OGH 4Ob163/22g

OGH4Ob163/22g23.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch GEISTWERT Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Liebenwein Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 62.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 10. August 2022,  GZ 2 R 109/22x‑38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00163.22G.0923.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte bewirbt ihren Nasenspray mit der Aussage, dass es zwar eine Infektion mit SARS‑CoV‑2 nicht vollständig verhindere, aber das Risiko einer Infektion und Virusverbreitung stark reduziere. Es bilde einen Schutzfilm auf der Schleimhaut von Nase und Rachen und lege sich wie ein Netz über die Virenhülle. Durch diese Barriere würden Coronaviren am Eindringen in die Atemwege und an der Verbreitung gehindert. Die dadurch geminderte Virenlast erlaube es dem eigenen Immunsystem, das Virus effektiver zu bekämpfen.

[2] Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag des klagenden Pharmaunternehmens des Inhalts, der Beklagten werde im geschäftlichen Verkehr gegenüber Verbrauchern verboten,

1. C [...] plus oder C[...] Pastillen im Inland ohne arzneimittelrechtliche Zulassung als Arzneimittel iSv § 1 Abs 1 AMG abzugeben und zu bewerben, dies insbesondere durch Hinweise auf die Linderung und/oder Verhütung und/oder Reduktion des Risikos einer Infektion mit SARS-CoV-2 sohin von COVID-19 und/oder auf die Reduktion der Ausbreitung eines solchen Virus und/oder durch sinngleiche Hinweise;

2. auf irreführende Weise zu behaupten, C [...] plus könne vor einer SARS‑CoV‑2 Infektion schützen, wenn eine solche Wirksamkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse oder nach den praktischen Erfahrungen nicht hinreichend belegt ist;

ab.

[3] Die Klägerin beantragt mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs, den begehrten Sicherungsantrag zu erlassen. Das Rekursgericht sei vom klaren Wortlaut des § 1 Abs 3a AMG abgewichen. Die Vorrangregel des AMG (und die Zulassungspflicht für Arzneimittel gemäß § 7 AMG) sei eine ausdrückliche lex specialis zum UWG und dem dort judizierten Vertretbarkeitsgrundsatz. Weiters liege eine Abweichung von der Rechtsprechung zum Unterlassungsbegehren und zu § 2 UWG vor.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der Revisionsrekurs ist in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig.

1.1. Gemäß § 1 Abs 1 AMG sind „Arzneimittel“

Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die

1. zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind, oder

2. im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, oder

b) als Grundlage für eine medizinische Diagnose zu dienen.

 

§ 1 Abs 3a AMG lautet:

Erfüllt ein Produkt sowohl die Definition des Arzneimittels gemäß Abs 1 bis 3 als auch die Definition eines in einem anderen Bundesgesetz geregelten Produktes, so sind auf dieses Produkt ausschließlich die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden.

 

[5] 1.2. Nach der Rechtsprechung des EuGH (C‑308/11 , Chemische Fabrik Kreussler & Co GmbH, Rn 31 f) und des BGH (I ZR 90/08 = PharmR 2010, 641; I ZR 166/08 = PharmR 2010, 638; I ZR 204/09 = PharmR 2011, 299) liegt (der MEDDEV‑Borderline‑Leitlinie der Europäischen Kommission zur Abgrenzung zwischen Medizinprodukten und Arzneimitteln folgend) eine pharmakologische Wirkung (und somit ein Arzneimittel) dann vor, wenn irgendeine Art von unmittelbarer oder mittelbarer Wechselwirkung zwischen den Molekülen des in Frage stehenden Wirkstoffs und einem zellulären Bestandteil des menschlichen Körpers erfolgt (vgl auch 4 Ob 190/17w). Die Eigenschaft eines Arzneimittels kann dadurch begründet werden, dass Moleküle einer Substanz Wechselwirkungen mit einem zellulären Bestandteil des Menschen oder mit anderen im Organismus des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteilen wie Bakterien, Viren oder Parasiten entfalten (Rn 31). Bei der Beurteilung sind die nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellbaren pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften zu berücksichtigen (Rn 33), sowie alle Merkmale des Erzeugnisses, insbesondere seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann (Rn 34).

[6] 1.3. Nach welchen (konkreten) Kriterien pharmakologische und nicht-pharmakologische Mittel abgegrenzt werden können und ob es für eine pharmakologische Wirkung etwa einer Strukturveränderung der betroffenen Zellen bedarf oder ob eine nur temporäre Anbindung – etwa an den Proteinbestandteilen der Zellmembran – ausreicht, ist in der Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat daher zur Abgrenzung von Medizinprodukten und Arzneimitteln – in einem ebenfalls einen Nasenspray betreffenden Verfahren – an den Gerichtshof der Europäischen Union ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen gerichtet (C-496/21 , noch anhängig) und in seinem Vorlagebeschluss herausgearbeitet, dass grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden könne, dass ein verständiger Durchschnittsverbraucher ein ausdrücklich als Medizinprodukt angebotenes Präparat für ein Arzneimittel halten werde. Dafür bedürfe es besonderer Umstände, wobei der Verweis auf eine therapeutische Zweckbestimmung dann nicht ausreiche, wenn das Erzeugnis nicht mit spezifisch arzneilichen Wirkungen beworben werde. Auch ein Medizinprodukt dürfe zur Behandlung bei Reizungen der Nasenschleimhaut bedingt durch eine virale Rhinitis präsentiert werden.

1.4. Das Rekursgericht hat folgenden Sachverhalt als bescheinigt erachtet:

Effekt der C [...] ist ein länger auf der Nasenschleimhaut verbleibender Schutzfilm, der als physikalische Barriere gegen äußere Einflüsse wirkt und auch eine Schutzbarriere gegen Erkältungsviren bildet. C[...] umhüllt diese respiratorischen Viren unspezifisch und verhindert damit deren Anhaften an der Schleimhaut.

Nach dieser (physikalischen) Bindung bzw. Umhüllung der viralen Partikel werden diese partiell im Magen aufgelöst und dann über den Darm ausgeschieden.

Hiedurch kommt es zu einer Reduzierung oder Abwehr der viralen Infektion.

 

[7] Auf Basis dieses dem Provisorialverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts hat das Rekursgericht das verfahrensgegenständliche Produkt als Medizinprodukt und nicht als Arzneimittel qualifiziert; dies ausgehend von einer (zumindest „hauptsächlich“) physikalischen (und nicht pharmakologischen) Wirkweise im Wege einer – ganz allgemeinen, unspezifischen – Neutralisierung von Viren durch Umhüllen, noch bevor sie auf die Schleimhaut negativ einwirken. Die von den Parteien vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen mit jeweils unterschiedlichen Ergebnissen zur Frage der Einordnung des gegenständlichen Nasensprays als Arzneimittel oder als Medizinprodukt hat das Rekursgericht vertretbar (vgl RS0043168 [T9]) unberücksichtigt gelassen.

[8] 1.5. Die Verneinung der Qualifizierung des Nasensprays der Beklagten als Arzneimittel ist auf Basis der Bescheinigungslage des Provisorialverfahrens nicht zu beanstanden, weil die physikalische Wirkung des Produkts – die auch in der Produktpräsentation der Beklagten beschrieben wird – im Vordergrund steht. Die Vorrangregel des § 1 Abs 3a AMG kommt daher nicht zur Anwendung, sodass sich die Frage nach der Qualifizierung dieser Norm als lex specialis zum UWG nicht stellt und auch die Frage der Fassung des Unterlassungsgebots dahingestellt bleiben kann.

[9] 2.1. Zu Spruchpunkt 2. (Irreführung gemäß § 6 Abs 1 AMG) hat das Rekursgericht ausgeführt, dass die Beklagte auf vertretbare Weise der Auffassung sein dürfe, dass es sich um gar kein (sei es Funktions-, sei es Präsentations-)Arzneimittel handle. Daher dürfe sie gleichermaßen vertretbar die besonderen Beleg-Erfordernisse nach § 6 AMG für nicht anwendbar erachten.

[10] 2.2. Der Revisionsrekurs moniert, damit habe das Rekursgericht das allgemeine Irreführungsverbot des § 2 UWG außer Acht gelassen. Danach müsse der Werbende die Richtigkeit seiner Werbebehauptungen beweisen können.

[11] 2.3. Die Notwendigkeit einer sorgfältigen Fallprüfung und Wahl der Rechtsgrundlage ergibt sich aus § 226 ZPO. Erweist sich der allein geltend gemachte Rechtsgrund als nicht gegeben, so ist das Gericht nicht berechtigt, dem Klagebegehren aus einem anderen (nicht geltend gemachten) Rechtsgrund stattzugeben (vgl RS0019055 [T2]).

[12] 2.4. Grundlage der Prüfung beim Irreführungstatbestand kann daher nur ein von der Klägerin behaupteter konkreter Sachverhalt sein. Es genügt daher nicht, dass die Klägerin ganz allgemein behauptet, dass die Beklagte durch eine bestimmte Angabe „in die Irre führe“; sie muss vielmehr den Irreführungspunkt detailliert benennen und dieser muss sich auch im Begehren widerspiegeln (4 Ob 241/19y).

[13] 2.5. Das Rekursgericht hat – gemäß dem Antragsvorbringen und dem Gesamtzusammenhang vertretbar – das Begehren der Klägerin zu Spruchpunkt 2 dem arzneimittelrechtlichen Irreführungsverbot nach § 6 Abs 3 Z 1 AMG zugeordnet. Allfälliges anderweitiges irreführendes Verhalten findet im Begehren keine Deckung.

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