European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00026.23Y.0318.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Die Revision der erstbeklagten Partei wird zurückgewiesen.
Der Schriftsatz der erstbeklagten Partei vom 10. 5. 2023 wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei und die erstbeklagte Partei haben die darauf entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.
II. Die Revision der Erstnebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die darauf entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
III. Der Revision der Zweitbeklagten und der Zweitnebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Teil‑ und Zwischenurteil wird teilweise dahin abgeändert, dass es – unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Feststellungsbegehrens gegen die erstbeklagte Partei – in der Hauptsache zu lauten hat:
„1. Die Klagebegehren, die erstbeklagte Partei sei schuldig,
a) der klagenden Partei zur ungeteilten Hand mit der zweitbeklagten Partei 24.045 EUR samt 4 % Zinsen seit 2. März 2020 zu bezahlen und
b) es werde festgestellt, dass die erstbeklagte Partei zur ungeteilten Hand für jeden Schaden hafte, welcher der klagenden Partei aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im Motortyp * des F* Wohnmobil *, Fahrzeugidentifikationsnummer: * zukünftig entsteht, werden
abgewiesen.
2. a) Das Klagebegehren, die zweitbeklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 24.045 EUR samt 4 % Zinsen seit 2. März 2020 zu bezahlen, besteht dem Grund nach zu Recht.
b) Das Begehren, es werde festgestellt, dass die zweitbeklagte Partei zur ungeteilten Hand mit der erstbeklagten Partei für jeden Schaden hafte, welcher der klagenden Partei aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung im Motortyp * des F* Wohnmobil *, Fahrzeugidentifikationsnummer: * zukünftig entsteht, wird
abgewiesen.“
Der Schriftsatz der zweitbeklagten Partei und der Zweitnebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien vom 16. 5. 2023 wird zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die Fällung einer neuen Kostenentscheidung für die Kosten in erster und zweiter Instanz aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
EntscheidungsgründeundBegründung:
[1] Der Kläger kaufte mit Vertrag vom 23. 10. 2019 von der Erstbeklagten ein F* Wohnmobil * um 80.150 EUR (darin „Extras“ im Umfang von 4.050 EUR). Beim Verkaufsgespräch waren die Abgaswerte kein Thema.
[2] Die Zweitbeklagte stellt Fahrzeuge der Marke F* her. Die Zweitnebenintervenientin verkauft diese Fahrzeuge („Basisfahrzeuge“) an Wohnwagenhersteller, ua an die Erstnebenintervenientin. Diese erstellte den Wohnmobilaufbau und verkaufte das klagsgegenständliche Wohnmobil an die Erstbeklagte weiter.
[3] Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (in der Folge: VO 715/2007/EG ). Es hat einen Dieselmotor des Typs * der Abgasklasse Euro 6b und wurde im Mai 2019 erstmals zugelassen.
[4] Das Fahrzeug ist mit einer Abgas‑ bzw NOx‑Reduktionsstrategie (Software) ausgestattet, welche die Abgasrückführung nach einer Fahr‑ und Betriebszeit des Motors von 22 Minuten erheblich reduziert oder überhaupt unterbindet. Das Fahrzeug ist weiters mit einem „Thermofenster“ ausgestattet, welches die Abgasrückführung unter 20° Celsius Umgebungs‑ bzw Außentemperatur massiv reduziert. Außerhalb der Typ 1‑Prüfung – bei einem Warmstart bzw Kaltstart außerhalb der NEFZ‑Prüfbedingungen (20 bis 30° Celsius Umgebungstemperaturen, zudem außerhalb einer Fahrzeit von 22 Minuten) – wird der NEFZ‑Grenzwert nicht eingehalten.
[5] Der Kläger begehrt mit seiner am 15. 6. 2022 eingebrachten Klage nach Ausdehnung von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Zahlung von 24.045 EUR sA sowie gegenüber beiden Beklagten die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung. Gegenüber der Erstbeklagten stützt der Kläger seine Ansprüche auf Gewährleistungs‑ und Irrtumsrecht sowie auf Schadenersatz wegen List, gegenüber der Zweitbeklagten auf deliktischen Schadenersatz und Schadenersatz wegen listiger Irreführung, aufgrund Garantie und wegen Schutzgesetzverletzung. Das Feststellungsbegehren werde erhoben, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass aufgrund des nicht typengenehmigungsfähigen Zustands die Zulassung entzogen werde.
[6] Die Beklagten und die Nebenintervenienten auf Seiten beider Beklagten beantragen die Abweisung der Klage. Eine unzulässige Abschalteinrichtung liege nicht vor. Das Wohnmobil sei mängelfrei, es drohe kein Verlust der Typengenehmigung. Das Fahrzeug habe am Markt keine Wertminderung erlitten. Dem Kläger sei kein Schaden entstanden. Die Ansprüche des Klägers seien verjährt. Die Erstbeklagte wandte ein, das Fahrzeug nicht von der Zweitbeklagten, sondern von der Erstnebenintervenientin gekauft zu haben. Die Zweitbeklagte wandte ein, zum Kläger in keiner Vertragsbeziehung zu stehen. Das Fahrzeug erfülle die für die Erteilung der EG‑Typengenehmigung erforderlichen, zum damaligen Zeitpunkt anwendbaren unionsrechtlichen Vorschriften. Weder wurde ein Software‑Update angeboten oder vorgenommen noch sei es von einer Rückrufaktion betroffen. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte für ein der zweitbeklagten Partei oder deren Organen oder Vertretern vorwerfbares Verhalten vor. Eine Schutzgesetzverletzung liege nicht vor, bei der VO 715/2007/EG handle es sich nicht um eine Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da die Abgasrückführung bei Temperaturen von weniger als 20° Celsius massiv reduziert und daher wohl den überwiegenden Teil des Jahres verwendet werde, sei von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Dem Kläger sei jedoch kein Schaden entstanden, weil weder die Gefahr des Entzugs einer Typengenehmigung bestehe noch am Gebrauchtwagenmarkt Nachlässe gewährt würden.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass das Leistungsbegehren gegenüber beiden Beklagten zur ungeteilten Hand dem Grunde nach zu Recht bestehe und das Feststellungsbegehren gegenüber der Zweitbeklagten zu Recht bestehe. Gegenüber der Erstbeklagten wies das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren rechtskräftig ab.
[9] Bei der von der Zweitbeklagten gewählten „Abgasstrategie“ in Form eines „Thermofensters“ handle es sich um eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG , die jedoch gemäß Art 5 Abs 2 dieser Verordnung unzulässig sei. Das Datum des Kaufvertragsabschlusses war der 23. 10. 2019, das Fahrzeug sei dem Kläger im März/April 2020 übergeben worden. Ausgehend davon sei die gesetzliche Gewährleistungsfrist von zwei Jahren nach § 933 Abs 1 ABGB für Sachmängel im Zeitpunkt der Einbringung der Klage bereits abgelaufen gewesen. Vor dem Hintergrund der zu verneinenden Rechtsbeständigkeit der erteilten Typengenehmigung bestehe jedoch der vom Kläger geltend gemachte Gewährleistungsanspruch wegen eines Rechtsmangels dem Grunde nach zu Recht, der nicht verjährt sei. Eine Verbesserung hätten die Beklagten unstrittig nicht angeboten. Hingegen habe der Kläger die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch gegen die Erstbeklagte weder konkret vorgebracht noch seien sie festgestellt. Das Verhalten der Zweitbeklagten könne der Erstbeklagten nicht zugerechnet werden. Aus dem Akt ergäben sich keinerlei Hinweise, dass die Erstbeklagte zum Zeitpunkt des Verkaufs vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst hätte.
[10] Der Zweitbeklagten sei die Verletzung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG als Schutzgesetz vorzuwerfen, sodass dem Kläger ein im Minderwert des Fahrzeugs bestehender Schadenersatzanspruch zustehe. Insofern genüge fahrlässiges Verhalten, das von der Zweitbeklagten nicht substantiiert in Abrede gestellt worden sei. Allerdings fehlten Feststellungen zum Minderwert des Fahrzeugs, sodass das Verfahren in Bezug auf das Leistungsbegehren zu ergänzen sei. Das Feststellungsbegehren sei gegenüber der Zweitbeklagten berechtigt, das Feststellungsinteresse des Klägers aufgrund des vorliegenden Rechtsmangels zu bejahen.
[11] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen der Preisminderung und der Rechtsbeständigkeit der Typengenehmigung sowie des damit verbundenen Rechtsmangels fehle. Auch mit der Frage der Zulässigkeit eines gegen den Händler gerichteten Leistungs‑ und Feststellungsbegehrens habe sich der Oberste Gerichtshof noch nicht auseinandergesetzt.
[12] Gegen diese Entscheidung in ihrem jeweils klagestattgebenden Umfang richten sich die – jeweils vom Kläger beantworteten – Revisionen beider Beklagten und der beiden Nebenintervenienten auf Seiten der Beklagten, mit denen diese die (gänzliche) Abweisung der Klage anstreben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revisionen der Erstbeklagten und der Erstnebenintervenientin sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch –unzulässig. Die Revision der Zweitbeklagten und der Zweitnebenintervenientin ist zulässig und teilweise berechtigt.
Zum Beschluss auf Zurückweisung der Schriftsätze vom 10. 5. 2023 und vom 16. 5. 2023:
[14] Nach dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels steht jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift zu. Weitere Rechtsmittelschriften, Nachträge oder Ergänzungen – hier die ein weiteres Mal (mit nachträglich erfolgter ergänzender Verzeichnung weiterer Kosten) eingebrachten Revisionen der Erstbeklagten sowie der Zweitbeklagten und der Zweitnebenintervenienten – sind daher als unzulässig zurückzuweisen (RS0041666). Weil die Verzeichnung der Kosten in den Revisionen mängelfrei erfolgte, liegt auch kein Fall einer zulässigen Verbesserung vor (6 Ob 73/06p = RS0036673 [T5]; 4 Ob 190/18x, Pkt 2.1).
I. Der Behandlung der einzelnen Rechtsmittel ist Folgendes voranzustellen
[15] I.1 Die Anwendung österreichischen Rechts ist zwischen den Parteien nicht strittig (vgl 7 Ob 83/23s, Rz 17).
[16] I.2 Das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt wurde (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]). Soweit im Zeitpunkt der Fällung dieser Entscheidung eine Rechtsfrage bereits durch Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt ist, kann aus ihr die Zulässigkeit der Revision nicht mehr abgeleitet werden.
[17] I.3 Klarzustellen ist, dass die Erst‑ und Zweitnebenintervenienten auf Seiten beider beklagten Parteien in den Rechtsstreit eingetreten sind.
[18] Gemäß § 19 Abs 1 Satz 2 ZPO ist der Nebenintervenient berechtigt, zur Unterstützung derjenigen Partei, an deren Sieg er ein rechtliches Interesse hat (Hauptpartei), Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, Beweise anzubieten und alle sonstigen Prozesshandlungen vorzunehmen. Seine Prozesshandlungen sind gemäß § 19 Abs 1 Satz 3 ZPO insoweit für die Hauptpartei rechtlich wirksam, als sie nicht mit deren eigenen Prozesshandlungen im Widerspruch stehen. Der Nebenintervenient kann daher auch Rechtsmittel ergreifen, und zwar sowohl neben der Hauptpartei wie auch an deren Stelle; nicht aber dann, wenn diese ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet oder ihr Rechtsmittel zurückgezogen hat (5 Ob 21/09p). Der Umstand, dass die Hauptpartei die Erhebung eines Rechtsmittels unterlässt oder ein nicht gerechtfertigtes Rechtsmittel erhoben hat, macht das Rechtsmittel des Nebenintervenienten nicht unzulässig (stRsp; RS0035520; RS0035472; Schneider in Fasching/Konecny II/1³ § 19 ZPO Rz 22 mwN). Die Ergänzung der Argumentation der Hauptpartei in deren Revision durch den Nebenintervenienten in der von ihm erstatteten Revision vermag daher keinen Widerspruch zum Rechtsmittel der Hauptpartei zu begründen, selbst wenn die Hauptpartei diese Argumente bewusst nicht gebraucht haben sollte (vgl RS0035472 [T7], RS0035487). Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass jene Argumente in der Revision der Zweitnebenintervenientin, die zu Gunsten des Rechtsstandpunkts der Erstbeklagten sprechen, von dieser aber in deren (eigenen) Revision nicht gebraucht werden, zu Gunsten der Erstbeklagten dennoch zu berücksichtigen sind.
II. Zur Haftung der Erstbeklagten :
[19] II.1 Aus den oben (zu Pkt I.3) genannten Gründen war daher vorerst auf die – in einem Schriftsatz mit der Revision der Zweitbeklagten erstattete –Revision der Zweitnebenintervenientin einzugehen.
II.1.1 Zur Gewährleistung:
A. Zum Sachmangel:
[20] Der Oberste Gerichtshof hat kürzlich in der Entscheidung 4 Ob 119/23p vom 19. 12. 2023 (Rz 14 ff), ausgeführt, dass die Formulierung „unter 20° Celsius“ nicht offen lasse, ob die Grenze, bei der die Abgasrückführung drastisch reduziert wird, bei 19° Celsius oder bei 10° Celsius oder bei 5° Celsius oder erst bei 0° Celsius liegt. Sie beschreibe vielmehr eindeutig den Temperaturbereich, der alle Temperaturen unter 20° Celsius umfasst. Durch einen simplen Umkehrschluss sei daher auch leicht zu erkennen, wann die Abgasrückführung ungedrosselt arbeite: Nämlich nur bei Außentemperaturen über 20° Celsius und das auch nur während der ersten 22 Minuten Fahrbetrieb nach einem Motorkaltstart. Mechanismen, die die Abgasreduktion im normalen Fahrbetrieb – der in der Regel länger als 22 Minuten dauert und auch bei Außentemperaturen unter 20° Celsius stattfindet – drastisch senken, seien unabhängig von der Motorschutzausnahme unzulässige Abschalt-einrichtungen. Diese rechtliche Beurteilung trifft auch im vorliegenden Fall zu (vgl ebenso jüngst 2 Ob 137/23w, Rz 21 ff).
[21] II.1.2 Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Übergabezeitpunkt begründet somit einen Sachmangel (für viele 3 Ob 142/22m, Rz 28 ff; 2 Ob 122/23i, Rz 17 mH auf 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023, Rz 51).
[22] II.1.3 Dennoch ist – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat – im vorliegenden Fall eine Haftung der Erstbeklagten wegen eines Sachmangels zu verneinen, weil die Gewährleistungsfrist abgelaufen ist:
[23] II.1.4 Bei Sachmängeln beginnt die Gewährleistungsfrist mit der körperlichen Übergabe der Sache. Der Beginn des Laufs der Gewährleistungsfrist wird nicht dadurch hinausgeschoben, dass im angegebenen Zeitpunkt der Ablieferung die Entdeckung des Mangels noch nicht möglich war (RS0018982). Auch ist nicht von einer im Vertrag zugesicherten (abgasrelevanten) Eigenschaft auszugehen, die den Fristbeginn auf den Zeitpunkt der Erkennbarkeit hinausschieben würde (vgl RS0018982 [T11]), weil solche Umstände nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen waren. Nach der Rechtsprechung ist das Nichtvorhandensein einer Abschalteinrichtung im Allgemeinen auch keine zugesicherte, sondern eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft (3 Ob 148/22v Rz 17 f).
[24] Aufgrund der nach dem unstrittigen Inhalt der Urkunden ./A und ./1 erfolgten Übergabe des Fahrzeugs im März/April 2020 war bei Einbringung der Klage am 15. 6. 2022 die Gewährleistungsfrist (§ 933 ABGB idF vor dem BGBl I 2021/175 [GRUG]) bereits abgelaufen. Der Kläger kann seinen Leistungsanspruch gegenüber der Erstbeklagten daher nicht erfolgreich auf einen Sachmangel stützen.
B. Rechtsmangel:
[25] II.1.5 Die aus dem Vorliegen der unzulässigen Abschalteinrichtung resultierende, fehlende Rechtsbeständigkeit der Typengenehmigung vermag auch keinen (noch nicht verjährten) Rechtsmangel zu begründen. Ist – wie hier – eine aufrechte Typengenehmigung gegeben, ist nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Vorliegen eines Rechtsmangels zu verneinen. Die im Zeitpunkt der Übergabe bloß befürchtete mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG‑Typengenehmigung bzw die bloß befürchtete, also nicht konkret drohende Aufhebung der Zulassung führt zu keinem Rechtsmangel (3 Ob 40/23p Rz 23 ff; 2 Ob 122/23i Rz 19 ff).
[26] II.1.6 Der Kläger hat seinen Anspruch gegenüber der Erstbeklagten im Verfahren erster Instanz auch auf das Vorliegen eines von der Erstbeklagten veranlassten Geschäftsirrtums (§ 871 ABGB) gestützt. Nach den unangefochtenen Feststellungen waren motor‑ und abgasbezogene Eigenschaften des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs („Abgaswerte“) aber nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen. Dass die Erstbeklagte Kenntnis darüber gehabt habe, dass beim Motor des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert wäre, oder Repräsentanten der Herstellerin in die Vertragsverhandlungen eingebunden gewesen wären, behauptet der Kläger nicht. Im Irrtumsrecht ist mangels Lücke nicht davon auszugehen, dass infolge § 922 Abs 2 ABGB der Verkäufer für den durch den Produzenten veranlassten Geschäftsirrtum des Käufers im Rahmen des § 871 ABGB einzustehen hätte, auch wenn der Verkäufer selbst den Irrtum seines Kunden nicht erkannt hat bzw erkennen konnte (RS0134518). Aus diesem Grund kann der Erstbeklagten auch nicht die Verletzung einer gebotenen Aufklärung angelastet werden. Schon mangels Veranlassung eines Irrtums scheitert damit eine irrtumsrechtliche Vertragsanpassung (2 Ob 122/23i Rz 23 f; 2 Ob 137/23w, Rz 37 in vergleichbaren Fällen mwN).
[27] II.1.7 Der Kläger hat schließlich im Verfahren erster Instanz seinenAnspruch gegen die Erstbeklagte auch darauf gestützt, dass sich diese als Vertragshändlerin das Wissen und die listige Irreführung der Zweitbeklagten zurechnen lassen müsse. Dazu hat der erkennende Senat bereits ausgesprochen, dass allein der Verkauf eines Produkts durch einen Vertriebshändler nicht rechtfertigt, davon auszugehen, dass dieser an einer Täuschungshandlung des Produzenten (als Täter) „teilgenommen“ hätte (9 Ob 21/22m, Rz 31 ff mwH; RS0134519 [T1]; ebenso 2 Ob 137/23w, Rz 39).
[28] II.1.8 Der Revision der Zweitnebenintervenientin war daher in Bezug auf die Erstbeklagte Folge zu geben und das Teil- und Zwischenurteil des Berufungsgerichts über das noch zu behandelnde Leistungsbegehren gegenüber der Erstbeklagten im Sinn einer (gänzlichen) Abweisung der Klage abzuändern.
II.2 Hingegen war die Revision der Erstbeklagten zurückzuweisen:
[29] II.2.1 Wenn die Erstbeklagte geltend macht, dass dem Kläger lediglich ein Anspruch auf Wandlung, nicht aber auf Preisminderung zustehe, übergeht sie den Ablauf der Gewährleistungsfrist.
[30] II.2.3 Beim weiteren Vorbringen der Erstbeklagten, es treffe sie kein Verschulden, eine objektiv‑abstrakte Schadensberechnung komme daher nicht in Frage, sie habe den Kläger nicht in die Irre geführt, es fehlten Ausführungen zu einer behaupteten ihr zur Last zu legenden objektiven Sorgfaltswidrigkeit, lässt die Erstbeklagte unbeachtet, dass das Berufungsgericht ihr gegenüber einen Schadenersatzanspruch nicht bejaht hat. Der in diesem Zusammenhang behauptete Mangel des Berufungsverfahrens liegt daher nicht vor.
[31] II.2.4 Die (unzutreffende) Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es liege ein Rechtsmangel vor, stellt die Erstbeklagte in ihrer Revision nicht in Frage. Mit den übrigen, vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfenen Rechtsfragen setzt sich das Rechtsmittel nicht auseinander, sodass die Revision der Erstbeklagten trotz der Zulässigerklärung zurückzuweisen ist (vgl RS0102059 [T21]).
II.3 Revision der Erstnebenintervenientin
[32] II.3.1 Die Erstnebenintervenientin befasst sich in ihrer Revision ausschließlich mit der Zulässigkeit des Umstiegs von den primären auf die sekundären Gewährleistungsbehelfe und argumentiert, das unterbliebene Anbieten einer Verbesserung berechtige nicht zur Preisminderung. Mangels Feststellungen zur Unmöglichkeit einer Verbesserung könnte der Kläger nicht auf die sekundären Gewährleistungsbehelfe umsteigen.
[33] Dabei übergeht die Erstnebenintervenientin nicht nur den Ablauf der Gewährleistungsfrist hinsichtlich Sachmängeln, sondern auch die erstgerichtliche Feststellung, nach der es für das gegenständliche Fahrzeug kein (nur vom Hersteller bereitstellbares) Software‑Update gibt und kein Rückruf (zwecks Entfernung der Abschalteinrichtung) getätigt wurde (ähnlich 2 Ob 122/23i, Rz 13). Da nach den Feststellungen der Mangel nicht behebbar ist, käme eine Verbesserung von vornherein nicht in Betracht. Mangels einer auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts ausgeführten Rechtsrüge (RS0043603) wird damit keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.
[34] II.3.2 Die (unzutreffende) Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass das Fahrzeug des Klägers wegen der Verbauung einer unzulässigen Abschalteinrichtung mit einem Rechtsmangel behaftet sei, wird nicht in Frage gestellt.
[35] Die Revision der Erstnebenintervenientin ist daher– trotz Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz – zurückzuweisen.
[36] Zusammenfassend besteht gegenüber der Erstbeklagten das Leistungs- und das Feststellungsbegehren nicht zu Recht.
III. Zur Haftung der Zweitbeklagten :
III.1 Leistungsbegehren
[37] III.1.1 Zum Vorliegen einer im vom Kläger erworbenen Fahrzeug eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen.
[38] III.1.2 Die Zweitbeklagte und die Zweitnebenintervenientin machen geltend, selbst wenn man die VO 715/2007/EU als Schutzgesetz ansehen wolle, habe die Zweitbeklagte im Zeitpunkt der Übertretung nach ihrem technischen Wissensstand gehandelt. Sie habe im Zeitpunkt der Erteilung der EG‑Typengenehmigung davon ausgehen können, dass es auf Emissionswerte im realen Fahrbetrieb nicht ankomme. Noch 2016 habe die italienische Zulassungsbehörde befunden, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege.
[39] III.1.3 Der Oberste Gerichtshof hat im Endurteil zu 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 die Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 RL 2007/46/EG iVm Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 als Schutzgesetze qualifiziert, die (auch) das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung schützen (Rz 28 f). Dem ist der Oberste Gerichtshof in weiteren, dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Entscheidungen gefolgt (2 Ob 130/23s, Rz 5; 4 Ob 119/23p, Rz 21 ff). Da der Kläger bereits im Verfahren erster Instanz geltend gemacht hat, dass die Vorschriften der VO 715/2007/EG ein Schutzgesetz darstellen, das die Zweitbeklagte verletzt habe, liegt der in diesem Zusammenhang behauptete Erörterungsmangel nicht vor (vgl 4 Ob 119/23p, Rz 28)
[40] III.1.4 Den Schädiger trifft die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, dass ihn an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]). Dazu muss er auf Tatsachenebene konkrete und stichhaltige Umstände vortragen, die sein Verhalten als nicht einmal fahrlässig erscheinen lassen (3 Ob 121/23z, Rz 23). Die Zweitbeklagte hat lediglich vorgebracht, dass keiner ihrer Angestellten oder Organe in der Absicht oder dem Bewusstsein gehandelt habe, unzulässige Typengenehmigungen zu erwirken oder nicht genehmigungsfähige Fahrzeuge herzustellen. Ein Vorbringen, welche ihr zurechenbaren Personen aufgrund welcher Umstände darauf vertrauen durften und auch vertraut haben, dass die von ihr verbaute Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Klägers unionsrechtlich zulässig sei (8 Ob 109/23x, Rz 29 ff mH auf 10 Ob 27/23b, Rz 35), hat sie nicht erstattet. Eine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Zweitbeklagte das ihr vorgeworfene zumindest fahrlässige Verhalten nicht substantiiert bestritten habe, zeigt sie mit ihren Ausführungen nicht auf.
[41] III.1.5 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Geldersatz in Form der Zug‑um‑Zug‑Abwicklung gegenüber dem Hersteller eines mit unzulässiger Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs – jedenfalls in dem Fall, dass eine (geeignete) Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten wird – verlangt werden kann. Dies schließt allerdings die Geltendmachung eines Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs nicht aus (10 Ob 27/23g, Rz 15 f mwH; 8 Ob 70/23m, Rz 26; 7 Ob 83/23s, Rz 20 ua). Wenn die Revisionswerber geltend machen, dass eine Wertminderung von 30 % überhöht sei, muss darauf im derzeitigen Verfahrensstadium jedoch nicht eingegangen werden, weil hier Feststellungen zur Wertminderung dem Grunde nach noch fehlen.
[42] III.1.6 Zusammengefasst zeigen die Zweitbeklagte und die Zweitnebenintervenientin in ihrer Revision keine Rechtsunrichtigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts über das gegen die Zweitbeklagte erhobene Leistungsbegehren auf.
III.2 Zum gegenüber der Zweitbeklagten erhobenen Feststellungsbegehren
[43] III.2.1 Das Berufungsgericht begründete die Stattgebung des Feststellungsbegehrens gegenüber der Zweitbeklagten damit, dass aufgrund des Vorliegens eines Rechtsmangels das Feststellungsinteresse zu bejahen sei. Die Zweitbeklagte und die Zweitnebenintervenientin bestreiten in ihrer Revision dass dem Kläger ein Schaden entstanden sei und beantragen ausdrücklich auch die Abweisung des Feststellungsbegehrens.
[44] III.2.2 Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile mehrfach ausgesprochen, dass bei Geltendmachung einer Wertminderung aufgrund Ankaufs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs das theoretische Risiko eines Zulassungsentzugs bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt und demnach ein diesbezügliches Feststellungsbegehren nicht berechtigt ist (8 Ob 109/23x, Rz 24 mwH).
[45] III.3 Zusammenfassend war der Revision der Zweitbeklagten und der Zweitnebenintervenientin daher hinsichtlich der gegen die Zweitbeklagte geltend gemachten Ansprüche teilweise Folge zu geben. Gegenüber der Zweitbeklagten besteht das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht, nicht hingegen das Feststellungsbegehren.
IV. Kostenentscheidung:
[46] IV.1 Im Hinblick auf die infolge des teilweisen Erfolgs der Revision der Zweitbeklagten und der Zweitnebenintervenientin unterschiedlichen Prozesserfolge des Klägers, die von beiden Seiten erhobenen Einwendungen gemäß § 54 Abs 1a ZPO und der Beteiligung von fünf – teilweise ausländischen – Prozessparteien, waren die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Fällung einer neuen Kostenentscheidung für die Kosten in erster und zweiter Instanz aufzutragen (RS0124588; 2 Ob 137/23w).
IV.2 Zur Kostenentscheidung im Revisionsverfahren:
[47] IV.2.1 Da die Beklagten nur formelle Streitgenossen im Sinn des § 11 Z 2 ZPO sind, bleibt ungeachtet der gemeinsamen Einklagung jedes Verfahren hinsichtlich der Kostenersatzpflicht selbständig (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.358 mwH).
[48] IV.2.2 Die Kostenentscheidung beruht betreffend die Revision der Erstbeklagten auf den §§ 40, 50 ZPO. Die Revision der Erstbeklagten war zwar mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Der Kläger hat auch auf die Unzulässigkeit der Revision in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen. Dies führt im konkreten Fall dennoch zu keinem Kostenzuspruch an den Kläger, weil er im Revisionsverfahren der Erstbeklagten zur Gänze unterlag. Dass dies auf den Erfolg der Revision der Zweitnebenintervenientin auf Seiten beider Beklagten zurückzuführen ist, ändert daran nichts: Im Rechtsmittelverfahren ist es, wenn auch der Nebenintervenient ein Rechtsmittel mit identem Anfechtungsumfang erhebt, unentbehrlich, auf welches Rechtsmittel der Erfolg abzustellen ist, weil die Erfolge denknotwendig gleich sind; die inhaltliche Begründung des jeweiligen Rechtsmittels ist für die Erfolgsermittlung unerheblich (Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.377). Aus diesen Gründen haben die Erstbeklagte und der Kläger die sie betreffenden Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.
[49] IV.2.3 Die Kostenersatzpflicht trifft allein die erstbeklagte Partei. Mangels gesetzlicher Grundlage, die Erstnebenintervenientin zum Kostenersatz zu verpflichten, hat der Kläger ihr gegenüber keinen Kostenersatzanspruch (RS0035816; RS0036057).
[50] IV.2.4 Der Vorbehalt der Kostenentscheidung beruht betreffend die Revision der Zweitbeklagten und der Zweitnebenintervenientin auf § 52 Abs 4 ZPO.
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