OGH 4Ob116/23x

OGH4Ob116/23x25.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat MMag. Matzka und die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. K*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. D*, vertreten durch die Hajek & Boss & Wagner Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, und 2. V* AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 13.777,11 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 17. März 2023, GZ 13 R 37/23y‑56, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Eisenstadt vom 19. Dezember 2022, GZ 3 C 200/20x‑48 (ergänzt und berichtigt mit Beschluss vom 30. Dezember 2022, GZ 3 C 200/20x‑49), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00116.23X.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 1.211,72 EUR (darin 193,47 EUR 19 % USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrt von der Zweitbeklagten, einer in Deutschland ansässigen Fahrzeugherstellerin, aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes, sie so zu stellen, als hätte siedas nach den Klagsbehauptungen von der Zweitbeklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Neufahrzeug nicht erworben, konkret die Zahlung des Kaufpreises abzüglich eines von der Klägerin angenommenen Benützungsentgelts Zug um Zug gegen die Übergabe des Fahrzeugs, hilfsweise – soweit eine Naturalrestitution nicht möglich sei – die Zahlung von 6.000 EUR und die Feststellung, dass die Zweitbeklagte für jeden Schaden hafte, der der Klägerin aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehe.

[2] Die Klägerin hatte die Zuständigkeit des Erstgerichts auf Art 7 EuGVVO 2012 gestützt. Der im Sprengel des Erstgerichts wohnende Erstbeklagte habe ihr das Fahrzeug verkauft; Erfüllungs- und Erfolgsort lägen im Sprengel des Erstgerichtes.

[3] Der Erstbeklagte (das gegen ihn gerichtete Klagebegehren wurde vor den hier zu beurteilenden Entscheidungen rechtskräftig abgewiesen) hatte eingewandt, nicht passivlegitimiert zu sein, weil er der Klägerin das Fahrzeug nicht verkauft, sondern es als Handelsagent in ihrem Auftrag und Namen und der ihm von ihr erteilten Vollmacht gemäß in der Slowakei erworben habe.

[4] Die Zweitbeklagte wandte daraufhin das Fehlen der internationalen und örtlichen Zuständigkeit ein, Handlungs- und Erfolgsort lägen nicht in Österreich.

[5] Die Vorinstanzen wiesen die Klage gegen die Zweitbeklagte übereinstimmend mangels internationaler Zuständigkeit österreichischer Gerichte zurück. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil zur Frage des Erfolgsorts keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof zufolge § 526 Abs 2 letzter Satz ZPO nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Eine erhebliche Rechtsfrage stellt sich nicht; der Beschluss kann sich auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

[7] 1.1. Nach Art 7 Nr 2 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (in der Folge: EuGVVO 2012) kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.

[8] 1.2. Nach dieser – gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vertragsautonom auszulegenden – Bestimmung kann der Geschädigte seine Ansprüche alternativ am Handlungs- oder am Erfolgsort geltend machen (RS0115357). Bei Auseinanderfallen der beiden Orte kann der Kläger zwischen Handlungs- und Erfolgsort wählen (RS0109078 [T27]).

[9] 1.3. Der Europäische Gerichtshof hat sich mit der hier fraglichen internationalen (örtlichen) Zuständigkeit in sogenannten „Abgasmanipulationsfällen“ bereits beschäftigt. In seinem Urteil zu C‑343/19 , VKI gegen Volkswagen AG, hat er dazu ausgesprochen, dass Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 dahin auszulegen ist, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet wurden, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden, in diesem letztgenannten Mitgliedstaat befindet.

[10] 1.4. In der Entscheidung 3 Ob 24/21g Rz 11 ff folgerte der Oberste Gerichtshof daraus, dass es für die Bestimmung des Erfolgsorts im Wohnsitzmitgliedstaat des Käufers entscheidend darauf ankomme, ob dieser das Fahrzeug in seinem Wohnsitzmitgliedstaat gekauft und übernommen habe (vgl auch 3 Ob 206/22y Rz 14). Wenn Kaufvertragsabschluss und Übergabe in einem anderen EU‑Mitgliedstaat erfolgten, habe sich der Schaden an dem dort gelegenen Kaufort verwirklicht. Daran ändere sich auch nichts, wenn dem Verkäufer bereits bei Vertragsabschluss die Absicht des Klägers bekannt gewesen sei, das Fahrzeug nach Österreich zu importieren und dort überwiegend zu nutzen.

[11] 1.5. Die Rechtsprechung zum Erfolgsort ist daher auch im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationsfällen keineswegs uneinheitlich, sondern es ist geklärt, dass es bei der Bestimmung des Erfolgsortes grundsätzlich auf den Erwerbsort ankommt, im vorliegenden Zusammenhang somit auf den Ort, wo das Fahrzeug gekauft und übergeben wurde.

[12] 2.1. Die Zuständigkeitsnorm nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 bezieht sich auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird, die nicht an einen „Vertrag“ (Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012) anknüpft; der Kläger hat darzutun, dass er durch Tun oder Unterlassen des Beklagten einen Schaden erlitten hat (vgl RS0109739). Nimmt daher der Kläger einen anderen als den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten (vgl Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012) in Anspruch, muss er bereits in der Klage ausdrücklich und konkret jene Tatsachen behaupten, die den besonderen Gerichtsstand begründen (RS0115860 [T1]; RS0046236 [T4]; RS0046204 [T1]; RS0039812 [T1]). Der Kläger ist zwar nicht gehalten, Zuständigkeitstatbestände in ihrer rechtlichen Konfiguration zu benennen, muss aber das dafür erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen (RS0046236 [T3]; RS0046204 [T2, T4]; RS0130471). Auch für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit sind die Klagsangaben maßgeblich (RS0115860; RS0050455 [T10]).

[13] 2.2. Sind die die Zuständigkeit begründenden Tatsachenbehauptungen – ihre Schlüssigkeit im Einzelfall vorausgesetzt (RS0116404 [insb T5]) – zugleich Anspruchsvoraussetzungen („doppelrelevante Tatsachen“), so ist ihre Richtigkeit zu unterstellen (vgl RS0056159; RS0115860 [T4]); sie sind auch dann der Zuständigkeitsentscheidung zugrunde zu legen, wenn sie vom Beklagten bestritten wurden (RS0050455 [T1]). Zu strittigen Tatsachen, die sowohl für die Frage der Zuständigkeit als auch für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs von Relevanz sind, ist es daher im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit nicht erforderlich, ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen; soweit es den Rahmen des Zuständigkeitsstreits nicht sprengt, steht es dem angerufenen Gericht jedoch frei, seine internationale Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegenden (und von ihm festgestellten) Informationen zu prüfen, wozu gegebenenfalls auch die zuständigkeitsrelevanten Einwände des Beklagten gehören (RS0130596 [T1]).

[14] 2.3. Dieser Grundsatz kommt allerdings nur zum Tragen, wenn die die Zuständigkeit oder Nichtzuständigkeit begründenden Tatsachen auch Anspruchsvoraussetzungen sind (RS0050455 [T6]).

[15] 2.4. Hier liegen jedoch in Ansehung der Zweitbeklagten keine solchen doppelrelevanten Tatsachen im dargelegten Sinne vor: Dass die Klägerin das Fahrzeug über den Erstbeklagten erworben hat, ist im Ergebnis unstrittig; ungeklärt bliebbloß die Rolle, die dieser spielte und in welcher Funktion er wann und wem gegenüber auftrat. Diese Modalitäten sind jedoch für die Frage der von der Klägerin behaupteten Haftung der Zweitbeklagten irrelevant; ihr gegenüber liegt keine Situation vor, in der schon aufgrund der Prüfung der „doppelrelevanten“ Tatsachen eine abschließende Sachentscheidung möglich wäre, welcher Vorrang vor einer Zurückweisungsentscheidung zukäme (vgl 1 Ob 132/13p = RS0116404 [T6]).

[16] 2.5. Es hat daher hier bei der allgemeinen Grundsatzregel zu bleiben, dass jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen hat (RS0037797), was auch für prozessuale Tatbestände wie die örtliche Zuständigkeit oder inländische Gerichtsbarkeit (vgl RS0037797 [T34]) bzw die internationale Zuständigkeit (vgl 6 Ob 190/05t) gilt.

[17] 3.1. Hier steht fest, dass die in Österreich wohnende Klägerin dem ebenfalls in Österreich wohnenden Erstbeklagten den Auftrag erteilte, das Fahrzeug in ihrem Namen bei einem slowakischen V*-Vertragspartner zu erwerben, nach Österreich zu importieren und der Klägerin zu übergeben; die Klägerin unterzeichnete dazu eine Vollmacht, wonach der Erstbeklagte in ihrem Namen bestellen und bezahlen sollte. In der Folge kaufte vorerst das slowakische Unternehmen F* k.s., dessen Geschäftsführer der Erstbeklagte ist, das Fahrzeug von einem slowakischen V*-Vertragshändler, und verkaufte es in der Folge an den Erstbeklagten. Ob der Erstbeklagte als Käufer im eigenen Namen oder im Namen der Klägerin auftrat, konnte nicht festgestellt werden; er agierte jedenfalls auf Rechnung der Klägerin. In der Folge wurde das Fahrzeug vom slowakischen V*-Vertragshändler im Einvernehmen mit dem Erstbeklagten an einen Spediteur übergeben und an den Erstbeklagten geliefert, der es in der Folge an die Klägerin übergab. Es konnte nicht festgestellt werden, ob die F* k.s. oder der Erstbeklagte im Namen der Klägerin und auf ihre Rechnung die Spedition mit der Lieferung beauftragte.

[18] 3.2. Damit steht aber gerade nicht fest, dass die Klägerin ihr Fahrzeug in Österreich als ihrem Wohnsitzmitgliedstaat vom Erstbeklagten gekauft und übernommen hat. In Ansehung der Zweitbeklagten hat die Klägerin daher keinen Sachverhalt unter Beweis gestellt, aus dem ableitbar wäre, dass für die gegen jene gerichteten Ansprüche – abweichend vom allgemeinen Beklagtengerichtsstand nach Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012– österreichische Gerichte zuständig wären.

[19] 4. Die Entscheidungen der Vorinstanzen, dass diese Nichtaufklärbarkeit des Sachverhalts der – für das Vorliegen der den besonderen Gerichtsstand begründenden Tatsachen beweispflichtigen – Klägerin zur Last falle, halten sich im Rahmen der dargelegten Rechtslage und Rechtsprechung.

[20] 5. Der Revisionsrekurs der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[21] 5.1. Das von ihr ins Treffen geführte Vorabentscheidungsersuchen 3 Ob 206/22y betrifft eine andere Sachverhaltskonstellation, in der ein Kläger in Österreich wohnte, wo auch die Übergabe des Fahrzeugs stattfand, jedoch der Kaufvertrag in einem anderen Mitgliedstaat abgeschlossen wurde und der Hersteller in einem dritten Mitgliedstaat ansässig war.

[22] Solche konkreten Umstände waren aber im vorliegenden Fall weitgehend nicht erweislich. Insbesondere ist den Feststellungen gerade nicht zu entnehmen, ob die Klägerin das Fahrzeug bereits in der Slowakei oder erst in Österreich erworben und übernommen hat.

[23] 5.2. Entgegen der verfehlten Ansicht der Klägerin – die anscheinend von einem Erfolgsort und dem folgend einer vertragsautonom „einheitlichen“ Zuständigkeit immer am Wohnort des Klägers ausgehen will – führen verschiedene zivilrechtliche Erwerbskonstellationen auch zu unterschiedlichen Beurteilungen, wo der „Erfolgsort“ liegt. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem der klaren Unionsrechtslage entsprechenden Umstand, dass Ausnahmen von der allgemeinen Regel des Art 4 Abs 1 EuGVVO 2012, wonach Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen sind, grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl RS0128703).

[24] 5.3. Wie eine von der Klägerin dem Erstbeklagten ausgestellte Vollmacht einen Erwerbstitel bilden und was hier daraus zugunsten ihres Standpunkts folgen sollte, ist unverständlich.

[25] 6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Zweitbeklagte hat auf die Unzulässigkeit konkret hingewiesen. Über die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens wurde bereits abgesprochen.

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