BVwG I406 2106207-1

BVwGI406 2106207-110.1.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.130 Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §8 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:I406.2106207.1.00

 

Spruch:

I406 2106207-1/29E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gem. Art 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) von XXXX StA. Tunesien, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und durch die Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, betreffend seinen Antrag auf internationalen Schutz vom 07.11.2013 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.12.2018, zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wird gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG stattgegeben.

 

II. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 07.11.2013 wird hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

 

III. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 07.11.2013 wird hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

 

IV. Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Tunesien zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte erstmals am 13.05.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Der Beschwerdeführer gab bei der Erstbefragung durch ein Organ der LPD Wien am selben Tag den im Spruch genannten Namen an. Er sei am XXXX, Tunesien, geboren, tunesischer Staatsbürgerschaft und Herkunft, ledig, arabischer Muttersprache und Volksgruppenzugehörigkeit sowie Moslem und habe im Geburtsort sieben Jahre die Grundschule besucht; er habe zuletzt gemeinsam mit seinem Bruder einen Supermarkt geführt. Als Familienangehörige im Herkunftsstaat gab er seine Eltern und seine fünf Geschwister an. In Italien lebe auch ein Bruder sowie seine Tochter und die Kindsmutter. Zum Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an: "Im Jahr 1987 habe ich der Polizei in XXXX verraten, wo sich drei Islamisten aufhalten. Diese drei Personen waren mit mir verwandt. Einer ist mein Cousin väterlicherseits namens M. M., die anderen beiden sind entfernte Verwandte namens A. A. G. und H.. Es gab zu dieser Zeit keine Probleme, weil ich von der Polizei in XXXX beschützt wurde. Vor meiner ersten Ausreise im Jahr 1989 teilte mir mein Cousin väterlicherseits R. M. mit, dass die Familie der drei Islamisten erfahren haben, dass ich diese Leute an die Polizei verraten habe. Der R. M. riet mir, Tunesien zu erlassen. Zu dieser Zeit gab es noch keine Drohung von diesen Leuten. Im Jahr 1990 reiste ich von Italien nach Tunesien auf Urlaub zurück. Ich fühlte mich aber dort nicht wohl, da ich ständig das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Mein Cousin R. teilte mir damals auch mit, dass die Familien der drei es immer noch nicht vergessen hätten, dass ich ihre Söhne verraten habe. Es ist sonst nichts mehr passiert. Aber jetzt habe ich jedoch viel mehr Angst, weil ich früher von der tunesischen Polizei beschützt wurde. Jetzt sind aber die Islamisten an der Macht und ich habe Angst, dass ich von der Polizei keinen Schutz mehr erwarten kann und von den Familien der drei Islamisten mit Racheakten zu rechnen habe. Das sind meine einzigen Fluchtgründe. Damals hatte ich seitens der Regierung auch mit keinen Sanktionen zu rechnen. Ich war auch nie Mitglied einer Partei und hatte auch keine religiösen Probleme. Andere Gründe habe ich nicht vorzubringen. Er verneinte die Frage, ob er wisse, was mit den drei islamistischen Verwandten passiert sei, ob sie verurteilt oder in Haft genommen worden seien.

 

3. Mit Bescheid vom 18.06.2013, Zahl XXXX wies das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.05.2013 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Tunesien ab (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Tunesien aus (Spruchpunkt III.). Diese Entscheidung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

 

4. Am 07.11.2013 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag.

 

5. Bei der Erstbefragung "Folgeantrag" durch ein Organ der LPD Niederösterreich Wien am 08.11.2013 gab der Beschwerdeführer befragt nach neuen Fluchtgründen an, dass er die im ersten Verfahren angegebenen Gründe im vollen Umfang aufrecht halte. Weiters gäbe es Unruhen und Bombenexplosionen in Tunesien und er habe dort keine Unterkunft und Beschäftigung. Sein Schicksal sei daher ungewiss.

 

6. Am 14.11.2013 wurde der Beschwerdeführer vor der säumigen Behörde niederschriftlich einvernommen. Befragt nach neuen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass seine Fluchtgründe vom ersten Antrag noch aufrecht seien. Weiters wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung vom 14.11.2013 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen.

 

7. Am 15.11.2013 langte bei der säumigen Behörde eine schriftliche Mitteilung des Beschwerdeführers ein, wonach er eine freiwillige Rückkehr nach Tunesien beabsichtige.

 

8. Am 19.11.2013 wurde der Beschwerdeführer erneut vor der säumigen Behörde einvernommen. Befragt nach der vom Beschwerdeführer am 14.11.2013 übernommenen Verfahrensanordnung, wonach beabsichtigt sei, seinen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, gab der Beschwerdeführer an, dass er keine neuen Fluchtgründe habe.

 

9. Mit Schreiben vom 03.04.2014 teilte der Beschwerdeführer mit Unterstützung einer Rechtsberatung mit, dass er beabsichtige, Österreich zu verlassen und er damit einverstanden sei, dass sein Asylverfahren als gegenstandslos erklärt werde.

 

10. Mit Schreiben vom 10.06.2014 beantragte der Beschwerdeführer die Fortsetzung seines Verfahrens.

 

11. Mit Eingabe vom 11.12.2014 erstattete der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer eine Säumnisbeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht. Zusammenfassend brachte der Beschwerdeführer vor, er habe am 07.11.2013 einen Asylantrag gestellt, der bislang nicht behandelt worden sei.

 

12. Mit Schriftsatz vom 16.04.2015 legte die säumigen Behörde die Säumnisbeschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

 

13. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.08.2016, I406 2106207-1/4E, wurde die Säumnisbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob dagegen eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

 

14. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13.07.2017, Ra 2017/01/0052-5 wurde der Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

15. Mit Schreiben vom 04.06.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die Ladung zur mündlichen Verhandlung, Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat sowie einen Fragenkatalog zu seiner persönlichen Situation und räumte ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme ein.

 

16. Mit Schreiben vom 06.12.2018 beantwortete der Beschwerdeführer den ihm übermittelten Fragenkatalog. Er habe keine Angehörigen in Österreich und führe er mit keiner anderen Person ein Familienleben in Österreich, jedoch lebe ein Bruder von ihm in Frankreich und habe er auch einen Cousin in Italien. Er lebe von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und sei gesund. Er habe in Österreich bislang noch nicht gearbeitet, er könne jedoch, wenn er eine Arbeitserlaubnis habe, bei einem Freund in einem Eissalon arbeiten. Weiters habe er sich diesen Herbst beim Verein XXXX für eine ehrenamtliche Arbeit angemeldet, jedoch habe er bis jetzt noch keine Möglichkeit bekommen, diese zu beginnen. Bevor er Tunesien verlassen habe, habe er ausschließlich von Hilfsarbeiten gelebt. Dem Schreiben legte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen bei:

 

 

 

 

 

 

 

17. Am 18.12.2018 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Anlässlich der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vorlegte:

 

 

 

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Soweit er namentlich genannt wird, dient dies lediglich seiner Identifizierung als Verfahrenspartei, nicht jedoch einer Vorfragebeurteilung im Sinn des § 38 AVG.

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Tunesien, ledig, gehört der arabischen Volksgruppe an und ist moslemischen Glaubens. Er verfügt über eine mehrjährige Schulbildung im Herkunftsstaat und war dort in der Tourismusbranche und im Handel tätig. Er verfügt zwar über keine Berufsausbildung, jedoch besteht kein Hindernis für den Beschwerdeführer, einfache Tätigkeiten oder Hilfsarbeiten durchzuführen. Der Beschwerdeführer hat viele familiäre Anknüpfungspunkte in Tunesien. In Österreich verfügt er über keine privaten oder familiären Anknüpfungspunkte.

 

Der Beschwerdeführer ist in Österreich ohne regelmäßige Beschäftigung und verfügt über keine hinreichenden Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes, sondern lebte bislang von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

 

Der Beschwerdeführer legte eine Deutschprüfung auf A2-Niveau ab, besucht derzeit einen Deutschkurs für das Niveau B1 und ist derzeit um ehrenamtliche Arbeit bemüht, jedoch konnten insgesamt keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.

 

Der Beschwerdeführer war von 1990 bis 2008 in Italien sozialversichert und ging er zeitweise einer Arbeit nach. Er verfügt in Italien - abgesehen von einem Cousin- über keine privaten oder familiären Anknüpfungspunkte.

 

Der Beschwerdeführer leidet nicht an schweren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegenstünden.

 

Im Strafregister der Republik Österreich scheinen folgende Verurteilungen auf:

 

01) LG XXXX vom 08.08.2014 RK 08.08.2014

 

§§ 83 (1), 84 (1) StGB

 

§ 15 StGB §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG

 

§§ 27 (1) Z 1 1. 2. Fall, 27 (2) SMG

 

Datum der (letzten) Tat 29.06.2014

 

Freiheitsstrafe 7 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

 

zu LG XXXX RK 08.08.2014

 

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

 

LG XXXXvom 23.10.2015

 

02) LG XXXX vom 23.10.2015 RK 23.10.2015

 

§ 15 StGB § 27 (1) Z 1 8. Fall SMG

 

§ 15 StGB § 127 StGB

 

Datum der (letzten) Tat 28.07.2015

 

Freiheitsstrafe 3 Monate

 

Vollzugsdatum 28.10.2015

 

1.2. Zum Verfahrensgang:

 

Mit Bescheid vom 18.06.2013, Zahl XXXX wies das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.05.2013 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Tunesien ab (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Tunesien aus (Spruchpunkt III.). Diese Entscheidung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

 

Am 07.11.2013 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 14.11.2013 und am 19.11.2013 vor der säumigen Behörde niederschriftlich einvernommen.

 

Mit Eingabe vom 11.12.2014 erstattete der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer eine Säumnisbeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG wegen Verletzung der Entscheidungspflicht.

 

Am 18.12.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung statt.

 

1.3. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

 

In seinem ersten Asylverfahren gab der Beschwerdeführer an, dass er im Jahr 1989 drei entfernte Verwandte von ihm aufgrund ihre politischen Tätigkeit bei der Polizei angezeigt habe. Er sei im Jahre 1990 aus Tunesien ausgereist und befürchte bei einer Rückkehr mit einem Racheakt der Familie dieser drei Personen und würde ihn die tunesische Polizei nicht schützen können.

 

Der Beschwerdeführer gab in seinem gegenständlichen zweiten Asylverfahren, sowohl vor der säumigen Behörde am 14.11.2013 und am 19.11.2013 als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.12.2018, dieselben Fluchtgründe wie im Erstverfahren an.

 

Der Beschwerdeführer hat seit rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens keine neuen Fluchtgründe vorgebracht.

 

1.4. Zu den Feststellungen zur Lage in Tunesien:

 

Die aktuelle Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers (Stand 15.10.2018) wurde dem Beschwerdeführer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 19.11.2018 zur Kenntnisnahme übermittelt und ihm zugleich die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Dahingehend wurde vom Beschwerdeführer keine Stellungnahme erstattet. Auch wurde dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.12.2018 nochmals die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Er ist den getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, die auf den in das Verfahren eingeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen beruhen, nicht substantiiert entgegengetreten. Die Situation in Tunesien stellt sich wie folgt dar:

 

Politische Lage

 

Tunesien ist gemäß der Verfassung von 2014 ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Die Revolution vom 14.1.2011 mit der Flucht des bisherigen Präsidenten Ben Ali hatte zu einer Phase des politischen Übergangs geführt. Ferner betont die Verfassung den zivilen und rechtsstaatlichen Charakter des Regierungssystems. Die Verfassung sieht ein gemischtes Regierungssystem vor, in dem sowohl der Präsident der Republik als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Die Mitglieder der Regierung werden vom Präsidenten ernannt und benötigen darüber hinaus das Vertrauen des Parlaments. Der Premierminister bestimmt die Richtlinien der Politik, mit Ausnahme der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in der Zuständigkeit des Staatspräsidenten liegen (AA 10 .2017a). Die Verfassung garantiert durch eine stärkere Gewaltenteilung und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs eine bessere Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Außerdem wurde die Gleichstellung von Frauen festgeschrieben. Bezüglich der Rolle der Religion einigten sich die Abgeordneten auf einen zwiespältigen Text, der sowohl den zivilen Charakter des Staates sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert, als auch den Schutz des Sakralen festschreibt (GIZ 6.2018a).

 

Die Parlamentswahlen am 26.10.2014 konnte die säkulare Partei Nidaa Tounes mit 86 Sitzen vor der islamisch-konservativen Ennahdha mit 69 Sitzen (von insgesamt 217) für sich entscheiden (AA 10 .2017a; vgl. GIZ 6.2018a). Bei den Präsidentschaftswahlen setzte sich am 21.12.2014 (Stichwahl) der Gründer der Nidaa Tounes und Übergangspremierminister von 2011 Beji Caid Essebsi gegen Übergangspräsident Moncef Marzouki durch (GIZ 6.2018a).

 

Aus den freien und fairen Parlamentswahlen 2014 ging eine seit 2015 regierende große Koalition unter Führung der säkular-konservativen Partei Nidaa Tounes sowie der islamischen Partei Ennahdha hervor. Seit 2016 ist eine "Regierung der nationalen Einheit" unter Premierminister Youssef Chahed (Nidaa Tounes) im Amt, die 2017 einer durchgreifenden Umbildung unterzogen wurde. Ihr Regierungsprogramm ist im sogenannten "Pakt von Karthago" niedergelegt, der von neun Parteien sowie dem Arbeitgeberverband (UTICA), dem Gewerkschaftsbund (UGTT) und dem Verband der Bauern und Fischer (UTAP) unterzeichnet wurde (AA 10 .2017a).

 

Nach zähen Verhandlungen bildete Nidaa Tounes im Februar 2015 eine Koalitionsregierung mit Vertretern der wirtschaftsliberalen Partei Afek Tounes, der populistischen UPL und Ennahdha. Regierungschef war bis Juli 2016 der parteilose Habib Essid. Nach Druck durch Staatspräsident Essebsi, der kritisierte, dass die Regierung nicht effizient arbeite, stellte er die Vertrauensfrage, die er am 30.6.2016 verlor (GIZ 6.2018a). Seit 2016 ist eine "Regierung der nationalen Einheit" unter Premierminister Youssef Chahed (Nidaa Tounes) im Amt, die 2017 einer durchgreifenden Umbildung unterzogen wurde (AA 10 .2017a).

 

Quellen:

 

 

 

Sicherheitslage

 

Die von der Regierung Essid als auch der Regierung Chahed angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Anti-Terrorkampf bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde, blieben der Großraum Tunis sowie touristische Anlagen von gezielten Terroranschlägen verschont. Dies mag auch an dem intensiven und konsequenten Vorgehen der Sicherheitskräfte liegen. Dennoch wurde durch den schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesisch-libysche Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 ein neues Kapitel der Gefährdung aufgeschlagen. Hier konnten die Sicherheitskräfte, insbesondere das Militär, den Angriff durch vermutlich ca. 100 vermeintliche IS-Kämpfer binnen kurzer Zeit niederschlagen. Dies zeigt, dass die Sicherheitskräfte sehr entschlossen gegen die latente und weiterhin präsente Gefährdung vorgehen (AA 23.4.2018).

 

Laut österreichischem Außenministerium gilt eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile (BMEIA 9.10.2018). Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur - Douz - Ksar Ghilane - Tataouine - Zarzis . Die militärische Sperrzone im Süden ist unbedingt zu beachten und darf außer mit Sondergenehmigung der Sicherheitsbehörden nicht bereist werden (BMEIA 9.10.2018; vgl. AA 9.10.2018). Mit gewaltsamen Aktionen von Terrororganisationen ist zu rechnen.. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt. Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) im Rest des Landes - bis auf die Touristenzonen (BMEIA 9.10.2018).

 

Der seit Ende 2015 verhängte Ausnahmezustand wurde erneut bis zum 6.11.2018 verlängert. Begründet wird dies mit den Erfordernissen der Terrorismusbekämpfung und der organisierten Kriminalität. Dazu ist anzumerken, dass der Ausnahmezustand - auch wenn er den Sicherheitskräften weitreichendere Prärogative einräumt - auf das tägliche Leben keine bemerkbaren Auswirkungen hat und im öffentlichen Leben kaum wahrgenommen wird (ÖB 16.10.2018). Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Gebirgsregionen nahe der algerischen Grenze, im Bereich von El Aioun bis Kasserine aufgrund von möglichen bewaffneten Auseinandersetzungen mit dort operierenden Terrorgruppen ab. Im Westen des Landes ist jenseits der Hauptverkehrsrouten generell besondere Vorsicht anzuraten. Aufgrund der weiterhin angespannten Lage, wird bei Reisen in die Stadt und die Region um Ben Guerdane zu besonderer Vorsicht geraten (AA 9.10.2018).

 

Aufgrund sozial-ökonomisch bedingter Protestbewegungen war es 2017 schon in den Regionen um Tataouine und Kebili im Süden des Landes zu spontanen Straßenblockaden und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen (AA 9.10.2018).

 

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei und Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge der Infiltration aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrenden Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mithilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurde die Grenzkontrolle drastisch erhöht (ÖB 10.2017). Neben dem IS sind weiterhin Gruppen aktiv, die Al Qaida, oder anderen extremistisch-islamistischen Ideologien angehören. Beim mit Algerien seit Jahren geführten gemeinsamen Kampf gegen terroristische Gruppierungen im Grenzbereich besteht ein Pattverhältnis, das die Bewegungsfreiheit der Terrorzellen weitgehend einschränkt, aber nicht verhindert. Dennoch sind die Sicherheitskräfte auch hier bemüht, die Situation zunehmend unter Kontrolle zu bringen, wobei das Gelände den Terrorzellen gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Die Sicherheitslage in Libyen verfolgt die tunesische Regierung mit großer Sorge. Die Sicherheitskräfte an der Grenze zu Libyen, einschließlich Militär, wurden daher erheblich verstärkt (AA 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Rechtsschutz / Justizwesen

 

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 1.2018, AA 23.4.2018). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 20.4.2018). Allerdings schreitet die Justizreform seit der Revolution nur langsam voran (FH 1.2018; vgl. AA 23.4.2018). Der Oberste Justizrat konnte seine Arbeit als neues Selbstverwaltungsorgan der Justiz erst aufnehmen, nachdem eine Gesetzesänderung die internen Konflikte der Richterschaft neutralisiert hatte. Als nächster Schritt soll die Konstituierung eines ordentlichen Verfassungsgerichts erfolgen; bislang wacht eine provisorische Instanz über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor ihrem Inkrafttreten (AA 23.4.2018).

 

Auch weiterhin finden sich zahlreiche Richter aus der Ben-Ali-Ära auf der Richterbank, und aufeinander folgende Regierungen versuchen regelmäßig, die Gerichte zu manipulieren. Mit den 2016 verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde der Oberste Justizrat eingesetzt, der für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts zuständig ist. Die Ratsmitglieder wurden im Oktober 2016 von Tausenden von Juristen gewählt. Das Gericht, das die Verfassungsmäßigkeit von Dekreten und Gesetzen bewerten soll, wurde jedoch weder eingerichtet noch formell ernannt (FH 1.2018).

 

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Gemäß Angeklagten sind die gesetzlich garantierten Rechte nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der nötigenfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 20.4.2018).

 

Der bereits mehrfach verlängerte Ausnahmezustand, der im Jahr 2015 verhängt worden war, gibt der Polizei ein breites Mandat für Verhaftungen und Inhaftierungen bei sicherheits- oder terrorismusbezogenen Verdachtsfällen (FH 1.2018; vgl. ÖB 10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Dem Innenministerium untersteht die Polizei (Exekutivfunktion in Städten) und die Nationalgarde bzw. Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wiewohl es gemäß NGOs vereinzelt zu Misshandlungen von Häftlingen kommt (USDOS 20.4.2018; vgl. GIZ 6.2018a). Es mangelt an effektiven Strafverfolgungs- und Strafmechanismen bei Vergehen seitens der Sicherheitskräfte, und diesbezügliche interne Untersuchungen sind von einem Mangel an Transparenz geprägt (USDOS 20.4.2018).

 

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes, aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011, vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Die Kluft zwischen Innenbehörden und Bevölkerung konnte auch durch die Auflösung der Geheimpolizei ("police politique"), die Symbol der staatlichen Repression war, nicht wieder geschlossen werden. Die Demonstranten forderten u.a. den Austausch von führenden Mitarbeitern im Innenministerium. Diese Forderung wurde zunächst nicht im erhofften Maße umgesetzt. Erst mit einiger Verspätung zog das Innenministerium personelle Konsequenzen und Verantwortliche auf verschiedenen Ebenen wurden umgesetzt, entlassen oder in den Vorruhestand versetzt. Eine von allen internationalen Partnern für notwendig erachtete umfassende Reorganisation des tunesischen Innenministeriums einschließlich der nachgeordneten Behörden wurde bislang noch nicht angegangen, es wurde aber im Sommer 2015 ein internationaler Kooperationsmechanismus etabliert, der zu mehr Transparenz und Koordination der Unterstützung führte (AA 23.4.2018).

 

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. So besagen Umfragen aus September 2016, dass 98,5% der Bevölkerung Vertrauen in die Armee haben. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren aber auch der inneren Sicherheit (AA 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Artikel 23 der tunesischen Verfassung vom 26.1.2014 garantiert den Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit, verbietet seelische oder körperliche Folter und schließt eine Verjährung des Verbrechens der Folter aus. Mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe am 29.6.2011 hat sich Tunesien zur Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus verpflichtet. Eine innerstaatliche gesetzliche Grundlage wurde 2013 geschaffen. 2016 schließlich wählte das Parlament die Mitglieder der neuen "Nationalen Instanz zur Verhütung von Folter". Zu ihren Hauptaufgaben gehören unangemeldete Besuche an allen Orten des Freiheitsentzugs (AA 23.4.2018).

 

Auch wenn NGOs in den vergangenen Jahren einen Rückgang an Folterfällen festgestellt haben, so gibt es weiterhin glaubwürdige Berichte über Misshandlungen von Inhaftierten durch die Sicherheitskräfte (USDOS 20.4.2018). Es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen, ohne dass die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden (AI 22.2.2018). Tunesische und internationale Medien sowie spezialisierte NGOs, wie die Organisation Mondiale contre la Torture (OMCT) oder die Organisation contra la Torture en Tunisie (OCTT), berichten kontinuierlich über entsprechende Einzelfälle sowie Bestrebungen, rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten. Bislang sei es jedoch in keinem einzigen Fall gelungen, eine Verurteilung von Amtspersonen oder ehemaligen Amtspersonen wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung zu erreichen. Abstrakte Befürchtungen, dass diese Delikte wieder zunehmen könnten, werden vor allem im Zusammenhang mit Terrorabwehrmaßnahmen geäußert (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

Korruption

 

Tunesien nimmt auf dem Corruption Perceptions Index von Transparency International (2017) Platz 74 von 180 ein (TI 21.2.2018). Das Land schneidet nach dem Umbruch 2011 schlechter ab als noch unter Ben Ali. Vor allem die sogenannte kleine Korruption hat seitdem zugenommen. Im Alltag sind insbesondere Verkehrsdelikte und Verwaltungsangelegenheiten von Korruption betroffen, wo oft bestochen wird, um Verfahren zu beschleunigen oder Strafzetteln zu entgehen (GIZ 6.2018a). Die Korruption bestimmt den sozialen Alltag von der banalen Bestechung eines Polizisten, bis zur Einschulung der Kinder in eine gut beleumundete Schule oder der Vergabe schlechter Schulnoten durch Lehrer/innen, die sich durch Nachhilfestunden ihr Gehalt aufbessern (ÖB 10.2017).

 

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung hat einige Vorkehrungen getroffen, um diese Gesetze umzusetzen, obwohl sie nicht immer wirksam sind. So hat die Regierung unter der Leitung des Premierministers z.B. eine Antikorruptionskampagne gestartet (USDOS 20.4.2018). Die Instanz zur Korruptionsbekämpfung sensibilisiert für das Thema und übergibt regelmäßig mutmaßliche Korruptionsfälle an die Justiz, wo diese jedoch nicht prioritär behandelt werden. Ende Mai 2017 hat die Regierung eine Kampagne gegen korrupte Geschäftsleute gestartet (GIZ 6.2018a). Eine Reihe von Verhaftungen und Ermittlungen richteten sich auch gegen Politiker, Journalisten, Polizisten und Zollbeamte. Zu den Vorwürfen gehörten Veruntreuung, Betrug und die Annahme von Bestechungsgeldern (USDOS 20.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

 

Eine Vielzahl nationaler und internationaler NGOs untersucht Menschenrechtsfälle und publiziert ihre Ergebnisse ohne Restriktionen durch die Regierung. Regierungsbeamte sind üblicherweise kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 23.4.2018). Die seit der Revolution sehr aktiv gewordene Zivilgesellschaft trägt ihren Beitrag zur Anprangerung und Bekämpfung von Missständen bei, hat jedoch noch nicht genügend Einfluss auch tatsächlich spürbare Änderungen in Richtung mehr Respekt von bürgerlichen Rechten und Freiheiten herbeizuführen (ÖB 10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Wehrdienst und Rekrutierungen

 

Die tunesische Armee (Forces Armees Tunisiens, FAT) besteht aus den Landstreitkräften, der Marine und der Luftwaffe. Der verpflichtende Wehrdienst dauert ein Jahr und muss von männlichen Staatsbürgern im Alter von 20-23 Jahren abgeleistet werden. Freiwillig kann man sich bereits ab 18 Jahren zum Militärdienst melden. Die tunesische Staatsbürgerschaft ist Voraussetzung (CIA 26.9.2018; vgl. ÖB 10.2017, AA 23.4.2018).

 

Die einjährige Wehrpflicht kann auch in den Arbeitsverbänden des "Service National" abgeleistet werden. Einberufene können aufgrund von Freistellungsregelungen Teile der Wehrpflichtzeit durch Zahlung von entsprechenden Beiträgen verkürzen (AA 23.4.2018). Tunesien verfügt über eine "selektive" Wehrpflicht, was de facto bedeutet, dass die Mehrheit der Wehrpflichtigen nur einen einmonatigen Wehrdienst leisten und sich mittels Sondersteuer von den übrigen 11 Monaten befreien. Das Gesetz sieht zahlreiche Ausnahmen vor: so sind junge Männer in Ausbildung, Familienerhalter, über 30jährige, rechtmäßig sich im Ausland Aufhaltende, u.a. vom Wehrdienst befreit. Gehaltsbezieher können sich vom Wehrdienst befreien indem sie einen Teil Ihres Bezugs zugunsten der Sozialkassen der Armee abführen. Die aktuelle Sicherheitslage hat zu einer grundlegenden Änderung des verpflichtenden Wehrdienstes geführt: de facto werden nur noch sich freiwillig Stellende und diese nur nach einer genauen Sicherheitsüberprüfung eingezogen. (ÖB 10.2017).

 

Zum 1.7.2011 ist ein Wehrsold eingeführt worden. Seit März 2003 gibt es auch für junge Frauen die Möglichkeit zur Ableistung des Wehrdienstes. Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht sind strafbar, entsprechende Verurteilungen aber nicht bekannt (AA 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Seit dem Volksaufstand und dem Beginn der Demokratisierung 2010/11 hat Tunesien deutliche Fortschritte beim Schutz der Menschenrechte gemacht (AA 10 .2017a; vgl. GIZ 9.2018a). Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden 2011 größtenteils zurückgezogen (AA 23.4.2018; vgl. AA 10 .2017a). Eine ständige Herausforderung bleibt die Anpassung der nationalen Rechtsordnung an die neue Verfassung sowie internationale Standards. Wesentliche Problemfelder bleiben Defizite beim Schutz vor Folter und unmenschlicher Behandlung - vor allem im Kontext der Terrorabwehr sowie immer wieder aufflammender sozialer Unruhen (AA 10 .2017a).

 

Tunesien verfügt über eine Reihe an Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen. Das Land schneidet allerdings auch nach dem Umbruch in den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen regelmäßig schlecht ab. Eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Folter von Häftlingen und Attacken gegen Oppositionelle listet der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International auf. Auch laut der Internationalen Menschenrechtsliga (FIDH) kommt es nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen (GIZ 9.2018a).

 

Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren grundlegend verbessert. Sowohl wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen, als auch die offiziellen und informellen Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft. Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten frei und offen in unterschiedlicher Qualität. Auch die Regierung kommuniziert besser. Lediglich im Bereich Zugang zu Information und Kenntnis darüber gibt es Verbesserungsbedarf (AA 23.4.2018). Allerdings verlängerten die Behörden 2017 den Ausnahmezustand erneut und legitimierten damit willkürliche Einschränkungen (AI 22.2.2018).

 

Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 23.4.2018). Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet und die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, wiewohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 20.4.2018). Diese Restriktionen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen. Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den "Schutz des Sakralen" garantiert. Blogger und Journalisten erhalten weiterhin Morddrohungen aus dem radikal-islamistischen Lager, wenn sie sich kritisch zur Religion positionieren (AA 23.4.2018). Während Online- und Printmedien häufig regierungskritische Artikel veröffentlichen, üben Journalisten und Aktivisten dennoch zeitweise Selbstzensur als Resultat von Gewaltakten gegen Journalisten. Meinungsäußerungen, die "die öffentliche Ordnung oder Moral verletzen" oder "absichtlich Personen stören, auf eine Art und Weise, die den öffentlichen Anstand beleidigen" stehen weiterhin unter Strafe (USDOS 20.4.2018).

 

Die staatliche "Agence Tunisienne d'Internet" (ATI) hat sich zur Gewährleistung eines freien Internetzugangs verpflichtet. Internetseiten mit kritischer Berichterstattung zu Tunesien sind ohne Einschränkungen zugänglich (AA 23.4.2018).

 

Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Zu Einschränkungen kam es mehrfach während des Ausnahmezustands, der seit November 2015 immer wieder verlängert wurde. Zeitweise war dies mit einer nächtlichen Ausgangssperre im Großraum Tunis verbunden. Die Sicherheitsbehörden verhielten sich in der Vergangenheit während des Ausnahmezustands zum Teil widersprüchlich. De jure wurden öffentliche Versammlungen und Demonstrationen wiederholt verboten. De facto verzichtete man jedoch darauf, trotz Verbots anberaumte Veranstaltungen gewaltsam aufzulösen (AA 23.4.2018).

 

Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) und in der Praxis üblicherweise nicht eingeschränkt. Nach dem neuen Vereinsrecht können alle Arten von Vereinigungen gegründet und zugelassen werden (AA 23.4.2018).

 

Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Innerhalb des Präsidentenbüros ist der Hohe Ausschuss für Menschenrechte und Grundfreiheiten eine von der Regierung finanzierte Agentur, die mit der Überwachung der Menschenrechte und der Beratung des Präsidenten betraut ist. Das Ministerium für die Beziehungen zu den Verfassungsorganen, der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten ist für die Koordinierung der Regierungsaktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten zuständig. Die Wahrheits- und Würdekommission (IVD) wurde 2014 gegründet, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen (USDOS 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Haftbedingungen

 

Die Haftbedingungen in den Haftanstalten, bzw. Justizvollzugsanstalten entsprechen zumeist nicht internationalen Standards, primär aufgrund von Überbelegung und mangelhafter Infrastruktur (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 23.4.2018). Die 27 tunesischen Haftanstalten (plus 6 Zentren für Minderjährige) sind chronisch überbelegt (AA 23.4.2018; vgl. ÖB 10.2017). Laut Generaldirektor für Gefängnisse und Rehabilitation (DGPR) sank die Rate der Gefängnisüberfüllung von 155 Prozent im Jahr 2016 auf 114 Prozent im September 2017 (USDOS 20.4.2018). Laut einer in der Presse zitierten Äußerung des Justizministers im November 2016 befanden sich damals ca. 22.000 Häftlinge in tunesischen Gefängnissen, davon ca. 10.000 rechtskräftig verurteilt. Laut inoffizieller Mitteilung der zentralen Gefängnisverwaltung stehen für die 22.000 Häftlinge allerdings nur 11.000 Betten zur Verfügung. Die hygienischen Verhältnisse entsprechen nicht internationalen Standards (AA 23.4.2018). Die den Häftlingen zur Verfügung stehende Gesundheitsversorgung bleibt unzureichend. Allerdings wurden viele Gefängnisse renoviert und um ein neues Gesundheitszentrum erweitert. (USDOS 20.4.2018).

 

Seit 2005 besteht eine Vereinbarung zwischen der Regierung und dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), die es dem IKRK ermöglicht, die Haftanstalten zu besuchen und der Regierung periodisch zu berichten; diese Möglichkeit wird seither auch regelmäßig genutzt (AA 23.4.2018). Weiters gewährt die Regierung unabhängigen nichtstaatlichen Beobachtern, darunter lokalen und internationalen Menschenrechtsgruppen, NGO, lokalen Medien und dem Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte Zugang zu den Gefängnissen (USDOS 20.4.2018).

 

Das Gesetz verlangt, dass Untersuchungshäftlinge getrennt von verurteilten Häftlingen festgehalten werden, aber das Justizministerium berichtete, dass dies wegen Überbelegung nicht möglich ist (USDOS 20.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

Todesstrafe

 

Das tunesische Strafgesetzbuch von 1913 sieht in seiner geltenden Fassung die Todesstrafe für Mord, Vergewaltigung mit Todesfolge sowie Landesverrat vor. Neue Straftatbestände, für die eine Sanktionierung mit der Todesstrafe vorgesehen ist, wurden durch das am 7.8.2015 in Kraft getretene Gesetz gegen Terrorismus und Geldwäsche geschaffen. Eine verfassungsrechtliche oder gesetzliche Aufhebung der Todesstrafe wurde in der Phase des demokratischen Übergangs seit 2011 diskutiert, fand jedoch in der Verfassungsgebenden Versammlung keine Mehrheit (AA 23.4.2018). Die Todesstrafe wird weiterhin verhängt, jedoch nicht mehr vollstreckt. Die letzte Vollstreckung fand 1991 statt. Seitdem befolgt Tunesien ein Moratorium über die Vollstreckung der Todesstrafe. Jede verhängte Todesstrafe wird in eine lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe umgewandelt (AA 23.4.2018; vgl. AI 22.2.2018, ÖB 10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Religionsfreiheit

 

Tunesien ist zu weiten Teilen muslimisch. 98-99% der Bevölkerung sind Muslime - mehr oder weniger praktizierend. Die meisten sind Sunniten. Neben Muslimen leben in Tunesien rund 25.000 Christen (zum Großteil Katholiken), wobei die Gemeinden zum Großteil aus ausländischen Bürgern bestehen. 1.500 Juden leben in Tunesien, die meisten im Großraum Tunis und auf der Insel Djerba, wo sich auch mit der La Ghriba-Synagoge eine wichtige Pilgerstätte für Juden aus aller Welt befindet. Sie gilt als die älteste erhaltene Synagoge in Nordafrika (GIZ 9.2018b; vgl. AA 23.4.2018). Des Weiteren gibt es noch Schiiten und Baha'is (USDOS 29.5.2018).

 

Der Islam ist offizielle Religion Tunesiens und der Staatspräsident muss laut Verfassung Muslim sein (GIZ 9.2018b; vgl. USDOS 29.5.2018). Allerdings ist die freie Religionsausübung in der Verfassung garantiert (GIZ 9.2018b; vgl. AA 23.4.2018); Religions- und Weltanschauungsfreiheit wird in Tunesien mit gewissen Einschränkungen gewährt (AA 23.4.2018). Die Verfassung reflektiert das herrschende Gleichgewicht zwischen religiösem und säkularem Lager in der Gesellschaft und Politik: Der Islam ist als Religion des Landes anerkannt, aber die islamische Scharia wurde nicht in der Verfassung verankert. Ein ziviler Staat ist die Grundlage der Verfassung, in der ausdrücklich auf die universellen Menschenrechte Bezug genommen wird (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

 

Die verschiedenen religiösen Gemeinschaften leben in der Regel friedlich zusammen (GIZ 9.2018b). Tunesien ist gegenüber religiösen Minderheiten grundsätzlich tolerant, auch wenn Nichtmuslime in der Praxis durch das islamisch beeinflusste Personenstandsrecht Diskriminierungen erfahren können (z.B. de facto Benachteiligung bei Sorgerechtsentscheidungen) (AA 23.4.2018).

 

Bis zur Revolution vom Januar 2011 konnte der Islam über die Befolgung der grundlegenden muslimischen Riten hinaus kaum gesellschaftliche und politische Aktivitäten entfalten. Außerhalb der Gebetszeiten blieben die Moscheen geschlossen. Zudem wurden die Freitagspredigten sowie alle religiösen Gemeinschaften vom Staat überwacht. Mit der Revolution ist der Islam im gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes allmählich immer sichtbarer geworden. Nach dem 14.1.2011 war die Kontrolle über viele Moscheen zunächst verloren gegangen, viele staatlich eingesetzte Imame wurden spontan durch neue, in einigen Fällen dem Salafismus nahestehende Imame von ihren Posten verdrängt. Zahlreiche Moscheen wurden zu Zentren, in denen dschihadistische Ziele gepredigt wurden. Strenggläubige Salafisten versuchten, das öffentliche Leben in ihrem Sinne zu beeinflussen, etwa durch striktes Fasten im Ramadan oder Angriffe auf als blasphemisch angesehene Kunstausstellungen. Inzwischen hat das Religionsministerium nach eigenen Angaben die Kontrolle über annähernd alle Moscheen des Landes zurückgewonnen und radikalen Imamen Predigtverbot erteilt bzw. diese Prediger abgesetzt. Allerdings hat lediglich eine geringe Anzahl der derzeit an tunesischen Moscheen eingesetzten Imame eine theologische Ausbildung (5%). Die Regierung plant daher nach der Rückgewinnung der Moscheen nun den Fokus auf die Förderung der Imam-Ausbildung zu legen, um sicherzustellen, dass ein zeitgemäßes, umfassendes Islambild in den Moscheen vermittelt wird (AA 23.4.2018).

 

Es ist rechtlich möglich, vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Missionierung und das Verteilen religiösen Materials sind der katholischen Kirche jedoch verboten (AA 23.4.2018). Es gibt erheblichen gesellschaftlichen Druck gegen die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion (USDOS 29.5.2018). Tunesische Konvertiten (einige Hundert im Land) werden innerhalb ihres sozialen und familiären Umfelds zwar zunächst häufig geächtet, mittelfristig aber gesellschaftlich wieder akzeptiert und integriert (AA 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

Ethnische Minderheiten

 

Die Bevölkerung besteht zu 98 Prozent aus Arabern, 1 Prozent Europäern und 1 Prozent Juden und anderen (CIA 26.9.2018).

 

Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis gibt es in Tunesien nicht (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Minderheiten unterliegen keinen besonderen Beschränkungen. Allerdings ist die tunesische Bevölkerung sehr homogen; nur ein kleiner Teil beruft sich auf seinen berberischen Ursprung. Fälle von Diskriminierung der berberischen Minderheit sind nicht bekannt (AA 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

Relevante Bevölkerungsgruppen

 

Frauen

 

Frauen sind seit der Unabhängigkeit Tunesiens mit der Einführung des fortschrittlichen Personenstandsgesetzes von 1957 Männern rechtlich weitgehend gleichgestellt. Eine Ausnahme stellen das Erbrecht dar (AA 23.4.2018; vgl. GIZ 9.2018b, ÖB 10.2017). Die neue Verfassung Tunesiens ist im Vergleich zu anderen arabischen oder muslimischen Ländern in Bezug auf Frauenrechte ein Musterbeispiel (ÖB 10.2017). Sie garantiert den Schutz der bisher erreichten Frauenrechte und verpflichtet den Staat zu deren weiterer Entwicklung. Der Staat garantiert die Chancengleichheit zwischen Mann und Frau und wirkt auf die paritätische Vertretung von Frauen und Männern in gewählten Körperschaften sowie allgemein auf Stärkung und Ausbau der Frauenrechte hin. Der Staat trifft weitere Maßnahmen zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (AA 23.4.2018; vgl. ÖB 10.2017).

 

Frauen können die Scheidung einreichen und Unterhaltsansprüche gerichtlich geltend machen. Dies gilt auch für das Sorgerecht, allerdings mit der Einschränkung, dass minderjährige tunesische Kinder das Land nur mit ausdrücklicher Zustimmung ihres Vaters oder des Vormundschaftsgerichts verlassen können. Die Stimme einer Frau als Zeugin in einem Gerichtsverfahren hat dasselbe Gewicht wie die eines Mannes. Im Erbrecht gelten die Bestimmungen der Scharia, wonach der Mann zu zwei Drittel und die Frau zu einem Drittel erben. Nichtmuslimische Frauen können nur mit Zustimmung der muslimischen Familie des Verstorbenen erben. Diese Regelung kann durch vertragliche Übereinkunft der Ehepartner umgangen werden. Eine Änderung der diskriminierenden Bestimmungen im Erbrecht in Richtung einer Besserstellung der Frauen ist in der politischen Diskussion (AA 23.4.2018). Ferner hob das Justizministerium im September 2017 ein Dekret auf, das tunesischen Frauen verboten hatte, nicht-muslimische Männer zu heiraten (FH 1.2018; vgl. ÖB 10.2017, AA 23.4.2018).

 

Obwohl Vergewaltigung, auch innereheliche, gesetzlich verboten ist, bleibt dieses Vergehen ein ernstes Problem. Einvernehmlicher außerehelicher Geschlechtsverkehr ist illegal, aber sofern dieser zwischen Erwachsenen stattfindet, kommt es nicht zu Strafverfolgung. Opfer von Vergewaltigungen werden oft durch das herrschende Tabu und sozialen Druck davon abgehalten, Übergriffe zu melden (USDOS 20.4.2018). Ein Gesetz zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen ist 2017 in Kraft getreten; dieses sieht u. a. vor, dass Vergewaltiger einer strafrechtlichen Verfolgung nicht mehr durch Heirat des Opfers entgehen können (AA 23.4.2018). Erstmals werden auch die Opfer von häuslicher Gewalt unter Schutz gestellt. Das neue Gesetz erkennt körperliche, moralische und sexuelle Gewalt gleichermaßen an (ÖB 10.2017; AA 23.4.2018). Auch sexuelle Belästigung wurde verboten (USDOS 20.4.2018). Häusliche Gewalt ist also gesetzlich verboten und darunter fallende Vergehen sind mit dem doppelten Strafmaß belegt, als wenn sie von Fremden begangen werden. Durchgesetzt wird dieses Gesetz allerdings selten und häusliche Gewalt bleibt ebenfalls ein ernstes Problem (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 23.4.2018). Sie ist gerade in ländlichen Gebieten keine Seltenheit (AA 23.4.2018).

 

Der Frauenanteil an der arbeitenden Bevölkerung liegt bei rund 25% (2012). Frauen stellen fast ein Drittel der Richter und Anwälte, im höheren Bildungsbereich sind sie überrepräsentiert (GIZ 9.2018b). Gesetzlich ist explizit gleiches Gehalt für gleiche Arbeit vorgesehen, im Staatsdienst wird das auch umgesetzt. In der Privatwirtschaft verdienen Frauen durchschnittlich um ein Viertel weniger als Männer für dieselbe Arbeit (USDOS 20.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Homosexuelle

 

Homosexualität ist in Tunesien strafbar und gesellschaftlich weitgehend tabuisiert (AA 23.4.2018; vgl. GIZ 9.2018b). Homosexuelle Handlungen werden mit Haftstrafe von drei Jahren belegt (GIZ 9.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018, AA 23.4.2018). Dies gilt laut der maßgeblichen arabischen Fassung sowohl für homosexuelle Handlungen zwischen Männern als auch für solche zwischen Frauen. De facto kommt es jedoch hauptsächlich zu Verurteilungen homosexueller Männer, die häufig nicht gezielt verfolgt, aber im Zusammenhang mit anderen Straftaten oder durch Denunziation verhaftet werden. In der amtlichen französischen Fassung der o.g. Bestimmung ist lediglich von "Sodomie" die Rede (AA 23.4.2018). Es kommt auch regelmäßig zu Verurteilungen (GIZ 9.2018b; vgl. AA 23.4.2018).

 

Weder ist ein politisch gesteuertes, systematisches Vorgehen gegen Homosexuelle feststellbar noch gibt es im politischen Raum mehrheitsfähige Initiativen in Richtung einer Entkriminalisierung (AA 23.4.2018). Anekdotische Hinweise deuten darauf hin, dass Homosexuelle zunehmend diskriminiert werden. Wegen des sozialen Stigmas berichteten Homosexuelle jedoch selten über Probleme bzw. verhalten sich diskret (USDOS 20.4.2018).

 

In den Städten gibt es dennoch eine kleine, mehr oder weniger versteckt lebende homosexuelle Szene. Seit 2011 engagieren sich mehrere Nichtregierungsorganisationen für die Rechte von homosexuellen Tunesiern (GIZ 9.2018b). Zivilgesellschaftliche Vereinigungen zum Schutz von Homosexuellen bestehen, die unter z.T. schwierigen Bedingungen für eine Strafbefreiung und größere Akzeptanz unter der Bevölkerung eintreten, aber auch Verfolgten Schutz gewähren (ÖB 10.2017; vgl. AA 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Bewegungsfreiheit

 

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 1.2018), Auslandsreisen, Emigration sowie Wiedereinbürgerung, und die Regierung respektiert diese Rechte in der Praxis im Allgemeinen (USDOS 20.4.2018). Die Situation bezüglich Bewegungsfreiheit hat sich seit 2011 substantiell verbessert. Allerdings können die Behörden unter dem breiten Mandat des Ausnahmezustands die Bewegungsfreiheit einzelner Personen beschränken. Davon waren tausende Menschen betroffen (FH 1.2018).

 

Einer Flucht innerhalb Tunesiens werden durch die geringe Größe des Landes enge Grenzen gesetzt. Ein Verlassen besonders gefährdeter Gebiete in den Grenzregionen ist grundsätzlich möglich (AA 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

Grundversorgung

 

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 23.4.2018). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor"). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%) (AA 10 .2017b; vgl. GIZ 9.2018c). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Im Service spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups (GIZ 9.2018c).

 

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung bei, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringendsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll junge Unternehmen v.a. im IT-Bereich stärken (GIZ 9.2018c).

 

Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 10 .2017b). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15 und 16 Prozent, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 10 .2017b; vgl. GIZ 9.2018c, ÖB 10.2017). Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 10 .2017b). Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet knapp 125 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 9.2018c). Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 10.2017).

 

Fast ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen vergleichsweise niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 9.2017b).

 

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Basis-Schutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für max. ein Jahr ausbezahlt - allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 10.2017).

 

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet. Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Die aktuelle Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen (AA 23.4.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau (AA 23.4.2018). Die medizinische Versorgung in Tunis erreicht fast immer europäischen Standard. In größeren Städten sind an die Spitäler Kliniken aller Fachrichtungen angeschlossen (BMEIA 28.9.2018). Eine weitreichende Versorgung ist in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen (AA 23.4.2018; vgl. ÖB 10.2017). Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. Die medizinische Behandlung von HIV-Infizierten bzw. AIDS-Kranken ist sichergestellt; es handelt sich jedoch um ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema (AA 23.4.2018). Zwar gibt es in allen Landesteilen staatliche Gesundheitseinrichtungen, diese sind jedoch trotz guter medizinischer Ausbildung der Beschäftigten oft in desolatem Zustand: es mangelt an Ausstattung und Fachärzten, die vor allem in den Großstädten an der Küste angesiedelt sind. Darunter leiden vor allem bedürftige Patienten (GIZ 9.2018b).

 

In Einzelfällen kann es, insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten, Versorgungsprobleme geben. Ein Import dieser Medikamente ist grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. In Einzelfällen ist also eine konkrete Nachfrage bezüglich der Verfügbarkeit der benötigten Medikamente erforderlich, in den allermeisten Fällen sind sie vor Ort problemlos erhältlich (AA 23.4.2018). Seit dem Sommer 2018 fehlt es überdies immer häufiger an Medikamenten, die auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten der Zentralapotheke nicht mehr eingekauft werden (GIZ 9.2018b).

 

Darüber hinaus gibt es ein weites Netz an Privatkliniken und niedergelassenen Ärzten von oft deutlich besserer Qualität. Tunesien gibt rund 6% seines Staatshaushaltes für das Gesundheitswesen aus. Die staatliche Krankenkasse CNAM ist für die Versicherung zuständig und erstattet Behandlungen in staatlichen Einrichtungen und teilweise auch Behandlungskosten bei niedergelassenen Ärzten. Ähnlich wie in Deutschland wird dabei ein Hausarzt-Modell praktiziert. Auch Medikamente werden teilweise erstattet (GIZ 9.2018b).

 

Tunesien hat lange Zeit in das Gesundheitswesen investiert. Ein Großteil der Ärzteschaft ist gut ausgebildet (z.T. auch im Ausland) und das Pflegepersonal ist günstig - die Basis für einen zunehmenden Gesundheitstourismus. Eine stark angestiegene Anzahl an Privatkliniken bedient meist Ausländer u.a. zahlungskräftigen Libyer und Algerier. Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist nach einem dreistufigen System organisiert und dringend reformbedürftig:

erweiterte Leistung der Bezirkskrankenhäuser, verstärkte Ausstattung der Regionalkrankenhäuser und Ausbau der Uni-Kliniken. Zwar beträgt der Radius weniger als 5 km zur Erlangung medizinischer Hilfe, jedoch ist die qualitative Ausstattung in den öffentlichen Krankenhäusern katastrophal: fehlende Spezialisten, Überbelegung, lange Wartezeiten, katastrophale sanitäre Zustände, geringe Anfangsgehälter für ausgebildete Ärzte sind Realität. Beim Aufsuchen eines Arztes muss der Behandlungspreis stets sofort entrichtet werden. Je nach Praxis (Krankenhaus, Klinik, Hospital, Fachgebiet) sind das zwischen 20 und 80 Dinar, also etwa 8-30 Euro. 2005 wurden die beiden Krankenkassen (CNSS: Caisse nationale de sécurité sociale und CNRPS: Caisse nationale de retraite et de prévoyance sociale) zurCaisse Nationale d'Assurance Maladie (CNAM) zusammengelegt. Allerdings ist diese Kasse mit ca. 1,94 Milliarden Dinar hoch verschuldet - fehlende Beitragszahlungen, verteuerte Medikamente sind nur einige der Gründe. Tatsächlich besteht eine Klassengesellschaft innerhalb der medizinischen Versorgung. Nur gut betuchte können sich Privat- und Spezialkliniken oder Ärztezentren leisten, wo die Versorgung hochpreisig, einwandfrei und an westlichen Standards angepasst ist (ÖB 10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rückkehr

 

Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in § 35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: "Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bzw. 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln." Soweit bekannt, wurden im Jahr 2017 ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen nicht zur Anwendung bei Personen, die das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 23.4.2018).

 

Eine "Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie" wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. "Bulletin Numéro 3") beantragt werden (AA 23.4.2018).

 

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und limitierten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über 2 Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z.B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sog. "Dialog Süd" - Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

2. Beweiswürdigung

 

2.1. Zum Verfahrensgang:

 

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

 

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels Vorlage geeigneter Dokumente nicht fest.

 

Die Feststellungen zu seinem Familienstand, seiner Schulbildung, zu seiner Staatsangehörigkeit und seinen familiären Verhältnissen in Tunesien und in Österreich gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer an keinen schweren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen leidet, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegensteht, gründet sich auf den diesbezüglich glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers.

 

Dass er über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 verfügt, wird durch das vorgelegte Zertifikat A2 Integrationsprüfung des ÖSD vom 28.092018 dokumentiert.

 

Die Teilnahme an einem Deutschkurs für B1 wird durch die Vorlage der Teilnahmebestätigung festgestellt.

 

Durch die Anmeldung bei einem namentlich genannten Verein zeigt der Beschwerdeführer derzeitig Bemühungen um ehrenamtlich Arbeit.

 

Durch Einsichtnahme in dem vom Beschwerdeführer vorgelegt italienischen Versicherungsdatenauszug ergeben sich die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer von 1990 bis 2008 sozialversichert und zeitweise berufstätig war.

 

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer über keine privaten oder familiären Anknüpfungspunkte in Italien verfügt, ergibt sich aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer während des gesamten Verfahrens keinerlei Angaben - abgesehen von seinem Cousin - diesbezüglich tätigte.

 

Die im Erstverfahren erwähnte in Italien lebende Tochter ließ der Beschwerdeführer im gegenständlich Verfahren gänzlich unerwähnt. Diese Vaterschaft kann auch aufgrund der Nichtvorlage diesbezüglicher Bescheinigungs- bzw. Beweismittel nicht festgestellt werden.

 

Auch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer, obwohl er rechtsvertreten ist und sohin über die Bedeutung entsprechender Beweismittel zu seinem behaupteten Familienleben Bescheid wissen muss, eine Bescheinigung bezüglich seiner im Erstverfahren behaupteten Vaterschaft bzw. bezüglich eines tatsächlich bestehenden Familienlebens in Italien nicht vorlegen können und auch keine diesbezüglichen Beweisanbote gestellt.

 

Die Feststellung über die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 09.01.2019.

 

Die Feststellungen zu seinem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, am 09.01.2019 abgefragten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

 

2.3. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren zu seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 13.05.2013 erklärt, dass er im Jahr 1989 drei entfernte Verwandte von ihm aufgrund ihre politischen Tätigkeit bei der Polizei angezeigt habe. Er sei im Jahre 1990 aus Tunesien ausgereist und befürchte bei einer Rückkehr mit einem Racheakt der Familie dieser drei Personen und würde ihn die tunesische Polizei nicht schützen können.

 

Das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) kam im rechtskräftigen Bescheid vom 18.06.2013 allerdings zum Schluss, dass eine Bedrohung des Beschwerdeführers in Tunesien nicht festgestellt werden könne.

 

Der Beschwerdeführer stellte am 07.11.2013 den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag.

 

Vom Bundesverwaltungsgericht ist im gegenständlichen Verfahren zu prüfen, ob zwischen der Rechtskraft des vorangegangenen Bescheides des Bundesasylamtes eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist.

 

Zunächst ist festzustellen, dass sich die Rechtslage in einzelnen Punkten durch das FRÄG 2017 sowie das FRÄG 2018 geändert haben mag, allerdings nicht entscheidungswesentlich.

 

Es wurden auch keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht, wie den Niederschriften zur Erstbefragung und zur Einvernahme durch die säumige Behörde und dem Protokoll der mündlichen Verhandlung zu entnehmen ist.

 

Die Fluchtgründe, welche im gegenständlichen Verfahren vorgebracht wurden, sind ident mit jenen, welche im Vorverfahren bereits berücksichtigt worden waren.

 

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher zum Schluss, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Asylverfahren keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vorbrachte.

 

Bei Folgeanträgen sind die Asylbehörden - bei Säumnisbeschwerden das Bundesverwaltungsgericht - auch dafür zuständig, mögliche Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 15.05.2012, 2012/18/0041).

 

Eine Änderung der Situation in Tunesien in den wurde auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht substantiiert behauptet und entspricht dies auch nicht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes.

 

Es sind auch keine wesentlichen in der Person des Beschwerdeführers liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden.

 

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

 

Die vom Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt.

 

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen auch nicht konkret und substantiiert entgegen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Verfahrensbestimmungen:

 

3.1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter:

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

3.1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht:

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

 

Gemäß §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

 

3.2. Stattgabe der Säumnisbeschwerde (Spruchpunkt I. des angefochten Erkenntisses):

 

Gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.

 

Gemäß § 8 Abs 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

 

Ist die Säumnisbeschwerde zulässig und nicht abzuweisen, geht die Zuständigkeit zur Entscheidung auf das Verwaltungsgericht über.

 

Im gegenständlichen Fall stellte der Beschwerdeführer am 07.11.2013 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, welcher durch die säumige Behörde nicht erledigt wurde. Zum Zeitpunkt der Einbringung der gegenständlichen Beschwerde bei der zuständigen Behörde war die sechsmonatige Entscheidungsfrist längst verstrichen. Daher erweist sich die gegenständliche Säumnisbeschwerde als zulässig.

 

Sie erweist sich auch als berechtigt, weil die Verzögerung auf ein überwiegendes Verschulden der säumigen Behörde zurückzuführen ist.

 

Die Verzögerung ist jedenfalls dann auf ein überwiegendes Verschulden der belangten Behörde zurückzuführen, wenn in der Entscheidungsfrist keinerlei Verfahrensschritte durch die Behörde gesetzt wurden (siehe Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, 2017, § 8 VwGVG, K 8).

 

Für diese Beurteilung gilt es auch auszumachen, ob die Ursache einer Verzögerung des Verwaltungsverfahrens (überwiegend) im Einflussbereich des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl liegt; gegebenenfalls ist das Verschulden der Partei an der Verzögerung des Verfahrens gegen jenes der Behörde abzuwägen (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 Rz 126 ff).

 

Ein überwiegendes Verschulden ist auch anzunehmen, wenn die Behörde nicht durch ein schuldhaftes Verhalten der Partei (vgl VwGH 22.12.2010, 2009/06/0134; VwGH 18.11.2003, 2003/05/0115) oder durch unüberwindliche Hindernisse von der Entscheidung abgehalten wurde (vgl VwGH 26.09.2011/2009/10/0266); etwa wenn die Behörde, die für eine zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt, oder mit diesem grundlos zuwartet (vgl. VwGH 26.01.2012/2008/07/0036).

 

In der Abwägung des Verschuldens der Partei an der Verzögerung gegen jenes der Behörde genügt ein "überwiegendes" Verschulden der Behörde (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 8 VwGVG, Anm 9).

 

Da sich aus dem Akteninhalt auch nicht ergibt, dass die Ermittlungsverzögerung durch ein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers, oder durch unüberwindliche Hindernisse verursacht war, war der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht stattzugeben.

 

Daraus folgt auch, dass die Zuständigkeit hinsichtlich des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen ist und es in der Folge über diesen Antrag selbst zu entscheiden hat.

 

3.3. Zur Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache (Spruchpunkt II. und III. des Erkenntnisses):

 

Gemäß § 68 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gem. Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

Formell rechtskräftige Bescheide können außer in den Fällen der §§ 69 und 71 AVG 1991 nur unter der Voraussetzung der Abs. 2 bis 4 des § 68 leg. cit. aufgehoben, abgeändert oder für nichtig erklärt werden.

 

Soweit diese Voraussetzungen nicht zutreffen, sind die Behörden und Verwaltungsgerichte an Bescheide, allenfalls auch ungeachtet der Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes, gebunden und ist ein dennoch gestellter Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (VfSlg. 10.240/1984, 19.269/2010; VwGH 19.11.1979, Z 16/79)" (VfgH 11.06.2015, Zl. E 1286/2014-17).

 

Identität der Sache ist nach der Rechtsprechung des VwGH dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, welcher dem formell rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat (vgl. VwGH 26.02.2004, Zl. 2004/07/0014; VwGH 27.06.2006, Zl. 2005/06/0358; VwGH 21.02.2007, Zl. 2006/06/0085). Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. (vgl. VwGH 19.09.2013, Zl. 2011/01/0187; VwGH 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235; VwGH 15.10.1999, Zl. 96/21/0097).

 

Erst nach Erlassung des Bescheides hervorgekommene Umstände, die die Unrichtigkeit des Bescheides dartun, stellen keine Änderung des Sachverhaltes dar, sondern bilden lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmsgrund (VwGH Zl. 26.02.2004, Zl. 2004/07/0014; VwGH 24.06.2003, Zl. 2001/11/0317, mit Verweis auf E 24.09.1992, Zl. 91/06/0113, E 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235).

 

Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. VwGH 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235).

 

Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen nach § 28 AsylG - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. VwGH 09.09.1999, Zl. 97/21/0913).

 

Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. VwGH 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100; VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684; VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0783).

 

Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den eine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 22.12.2005, Zl. 2005/20/0556; VwGH 06.07.2005, Zl. 2005/20/0343, mwN).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Vergleichsbescheid derjenige Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. VwGH 15.11.2000, Zl. 2000/01/0184; VwGH 16.07.2003, Zl. 2000/01/0440; VwGH 26.07.2005, Zl. 2005/20/0226; VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0783; vgl. weiters Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), E 104 zu § 68 AVG).

 

Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidung zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtstaatlichen Verfahrens, wobei die Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens allgemein anzuwenden sind. Dieser Grundsatz ist daher auch dann zu beachten, wenn im § 17 VwGVG eine sinngemäße Anwendung des Vierten Teils des AVG und damit des § 68 Abs. 1 AVG im Rahmen des VwGVG nicht vorgesehen ist (VwGH vom 13.09.2016, Ro 2015/03/0045, VwGH vom 24.05.2016, Ra 2016/03/0050, BVwG vom 07.07.2016, W182 1258591-3/34E, Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², 135).

 

Die Anwendung des § 68 AVG durch das Bundesverwaltungsgericht - noch dazu im Säumnisbeschwerdeverfahren, wo dieses an Stelle des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl tritt - ist daher im folgenden Verfahren keineswegs ausgeschlossen.

 

Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.6.1998, 96/20/0266).

 

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN).

 

Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.11.2004 mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

 

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

 

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer eindeutig ausgeführt (zweimal vor der säumigen Behörde und einmal vor dem Bundesverwaltungsgericht), über keinerlei neue Asylgründe zu verfügen. Auch im Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK ist nicht erkennbar, dass die Rückführung des Beschwerdeführers nach Tunesien zu einem unzulässigen Eingriff führen würde und er bei seiner Rückkehr in eine Situation geraten würde, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihm in Tunesien jegliche Lebensgrundlage entzogen würde. Es ergibt sich aus den angeführten Länderfeststellungen zu Tunesien, dass kein Grund für die Annahme besteht, dass jeder zurückgekehrte Staatsbürger einer realen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass von einem Rückführungshindernis nach Art. 2 und 3 EMRK keinesfalls auszugehen ist. Auch die Lage im Herkunftsstaat hat sich seit der Rechtskraft der Entscheidung im ersten Asylverfahren nicht entscheidungswesentlich geändert.

 

Da nicht ersichtlich ist, dass ein neuer asyl- oder refoulementrelevanter Sachverhalt bzw. eine neue Rechtslage vorliegt, war der neuerliche Asylantrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

3.4. Zur Rückkehrentscheidung und zur Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV. des Erkenntnisses):

 

3.4.1. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

 

Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

 

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

 

Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

 

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Da die Zuständigkeit auch hinsichtlich der Rückkehrentscheidung auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen ist, obliegt die Entscheidung bzw. Prüfung der oben zitieren Gesetzsetzstellen dem Bundesverwaltungsgericht und nicht dem Bundesamt.

 

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr iSd § 46a Abs 1 Z 1 oder 1a FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs 1 Z 3 AsylG.

 

Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus folgenden Gründen gegeben:

 

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 13.05.2013 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde als unbegründet abgewiesen, ein Aufenthaltstitel wurde nicht erteilt und wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Tunesien ausgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

 

Der Beschwerdeführer stellte am 07.11.2013 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

 

Das vorliegende Verfahren erreichte - vom Beschwerdeführer unverschuldet -, gerechnet von der Stellung des Folgeantrages am 07.11.2013 bis zum Datum der hg. Entscheidung mehr als fünf Jahre. Der seit seiner Einreise im Jahr 2013 andauernde Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte dessen ungeachtet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann, insbesondere da das erste Asylverfahren bereits rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde.

 

Das Gewicht seiner privaten Interessen wird daher dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war (vgl VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov).

 

Der Beschwerdeführer führt keine Lebensgemeinschaft oder eine "familienähnliche" Beziehung in Österreich. Auch wurde in Italien kein Privat- oder Familienleben behauptet (siehe unter Punkt 2.2.) Auch wenn es gewisse Integrationsschritte (A2-Prüfung, B1-Kurs und Bemühungen um ehrenamtliche Arbeit) seitens des Beschwerdeführers anzuerkennen gilt, liegt letztlich doch keine umfassende Verankerung im Bundesgebiet vor. Auch ein Arbeitsvorvertrag begründet keine ausreichende Integration.

 

Es fehlen weitere Sachverhaltselemente, aus denen sich die Existenz gewisser in einem Zeitraum eines mittlerweile mehr als 5-jährigen Aufenthaltes entstandener - unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens relevanter - Bindungen allenfalls hätte ergeben können (wie etwa Teilnahme am Erwerbsleben oder Selbsterhaltungsfähigkeit).

 

Im Besonderen ist in diesem Zusammenhang auf die folgenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, in denen selbst nach langjährigem Aufenthalt und erfolgten Integrationsschritten seitens des Höchstgerichts die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bejaht wurde:

 

VwGH 25.03.2010, 2009/21/0216 ua. (Familie; siebenjähriger Aufenthalt; selbständige Berufstätigkeit bzw. Schulbesuch; Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises; Deutschkenntnisse;

Unbescholtenheit; keine staatliche Unterstützung), VwGH 18.03.2010, 2010/22/0023 (sechsjähriger Aufenthalt; enge Beziehung zu Geschwistern in Österreich; gute Deutschkenntnisse;

Unbescholtenheit; Einstellungszusage; großer Freundes- und Bekanntenkreis), VwGH 25.02.2010, 2008/18/0411 (siebeneinhalbjähriger Aufenthalt; Berufstätigkeit; ein Jahr lang Ehe mit österreichischer Staatsbürgerin; Unbescholtenheit; enge Freundschaften zu Arbeitskollegen und ehemaligen Wohnungskollegen; andere in Österreich lebende Familienangehörige), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070 (rund achtjähriger Aufenthalt; drei Jahre Berufstätigkeit; gute Deutschkenntnisse; engen Kontakt zu Freundes- und Bekanntenkreis sowie Bruder in Österreich; Unbescholtenheit; kaum Kontakt zu seinen im Libanon verbliebenen Angehörigen), VwGH 23.03.2010, 2010/18/0038 (siebenjähriger Aufenthalt; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; beruflich integriert als Zeitungsausträger, Sportverein), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0031 (achtjähriger Aufenthalt; familiäre Bindung zu Onkel, der BF unterstützt; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Grundversorgung), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029 (knapp achtjähriger Aufenthalt; beabsichtigte Eheschließung mit öst. Staatsbürgerin; Sohn in Ö geboren; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; nahezu durchgehende Beschäftigung; sozial vielfältig vernetzt und integriert), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026 (siebenjähriger Aufenthalt; Mangel an familiären Bindungen; Unbescholtenheit;

Deutschkenntnisse; fehlende Bindungen zum Heimatstaat;

arbeitsrechtlicher Vorvertrag), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0187 (mehr als siebenjähriger Aufenthalt; Sohn besitzt österreichische Staatsbürgerschaft; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine berufliche Integration), VwGH 13.04.2010, 2010/18/0078 (siebenjähriger Aufenthalt; jahrelange Erwerbstätigkeit;

unbescholten; Freundes- und Bekanntenkreis; gute Deutschkenntnisse;

Vereinsmitglied).

 

Bei der Interessensabwägung ist erheblich zu Lasten des Beschwerdeführers auch das strafgesetzwidrige Fehlverhalten zu berücksichtigen, dem seine zwei einschlägigen und strafgerichtlichen Verurteilungen wegen Suchtmitteldelikten zugrunde liegen.

 

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen somit das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auf dem Gebiet des Fremdenwesens und der Bekämpfung von Delikten gegen die Suchtmittelkriminalität gegenüber; diesem gewichtigen öffentlichen Interesse kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. März 2002, Zl. 98/18/0260, vom 18. Jänner 2005, Zl. 2004/18/0365, vom 3. Mai 2005, Zl. 2005/18/0076, vom 17. Jänner 2006, Zl. 2006/18/0001, und vom 9. September 2014, Zl. 2013/22/0246).

 

Angesichts der verheerenden Folgen des Drogenkonsums für die Rechtsgüter Leib und Leben ist jedoch im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur insbesondere das Interesse an der Verhinderung der Suchtmittelkriminalität als äußerst hoch zu bewerten.

 

Unter Berücksichtigung der nicht gegebenen familiären Anknüpfungspunkte, der nach fünf Jahren - insgesamt 28 Jahre in Europa - nicht als hoch zu bewertenden Integration, der Missachtung, die der Beschwerdeführer - angesichts seiner zwei Verurteilungen zu Strafen seiner zwei bewusst missbräuchlichen Asylanträge - während seines gesamten Aufenthaltes im Bundesgebiet gegenüber der österreichischen Rechtsordnung an den Tag legte ist auch angesichts seines langjährigen Aufenthalts und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen - ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig und die Rückkehrentscheidung darüber hinaus erforderlich.

 

Zur Feststellung, dass eine Abschiebung gemäß § 46 nach Tunesien zulässig ist, ist zu beachten:

 

Es gibt keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Tunesien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0059).

 

Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

 

Außerdem besteht ganz allgemein in Tunesien derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd. Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

 

Der Beschwerdeführer hat weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte.

 

Zudem bestehen noch Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatstaat, zumal er laut eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung über eine Großfamilie in Tunesien verfügt.

 

Der Beschwerdeführer spricht die Sprache seines Herkunftsstaates auf Mutterspracheniveau und ist mit der Kultur, der Gesellschaft und der Arbeitswelt in Tunesien noch vertraut. Eine soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederung im Herkunftsstaat ist dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit möglich und auch zumutbar, dies insbesondere, da er arbeitsfähig ist.

 

Es wäre ihm letztlich auch zumutbar, durch eigene und notfalls wenig attraktive Arbeit jedenfalls auch nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, beizutragen, um das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können.

 

Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können. Zudem steht es dem Beschwerdeführer offen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und verfügt er, wie erwähnt, nach wie vor über familiären Anschluss im Herkunftsstaat.

 

Im Übrigen handelt es sich um einen sicheren Herkunftsstaat (vgl. § 1 Z 11 HStV).

 

Dahingehend war spruchgemäß eine Rückkehrentscheidung zu erlassen und die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Tunesien als zulässig zu erklären.

 

3.4.2. Zur Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise:

 

Nach § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Solche besonderen Gründe wurden weder vor der säumigen Behörde noch vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht, weshalb die Frist mit 14 Tagen festzusetzen war.

 

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

 

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl die oben angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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