OGH 24Ds3/19d

OGH24Ds3/19d2.9.2019

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 2. September 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Hofstätter und Dr. Bartl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, in Gegenwart der Schriftführerin Pelikan in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 2. Juli 2018, AZ D 24/17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Kammeranwalts Dr. Lindner und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0240DS00003.19D.0902.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Der Berufung wegen Strafe wird dahin Folge gegeben, dass über den Beschuldigten eine Geldbuße von 1.000 Euro verhängt wird.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *****, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) schuldig erkannt.

Danach hat er „durch Unterlassen der unverzüglichen Abrechnung des bei ihm Ende August 2016 eingelangten Fremdgeldbetrags iHv 10.867,15 Euro, welchen er in der Causa 'A*****' für seinen ehemaligen Klienten Christian M***** im Insolvenzverfahren der A***** AG und der A***** I***** AG erhalten hat, und durch die verspätete Weiterleitung dieses Betrages am 18. November 2016 an den Vertreter seines damaligen [gemeint: ehemaligen] Mandanten, Rechtsanwalt Mag. Gerhard B*****, gegen §§ 16, 17 iVm § 43 Abs 2 RL‑BA sowie § 19 RAO verstoßen“.

Der Beschuldigte wurde hiefür zu einer Geldbuße von 1.750 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich seine Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe.

Die Schuldberufung schlägt fehl.

Der Disziplinarrat stellte – soweit entscheidungswesentlich – folgenden Sachverhalt fest:

Christian M***** beauftragte den Beschuldigten 2010, ihn in einem Schadenersatzprozess in der „Angelegenheit A*****“ zu vertreten. In der Folge kam es zu Divergenzen zwischen beiden, weil es der Beschuldigte unterließ, seinen Mandanten über ein Prozesskostenablöseanbot der Rechtsschutzversicherung zu informieren, worauf das Vollmachtsverhältnis am 25. März 2013 aufgelöst wurde. M***** und der Beschuldigte machten hierauf gegeneinander zivilgerichtlich Ansprüche aus dem vormaligen Vollmachtsverhältnis geltend (Klage M*****s auf Schadenersatz, Widerklage des Beschuldigten wegen Kosten).

Ende August 2016 wurden der Kanzlei des Beschuldigten für rund 1.200 Mandanten seitens der AeW (Anlegerentschädigung von Wertpapierfirmen GmbH) Entschädigungen ausbezahlt, in denen auch der Entschädigungsbetrag für M***** von 10.867,15 Euro inklusive Zinsen enthalten war.

Mit Schreiben vom 1. September 2016 informierte der Beschuldigte M***** (und dessen aktuellen Rechtsvertreter, Rechtsanwalt Mag. B*****) vom Eingang dieses Entschädigungsbetrags und schlug einen abschließenden Vergleich dahingehend vor, dass in den zwischen ihnen laufenden Zivilverfahren ewiges Ruhen stattfinden solle, die Kanzlei des Beschuldigten sich vom Auszahlungsbetrag ein pauschal ermäßigtes Bruttohonorar von 4.000 Euro einbehalte und der Restbetrag von 6.867,15 Euro vom Beschuldigten an M***** weitergeleitet werde.

In weiteren Schreiben vom 22. September und 17. Oktober 2016 an Mag. B***** rechnete der Beschuldigte seine Kosten mit einem Bruttobetrag von 6.608,64 Euro ab und teilte mit, dass er den verbleibenden Betrag von 4.258,51 Euro bis zur Klärung der laufenden Verfahren auf einem Anderkonto seiner Kanzlei belasse.

Mit Schreiben vom 3. November 2016 forderte Mag. B***** den Beschuldigten – in Hinblick auf die zwischenzeitig eingetretene Rechtskraft des zugunsten M*****s ergangenen Urteils im gegenseitigen Schadenersatz-/Kostenprozess – auf, den bei diesem erliegenden Entschädigungsbetrag an M***** weiterzuleiten.

Der Beschuldigte überwies hierauf am 10. November 2016 den Betrag von 10.867,15 Euro an die AeW retour. Diese leitete den Betrag am 18. November 2016 an Mag. B***** weiter.

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider betrifft die Frage, ob M***** dem Beschuldigten 2010 eine Vollmacht mit oder ohne konkreten Auftrag übermittelt habe, ebenso wenig eine für die Schuldfrage entscheidende Tatsache wie jene, ob dem Beschuldigten seitens der Rechtsschutzversicherung des Genannten ein Angebot auf „Prozesskostenablöse“ zugegangen sei, weshalb das unter dem Titel „Aktenwidrigkeit bzw unrichtige Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung“ erstattete Berufungsvorbringen keiner Erörterung bedarf.

Dies gilt auch für die – unter Hinweis auf die Verantwortung des Beschuldigten und ein E‑Mail vom 5. September 2016 relevierte (Z 9 lit a) – Frage, ob Mag. B***** in Reaktion auf das Schreiben des Beschuldigten vom 1. September 2016 dessen Vergleichsvorschlag „nicht widersprochen“ und um Erstreckung der Frist zwecks Erörterung der Angelegenheit mit seinem Mandanten ersucht habe.

Mit der Behauptung, es wäre ihm keine Kontonummer M*****s zur Überweisung an diesen bekannt gegeben worden, legt der Beschwerdeführer nicht dar, warum ihm weder eine – später tatsächlich erfolgte – unverzügliche Rücküberweisung an die AeW noch eine Überweisung an den aktuellen Rechtsvertreter M*****s möglich gewesen sei.

Dem Argument, dem Beschuldigten müsse angesichts der Vertretung von rund 1.200 Anlegern ein bestimmter Zeitraum zugestanden werden, um zu prüfen, ob der Betrag richtig sei und dem Einzelanleger zugeordnet werden kann, stehen die Feststellungen entgegen, dass der Beschuldigte bereits mit Schreiben vom 1. September 2019 seinem ehemaligen Mandanten die genaue Höhe des auf ihn entfallenden Betrags bekannt gegeben hat.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) einen Freispruch mit der Begründung fordert, der Beschuldigte habe M***** und dessen Rechtsvertreter ohnehin unverzüglich über das Einlangen des M***** zustehenden Entschädigungsbetrags von der AeW informiert und es sei keine Bestreitung des Genannten erfolgt, weswegen „eine Hinterlegung bzw Auszahlung gar nicht möglich bzw notwendig gewesen wäre“, vernachlässigt sie, dass der Beschuldigte infolge Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zur Entgegennahme des bei ihm für seinen früheren Mandanten eingegangen Geldbetrags gar nicht mehr legitimiert, vielmehr gemäß §§ 13, 14 und 43 Abs 2 RL‑BA 2015 verpflichtet war, das ihm (irrtümlich) zugekommene Fremdgeld jedenfalls ohne unnötigen Verzug an den Berechtigten auszufolgen. Ein Recht des Rechtsanwalts zur anderweitigen Disposition über Fremdgeld iSd § 19 RAO besteht nur hinsichtlich der „für seine Partei an ihn eingegangenen Barschaften“; selbst ein Pfandrecht gemäß § 19a RAO kommt nur dem Rechtsanwalt zu, der „die Partei zuletzt vertreten hat“ (hier: Mag. B*****), nicht aber seinem Vorgänger (vgl auch RIS‑Justiz RS0056055 [T3]).

Im Übrigen ist der Rechtsanwalt selbst im Fall eines aufrechten Vollmachtsverhältnisses, in dessen Rahmen die Richtigkeit und die Höhe seiner Forderung bestritten wird und er nicht gewillt ist, die bei ihm eingegangene Barschaft unverzüglich an seinen Mandanten auszufolgen, verpflichtet, diese unverzüglich bei Gericht zu hinterlegen (§ 19 Abs 3 RAO iVm § 14 RL‑BA 2015; RIS‑Justiz RS0033851, RS0056451). Indem der Berufungswerber dazu der Sache nach behauptet, von einem Einverständnis M*****s zum Vergleichsanbot ausgegangen zu sein, orientiert er sich prozessordnungswidrig nicht am festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581, 584). Denn der Disziplinarrat konstatierte – wenn auch disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (ES 9 iVm ES 6 f) –, dass es für den Beschuldigten klar war, dass keine seiner Leistungen dem Grund und der Höhe nach anerkannt wurde und er daher nicht von einem Einverständnis seines ehemaligen Mandanten zum im Schreiben vom 1. September 2016 gemachten Anbot ausgehen konnte, auch wenn auf seinen Vorschlag nicht geantwortet worden war.

Ob sich der gegenständliche Betrag „die ganze Zeit über“ zur Gänze auf dem Anderkonto der Kanzlei des Beschuldigten befunden habe oder ob ein Teil des Geldes auf deren Geschäftskonto überwiesen worden sei, betrifft wiederum keinen für die rechtliche Beurteilung entscheidenden Umstand.

Eine Rücküberweisung an den Absender erst mehr als zwei Monate nach Empfang entsprach vorliegend dem Gebot unverzüglichen Handelns nicht (vgl RIS‑Justiz RS0056451, RS0109311). Diese Säumnis hat der Disziplinarrat im Ergebnis zutreffend den Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt unterstellt.

Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher nicht Folge zu geben.

Hingegen kommt der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe Berechtigung zu. Der Disziplinarrat hat bei der Strafbemessung zutreffend die Unbescholtenheit des Beschuldigten als mildernd gewertet, jedoch rechtlich verfehlt das Fehlen von „Schuld‑ und Tateinsicht“, wodurch „das Disziplinarverfahren auch erheblich verlängert“ worden sei, zu dessen Nachteil als eine für die Strafzumessung entscheidende Tatsache angesehen (vgl RIS‑Justiz RS0090897; 28 Os 3/15y). Zusätzlich kommt dem Beschuldigten nunmehr der Milderungsgrund der– bereits durch die mehr als siebenmonatige Dauer der Ausfertigung des erstinstanzlichen Erkenntnisses bewirkten – nicht von ihm zu vertretenden unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer zugute (Art 6 Abs 1 MRK, vgl § 34 Abs 2 StGB). Die dadurch erfolgte Grundrechtsverletzung ist ausdrücklich in Rechnung zu stellen und durch eine spür‑ und messbare (mit anderen Worten rechnerisch spezifizierte) Strafmilderung auszugleichen (RIS‑Justiz RS0114926 [T3]). Der Oberste Gerichtshof erachtet vorliegend – unter Ausblendung des letztgenannten Milderungsgrundes – eine Geldbuße von 1.500 Euro für angemessen und bemisst die demnach notwendige (weitere) Strafreduktion mit 500 Euro, woraus die im Spruch genannte Sanktion resultiert. Ein Schuldspruch ohne Strafe (§ 39 DSt) kommt aus spezialpräventiven Gründen ebenso wenig in Betracht wie ein schriftlicher Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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