OGH 24Ds1/22i

OGH24Ds1/22i6.12.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 6. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann und die Anwaltsrichter Dr. Rothner und Dr. Niederleitner in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Seidenschwann in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Salzburg vom 7. Juni 2021, GZ DISZ/3‑18‑950.17‑60, und die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss dieses Disziplinarrats vom 18. November 2021, GZ DISZ/3‑18‑950.17‑64, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Geymayer, und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0240DS00001.22I.1206.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Berufung wegen Strafe Folge gegeben und über den Beschuldigten eine Geldbuße von 500 Euro als Zusatzstrafe verhängt.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *, Rechtsanwalt in *, des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 2. Fall DSt schuldig erkannt und hierfür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 und Abs 5 zweiter Satz DSt unter Bedachtnahme auf das zu AZ 3/17 ergangene Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer zu einer (Zusatz-)Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt.

[2] Danach hat er sich am 11. Dezember 2017 (ES 2) der Sicherheitskontrolle durch das diensthabende Wachorgan beim Bezirksgericht Salzburg widersetzt und sich widerrechtlich Zutritt in das innere Foyer dieses Gerichts verschafft, nachdem ihm mangels Bereitschaft, sich der Sicherheitskontrolle zu unterziehen, der Zutritt verweigert worden war.

[3] Am 18. November 2021 fasste der Vorsitzende des Disziplinarrats aufgrund einer Eingabe des Beschuldigten (ON 63) den Beschluss, das Protokoll über die Disziplinarverhandlung vom 7. Juni 2021 (ON 58) im Betreff der Disziplinarsache („gegen Rechtsanwalt *, LL.M.“) zu berichtigen. Eine Mehrzahl weiterer Kritikpunkte des Beschuldigten sah der Vorsitzende des Disziplinarrats hingegen nicht als geeignet an, eine Berichtigung des Protokolls zu rechtfertigen (ON 64).

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über Schuld (RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe.

[5] In der Beschwerde gegen den gleichzeitig mit dem Erkenntnis zugestellten Beschluss des Vorsitzenden des Disziplinarrats beantragte der Beschuldigte, einen rechtskonformen Zustand herzustellen, die Rechtsposition des Beschuldigten entsprechend dem Antrag auf Protokollberichtigung vom 22. Juni 2021 zu schützen und das Protokoll zu berichtigen.

[6] 1. Vorweg sei auf die Ansicht des Beschuldigten eingegangen, der Oberste Gerichtshof verfüge als „Anwaltsgericht“ nicht über die notwendige Unabhängigkeit, weil die dort bestellten Anwaltsrichter notwendigerweise Konkurrenten des Beschuldigten wären, wodurch diese gleichsam „institutionell befangen“ seien. Damit zeigt der Beschuldigte keinen Berufungsgrund auf, sondern er bekämpft das Gesetz (§§ 46, 59 Abs 1 DSt), welches die Besetzung von Entscheidungskörpern auch mit Berufskollegen als Ausfluss der Selbstverwaltung der Rechtsanwälte vorsieht (Feil/Wennig, AnwR8 § 59 DSt, 964; Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 59 DSt Rz 2 ff). Seiner damit verbundenen Forderung, die Disziplinarsache an ein spezielles Gericht abzugeben, fehlt sohin die gesetzliche Basis.

[7] Der erkennende Senat hegt keine Bedenken, dass durch die institutionalisierte Beteiligung von Rechtsanwälten an der Rechtsprechung eine Verletzung der Rechte auf ein faires Verfahren bewirkt werden könnte. § 59 DSt sieht vor, dass die dem Obersten Gerichtshof nach dem Disziplinarstatut der Rechtsanwälte zugewiesenen Aufgaben in Senaten zu erledigen sind, die aus zwei (Berufs‑)Richtern und zwei aus dem Rechtsanwaltsstand gewählten (Anwalts‑)Richtern bestehen. Letztere werden von den Rechtsanwaltskammern durch alle Kammermitglieder für sechs Kalenderjahre gewählt. Sie sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und besitzen in vollem Umfang die mit dem Richteramt verbundenen Befugnisse (§ 59 Abs 2 und 3 DSt). Auch in Bezug auf Befangenheit, Ablehnung und Ausgeschlossenheit unterliegen sie im Wesentlichen den gleichen Bestimmungen (§ 64 DSt). Daraus folgt, dass alle Grundsätze anzuwenden sind, die für die Beurteilung entwickelt wurden, ob ein zureichender Grund vorliegt, die Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Ob eine solche Befangenheit besteht, ist im Einzelfall und stets ad personam zu prüfen.

[8] Die Reklamation des Beschuldigten richtet sich nicht gegen eine mögliche Befangenheit der dem Berufungssenat angehörigen Anwaltsrichter, sondern sie wendet sich gegen eine Art „institutionelle Befangenheit“ der den Berufungssenaten angehörigen Mitglieder des Anwaltsstandes und behauptet, damit wäre „ab ovo“ ein faires Verfahren im Sinn des Art 6 MRK (bzw des inhaltlich entsprechenden Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) nicht mehr gewährleistet.

[9] Damit zeigt der Beschuldigte keine verfassungsrechtlichen Bedenken in Richtung eines Verstoßes gegen Art 6 MRK auf. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (und zwar bereits zu den Vorgängerbestimmungen des aktuellen § 63 DSt) in der Tatsache der Beteiligung von Anwälten im Allgemeinen und von Anwaltsrichtern im Besonderen als zum Wesen der Disziplinargerichtsbarkeit gehörig keine Verletzung der Garantien des fairen Verfahrens im Sinne der genannten Bestimmungen gesehen (VfSlg 11.657/1988, 12.589/1990, 13.580/1993, 14.809/1997). Selbst § 63 Abs 2 Satz 2 DSt, wonach ein Anwaltsrichter des Senats nach Möglichkeit dem Kreis derjenigen Rechtsanwälte angehören soll, die von der Rechtsanwaltskammer des Beschuldigten gewählt wurden, sah der Verfassungsgerichtshof als unbedenklich an (B 3241/96 Slg 14.809).

[10] 2. Die Berufung wegen Schuld ist nicht berechtigt.

[11] Die Geltendmachung von Verfahrensmängeln unterliegt den für das Nichtigkeitsverfahren geltenden Kriterien (RIS‑Justiz RS0128656 [T1]). Angeblich Nichtigkeit begründende Tatumstände müssen daher deutlich und bestimmt bezeichnet werden. Daran geht – worauf die Generalprokuratur zutreffend hingewiesen hat – die Berufung des Beschuldigten großteils vorbei. Soweit sie das erwähnte Vor-Erkenntnis betrifft, verfehlt sie überhaupt den Anfechtungsgegenstand. Das Berufungsverfahren betrifft nämlich das Erkenntnis des Disziplinarrats der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 7. Juni 2021.

[12] Dass die in § 77 Abs 3 DSt iVm § 270 Abs 1 StPO vorgesehene Ausführungsfrist von vier Wochen überschritten wurde bewirkt keine Nichtigkeit (Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 4).

[13] Dem Berufungsstandpunkt zuwider ist nur die gänzliche Unterlassung der Erstellung eines Protokolls, nicht aber eine mangelhafte Protokollierung mit Nichtigkeit bedroht (RIS‑Justiz RS0098665).

[14] Die im Disziplinarverfahren der Rechtsanwälte geltenden besonderen Zuständigkeitsvorschriften (§ 20 Abs 1 DSt, § 23 Abs 1 RAO, § 7 Abs 1 2. Satz EIRAG) sehen keine Verbindung von in den Wirkungsbereich verschiedener Rechtsanwaltskammern fallenden Verfahren vor (RIS‑Justiz RS0056813).

[15] Die begehrte Beeidigung der Zeugen * L* und * P* (ON 58 S 5 und 9) unterblieb zu Recht, weil eine solche nach der Strafprozessordnung nicht mehr vorgesehen ist (Kirchbacher/Keglevic, WK‑StPO § 161 Rz 2).

[16] Die gegen die Ablehnung seiner Beweisanträge gerichtete Verfahrensrüge des Beschuldigten (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) könnte nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich auf einen Antrag bezieht, dem neben Beweismittel und Beweisthema auch zu entnehmen ist, warum die begehrte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lässt und inwieweit ein solches Beweisergebnis für die Schuld- und Subsumtionsfrage von Bedeutung ist (RIS‑Justiz RS0118444). Das vom Beschuldigten in seiner Berufung gerügte Unterbleiben nachstehender Beweisaufnahmen erfolgte daher zu Recht:

[17] Der Antrag, „einen Sachverständigen zu bestellen, der die Funktion (der) Schleuse überprüft“, zum Beweis dafür, „dass keine Gewaltanwendung nötig ist, um diese Schleuse offen zu halten oder wieder zu öffnen“, überdies, dass „die Schleuse breiter als 80 cm ist, dass die Tür nicht mit Gewalt geöffnet werden muss“ und dass das Vorbringen der Zeugen in diesem Zusammenhang nicht richtig gewesen sei, lässt nicht einmal erkennen, inwieweit die danach unter Beweis zu stellenden Umstände für die Schuld- und Subsumtionsfrage überhaupt relevant gewesen sein sollten, richtet sich der Vorwurf gegen den Beschuldigten ohnehin nicht darauf, er habe die Sicherheitsschleuse unter Einsatz körperlicher Gewalt aufgebrochen. Inwiefern sich aus der Durchführung eines Lokalaugenscheins der Nachweis erbringen lassen sollte, dass „der Ablauf nicht derjenige war, wie er von den Zeugen geschildert wurde“, ist nicht zu ersehen.

[18] Eine Vernehmung der Zeugen * G* und * F* zum Nachweis dafür, dass sich „der Vorfall nicht so ereignet hat, wie er von den Zeugen geschildert wurde“ unterblieb ebenfalls zu Recht, behauptete der Beschuldigte doch nicht einmal, die genannten Zeugen hätten unmittelbare Wahrnehmungen zum inkriminierten Geschehen gemacht (RIS‑Justiz RS0099841 [T7]). Selbst dem in der Berufung (bloß) wiederholten Beweisanbot in dieser Richtung fehlen dahingehende Behauptungen.

[19] Durch welche (weiteren) „vom Disziplinarbeschuldigten beantragten – ... unbegründeterweise nicht geladenen bzw einvernommenen – Zeugen“ hätte nachgewiesen werden können, dass die Zeugen P* und L* teilweise die Unwahrheit gesprochen haben, lässt die Berufung ebenso nicht erkennen wie die Relevanz für den Tatvorwurf.

[20] Soweit der Beschuldigte beantragt, es wollen „die Zeugen P* und L* nochmals vom Rechtsmittelgericht einvernommen werden“, nennt er kein konkretes, einem Zeugenbeweis zugängliches Beweisthema (RIS‑Justiz RS0097540), sondern strebt nur eine andere Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen an.

[21] Mit der auf seiner eigenen Darstellung des Geschehens und seinen eigenen Erwägungen basierenden Bestreitung der vom Disziplinarrat getroffenen Sachverhaltsannahmen und der Reklamation anderer, für den Prozessstandpunkt des Beschuldigten günstigerer Schlussfolgerungen zeigt er keinen Begründungsmangel (Z 5) auf.

[22] Soweit der Beschuldigte mit seinen Ausführungen das Vorliegen eines entschuldigenden Notstandes (§ 10 StGB) andeutet, weil er Sorge hatte, eine Gerichtsverhandlung zu versäumen, fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen für einen derartigen Schuldausschließungsgrund. Selbst wenn der Beschuldigte davon ausging, der ihn kontrollierende Wachbeamte verkenne den Ausnahmetatbestand des § 4 Abs 1 Satz 1 GOG, hätte von seiner Seite das Zulassen der Kontrolle, die sich (§ 3 Abs 1 Satz 1 GOG) nur darauf bezog, ob er eine Waffe mit sich führt, ausgereicht, um die Gefahr einer Versäumung des Termins zu bannen. Eine Notstandssituation lag somit nicht vor.

[23] Die Ausführungen des Beschuldigten in seiner Berufung wegen Schuld im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) wecken keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Disziplinarrats, mit der er zur Feststellung des inkriminierten Tatbestands kam: Aus den Verfahrensergebnissen, ja selbst aus den Einlassungen des Beschuldigten zog der Disziplinarrat plausibel den Schluss, dass der Beschuldigte die Sicherheitskontrolle seitens des diensthabenden Wachorgans des Bezirksgerichts, deren Notwendigkeit ihm durchaus bewusst war, (zuerst) verweigerte und dass er sich dann unter Ausnützung einer sich ihm bietenden Gelegenheit unerlaubt Zutritt zum Gericht verschaffte. Dass dies einem größeren Personenkreis, nämlich den Kontrollorganen, den verständigten Polizeibeamten, dem Gerichtsvorsteher sowie den Besuchern des Bezirksgerichts Salzburg bekannt wurde, bestreitet selbst der Beschuldigte nicht.

[24] Die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld musste daher ohne Erfolg bleiben.

[25] 3. Die Berufung wegen Strafe war demgegenüber berechtigt. Der Disziplinarrat sah es bei der Bestimmung der Geldbuße als erschwerend an, dass der Beschuldigte keine Einsicht in sein standesrechtlich fehlerhaftes Verhalten gezeigt habe. Mildernde Umstände verneinte der Disziplinarrat, insbesondere sei die lange Verfahrensdauer, betrachte man den Zeitraum zwischen dem Einleitungsbeschluss und der Verhandlung vor dem Disziplinarrat, auf die verschiedenen Delegierungs- und Ablehnungsanträge des Beschuldigten zurückzuführen.

[26] Zu Recht beanstandet der Beschuldigte, dass der Disziplinarrat die mangelnde Schuldeinsicht als erschwerend ansah (RIS‑Justiz RS0090897, RS0056731).

[27] Überdies verneinte der Disziplinarrat zu Unrecht den in der Berufung reklamierten Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB, der auch im Verfahren nach dem DSt gilt (RIS‑Justiz RS0054839; 20 Os 8/15z, 24 Ds 3/19d, 24 Ds 7/20v). Zwar trifft es zu, dass nach der Fassung des Einleitungsbeschlusses und bis zur Verhandlung vor dem Disziplinarrat die lange Verfahrensdauer im Wesentlichen auf den Beschuldigten zurückzuführen war, allerdings liegt der Milderungsgrund auch dann vor, wenn daneben längere Phasen behördlicher Inaktivität konstatiert werden müssen (RIS‑Justiz RS0124901 [T3]). So fehlt eine Rechtfertigung dafür, dass die Untersuchungskommissärin dem Disziplinarrat über das Ergebnis ihrer Tätigkeit erst am 3. Juli 2019 berichtete, obwohl die letzten aus dem Akt ersichtlichen Beweiserhebungen (Aufnahme der Zeugenaussagen) mehr als 14 Monate zurücklagen. Überdies vergingen zwischen der mündlichen Verkündung des Erkenntnisses am 7. Juni 2021 und der Zustellung der Ausfertigung des Erkenntnisses an den Beschuldigten am 24. November 2021 beinahe sechs Monate, ohne dass dies durch eine besondere Komplexität des Erkenntnisses gerechtfertigt gewesen wäre (vgl auch 24 Ds 3/19d; RIS‑Justiz RS0120138).

[28] Nach § 16 Abs 6 DSt ist bei der Verhängung der Strafe auf die Größe des Verschuldens des Angeklagten, aber auch auf die daraus entstandenen Nachteile, einerseits für die rechtssuchende Bevölkerung, andererseits für das Ansehen der Rechtsanwaltschaft und bei Ausspruch einer Geldbuße auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse Bedacht zu nehmen (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 16 Rz 17 mwN; 27 Ds 1/17d, 20 Ds 13/20x). Aufgrund des § 32 StGB gilt es zu berücksichtigen, ob die Tat auf einer gegenüber den rechtlich geschützten Werten ablehnenden oder gleichgültigen Einstellung des Täters beruht oder ob sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die auch ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch straffällig werden könnte.

[29] Angesichts des Versuchs des Beschuldigten, sich bewusst der Eingangskontrolle zu entziehen (vgl Berufung S 37: „... ein Rechtsanwalt auch gerechtfertigt ist, unkonventionelle Maßnahmen zu setzen“) und wegen der tatsächlich eingetretenen abträglichen Außenwirkung hielt sich die vom Disziplinarrat bei einem Strafrahmen bis 45.000 Euro mit nur 2.000 Euro ausgemessene Gesamtstrafe (§§ 31, 40 StGB) im untersten Bereich.

[30] Ein schriftlicher Verweis, der nach dem Strafenkatalog des § 16 DSt die geringste zu verhängende Strafe darstellt, setzt ein ganz geringes disziplinäres Vergehen voraus (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 16 Rz 5 ff). Davon kann in concreto bei dem Verhalten des Beschuldigten keine Rede sein.

[31] Neben der Notwendigkeit einer Strafmilderung in Anwendung des § 34 Abs 2 StGB kam dem Beschuldigten zwar der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB zugute, da das nun in Rede stehende disziplinäre Verhalten schon im vorigen Disziplinarerkenntnis hätte abgeurteilt werden können. Dem steht allerdings die dann zu berücksichtigende Mehrzahl an Taten als erschwerend gegenüber (RIS‑Justiz RS0090773 [T1 und T2]).

[32] Im Vorerkenntnis der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 22. September 2020, AZ D 3/17, auf das bei der Ausmessung der Strafe Bedacht genommen wurde (§§ 31, 40 StGB), war dem Beschuldigten zur Last gelegt worden, als (bloß) dienstleistender Rechtsanwalt dadurch gegen §§ 2, 8 EIRAG verstoßen zu haben, dass er seit dem Jahr 2011 nicht bloß vorübergehend grenzüberschreitende Dienstleistungen erbracht hatte, sondern dass er – vorwiegend unentgeltlich – bis März 2017 ca 400 Verfahren für Armutsmigranten geführt und dazu ein offensichtlich ständig betriebenes Büro in Dornbirn verwendet hatte. Er wurde dafür zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt.

[33] Aus dem Entfall des zu Unrecht angenommenen Erschwerungsgrundes und dem Hinzutreten der genannten Milderungsgründe ergab sich eine an sich angemessene Geldbuße von 800 Euro als Zusatzstrafe. Diese war aber zum Ausgleich der durch die lange Verfahrensdauer entstandenen Konventionsverletzung (Art 6 MRK) auf 500 Euro zu reduzieren.

[34] 4. Da sich die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Disziplinarrats nach dem oben Ausgeführten nicht auf für den Erfolg der Berufung wesentliche Aspekte bezieht, ist sie als miterledigt anzusehen (RIS‑Justiz RS0126057 [T2, T5], RS0120683).

[35] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

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