OGH 9Ob21/22m

OGH9Ob21/22m27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, MMag. Sloboda und Dr. Annerlin der Rechtssache der klagenden Partei S* K*, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei P* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 6.490 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2021, GZ 13 R 201/21p‑39, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Oberwart vom 23. Juni 2021, GZ 2 C 556/20k‑33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzungzu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00021.22M.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

I. Die Bekanntgaben der beklagten Partei vom 18. Juli 2022 und 6. September 2022 sowie die Stellungnahme der klagenden Partei vom 12. September 2022 werden zurückgewiesen.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„Die Klagebegehren,

1. der zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag vom 13. April 2012 über den Ankauf des Fahrzeugs VW Golf Plus Rabbit TDI, FahrgestellNr: *, um 16.490 EUR ist ex tunc aufgehoben, und

2. die beklagte Partei ist binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution schuldig, der klagenden Partei 6.490 EUR, sowie 4 % Zinsen pa aus 16.490 EUR seit 4. Mai 2012 Zug um Zug gegen Rückgabe des KFZ, VW Golf Plus Rabbit TDI, FahrgestellNr: *, zu bezahlen, in eventu

3. die beklagte Partei ist binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution schuldig, der klagenden Partei 5.000 EUR samt 4 % Zinsen pa zu bezahlen, in eventu

4. es wird mit Wirkung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei für jeden Schaden haftet, welcher der klagenden Partei aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entsteht,

werden abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.535,71 EUR (darin 605,95 EUR USt und 2.900 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 1.888,82 EUR (darin 213,30 EUR USt und 609 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.263,91 EUR (darin 83,65 EUR USt und 762 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Zu I.

[1] Die von den Parteien nach Erstattung der Rechtsmittelschriften eingebrachten Schriftsätze verstoßen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (RS0041666). Sie waren daher zurückzuweisen.

Zu II.

[2] Die Klägerin kaufte am 13. 4. 2012 von der Beklagten, einer Vertragshändlerin für V*-Fahrzeuge, einen PKW der Marke VW Golf Rabbit TDI um den Kaufpreis von 16.490 EUR. Das erstmals im März 2011 zugelassene Fahrzeug wies einen Kilometerstand von 21.050 km und einen Vorbesitzer auf. Es ist mit einem – unstrittig vom Abgasskandal betroffenen – 1,6 l‑Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse Euro 5 ausgestattet. Hätte die Klägerin gewusst, dass im Fahrzeug eine Manipulation des Abgasnachbehandlungssystems vorgenommen worden war, hätte sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen.

[3] Im Oktober 2015 informierte die Generalimporteurin die Klägerin, dass ihr Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei und Nacharbeiten erforderlich sein würden. Ende Dezember 2016 ließ die Klägerin von der Beklagten ein Software-Update am Fahrzeug durchführen, womit die Umschaltvorrichtung des Abgasnachbehandlungssystems entfernt wurde.

[4] Nach dem Software-Update traten beim Fahrzeug der Klägerin Probleme auf, wobei insbesondere bereits ab Februar 2017 mehrfach die Warnlampe „Motorelektronik“ aufleuchtete. Zunächst fand die Beklagte keinen Fehler. Nachdem im Jänner 2018 von einem Autofahrerclub angenommen worden war, dass die Anzeigen auf eine Verschmutzung des Abgasrückführventiles zurückzuführen wären, tauschte die Beklagte diese Motorkomponente.

[5] Aufgrund dieser Probleme beteiligte sich die Klägerin im Jahr 2018 an einer Musterfeststellungsklage in Deutschland, wobei ihr letztlich mitgeteilt wurde, dass zu österreichischen Kunden keine Erledigung erfolgt.

[6] In Deutschland wird wegen des Abgasskandals ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt, dem sich die Klägerin am 30. 6. 2020 als Privatbeteiligte anschloss.

[7] Der aktuelle Kilometerstand des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 23. 6. 2021 betrug 160.020 km. Bei diesem Kilometerstand ist die Haltbarkeit der Abgasnachbehandlungskomponenten schon überschritten, sodass das Klagsfahrzeug nur mehr jene Grenzwerte erreichen muss, die bei der „Pickerlüberprüfung“ erforderlich sind. Das Fahrzeug weist keine ersichtlichen Reparaturspuren auf. Der rechte vordere Kotflügel zeigt Rostspuren und ist demnächst zu tauschen.

[8] Der im Fahrzeug der Klägerin verbaute Dieselmotor ist von einer Software betroffen, die die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfzustand (NEFZ) optimiert. Zum Zeitpunkt der Auslieferung waren bei V* zwei Modi für das Fahrzeug vorgesehen. Der Modus 0 ist jener, der beim Fahrzeug im normalen Betrieb verwendet wird, der zweite Modus 1 wird dann aktiviert, wenn das Fahrzeug erkennt, dass es einen Prüfzyklus durchfährt. Von dieser Umschalteinrichtung hatten zum Zeitpunkt des Kaufes weder die Klägerin noch die Vertreter der Beklagten Kenntnis. Eine Abschaltvorrichtung, die nur aktiviert wird, wenn das Fahrzeug den Prüfzyklus durchfährt, entspricht nicht den Bedingungen der VO 715/2017/EG . Das Fahrzeug erhielt die erforderliche EU‑Betriebsgenehmigung sowie die Euro 5‑Typengenehmigung. Diese Typengenehmigung ist nach wie vor wirksam und nicht aufgehoben.

[9] Mit dem Ende 2016 durchgeführten Software‑Update wurde die Umschaltvorrichtung eliminiert. Bei diesem Motor wäre jedoch zusätzlich der Einbau eines Strömungsgleichrichters notwendig. Für Fahrzeuge im Alter jenes der Klägerin wird derzeit von V* mit Ausnahme des Software‑Updates keine weitere Verbesserungsmaßnahme angeboten.

[10] Im Fahrzeug der Klägerin ist ein sogenanntes Thermofenster eingebaut, welches außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs die Abgasrückführung schrittweise zurücknimmt. Das Thermofenster ist bei Fahrzeugen nach Euro 5 Stand der Technik. Das vom Update betroffene Abgasrückführventil wurde ohne Kosten für die Klägerin von der Beklagten ausgetauscht. Durch den Einbau der neuen Software kommt es nicht zu einer Erhöhung des Treibstoffverbrauchs und des CO2‑Ausstoßes. Eine Verkürzung der Nutzungsdauer ist aus technischer Sicht nicht zu befürchten. Die Lebensdauer des Fahrzeugs beträgt bei entsprechender Wartung 250.000 km. Bislang kam es zu keiner nachhaltigen Veränderung des Wiederbeschaffungs-werts bzw des Zeitwerts von Fahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen waren oder sind.

[11] Abgestellt auf den Händlereinkaufspreis von 3.800 EUR sowie auf die zustandsabhängigen Abschläge berechnet sich das Benutzungsentgelt mit 12.690 EUR.

[12] Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Implementierung unzulässiger Abschalteinrichtungen bei der Abgasrückführung aus dem Titel des Irrtums, der List und des Schadenersatzes in Anspruch. Sie begehrt mit ihren Hauptbegehren die Aufhebung des Kaufvertrags und die Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung eines Benützungsentgelts, somit die Zahlung von 6.490 EUR samt Zinsen. Sollte davon ausgegangen werden, dass der Mangel des Fahrzeugs nur geringfügig sei bzw es sich um einen unwesentlichen Irrtum handle, werde als erstes Eventualbegehren ein Betrag von 5.000 EUR aus dem Titel der Preisminderung begehrt. Da überdies nicht ausgeschlossen werden könne, dass aufgrund des Software‑Updates ein derzeit nicht einschätzbarer erhöhter Verschleiß im Bereich des Abgassystems, insbesondere im Bereich AGR‑System eintrete, werde weiters eventualiter die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden begehrt, welcher der Klägerin aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehe.

[13] Der Mangel liege darin, dass im Fahrzeug rechtswidrigerweise eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei und ohne diese Abschaltvorrichtung die gesetzlichen Grenzwerte beim NEFZ‑Test nicht eingehalten worden wären und es keine Typisierung gegeben hätte.

[14] Da die Klägerin ein nicht gesetzeskonformes Fahrzeug erworben habe und auch durch das Software‑Update kein gesetzeskonformer Zustand hergestellt worden sei, weil die temperaturabhängige Abschalteinrichtung (Thermofenster) nach wie vor bestehe, liege ein Rechtsmangel vor. Die Gewährleistungsfrist beginne daher erst ab Kenntnis des Übernehmers vom Mangel zu laufen, das sei hier der 1. 4. 2020. Wegen des strafbaren Verhaltens der V* AG gelte ohnedies die lange Verjährungsfrist. Das vom V*‑Konzern vorsätzlich irreführende Verhalten sei der Beklagten als wirtschaftlich und faktisch von der V* AG abhängigen Vertragshändlerin zuzurechnen. Der V*‑Konzern sei beim Vertragsschluss bzw in der Vertragsvorbereitung für die Beklagte durch Verkaufsunterlagen, Werbungen und Formulare tätig geworden.

[15] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Es liege weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel vor. Das Fahrzeug der Klägerin verfüge über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung und Zulassung. Spätestens nach Durchführung des Software-Updates entspreche das Fahrzeug dem vertraglich Geschuldeten. Das im Fahrzeug verbaute Thermofenster sei notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Beim Fahrzeug sei kein softwarebedingter Wertverlust eingetreten. Das behauptete listige Verhalten des V*-Konzerns sei der Beklagten als Händlerin nicht zurechenbar. Das Benützungsentgelt errechne sich unter Berücksichtigung des Wiederbeschaffungswerts mit 12.690 EUR. Da die Klägerin das Benutzungsentgelt unrichtig mit nur 10.000 EUR bemessen habe (Anmerkung des Senats: vor der Klagseinschränkung), werde eine Gegenforderung von 2.690 EUR eingewendet. Im Übrigen seien alle von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche verjährt. Das Fahrzeug sei der Beklagten am 13. 4. 2012 übergeben worden. Bereits im Oktober 2015 habe die Klägerin vom Abgasskandal Kenntnis erlangt. Die 30jährige Frist gelange hier nicht zur Anwendung, weil die Beklagte nicht strafbar gehandelt habe.

[16] Das Erstgericht hob den zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Kaufvertrag vom 13. 4. 2012 über den Ankauf des Fahrzeugs VW Golf Plus Rabbit TDI ex tunc auf (Punkt 1. des Spruchs), stellte fest, dass die Klagsforderung mit einem Betrag von 4.990 EUR zu Recht (Punkt 2.), die Gegenforderung jedoch nicht zu Recht bestehe (Punkt 3.) und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 4.990 EUR samt 4 % Zinsen aus diesem Betrag seit 4. 5. 2012 Zug um Zug gegen Rückgabe des KFZ VW Golf Plus Rabbit TDI (Punkt 4.) Das Mehrbegehren in Höhe von 1.500 EUR wies es ab (Punkt 5.). Dazu führte es zunächst aus, dass der Klägerin aufgrund des Zeitablaufs der Rechtsbehelf der Gewährleistung nicht mehr zur Verfügung stehe. Der Klägerin stehe jedoch in Anlehnung an die deutsche Rechtsprechung unter Anwendung des § 1295 Abs 2 ABGB wegen sittenwidriger Schädigung der Käuferin ein Schadenersatzanspruch gegen den Hersteller zu, der im Wege der Naturalrestitution zu einer Rückabwicklung der vertraglichen Leistungen führe. Der nach den Feststellungen gegebene unerwünschte Vertragsabschluss sei als realer Schaden zu bewerten. Die Klägerin sei daher so zu stellen, wie sie ohne Täuschung stehen würde, was zu einer Rückabwicklungs-pflicht führe. Darauf habe das Software‑Update keinen Einfluss. Der Schaden bestehe im ungewollten Vertragsabschluss, der durch die nachträgliche Veränderung des Werts oder des Zustands des Vertragsgegenstands nicht rückwirkend zu einem gewollten werde. Hätte die Klägerin ohne die Täuschung ein anderes oder gar kein Fahrzeug erworben und möchte sie dieses nun auch nicht behalten, werde der vom Hersteller verursachte Schaden des Käufers durch das Software-Update nicht ausgeglichen.

[17] Hätten Käufer ihre Fahrzeuge unmittelbar von der V* AG erworben, so hätten die Gestaltungsrechte/ Schadenersatzansprüche direkt aus den dort geschehenen Vertragsverletzungen resultiert. Hätten die Käufer hingegen ihre Fahrzeuge von V*-Vertragshändlern erworben (Neu-, Vorführ-, Gebrauchtwagen), die ebenfalls Kenntnis von den Abgasmanipulationen hätten bzw gehabt hätten müssen, so greife die Solidarhaftung der Mittäter nach § 1302 ABGB (vgl Riedler in ZVR 2020/186). Nach den Beweisergebnissen sei aber davon auszugehen, dass den Vertretern der konkreten Zweigniederlassung der Beklagten, bei der die Klägerin das Fahrzeug gekauft habe, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Manipulation beim Abgassystem nicht bekannt gewesen sei. Die Klägerin könne aber den Kaufvertrag erfolgreich wegen listiger Irreführung der V* AG, die der Beklagten als V*-Vertragshändlerin zuzurechnen sei, nach § 870 ABGB anfechten. Eine Anfechtung eines Vertrags wegen List verjähre gemäß § 1487 iVm § 1478 ABGB erst in 30 Jahren ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Aufgrund der langen Gebrauchsdauer des Fahrzeugs und der dadurch eingetretenen Ersparnis sei die Festsetzung des Benützungsentgelts gemäß § 273 ZPO mit 11.500 EUR angemessen. Zu den Zinsen sei auszuführen, dass das ABGB keine § 849 BGB entsprechende Regelung kenne, sodass eine vom konkreten Schaden unabhängige pauschale Mindestentschädigung für den Entzug von Geld nur für den Verzug mit einer Geldschuld angeordnet sei. Als Beginn des Zinsenlaufs sei von der Klägerin der Zeitpunkt der Zahlung gewählt worden.

[18] Gegen die Abweisung des Mehrbegehrens von 1.500 EUR sowie des Zinsenmehrbegehrens erhob die Klägerin Berufung. Die Beklagte focht in ihrer Berufungserklärung das Urteil im Umfang der Klagsstattgabe von 4.990 EUR an und beantragte vollinhaltliche Klagsabweisung.

[19] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge.

[20] Zur Berufung der Beklagten führte es aus, dass der Händler dem Käufer gegenüber grundsätzlich nur für die ihn selbst treffenden Pflichten, wie die Auswahl eines geeigneten Erzeugers, einwandfreie Lagerung der Ware, Hinweise auf Gefahren und ordnungsgemäße Verpackung hafte. Der Käufer könne vom Händler regelmäßig nicht erwarten, dass dieser eine eigene kostspielige technische Kontrolle der Kaufsache vornehme. Der Händler müsse sich insoweit grundsätzlich regelmäßig auf die ihm vom Produzenten erteilten Hinweise verlassen können. Es würde die Sorgfaltspflicht des Händlers grundsätzlich überspannen, würde ihm die Verpflichtung auferlegt, die vom Erzeuger zugesicherten bestimmten Eigenschaften der vom Händler bloß vertriebenen Waren durch eigene Tests überprüfen zu lassen. Den (ausländischen) Produzenten treffe aber die Pflicht, seinen (inländischen) Repräsentanten (Vertragshändler) über alle die Vertriebstätigkeit wesentlichen Umstände zu informieren. Der Kunde des Vertragshändlers könne erwarten, dass dieser das entsprechende besondere Wissen, insbesondere über Gefahrenträchtigkeit eines Produkts, besitze. Da die Beklagte die verkaufte Sache nicht hergestellt habe, könne ihr bei der Produktion keine Sorgfaltspflichtverletzung unterlaufen sein, sondern nur bei der Kontrolle der gehandelten Ware oder bei der nötigen Aufklärung des Kunden. Das Ausmaß der Sorgfaltspflichten, die einem Händler obliege, hänge vom Einzelfall ab. Sie dürften nicht überspannt werden. Im Allgemeinen könne der Käufer aber nicht erwarten, dass der Händler eigene kostspielige Versuche zur Prüfung der Tauglichkeit der Ware bei gewissen Verwendungen vornehme. Der Händler müsse sich insoweit regelmäßig auf die ihm vom Produzenten gegebenen Hinweise verlassen können, sofern er nicht aufgrund ihm bereits bekannt gewordener Schadensfälle Zweifel an deren Richtigkeit haben müsse. Im vorliegenden Fall sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Repräsentanz des Produzenten, der V* AG, sei. Durch die enge wirtschaftliche Verflechtung, die ua im Firmenwortlaut zum Ausdruck komme, stehe die Beklagte als Vertragshändlerin der Produzentin dieser gleich. So übernehme etwa ein Vertragshändler als Alleinimporteur für sein Gebiet viele Funktionen, die sich der Hersteller beim Inlandsabsatz über Vertragshändler selbst vorbehalte. Dadurch werde der Vertragshändler weitgehend auf der Herstellerebene tätig. Der Hersteller habe auf die Interessen des Vertragshändlers gebührend Rücksicht zu nehmen. Zu den Treuepflichten des Herstellers gehöre insbesondere auch eine Informationspflicht über diejenigen Umstände auf Herstellerebene, die für die Vertriebstätigkeit des Vertragshändlers wesentlich seien und deren Kenntnis ihn vor Nachteilen bei dieser Tätigkeit bewahren könne. Diese Eigenart des Vertragshändlervertrags betreffe zwar nur das Innenverhältnis zwischen dem Hersteller und dem Vertragshändler. Auf das Bestehen eines solchen besonderen Innenverhältnisses und den damit verbundenen Informationsvorsprung könne aber auch ein Dritter vertrauen. Der Vertragshändler sei damit Kraft seiner Stellung auch gegenüber Dritten nicht irgendein Händler, der die gekaufte Ware neben vielen anderen Produkten vertreibe, sondern der auf die Produkte des Herstellers spezialisierte. Vom Vertragshändler, der wie im vorliegenden Fall als Repräsentant des Herstellers im Auslandsvertrieb eingesetzt sei, werde aufgrund seines Auftretens ein besonderes Wissen kundgetan und erwartet. Dies rechtfertige es, den Sorgfaltsmaßstab für den Vertragshändler auf Auslandsmärkten besonders hoch anzusetzen. Vom Repräsentanten des Produzenten könne, auch wenn er ausschließlich als Händler auftrete, ein besonders hohes Maß an Wissen und entsprechender Sorgfalt bei der Aufklärung des Erwerbers eines Produkts des Herstellers vorausgesetzt und verlangt werden. Es müsse daher der Beklagten als Organisationsmangel angelastet werden, wenn sie von einer dem Hersteller bekannten Abgasmanipulation nicht Kenntnis erlangt habe. Die Klägerin habe von der Beklagten im Hinblick auf deren kundgetaner engen wirtschaftlichen Verflechtung mit der Produzentin erwarten können, dass sie sich auch Insiderwissen der Produzentin verschaffe und dieses bei ihrer Beratung im Rahmen ihrer vorvertraglichen Aufklärungspflicht verwerte. Die Anfechtung des Kaufvertrags wegen List im Sinne der §§ 870, 875 ABGB durch die Klägerin sei daher berechtigt.

[21] Der Berufung der Klägerin hielt das Berufungsgericht entgegen, dass die im Einzelfall vorgenommene Berechnung des Benutzungsentgelts mit den Grundsätzen der Rechtsprechung in Einklang stehe. Auch das Zinsenmehrbegehren sei zu Recht abgewiesen worden.

[22] Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht zur Frage der Zurechnung von Arglist des Erzeugers zum Vertragshändler für zulässig.

[23] Gegen diese Entscheidung (erkennbar gegen den klagsstattgebenden Teil der Berufungsentscheidung) richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. In ihrem Rechtsmittel bekämpft die Beklagte ua die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass ihr als Vertragshändlerin der Beklagten deren allfälliges arglistiges Verhalten zuzurechnen sei. Darüber hinaus sei die Anfechtung des Kaufvertrags wegen Irrtums bzw Arglist ausgeschlossen, weil durch das Software-Update der Schaden durch Beseitigung der Abschalteinrichtung behoben und die Klägerin auf diese Weise klaglos gestellt worden sei. Allfällige Ansprüche der Klägerin seien verjährt.

[24] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[25] Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Zur Zurechnung des allfälligen arglistigen Verhaltens des Herstellers an den Händler:

[26] 1.1. Allfällige (wegen eines Sachmangels) gewährleistungsrechtliche und irrtumsrechtliche Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte sind verjährt (§ 933 Abs 3 und § 1487 ABGB). Davon geht auch die Klägerin aus und stützt ihre Ansprüche auf listige Irreführung mit der Begründung, dass sich die Beklagte als Verkäuferin die listige Irreführung der V* AG als Herstellerin des Fahrzeugs zurechnen lassen müsse.

[27] 1.2. Der Erzeuger (Produzent), der die Ware zunächst dem Käufer liefert, der sie seinerseits an seinen Käufer weitergibt, ist in der Regel nicht Erfüllungsgehilfe (§ 1313 a ABGB) des Verkäufers (Zwischenhändlers) (RS0101969). Der Händler haftet dem Käufer gegenüber nur für die Erfüllung der ihn selbst treffenden Pflichten (Auswahl eines geeigneten Erzeugers, für die einwandfreie Lagerung der Ware, den Hinweis auf Gefahren, und für die ordnungsgemäße Verpackung) (RS0022902; RS0022662 [T5]). Bedient sich jedoch der Verkäufer zur Erfüllung seiner Pflichten des Herstellers, wird dieser (nur) in diesem Umfang Erfüllungsgehilfe des Verkäufers (8 Ob 114/19a Pkt 3. f). Der Käufer kann vom Händler regelmäßig nicht erwarten, dass dieser eine eigene kostspielige technische Kontrolle der Kaufsache vornimmt. Der Händler muss sich insoweit grundsätzlich regelmäßig auf die ihm vom Produzenten erteilten Hinweise verlassen können, sofern er nicht aufgrund ihm bereits bekannt gewordener Schadensfälle Zweifel an deren Richtigkeit haben muss (RS0023638 [T1, T5]).

[28] Von diesen Grundsätzen geht auch die Klägerin im Revisionsverfahren aus. Sie wirft der Beklagten weder ein eigenes listiges oder gar strafbares Verhalten noch eine Verletzung ihrer Verkäuferpflichten oder einen – vom Berufungsgericht aber angenommenen – Organisationsmangel vor. Von der im Fahrzeug installierten Umschalteinrichtung hatte die Beklagte zum Verkaufszeitpunkt keine Kenntnis. Sie behauptet auch nicht, dass die Beklagte das Fahrzeug gemeinsam mit der Herstellerin „erarbeitet“ hätte, um es den individuellen Anforderungen der Klägerin anzupassen (vgl 9 Ob 28/15f Pkt 3).

[29] 1.3. Die Herbeiführung eines Willensmangels durch einen Dritten, der kein Gehilfe ist („echter Dritter“), führt nach § 875 ABGB nur dann zur Anfechtung, wenn der Geschäftspartner an der Handlung des Dritten teilgenommen hat oder von derselben offenbar wissen musste. In diesen Fällen ist der Vertragspartner nicht schutzwürdig und der Dritte wird dem Vertragspartner „irrtumsrechtlich“ zugerechnet. Zur Frage, ob die V* AG als Herstellerin den Verkäufern bei deren Vertragsabschlüssen mit den Käufern im Rahmen des § 871 ABGB zuzurechnen sei oder sie „echte“ Dritte im Sinn des § 875 ABGB sei, vertritt Wilhelm (VW: Falsche Abgaswerte – Irrtumsfragen, ecolex 2016, 189) die Auffassung, dass der Hersteller eine fiktive Eigenschaft der Gattung verkündet und solcherart dem Verkäufer eine Zusicherung aufgedrängt habe, an die der Verkäufer „gefesselt“ sei; zum Gehilfen habe ein Hersteller den Verkäufer gemacht, weil er mit den falsch beschriebenen Produkten handle und sich so dem § 922 Abs 2 ABGB unterstellt habe. Der Verkäufer habe an der Handlung des Dritten (Herstellers), der Irreführung durch ihn, „teilgenommen“ (§ 875 ABGB), sodass die §§ 870 bis 874 ABGB auf ihn anzuwenden seien, dh, der Käufer ihm gegenüber den Vertrag wegen Irrtums anfechten könne. „Teilnahme“ im Sinn des § 875 ABGB meine nicht nur die gemeinschaftlich verbundene Tätigkeit der Irreführung, sondern auch und hier allgemein die Zurechnung der vom Dritten geübten Irreführung an den Vertragspartner des Irrenden.

[30] 1.4.  Riedler (Irrtum, List, Gewährleistung und Schadenersatz – auch vor dem Hintergrund der BGH‑E VI ZR 252/19, ZVR 2020/186, 320 [322 f]; ders in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 875 Rz 10) stellt zur Frage, ob die V* AG den Verkäufern bei deren Vertragsabschlüssen mit den Käufern im Rahmen des § 871 ABGB zuzurechnen sei oder die V* AG „echte“ Dritte im Sinn des § 875 ABGB sei, folgende Überlegungen an: Alle Verkäufer von V*‑Kraftfahrzeugen müssten sich die Äußerungen der V* AG, die diese landesweit in TV, Radio, Printmedien und über Internetkanäle tätige, schon nach § 922 Abs 2 ABGB zurechnen lassen. Die vom Hersteller öffentlich beworbenen Eigenschaften und auch jene Eigenschaften, die den von der V* AG vertriebenen Produkten nach der Verkehrsauffassung beigelegt werden, würden nach § 922 Abs 2 ABGB Inhalt der konkreten Kaufverträge zwischen Verkäufern und Käufern. Wenn aber die von der V* AG beworbenen und deren Produkten durch den Vertrieb nach der Verkehrsauffassung beigemessenen Eigenschaften den Verkäufern im Verhältnis zu deren Vertragspartnern ohnedies derart zuzurechnen seien, dass diese Angaben auch Vertragsinhalt würden, dann müssten auch „öffentliche“ Fehlangaben der Hersteller aus denselben Äußerungen dem Verkäufer im Rahmen des § 871 ABGB zugerechnet werden, denn § 922 Abs 2 ABGB schränke die Zurechnung von ausdrücklich oder konkludent getätigten Herstelleräußerungen nicht auf bloß „fehlerfreie“ Äußerungen ein. Dies werde durch den Umstand belegt, dass der Verkäufer auch für fehlerhafte Herstellerangaben und daraus resultierende vertragliche Eigenschaften dem Käufer gegenüber schon aus gewährleistungsrechtlicher Perspektive nach § 932 ABGB verschuldensunabhängig einzustehen habe. Als Konsequenz daraus resultiere, dass schon vor dem Hintergrund der erklärungstheoretischen Ausgestaltung des § 922 Abs 2 ABGB auch aus irrtumsrechtlicher Perspektive die Verkäufer für jene irreführenden Angaben der Hersteller einzustehen hätten, die in die Vertragsverhältnisse der Verkäufer mit den Käufern einfließen. Daher sei die Irreführung der Käufer durch die V* AG den Verkäufern der betroffenen Kraftfahrzeuge im Rahmen des § 871 ABGB derart zuzurechnen, dass die Verkäufer für den durch ihre Gehilfin (V* AG) veranlassten Geschäftsirrtum der Käufer im Rahmen des § 871 ABGB einzustehen hätten. Dies auch dann, wenn die Verkäufer selbst den Irrtum ihrer Kunden nicht erkannt hätten bzw erkennen haben können. Die Käufer könnten die Kaufverträge mit ihren Verkäufern nach § 870 ABGB anfechten, weil sie von der V* AG, die den Verkäufern als Gehilfin in Anlehnung an die in Verbindung mit § 922 Abs 2 ABGB entwickelten Gedanken zuzurechnen seien, rechtswidrig und vorsätzlich getäuscht worden seien.

[31] 1.5. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, das (allfällige) arglistige Verhalten der Herstellerin sei der Beklagten aufgrund ihrer Stellung als Vertragshändlerin der Herstellerin direkt zurechenbar, wird vom Senat nicht geteilt.

[32] Auch wenn die Beklagte ausschließlich die Fahrzeugmarken der Herstellerin vertreibt, und ihr wirtschaftlicher Erfolg daher ua von der Öffentlichkeitsarbeit der Herstellerin abhängt, „bedient“ sie sich beim Verkauf eines Fahrzeugs nicht der Herstellerin (siehe Pkt 1.2.), weshalb diese nicht Erfüllungsgehilfin der beklagten Händlerin ist. Die Einbeziehung der (Werbe-)Äußerungen der V* AG in die Auslegung des Kaufvertrags zwischen der Klägerin und der beklagten Händlerin führt nicht dazu, dass diese sich das – im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits abgeschlossene – (allenfalls) schuldhafte (listige) Verhalten der V* AG insofern zurechnen lassen muss, dass sie an der Handlung des Herstellers im Sinn des § 875 ABGB „teilgenommen“ hätte. Entgegen der Ansicht von Riedler ist im Irrtumsrecht mangels dargelegter oder erkennbarer Lücke nicht davon auszugehen, dass infolge § 922 Abs 2 ABGB die Verkäufer für den durch ihre „Gehilfin (V* AG)“ veranlassten Geschäftsirrtum der Käufer im Rahmen des § 871 ABGB einzustehen hätten, auch wenn der Verkäufer selbst den Irrtum seines Kunden nicht erkannt hat bzw erkennen konnte. Dass der Verkäufer in diesem Zusammenhang für List (§ 870 ABGB) des Herstellers einstehen müsste, bedarf der Zurechnung nach § 875 ABGB (Teilnahme oder Wissen müssen), ohne dass § 922 Abs 2 ABGB einschlägig wäre oder analog zur Anwendung gelangt.

[33] 1.6. Die Ansicht von Wilhelm (aaO), die „Teilnahme“ im Sinn des § 875 1. Fall ABGB meine nicht nur die gemeinschaftlich verbundene Tätigkeit der (listigen) Irreführung, sondern „allgemein die Zurechnung der von Dritten geübten Irreführung an den Vertragspartner des Irrenden“, wobei allein die Veräußerung durch einen Händler genügen solle, nimmt diesem Begriff jede eigenständige Bedeutung. Allein der Verkauf eines Produkts durch einen Vertriebshändler rechtfertigt nicht, davon auszugehen, dass hier die Beklagte an einer Handlung der V* AG (als Täterin) „teilgenommen“ hätte. „Teilnahme“ an der Handlung des Dritten setzt vorsätzliche Beteiligung (wie im Schadenersatzrecht) voraus (Rummel in Rummel/Lukas 4 § 875 ABGB Rz 5; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 875 Rz 4, 6; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 875 Rz 2; Kolmasch in Schwimann/Neumayr, ABGB TaKomm5 [2020] § 875 ABGB Rz 1; Bollenberger/P. Bydlinski in Bydlinski/ Perner/Spitzer, KBB7 § 875 ABGB Rz 1; vgl 2 Ob 161/17s Pkt 2.). Gerade im Rahmen eines allfälligen listigen Verhaltens eines Dritten ist für die „Teilnahme“ wie beim Schadenersatz ein entsprechendes subjektives Element beim Verkäufer – hier also der Beklagten – zu fordern. Nach dem Sachverhalt hat die Beklagte aber keine Handlung gesetzt, die eine Teilnahme an der Abgasmanipulation durch die V* AG indiziert.

[34] 1.7. Dass die Beklagte von der listigen Handlung der Herstellerin offenbar wissen musste (§ 875 ABGB 2. Fall), hat der Klägerin nicht behauptet und lässt sich dem festgestellten Sachverhalt auch nicht entnehmen.

[35] 1.8. Die Klägerin argumentiert in ihrer Revisionsbeantwortung damit, dass der Oberste Gerichtshof in Anlegerprozessen aufgrund der realwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (wirtschaftliches Naheverhältnis) die Fehlberatung von Anlegern durch selbständige Vertriebspartner in bestimmten Fällen der Bank zugerechnet hat (zB 4 Ob 129/12t; RS0128476 [T15]). Sie erkennt aber selbst, dass in der vorliegenden Konstellation nicht die V* AG für ein Fehlverhalten der Beklagten einstehen soll, sondern die Vertriebshändlerin für jenes der Produzentin. Für eine Zurechnung eines (allfälligen) arglistigen Verhaltens der V* AG an die Beklagte alleine aufgrund ihrer Stellung als Vertriebshändlerin der Herstellerin fehlt aber jede Rechtsgrundlage. Es ist zwar richtig, dass der wirtschaftliche Erfolg der Beklagten als Vertriebshändlerin betreffend den Verkauf von Fahrzeugen der Marke V* – jedenfalls zum Teil – von den Werbemaßnahmen der Herstellerin abhängt, deshalb kann aber noch nicht gesagt werden, dass es sich bei der Beklagten „in Wirklichkeit bei wirtschaftlicher Betrachtungs-weise um das gleiche Unternehmen wie jenes der Herstellerin handelt, die den Vertrieb der von ihr produzierten Fahrzeuge und Motoren lediglich über mehrere Stufen ausgegliedert hat“. Selbst im (hier nicht vorliegenden) Konzernverhältnis soll – nach dem Schrifttum – das Wissen der einen Gesellschaft an die andere Gesellschaft nur dann zuzurechnen sein, wenn die konzernmäßige Verbundenheit besonders stark ausgeprägt ist. Die bloße (wirtschaftliche) Abhängigkeit genüge für die Zurechnung nicht. Die Zurechnung von Wissen sei nur gerechtfertigt, wenn herrschendes und abhängiges Unternehmen als Teile einer arbeitsteiligen Organisation erscheinen. Dies setze ein Mindestmaß an einheitlicher Unternehmensplanung voraus (4 Ob 148/16t Pkt 1.4. und die dort ersichtlichen Nachweise).

[36] 1.9. Die – im Übrigen vereinzelt gebliebene – Entscheidung 1 Ob 775/80, auf die sich die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts stützt, ist nicht einschlägig. Darin hat der 1. Senat ausgesprochen, dass den (ausländischen) Produzenten die Pflicht trifft, seinen (inländischen) Repräsentanten (Vertragshändler) über alle die Vertriebstätigkeit wesentlichen Umstände zu informieren; der Kunde des Vertragshändlers kann erwarten, dass dieser das entsprechende besondere Wissen, insbesondere über Gefahrenträchtigkeit eines Produkts, besitzt. Dies wurde ua damit begründet, dass der Vertragshändler als Alleinimporteur dort viele Funktionen übernehme, die sich der Hersteller beim Inlandsabsatz über Vertragshändler selbst vorbehalte. Dadurch werde der Vertragshändler weitgehend auf der Herstellerebene tätig. Im dortigen Fall sei der Vertragshändler als Repräsentant des Herstellers im Auslandsvertrieb eingesetzt gewesen, wodurch ein besonderes Wissen kundgetan und erwartet werde. Vom Repräsentanten des Produzenten kann, auch wenn er ausschließlich als Händler auftritt, ein besonders hohes Maß an Wissen und entsprechender Sorgfalt bei der Aufklärung des Erwerbers eines Produkts des Herstellers vorausgesetzt und verlangt werden. Im genannten Fall kam der Senat zum Ergebnis, dass dem beklagten Vertragshändler ein Organisationsmangel anzulasten sei, wenn er nicht von den zuvor aufgetretenen Schadensereignissen (infolge Verlegearbeiten des Materials bei Flachdächern) Kenntnis erlangt hätte. Der Kunde könne jedenfalls im Hinblick auf die kundgetane enge wirtschaftliche Verflechtung mit dem Produzenten erwarten, dass der Händler sich auch Insiderwissen des Produzenten verschafft und dieses bei seiner Beratung verwertet.

[37] Nach den im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen hatte keine der Beklagten zurechenbare Person (Geschäftsführer, Verkaufsberater) von der (unzulässigen) Abschalteinrichtung im Zeitraum des Vertragsabschlusses Kenntnis. Dass bereits Informationen darüber verfügbar gewesen wären, hat die Klägerin nicht behauptet. Der Beklagten kann daher auch kein Organisationsmangel vorgeworfen werden.

[38] 1.10. Auch in der deutschen Rechtsprechung wird (bei ähnlicher Rechtslage [§§ 123, 278 BGB]) die Zurechenbarkeit der arglistigen Täuschung des Herstellers an den Autohändler verneint, weil der Fahrzeughersteller im Verhältnis zum Vertragshändler im Regelfall Dritter im Sinn des § 123 II 1 BGB sei (OLG Koblenz 1 U 302/17 vom 28. 9. 2017 [Pkt II. 1. bb.] und 1 U 1552/18 vom 6. 6. 2019 [Rz 50]; vgl auch OLG München 21 U 4818/16 vom 3. 7. 2017 [Rz 24]; OLG Hamm 2 U 39/17 vom 18. 5. 2017; ua).

[39] 2.1. Dem Verjährungseinwand der Beklagten (betreffend den Anspruch auf Gewährleistung) begegnet die Klägerin damit, dass die Gewährleistungsfrist für einen Rechtsmangel in jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Übernehmer von dem Mangel Kenntnis erlangt habe. Ohne konkret darzulegen, worin sie den Rechtsmangel sieht, verweist sie lediglich auf den Vorlagebeschluss zu 10 Ob 44/19x. In der nach Ergehen des Urteils des EuGH vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , gefällten Entscheidung 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 wurde die Frage, ob die Leistung der Kraftfahrzeughändlerin auch mit einem Rechtsmangel behaftet sei, aber ausdrücklich offengelassen (Rz 52).

[40] 2.2. Die Beweislast für eine mangelhafte Erfüllung nach Übergabe der Sache trifft grundsätzlich den Erwerber (RS0018687 [T2]). Da Sach- und Rechtsmängel grundsätzlich gleich zu behandeln sind, besteht kein Anlass, bei im Rahmen der Gewährleistung geltend gemachten Rechtsmängeln von den allgemeinen Regeln der Behauptungs- und Beweislast abzugehen (RS0018687 [T3]).

[41] 2.3. Die Klägerin hat im gesamten Verfahren kein substantiiertes Vorbringen zum Vorliegen eines bestimmten Rechtsmangels erstattet. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, welche rechtliche Position ihr die Beklagte durch den Verkauf des Fahrzeugs verabsäumt hätte, zu verschaffen (vgl 8 Ob 29/23g Rz 10). Dass es ohne die im Fahrzeug verbaute Abschalteinrichtung keine Typisierung gegeben hätte – so die Klägerin –, begründet keinen Rechtsmangel, weil das Fahrzeug nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen seit dem Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs über eine aufrechte Typengenehmigung verfügt (jüngst 3 Ob 40/23p Pkt 3.).

3. Zum Schadenersatzbegehren:

[42] Die Klägerin wirft nur der V* AG ein (straf‑)rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vor, nicht aber der Beklagten, sodass Schadenersatzansprüchen ausgehend vom getroffenen Sachverhalt die Grundlage fehlt.

[43] Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben, die Klagebegehren waren abzuweisen.

[44] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 4150 ZPO. Die vor Einbringung des (ersten) vorbereitenden Schriftsatzes erfolgte Vollmachtsbekanntgabe der Beklagten war nicht zu honorieren, weil diese gleichzeitig mit dem vorbereitenden Schriftsatz erfolgen hätte können. Keine Kosten gebühren auch für die Mitteilung vom 15. 4. 2021, weil die Anzeige einer Verhinderung eines Zeugen nicht Sache einer Partei ist und der Verzicht auf eine von ihr beantragte Zeugeneinvernahme in der Sphäre der Beklagten lag. Entgegen den Einwendungen der Klägerin war jedoch die Mitteilung der Beklagten vom 8. 3. 2021 zu honorieren, weil diese über Auftrag des Gerichts vom 24. 2. 2021 erfolgte.

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