OGH 9Ob42/04y

OGH9Ob42/04y15.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, Prinz‑Eugen‑Straße 20‑22, 1041 Wien, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Jarolim Singer Specht Rechtsanwälte GmbH, Obere Donaustraße 63/3, 1020 Wien, wegen EUR 250 sA (Streitwert nach § 55 Abs 4 JN EUR 4.500), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 4. Dezember 2003, GZ 1 R 388/03k‑21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 28. März 2003, GZ 10 C 1255/02k‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2004:0090OB00042.04Y.0915.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Begründung:

 

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei Beförderungsverträgen und der analogen Anwendung der oberstgerichtlichen Überlegungen zum Pauschalreisevertrag höchstgerichtliche Judikatur fehle und es sich vor allem im Hinblick auf die beispielhafte Wirkung für andere Flugreisen um eine erhebliche Rechtsfrage handle.

Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ist hier keine derartige Rechtsfrage zu lösen. Auch die Revisionswerberin, die sich der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichtes anschließt, zeigt in ihrer Revision keine auf. Dem gegenüber bestreitet die Revisionsgegnerin ausdrücklich das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragt die Zurückweisung der unzulässigen Revision.

Das Revisionsgericht ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Der Klage liegt die Buchung eines Fluges bei der Beklagten vom 5. 9. 2001 für den 15. 10. 2001 sowie eines Rückfluges für den 1. 11. 2001 auf der Route Wien‑Miami‑Wien zugrunde. Dabei wäre die Teilstrecke Washington‑Miami mit U***** Airlines als Flugpartnerin der Beklagten geflogen worden. Infolge der Terrorschläge vom "11. September" (2001) in den USA, die zu einer vorübergehenden Einstellung des Flugverkehrs bis 15. 9. 2001 geführt hatten, stornierte der in der Klage näher bezeichnete Fluggast am 27. 9. 2001 die für sich und seine zukünftige Ehegattin gebuchten Flüge, buchte stattdessen einen Flug nach Thailand für denselben Termin und trat den Anspruch auf Rückzahlung der Stornogebühr von EUR 250 an die Klägerin ab.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Rückzahlung der Stornogebühr von EUR 250 sA ab. Nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 seien von der amerikanischen Luftraumbehörde die Sicherheitsvorkehrungen drastisch erhöht worden. So seien von den ausländischen Fluglinien verschiedene Maßnahmen wie händische Gepäckskontrolle, Anwesenheit von zwei bewaffneten Sicherheitsleuten an Bord und Durchsuchung der Flugkabine verlangt worden, um wieder am amerikanischen Flugverkehr teilnehmen zu können. Hundertprozentige Sicherheit hätte es aber weder vor noch nach dem 11. 9. 2001 gegeben. Der gegenständliche Fall sei nicht mit einer Pauschalreise vergleichbar, bei der ein ungestörter Urlaub Vertragsinhalt sei. Vereinzelte Terroranschläge, vor denen man auch im Heimatland nicht gefeit sei, gehörten zum allgemeinen Lebensrisiko. Nach dem 11. 9. 2001 sei keine spezielle Gefährdung der amerikanischen Zivilluftfahrt vorgelegen; die Terrordrohungen gegen die USA und amerikanische Einrichtungen seien nur allgemeiner Natur gewesen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Laut Oberstem Gerichtshof (8 Ob 99/99p; 1 Ob 257 01b) stellten eine nach Abschluss eines Pauschalreisevertrages auftretende Kriegsgefahr oder bürgerkriegsähnliche Zustände Fälle "höherer Gewalt" dar, die ein Rücktrittsrecht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage begründen können. Demgegenüber begründeten vereinzelte Anschläge, mögen sie auch terroristischer Natur sein, kein Rücktrittsrecht. Derartige Anschläge würden nur dann einen Rücktritt rechtfertigen, wenn sie eine solche Intensität erreichen, die unter Anlegung eines durchschnittlichen Maßstabes ("jedermann") als Konkretisierung einer unzumutbaren Gefahr auch künftiger Anschläge erscheinen müsse. Hier gehe es jedoch nicht um eine Pauschalreise, sondern um einen bloßen Personenbeförderungsvertrag. Gegenstand eines derartigen Vertrages sei lediglich die entgeltliche Beförderung einer Person von einem Ort zum anderen. Geschäftstypische Voraussetzung sei die vereinbarte Qualität der Transportleistung mit dem Ziel, sicher am Bestimmungsort anzukommen. Für den Fluggast habe sich die Sicherheitssituation nach dem 11. 9. 2001 nicht verschlechtert, sondern sogar verbessert. Es sei notorisch gewesen, dass die Sicherheitsvorkehrungen nach dem 11. 9. 2001 erheblich verschärft worden seien. Bei keiner Transportleistung könne eine hundertprozentige Sicherheitsgarantie gegeben werden. Dass Flugzeuge abstürzen, entführt werden oder als "Werkzeug" eines Anschlages benutzt werden, sei dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen. Allfällige weitere Terroranschläge seien im vorliegenden Fall so wenig konkretisiert gewesen, dass sie für einen durchschnittlichen Fluggast die Inanspruchnahme von Flugleistungen weder unerreichbar noch unzumutbar gemacht haben. Eine ausdrückliche Reisewarnung sei vom österreichischen Außenministerium nicht ausgegeben worden.

 

Rechtliche Beurteilung

Hiezu war Folgendes zu erwägen:

Die dem ABGB zu entnehmenden einzelnen Anhaltspunkte für die Berücksichtigung der Geschäftsgrundlage (vgl §§ 936, 1052 letzter Satz, 1170a, 947 f ABGB) rechtfertigen die Ableitung eines allgemeinen Rechtssatzes in der Richtung, dass eine Partei an das Geschäft nicht gebunden ist oder dessen Anpassung begehren kann, wenn eine Voraussetzung nicht zutrifft, die stets einem Geschäft von der Art des geschlossenen zugrundegelegt wird (RIS‑Justiz RS0017530, RS0017551 ua). In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 8 Ob 99/99p wurden die Grundsätze festgelegt, nach denen wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage der Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag ohne Zahlung einer Stornogebühr zulässig ist. Danach ist ein solcher Rücktritt möglich und sind alle vom Reiseteilnehmer bereits geleisteten Zahlungen zurückzuerstatten, wenn die Reise für den Kunden aus nach Vertragsabschluss sich ergebenden, weder von ihm noch vom Vertragspartner zu verantwortenden oder zu beeinflussenden Ereignissen unmöglich oder - was hier strittig ist - unzumutbar wird (1 Ob 257/0b; RIS‑Justiz RS0017498 ua).

Allgemein anerkannt ist, dass eine nach Vertragsschluss unerwartet auftretende akute Kriegsgefahr oder bei Vertragsschluss nicht voraussehbare bürgerkriegsähnliche Zustände Fälle "höherer Gewalt" sind, die einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bewirken können. Handelt es sich hingegen nur um vereinzelte Anschläge, mögen sie auch terroristischer Natur sein, steht in der Regel kein Rücktrittsrecht zu (1 Ob 257/01b; vgl Wukoschitz, RdW 1996, 399). Vereinzelte derartige Anschläge haben sich bereits in fast allen Ländern ereignet und gehören zu den allgemeinen Lebensrisiken, die jedermann auf sich nehmen muss und vor denen er auch in seinem Heimatland nicht gefeit ist. Dazu kommen gelegentliche Abstürze von Flugzeugen oder schwere Eisenbahnunfälle. Auch diese können in der Regel nicht zum Anlass genommen werden, eine nachfolgende Flug- oder Bahnreise wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu stornieren. Mit derartigen Unglücksfällen muss jedermann rechnen; will er jedes derartige Risiko vermeiden, darf er nicht verreisen (8 Ob 99/99p; Bläumauer, RdW 2001/360 ua).

Die zum Rücktritt berechtigende Unzumutbarkeit kann sich also nur aus einer konkreten Gefahrenlage ableiten. (Terror‑)Anschläge müssen, um zur Auflösung des Vertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu berechtigen (Zechner, Reiserecht Rz 343), eine Intensität erreichen, die unter Anlegung eines durchschnittlichen Maßstabes als Konkretisierung einer unzumutbaren Gefahr derartiger künftiger Anschläge erscheinen müsste. Dabei muss eine ex ante‑Betrachtung angestellt werden, und es ist zu fragen, wie ein durchschnittlicher, also weder ein besonders mutiger noch ein besonders ängstlicher Reisender die künftige Entwicklung an dem in Aussicht genommenen Reiseziel beurteilt hätte. Unerheblich ist die spätere reale Entwicklung der Ereignisse. Eine eindeutige Reisewarnung durch das Außenamt kann in der Regel als stornofreier Rücktrittsgrund gewertet werden. Eine derartige Warnung lag hier nicht vor, was allerdings noch kein zwingender Grund ist, eine erhebliche Gefährdung von vornherein abzulehnen (vgl Führich, Reiserecht4 § 651j BGB Rn 439a; ders, RRa 2003, 50 [56]).

Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kann sohin nach ständiger Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen als letztes Mittel herangezogen werden, um rechtsgeschäftliche Bindungen zu beseitigen (1 Ob 641/87; 8 Ob 99/99p; RIS‑Justiz RS0017454 ua). Luftbeförderungsverträge sind davon selbstverständlich nicht ausgenommen. Insbesondere können die für den Pauschalreisevertrag (Reiseveranstaltungsvertrag), bei dem es sich um einen mit einer Geschäftsbesorgung verbundenen Werkvertrag handelt (6 Ob 9/74 = SZ 47/13 ua; vgl § 31b KSchG), erarbeiteten Grundsätze auch beim Luftbeförderungsvertrag zum Tragen kommen. Auch dieser ist ein Werkvertrag; der vom Luftfrachtführer insoweit werkvertraglich geschuldete "Erfolg" besteht in dem durch den Transport bewirkten Ortswechsel. Der Fluggast hat Anspruch darauf, dass der Luftfrachtführer den Flug zum vereinbarten Zeitpunkt ausführt und die Beförderung bis zu dem vertraglich vorgesehenen Bestimmungsort sicher und pünktlich ist (Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag³ Rz 3, 145; vgl 2 Ob 385/58 = SZ 31/129; RIS‑Justiz RS0021735). Auch die Durchführung eines Luftbeförderungsvertrages kann aus den beim Pauschalreisevertrag genannten Fällen "höherer Gewalt" für einen Fluggast unzumutbar werden.

Wo aber letztlich für einen Fluggast hinsichtlich einer bestimmten Flugdestination zu einem bestimmten Zeitpunkt die Grenzen zwischen noch zumutbaren und daher nicht zum Rücktritt vom Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtigenden und unzumutbaren Risiken, die den Rücktritt vom Vertrag aus diesem Grund legitimieren und zur Rückabwicklung gemäß § 1435 ABGB führen, liegen, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls, die nur auf Grund der konkreten Umstände beurteilt werden kann (8 Ob 99/99p; 1 Ob 257/01b). Diese Umstände begründen zufolge ihrer Einzelfallbezogenheit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, es sei denn, es liegt eine unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichtes vor, die vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (RIS‑Justiz RS0029874, RS0042834, RS0078150, RS0111380 ua).

Dies ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin geltend gemachte Unzumutbarkeit nach sorgfältiger Abwägung aller relevanten Aspekte im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessensspielraums verneint. Dabei wurde nicht verkannt, dass die verheerenden Terroranschläge auf vier zivile Luftfahrzeuge in den USA vom 11. 9. 2001 ein bis dahin nicht bekanntes Ausmaß erreicht hatten. Es geht hier aber nicht um die Einzigartigkeit und Grausamkeit des "11. September", sondern um die Zeit danach, insbesondere um die Frage, ob und für wie lange einem Fluggast eine bestimmte Flugreise in die USA nach dem 11. 9. 2001 unzumutbar war. Dies kann naturgemäß nicht für alle Luftbeförderungsverträge in die USA einheitlich beantwortet werden. Dabei ist aber jedenfalls zu beachten, dass der inneramerikanische Flugverkehr von der amerikanischen Luftbehörde nur relativ kurzfristig eingestellt wurde. Bereits am 15. 9. 2001 - demnach nur 4 Tage nach den Anschlägen und 12 Tage vor dem gegenständlichen Storno - wurde auch wieder der Verkehr für ausländische Fluglinien auf der Grundlage verstärkter Sicherheitsvorkehrungen aufgenommen. Eine behördliche Sperre des amerikanischen Luftraums lag daher nicht mehr vor. Die Beklagte akzeptierte dennoch aus Kulanz Stornos von Abflügen in die (bzw aus der) USA noch bis einschließlich 30. 9. 2001, wovon jedoch von Fluggästen nur teilweise Gebrauch gemacht wurde. Da sich die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes im Rahmen der aufgezeigten Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hält, begründet die Sicht der Revisionswerberin, dass auch eine andere Lösung vertretbar wäre (vgl etwa für die Annahme der Unzumutbarkeit nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 Stuppi, RRa 2002, 54 [55]; Führich, RRa 2003, 50 [54 f], siehe aber auch ders, Reiserecht4 § 651j BGB Rn 439a; NJW 2003, 2618 [LG Frankfurt a. M. 22. 5. 2003, 2/24 S 239/02]; vgl gegen die Annahme der Unzumutbarkeit Staudinger/Eckert, BGB § 651j Rn 19; siehe auch den VKI in VRInfo 2001, H 10, 4, der zutreffend darauf verweist, dass die Entscheidung, ob man eine Reise antritt oder nicht, niemandem abgenommen werden könne), auch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS‑Justiz RS0107768, RS0116755 ua). Die Revision der Klägerin war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Kosten der Revisionsbeantwortung waren zuzusprechen, weil die Revisionsgegnerin zutreffend auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat (RIS‑Justiz RS0035962). Gemäß § 23 Abs 1 RATG gebührt allerdings nur der einfache Einheitssatz von 60 %, und nicht - wie verzeichnet - der dreifache von 180 %. § 23 Abs 9 RATG ist im Revisionsverfahren nicht anwendbar (9 ObA 225/01f; 9 ObA 41/02y; 9 Ob 93/03x ua).

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