OGH 1Ob257/01b

OGH1Ob257/01b27.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, ***** vertreten durch Dr. Klaus Perner, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei G***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Michael Brunner und Dr. Elmar Reinitzer, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 4.288 sA (Streitwert gemäß § 55 Abs 4 JN S 60.000) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Juli 2001, GZ 1 R 239/01w‑16, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 30. März 2001, GZ 4 C 1665/00f‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die beklagte Partei schuldig ist, der klagenden Partei binnen 14 Tagen S 4.288 samt 4 % Zinsen seit 1. 3. 2000 und die mit S 47.910 (darin S 5.620 Umsatzsteuer und S 14.190 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

Ein Ehepaar, das bereits 1997 und 1998 seinen Urlaub in der Türkei verbracht hatte, buchte am 1. 2. 1999 bei der beklagten Partei als Veranstalterin für sich und die beiden sieben bzw zehn Jahre alten Söhne eine Reise in die Türkei mit Unterbringung in einem Clubhotel in Antalya. Wesentlich erschien dem Ehepaar, dass ein Familienzimmer zur Verfügung gestellt werde, Kinderanimation vorhanden sei, der Aufenthalt als Badeurlaub gestaltet und ein Reisebudget von S 40.000 bis S 45.000 nicht überschritten werde. Das Reiseland erschien nur insoweit wesentlich, als Tunesien nicht in Frage kam, weil eines der Kinder an einer Allergie und an Asthma leidet und der das Kind behandelnde Arzt mitgeteilt hatte, Tunesien sei für den Minderjährigen nicht geeignet, es bestehe "aufgrund des Essens" die Gefahr von Durchfall, so dass sich die gegen Asthma einzunehmenden Medikamente dann nicht mehr als entsprechend wirksam erweisen würden.

Am 15. 2. 1999 wurde Abdullah Öcalan, der Führer der türkischen PKK, in Nairobi festgenommen und in die Türkei gebracht. Mit Telefax vom 17. 2. 1999 teilte das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten dem Fachverband der Reisebüros in der Wirtschaftskammer Österreich mit, dass im Zusammenhang mit der Affäre Öcalan Drohungen der PKK gegen Tourismusziele in der Türkei und gegen türkische Einrichtungen im Ausland bekannt geworden seien; man müsse bei Türkeireisen derzeit von einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgehen. In einem weiteren Telefax teilte das Ministerium der Kammer abermals mit, wegen der von oppositionellen Gruppen gegen Tourismusziele in der Türkei ausgesprochenen Drohungen bestehe ein erhöhtes Sicherheitsrisiko bei Reisen in der Türkei. In einer weiteren Mitteilung vom 16. 3. 1999 legte das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten dar, man müsse bei Türkeireisen von einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgehen, wenngleich Erkenntnisse über konkrete Gefährdungen nicht vorlägen. Nach der Überstellung Öcalan in die Türkei erschienen Zeitungsartikel, wonach die Verhaftung des PKK‑Führers eine Terrorwelle auslöse, die Kurden auf die Verhaftung "mit Gewalt antworteten", und der Sprecher des kurdischen Exilparlaments eindringlich vor Türkeireisen gewarnt und alle aufgefordert habe, die türkischen Touristenzentren lahmzulegen; dabei wurde auch auf den im Jahre 1994 von extremistischen Kurden gestarteten "Krieg gegen den Tourismus", in dessen Verlauf Urlauber getötet worden seien und es in Feriensiedlungen zu "blutigen Bombenanschlägen" mit Todesopfern gekommen sei, hingewiesen. Am 16. 3. 1999 veröffentlichte die PKK laut Zeitungsberichten eine Erklärung, wonach die gesamte Türkei ‑ auch die Fremdenverkehrsgebiete - Kriegsgebiet sei. Am 19. 3. 1999 berichtete eine Zeitung, Türkeiurlauber müssten heuer nicht unmittelbar mit Anschlägen durch die PKK rechnen, doch schließe der deutsche Verfassungsschutz nicht aus, dass einzelne PKK‑Anhänger auf eigene Faust Gewaltakte gegen Reisende begehen könnten; es könne zu Ausschreitungen kommen, sollte gegen Öcalan das Todesurteil gefällt und vollstreckt werden. Am 24. 3. 1999 erschien ein Zeitungsartikel, wonach "für 1.500 Österreicher die Welt an der türkischen Riviera weiterhin heil" und Antalya "nur leicht bewölkt" sei, doch könne man einen Terrorakt nie ausschließen. In derselben Zeitung wurde am 23. 5. 1999 eine Erklärung des Geschäftsführers der beklagten Partei wiedergegeben, die Gefahr, in Antalya Opfer eines Anschlags zu werden, sei nicht größer als überall sonst auf der Welt.

Am 31. 5. 1999 begann das strafgerichtliche Verfahren gegen Öcalan. In Zeitungsartikeln wurde damals ausgeführt, die Behörden befürchteten Anschläge von Öcalan‑Anhängern, bei einem Todesurteil werde "das ganze Land noch einmal den Atem anhalten". In einem weiteren Zeitungsartikel vom 9. 6. 1999 wurde mitgeteilt, dass der Staatsanwalt die Todesstrafe für den PKK‑Führer beantragt und der "bewaffnete Arm" der PKK mit einer neuen Gewaltwelle gedroht habe, sollte Öcalan zum Tode verurteilt bzw hingerichtet werden. Am 29. 6. 1999 wurde über Abdullah Öcalan die Todesstrafe verhängt. Daraufhin wurde in mehreren Zeitungen auf eine drohende Gewaltwelle, auf Terrorangst nach dem Todesurteil, auf ein "Zittern vor Kurden‑Rache" und auf das Aufflammen von Terror in der Türkei hingewiesen. Es wurde auch ausgeführt, dass in einer Stadt im Osten der Türkei bei einem Überfall auf ein Café sechs Todesopfer zu beklagen gewesen seien, bei einer Bombenexplosion in Istanbul seien drei Menschen verletzt, bei Kämpfen zwischen PKK‑Angehörigen und dem türkischen Militär seien im Südosten der Türkei 26 Menschen getötet worden. In einer Zeitung wurde berichtet, dass das österreichische Außenministerium verlautet habe, Türkeiurlaubern müsse bewusst sein, dass sie sich einem erhöhten Sicherheitsrisiko aussetzten; vor Fahrten in den Südosten des Landes werde abgeraten. Am 6. 7. 1999 erschien ein Zeitungsbericht, wonach bei einem Bombenanschlag in Istanbul ein Mann getötet und 25 Menschen verletzt worden seien. Im Südosten des Landes hätten kurdische Rebellen 12 türkische Soldaten bei Gefechten getötet; die PKK plane weitere Anschläge; 23 Terroristen seien in türkische Großstädte geschickt worden; in den vergangenen Tagen sei es wiederholt zu Anschlägen in der Türkei und auch in Deutschland gekommen.

Nachdem das Ehepaar, das die Türkeireise gebucht hatte, von der Festnahme und Überstellung Öcalans in die Türkei erfahren hatte, hatte es "zunächst ein mulmiges Gefühl", wollte aber aufgrund bisheriger positiver Erfahrungen mit der Türkei diesen Urlaub nicht platzen lassen. Das Ehepaar beobachtete die Lage intensiv und wandte sich ab April 1999 an eine Mitarbeiterin des Reisebüros, von der verschiedene kostenlose Umbuchungsmöglichkeiten angeboten wurden. Gleichwertige Angebote in Griechenland oder Spanien wären um etwa S 10.000 teurer gewesen und wurden daher abgelehnt. Ein gleichwertiges Angebot für Tunesien, das auch preislich der gebuchten Reise entsprochen hätte, lehnte das Ehepaar unter Hinweis auf die Krankheit des minderjährigen Sohnes ab. Nachdem kein (weiteres) passendes Angebot gefunden worden war, wartete das Ehepaar noch einige Zeit zu, ob sich die Situation beruhige. Am 13. 7. 2000 las es in einer Zeitung, dass eine Bombe in der Südostürkei explodiert sei; dabei seien 16 Menschen verletzt worden. Seit dem Todesurteil seien in der Türkei bereits sechs Menschen bei Terroranschlägen der PKK ums Leben gekommen. Nun teilte das Ehepaar mit Schreiben vom 13. 7. 1999 dem Reisebüro mit, dass es seinen Türkeiurlaub wegen der durch die Festnahme Öcalans entstandenen politischen Lage storniere, und diese Situation zum Zeitpunkt der Buchung nicht vorauszusehen gewesen sei. Daraufhin verrechnete die beklagte Partei dem Ehepaar Stornogebühren im Klagsbetrag. Das Ersuchen, auf die Einhebung der Stornogebühr zu verzichten, wurde abschlägig beschieden und das Ehepaar zur Zahlung dieser Gebühr aufgefordert. Im Februar 2000 bezahlte das Ehepaar S 4.288 "vorbehaltlich der rechtlichen Klärung und der Rückforderung".

Am 7. 9. 2000 trat das Ehepaar seinen Rückforderungsanspruch gegenüber der beklagten Partei an die klagende Partei ab.

Im Jahre 1999 ermöglichte die beklagte Partei jedem, der sich an sie wandte, die kostenlose Umbuchung von der Reisedestination Türkei in andere Länder, vor allem nach Tunesien. Hiezu reservierte sie zusätzlich 40.000 "Flugsessel samt Hotelzimmern in Tunesien".

Bereits 1993 war es zu Anschlägen in der Türkei gekommen, über die die Medien berichteten. Das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten hatte dem Fachverband der Reisebüros damals mitgeteilt, dass für Touristen in der Türkei ein deutlich erhöhtes Sicherheitsrisiko bestehe. In einem Bericht vom 15. 4. 1994 schloss das Ministerium eine Zunahme terroristischer Aktivitäten nicht aus und warnte wieder vor einem erhöhten Sicherheitsrisiko. Im Jahre 1996 wurde berichtet, die Ferienzentren in der Türkei seien das wichtigste Ziel von Anschlägen der PKK; es sei zwar 1995 kaum zu Zwischenfällen in den Touristenzentren gekommen, doch sei vor Reisen in den Südosten der Türkei weiterhin abzuraten. Am 23. 10. 1996 teilte das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten dem Fachverband der Reisebüros mit, dass in den vergangenen Jahren türkische Tourismuszentren wiederholt Ziel von Terroranschlägen, die mehrere Todesopfer sowie Dutzende von Verletzten gefordert hätten, gewesen seien. In diesem Jahr sei allerdings kein einziger Terroranschlag auf türkische Tourismuszentren bekannt geworden. Am 14. 4. 1998 berichtete eine österreichische Zeitung, dass es in unmittelbarer Nähe von Antalya zu schweren Kämpfen zwischen der türkischen Armee und bewaffneten Rebellen der PKK gekommen sei; dabei seien 10 PKK‑Kämpfer getötet worden; die Gefechte seien etwa 30 km östlich von Antalya ausgebrochen. Eine andere Zeitung berichtete am 11. 4. 1998 von einer Bombenexplosion in Istanbul, bei der neun Menschen verletzt worden seien; der türkische Innenminister vermute die PKK hinter dem Anschlag. In einem Interview vom 21. 4. 1998, das in einer Zeitung abgedruckt wurde, erklärte Öcalan, das Ziel der PKK seien nicht die Touristen, sondern die Armee und die Wirtschaft. Tourismusobjekte würden von der PKK angegriffen, ausländische Touristen jedoch verschont werden.

Die klagende Partei begehrte die Zahlung von S 4.288 (Stornogebühr), weil dem die Türkeireise buchenden Ehepaar samt Kindern unter Anlegung eines durchschnittlichen Maßstabs der Antritt der Reise unzumutbar gewesen sei. Eine kostenlose Umbuchung auf eine andere Destination sei nicht zumutbar gewesen, insbesondere sei Tunesien wegen der Krankheit eines Kindes nicht in Frage gekommen. Zum Zeitpunkt der sich verschärfenden Bedrohungslage sei eine Umbuchung auf andere Reisedestinationen nicht mehr möglich gewesen.

Die beklagte Partei wendete ein, dass die Geschäftsgrundlage nicht weggefallen sei. Es sei bereits im Zeitpunkt der Buchung bekannt gewesen, dass in der Türkei Anschläge der PKK stattgefunden hätten. Es liege also kein für das Ehepaar unvorhersehbarer Umstand vor. Einzelne terroristische Aktivitäten stellten ein Risiko dar, das ganz allgemein zu tragen sei. Grundsätzlich sei die Türkei auch im Sommer 1999 ein ruhiges und sicheres Reiseland gewesen. Das Risiko für Türkeireisende sei in diesem Jahr nicht höher als in den Jahren zuvor gewesen. Terroristische Tätigkeiten hätten sich in der Türkei auf wenige Unruheprovinzen beschränkt, eine unzumutbare Gefahr habe dem Ehepaar und dessen Kindern nicht gedroht. Eine Reisewarnung für die Tourismusgebiete sei nicht vorgelegen, es sei auch zu keinen Anschlägen auf Hotel‑ bzw Clubanlagen gekommen. Der Rücktritt sei verfrüht erfolgt, das Ehepaar hätte ohne höheres Kostenrisiko weiter zuwarten können. Es hätte auch die Verpflichtung gehabt, das Umbuchungsangebot der beklagten Partei anzunehmen; durch die Nichtannahme sei die ihm obliegende Schadensminderungspflicht verletzt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei in einer ex‑ante‑Betrachtung zu prüfen, wie ein durchschnittlicher Reisender die künftige Entwicklung an dem in Aussicht genommenen Urlaubsziel beurteilt hätte. Die angesichts der Festnahme des Führers der PKK und der Fällung des Todesurteils von Vertretern der PKK vorgenommene Ankündigung von Terroranschlägen lasse den Reiseantritt für das Ehepaar und die beiden Söhne als unzumutbar erscheinen. Der Umstand, dass bereits in den Jahren zuvor Anschläge stattgefunden hätten, schade deshalb nicht, weil die Intensität der Anschläge nach 1993 und 1994 nachgelassen habe und erst durch die Festnahme Öcalans eine deutliche Erhöhung der Gefährdung eingetreten sei. Zum Zeitpunkt der Buchung der Reise sei diese Gefahrenerhöhung, die Mitte Februar 1999 eingetreten sei, noch nicht vorhersehbar gewesen. Das Ehepaar habe die weitere Entwicklung abwarten dürfen und nicht vorschnell den Rücktritt vom Vertrag erklären müssen. Ein weiteres Zuwarten sei aber nicht zweckmäßig gewesen.

Es sei aber der Rücktritt vom Vertrag unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage dann nicht berechtigt, wenn eine Vertragsanpassung möglich und ein durchschnittlicher Reisender zu einer derartigen Anpassung bereit gewesen wäre. Individuelle Gründe, die gegen eine derartige Vertragsanpassung geltend gemacht werden könnten, seien nicht zu berücksichtigen. Dem Ehepaar sei eine mit dem gebuchten Aufenthalt vergleichbare Reise nach Tunesien angeboten worden, und ein durchschnittlicher Reisender hätte diese Vertragsanpassung akzeptiert. Die Nichtannahme des Anbots der beklagten Partei sei in individuellen Umständen (Krankheit eines Kindes) begründet gewesen, die im Bereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage unbeachtlich seien. Demnach sei der kostenlose Rücktritt vom Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Es sei allgemein anerkannt, dass eine nach Vertragsschluss unerwartet auftretende akute Kriegsgefahr oder bei Vertragsschluss nicht voraussehbare bürgerkriegsähnliche Zustände Fälle höherer Gewalt darstellten, die den Wegfall der Geschäftsgrundlage bewirkten. Handle es sich aber nur um vereinzelte Anschläge - wenn auch terroristischer Natur ‑ , so stehe kein Rücktrittsrecht zu. Solche Anschläge fielen in das von jedem Einzelnen zu tragende "allgemeine Lebensrisiko". Im vorliegenden Fall habe es an konkreten Hinweisen auf die Gefahr künftiger Anschläge im eigentlichen Urlaubszielgebiet gemangelt, weshalb die subjektiv verständliche, aber objektiv am Durchschnittsreisenden gemessene übertriebene Vorsicht nicht zur Stornierung des Vertrags berechtigt habe. Es wäre dem Ehepaar das Festhalten am Vertrag zumutbar gewesen.

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In der unter anderem in JBl 1999, 799 veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 8 Ob 99/99p wurden die Grundsätze festgelegt, nach denen wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage der Rücktritt von einem Reisevertrag ohne Zahlung einer Stornogebühr zulässig ist. Nach diesen Grundsätzen, denen der erkennende Senat folgt, ist ein solcher Rücktritt möglich und sind alle vom Reiseteilnehmer bereits geleisteten Zahlungen zurückzuerstatten, wenn die Reise für den Kunden aus nach Vertragsabschluss sich ergebenden, weder von ihm noch von dem Vertragspartner zu verantwortenden oder zu beeinflussenden Ereignissen unmöglich oder unzumutbar wird. Allgemein anerkannt ist, dass eine nach Vertragsschluss unerwartet auftretende akute Kriegsgefahr oder bei Vertragsschluss nicht voraussehbare bürgerkriegsähnliche Zustände solche Fälle höherer Gewalt darstellen, die den Wegfall der Geschäftsgrundlage bewirken. Handelt es sich nur um vereinzelte Anschläge, mögen sie auch terroristischer Natur sein, steht kein Rücktrittsrecht zu. Die Anschläge müssen eine Intensität erreichen, die unter Anlegung eines durchschnittlichen Maßstabes als Konkretisierung einer unzumutbaren Gefahr derartiger künftiger Anschläge erscheinen müsste; nur dann berechtigen sie zur Auflösung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Es muss eine ex ante‑Betrachtung angestellt werden, und ist zu fragen, wie ein durchschnittlicher, also weder ein besonders mutiger noch ein besonders ängstlicher Reisender die künftige Entwicklung an dem in Aussicht genommenen Urlaubsziel beurteilt hätte. Unerheblich ist die spätere reale Entwicklung der Ereignisse. Eine eindeutige Reisewarnung durch das Außenamt muss als stornofreier Rücktrittsgrund gewertet werden. Medienberichte und Informationssendungen in Rundfunk und Fernsehen sowie in anerkannten seriösen Zeitungen können grundsätzlich nicht als aus Sensationslust weit übertriebene Berichte abgetan werden, die nicht ernst zu nehmen seien. Steht der Antritt der Reise nicht unmittelbar bevor, ist es dem Kunden durchaus zuzumuten, vorerst die weitere Entwicklung abzuwarten. Vereinzelte (Terror‑)Anschläge gehören zu den allgemeinen Lebensrisken, die jedermann auf sich nehmen muss und vor denen er auch in seinem Heimatland nicht gefeit ist. Wo die Grenzen zwischen noch zumutbaren und daher nicht zum Rücktritt vom Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtigenden, und unzumutbaren Risken, die den Rücktritt vom Vertrag aus diesem Grund legitimieren und zur Rückabwicklung gemäß § 1435 ABGB führen, liegen, ist eine Frage des Einzelfalls, die nur aufgrund der konkreten Umstände beurteilt werden kann.

Der 8. Senat des Obersten Gerichtshofs hatte in der oben zitierten Entscheidung einen "Grenzfall" zu behandeln. Der Wahrheitsgehalt der in den Medien angestellten Mutmaßungen über die Hintergründe der auf der Insel Rhodos verübten Anschläge (Explosion von drei Sprengsätzen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen) war kaum überprüfbar. Es waren keine weiteren Gewaltakte - insbesondere auf Urlauber oder Urlaubseinrichtungen - angekündigt. Es fehlte an konkreten Hinweisen auf die Gefahr künftiger gleichartiger Anschläge. Da sich sämtliche übrigen Urlauber in dem von den Reisenden gewählten Urlaubsgebiet wegen der eher geringfügigen Anschläge unbekannten Hintergrunds nicht zur Stornierung ihres Urlaubs veranlasst sahen, lag der Schluss nahe, dass es sich bei den beiden stornierenden Kunden um besonders ängstliche Menschen gehandelt habe; übertriebene Vorsicht berechtigt aber zur kostenlosen Stornierung eines Reisevertrags nicht.

Der soeben beschriebene Fall ist mit dem hier zu entscheidenden nicht zu vergleichen: Hier waren nach der Buchung der Reise wegen der Verhaftung des Führers der PKK und dessen Verbringung in die Türkei Drohungen gegen Tourismusziele in der Türkei ausgestoßen worden; das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten teilte deshalb dem Fachverband der Reisebüros in der Wirtschaftskammer Österreich mehrmals mit, Türkeireisen seien zur Zeit von einem erhöhten Sicherheitsrisiko betroffen, wenngleich Erkenntnisse über konkrete Gefährdungen nicht vorlägen. In seriösen Zeitungen wurden Artikel veröffentlicht, nach denen die Verhaftung des PKK‑Führers eine Terrorwelle auslöse und der Sprecher des kurdischen Exilparlaments eindringlich vor Türkeireisen warne und auffordere, die türkischen Touristenzentren lahmzulegen. Mehrfach wurde auf den in der Türkei bereits im Jahre 1994 stattgefundenen "Krieg gegen den Tourismus" und die Bombenanschläge in Feriensiedlungen an der Küste und in großen, von Touristen besuchten Städten verwiesen. Ausschreitungen wurden für den Fall der Fällung und Vollstreckung des Todesurteils gegen den PKK‑Führer ebenso wie Anschläge durch dessen Anhänger befürchtet; beim Todesurteil werde "das ganze Land noch einmal den Atem anhalten". Der "bewaffnete Arm" der PKK habe für diesen Fall mit einer neuen Welle der Gewalt gedroht. Als über den PKK‑Führer am 29. 6. 1999 die Todesstrafe verhängt worden war, befürchteten seriöse Zeitungen in ihren Schlagzeilen "Gewaltwellen", "Terror" bzw "Kurden‑Rache". Es wurde berichtet, dass in der Türkei der Terror aufflamme, dass in einer Stadt im Osten des Landes sechs Todesopfer zu beklagen seien, dass bei einer Bombenexplosion in Istanbul drei Menschen verletzt und dass im Südosten der Türkei 26 Menschen getötet worden seien. Eine Boulevardzeitung meldete laut österreichischem Außenministerium, es müsse Türkei‑Urlaubern bewusst sein, dass sie sich einem erhöhten Sicherheitsrisiko aussetzten. Immer wieder wurde vom (gewaltsamen) Tod mehrerer Personen, der Planung weiterer Anschläge durch die PKK und der Gefahr des Terrorismus berichtet.

Nach den in JBl 1999, 799 dargelegten Grundsätzen ist die Berechtigung des Ehepaars, das seine Ansprüche an die klagende Partei abgetreten hat, zur Auflösung des Reisevertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu bejahen. Es handelte sich nicht nur um vereinzelte Anschläge, deren Risiko infolge des allgemeinen Lebensrisikos von jedem Einzelnen zu tragen wäre. Es waren weitere Gewaltakte zu befürchten, insbesondere hatte die PKK Anschläge auch auf Urlaubseinrichtungen in der Türkei angekündigt. Das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten sprach von einem erhöhten Sicherheitsrisiko bei Türkeireisen. Die Medien meldeten massive Anschläge in verschiedenen Städten und die Erklärung der PKK, dass die gesamte Türkei Kriegsgebiet sei; dazu zählten auch die Fremdenverkehrsgebiete. War nach der schon mehrfach zitierten Entscheidung der dort zu beurteilende Sachverhalt ein "Grenzfall", so wurde die maßgebliche Grenze der Zumutbarkeit des Antritts einer bereits gebuchten Reise im vorliegenden Fall gewiss überschritten. Wo die Grenzen zwischen noch zumutbaren, daher zum Rücktritt vom Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht berechtigenden und unzumutbaren Risken, die den Rücktritt vom Vertrag aus diesem Grund rechtfertigen und in diesem Fall zur Rückabwicklung gemäß § 1435 ABGB führen, liegen, ist ‑ wie schon erwähnt - eine Frage des Einzelfalls, die nur aufgrund dessen konkreter Umstände beantwortet werden kann.

Diesen Umständen zufolge war der Antritt der Reise für das buchende Ehepaar und dessen Kinder unzumutbar, sodass sie ‑ ohne Stornogebühr ‑ vom Vertrag zurücktreten durften und ihnen alle bereits geleisteten Zahlungen zu erstatten sind. Wie schon in der Entscheidung JBl 1999, 799 ausgeführt, ist es unerheblich, dass die Anschläge in größerer Entfernung vom Ort des gebuchten Urlaubs stattfanden. Die Türkei war angesichts der besonderen Lage insgesamt als gefährliches Gebiet einzustufen; insoweit war es durchaus ein Urlaubsgebiet. Dazu kommt, dass Anschläge auf Fremdenverkehrseinrichtungen angedroht worden waren; Antalya ist zweifellos ein bedeutender Fremdenverkehrsort. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass eine konkrete Befürchtung, gerade Antalya werde das Ziel eines Terroraktes sein, nicht verifiziert wurde; ein solcher Beweis könnte wohl kaum gelingen, werden solche Anschläge - wie das die jüngsten Ereignisse nur allzu deutlich machen ‑ doch stets ohne Warnung ausgeführt, um sie möglichst jeder Gegenmaßnahme zu entziehen.

Entgegen der Ansicht der beklagten Partei war dem Ehepaar über den 13. 7. 1999 hinaus eine weitere Beobachtung der Lage und damit ein noch längeres Zuwarten mit dem Vertragsrücktritt nicht mehr zumutbar: Die Lage in der Türkei hatte sich insgeamt nicht wesentlich verändert, die Urlaubszeit war bereits angebrochen, das Ehepaar hatte auch schon mehrfach nach Ausweichdestinationen Ausschau gehalten, und die endgültige Buchung eines (anderen) Urlaubsziels war bereits dringend geboten.

Es kann dahingestellt bleiben, ob auch die beklagte Partei die Lage in der Türkei als gefährlich einschätzte und deshalb eine Fülle zusätzlicher Flugmöglichkeiten für "Umbuchungen" reservieren ließ; maßgeblich ist einzig und allein, ob dem Ehepaar der Reiseantritt zumutbar war oder nicht.

Nach wie vor vertritt die beklagte Partei die Ansicht, das Ehepaar hätte die Umbuchung auf ein gleichwertiges, auch preislich der gebuchten Reise entsprechendes Angebot in Tunesien annehmen müssen. Gewiss ist primär bei Wegfall der Geschäftsgrundlage die Anpassung des Reisevertrags anzustreben, weil das dem Grundsatz der Vertragstreue besser Rechnung trägt (Rummel in Rummel ABGB3 Rz 6a zu § 901). Insoweit erscheint die Auffassung keineswegs abwegig, das Ehepaar hätte die Umbuchung der Türkeireise nach Tunesien akzeptieren müssen, zumal diese Umbuchung kostenlos erfolgt und das Angebot für Tunesien gleichwertig gewesen wäre und auch preislich der gebuchten Reise entsprochen hätte. War für die Buchung wesentlich, dass ein Familienzimmer zur Verfügung steht, Kinderanimation vorhanden ist, ein Badeurlaub stattfinden und das Reisebudget S 45.000 nicht übersteigen sollte, so könnte durchaus erwogen werden, dass dem Reiseland - abgesehen von einer besonderen Vereinbarung - keine vorrangige Bedeutung beizumessen sei; bei einer Umbuchung als Anpassung des Vertrags sollte ein Wechsel des Landes, das den gewünschten Kriterien ebenfalls entspricht, grundsätzlich möglich sein.

Diese Frage muss aber nicht abschließend beantwortet werden: Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Familie, die die Reise buchte, Tunesien als Reiseland (von vornherein) ausgeschlossen hatte, weil eines der Kinder an einer Allergie und an Asthma litt und der den Minderjährigen behandelnde Arzt Tunesien als ein für das kranke Kind ungeeignetes Urlaubsziel bezeichnet hatte, weil namentlich infolge der dort angebotenen Speisen eine besondere Gefahr des Durchfalls bestehe und dann die erforderlichen Medikamente ihre Wirksamkeit weitgehend verlören. Dass diese Warnung des Arztes von falschen Prämissen ausgegangen wäre und das Ehepaar das hätte erkennen können, wurde von der beklagten Partei gar nicht behauptet. Das Ehepaar durfte daher auf die Warnung und den Rat des Arztes vertrauen, sodass Tunesien von vornherein nicht in Frage kam. Das musste nicht ausdrücklich zum Vertragsinhalt gemacht werden, war doch lediglich eine Reise in die Türkei geplant; von einer allfälligen Umbuchung nach Tunesien war zunächst nie die Rede. Der Grund, die Umbuchung für Tujnesien abzulehnen, ist kein "individueller" Grund im engeren Sinne, der nicht zu berücksichtigen wäre. In einem solchen Fall ist zu fragen, ob der Durchschnittsmensch, der eine solche Reise bucht und ‑ wovon auszugehen ist ‑ das Wohl seiner Kinder im Auge hat, die Reise nach Tunesien angetreten hätte oder ob diesem eine solche Reise unzumutbar erschienen wäre. In letzterem Fall wäre dem Ehepaar die Reise nach Tunesien schon nach objektiven Kriterien unzumutbar gewesen, sodass es die Umbuchung nicht akzeptieren musste. Das trifft hier auch zu, kann doch nicht angenommen werden, dass "durchschnittliche" Eltern einem solch eindringlichen Rat eines Arztes, wie er vom Erstgericht festgestellt wurde, zuwiderhandeln. Ein "durchschnittlicher" Reisender wird in Kenntnis dessen, dass er damit die Gesundheit seines Kindes gefährdet, der in der Umbuchung liegenden Vertragsanpassung nicht zustimmen.

In Stattgebung der Revision sind die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben wird.

Der Ausspruch über die Kosten des gesamten Verfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Für die Verfassung der Berufung steht nur ein Einheitssatz von 180 % zu, für die Revision nur ein solcher von 60 %.

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