ihrer Onkel während des XXXX krieges verschwanden. Eine Verfolgung aus diesem Grund hatte die Erstbeschwerdeführerin weder betreffend ihre Person, noch betreffend deren Gattinnen bzw. Witwen und deren Kinder behauptet, die abgesehen von ihrem XXXX und dessen Familie alle unbehelligt im Herkunftsstaat, in XXXX leben.

 

Eine Gefährdung der Beschwerdeführer bestand auch nicht wegen der Asylgewährung an ihren Onkel XXXX : Dieser lebte bereits als Asylberechtigter in Österreich, bevor die Beschwerdeführer einreisten. Eine Verfolgung der Beschwerdeführer oder der weiteren im Herkunftsstaat lebenden Verwandten brachte die Erstbeschwerdeführerin nicht vor und eine solche war auch nicht glaubhaft. Die Erstbeschwerdeführerin gab nur an, dass Freundinnen bei ihrer Mutter vorstellig wurden, weil sie ihnen Geld schulde, eine staatliche Verfolgung oder Suche nach ihr behauptete sie nicht.

 

2.2.4. Dass die Erstbeschwerdeführerin in der Russischen Föderation nie politisch tätig, nicht Mitglied einer Partei oder sonstigen Organisation war, nach ihr nicht gefahndet wurde und im Herkunftsstaat an keinen bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt war, ergab sich aus ihren diesbezüglich schlüssigen Angaben in der Einvernahme beim Bundesamt.

 

Dass sie im Falle der Rückkehr diskriminiert werde, weil ihr Vater Tschetschene war und ihre Mutter Russin, wie sie erstmals in der Beschwerde vom 11.01.2016 angab, konnte wegen des Widerspruchs zu ihren Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren und ihrem diesbezüglich unsubstantiierten Vorbringen in der Beschwerde nicht festgestellt werden: Die Erstbeschwerdeführerin hatte trotz intensiver Befragung keine Verfolgung aus diesem Grund vorgebracht; sie wuchs zudem in einer tschetschenischen Pflegefamilie auf, in einem vom Präsidenten zur Verfügung gestellten Haus, ihr Schwager war Militärangehöriger. Eine Verfolgung war vor dem Hintergrund dieser Umstände nicht zu erkennen.

 

Eine aktuelle Verfolgung der Beschwerdeführer aus ethnischen Gründen konnte insbesondere in XXXX , das fast monoethnisch war, aber auch in den sonstigen Teilen der Russischen Föderation nicht erkannt werden, da tschetschenische Volksangehörige in der Russischen Föderation weit verbreitet und nicht grundsätzlicher Benachteiligung oder Übergriffen ausgesetzt waren. Eine solche brachten die Beschwerdeführer auch nicht vor.

 

Eine Verfolgung aus religiösen Gründen brachten die Beschwerdeführer nicht vor. Sie waren Angehörige des Islams, der in der Russischen Föderation die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft war. In der Russischen Föderation lebten rund 20 Millionen Muslime; in XXXX lebten fast ausschließlich Muslime. Eine aktuelle Verfolgung aus diesem Grund war den Länderberichten mit Blick auf die Beschwerdeführer nicht zu entnehmen.

 

Die Erstbeschwerdeführerin gab erstmals in der Zeugenaussage im hg. Verfahren von XXXX eine Beziehung zu den XXXX an und brachte in der hg. mündlichen Verhandlung erstmals vor, sich für die XXXX zu interessieren, wobei auch die Vertreterin nichts von diesem Vorbringen wusste. Die Begleitperson von den XXXX erschien nur zur Zeugeneinvernahme der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren von XXXX , danach nicht mehr. Glaubhaft war, dass sich die Begleitperson um die Erstbeschwerdeführerin bemühte und sich mit ihr traf und sie redeten, zumindest vor dem Beginn der hg. mündlichen Verhandlung. Eine Konversion zu den XXXX , ein sonstiger Betritt zu dieser Religionsgemeinschaft oder ein tieferes Interesse an dieser Religion hatte die Erstbeschwerdeführerin ebensowenig behauptet wie einen Abfall vom Islam, vielmehr bezog sie sich im weiteren Verfahren auf die Scharia und die Gesetze "bei uns Muslimen". Eine Verfolgung wegen Abfalls vom Islam oder eine Konversion zu den XXXX konnte daher nicht festgestellt werden.

 

2.2.5. Erstmals in der hg. mündlichen Verhandlung am 21.02.2019 brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sie von einem Abgeordneten, der der Vater des Drittbeschwerdeführers sein sollte, gesucht werde, weil sie ihm sein Kind vorenthalte.

 

Gemäß § 20 Abs. 1 BFA-VG dürfen in einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden, wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach der Entscheidung des Bundesamtes maßgeblich geändert hat (Z 1), wenn das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft war (Z 2) wenn diese dem Fremden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes nicht zugänglich waren (Z 3) oder wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen (Z 4). Dies gilt gleichermaßen für ein Vorbringen, das erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht wird.

 

Ein Vorbringen zur Verfolgung durch einen Abgeordneten wegen Kindesvorenthaltung erstattete die Erstbeschwerdeführerin weder im verwaltungsbehördlichen Verfahren noch in der Beschwerde oder im schriftlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Sie verneinte vielmehr im verwaltungsbehördlichen Verfahren in der Einvernahme am 28.07.2015 die Fragen, ob sie jemals größere Probleme mit einer Privatperson, zB Racheachte oder Blutfehden, gehabt habe, oder jemals ein Problem mit den Behörden in ihrem Herkunftsstaat gehabt habe, und gab in der Einvernahme am 16.12.2015 auf die Frage, ob sie an ihren Fluchtgründen etwas abändern oder etwas zu diesen hinzufügen wolle an, dass sich nichts geändert habe, sondern sie nur den Wunsch habe zu bleiben. Die Frage, ob sie sämtliche Gründe, warum sie die Heimat verlassen habe, vollständig geschildert habe, bejahte sie, auch auf die Frage, was ihr konkret drohe, wenn sie in den Herkunftsstaat zurückkehren würde, erstattete sie kein Vorbringen zu einer möglichen Verfolgung durch den Vater des Drittbeschwerdeführers. Sie bejahte abschließend die Fragen, ob sie alle Gründe, die sie zur Ausreise veranlasst haben, vollständig geschildert habe, ob ihr genügend Zeit eingeräumt worden sei, ihre Probleme vollständig und ausführlich zu schildern und verneinte die Frage, ob sie noch etwas angeben wolle, was ihr besonders wichtig sei. Da die Erstbeschwerdeführerin laut der mit der Beschwerde vorgelegten 3. Psychotherapeutischen Stellungnahme das nunmehr erstattete Fluchtvorbringen in diesem Zeitraum dort bereits erstattete war kein Grund ersichtlich, der die Erstbeschwerdeführerin daran gehindert hätte, dieses Vorbringen bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren zu erstatten.

 

Da sich der gesamte Sachverhalt auf den Zeitraum 2011 bezog, hat sich der Sachverhalt nicht nach der Entscheidung des Bundesamtes maßgeblich geändert (Z1), das Verfahren vor dem Bundesamt war auch nicht mangelhaft, da die Erstbeschwerdeführerin nach der Erstbefragung im zugelassenen Verfahren - abgesehen von der Einvernahme vor dem Bundesasylamt durch einen männlichen Einvernahmeleiter - beim Bundesamt zweimal jeweils durch eine weibliche Einvernahmeleiterin unter Beiziehung jeweils einer weiblichen Dolmetscherin einvernommen wurde und ihr schriftlich Parteiengehör eingeräumt wurde und sie daher genügend Gelegenheiten hatte, diesen Sachverhalt vorzubringen (Z 2), da ihr dieser Sachverhalt die gesamte Zeit über zugänglich war (Z 3) und sie ausweislich des psychiatrischen Gutachtens, wonach sie allseits orientiert und in der Lage war, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen und - insbesondere da ihr auch ein Rechtsberater beigegeben war - in der Lage war, dieses Vorbringen bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren zu erstatten. Das Vorbringen zur Verfolgung durch einen Abgeordneten wegen Kindesvorenthaltung unterfiel daher dem Neuerungsverbot. Vielmehr stellt dieses Vorbringen erst in der hg. mündlichen Verhandlung einen Versuch dar, das Asylverfahren missbräuchlich zu verlängern (VwGH 29.07.2015, Ra 2015/18/0036).

 

Davon abgesehen war das diesbezügliche Vorbringen nicht glaubhaft:

 

Bereits der Antrag der Erstbeschwerdeführerin für sich und ihre Kinder auf freiwillige Rückkehr und Reintegrationshilfe für die Eröffnung einer XXXX in XXXX am 20.01.2015, sei es wegen eines Streites mit XXXX , sei es wegen der Gefärdungsprüfung durch die XXXX Jugendwohlfahrt, sprachen gegen eine Gefährdung der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation. Gleichermaßen war die behauptete - aber bisher behaupteterweise erfolglose - Verfolgung durch einen Abgeordneten, " XXXX " von XXXX , weswegen sie das Haus nur verschleiert verlassen habe können, vor dem Hintergrund des restlichen Vorbringens (sie habe mit ihrer Pflegemutter zusammengelebt im Haus von XXXX in XXXX , es sei dort von Militärs immer wieder nach XXXX gesucht worden, dabei habe man sie und den Drittbeschwerdeführer angetroffen, ihr Schwager sei beim Militär, es habe bei der Ausreise keine Probleme gegeben) und den zahlreichen Behördenkontakten vor der Ausreise (Passausstellung, Geburtsurkunde und Staatsbürgerschaftsnachweis für den Zweitbeschwerdeführer, Notariatsakt betreffend den Drittbeschwerdeführer) unplausibel und nicht glaubhaft.

 

Dieses Vorbringen war aber auch auf Grund des Aussageverhaltens der Erstbeschwerdeführerin nicht glaubhaft, da nicht ersichtlich war, warum sie dieses Vorbringen weder im verwaltungsbehördlichen Verfahren, noch in der Beschwerde erstattet hatte, oder in einem der vorbereitenden Schriftsätze im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, obwohl der Erstbeschwerdeführerin nach der Bescheiderlassung ein Rechtsberater beigegeben war. Weiters sprach gegen die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens, dass die Erstbeschwerdeführerin es in der mündlichen Verhandlung am 21.02.2019 auf die offene Frage des Gerichts nach ihren Fluchtgründen selbst auf die Nachfrage hin, detailliert die Gründe für die Ausreise anzugeben, in der freien Rede nicht vorbrachte. Selbst nach der Aussage, - zusammengefasst - sie erwarte dort der Tod, weil der XXXX dort entscheide, wer zu leben habe und wer nicht, jeder Ziegel der dort liege sei mit Blut beschmiert, jeder Rubel, auf Nachfrage, weil sie mit dem Kind von XXXX geflüchtet sei, weil man ihn mitgenommen hätte und sie ihn dann nicht gesehen hätte und sie erst in Österreich erfahren habe, dass Frauen Rechte haben, erstattete sie auf Nachfrage, warum sie die Russische Föderation verlassen habe, kein Vorbringen zu XXXX , sondern wiederholte das im verwaltungsbehördlichen Verfahren zu XXXX erstattete Vorbringen und bejahrte, dass sie alle ihre Fluchtgründe vorgebracht habe. Ein ausführliches Vorbringen dazu erstattete sie erst am Ende dieser Verhandlung, nachdem die Vertreterin um eine Verhandlungspause ersucht und mit der Erstbeschwerdeführerin für fünf Minuten den Verhandlungssaal verlassen hatte, auf die Frage ihrer Vertreterin hin. Dieses Aussageverhalten sprach gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens und erweckte vielmehr den Eindruck einer auswendig gelernten Geschichte. Es war auch nicht glaubhaft, dass die Erstbeschwerdeführerin den Namen des angeblichen Vaters des Drittbeschwerdeführers nicht gleichbleibend angeben konnte. Das Vorbringen zu einer 6,5 monatigen Freiheitsentziehung war im Übrigen nicht mit dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin über die regelmäßigen Besuche bei XXXX im Gefängnis vereinbar, ebensowenig mit den von ihr vorgebrachten regelmäßigen Besuchen beim Zweitbeschwerdeführer im Internat.

 

Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass der Drittbeschwerdeführer der Sohn des Abgeordneten XXXX alias XXXX ist und die Erstbeschwerdeführerin im Falle der Rückkehr umgebracht würde, weil sie mit ihm ausgereist war. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass sie vor XXXX alias XXXX geflohen ist.

 

2.2.6. Die Erstbeschwerdeführerin brachte vor, dass für den Zweit- und den Drittbeschwerde-führer die gleichen Fluchtgründe wie für sie galten; sie hatten keine eigenen. Da keine asylrelevante Gefährdung der Erstbeschwerdeführerin festgestellt werden konnte, ergab sich aus deren Fluchtvorbringen auch keine Gefährdung für die minderjährigen Beschwerdeführer.

 

2.2.7. Dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr wegen ihres Aufenthalts in Österreich oder der Asylantragstellung hier im Falle der Rückkehr keiner Gefährdung ausgesetzt waren, waren sich aus den Länderberichten, denen zufolge Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert waren (vgl. Punkt II.1.5.).

 

Die Sicherheitslage in der Russischen Föderation ist stabil, sodass sich die Beschwerdeführer auch in einem anderen Landesteil niederlassen konnten. Im Verfahren sind keine Umstände hervorgekommen, die dem entgegenstehen würden.

 

2.2.8. Dass die Erstbeschwerdeführerin keine Probleme bei der Passausstellung hatte, steht auf Grund Ihrer Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung am 21.02.2019 fest. Dass der Erstbeschwerdeführerin ein Reisepass ausgestellt wurde, ergibt sich aus der hg. Übersetzung des Inlandsreisepasses. Dass die Beschwerdeführerin nach der Passausstellung 2013 problemlos mit ihren Söhnen mit dem Zug nach XXXX reiste, sie dort am 13.05.2013 Anträge auf internationalen Schutz stellte, aber ihr Verfahren nicht abwarteten, sondern nach Österreich weiterreisten, stand auf Grund ihrer Angaben in der Verhandlung vom 21.02.2019 sowie dem Akteninhalt - insbesondere den Dublin-Konsultationen mit XXXX - fest.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin erst in XXXX von im Dublin-Verfahren überstellten Asylwerbern erfahren hat, dass XXXX in Österreich ist, zumal sie in der Erstbefragung angab, bei den Folterungen in XXXX schon gewusst zu haben, dass er in Österreich sei, aber sie nichts verraten habe.

 

2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat, ergaben sich aus den o.a. Länderberichten zur RUSSISCHEN FÖDERATION und aus den Feststellungen zu ihren persönlichen Umständen. Die Sicherheitslage in der Russischen Föderation war insbesondere für gewöhnliche Bürger stabil.

 

Dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr wieder mit der Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin im Haus von XXXX wohnen konnten, gründete auf dem Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin mit ihren Söhnen auch vor ihrer Ausreise aus der RUSSISCHEN FÖDERATION gemeinsam mit ihrer Pflegemutter dort gelebt hatten (siehe auch Ausführungen unter Punkt II.2.1.1.) und die Pflegemutter weiterhin dort lebte. Dass dies nunmehr nicht mehr möglich gewesen wäre, hatte die Erstbeschwerdeführerin nicht vorgebracht. Vielmehr gab sie vor dem Bundesamt selbst an, dass sie bei ihren Verwandten hätte leben können. Zudem hatten die Beschwerdeführer zu XXXX eine gute Beziehung, so dass nicht davon auszugehen war, dass er ihnen eine Unterkunftnahme verweigert hätte. Der Familie drohte somit keine Obdachlosigkeit im Falle der Rückkehr in die RUSSISCHE FÖDERATION, zumal es auch noch die zweite Wohnung in der XXXX gab.

 

Dass die Erstbeschwerdeführerin Tschetschenisch und Russisch sprach, ergab sich aus ihren diesbezüglich stringenten Angaben im Verfahren. Da der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer mit ihrer Mutter im Familienverband lebten, war davon auszugehen, dass diese ihnen die russische und tschetschenische Kultur und Sprache vermittelte, zumal die Erstbeschwerdeführerin kaum Deutsch sprach. Entgegen ihrem Vorbringen, der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer würden nicht Russisch sprechen, stand auf Grund dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin, ihre Söhne schauen auf Deutsch und Russisch fern, fest, dass der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer fließend Russisch und Tschetschenisch sprachen sowie im Rahmen der russischen und tschetschenischen Tradition sozialisiert wurden. Die Russischsprachkenntnisse ergaben sich betreffend den Zweitbeschwerdeführer auch daraus, dass er in der Russischen Föderation in einer Privatschule mit Internat gelebt hatte, betreffend den Drittbeschwerdeführer auch daraus, dass er öfter bei XXXX und dessen Lebensgefährtin und deren Sohn auf Besuch war, wobei XXXX nicht, der Drittbeschwerdeführer nicht gut Deutsch sprach und die Lebensgefährtin von XXXX und deren Sohn nicht Tschetschenisch, die gemeinsame Sprache bei diesen war sohin Russisch.

 

Die Erstbeschwerdeführerin war arbeitsfähig, volljährig und hatte im Herkunftsstaat eine dreijährige Schulbildung absolviert und Arbeitserfahrung als XXXX in einem XXXX und als Hilfsarbeiterin auf XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin konnte im Falle der Rückkehr einer beruflichen Tätigkeit nachgehen und für sich und ihre minderjährigen Kinder den Lebensunterhalt bestreiten. Die Erstbeschwerdeführerin verfügte über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation, insbesondere ihre Pflegemutter, deren Tochter und Geschwister, sowie ihre Onkel und Tanten väterlicherseits, sodass sie sich für den Fall, dass sie Unterstützung bei der Betreuung ihrer Kinder brauchte, an diese wenden konnte. Dass die Beschwerdeführer auf die Unterstützung im Familienverband zurückgreifen konnten, ergab sich daraus, dass die Erstbeschwerdeführerin bereits vor ihrer Ausreise bei der Beschaffung von Dokumenten und der Ausreise aus der RUSSISCHEN FÖDERATION von ihrem sozialen Netzwerk, insbesondere ihrer Schwester und Pflegemutter, unterstützt wurde. Zudem gab die Erstbeschwerdeführerin beim Bundesamt an, dass sie mit ihrer Schwester und ihrer Pflegemutter laufend in Kontakt stand und ihr diese im Falle einer Rückkehr geholfen hätten. Die Erstbeschwerdeführerin konnte wieder eine Registrierung erlangen und dadurch das Sozialsystem der RUSSISCHEN FÖDERATION in Anspruch nehmen; dies ergab sich aus den Länderberichten zur RUSSISCHEN FÖDERATION, wonach auch Rückkehrer, wie alle russischen Staatsangehörige durch das Wohlfahrtssystem Leistungen beziehen konnten (vgl. Punkt II.1.5.) und die Unterstützung bei Behördenwegen, die die Erstbeschwerdeführerin bereits bisher durch ihre Verwandten erhalten hatte.

 

Es stand daher fest, dass die Erstbeschwerdeführerin für die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse für sich, den Zweit- und den Drittbeschwerdeführer aufkommen konnte und die Existenz der minderjährigen Beschwerdeführer über ihre Mutter gesichert war.

 

Dass die Krankheiten der Beschwerdeführer in der RUSSISCHEN FÖDERATION behandelbar waren, ging aus dem Länderinformationsblatt zur RUSSISCHEN FÖDERATION hervor (vgl. Punkt II.1.5.); die Erstbeschwerdeführerin bestätigte dies auch dadurch, dass sie bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat wegen XXXX - und XXXX schmerzen und auch der Zweitbeschwerdeführer bereits in XXXX wegen XXXX behandelt wurde. Die Beschwerdeführer brachten auch keine Probleme in der Behandlung ihrer - bereits vor der Ausreise bestehenden Erkrankungen - vor. Posttraumatische Belastungsstörungen war in der gesamten RUSSISCHEN FÖDERATION - zB auch in XXXX - behandelbar. Die Erst- und der Drittbeschwerdeführer nahmen in Österreich (dolmetschergestützte) psychotherapeutische Behandlung in Anspruch. Zwar wurden mentale Krankheiten in der Russischen Föderation hauptsächlich mit Medikamenten behandelt und es gibt nur eingeschränkt die Möglichkeit von Psychotherapie in XXXX , ungeachtet der Behandlungsmethode war PTBS jedoch auch dort behandelbar, die Medikamente dafür dort erhältlich und auch Psychotherapie möglich. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr, wie von der Vertreterin in der hg. mündlichen Verhandlung vorgetragen, in eine essentielle Notlage wegen ihres Gesundheitszustandes geraten wären.

 

Der in der hg. mündlichen Verhandlung am 15.07.2019 gestellte Antrag auf Einvernahme der Psychotherapeutin der Erstbeschwerdeführerin als Zeugin zum Beweis dafür, dass sich der Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin bei einer Abschiebung irreversibel und lebensbedrohlich verschlechtern würde, wurde zur Verfahrensverschleppung gestellt, zumal die Zeugin in der mündlichen Verhandlung am 15.07.2019 entweder stellig gemacht oder ein schriftlicher Befund vorgelegt werden hätte können. Dass innerhalb des Monats ab Ladungszustellung kein schriftlicher Befund vorgelegt werden konnte, war nicht nachvollziehbar, weil sich die Erstbeschwerdeführerin in laufender Behandlung befand. Zudem konnte sich das Gericht bezüglich der Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin durch die im Verfahren vorgelegten ärztlichen Befunden, den diesbezüglich schlüssigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin in den mündlichen Verhandlungen und den Länderfeststellungen ein umfassendes Bild bilden. Der Antrag wurde daher abgelehnt.

 

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation der Beschwerdeführer in Österreich:

 

2.4.1. Die Feststellungen zur Einreise der Beschwerdeführerin sowie das Datum der Antragstellung und die Zulassung des Verfahrens und den Inhalt der Bescheide des Bundesamtes vom 28.12.2015 sowie zum jeweils vorläufigen Aufenthaltsrecht ergaben sich aus dem Akteninhalt.

 

Dass die Erstbeschwerdeführerin über keine Deutschkenntnisse verfügt, stützt sich darauf, dass die Erstbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung am 10.01.2019 angab, Deutsch zwar zu verstehen, dass sie sich aufgrund des Stresses sprachlich verliere. Aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Erstbeschwerdeführerin in den mündlichen Verhandlungen und dem Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin lediglich Deutschkurse auf niedrigstem Niveau absolvierte, aber noch keine Prüfungen abgelegt hatte, war jedoch festzustellen, dass die Erstbeschwerdeführerin über keine Deutschkenntnisse verfügte.

 

Der Bezug von Grundversorgung durch die Erstbeschwerdeführerin ergab sich aus dem GVS-Auszug.

 

2.4.2. Die Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführer in Österreich (insbesondere betreffend die Ausübung von Remunerationstätigkeiten im Rahmen der Grundversorgung, das Putzen bei Pensionistinnen, wenn auch nicht auf Basis von Dienstleistungscheques, und Kindergarten- und Schulbesuch der minderjährigen Beschwerdeführer und deren Freizeitaktivitäten) beruhten auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung sowie auf den im Verfahren vorgelegten Dokumenten.

 

Dass die Erstbeschwerdeführerin eine Freundin in XXXX hatte, ergab sich aus ihren diesbezüglich schlüssigen Angaben in der Verhandlung vom 10.01.2019. Die Freundschaft wurde jedoch erst nach ihrer Einreise ins österreichische Bundesgebiet und somit in der Zeit begründet, als sie sich ihres unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste. Dass die Erstbeschwerdeführerin darüber hinaus keine Freundschaften geschlossen hat, ergab sich aus ihrer Aussage in der Verhandlung am 10.01.2019, wonach sie in Österreich keine Freunde habe.

 

2.4.3. Die Feststellungen zu dem in Österreich lebenden (Pflege‑)Onkel der Erstbeschwerdeführerin und dessen Kontakt zur Erstbeschwerdeführerin ergaben sich aus den diesbezüglich schlüssigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung vom 10.01.2019. Dass die Beschwerdeführer mit dem (Pflege‑)Onkel der Erstbeschwerdeführerin nicht im gemeinsamen Haushalt lebten, ergab sich aus den Auszügen des Melderegisters sowie dem GVS-Auszug und fand in den Angaben der Erstbeschwerdeführerin Deckung.

 

Eine Abhängigkeit zum (Pflege‑)Onkel der Erstbeschwerdeführerin wurde weder behauptet noch kam Entsprechendes im Verfahren hervor.

 

2.4.4. Die Unterbringung der Beschwerdeführer in XXXX und XXXX in einem Quartier der Grundversorgung, ergab sich aus dem GVS-Auszug. Dass die Beschwerdeführer zunächst in XXXX gemeinsam mit XXXX lebten, ergab sich aus den Auszügen des Melderegisters und den Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung am 10.01.2019, die mit den Angaben von XXXX beim Bundesamt in Einklang standen. Die Meldungen der Beschwerdeführer ergab sich aus den Auszügen des Melderegisters. Dass die Beschwerdeführer an diesen Adressen gewohnt hätten, konnte aufgrund der Aussage der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, wonach sie dort nur gemeldet gewesen seien, nicht festgestellt werden.

 

Die Feststellungen betreffend die Gefährdungsabklärung durch die Kinder- und Jugendhilfe der XXXX und die Jugendwohlfahrt in XXXX ergaben sich aus den Akteninhalten und den diesbezüglichen Konsultationen der Jugendwohlfahrt in XXXX durch das Bundesverwaltungsgericht.

 

Dass die Beschwerdeführer seit mindestens drei Jahren nicht mehr mit XXXX zusammenlebten, ergab sich aus einem Abgleich der Auszüge der Melderegister. Die Feststellungen, dass XXXX weder Unterhalt leistete noch obsorgeberechtigt war sowie, dass XXXX manchmal Zeit mit den minderjährigen Beschwerdeführern verbrachte, ergab sich aus den diesbezüglich schlüssigen Angaben der Erstbeschwerde-führerin in der Verhandlung am 10.01.2019, die auch im Einklang mit den Angaben von XXXX in dessen Verhandlung vom 28.12.2018 standen. Dass der Zweitbeschwerdeführer nicht viel Interesse an einer Beziehung zu XXXX hatte, ergab sich daraus, dass die Erstbeschwerdeführerin hauptsächlich davon gesprochen hatte, dass der Drittbeschwerdeführer gerne Zeit mit XXXX verbringe, bezüglich dem Zweitbeschwerdeführer jedoch keine Ausführungen in Bezug auf XXXX machte, sodass es nicht den Eindruck erweckte, dass XXXX viel Zeit mit dem Zweitbeschwerdeführer verbrachte. Dies stand auch im Einklang mit der Aussage der Lebensgefährtin von XXXX in der Verhandlung vom 28.12.2018 als Zeugin, wonach der Zweitbeschwerdeführer nicht so oft zu XXXX nachhause komme, weil er dies nicht wolle. XXXX gab in seiner Verhandlung vom 28.12.2018 lediglich pauschal an, dass er wie ein Vater für den Zweitbeschwerdeführer sei und alles für ihn machen würde; konkrete Aktivitäten, die er mit dem Zweitbeschwerdeführer setze oder gemeinsame Interessen, woraus auf eine engere Bindung geschlossen werden könnte, brachte er hingegen nicht auf. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass zwischen XXXX und dem Zweitbeschwerdeführer eine intensive Beziehung bestand. Ein regelmäßiger Besuchskontakt zwischen den minderjährigen Beschwerdeführern und XXXX konnte schon aus dem Grund nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführerin ausweislich ihrer Aussage in der hg. mündlichen Verhandlung nicht aufgefallen war, dass XXXX in Österreich eine XXXX Haftstrafe verbüßt hatte. Gegen eine enge Beziehung zum Drittbeschwerdeführer sprach auch, dass XXXX ausweislich seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung in seinem Verfahren während des Ermittlungsverfahrens betreffend sexuellen Missbrauch keine Verhaltensänderung beim Drittbeschwerdeführer wahrgenommen hatte, obwohl dieser seither an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit depressiver Episode litt und er ihn vor seiner Festnahme im Grundversorgungsquartier besucht hatte. Gegen regelmäßige Besuche dort sprach aber auch, dass XXXX im Ermittlungsverfahren nicht als Zeuge befragt wurde. Erst nachdem XXXX in der hg. mündlichen Verhandlung, in der er zur Frage des sexuellen Missbrauchs des Drittbeschwerdeführers unbegründet die Aussage verweigert hatte, darauf hingewiesen wurde, dass aus diesen Aussagen keine enge Verbindung abgeleitet werden konnte, brachte er ausweichend vor, dass er nicht gewusst habe, wie er die Frage beantworten sollte, der Drittbeschwerdeführer habe sich schon verändert und sei ruhiger geworden. Aufgrund des Aussageverhaltens handelte es sich dabei jedoch um eine Schutzbehauptung. Auch aus der Aussage von XXXX , wonach der Drittbeschwerdeführer immer etwas mit ihm unternehmen wolle, er jedoch nichts mit ihm machen habe können, weil es keine Arbeit gebe, zeigte keine intensive Bindung auf. Im Verfahren konnte abgesehen davon, dass der Drittbeschwerdeführer ab und zu Zeit mit XXXX verbrachte, nicht festgestellt werden, dass eine intensive Beziehung zwischen dem Drittbeschwerdeführer und XXXX bestand.

 

Umstände, die auf eine Abhängigkeit der Beschwerdeführer von XXXX , hindeuten würden, wurden weder behauptet noch kam Entsprechendes im Verfahren hervor:

 

Der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer besuchten die Schule. Die Erstbeschwerdeführerin konnte daher in dieser Zeit ihre Remunerationstätigkeiten erledigen und war nicht auf die Beaufsichtigung ihrer Kinder durch XXXX angewiesen. Darüber hinaus war die Erstbeschwerdeführerin - abgesehen von den stundenweise Remunerationstätigkeiten und Putzhilfe bei Pensionistinnen - auch nicht erwerbstätig und konnte ihre zwei Kinder nach der Schule daher selbst betreuen. Es bestand daher keine Abhängigkeit der Erstbeschwerdeführerin von Betreuungstätigkeiten XXXX . Eine finanzielle Abhängigkeit bestand nicht, da die Beschwerdeführer ihren Lebensunterhalt durch die Grundversorgung bestritten. XXXX leistete den Beschwerdeführern auch keinen Unterhalt. Da im Rahmen der Grundversorgung die existenziellen Grundbedürfnisse der Beschwerdeführer abgedeckt wurden, konnte keine finanzielle Abhängigkeit der Beschwerdeführer zu XXXX festgestellt werden. Es bestand auch kein Pflegeverhältnis. Dass betreffend XXXX ebenso eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, ergab sich aus dessen Akteninhalt. Die Beziehung konnte daher gleichermaßen in der Russischen Föderation fortgesetzt werden.

 

2.4.5. Die Entwicklungsdefizite des Drittbeschwerdeführers im Bereich der expressiven Sprache und der Aufmerksamkeit ergaben sich aus dem im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten für den Bereich Kinder- und Jugendpsychologie vom 14.12.2017.

 

Auf Grund des Strafaktes gegen XXXX stand fest, dass die Erstbeschwerdeführerin sich an die Psychologin des Grundversorgungsquartiers gewandt hatte, weil dieser am 21.09.2017 und 05.10.2017 den Drittbeschwerdeführer von hinten umfasst, geküsst und Knutschflecke hinterlassen habe, der Drittbeschwerdeführer gab an, der Angezeigte habe ihn nur am Hals gezwickt und Bussis gegeben, dieser gab an, er habe nur mit dem Drittbeschwerdeführer Fußball gespielt. Nachdem der Angezeigte aus dem Grundversorgungsquartier verwiesen worden war, gab die Erstbeschwerdeführerin an, der Angezeigte habe den Penis des Drittbeschwerdeführers in den Mund genommen, sich dann auf ihn gesetzt und den Geschlechtsverkehr mit ihm vollzogen, der Drittbeschwerdeführer habe eine Schwellung im Analbereich und Schmerzen; der Drittbeschwerdeführer regierte auf ein Foto des Angezeigten mit "schlimmer Mann" und war ängstlich. Die angeordnete körperliche Untersuchung des Drittbeschwerdeführers am 11.10.2017 ergab jedoch, dass dieser keinerlei Verletzungsspuren jeglicher Art im Anal- und Genitalbereich aufwies. In der Zeugeneinvernahme am 08.10.2019 gab der Drittbeschwerdeführer an, dass ihn der Angezeigte einmal in seinem Zimmer im 2. Stock in den Hals gezwickt und zwei Bussis gegeben und davor an den Haaren gezogen habe. Davor habe er ihn einmal im Hof an den Haaren gezogen, ein Bussi auf den Hals gegeben und gezwickt. Die Frage, ob er ihn sonst noch wo angefasst habe, verneinte der Drittbeschwerdeführer der Polizei gegenüber. Die Erstbeschwerdeführerin hatte der Psychologin gegenüber laut deren Aussage bei der Polizei am 12.10.2017 gegenteilig zur Aussage des Drittbeschwerdeführers angegeben, dass das zweite Mal, als dieser gezwickt worden sei, dies im Garten passiert sei, und gegenteilig zur Anzeige, der Angezeigte habe dem Drittbeschwerdeführer seinen Penis oral eingeführt, danach dessen Hose heruntergezogen und auf seinen Schoß gesetzt, um den Analverkehr zu vollziehen. Zusammengefasst gab der Drittbeschwerdeführer der Psychologin gegenüber deren Aussage bei der Polizei zufolge im Gegensatz zur Erstbeschwerdeführerin an, den Penis des Angezeigten gesehen zu haben und geküsst zu haben, dass es aber nicht zum Analverkehr gekommen sei. Der Drittbeschwerdeführer, der im Ermittlungsverfahren von einer Opferschutzeinrichtung unterstützt wurde, wurde am 05.04.2018 nach aussagepsychologischer Begutachtung kontradiktorisch einvernommen. Dabei gab er zunächst an, dass der Angezeigte ihm weh getan habe, indem er ihn mit einem Stock auf die linke Hand geschlagen habe. Einmal habe der Angezeigte ihn auf den Po geschlagen, einmal er den Angezeigten, das sei aber kein Spiel gewesen; er habe ihn auch einmal auf den Kopf geschlagen. Der Angezeigte habe ihm auch Bussis gegeben, auf Nachfrage hin auf die Hand und auf die Nase, aber nicht auf den Hals. Der Angezeigte habe nichts mit seinem Penis gemacht, sondern er habe ihn an den Haaren gerissen. Der Angeklagte habe ihm einmal auf der Toilette die Hose runtergezogen, danach gab er aber an, er habe ihm die Hose nicht ausgezogen. Einmal habe der Angeklagte ihn zwischen die Beine geschlagen, dabei sei er angezogen gewesen. Dann gab der Drittbeschwerdeführer wiederum an, der Angeklagte habe am Spielplatz den Penis des Drittbeschwerdeführers in den Mund genommen, dabei habe er die Hose runtergezogen, er habe am Spielplatz auch den Penis des Angezeigten gesehen, weil er diesem die Hose runtergezogen habe und er habe den Angezeigten geschlagen. Auf die Frage, ob der Angezeigte auch einmal etwas mit dem Po des Drittbeschwerdeführers gemacht habe, sagte dieser einmal ja, einmal nein. Er habe einmal den Penis des Angeklagten in den Mund nehmen müssen, dieser habe nicht gut geschmeckt, sei weich gewesen und ca. 1,5-2 m lang gewesen (dies zeigte er auch gestisch), da sei vorne nichts rausgekommen. Dass der Penis zuerst klein war und dann immer größer wurde, der Angezeigte ihm den Penis in den Mund geschoben hat, sodass er kaum noch atmen konnte, dieser ihm den Penis von hinten reingegeben hat, dass das sehr weh getan hat und dass er dann auf den Boden gefallen ist, gab der Drittbeschwerdeführer dabei im Gegensatz zur Aussage der Erstbeschwerdeführerin als Zeugin nicht an.

 

Auf Grund der divergierenden Aussagen wurde das Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Die Fortsetzung des Verfahrens wurde nicht beantragt. Das Gericht schloss sich der Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft an: Auf Grund der grob divergierenden Aussagen konnte mangels Spuren bei der körperlichen Untersuchung nicht festgestellt werden, dass der Drittbeschwerdeführer vom Angezeigten sexuell missbraucht wurde. Fest stand jedoch, dass der Drittbeschwerdeführer seit dem Ermittlungsverfahren an PTBS mit depressiver Episode litt.

 

Die Erstbeschwerdeführerin verweigerte im Übrigen im Strafverfahren die Aussage, während sie im Rahmen der Verhandlung von XXXX als Zeugin ein Jahr später ausführliche Angaben bezüglich des vorgebrachten sexuellen Missbrauchs des Drittbeschwerdeführers machte. Entgegen der Aussage der Erstbeschwerdeführerin als Zeugin, dass sie bei der Polizei aussagen habe wollen, sie jedoch nicht geladen worden sei, wurde die Erstbeschwerdeführerin am 08.10.2017 polizeilich als Zeugin einvernommen, verweigerte aber die Aussage, weil sie zu viel Angst vor Allah habe; sie war auch bei der kontradiktorischen Einvernahme des Drittbeschwerdeführers dabei.

 

2.4.6. Die Feststellungen zu den Anträgen auf unterstützte freiwillige Rückkehr in die Russische Föderation ergab sich aus dem Akteninhalt sowie den Angaben der Erstbeschwerdeführerin beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2019.

 

Dass der Aufenthalt der Beschwerdeführer nie geduldet war, ergab sich daraus, dass die Beschwerdeführer Gegenteiliges nie behaupteten und entsprechendes auch im Verfahren nicht hervorkam. Die Erstbeschwerdeführerin wurde zwar als Zeugin und der Drittbeschwerdeführer als Opfer von strafbaren Handlungen geführt, das diesbezügliche Strafverfahren wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs wurde jedoch bereits eingestellt. Die Erstbeschwerdeführerin gab in der Verhandlung vom 10.01.2019 und 21.02.2019 auch ausdrücklich an, dass es keine häusliche Gewalt, keine Wegweisung und kein Betretungsverbot gab und sie kein Opfer von Menschenhandel war; das Gericht folgt diesen Angaben, zumal der Akt der Jugendwohlfahrt XXXX nicht mehr aushebbar war und die Beschwerdeführer der XXXX Jugendwohlfahrt nicht bekannt waren.

 

2.4.3. Die Unbescholtenheit der Erstbeschwerdeführerin stand auf Grund des Strafregisterauszugs fest. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers ergab sich aus deren Strafunmündigkeit aufgrund ihres Alters.

 

2.5. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer:

 

Die den Länderfeststellungen (vgl. Punkt II.1.5.) zu Grunde liegenden Berichte wurden in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebracht bzw. der Beschwerdeführerin mit Parteiengehör übermittelt. Der Beschwerdeführerin wurde die Möglichkeit gegeben in die Länderberichte Einsicht zu nehmen und allenfalls dazu Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin ist den Länderberichten mit Stellungnahme vom 07.02.2019 jedoch nicht substantiiert entgegengetreten.

 

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Allgemeine Bestimmungen

 

Gemäß § 6 BVwGG entschied das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen war. Gegenständlich lag somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes war durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG blieben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG waren, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt war, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG bestimmte, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltete, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht galten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG blieben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG waren die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

 

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen war, hatte das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

 

Mit 01.01.2006 war das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und war auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Zu A)

 

3.2. Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten

 

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 war einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen war, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft war, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK drohte.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK war Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befand und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt war, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos war, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt war, in dieses Land zurückzukehren.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht konnte nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar war. Es kam nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtete, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen gefürchtet hätte (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung musste zudem in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

 

Unter Verfolgung war ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität lag vor, wenn der Eingriff geeignet war, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr war dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohte; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügte nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kam einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage war, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hatte aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit war, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 lag es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK drohte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs war der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genügte daher, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugte. Diesen traf die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hatte zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung sprach (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45, Rz 3). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzte positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 19.03.1997, 95/01/0466).

 

Relevant konnte darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie musste bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hatte die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Konnte Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und konnte ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so war der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz war gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen konnte und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben waren (§ 11 Abs. 1 AsylG 2005).

 

3.2.2. Die Erstbeschwerdeführerin machte keine Verfolgung im Herkunftsstaat vor der Ausreise glaubhaft, die erst im hg. Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe unterfielen zudem dem Neuerungsverbot. Auch von amtswegen konnte eine solche im Falle der Rückkehr nicht festgestellt werden. Dies galt auch für die minderjährigen Beschwerdeführer.

 

Es konnte auch von amtswegen keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführer festgestellt werden (siehe Ausführungen zu Punkt II.2.2.4.).

 

In Ermangelung von den Beschwerdeführern individuell drohenden Verfolgungshandlungen blieb im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob sie im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen oder zur Religionsgruppe des Islams - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre. Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung war zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtete (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014).

 

Muslimen drohte als Angehörigen der zweitgrößten Glaubensgemeinschaft und einer der traditionellen Hauptreligionen Russlands keine Verfolgung. Insbesondere in Tschetschenien gehörte die Bevölkerung fast ausschließlich dem Islam an. Aus den Länderberichten ging auch hervor, dass in der RUSSISCHEN FÖDERATION rund 20 Millionen Muslime lebten. Lediglich Dschihadisten und radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen drohten strenge Strafen und standen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (vgl. Punkt II.1.5.); dass die Beschwerdeführer zu diesen Gruppen gehörten, war betreffend die Erstbeschwerdeführerin vor der Geburt des Zweitbeschwerdeführers nicht glaubhaft und war danach auch nicht ersichtlich.

 

Es konnte auf Grund der Länderberichte auch keine Gruppenverfolgung ethnischer Tschetschenen festgestellt werden: Tschetschenen lebten überall in der Russischen Föderation. Es war nicht erkennbar, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation grundsätzlich benachteiligt bzw. Übergriffen ausgesetzt waren (vgl. Punkt II.1.5.).

 

Den Beschwerdeführern drohte aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen bei ihrer Wiedereinreise in die Russische Föderation daher keine Gefahr. Zurückkehrende wurden wegen der Stellung eines Asylantrages im Ausland nicht verfolgt (vgl. AA 10.6.2013).

 

3.2.5. Im Ergebnis war daher der Ausspruch in Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide zu bestätigen und die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. abzuweisen.

 

3.3. Entscheidung über die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:

 

3.3.1. Wurde ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so war dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich gebracht hätte.

 

Gemäß Art. 2 EMRK wurde das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen wurde, durfte eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK durfte niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Unter realer Gefahr war eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH 19.02.2004, 99/20/0573). Es mussten stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es mussten konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichten nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erforderte die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hatte (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

 

Es oblag grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reichte für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).

 

Herrschte im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen war, so lagen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hatte, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich schien, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein werde. Davon konnte in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten ließ. Davon abgesehen konnten nur besondere in der persönlichen Situation eines Asylwerbers begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko bestand, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).

 

3.3.2. Es waren keine Umstände amtsbekannt, dass in der RUSSISCHEN FÖDERATION aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestand, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrte, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt war. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergab, ist die Situation in der RUSSISCHEN FÖDERATION auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr der Beschwerdeführer für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich brachte; in der RUSSISCHEN FÖDERATION war aktuell eine Zivilperson nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

 

3.3.3. Das Vorbringen der Beschwerdeführer zu den angeblichen Fluchtgründen war nicht glaubhaft (siehe Beweiswürdigung); es bestanden daher keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit der Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht war (siehe Punkt II.3.2.).

 

3.3.4. Vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisquellen und den darauf basierenden Feststellungen fanden sich weder Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in ihren jeweiligen Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt waren, noch das "außergewöhnliche Umstände" der Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat entgegenstanden. Es stand fest, dass den Beschwerdeführern in der RUSSISCHEN FÖDERATION die notdürftigste Lebensgrundlage nicht fehlte:

 

3.3.4.1. Die XXXX -jährige Erstbeschwerdeführerin war volljährig, arbeitsfähig und sprach sowohl Tschetschenisch als auch Russisch. Die Beschwerdeführer konnten wieder im Haus vom XXXX in XXXX gemeinsam mit der Pflegemutter der Erstbeschwerdeführerin wohnen. Die Erstbeschwerdeführerin besuchte im Herkunftsstaat drei Jahre die Schule und bestritt ihren Lebensunterhalt sowie den ihrer Kinder als XXXX und durch Arbeit auf XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin verfügte daher über Arbeitserfahrung in der Russischen Föderation. Zudem hatte sie im Falle der Rückkehr in die RUSSISCHE FÖDERATION Zugang zum Sozialsystem und Krankenversicherung. Sie hatte im Übrigen zahlreiche Verwandte in der Russischen Föderation, die sie unterstützen konnten.

 

Der Erstbeschwerdeführerin war es möglich, auch die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers zu befriedigen. Die Erstbeschwerdeführerin konnte somit die Existenz des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers sichern.

 

Auch im Übrigen gerieten die Beschwerdeführer durch die Rückkehr in die RUSSISCHE FÖDERATION in keine aussichtslose Lage, wie sich aus der Begründung des Antrages auf freiwillige Rückkehr ergab; eine Lageänderung diesbezüglich wurde nicht glaubhaft vorgebracht.

 

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der Beschwerdeführer stand fest, dass sie im Fall ihrer Rückkehr nach XXXX nicht in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr gelaufen wären, eine Verletzung ihrer durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es lagen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Rückkehr nach XXXX entgegengestanden wären. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führte im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass den Beschwerdeführern eine Rückkehr nach XXXX möglich und auch zumutbar war.

 

3.3.4.2. Die Beschwerdeführer litten an keinen lebensbedrohlichen, im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen. Vielmehr ergab sich aus den Länderberichten zur medizinischen Versorgung in der RUSSISCHEN FÖDERATION, wonach die medizinische Versorgung in Russland flächendeckend gewährleistet war, auch, dass PTPS in der Russischen Föderation, auch in der Teilrepublik XXXX , behandelbar war. Unter Berücksichtigung der Erkrankungen der Beschwerdeführer, konnte jedenfalls nicht festgestellt werden, dass sie an einer derart akuten und lebensbedrohlichen Erkrankung litten, welche in der RUSSISCHEN FÖDERATION nicht behandelbar war und im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat allenfalls zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK geführt hätte, sodass auch ihre gesundheitliche Verfassung einer Abschiebung nicht entgegen stand (zur Judikatur hinsichtlich der Abschiebung kranker Fremder vgl. VfSlg. 18.407/2008).

 

3.3.5. Irgendein besonderes "real risk", dass es durch die Rückführung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK kommen würde, konnte nicht erkannt werden; außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die gegen eine Abschiebung in die RUSSISCHE FÖDERATION gesprochen hätten, waren nicht erkennbar. Den Beschwerdeführern war daher der Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen.

 

Der Ausspruch in Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide war daher zu bestätigen und die Beschwerden gegen Spruchpunkt II. abzuweisen.

 

3.4. Zum Familienverfahren:

 

3.4.1. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hatte die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren waren unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhielten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder war der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorging, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhielt einen gesonderten Bescheid. War einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 zuzuerkennen, war dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 galten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 war Familienangehöriger unter anderem wer Elternteil eines minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden war, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

 

3.4.2. Der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer waren die minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin. Der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer waren somit Familienangehörige der Erstbeschwerdeführerin iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005.

 

Da die Anträge aller Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen waren, kam eine Schutzgewährung im Rahmen des § 34 AsylG 2005 aber nicht in Betracht.

 

3.4.3. Ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 war in Bezug auf XXXX nicht zu führen:

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 war unter anderem Familienangehöriger, wer Ehegatte ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat.

 

Die Erstbeschwerdeführerin konnte im Verfahren eine Heirat mit XXXX nicht glaubhaft machen, eine solche ergab sich auch nicht aus ihrem Inlandreisepass, sodass dieser daher nicht Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin war.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 war Familienangehöriger auch, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden war, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

 

Auf Grund des forensischen DNA-Tests vom 04.04.2019 stand fest, dass XXXX nicht der Vater des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers war. Da in der Russischen Föderation wie in Österreich die obligatorische Zivilehe galt, war XXXX auch nicht im Wege einer Vaterschaftsvermutung Vater der minderjährigen Beschwerdeführer im Rechtssinn.

 

XXXX war somit nicht Familienangehöriger der Beschwerdeführer iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005, weshalb die Verfahren auch getrennt voneinander zu führen waren. Eine Schutzgewährung im Rahmen des § 34 AsylG 2005 kam somit schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

 

3.5. Erlassung einer Rückkehrentscheidung und damit in Zusammenhang stehende Absprüche:

 

3.5.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 war eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wurde.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 war im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet war und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorlagen (Z 1), zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen war, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft machte, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich war (Z 3).

 

Die Beschwerdeführer befanden sich zwar seit Mai 2013 im Bundesgebiet, aber ihr Aufenthalt war nicht iSd § 46 FPG geduldet. Die Erstbeschwerdeführerin wurde zwar als Zeugin und der Drittbeschwerdeführer als Opfer von strafbaren Handlungen geführt, das diesbezügliche Strafverfahren wurde jedoch bereits eingestellt und die Fortsetzung auch nicht verlangt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lagen daher nicht vor.

 

3.5.2. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hatte das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukam. Dies galt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Die Beschwerdeführer waren keine begünstigten Drittstaatsangehörigen und es kam ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 endete.

 

3.5.3. Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig war, ergab sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG: Wurde durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so war nach § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten war.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK waren gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet war (Z 9).

 

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG war über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG war nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruhte, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend waren. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff. NAG) verfügten, unzulässig wäre.

 

3.5.4. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK war der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen war und eine Maßnahme darstellte, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig war.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorlag, hing nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erforderte eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangte eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn durfte eine Ausweisung nicht erlassen werden, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer worgen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung war dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hatte. Dabei variierte der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und musste in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung waren - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wurde - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

3.5.4.1. Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK war nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorlag. Es konnte nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK bestand, vielmehr war dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzte daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen mussten eine gewisse Intensität aufweisen. So war etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorlag oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig waren (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wurde, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebte).

 

Da gegenüber den Beschwerdeführern gleichlautende Entscheidungen ergingen und demnach keine Trennung der Beschwerdeführer erfolgte, griff die Erlassung von Rückkehrentscheidungen nicht in ihr Familienleben ein.

 

Zwischen den Beschwerdeführern und XXXX bestand keine Beziehungsintensität, die diese Beziehung zu Familienleben iSd Art. 8 EMRK gemacht hätte: So besuchten die Beschwerdeführer, insbesondere der Zweit- und Drittbeschwerdeführer XXXX zwar gelegentlich, ein Abhängigkeitsverhältnis oder ein anderer Umstand, der dies iSd Art. 8 ERMK zum Familienleben gemacht hätte, war aber nicht erkennbar. Die Beschwerdeführer lebten mit XXXX zwar in der Russischen Föderation und nach ihrer Einreise in Österreich im gemeinsamen Haushalt, dieser bestand jedoch seit mindestens XXXX Jahren nicht mehr, ebensowenig war dieser für die minderjährigen Beschwerdeführer obsorgeberechtigt oder war die Erstbeschwerdeführerin auf ihn zur Kinderbetreuung angewiesen. Eine ein Familienleben konstituierende, intensive Beziehung von XXXX zu den minderjährigen Beschwerdeführern konnte auch in der mündlichen Verhandlung nicht festgestellt werden, da sich die Beziehung auf gelegentliche Besuche beschränkte. Diese Beziehung war aber im Rahmen des Privatlebens zu berücksichtigen.

 

Zwischen den Beschwerdeführern und dem in Österreich lebenden (Pflege‑)Onkel der Erstbeschwerdeführerin bestand ebenso keine Beziehungsintensität, die diese Beziehungen zu Familienleben iSd Art. 8 EMRK gemacht hätte, da sie sich ebenso auf gelegentliche Besuche beschränkte. Eine darüberhinausgehende Beziehung wurde im Verfahren auch nicht behauptet.

 

Es wurde daher durch die Erlassung der Rückkehrentscheidung in keine über die üblichen Bindungen hinausgehenden Abhängigkeiten oder faktische Familienbindungen eingegriffen, die unter den Begriff des "Familienlebens" fielen, weshalb kein Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK vorlag.

 

Es war allerdings zu prüfen, ob aufenthaltsbeendende Maßnahmen allenfalls in das Privatleben der Beschwerdeführer eingriffen.

 

3.5.4.2. Unter dem "Privatleben" waren nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv waren, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über schützenswertes Privatleben verfügten, spielte die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen war (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kam für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; 23.06.2015, Ra 2015/22/0026).

 

Die Beschwerdeführer reisten im Mai 2013 unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal nach Österreich ein (vgl. dazu VwGH 22.1.2009, 2008/21/0654), auch wenn dies dem Zweit- und dem Drittbeschwerdeführer, die von ihrer Mutter mitgenommen wurden, nicht in diesem Ausmaß zuzurechnen war, wie der im Zeitpunkt der Einreise erwachsenen Erstbeschwerdeführerin (VfSlg. 19.086/2010, 19.357/2011, 19.612/2011, 19.752/2013). Die Beschwerdeführer verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens und mussten sich daher ihres unsicheren Aufenthalts bewusst sein. Das Verfahren dauerte zwar 6 Jahre lang; dies war aber auch der kontinuierlichen Steigerung des Fluchtvorbringens und der Vorlage von Bescheinigungsmitteln erst im fortgeschrittenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren geschuldet.

 

Dass der Fremde strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.2.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.4.2012, 2011/18/0253).

 

Bei der Beurteilung des Vorliegens von schützenswertem Privatleben kam dem Grad der sozialen Integration der Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu:

 

Die Erstbeschwerdeführerin nutzte die Zeit in Österreich nicht zur Integration: Die Erstbeschwerdeführerin sprach nicht Deutsch, hat nur Deutschkurse auf dem niedrigsten Niveau besucht und noch keine Deutschprüfung absolviert. Sie hat darüber hinaus keine Bildungsmaßnahmen absolviert. Sie bezog Grundversorgung, war in Österreich noch nie legal erwerbstätig und leistete lediglich Remunerationstätigkeiten im Rahmen der Grundversorgung, nicht jedoch als Diensleistungsscheques. Sie war in keinen Vereinen oder ähnlichen Organisationen aktiv und hatte nur eine Freundschaft in Österreich knüpfen können. Die Erstbeschwerdeführerin verbrachte ihre Zeit vor allem im Rahmen ihrer Familie, da sie sich um ihre Kinder sowie um den Haushalt kümmerte.

 

Zu dem in Österreich lebenden (Pflege‑)Onkel der Erstbeschwerdeführerin bestand weder betreffend Pflege, noch betreffend finanzielle Unterstützung oder in anderer Hinsicht ein Abhängigkeitsverhältnis. Der Kontakt zu ihrem (Pflege‑)Onkel konnte telefonisch aufrechterhalten werden, ebenso der Kontakt zu ihrer Freundin in Österreich.

 

Den in Österreich bestehenden Bindungen standen die Vielzahl von Verwandten und die starken Bindungen der Erstbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat gegenüber, wo sie ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise verbracht hatte, die Landessprachen Tschetschenisch und Russisch sprach und die Schule absolvierte. Ihre Pflegemutter, mit der sie auch von Österreich aus Kontakt hielt und vor der Ausreise zusammenlebte, lebte in der Russischen Föderation. Darüber hinaus hatte sie auch eine (Pflege‑)Schwester, sieben Onkel und Tanten väterlicherseits in der RUSSISCHEN FÖDERATION. Auch in Österreich lebte sie im Rahmen ihrer Familie die tschetschenisch-russische Kultur und Traditionen, weshalb feststand, dass ihr eine Wiedereingliederung in der Russischen Föderation ohne größere Probleme gelungen wäre.

 

Das Interesse der Erstbeschwerdeführerin am Aufenthalt in Österreich wurde auch nicht durch die in Österreich erfolgte Behandlung maßgeblich verstärkt, da die Erstbeschwerdeführerin auch im Herkunftsstaat die notwendige Behandlung bekommen konnte.

 

Bereits auf Grund des Überwiegens der Beziehungen der Erstbeschwerdeführerin zur Russischen Föderation im Verhältnis zu ihrer Beziehung zu Österreich griff die Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig in ihr Recht auf Privatleben ein.

 

3.5.4.3. Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen waren, war nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. EGMR 18.10.2006, Fall Üner, Appl. 46.410/99, Z 58; 6.7.2010, Fall Neulinger ua., Appl. 1615/07, Z 146). Maßgebliche Bedeutung hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprachen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. EGMR 31.7.2008, Fall Darren Omoregie ua., Appl. 265/07, Z 66; EGMR 17.2.2009, Fall Onur, Appl. 27.319/07, Z 60; 24.11.2009, Fall Omojudi, Appl. 1820/08, Z 46; siehe dazu auch VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 bis 0219) befanden.

 

Der Zweitbeschwerdeführer war bereits XXXX Jahre alt und absolvierte in Österreich die XXXX . Er schloss die XXXX schule ab, absolvierte in den Hauptfächern aber nur die grundlegende Allgemeinbildung, was der ehem. 3. Leistungsgruppe entsprach. Er begann im September mit dem Besuch des XXXX Lehrganges. Er verbrachte die ersten XXXX Jahre seines Lebens im Herkunftsstaat und besuchte auch dort die Schule und das Internat. Er sprach Deutsch, aber auch Russisch und Tschetschenisch. Er war über seine Mutter auch in Österreich mit der tschetschenischen und russischen Kultur und Lebensweise verbunden. Vor dem Hintergrund, dass er seine Freizeit v.a. allein (mit dem Handy) verbrachte und las, konnte keine Integration festgestellt werden, die die Erlassung einer Rückkehrentscheidung trotz des Alters des Beschwerdeführers und der Verfahrensdauer unverhältnismäßig machen würde.

 

Der Drittbeschwerdeführer war beim Schulbesuch in Österreich mangels Deutschkenntnissen nicht erfolgreich. Auch er verbrachte seine Freizeit v.a. allein mit dem Handy. Auch beim Drittbeschwerdeführer griff die Erlassung einer Rückkehrentscheidung trotz der Verfahrensdauer nicht in sein Privatleben ein, zumal die Behandlung von PTBS auch in der Russischen Föderation möglich war, weshalb diese Erkrankung nicht zum Überwiegen seiner Interessen führte. Der Drittbeschwerdeführer befand sich im anpassungsfähigen Alter, weshalb davon auszugehen war, dass dem Drittbeschwerdeführer eine Wiedereingliederung in der Russischen Föderation ohne größere Probleme gelingen werde.

 

Es war auch zu berücksichtigen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer durch die vielfachen Umzüge der Erstbeschwerdeführerin in Österreich mehrfach aus ihrem Umfeld herausgerissen wurden: Nach XXXX in XXXX zogen sie auf Wunsch der Erstbeschwerdeführerin während des Schuljahres nach XXXX , von wo sie nach einem Monat nach XXXX zurückkehrten, XXXX später, erneut während des Schuljahres, nach XXXX übersiedelten. Nach XXXX in XXXX zogen sie XXXX in den Sommerferien nach XXXX , wo sie in der XXXX aber nur gemeldet waren, wo sie lebten, konnte nicht festgestellt werden. In den Sommerferien XXXX zogen sie nach XXXX in ein Grundversorgungsquartier, XXXX später nach XXXX , zuletzt während der hg. mündlichen Verhandlung XXXX , was für den Drittbeschwerdeführer erneut einen Schulwechsel bedeutete. In XXXX waren die Beschwerdeführer erst seit XXXX Jahren, an ihrem aktuellen Wohnort erst seit wenigen Wochen wohnhaft.

 

Da auch im Verfahren von XXXX eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, griff die Erlassung von Rückkehrentscheidungen gegen die Beschwerdeführer nicht in diese Beziehung ein; sie konnte im Herkunftsstaat fortgeführt werden. Zudem wäre ein Eingriff in diese Beziehung auch verhältnismäßig, da sich diese auf gelegentliche Besuche bzw. eine Woche in den Ferien beschränkte; es bestanden zudem keine Abhängigkeiten, Obsorgeverpflichtung oder Unterhaltsleistungen.

 

Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass die Beziehungen des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers zu Österreich die zur Russischen Föderation überwogen: die minderjährigen Beschwerdeführer hatten dort die Großmutter, die Tante und weitere Verwandte, wobei bei sie mit der Großmutter im Herkunftsstaat in Hausgemeinschaft gelebt hatten. Daher griff die Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig in ihr Recht auf Privatleben ein.

 

Im Fall der Ausweisung der minderjährigen Beschwerdeführer zusammen mit der Erstbeschwerdeführerin war - bei zu unterstellender gemeinsamer Rückkehr der gesamten Familie - zudem die Betroffenheit der Kinder relativiert, da im Hinblick auf ihr Alter die Annahme gerechtfertigt erschien, dass sie sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Gegebenheiten anpassen konnten (VwGH 26.1.2012, 2010/21/0124; 29.2.2012, 2009/21/0251); das Gericht verkannte nicht, dass der Zweitbeschwerdeführer bereits XXXX Jahre alt war; er verbrachte aber die ersten 9 Jahre seines Lebens in der Russischen Föderation, besuchte dort Schule und Internat, hatte dort Verwandte, sprach die Landessprachen Russisch und Tschetschenisch und war mit der Kultur und Lebensweise vertraut; es wurde im Verfahren nichts vorgebracht, dass er sich bereits so aus seiner Familie emanzipiert hätte, dass er ein eigenständiges Privatleben in Österreich aufgebaut hätte, vielmehr verbrachte er sein außerschulisches Leben vor allem im Kreis der Familie und am Handy. Aus diesen Gründen war daher auch beim Zweitbeschwerdeführer davon auszugehen, dass er sich wieder in der Russischen Föderation eingliedern konnte.

 

3.5.4.4. Das Interesse der erwachsenen Erstbeschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung ihrer privaten Kontakte in Österreich war noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren Aufenthalts und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein musste. Die Beschwerdeführer durften sich hier bisher nur auf Grund ihrer Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (vgl. zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21.878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten durfte, begründetes Privatleben per se nicht geeignet war, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof maß in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hatte. In diesem Fall musste sich die Erstbeschwerdeführerin bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat ihres unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

Dass sich Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat ihres unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein müssen, galt so für Asylwerber, die selbstständig nach Österreich einreisten; minderjährigen Kindern konnte dies nicht in gleichem Maß zugerechnet werden wie den Obsorgeberechtigten (VfSlg. 19.086/2010, 19.357/2011, 19.612/2011, 19.752/2013). Dennoch überwogen auf Grund der vorliegenden Umstände die öffentlichen Interessen auch im Hinblick auf die minderjährigen Beschwerdeführer.

 

Den schwach ausgeprägten privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich standen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kam den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelten, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwogen daher im Entscheidungszeitpunkt die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

 

Daher lag durch die angeordnete Rückkehrentscheidungen eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vor. Auch sonst kamen keine Anhaltspunkte hervor und wurden auch in den Beschwerden nicht vorgebracht, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, getragen hätten.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte die belangte Behörde den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005.

 

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 war gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 jedoch nur dann von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wurde (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0343).

 

Das Bundesamt hatte im Fall der Beschwerdeführer zutreffend festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen diese zulässig war. Damit fehlte aber die Voraussetzung für die amtswegige Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005. Die angefochtenen Bescheide waren in diesem Umfang ersatzlos aufzuheben.

 

3.5.5. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hatte das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig war, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG war die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG war die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestanden, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 GFK), es sei denn, es bestand eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG war die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegenstand.

 

Eine derartige Empfehlung bestand für die Russische Föderation nicht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat war gegeben, da den der Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz zugrundeliegenden Feststellungen zufolge keine Gründe vorlagen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergab.

 

Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorlagen, war die Beschwerden der Beschwerdeführer gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide gemäß §§ 52 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 9 FPG sowie §§ 10, 57 AsylG 2005 und § 9 BFA-VG mit der entsprechenden Maßgabe als unbegründet abzuweisen.

 

3.5.6. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wurde mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrug nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwogen.

 

Die Beschwerdeführer brachten keine Gründe vor, weshalb eine längere als 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise vorzusehen wäre; diese waren auch von amtswegen nicht zu erkennen. Dies trifft auch auf den Untersuchungstermin der Erstbeschwerdeführerin am 31.07.2019 zu, da die Behandlung von PTBS auch im Herkunftsstaat möglich ist.

 

Die Beschwerden gegen Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide waren daher als unbegründet abzuweisen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hatte das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig war. Der Ausspruch war kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung war gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlte es an einer Rechtsprechung; weiters war die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch lagen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung waren weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

 

Im gegenständlichen Fall war die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz bereits aufgrund der mangelnden Glaubhaftigkeit des individuellen Fluchtvorbringens der Beschwerdeführerin und aktueller Länderberichte zu treffen. Auch verfahrensrechtlich wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen, auch der Abwägung des Privat- und Familienlebens, auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung zu Fragen des Art. 8 EMRK wurde bei den Erwägungen II.3.4. wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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