OGH 4Ob223/22f

OGH4Ob223/22f25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Re* GmbH, *, vertreten durch Dr. Bernd Roßkothen, LL.M., Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei R* GmbH, *, vertreten durch die König & Kliemstein Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2022, GZ 3 R 119/22y‑17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 23. Juni 2022, GZ 3 Cg 78/21h‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00223.22F.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war von 2008 bis 2018 eine Tochtergesellschaft der Beklagten. Beide Parteien sind im selben Geschäftszweig der Gebäudetechnik und ‑automation tätig.

[2] Die Beklagte wendet sich nahezu ausschließlich an Geschäftskunden wie Bauunternehmen, Installateure, Planungsbüros oder Unternehmen der öffentlichen Hand, erbringt aber auch Leistungen für Inhaber größerer Häuser oder Villen mit mehr als 200 m² Wohnfläche, wofür sie aber bis auf Ausnahmefälle ebenfalls nicht von den Bauherren direkt, sondern meist durch von diesen beauftragte Bauunternehmen oder Installateure beigezogen wird.

[3] Im Oktober und November 2021 erschienen zwei der Beklagten zurechenbare Jobanzeigen auf Facebook, worin sie als „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudeautomation und führendes Unternehmen im Bereich Elektroanlagenbau“ bzw „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudetechnik und führendes Unternehmen im Bereich Elektroanlagenbau“ bezeichnet wurde:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[4] Die Beklagte schaltete im Dezember 2021 auch auf „LinkedIn“ unter der Rubrik „Jobs“ eine Personalanzeige, worin sie ebenfalls als „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudetechnik und führendes Unternehmen im Bereich Elektroanlagenbau“ bezeichnet wurde:

[5] Die Klägerin begehrt, die Beklagte habe es gemäß § 14 UWG zu unterlassen, ihr Unternehmen als „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudeautomation“ und/oder „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudetechnik“ zu bewerben, wenn dies gar nicht der Fall sei; weiters stellt sie ein Veröffentlichungsbegehren. Die Beklagte bewerbe ihr Unternehmen unzulässig durch Spitzenstellungswerbung, wobei die getroffenen Werbeäußerungen nicht richtig seien. Dies verstoße gegen § 2 UWG, zumal ein Wettbewerber, um die Spitzenstellung behaupten zu können, diese in allen Belangen haben müsse, wofür die Beklagte die Beweislast treffe. § 2 UWG spreche nur davon, dass eine Geschäftspraktik als Irreführung gelte, wenn sie unrichtige Angaben enthalte. Eine unwahre Tatsache sei eine Täuschung im Sinne des § 2 UWG. Anders als bei § 1 UWG sei „Handeln im geschäftlichen Verkehr“ kein Tatbestandsmerkmal des § 2 UWG, welcher auf den objektiven Erklärungsinhalt setze; subjektive Tatbestandselemente seien nicht zu prüfen. Die Klägerin habe sich „in Bezug auf das Klagebegehren hauptsächlich auf § 2 UWG gestützt“, bei dessen Anwendung die Frage der Spürbarkeit keine Rolle spiele. Wenn es der Beklagten nicht daran gelegen wäre, mit unlauteren Methoden hart umkämpfte Mitarbeiter in der Branche anzuwerben bzw abzuwerben, hätte sie es bei einem einfachen Inserat belassen können. Wenn in einem Inserat für ein Stellenangebot grundsätzlich gar nicht notwendige und eher ungewöhnliche Behauptungen einer Spitzenstellung aufgenommen würden, spreche dies dafür, dass damit auch eine über den wesentlichen Zweck des Stellenangebots hinausreichende Werbung für das Unternehmen verbunden sein solle. Die Inserate der Beklagten seien öffentlich zugänglich und würden nicht nur von Arbeitnehmern, sondern auch von sonstigen Dritten, Mitbewerbern, Kunden etc gelesen. Potenzielle Arbeitnehmer hätten Interesse an Österreichs größten Unternehmen und zögen bereits deswegen eine Bewerbung in Erwägung, worin, auch wenn dies möglicherweise nicht für den Entschluss entscheidend sei, ein Wettbewerbsvorteil liege; von einer bloß unerheblichen Beeinflussung von Dienstnehmern könne daher keine Rede sein.

[6] Die Beklagte wandte ein, sie sei tatsächlich Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudeautomation und habe keine irreführenden Aussagen gemacht. Ihre einfachen Stelleninserate seien nicht im geschäftlichen Verkehr getätigt worden. Sie enthielten eine allgemeine Beschreibung der Beklagten, damit sich Leser eine adäquate Vorstellung über die mit dem Posten in Verbindung stehenden Erfordernisse machen könne. Die Beklagte habe keine Werbung für ihre Produkte gemacht, keine unzulässige Spitzenstellungswerbung für ihr Unternehmen zu verantworten und auch nicht behauptet, Marktführerin oder das umsatzgrößte Unternehmen in der Branche zu sein. Für den Durchschnittsverbraucher könne die Bezeichnung „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen“ auch in der Anzahl der Firmenstandorte, der Zweigniederlassungen oder etwa in der Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter begründet liegen und sei nicht zwangsläufig auf den Umsatz zurückzuführen. Die inkriminierten Behauptungen seien so allgemein gehalten, dass sie keine konkreten Rückschlüsse auf ein Tatsachensubstrat zuließen, weshalb sie einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit nicht zugänglich seien.

[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. § 2 UWG setze das Vorliegen einer Geschäftspraktik im Sinne des § 1 Abs 4 Z 2 UWG voraus, die wiederum einen unmittelbaren Zusammenhang mit Absatzförderung, Verkauf oder Lieferung eines Produkts voraussetze. Werbemaßnahmen, die sich an potenzielle Arbeitnehmer richteten, seien keine Geschäftspraktiken. Selbst wenn man dies anders sähe, und selbst wenn man die Unrichtigkeit der Angaben und deren Täuschungseignung bejahen würde, wäre dies für die potenziellen Kunden der Beklagten, ihre Konkurrenten und die potenziellen Arbeitnehmer irrelevant. Dasselbe gelte bei Beurteilung als sonstige unlautere Handlung im Lichte des § 1 Abs 1 UWG

[8] Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Ob eine Angabe zur Irreführung geeignet wäre, sei keine Tat- sondern eine Rechtsfrage, wenn für die Beurteilung ihrer Wirkung auf die angesprochenen Verkehrskreise die Erfahrungssätze des täglichen Lebens ausreichten.

[9] § 1 Abs 1 UWG sehe eine Teilung der Generalklausel in zwei unterschiedliche Tatbestände vor. Z 1 leg cit regle den sogenannten B2B‑Bereich und verbiete nur jene unlauteren Geschäftspraktiken und sonstigen unlauteren Handlungen, die von Unternehmern zum Nachteil von anderen Unternehmen angewendet würden. Einen Verstoß begehe somit derjenige, der eine unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung anwende, die zur nicht nur unerheblichen Beeinflussung des Wettbewerbs zum Nachteil von Unternehmen geeignet sei. Durch die zusätzliche Ausdehnung des Tatbestands von unlauteren Geschäftspraktiken auf „sonstige unlautere Handlungen“ solle sichergestellt werden, dass über den Begriff der „unlauteren Geschäftspraktiken“ hinaus alle unlauteren Handlungen erfasst werden, die auch vor der UWG‑Nov 2007 durch § 1 UWG abgedeckt worden seien. Z 2 leg cit solle die Anforderungen der UGP‑RL für den B2C‑Bereich erfüllen, wo eine Geschäftspraktik unlauter sei, die den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspreche und in Bezug auf das jeweilige Produkt geeignet sei, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreiche oder an den sie sich richte, wesentlich zu beeinflussen.

[10] Die inkriminierten Postings der Beklagten richteten sich nach ihrem Inhalt unmissverständlich an potenzielle Mitarbeiter im Unternehmen der Beklagten und nicht an potenzielle Kunden, seien jedoch auch für potenzielle Privat- oder Firmenkunden der Beklagten, die ebenfalls einen Facebook- oder LinkedIn‑Account hätten, abrufbar gewesen.

[11] Die Behauptungen der Beklagten in ihren Jobanzeigen seien mangels unmittelbaren Zusammenhangs mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts nicht unter den Begriff der Geschäftspraktik einzuordnen. Der Begriff der Unmittelbarkeit im Zusammenhang mit der Absatzförderung sei nicht allzu eng zu sehen, da gemäß § 2 Abs 1 Z 3 und 6 UWG auch rein unternehmensbezogene Irreführungen, das heißt Aussagen ohne Bezugnahme auf ein konkretes Produkt, relevant seien. Weiters sei zu bedenken, dass auch etliche Fallbeispiele des Anhangs nur einen äußerst weiten Bezug zur Absatzförderung aufwiesen. Die Größe des Personenkreises der Adressaten sei für die Beurteilung, ob eine Geschäftspraktik vorliege, irrelevant. Zwar sei davon auszugehen, dass die Postings der Beklagten nicht nur von Stellensuchenden, sondern auch von anderen Personen, darunter möglicherweise auch Interessenten für Leistungen im Bereich Gebäudeautomation oder Gebäudetechnik, gelesen würden. 4 Ob 314/82, ÖBl 1982, 124, sei jedoch nicht auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt übertragbar, weil mit der UWG‑Nov 2007 das Tatbestandsmerkmal des „Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs“ aus der Generalklausel des § 1 UWG und der nunmehr auf der Generalklausel basierenden Regelung der irreführenden Geschäftspraktiken im § 2 UWG gestrichen und der Begriff der „Geschäftspraktik“ als neuer zentraler Ausdruck in das UWG eingeführt worden sei. Weiters habe hier die Angabe zur Größe des Unternehmens in den Jobanzeigen der Beklagten weder durch Größe noch durch Gestaltung einen besonderen Auffälligkeitswert. Werbemaßnahmen, die ein Unternehmen primär gegenüber potenziellen Arbeitnehmern positiv darstellen sollten, seien nicht als Geschäftspraktiken im Sinne des § 1 Abs 4 Z 2 UWG zu qualifizieren, womit ein Verstoß der Beklagten gegen § 2 UWG ausscheide. Die Anzeigen seien auch nicht der Generalklausel des § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu unterstellen.

[12] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand als 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[13] Die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[14] Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[16] Die Klägerin führt darin zusammengefasst ins Treffen, die Vorinstanzen hätten die Rechtsprechung zur Spitzenstellungswerbung unrichtig angewandt.

[17] 1. Vorauszuschicken ist, dass die Klägerin ihr Begehren bereits in erster Instanz auf Irreführung nach § 2 UWG stützte. Stellt sich die Frage nach einer unlauteren und daher unzulässigen Geschäftspraktik, so ist grundsätzlich zunächst zu prüfen, ob die Geschäftspraktik aggressiv (§ 1a  UWG) oder irreführend (§ 2 UWG) ist, und erst danach die Frage, ob sie unter die Generalklausel des § 1 UWG fällt (vgl RS0123062), es sei denn, das Begehren würde – was hier nicht vorliegt – auf eine lauterkeitsrechtlich relevante Verletzung (anderer) genereller Normen gestützt (Fallgruppe Rechtsbruch; vgl 4 Ob 113/08h).

[18] 2.1. Eine Geschäftspraktik gilt nach § 2 Abs 1 UWG als irreführend, wenn sie unrichtige Angaben enthält oder sonst geeignet ist, einen Marktteilnehmer in Bezug auf das Produkt über einen oder mehrere der in § 2 Abs 1 Z 1 bis 7 UWG genannten Punkte (Z 2: die wesentlichen Merkmale des Produkts oder die wesentlichen Merkmale von Tests oder Untersuchungen, denen das Produkt unterzogen wurde; Z 6: die Person, die Eigenschaften oder die Rechte des Unternehmers oder seines Vertreters, wie Identität und Vermögen, seine Befähigungen, sein Status, seine Zulassung, Mitgliedschaften oder Beziehungen sowie gewerbliche oder kommerzielle Eigentumsrechte oder Rechte an geistigem Eigentum oder seine Auszeichnungen und Ehrungen) derart zu täuschen, dass dieser veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Jedenfalls als irreführend gelten nach § 2 Abs 2 UWG die im Anhang zum UWG angeführten Geschäftspraktiken.

[19] 2.2. Wer im geschäftlichen Verkehr eine unlautere Geschäftspraktik anwendet, die den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und in Bezug auf das jeweilige Produkt geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet, wesentlich zu beeinflussen, kann nach § 1 Abs 1 Z 2 UWG auf Unterlassung und bei Verschulden auf Schadenersatz im Sinne des § 16 UWG in Anspruch genommen werden.

[20] Der Relativsatz in § 1 Abs 1 Z 2 UWG ist im Sinne von Art 5 Abs 2 RL‑UGP 2005/29/EG als eine Definition des Begriffs der unlauteren Geschäftspraktik zu verstehen: § 2 UWG konkretisiert die Generalklausel des § 1 Abs 1 Z 2 UWG für den Fall irreführender Geschäftspraktiken. Ist der Tatbestand des § 2 UWG erfüllt, so werden zumindest im Regelfall eine Verletzung der beruflichen Sorgfalt und eine wesentliche Beeinflussung eines Durchschnittsverbrauchers im Sinne von § 1 Abs 1 Z 2 UWG vorliegen (vgl 4 Ob 42/08t).

[21] 2.3. GemäßEuGHC‑435/11 , CHS Tour, ist die RL‑UGP 2005/29/EG dahin auszulegen, dass im Fall einer Geschäftspraxis, die alle in Art 6 Abs 1 RL-UGP 2005/29/EG genannten Voraussetzungen für eine Einstufung als den Verbraucher irreführende Praxis erfüllt, nicht geprüft zu werden braucht, ob eine solche Praxis auch den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt im Sinne von Art 5 Abs 2 lit a RL‑UGP 2005/29/EG widerspricht, um sie als unlauter und mithin nach Art 5 Abs 1 RL‑UGP 2005/29/EG verboten ansehen zu können.

[22] Beim Irreführungstatbestand des § 2 UWG ist in diesem Lichte allgemein zu prüfen, wie ein Durchschnittsadressat die strittige Ankündigung versteht, ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RS0123292). Ist eine Geschäftspraktik in diesem Sinne irreführend nach § 2 Abs 1 UWG, so ist sie unlauter und daher verboten, ohne dass auch noch zu prüfen wäre, ob die berufliche Sorgfalt eingehalten wurde (RS0129125); es kommt insbesondere nicht auf die Erkennbarkeit der Unrichtigkeit der eigenen Aussage für den Werbenden an, sondern nur auf deren objektive Unrichtigkeit (vgl RS0129125 [T1]).

[23] 3.1. Der Schutzzweck des Irreführungsverbots nach § 2 UWG richtet sich im Vertikalverhältnis sowohl auf den B2B- als auch auf den B2C‑Bereich, und erstreckt sich nicht nur auf das Verhältnis zur Marktgegenseite, sondern gleichberechtigt auch auf das Horizontalverhältnis gegenüber dem Mitbewerber (arg „Marktteilnehmer“; vgl Anderl/Appl in Wiebe/Kodek, UWG2 § 2 [2022] Rz 12 f und 15 f); Allein- und Spitzenstellungswerbung ist eine Werbemethode, die sowohl unternehmens- als auch produktbezogen gesetzt werden kann (Anderl/Appl aaO Rz 172).

[24] 3.2. Seit der UWG‑Nov 2007 wird Werbung mit einer Spitzenstellung (ebenso wie vergleichende Werbung) regelmäßig am Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 2 UWG gemessen. Sie ist wettbewerbsrechtlich zu beanstanden, wenn die – ernstlich und objektiv nachprüfbar behauptete – Spitzenstellung nicht den Tatsachen entspricht oder die Ankündigung sonst zur Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise geeignet ist (vgl RS0078472 [T36]).

[25] Eine Marktführerschaft richtet sich im Allgemeinen nach dem Marktanteil, der den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens abbildet (RS0078557 [T10]). Die Inanspruchnahme einer Spitzenstellung etwa als größtes Unternehmen Österreichs setzt damit voraus, dass tatsächlich ein stetiger und erheblicher Vorsprung vor allen Mitbewerbern Österreichs besteht (vgl RS0078557 [T5, T6]). Entspricht die beanstandete Behauptung zur Spitzenstellung nicht den Tatsachen oder sind die Angaben unvollständig, so liegt eine irreführende Geschäftspraktik vor (4 Ob 38/19w).

[26] 3.3. Die Frage, ob eine bestimmte Werbeaussage eine objektiv überprüfbare Tatsachenbehauptung oder nur eine rein subjektive, jeder objektiven Nachprüfung entzogene Meinungskundgebung (oder gar eine nicht ernst zu nehmende Marktschreierei) ist, ist immer nach dem Gesamteindruck der Ankündigung – unter Berücksichtigung ihres Gegenstands, ihrer Form, des Zusammenhangs, in den sie gestellt wird, sowie aller sonstigen Umstände, die für das angesprochene Publikum maßgebend sein können – zu beurteilen (RS0078340; vgl RS0078352; RS0043590 [T49]). Ob Angaben zur Irreführung geeignet sind, ist sowohl nach der Rechtslage vor als auch aufgrund jener nach der UWG‑Nov 2007 vom Gesamteindruck der Werbung abhängig (4 Ob 177/08w mwN), wobei auf das Leitbild des anlass- und situationsbezogen angemessen gut unterrichteten, aufmerksamen und kritischen Werbungsadressaten abzustellen ist (vgl RS0114366 [insb T5]); bei einer mehrdeutigen Angabe muss der Werbende die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (RS0078624; RS0078524 [T12, T13]), es sei denn der Sinngehalt der beanstandeten Ankündigung wäre nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittsbetrachters in einer bestimmten Richtung klar (RS0085169). Die Frage des Eindrucks der angesprochenen Kreise ist nach ständiger Rechtsprechung eine Rechtsfrage, wenn zu ihrer Beurteilung – wie hier – die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen (vgl RS0039926 [insb T26, T28]).

[27] Diese Frage, wie die angesprochenen Verkehrskreise eine Werbeaussage verstehen und ob sie demnach zur Irreführung geeignet ist,hat ebenso keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung wie die Frage, welche Bedeutung und welches Gewicht das angesprochene Publikum möglichen Faktoren zur Bewertung der Spitzenstellung beimisst; sie sind daher nicht erheblich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, es sei denn es liegt eine krasse Fehlbeurteilung vor, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (vgl RS0078557 [T11]; RS0107771; 4 Ob 38/19w).

[28] 4. Ein solcher Fall liegt hier vor:

[29] 4.1. Die Beklagte hat sich in den festgestellten Job‑Annoncen als Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudeautomation bzw ‑technik bezeichnet. Die Zurechenbarkeit dieser Annoncen nach § 18 UWG wird – wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hatte – auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt.

[30] 4.2. Diese Aussagen enthalten zumindest im Kern konkrete und nachprüfbare Tatsachenbehauptungen und lassen eine nach Umfang und Dauer erhebliche wirtschaftliche Sonderstellung des werbenden Unternehmens erwarten, welche diesem einen beachtlichen und dauerhaften Vorsprung vor seinen Mitbewerbern sichert (vgl 4 Ob 314/82, ÖBl 1982, 124).

[31] 4.3. Dass diese Aussagen in Job-Annoncen auf Social-Media-Plattformen getätigt wurden, vermag nichts daran zu ändern, dass dies „im geschäftlichen Verkehr“ geschah: Einerseits sind die Postings sowohl in Facebook als auch in LinkedIn grundsätzlich nicht darauf beschränkt, nur von konkreten Stelleninteressenten gelesen zu werden, oder nur für solche konkreten Personen bestimmt oder an diese gerichtet, sondern grundsätzlich allgemein für beliebige Platt-formteilnehmer offen zugänglich gewesen. Andererseits sind – worauf die Revision grundsätzlich zutreffend hinweist – (nicht nur, aber besonders auch in Zeiten des Fachkräftemangels) Handlungen, Unterlassungen, Verhaltensweisen oder Erklärungen, kommerzielle Mitteilungen einschließlich Werbung und Marketing im Wettbewerb um möglichst qualifizierte Mitarbeiter als hinreichend eng mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung der Leistungen und Produkte eines Unternehmens zusammenhängende Geschäftspraktiken im Sinne des § 1 Abs 4 Z 2 UWG anzusehen.

[32] 4.4. Die Ansicht, dass die dargelegten Kernaussagen von 4 Ob 314/82, ÖBl 1982, 124, im Lichte der UWG‑Nov 1997 nicht mehr einschlägig sein sollten, ist ebensowenig zu teilen wie die – vom Berufungsgericht zutreffend, ungeachtet ihrer Kleidung in eine „Feststellung“, als rechtliche Beurteilung qualifizierte – Ansicht, dass es den Aussagen an Relevanz mangle, weil sie das Entscheidungsverhalten der Maßfigur nicht ausschlaggebend beeinflussen würden. Gerade die Einleitung der Annoncen mit der Selbstvorstellung der Beklagten mit einer Spitzenstellung kann dazu führen, dass sich auch ein angemessen aufmerksamer und kritischer Leser, der sich für eine Anstellung bei der Beklagten interessiert, ebenso wie ein potenzieller Konsument der Produkte der Beklagten dadurch veranlasst sieht, sich mit deren Angeboten zu befassen, ihnen letztlich auch näherzutreten, was somit für die geschäftliche Entscheidung des Adressaten im Sinne des § 2 Abs 1 Satz 1 UWG relevant (vgl 4 Ob 148/09g) sein kann.

[33] 4.5. Der Senat erachtet daher zusammengefasst die Ausführungen der Vorinstanzen, warum der von der Klägerin konkret relevierte § 2 UWG hier nicht schlagend werden sollte, als nicht stichhältig; die Aussagen der Beklagten können vielmehr grundsätzlich als irreführende Geschäftspraktiken im Sinne einer unlauteren Spitzenstellungswerbung angesehen werden.

[34] 5.1. Grundlage der Prüfung beim Irreführungstatbestand sind der vom Kläger behauptete konkrete Sachverhalt, dessen detaillierte Benennung des Irreführungspunkts und das Begehren, in dem sich Letzterer widerspiegelt (RS0133172; 4 Ob 241/19y; 4 Ob 163/22g).

[35] 5.2. Wenn ein Unterlassungsgebot konditional („wenn“) mit bestimmten Prüftatsachen verknüpft wird, kann es nur dann erlassen werden, wenn auch diese Tatsachen bewiesen wurden (RS0037440 [T19]). Wenn der Kläger die Abweichung von den wirklichen Begebenheiten somit konditional (durch die Verknüpfung mit „wenn“) in sein Unterlassungsbegehren aufnimmt, hat er auch das Prüfkalkül für die behauptete Abweichung von den Tatsachen festgelegt (vgl 4 Ob 147/20a mwN).

[36] 6.1. Die Klägerin hat ihr Begehren auf Unterlassung, das Unternehmen der Beklagten als „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudeautomation“ und/oder „Österreichs größtes privat geführtes Unternehmen im Bereich Gebäudetechnik“ zu bewerben, mit der Bedingung verknüpft, „wenn dies gar nicht der Fall ist“.

[37] Prüfkalkül ist hier damit die Frage, ob der Beklagten die von ihr behauptete Rolle tatsächlich zukommt.

[38] 6.2. In Fällen der Spitzenstellungswerbung muss regelmäßig der Werbende die Richtigkeit der in der Werbung enthaltenen Tatsachenbehauptungen behaupten und beweisen (vgl RS0116971 [T4, T10]; 4 Ob 33/13a).

[39] 7.1. Aufgrund ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht haben die Tatsacheninstanzen keine Feststellungen zur Richtigkeit der von der Beklagten in ihrer Werbung behaupteten Spitzenstellung nach den dargelegten Parametern getroffen.

[40] Die vom Erstgericht im Rahmen seiner Feststellungen getroffene Aussage, es könne nicht festgestellt werden, ob irgendein anderes österreichisches Unternehmen im Bereich Gebäudetechnik bzw Gebäudeautomation einen höheren Jahresumsatz als die Beklagte erziele, sollte – wie aus der Beweiswürdigung eindeutig hervorgeht – nur zum Ausdruck bringen, dass es Beweisanträgen zu diesem Thema mangels rechtlicher Relevanz nicht entsprach.

[41] 7.2. Es liegen damit rechtliche Feststellungsmängel vor, welche die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen unvermeidlich machen. Diese Mängel werden im fortgesetzten Verfahren zu beheben und es wird aufgrund der demnach im aufgezeigten Sinne zu verbreiternden Sachverhaltsgrundlage zu beurteilen sein, ob die Beklagte mit ihrer von der Klägerin relevierten Spitzenstellungswerbung eine irreführende Geschäftspraktik im Sinne des § 2 UWG an den Tag gelegt hat.

[42] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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