OGH 14Os88/16x

OGH14Os88/16x29.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. November 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Krenn, LL.M. (WU), als Schriftführerin in der Strafsache gegen Alois P***** wegen der Verbrechen nach § 3g VerbotsG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Geschworenengericht vom 16. Juni 2016, GZ 11 Hv 127/15p‑49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00088.16X.1129.000

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil und der diesem zugrunde liegende Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage II sowie zu den Zusatzfragen I und III, nicht aber der Wahrspruch zur Hauptfrage I nach Verbrechen nach § 3g VerbotsG, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht des Landesgerichts Wels verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die auf seine erfolglose Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alois P***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen jeweils mehrerer Verbrechen nach § 3g VerbotsG (I) und Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 2015/112 (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in N***** und an anderen Orten Österreichs

(I) sich bis zum 10. März 2014 auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt, indem er auf seinem Profil im Internetforum „www.vk.com

1) direkt unter seinem Namen den Wortlaut „Heil Hitler“ anführte und seine Zugehörigkeit zu den dort möglichen User-Gruppen „Aryan Girls“, „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, „Arischen Reich“, „6. SS-Panzer-Division Totenkopf“, „(Hakenkreuzsymbol) Arische-slavische Rasse (Hakenkreuzsymbol)“ und „Die Armee des Dritten Reiches“ kundtat;

2) zahlreiche, im Urteil im Einzelnen beschriebene, vorwiegend das Hakenkreuzsymbol, Hakenkreuz- und Reichskriegsflaggen sowie das SS‑Totenkopfabzeichen im Kontext mit diversen NS-Parolen darstellende Lichtbilder zur Schau stellte;

3) ein Video, zeigend die Erschießung zweier unbekannter männlicher Personen durch „offenkundig russische Neonazis“, wobei anlässlich der Erschießung auch eine Hakenkreuzfahne zu sehen ist, veröffentlichte;

4) im Rahmen seines „VK-Chats“ mit einer „bislang unbekannten, vermutlich russischen VK-Userin“, nachstehende Äußerungen tätigte, und zwar:

a) am 30. Oktober 2012 die Äußerungen „Ja das gefällt mir von deutschen nazis habe ich Bilder wo sie juden quälen“, „Ich habe sie die geschickt würdest du dir eine BDM Uniform kaufen die sind so hübsch“, „Cool kann ich ein foto haben davon mir gefallen solchen uniformen ist auch ein Hackenkreuz darauf“, „Ja da hast du recht, mir gefällt nähmlich was die nazis mit ihnen gemacht haben vielleicht können wir ja in so ein land fahren und ein Paar von dieser scheisse umbringen das würde ja nicht einmal auffallen“, „ich finde es toll das du dieser ansicht bist und vielleicht können wir uns ja gemeinsam Mein Kampf von hitler kaufen“, „Ja ich habe mir jetzt eine online ausgabe gefunden wenn internetwieder richtig funktionierrt werde ich es mir genau durch lesen... Ja der Holocaust war eine Erfindung von Hollywood und den juden“, „Ich gehe jetzt ins bett und ich hoffe das ich die bilder mit der uniform bald bekomme, freue mich schon darauf ... heil hitler“, „Sehr gut ... PS: wir können unsere E-Mails mit heil hitler und 88 abkürzen“, „Oh danke was für eine Ehre für mich! ... Ich weis ein sprich Wort der deutsche grüßt heil hitler ich würde es nur bei mir machen es würde mich freuen! und nicht in der öffentlichkeit ok“, „88 bedeutet heil hitler“, „Gefällt dir auch das Hackenkreuz´? ... Gute nacht ich schreibe dir morgen wieder“, „und danke auch dir eine gute nacht und 88“,

b) am 31. Oktober 2012 die Äußerungen: „heil hitler guten morgen ich wünsche dir einen schönen Tag“, „Betreff: 88 ... ja da hast du recht ich werde dir noch Fotos von gequälten Juden suchen und schicken ok wenn ich zuhause bin“, „ich fahre mit meinen eltern auf einen Kaffee und ich habe schon tolle bilder aus Auschwitz und Litauen gefunden von diesen Drecks juden! Nur ein Toter Jude ist ein Guter Jude“, „hast du auch Freunde die der Gleichen meinung sind wir könnten ja mal eine Nazi Party machen“, „ja wir sind verbündet und sehr gute Freunde wenn wir uns besser kennen können wir ja mal eine Party machen ich versuche das ich eine SSUniform bekomme und zu deiner Adresse schicke falls sie kontrolliert wird die Fracht kannst du sagen das du mich nicht kennst!“, „... ich wäre auch in die Gaskammer gekommen wegen meiner Behinderung, ich wurde mir einen Diktator wünschen der die behinderten in ruhe lässt und nur juden und neger verfolgt weil wenn es nie nicht mehr gibt mehr für Behinderte geld da wäre“, „ich hoffe du magst auch diese bilder Rassismus ist sehr lustig und muss aufrecht gehalten werden heil hitler“, „ja würdest du mich umbringen weil ich diese behinderung habe, ich bin geistig voll da und ich würde sehr gut in der verwaltung arbeiten 88“, „Euthanasie ist für geistig behinderte, Binde und Taubstumme sicher eine Gute lösung aber auch für Psychisch kranke“,

c) am 1. November 2012 die Äußerung: „es ist für mich unerwartet. weiss nicht was zu sagen ... mein Lieblings Namen sind Adolf, Alois (Führers Vatersname) und Jürgen und Fritz und viele mehr. niemanden wie mich nicht töten, außer den Untermenschen“.

(II) für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen eine „Kirche, Religionsgemeinschaft,“ eine andere nach den Kriterien der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe von Personen, „gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe“ gehetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen gesucht, in dem er auf seinem VK‑Profil Bilder nachgenannten Inhalts postete:

1) am 8. Oktober 2013 ein Lichtbild zeigend ein Radioaktivitätszeichen, versehen mit den Worten „take action and kill niggers“,

2) am 21. November 2013 ein Lichtbild, zeigend mehrere blonde, teils uniformierte Damen, welche einen Schwarzafrikaner erniedrigen,

3) am 13. Dezember 2013 ein Lichtbild zeigend einen durchgestrichenen Davidsstern,

4) am 6. Jänner 2014 ein Lichtbild zeigend den Schriftzug „Juden sind hier unerwünscht“,

5) am 23. Februar 2014 ein Lichtbild zeigend eine schwarze und eine weiße Person, versehen mit dem Schriftzug „racial mixing ... do you want to vomit? Or do you want to cry? ... hat about to kill?“,

6) am 7. November 2013 ein Lichtbild zeigend einen entstellt dargestellten Angehörigen der jüdischen Religion, welcher von einem Soldatenstiefel, der mit einem Keltenkreuz versehen ist und den Schriftzug trägt „Go to hell jewish parasite“, getreten wird.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus § 345 Abs 1 Z 6, 8, 11 lit a und 12 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Fragenrüge (Z 6) erblickt unter Hinweis auf die Entscheidung 15 Os 20/06i eine Verletzung von § 312 StPO deutlich und bestimmt nur darin, dass in der Hauptfrage I ein (zumindest bedingter) Vorsatz des Inhalts, „durch die Betätigungshandlung die demokratische Ordnung der Republik Österreich zu gefährden“, nicht ausdrücklich aufgenommen wurde. Sie übersieht, dass der bedingte Vorsatz (§ 5 Abs 1 zweiter Halbsatz StGB) durch § 7 Abs 1 StGB (der gemäß Art I des Strafrechtsanpassungsgesetzes, BGBl 1974/422, auch auf im gerichtlichen Nebenstrafrecht enthaltene Verbrechenstatbestände wie § 3g VerbotsG anzuwenden ist) subintelligiert wird (RIS‑Justiz RS0089089; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 33; Schindler, WK‑StPO § 312 Rz 61). Eine dem Text des § 3g VerbotsG entsprechende Formulierung der Hauptfrage bringt daher unmissverständlich die erforderliche subjektive Tatseite zum Ausdruck (RIS‑Justiz RS0113270 [vor allem T1]). Mit bloß eigenständigen Sachverhaltsbehauptungen (einer nichtöffentlichen Agitation) lässt die Beschwerde auch nicht erkennen, aufgrund welcher Verfahrensergebnisse welche Änderung der Fragestellung an die Geschworenen indiziert gewesen sein soll (RIS‑Justiz RS0100860).

Weshalb die – an der hier relevanten Vorsatzform des § 5 Abs 1 StGB orientierte (RIS-Justiz RS0100721 [T11, T16, T28]) – Rechtsbelehrung (ON 46 S 5, 12) mangelhaft geblieben sein sollte, legt die Instruktionsrüge (Z 8) nicht deutlich und bestimmt dar, indem sie pauschal eine „unrichtige, unvollständige und zu Missverständnissen verleitende“ Rechtsbelehrung über die „Bedeutung der inneren Tatseite und die damit verbundenen Erfordernisse“ behauptet und unter erneutem Hinweis auf die (anders gelagerte) Entscheidung 15 Os 20/06i eine intensivere Aufklärung der Geschworenen über die „Relevanz der inneren Tatseite“ vermisst.

Sie orientiert sich damit nicht an den Anfechtungskategorien des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0119549).

Im Übrigen wurde der Begriff der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn in der den Geschworenen erteilten Rechtsbelehrung durch eine zutreffende Darstellung der diesbezüglichen Zielsetzungen erläutert, dabei – aus dem Blickwinkel eines maßgerechten Laienrichters (Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 58) – zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, dass deren Annahme eine entsprechende, gegen die demokratische Ordnung der Republik Österreich gerichtete propagandistische Wirkung voraussetzt (vgl Lässig in WK² VerbotsG § 3g Rz 4 ff; ON 46 S 7, 9 ff), und gleichfalls unmissverständlich klargestellt, dass das normative Tatbestandsmerkmal der nationalsozialistischen Wiederbetätigung vom Tätervorsatz umfasst sein muss (ON 46 S 12).

Mit dem nicht näher konkretisierten Einwand, „den Geschworenen wurde die Relevanz der einzelnen Fragen zueinander nicht ausreichend erklärt“, verfehlt die Rüge (Z 8) erneut die Ausrichtung am Verfahrensrecht. Zudem übergeht sie, dass durch die Reihenfolge der an die Geschworenen gestellten Fragen (§ 317 StPO) und die dem Frageschema in Klammern beigefügten Erläuterungen, in welchen Fällen die jeweilige Frage zu beantworten ist (ON 44), eine klare Richtlinie für die sachgerechte und vollständige Fragebeantwortung gegeben wurde (RIS‑Justiz RS0100936, RS0100806; Philipp, WK‑StPO § 321 Rz 24). Eine (allfällige) Unrichtigkeit der den Laienrichtern gemäß § 321 Abs 2 StPO ebenfalls zu vermittelnden Klarlegung der Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder einzelnen Frage (vgl insofern ON 46 S 23 unten) macht sie nicht geltend.

Indem sie im Folgenden

Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung aus dem Umstand, dass der Schwurgerichtshof zunächst die Durchführung eines Moniturverfahrens (§ 332 Abs 4 StPO) für notwendig erachtete (ON 43 S 28), sowie aus der (im Zuge dessen ergänzten) Niederschrift der Geschworenen abzuleiten versucht, verfehlt sie den Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0100947; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 58).

Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) bestreitet die Tatbestandsmäßigkeit des dem Angeklagten angelasteten Verhaltens (im Sinn des § 3g VerbotsG) mit der Begründung, dem Wahrspruch der Geschworenen sei dessen Eignung, irgendwelche Zielsetzungen des Nationalsozialismus im Inland oder zumindest mit Auswirkung auf die Republik Österreich zu propagieren und solcherart zu aktualisieren, demnach ein den Taten innewohnender propagandistischer Effekt, nicht zu entnehmen.

Soweit sie die im Wahrspruch getroffenen Feststellungen um urteilsfremde und spekulative eigene Thesen (nach denen die Internetplattform VK „in Österreich nicht genutzt wird und auch nicht bekannt ist“ und der „Meinungsaustausch“ zwischen dem Angeklagten und einer „polnischen bzw russischen Bekannten“ [Schuldspruch zu I/4] privat und „nicht öffentlich einsehbar“ war) erweitert, verfehlt sie den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0101089). Aus welchem Grund der hier aktuellen, an einen deutschsprachigen Adressatenkreis gerichteten (mit entsprechendem Vorsatz erfolgten) Veröffentlichung nationalsozialistischer Symbole und Parolen im Internet, sohin einem nach außen in Erscheinung getretenen und für die Außenwelt wahrnehmbaren Täterverhalten, nicht die Eignung zukommen sollte, eine von § 3g VerbotsG vorausgesetzte propagandistische Wirkung auch in Österreich zu entfalten, oder es insoweit auf die Staatsbürgerschaft des unmittelbaren Kommunikationspartners ankommen sollte, erklärt sie nicht (vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0079825).

Mit dem Hinweis auf eine – auf der Sachverhaltsebene anders gelagerte – Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (erneut 15 Os 20/06i) und den Rechtssatz zu RIS-Justiz RS0079817, dem gleichfalls nichts für den Prozessstandpunkt des Beschwerdeführers zu entnehmen ist, wird die angestrebte rechtliche Konsequenz nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz abgeleitet (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588).

Bleibt anzumerken, dass das Verbrechen nach §

 3g VerbotsG als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert ist und demnach weder den Eintritt des tätergewollten Erfolgs noch eine konkrete oder auch nur potentielle Gefährdung voraussetzt, weil diese vom Gesetzgeber generell präsumiert wird (Lässig in WK² VerbotsG §

 3g Rz 8 mwN; erneut RIS‑Justiz RS0079825, RS0079913; Fuchs,AT9 10 Rz 43 f). Ausgehend vom Gesetzeswortlaut bedarf es für die vorgenommene Subsumtion (anders als bei §§ 3d und 3h VerbotsG) ebensowenig einer qualifizierten

Publizitätswirkung.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 zweiter Satz StPO).

Eines Eingehens auf das Beschwerdevorbringen zum Schuldspruch II bedurfte es nicht, weil sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde davon überzeugte, dass dem Urteil insoweit nicht geltend gemachte Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 11 lit a) zum Nachteil des Beschwerdeführers anhaften, die von Amts wegen wahrzunehmen waren (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 344 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616):

Nach § 283 Abs 2 StGB in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung handelte tatbildlich, wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen eine der im Abs 1 bezeichneten Gruppen hetzte oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpfte und dadurch v erächtlich zu machen suchte.

Geschützt waren nach dieser Gesetzesstelle demnach generell nur die in Abs 1 bezeichneten Gruppen, nicht auch Kirchen, Religionsgesellschaften oder Einzelpersonen (insoweit anders dagegen § 283 Abs 1 Z 1 StGB idgF, vgl EBRV 689 BlgNR 25. GP  41). Das Ziel des Angriffs musste die Gruppe in ihrer Gesamtheit sein; ein einzelner Angehöriger der Gruppe kam nur dann als Angriffsobjekt in Frage, sofern er nicht allein in seiner Individualität, sondern als Repräsentant der Gruppe (und damit diese selbst) getroffen werden sollte (Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 18).

Ungeachtet der den Geschworenen in diesem Sinn erteilten Rechtsbelehrung (ON 46 S 14) wurden vorliegend in der – auf die Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 2015/112 gerichteten – Hauptfrage II (wie auch schon im Anklagetenor; ON 26 S 6) undifferenziert auch Kirchen, Religionsgemeinschaften und Einzelpersonen als Ziel der Angriffe des Angeklagten genannt, und diese Frage von den Geschworenen (ohne Streichungen) bejaht

. Den solcherart im Wahrspruch getroffenen Feststellungen ist demzufolge nicht zu entnehmen, ob die Geschworenen in tatsächlicher Hinsicht davon ausgingen, dass sich die inkriminierten Tathandlungen gegen eine der in Abs 1 des § 283 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 genannten Gruppen richteten, womit

das Urteil keine

tragfähige

Sachverhaltsgrundlage für einen Schuldspruch wegen Verhetzung enthält.

Die unreflektierte Übernahme des mangelhaft gebliebenen Anklagesatzes hat weiters zur Folge, dass die im Wahrspruch zur Hauptfrage II getroffenen Konstatierungen für den – angesichts der mit 1. Jänner 2016 in Kraft getretenen Neuformulierung der Bestimmung des § 283 StGB mit BGBl I 2015/122 anzustellenden – Günstigkeitsvergleich (§ 61 StGB) nicht ausreichen (vgl zum Anknüpfungspunkt des Günstigkeitsvergleichs RIS-Justiz RS0112939 [va T4], zum Bezugspunkt materieller Nichtigkeit im Geschworenenverfahren Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 613).

Die Beurteilung, welches Strafgesetz günstiger ist, richtet sich zwar in erster Linie, aber nicht nur nach der angedrohten Strafe. Sie schließt jedoch nicht aus, dass ein neues Gesetz mit einer höheren Strafdrohung zur Anwendung kommt, weil es im Hinblick auf andere Auswirkungen den Täter doch nicht ungünstiger stellt als das Tatzeitrecht. Diesbezüglich sind vor den Unrechtsfolgen noch alle maßgeblichen Bestimmungen über Entfall, Einschränkung oder Erweiterung der Strafbarkeit zu berücksichtigen ( Höpfel in WK² StGB § 61 Rz 13).

Wie bereits dargelegt pönalisierte § 283 Abs 2 StGB in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung ausschließlich für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbares (vgl dazu Plöchl in WK² StGB § 283 Rz 13 mwN [Richtwert von etwa 150 Personen]) Verhalten, wobei hinsichtlich beider der dort genannten, rechtlich gleichwertigen Begehungsweisen (alternatives Mischdelikt) bedingter Vorsatz genügte. Die Strafdrohung betrug bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe.

Die seit 1. Jänner 2016, somit zum Urteilszeitpunkt in Geltung stehende Bestimmung des § 283 StGB idF BGBl I 2015/112 enthält in Abs 1 Z 1 und 2 nunmehr drei Tatbestandsvarianten, nämlich Auffordern zu Gewalt sowie (dem „Hetzen“ nach § 283 Abs 2 StGB aF entsprechendes; vgl EBRV 689 BlgNR 25. GP  41) Aufstacheln zu Hass (Z 1) und das Beschimpfen einer der in Z 1 bezeichneten Gruppen in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen (Z 2). Das Öffentlichkeitserfordernis wurde insoweit signifikant herabgesetzt, als es nunmehr generell genügt, wenn die Tat öffentlich (vgl dazu Jerabek in WK² StGB § 69 Rz 1 f [Richtwert von etwa zehn Personen]) auf eine Weise begangen wird, dass sie vielen Menschen (zum Begriff „viele Menschen“: Murschetz in WK² StGB § 169 Rz 13 [Richtwert von 30 Personen]) zugänglich wird. Die Begehung einer der in Abs 1 beschriebenen Taten derart, dass die Handlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, führt zur Annahme der in Abs 2 normierten Qualifikation, der eine Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Als „Korrektiv“ wurde (nur) in Betreff der Beschimpfung (Abs 1 Z 2)

das Erfordernis der

qualifizierten Vorsatzform der Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB) eingefügt (vgl erneut EBRV 689 BlgNR 25. GP  41). Die beiden, damit rechtlich ungleichartigen Begehungsweisen des Abs 1 Z 1 und Z 2 bilden nunmehr im Verhältnis zueinander ein kumulatives Mischdelikt.

Ausgehend von den oben dargelegten Grundsätzen ist Voraussetzung für die Beurteilung vor dem 1. Jänner 2016 gesetzten Täterverhaltens als Vergehen der Verhetzung nach § 283 StGB demnach in allen Begehungsvarianten Wahrnehmbarkeit der Handlung für eine breite Öffentlichkeit, weil bei Fehlen dieses in § 283 Abs 1 und Abs 2 StGB idF vor BGBl I 2015/112 enthaltenen Tatbestandsmerkmals – zufolge der damit verbundenen Konsequenz eines Freispruchs – Tatzeitrecht für den Angeklagten günstiger wäre. In der Begehungsvariante der Beschimpfung wäre umgekehrt bei Nichterweisbarkeit einer auf die Verletzung der Menschenwürde gerichteten Täterabsicht schon der Grundtatbestand nach § 283 Abs 1 Z 2 StGB idgF nicht erfüllt, demnach dieses Strafgesetz in seiner Gesamtauswirkung das günstigere.

Bei Vorliegen sämtlicher der nach alter und neuer Rechtslage erforderlichen Tatbestandsmerkmale wäre die Tat schließlich – aufgrund der gegenüber der aktuellen Rechtslage geringeren Strafdrohung (zwei Jahre statt drei Jahre Freiheitsstrafe) – § 283 StGB idF vor BGBl I 2015/112 zu subsumieren.

In die Hauptfrage II wurde zwar die Wahrnehmbarkeit der dem Angeklagten angelasteten Handlungen für eine breite Öffentlichkeit, nicht aber die qualifizierte Vorsatzform der Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB) aufgenommen und demnach auch von den Geschworenen nicht bejaht. Die im Wahrspruch getroffenen Feststellungen, nach denen der Beschwerdeführer durch die zu II/1 bis 6 näher beschriebenen Handlungen gegen „eine Kirche, Religionsgemeinschaft“, andere von § 283 StGB geschützte Gruppen „oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen dessen Gruppenzugehörigkeit“ hetzte oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpfte und dadurch verächtlich zu machen suchte, lassen nicht erkennen, welche Tatvariante die Geschworenen durch die einzelnen inkriminierten Handlungen als verwirklicht ansahen. Solcherart wahldeutige Feststellungen sind unter dem Gesichtspunkt materieller Nichtigkeit nur dann unbedenklich, wenn jede der Alternativen zum gleichen rechtlichen Schluss führt, also die selbe strafbare Handlung begründet, wovon auch bei einem alternativen Mischdelikt (wie § 283 Abs 2 idF vor BGBl I 2015/112) auszugehen ist (vgl RIS‑Justiz RS0098710; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 573; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 23). Dies ist aber nach dem Vorgesagten mit Blick auf die Konzeption der Bestimmung des § 283 Abs 1 Z 1 und 2 StGB idgF als kumulatives Mischdelikt und den aufgezeigten divergierenden Vorsatzerfordernissen hier gerade nicht der Fall.

Von der solcherart bewirkten Nichtigkeit (Z 11 lit a) sind zwar unmittelbar nur der Schuldspruch II einschließlich des diesem zu Grunde liegenden Wahrspruchs der Geschworenen zur Hauptfrage II sowie zu den Zusatzfragen I und III (nach Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB und zu den Voraussetzungen des § 21 Abs 2 StGB [vgl dazu gleich unten]), soweit sich diese auf die Hauptfrage II bezogen, betroffen, nicht aber der Wahrspruch zur Hauptfrage I und – isoliert betrachtet – die dazu gestellten (im ersten Rechtsgang verneinten) Teile der Zusatzfragen I und III. Letztere stehen jedoch mit Blick auf den Tatzeitraum zum Schuldspruch I („von einem unbekannten Zeitpunkt bis 10. März 2014“) für den Fall der (erneuten) Bejahung des Vorwurfs zwischen 8. Oktober 2013 und 23. Februar 2014 begangener Verhetzung und Verneinung diesbezüglicher Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten im zweiten Rechtsgang in einem derartig engen beweismäßigen Zusammenhang, dass im Interesse einer umfassenden Beweiswürdigung im erneuerten Verfahren eine insoweit nur teilweise Aufhebung (§ 349 Abs 2 StPO) nicht tunlich erscheint (vgl Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 3). Von der Beantwortung der Zusatzfrage I ist wiederum der Schuldspruch I wegen Verbrechen nach § 3g VerbotsG abhängig.

Demgemäß erfordern die aufgezeigten Rechtsfehler die Aufhebung des Urteils zur Gänze sowie des Wahrspruchs der Geschworenen zur Hauptfrage II und zu den Zusatzfragen I und III (gleichfalls zur Gänze), nicht aber des von der Nichtigkeit nicht betroffenen Wahrspruchs zur Hauptfrage I (erneut § 349 Abs 2 StPO), bereits bei der nichtöffentlichen Beratung und – weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat – insoweit die Verweisung der Sache an das Geschworenengericht des Landesgerichts Wels zur nochmaligen Verhandlung (§§ 285e, 344 StPO).

Im zweiten Rechtsgang wird der von der Aufhebung nicht betroffene Wahrspruch – also die Bejahung der Hauptfrage nach Verbrechen nach § 3g VerbotsG (Hauptfrage I) – der Entscheidung mit zugrunde zu legen sein (erneut § 349 Abs 2 StPO).

Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer Berufung auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

Zur Vermeidung von Fehlern im zweiten Rechtsgang bleibt anzumerken:

1. Die Pflicht zu anklagekonformen Hauptfragen beinhaltet keineswegs eine solche zu deren unkritischer Übernahme aus dem Anklagesatz (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) ohne Ergänzung um für die vom Ankläger angestrebte Subsumtion erforderliche Sachverhaltselemente (RIS‑Justiz RS0123131; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 47 ff).

Den Geschworenen wird daher eine anklagekonforme Hauptfrage in Richtung § 283 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 2015/112 zu stellen sein, welche diese in die Lage versetzt, die dem Angeklagten vorgeworfenen Tathandlungen bei Bejahung konkret einer der beiden Tatvarianten des Abs 2 dieser Bestimmung zu unterstellen. Darüber hinaus ist die Tatvariante des Beschimpfens um die Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, zu ergänzen (ebenso wie die Rechtsbelehrung zu diesem zusätzlichen Tatbestandsmerkmal), um den Geschworenen die Möglichkeit einzuräumen, diese qualifizierte Vorsatzform zu bejahen oder zu verneinen. Denn nur so sind Schwurgerichtshof und nachfolgend Oberster Gerichtshof – ausgehend von der alleine den Geschworenen überlassenen Beantwortung der Schuldfrage – in der Lage, den nach Maßgabe des § 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleich vorzunehmen und die Rechtsfrage zu beantworten, ob der Wahrspruch der Geschworenen die materiell‑rechtlichen Kategorien des Strafrechts, denen subsumiert werden soll, zu tragen vermag (vgl zum Erfordernis der Aufnahme von Elementen ausländischen Rechts zur Beurteilung der Anwendbarkeit von § 65 StGB: RIS-Justiz RS0121837).

2. Die Stellung einer Eventualfrage in Richtung des erst mit dem Strafrechtsänderungsgesetzes 2015 und damit nach den inkriminierten Tathandlungen – ohne entsprechende Vorgängerbestimmung – neu geschaffenen Abs 4 des § 283 StGB wird wegen des Rückwirkungsverbots nach §§ 1, 61 StGB zu unterbleiben haben.

3. Im geschworenengerichtlichen Verfahren hat über die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 oder 2 StGB der Schwurgerichtshof gemeinsam mit den Geschworenen zu entscheiden, sodass im weiteren Verfahren eine dahingehende Fragestellung im Sinn der §§ 310 ff StPO nicht in Betracht kommt (vgl §§ 338, 432 StPO; RIS‑Justiz RS0089955; 14 Os 23/01; Philipp, WK-StPO § 338 Rz 3).

4. Im Fall eines neuerlichen Konfiskationsausspruchs von zum Entscheidungszeitpunkt im Alleineigentum des Angeklagten stehenden Datenträgern werden zur Vermeidung von Nichtigkeit (§ 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO) ausreichende Feststellungen im Sinn des § 19a Abs 1 StGB, insbesondere dazu, ob der Angeklagte diese zur Begehung einer vorsätzlichen Straftat verwendet, sie dazu bestimmt oder hiedurch hervorgebracht hat, zu treffen und wird darüber hinaus eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Abs 2 der Bestimmung vorzunehmen sein.

Die – die amtswegige Maßnahme nicht erfassende ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 12) – Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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