OGH 9Ob93/03x

OGH9Ob93/03x8.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dkfm. Michael G*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Hartmut Mayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Franz Xaver D*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Herbert Mayer, Rechtsanwalt in Wien, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. *****, Rechtsanwalt, *****, vertreten durch CMS Strommer Reich-Rohrwig Karasek Hainz, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. April 2003, GZ 39 R 87/03g-22, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19. November 2002, GZ 45 C 323/02p-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und dem auf deren Seite beigetretenen Nebenintervenienten die jeweils mit EUR 1.377,90 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 229,65 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kündigte dem Beklagte das von ihm gemietete Bestandobjekt aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 dritter Fall MRG auf. Der Beklagte habe in einem vorangegangenen Kündigungsverfahren gegen die damals erklärte Aufkündigung eingewendet, dass die ihm zugestellte Ausfertigung der Aufkündigung keinen Gerichtsstempel enthalte und somit gegenstandslos sei. Zum Beweis dafür habe er eine Kopie der ihm zugestellten Kündigung vorgelegt, auf der lediglich eine Paraphe, aber kein Gerichtsstempel zu sehen gewesen sei, worauf der Kläger im Vertrauen auf die Echtheit der vorgelegten Urkunde die Kündigung zurückgezogen habe. Später habe sich herausgestellt, dass die vom Beklagten vorgelegte Urkunde manipuliert gewesen sei, zumal das Original der Aufkündigung sehr wohl Paraphe und Gerichtsstempel enthalten habe. Durch die Vorlage der verfälschten Kündigungskopie habe der Beklagte den Kläger mit der Absicht, ihn an seinem Vermögen zu schädigen, zur Zurückziehung der eingebrachten Kündigung verleitet. Dadurch sei der Kläger am Vermögen geschädigt worden, weil ihm Kosten für die rechtsfreundliche Vertretung entstanden seien und weil sich die Kündigung der Wohnung - und damit eine geplante Bauführung - um mindestens drei Monate verzögert habe.

Der Beklagte beantragte, die Aufkündigung aufzuheben. Der in der Aufkündigung behauptete Vorfall verwirkliche den geltend gemachten Kündigungsgrund nicht und sei überdies nicht vom Beklagten, sondern von dessen früheren Rechtsvertreter veranlasst worden.

Der Rechtsvertreter des Beklagten im Vorprozess trat dem Verfahren als Nebenintervenient auf Seiten des Beklagten bei und beantragte ebenfalls, die Aufkündigung aufzuheben. Er brachte vor, vom Beklagten informiert worden zu sein, dass die Gerichtsstampiglie "fehle respektive unleserlich sei", weshalb vorsichtshalber vorgebracht worden sei, dass die gerichtliche Aufkündigung am "Formalgebrechen der fehlenden Gerichtsstampiglie" leide.

Das Erstgericht hob die gerichtliche Aufkündigung als rechtsunwirksam auf und stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Das Original der gerichtlichen Aufkündigung im Vorverfahren trägt Gerichtsstampiglie und Richterunterschrift. In den Einwendungen des durch den Nebenintervenienten vertretenen Beklagten wurde behauptet, dass die Gleichschrift der gerichtlichen Aufkündigung keine Gerichtsstampiglie trage und somit nicht die Voraussetzungen einer gerichtlichen Aufkündigung erfülle. In der Folge nahm der Kläger die gerichtliche Aufkündigung ohne Anspruchsverzicht zurück. Das vom Beklagten nunmehr vorgelegte Original der Gleichschrift der Aufkündigung enthält sowohl die Stampiglie des Gerichtes und der Richterin, als auch die Paraphe der Kanzleileiterin.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten allenfalls als Fälschung eines Beweismittels im Sinne des § 293 StGB und damit als strafbare Handlung gegen die Rechtspflege zu qualifizieren sei. § 30 Abs 2 Z 3 3. Fall MRG erfasse aber ausschließlich mit Strafe bedrohte Handlungen gegen das Eigentum, die Sittlichkeit oder die körperliche Sicherheit. Dazu zählten strafbare Handlungen gegen die Rechtspflege nicht.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und vertrat die Rechtsauffassung, dass entgegen der Ansicht des Erstgerichtes das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten als Urkundenfälschung iSd § 223 StGB zu werten sei. Dabei handle es sich um eine strafbare Handlung gegen die Zuverlässigkeit von Urkunden und Beweiszeichen, zu der die Delikte nach § 293 StGB bzw § 108 StGB im Verhältnis der Subsidiarität stünden. Da der dritte Fall des § 30 Abs 2 Z Z 3 MRG als Kündigungsgrund ausschließlich mit Strafe bedrohte Handlungen gegen das Eigentum, die Sittlichkeit oder die körperliche Sicherheit erfasse, sei aber auch eine allfällige Handlung gegen die Zuverlässigkeit von Urkunden und Beweismitteln nicht unter diesen Kündigungsgrund zu subsumieren.

Die ordentliche Revision sei nicht zuzulassen, weil keine erhebliche Rechtsfrage zu beantworten sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragte, der außerordentlichen Revision nicht Folge zu geben.

Der Nebenintervenient beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr "wegen § 477 Abs 1 Z 4 ZPO" nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil zur in der Revision aufgeworfenen Frage, ob als "mit Strafe bedrohte Handlungen gegen das Eigentum" iSd § 30 Abs 2 Z 3 3. Fall MRG auch andere als die im sechsten Abschnitt des StGB angeführten strafbaren Handlungen gegen das Vermögen in Betracht kommen, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Vorweg ist zum Vorbringen des Nebenintervenienten in der Revisionsbeantwortung Stellung zu nehmen.

Der Nebenintervenient erachtet die rechtliche Beurteilung der Sache durch die zweite Instanz als zutreffend und verneint das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage. Darüber hinaus macht er geltend, am Berufungsverfahren nicht beteiligt worden zu sein. Damit sei sein rechtliches Gehör verletzt und der Nichtigkeitsgrund gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO verwirklicht. Obwohl er in den dazu erstatteten Rechtsausführungen von der dadurch bedingten Notwendigkeit spricht, das Berufungsurteil "als nichtig anzusehen und das vorangegangene Berufungsverfahren gemäß § 477 Abs 1 Z 4 aufzuheben", beantragt er letztlich primär die Zurückweisung der Revision, hilfsweise, der Revision "wegen § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nicht Folge" zu geben.

Richtig ist, dass nach nunmehr herrschender Rechtsprechung auch dem nicht streitgenössischen Nebenintervenienten Ausfertigungen der in dem Verfahren, dem er beigetreten ist, ergangenen Entscheidungen wie der Hauptpartei zuzustellen sind (RIS-Justiz RS0117093; zuletzt 10 ObS 174/03s). Ebenso trifft es zu, dass der Nebenintervenient dessen ungeachtet am Berufungsverfahren nicht beteiligt wurde. Unabhängig von der Frage, ob die Nichtbeteiligung des einfachen Nebenintervenienten überhaupt die Nichtigkeit des Berufungsverfahrens bewirkt (vgl dazu RIS-Justiz RS0035738; SZ 61/55; Fasching, Kommentar, IV 127), kann dies hier nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (die der mit seinem Urteilsantrag durchgedrungene Nebenintervenient auch gar nicht anstrebt) führen. Da - wie noch zu zeigen sein wird - die angefochtene Entscheidung (im Sinne des Urteilsantrags des Nebenintervenienten) zu bestätigen ist, kann der Umstand, dass er am Verfahren nicht beteiligt war, der ausschließlich vom Gegner erhobenen Berufung nicht zum (vom Nebenintervenienten nicht angestrebten) Erfolg verhelfen.

In der Sache selbst ist auszuführen:

Obwohl nach der herrschenden strafrechtlichen Lehre und Rechtsprechung einfache (nicht beglaubigte) Kopien nicht dem strafrechtlichen Urkundenbegriff entsprechen (Kienapfel in Höpfl/Ratz, Wiener Kommentar zum StGB, Rz 20ff zu § 223), stellt der Revisionswerber die Qualifikation des von ihm behaupteten Verhaltens des Beklagten als Urkundenfälschung iSd § 223 StGB nicht in Frage. Nähere Ausführungen dazu sind allerdings nicht erforderlich, weil es für die hier vorzunehmende Beurteilung iSd § 30 Abs 2 Z 3 3. Fall MRG keinen Unterschied macht, ob man das (behauptete) Verhalten des Beklagten im Sinne des Berufungsgerichtes oder - mit dem Erstgericht - als Fälschung eines Beweismittels iSd § 293 StGB qualifiziert. Von Bedeutung ist nur, dass auf Grund des maßgebenden Vorbringens des Klägers der Tatbestand des Betrugs nicht als verwirklicht angesehen werden kann, weil der Kläger - der das Verhalten des Beklagten auch in seinem Vorbringen nie in diesem Sinn qualifiziert hat - keinerlei Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat, aus denen auf den Vorsatz des Beklagten geschlossen werden könnte, sich durch die (behauptete) Täuschung unrechtmäßig zu bereichern.

Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die in der Zulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, ob auch die hier in Rede stehenden strafbaren Handlungen nach § 223 StGB bzw nach § 293 StGB als "strafbare Handlungen gegen das Eigentum" iSd § 30 Abs 2 Z 3 3. Fall MRG zu qualifizieren sind. Diese Frage wurde jedoch von den Vorinstanzen zu Recht verneint.

Aus der Formulierung "strafbare Handlung gegen das Eigentum" muss geschlossen werden, dass der Gesetzgeber solche strafbaren Handlungen im Auge gehabt hat, bei denen der Zugriff auf das Eigentum als solcher mit Strafe bedroht ist. Dies ist aber nur bei den im sechsten Abschnitt des StGB geregelten Vermögensdelikten der Fall, wobei die Frage, ob jedes Vermögensdelikt auch als strafbare Handlung gegen das Eigentum zu qualifizieren ist, hier nicht zu beantworten ist. Nicht im sechsten Abschnitt des StGB geregelte Tatbestände stellen hingegen nicht den Zugriff auf das Eigentum (bzw auf das Vermögen) unter Strafe und sind daher nicht geeignet, den geltend gemachten Kündigungsgrund zu verwirklichen. Dies wurde zwar in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nie in dieser Form ausgesprochen, entspricht aber insofern der bisherigen Sicht der Dinge, als - soweit überblickbar - noch nie ein nicht zum Kreis der Vermögensdelikte zählender Tatbestand dem Begriff der strafbaren Handlung gegen das Eigentum iSd § 30 Abs 2 Z 3 3. Fall MRG unterstellt wurde. Daran ändert auch die zur vergleichbaren Vorgängerbestimmung des des § 19 Abs 2 Z 3 MG ergangene Entscheidung 8 Ob 551/78 nichts. Zwar lag dieser Entscheidung ein Fall zu Grunde, in dem dem Mieter Hausfriedensbruch iSd § 109 StGB zur Last gelegt wurde. Der Oberste Gerichtshof hat aber die Verwirklichung des Kündigungstatbestandes ausdrücklich nicht damit, sondern mit dem Umstand begründet, dass der Beklagte durch einen Tritt eine Wohnungstür beschädigt und überdies eine Mitmieterin verletzt hat (§ 30 Abs 3 Z 2 MRG [bzw § 19 Abs 2 Z 3 MG] erfasst auch strafbare Handlungen gegen die körperliche Sicherheit).

Geht man aber im Sinne der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass von einer strafbaren Handlung gegen das Eigentum iSd § 30 Abs 2 Z 3 3. Fall nur gesprochen werden kann, wenn der Zugriff auf das Eigentum als solcher strafbar ist, sodass andere als Vermögensdelikte im Sinne des sechsten Abschnitts des StGB ausscheiden, ist der hier allein geltend gemachte Kündigungsgrund schon nach dem Vorbringen des Klägers nicht verwirklicht.

Daran ändert auch der Hinweis des Revisionswerbers auf § 108 StGB nichts. Es mag dahingestellt bleiben, ob überhaupt Vermögensnachteile als Schaden iSd § 108 StGB zu qualifizieren sind (dagegen Bertel in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum StGB, Rz 4 zu § 108 StGB). Schutzobjekt des § 108 StGB ist jedenfalls - wie sich vor allem auch aus der Einstufung dieses Tatbestandes in das System des StGB ergibt - nicht das fremde Vermögen, sondern die Dispositions- bzw Willensfreiheit des Opfers. Damit kann aber die Verwirklichung des Tatbestandes des § 108 StGB den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 3. Fall MRG nicht verwirklichen.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen erweisen sich daher als zutreffend.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der vom Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung verzeichnete Kostenbetrag war allerdings auf die im Spruch ersichtliche Höhe zu reduzieren, weil die Verzeichnung eines 200 %igen Einheitssatzes durch den Beklagten jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt. § 23 RATG - der im Übrigen unter den gegebenen Umständen nur den dreifachen Einheitssatz decken würde - ist im Revisionsverfahren nicht anwendbar.

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