OGH 3Ob148/22v

OGH3Ob148/22v15.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D* M*, vertreten durch Mag. Mahmut Sahinol, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* J*, vertreten durch Mag. Gerhard Posch, Rechtsanwalt in Micheldorf, wegen 28.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Mai 2022, GZ 3 R 48/22g‑38, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 25. Februar 2022, GZ 2 Cg 48/21h‑31, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00148.22V.1215.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.804,50 EUR (darin enthalten 300,75 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Mit Kaufvertrag vom 10. November 2020 kaufte der Kläger vom Beklagten einen – erstmals am 18. März 2016 zum Verkehr zugelassenen – PKW der Marke BMW 330d mit einem Kilometerstand von 138.000 km zu einem Kaufpreis von 28.000 EUR. Zwischen den Parteien war allgemein vereinbart, dass die Gewährleistung ausgeschlossen ist. Zum Übergabezeitpunkt befand sich das Fahrzeug verkehrstechnisch in einem einwandfreien Zustand. Auch hinsichtlich der NOx‑Emissionen bestehen aus technischer Sicht keine Bedenken. Das Fahrzeug weist bei der Abgasrückführung eine gewisse Temperaturabhängigkeit in der Form auf, dass außerhalb des Temperaturbereichs zwischen 20 und 30 Grad (NEF‑Zyklus) die NOx‑Emissionen etwas ansteigen. Das deutsche Kraftfahrbundesamt (KBA) hat bei diesem Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Fahrzeuge, die vom KBA bereits überprüft wurden, werden üblicherweise nicht mehr angegriffen. Für den gegenständlichen Fahrzeugtyp (Baujahr 2016) gibt es keine Rückrufe, die sich auf das Abgassystem beziehen. Aus technischer Sicht besteht praktisch keine Möglichkeit, dass das Fahrzeug in naher Zukunft zurückgerufen wird. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er vom Vorhandensein des Thermofensters Kenntnis gehabt hätte.

[2] Der Kläger begehrte die Zahlung von 28.000 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs. Dieses sei im Übergabezeitpunkt mit einem schweren Mangel behaftet gewesen, weil aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Abgasreinigung nur im Temperaturfenster von ca 17 bis 31 Grad funktioniere. Hätte er gewusst, dass ihm der Beklagte ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verkaufe, bei der die Gefahr des Entzugs der Typengenehmigung bestehe, so hätte er das Fahrzeug nicht erworben.

[3] Der Beklagte entgegnete, dass das Fahrzeug mängelfrei übergeben und ein Gewährleistungsausschluss vereinbart worden sei. Ein unzulässiges Thermofenster bzw eine unzulässige Abschalteinrichtung liege nicht vor.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Fahrzeug sei mit keinem Mangel behaftet. Überdies hätten die Parteien im Kaufvertrag die Haftung für Mängel ausgeschlossen. Im Anlassfall sei weder etwas arglistig verschwiegen noch irgendetwas zugesichert worden.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Fahrzeug sei im Übergabezeitpunkt verkehrs- und betriebssicher gewesen. Eine Zusage dahin, dass die Abgasreinigung des Fahrzeugs unabhängig von den konkreten Einsatzbedingungen stets mit gleicher Intensität wie im NEF‑Zyklus funktioniere, habe der Beklagte nicht gemacht. Aufgrund des Gewährleistungsausschlusses stünden dem Kläger keine Gewährleistungsansprüche zu. Der vom Kläger behauptete Irrtum sei nach den Feststellungen für den Vertrag nicht kausal gewesen. Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

[6] Über Antrag des Klägers gemäß § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil im Lichte der Entscheidung des EuGH zu C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob sich ein zwischen Verbrauchern beim Gebrauchtwagenkauf vereinbarter Gewährleistungsausschluss unter gleichzeitiger Zusage der Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs auf die Freiheit des Dieselfahrzeugs von einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines sogenannten „Thermofensters“ erstrecke, höchstgerichtlicher Rechtsprechung fehle.

[7] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

[8] Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[10] 1. Der vorliegende Fall betrifft den Verkauf eines Gebrauchtfahrzeugs unter Privaten, die die Gewährleistung für Mängel vertraglich (allgemein) ausgeschlossen haben. Im Revisionsverfahren bezieht sich die Frage der möglichen Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs nur mehr auf das Vorhandensein eines Thermofensters in der Form, dass sich temperaturabhängig die Abgasrückführrate verändert, sodass außerhalb des Temperaturbereichs zwischen 20 und 30 Grad (Prüfzyklus) die NOx‑Emissionen etwas ansteigen.

[11] 2.1 Die Reichweite eines vertraglichen Gewährleistungsverzichts ist durch Auslegung im Einzelfall nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien und der Übung des redlichen Verkehrs zu ermitteln. Dabei ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur am Wortlaut der Vereinbarung zu haften, sondern es sind auch alle ihren Abschluss begleitenden erklärungsrelevanten Umstände zu berücksichtigen (RS0016561 [T3]; RS0018564 [T13]; 7 Ob 24/21m).

[12] Nach gesicherter Rechtsprechung erstreckt sich ein umfassend abgegebener Gewährleistungsverzicht grundsätzlich auch auf geheime und solche Mängel, die normalerweise vorausgesetzte Eigenschaften betreffen (RS0018564). Im Zweifel sind Verzichtserklärungen allerdings restriktiv auszulegen (RS0018561). Ein vertraglicher Gewährleistungsverzicht erstreckt sich nach der Rechtsprechung daher nicht auf das Fehlen ausdrücklich oder schlüssig zugesicherter Eigenschaften oder auf arglistig verschwiegene Mängel (RS0018523; RS0018564; 9 Ob 50/10h). Ob eine Eigenschaft als zugesichert anzusehen ist, hängt demnach nicht davon ab, was der Erklärende wollte, sondern was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung oder dem Erklärungsverhalten des Vertragspartners schließen durfte (8 Ob 111/19k). Ob eine (schlüssige) Zusage vorliegt oder nicht, kann letztlich nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (7 Ob 24/21m). Diese Grundsätze gelten auch bei Geschäften zwischen Nichtunternehmern (8 Ob 111/19k).

[13] 2.2 Diesen Grundsätzen, von denen auch die Vorinstanzen ausgegangen sind, tritt der Kläger in der Revision nicht entgegen. Auch auf die Begründung der Vorinstanzen, dass im vorliegenden Fall das Fehlen eines Thermofensters nicht zugesagt und auch keine Zusage dahin gemacht worden sei, dass die Abgasreinigung des Fahrzeugs unabhängig von den konkreten Einsatzbedingungen stets mit gleicher Intensität wie im NEF‑Zyklus funktioniere, geht der Kläger nicht ein. Er führt insbesondere kein Erklärungsverhalten des Beklagten anlässlich des Abschlusses des Kaufvertrags ins Treffen, aus dem ein Bezug zum Thermofenster abgeleitet werden könnte.

[14] 3.1 Zu dem von den Vorinstanzen bejahten Gewährleistungsverzicht führt der Kläger letztlich nur aus, dass die latente Gefahr der Betriebsuntersagung bzw Betriebseinschränkung durch die Zulassungsbehörde vom Gewährleistungsausschluss nicht erfasst sei.

[15] 3.2 Nach der Rechtsprechung gelten im Allgemeinen, also ohne ausdrückliche vertragliche Regelung und ohne besonderes Erklärungsverhalten, auch beim Gebrauchtwagenkauf (und zwar vom gewerblichen Kfz‑Händler) die (technische) Fahrbereitschaft sowie die Verkehrs- und Betriebssicherheit als schlüssig vereinbart (RS0016189; RS0018502; RS0110191; 8 Ob 111/19k).

[16] Diesen Voraussetzungen hat das Fahrzeug entsprochen. Die Frage, ob das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist, ist eine andere als jene nach der technischen Fahrbereitschaft oder Verkehrs- und Betriebssicherheit. Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine von ihm im Rechtsmittel angesprochene („latente“) Gefahr einer Betriebsuntersagung vom Gewährleistungsverzicht erfasst, weil ohne besondere Umstände aus der Sicht eines verständigen Käufers eines Gebrauchtfahrzeugs – noch dazu im Verhältnis zu einem Nichtunternehmer als Verkäufer – keine schlüssige Erklärung im Hinblick auf eine unbestimmte künftige Nichtentziehung der Typengenehmigung unterstellt werden kann.

[17] 4. Dass das Nichtvorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Fahrzeug keine zugesicherte Eigenschaft im Sinn des § 922 ABGB ist, entspricht schließlich auch der Rechtsprechung des EuGH. Aus der Entscheidung des Gerichtshofs zu C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, ergibt sich dazu, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung dazu führt, dass das betreffende Fahrzeug (der Klassen Euro 5 und 6) nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann. Wenn ein Verbraucher ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung (Typengenehmigung) versehen ist, kann er vernünftigerweise erwarten, dass die Verordnung 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden, und zwar auch ohne spezifische Vertragsklauseln (Rn 54).

[18] Dies bedeutet, dass das Fehlen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach der unionsrechtlichen Beurteilung grundsätzlich (ohne besondere Vertragsklausel und ohne besonderes Erklärungsverhalten) eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft, nicht aber notwendigerweise eine zugesicherte Eigenschaft ist.

[19] 5. Aus den dargelegten Erwägungen folgt, dass die Vorinstanzen den vom Beklagten ins Treffen geführten Gewährleistungsverzicht zu Recht bejaht haben.

[20] 6. Soweit der Kläger sein Wandlungsbegehren auch weiterhin – ohne auf die Begründung des Berufungsgerichts einzugehen – auf Irrtum stützt, ist er auf die Negativfeststellung zu verweisen, wonach nicht festgestellt werden kann, dass er das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er vom Thermofenster und gegebenenfalls von erhöhten Abgaswerten Kenntnis gehabt hätte.

[21] Die dazu vom Berufungsgericht angestellte Beurteilung, dass ein Irrtum nur dann beachtlich sei, wenn dieser für den Vertrag kausal ist, was hier aber nicht der Fall sei, entspricht der Rechtslage.

[22] 7. Auch zum Vorliegen eines einheitlichen Rechtsgeschäfts (mit dem Kaufvertrag betreffend seinen früheren Pkw BMW M3) wiederholt der Kläger lediglich seine Argumente in der Berufung.

[23] Im erstinstanzlichen Verfahren ist der Kläger (in seinen Schriftsätzen vom 24. 9. 2021 ON 10 und vom 4. 10. 2021 ON 12) sowie auch der Beklagte (im Schriftsatz vom 13. 10. 2021 ON 13) vom Vorliegen von zwei getrennten Kaufverträgen ausgegangen. Die Feststellung des Erstgerichts, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte die beiden Kaufverträge als Einheit und damit als Fahrzeugtausch (mit Aufzahlung von 2.000 EUR durch den Kläger) gesehen hätten, handelt es sich demnach um eine unzulässige überschießende Feststellung, die weder in dem vom Kläger geltend gemachten Klagegrund noch in den Einwendungen des Beklagten Deckung findet (vgl RS0040318); sie ist daher unbeachtlich.

[24] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger in erster Instanz selbst vom Vorliegen zweier getrennter Kaufverträge ausgegangen sei und sich dies auch (zwingend) aus seinem Klagebegehren ergebe, steht mit der Rechtslage ebenfalls im Einklang.

[25] 8. Insgesamt haben die Vorinstanzen das Klagebegehren zu Recht abgewiesen. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

[26] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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