OGH 8Ob114/19a

OGH8Ob114/19a25.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann‑Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. N* als Masseverwalter in der Insolvenz der W* GmbH, *, vertreten durch Beck & Dörnhöfer & Partner Rechtsanwälte in Eisenstadt, und der Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Mag. K*, gegen die beklagte Partei A* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Heller & Gahler Rechtsanwalts Kommanditpartnerschaft in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei G* S.p.A., *, vertreten durch Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 812.419,77 EUR sA über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Juni 2019, GZ 1 R 84/19h‑85, mit dem der Berufung  der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 21. Februar 2019, GZ 44 Cg 26/18f‑78, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E127987

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.055,39 EUR (darin enthalten 675,90EUR  USt) und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei die mit 4.055,39 EUR (darin enthalten 675,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Schuldnerin wurde vom Betreiber einer Therme mit – unter anderem – Fliesenlegerarbeiten beauftragt. Die Fliesen kaufte sie von der Beklagten, die sie wiederum von der Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten als Herstellerin bezog. Die Schuldnerin holte die Fliesen direkt bei der Herstellerin ab. Sie prüfte dabei die Fliesen nicht auf ihre Rutschfestigkeit, diese wäre aber auch nicht ohne Weiteres feststellbar gewesen. Die Fliesen wurden verlegt, wiesen aber nicht die mit dem Betreiber der Therme vereinbarte – sich aus der Beschreibung der Produzentin ergebende – Rutschhemmung auf. In einem Vorverfahren zwischen der Betreiberin der Therme und der Schuldnerin ging das Gericht von einer Berechtigung der Betreiberin der Therme zur Wandlung des Vertrages aus. Die Schuldnerin wurde zur Rückzahlung des Werklohns sA und Kosten verpflichtet.

Der Kläger begehrt diesen Betrag sowie die Kosten, die der Schuldnerin im Vorverfahren entstanden sind. Die Beklagte hätte sicherstellen müssen, dass die Fliesen die von der Herstellerin angegebene Rutschhemmung aufweisen. Sie müsse sich auch das Verschulden des Herstellers zurechnen lassen.

Die Beklage bestritt. Die Fliesen seien vom Hersteller geliefert worden. Ein Verschulden des Herstellers sei ihr nicht zurechenbar.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Sie verneinten eine Haftung des Händlers für ein Verschulden des Herstellers. Daran ändere auch nichts, dass es sich um ein Streckengeschäft handle und die Schulderin die Fliesen unmittelbar vom Hersteller bezogen habe. Die mangelnde Rutschhemmung sei nicht auf ein Fehlverhalten bei der Auslieferung zurückzuführen.

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil Judikatur zur Frage fehle, ob sich ein Händler das Verschulden des Herstellers nach § 1313a ABGB zurechnen lassen müsse, wenn der Hersteller direkt an den Endabnehmer geliefert habe.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

2. Nach ständiger Rechtsprechung haftet der Händler dem Käufer gegenüber nur für die Erfüllung der ihn selbst treffenden Pflichten, wie die Auswahl eines geeigneten Erzeugnisses, einwandfreier Lagerung der Ware, Hinweis auf Gefahren oder ordnungsgemäße Verpackung. Er haftet jedoch nicht für jedes Verschulden des Produzenten, weil der Erzeuger in der Regel nicht als Erfüllungsgehilfe des Händlers anzusehen ist (RIS‑Justiz RS0022662; RS0022902).

3. Erfüllungsgehilfe nach § 1313a ABGB ist, wer mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird. Normzweck dieser Bestimmung ist es, dass der, der den Vorteil der Arbeitsteilung in Anspruch nimmt, auch das Risiko tragen soll, dass an seiner Stelle der Gehilfe schuldhaft rechtlich geschützte Interessen des Gläubigers verletzt. Maßgebend ist, ob der Gehilfe bei der Verfolgung der Interessen des Schuldners tätig war, das heißt, ob er in das Interessenverfolgungsprogramm des Schuldners bei der von diesem veranlassten Erfüllung eigener Vertragspflichten und damit in seinen Risikobereich einbezogen war (RS0028606; RS0028425). Entscheidend ist also zunächst, welche konkreten Leistungspflichten bzw Schutz- und Sorgfaltspflichten der Schuldner gegenüber seinem Vertragspartner übernommen hat. Diese Frage kann aber immer nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls gelöst werden, weshalb sie regelmäßig – von einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darstellt (vgl 9 Ob 69/13g ua).

4. Das gilt auch für die Frage, inwieweit bei einem Streckengeschäft der Hersteller als Erfüllungsgehilfe des Verkäufers in Bezug auf dessen Pflichten gegenüber dem Käufer anzusehen ist. Dies ist im einzelnen abhängig davon, zur Erfüllung welcher dieser Pflichten sich der Verkäufer des Herstellers bedient.

Inwieweit ein Verschulden zuzurechnen ist, richtet sich nach dem konkreten Pflichtenkreis des Verkäufers. Übernimmt etwa der Hersteller im Rahmen des Streckengeschäfts Liefer- oder Aufklärungspflichten des Verkäufers, ist er diesem regelmäßig in diesem Umfang auch zuzurechnen. Ebenso wird eine Zurechnung im Einzelfall bejaht werden können, wenn der Verkäufer ein auf die Bedürfnisse des Kunden abgestelltes Produkt zusagt, zu dessen Entwicklung der Hersteller beigezogen wird (vgl 9 Ob 28/15f). Allein dadurch, dass die Lieferung des Produkts unmittelbar zwischen Hersteller und Käufer erfolgt, entsteht jedoch keine Pflicht, für ein Verschulden des Herstellers im Rahmen der Produkterzeugung einzustehen, für das der Verkäufer ohne eine solche Direktlieferung nicht einzustehen hätte.

5. Die Revision enthält keine Grundlage dafür, warum im konkreten Fall eine Gehilfenhaftung anzunehmen ist und die Wertungen einer Zurechnung nach § 1313a ABGB zu übertragen sind. Der bloße Hinweis darauf, dass es sich um ein Streckengeschäft handelt, reicht dafür – wie dargelegt – nicht aus.

Auch aus den in der Revision zitierten Entscheidungen lässt sich nichts für den Standpunkt des Klägers gewinnen. In 7 Ob 578/89 verwies der Oberste Gerichtshof – ausgehend davon, dass der Zulieferer grundsätzlich nicht Erfüllungsgehilfe des Herstellers im Verhältnis zum Kunden des Herstellers ist – nur darauf, dass dies anders zu beurteilen sein könnte, wenn der Lieferant direkt in Kontakt zum Abnehmer des Käufers tritt, wie bei einem Streckengeschäft, das aber nicht vorliege. Der Entscheidung 7 Ob 575/81 lag zwar ein Streckengeschäft zugrunde, jedoch hatte sich der Verkäufer zur Erfüllung seiner Pflichten zur Lieferung und Übergabe der Ware an den Käufer des Herstellers bedient, weshalb ihm dessen (arglistiges) Handeln prinzipiell zuzurechnen war. Im Verfahren 7 Ob 632/83 ließ der Verkäufer Fliesen durch die Firma, von der er selbst die Ware bezog, liefern und wollte damit durch eine entsprechende Übergabe seine Verpflichtung zur Eigentumsübertragung erfüllen. Insoweit war diese Firma auch Erfüllungsgehilfe des Verkäufers. Aussagen zu einer schadenersatzrechtlichen Zurechnung von Produktfehlern enthält die Entscheidung aber nicht.

Die Revision verweist zwar richtig darauf, dass, wenn sich der Verkäufer zur Erfüllung seiner Pflichten des Herstellers bedient, dieser in diesem Umfang Erfüllungsgehilfe des Verkäufers wird, aber eben nur in diesem Umfang. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen führt dabei entgegen der Revision nicht zu einer Einschränkung der Haftung des Verkäufers für Gehilfen, sondern verhindert eine Ausweitung auf Fälle, in denen er, würde er die Lieferung selbst vornehmen, nicht schadenersatzrechtlich haften würde.

6. Dass ein exklusiver Vertrieb durch die Verkäuferin vereinbart wurde, lässt sich den Feststellungen nicht konkret entnehmen.

7. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte und die Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Allerdings steht für die Revisionsbeantwortung nur der einfache Einheitssatz zu.

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