OGH 5Ob239/21i

OGH5Ob239/21i21.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. Dr. F*, 2. P*, beide vertreten durch die K-B-K Hirsch Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Salzburg, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch die HOSP, HEGEN Rechtsanwaltspartnerschaft in Salzburg, wegen 56.134 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 5. November 2021, GZ 1 R 148/21x‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00239.21I.0421.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger begehrten von der Beklagten Schadenersatz. Sie hätten die Beklagte mit der Renovierung ihres hölzernen Ferienhauses beauftragt. Im Zug dieser Arbeiten hätten deren Mitarbeiter dort einen Brand verursacht.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Den Klägern sei der Kausalitätsbeweis nicht gelungen.

[3] Die außerordentliche Revision der Kläger zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1.1. Bei einem Begehren auf Schadenersatz obliegt dem Geschädigten der Beweis für den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Eintritt des Schadens (RIS‑Justiz RS0022686 [T2]; RS0022664 [T4, T11]; RS0037797 [T27]). Eine Negativfeststellung in diesem Punkt geht daher zu seinen Lasten (RS0022686 [T]; RS0039903 [T5]).

[5] 1.2. Nach der von den Revisionswerbern angesprochenen Rechtsprechung zur Beweislastverteilung beim Verwahrungsvertrag mag im Hinblick auf die rechtliche Sonderbeziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem Anderes gelten (vgl 1 Ob 36/12v; RS0025726). Diese Rechtsprechung ist hier aber nicht einschlägig, weil die Beklagte als Werkunternehmerin, die lediglich mit bestimmten Sanierungsarbeiten an dem Haus beauftragt war, selbst nach dem Prozessstandpunkt der Kläger keine nebenvertraglichen Verwahrungspflichten übernommen hatte (vgl RS0008963).

[6] 1.3. Beweisnähe ist grundsätzlich kein Grund für eine Umkehr dieser objektiven Beweislast (RS0037797 [T49]; RS0039939 [T35]; RS0040182 [T10]; RS0039895 [T2]).

[7] Nach Teilen der Rechtsprechung kommt eine Verschiebung der Beweislast aufgrund der „Nähe zum Beweis“ allerdings ausnahmsweise dann in Betracht, wenn Tatfragen zu klären sind, die „tief in die Sphäre einer Partei hineinführen“ (RS0037797 [T25, T26, T47]; RS0039939 [T32]; RS0040182 [T8]; RS0013491 [T1]; RS0121528 [T1]; vgl aber 4 Ob 115/17s). Voraussetzung dafür ist, dass derjenige, den nach der allgemeinen Regel die Beweislast trifft, seiner Beweispflicht im zumutbaren Ausmaß nachkommt (RS0121528 [T2]; RS0013491 [T4]) und für ihn mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten bestehen, während der anderen Partei diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihr nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben (RS0037797 [T24, T48]; RS0039939 [T33]; RS0040182 [T5, T9]). Allein durch einen Beweisnotstand wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls wäre eine Verschiebung der Beweislast aber nicht gerechtfertigt (RS0037797 [T48]; RS0039939 [T31, T33]; RS0040182 [T9, T12, T13]).

[8] Ob eine solche Beweiserleichterung eingreift und wie weit sie gegebenenfalls reicht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (4 Ob 199/10h).

[9] 1.4. Eine weitere Beweiserleichterung ermöglicht der Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis ist die Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht (RS0040274). Die zu beweisende Tatsache muss sich also aus anderen feststehenden Tatsachen ergeben (RS0040274 [T1]). Der Kausalzusammenhang kann Gegenstand eines solchen Anscheinsbeweises sein (RS0022664 [T6, T18]; RS0023778).

[10] Der Anscheinsbeweis ist nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RS0040287). Der Erfahrungssatz muss sich aus einem gleichmäßigen, sich immer wiederholenden Hergang ergeben („typischer Geschehensablauf“), dem neuesten Stand der Erfahrungen entsprechen sowie eindeutig und in jederzeit überprüfbarer Weise formuliert werden können (RS0040287 [T8]; RS0040266 [T21]). Er kommt dort nicht zur Anwendung, wo der Kausalablauf durch einen individuellen freien Willensentschluss eines Menschen bestimmt werden kann (RS0040288). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, erlaubt die Anwendung des Anscheinsbeweises nicht (RS0040287 [T5]; RS0040288 [T3]).

[11] Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RS0040266). Fehlt es an der Typizität eines Geschehensablaufs, ist ein Anscheinsbeweis nicht zulässig (RS0040287 [T3]). Besteht diese Typizität, ist der Kausalzusammenhang als erwiesen anzunehmen, wenn nicht der Schädiger diesen prima facie‑Beweis dadurch erschüttert, dass er eine ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeit einer anderen Ursache oder eines anderen Ablaufs dartut (RS0022664 [T6]). Hat der Beklagte diese Möglichkeit dargetan, dann muss der Beweisführer die gesetzlich geforderten Tatbestandsmerkmale streng beweisen (RS0022664 [T7]). Dabei ist das Regelbeweismaß der ZPO, somit die hohe Wahrscheinlichkeit (vgl RS0110701) anzuwenden.

[12] Ob der Anscheinsbeweis zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, ist zwar eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RS0022624; RS0022549; RS0040196), deren Lösung im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle aber im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RS0022624 [T4, T5, T8]; RS0022549 [T3]; RS0040196 [T15]).

[13] Ob der an sich zulässige Anscheinsbeweis im konkreten Einzelfall tatsächlich erbracht wurde, fällt hingegen nicht in den Bereich der rechtlichen Beurteilung, sondern ist eine Frage der nicht revisiblen Beweiswürdigung (RS0022624 [T2, T3]).

[14] 2.1. Diese Rechtsprechungsgrundsätze zum Kausalitätsbeweis im allgemeinen Schadenersatzrecht gelten – entgegen der Auffassung der Revisionswerber – auch im Fall von Brandschäden. Der Umstand, dass ein gleichgelagerter (oder ähnlicher) Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sein mag, bedeutet noch nicht, dass eine Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen Bedeutung vorliegt (RS0110702; RS0107773; RS0102181). Das gilt insbesondere, wenn – wie hier – der Streitfall bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann und vom Berufungsgericht auch so gelöst wurde (RS0107773 [T3]; RS0042742 [T13]; RS0042656 [T48]).

[15] 2.2. Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen waren am Tag des Brandes nur zwei Mitarbeiter der Beklagten vor Ort, die an diesem Tag an der Außenseite des Ferienhauses im Bereich des Balkons arbeiteten. Nach Arbeitsschluss betraten die Mitarbeiter der Beklagten zwar das Haus, um Arbeitsgeräte im Schlafraum zu deponieren und die Kabelrolle im WC auszustecken. Die Brandausbruchsstelle befand sich aber in der Küche im Bereich eines Kochfeldes, somit nicht im räumlichen Nahebereich zu den Verrichtungen der Mitarbeiter der Beklagten. Die Brandursache konnte das Erstgericht nicht feststellen. Anhaltspunkte dafür, dass die Mitarbeiter der Beklagten ein Verhalten setzten, das zum Ausbruch des Brandes und zur Verursachung des Schadens führen hätte können, lassen sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen.

[16] 2.3. Vor diesem Hintergrund begründet es keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, wenn es den den Klägern obliegenden Kausalitätsnachweis als nicht erbracht ansah.

[17] Es steht nicht fest, was den Brand ausgelöst und damit den Schaden verursacht hat. Das Erstgericht traf dazu eine ausdrückliche Negativfeststellung. Ihren Verdacht, der Brand sei auf ein bewusstes oder unbewusstes Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten zurückzuführen, können die Kläger lediglich damit begründen, dass nur diese Mitarbeiter bis kurz vor dem Entdecken des Brandes vor Ort waren. Zwischen der bloßen Anwesenheit der Mitarbeiter der Beklagten und dem Brandgeschehen besteht aber keine formelhafte, von einem individuellen freien Willensentschluss eines Menschen unabhängige Verknüpfung im Sinn eines typischen Geschehensablaufs. Nur aus deren alleiniger Anwesenheit unmittelbar vor dem Entstehen eines Brandes lässt sich noch nicht – auch nicht prima facie – auf ein Fehlverhalten der Mitarbeiter der Beklagten schließen. Entgegen der unter Berufung auf das bei der Brandermittlung angewandte Eliminationsverfahren aufgestellten Behauptung der Kläger steht insbesondere nicht fest, dass nur noch Handlungen der Mitarbeiter der Beklagten als mögliche Brandursachen in Frage kommen und daher sämtliche möglichen Schadensursachen in den Verantwortungsbereich der Beklagten fallen. Dem festgestellten Sachverhalt (und den beweiswürdigenden Ausführungen der Vorinstanzen dazu) ist nicht zu entnehmen, dass sämtliche nicht auf ein Verhalten der Beklagten zurückgehenden Brandursachen, also sowohl Einwirkungen von dritter Seite als auch „naturwissenschaftliche“ Vorgänge auszuschließen seien.

[18] Nach dieser Sachlage ist die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die für die Annahme der Typizität eines Geschehensablaufs notwendigen Sachverhaltselemente nicht feststehen und der Anscheinsbeweis daher nicht zulässig ist, nicht zu beanstanden.

[19] Der Umstand, dass Mitarbeiter der Beklagten in zeitlicher Nähe zum Ausbruch des Brandes vor Ort waren, begründet auch keine solche „Nähe zum Beweis“, die im Sinn der aufgezeigten Rechtsprechung ausnahmsweise eine Beweislastverschiebung rechtfertigen könnte. Die Brandausbruchsstelle befand sich nicht im räumlichen Nahebereich zu den von der Beklagten an diesem Tag erbrachten Werkleistungen. Indizien dafür, dass diese Werkleistungen der Beklagten in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Brand stünden, gibt es nicht; dies wurde auch gar nicht behauptet. Der Brand ereignete sich insofern nicht „tief in der Sphäre“ der Beklagten. Weshalb die Beklagte Kenntnis von den Tatumständen haben und es ihr leicht möglich sein soll, die Brandursache und den Kausalverlauf unter Beweis zu stellen, ist daher nicht nachvollziehbar.

[20] 2.4. Haben die Vorinstanzen die Beweislastverteilung und das anzuwendende Beweismaß – wie hier – nicht verkannt, gehört die Bejahung oder Verneinung des den Schadenersatzanspruch begründenden natürlichen Kausalzusammenhangs dem Tatsachenbereich an. Als solche ist sie der Beurteilung durch das Revisionsgericht entzogen (RS0043473; RS0023778 [T3]).

[21] 3. Da es somit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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