AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W142.2150335.2.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Somalia, vertreten XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.05.2018, Zl.: 1072080505/150614478, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
2.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Säumnisbeschwerde von XXXX , StA. Somalia, vertreten XXXX , beschlossen:
A)
Die Säumnisbeschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein männlicher Staatsangehöriger Somalias, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 04.06.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am selben Tag fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung statt.
Dabei gab der BF an, er sei am XXXX in XXXX geboren. Er sei traditionell verheiratet, sei aber schon einmal verheiratet gewesen und wisse nicht, wo seine 1. Ehefrau sei. Seine Ehefrau sei mitgereist sowie auch sein Stiefsohn und seine Stieftochter. Er spreche muttersprachlich Somalisch, ansonsten gut Türkisch und schlecht Englisch. Er sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Marehan an. Er habe von XXXX in XXXX und XXXX die Grundschule besucht. Zuletzt sei er Tischler gewesen. Seine Eltern, zwei Brüder und drei Schwestern seien in Somalia aufhältig. Der Aufenthaltsort seiner 1. Ehefrau, seiner Tochter und seines Sohnes sei ihm nicht bekannt. In Somalia habe er in XXXX gelebt. Die Entscheidung zur Ausreise habe er nicht selbst getroffen, die Regierung habe ihn zur Ausbildung in die Türkei gebracht.
Er sei am XXXX mit dem Flugzeug von Mogadischu aus legal nach Istanbul geflogen. Der Reisepass sei ihm am Flughafen in Istanbul von einem somalischen Beamten abgenommen worden. Er habe sich 6 Monate in Istanbul aufgehalten und habe dort im Zuge seiner Ausbildung als Soldat die türkische Sprache gelernt. Dann habe man sie nach XXXX gebracht, dort sei er desertiert. Am XXXX habe ihn die türkische Polizei festgenommen und sei er dann 5 Monate lang in einem Gefängnis gewesen. Am XXXX sei er aus der Haft entlassen worden und nach XXXX gegangen um als Tischler zu arbeiten. Im April 2015 sei er schlepperunterstützt über Griechenland in die Europäische Union und dann über mehrere Länder weiter nach Österreich gekommen.
Zu seinem Fluchtgrund gab der BF an, er habe das Land nicht verlassen wollen. Der somalische Staat habe ihn wegen seiner Ausbildung in die Türkei gebracht. Eines Tages sei er in der Türkei in einer Bibliothek gewesen und habe sich heilige Bücher kaufen wollen. Die anderen Somalier hätten ihn dabei gesehen und geglaubt, dass er aus dem Islam ausgetreten sei. Sie hätten die Bücher zerrissen. Seine Frau sei in Somalia mit Steinen beworfen worden, man habe sie rausgeworfen. Jetzt wisse er nicht, wo sie sich befinde. Deshalb sei er geflüchtet. Bei einer Rückkehr nach Somalia habe er Angst getötet zu werden. Der Staat, die Terroristen und seine Familie würden ihn töten, weil sie glauben, dass er aus dem Islam ausgetreten sei.
Der BF gab weiters an, er habe in Ungarn den Namen „ XXXX “, in Griechenland „ XXXX “ angegeben, die Geburtsdaten gleich wie in Österreich angegeben. Er habe dies gemacht, weil er Angst gehabt habe, dass ihm in den anderen Ländern nicht geholfen werde.
3. Am 14.12.2016 fand die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in der Sprache Somali statt.
Der BF gab anfangs an, etwas korrigieren zu wollen. Er habe Somalia 2013 verlassen, nicht 2012. Zudem stimme nicht, dass er mit der anwesenden (gemeint: mitgereisten) Frau verheiratet sei. Er sei mit einer anderen Frau verheiratet und habe er das nur deshalb angegeben, damit man sie nicht trenne. Seine Frau lebe in Mogadischu. Er habe keinen Kontakt zu ihr. Dass seine Frau aus dem Haus rausgeworfen worden sei, habe ihm ein Freund gesagt.
Er habe Dokumente (Militärausweis, Reisepass und Ausbildungszeugnisse) gehabt, diese seien ihm von der Regierung weggenommen worden. Er heiße XXXX und sei am XXXX in XXXX geboren. Er sei gesund, stehe nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente ein. Er spreche Somalisch, Türkisch, ein wenig Deutsch und ein wenig Arabisch. Er gehöre dem Clan der Marehan, Reer Dini, Reer Ugaas Sharmarke an und sei sunnitischer Moslem.
Seine Eltern würden seit 6 Monaten in einem Flüchtlingslager in Kenia leben. Seine Ehefrau, seine Tochter und sein Sohn hätten zuletzt in Somalia gelebt. Ein Bruder lebe in Kismaayo, ein Bruder im Sudan. Zwei Schwestern würden in Kenia leben, eine Schwester in Somalia. In der Türkei habe er mit seiner Familie telefoniert. Seine Familie habe zuletzt Probleme gehabt, die Regierung habe sie aus dem Haus geworfen im Bezirk XXXX n in Mogadischu geworfen. Seine Familie habe ihn aus einem Call-Shop angerufen, sie hätten Geld von der Regierung bekommen, weil er für die Regierung gearbeitet habe. Das Geld würden sie aber jetzt nicht mehr bekommen, weil er nicht mehr für die Regierung arbeite. In die Heimat habe er zuletzt letzte Woche Kontakt zu einem Freund gehabt, er habe diesen gebeten Informationen über seine Frau und die Kinder einzuholen. Er habe im Jahr 2008, in der Nähe von Kismaayo geheiratet. Wo sich seine Gattin momentan befinde, wisse er nicht. Der BF habe seine Gattin nicht zurücklassen wollen. Seine Absicht sei gewesen die Ausbildung in der Türkei zu machen, zu welcher ihn die Regierung geschickt habe, danach habe er nach Somalia zurückwollen. Er sei dann aber nicht mehr nach Somalia zurückgekehrt.
Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, hier keine Verwandten zu haben. Er gehe alleine ins Kaffeehaus und beschäftige sich mit dem Handy. In XXXX gehe er gerne ins Gasthaus und trinke dort Bier. Er kenne drei österreichische Familien. Manchmal nehme er sich frei und gehe für eine Woche zu ihnen. Diese würden wo anders wohnen, sie würden zusammen essen und er lerne die ganze Familie kennen. In seiner Freizeit gehe er mit seinem afrikanischen Freund in Wien spazieren. Er lebe vom Staat. Dreimal pro Woche besuche er einen Deutschkurs. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation, habe aber freiwillig gearbeitet und bei der Stadt XXXX geputzt.
Weiters gab der BF an, er sei 8 Jahre in die Schule gegangen. Bevor er Soldat geworden sei, sei er Fischer gewesen und mit seinem Onkel mit dem Boot mitgefahren. 2007 sei er Soldat geworden bzw. als Soldat ausgebildet worden. Er hab ein Jahr lang eine Ausbildung erhalten, dann sei die Regierung besiegt worden und er sei Fischer geworden. Anfang 2009 habe er wieder begonnen als Soldat zu arbeiten. Er sei Soldat geworden, weil er gegen terroristischen Gruppierungen sei und gegen diese kämpfen habe wollen. Weil die Regierung im Krieg gestürzt worden sei, sei er Fischer geworden. Er sei von Kismaayo nach Mogadischu gezogen und dort Soldat geworden. Seinen Lebensunterhalt habe er durch sein Einkommen mittelmäßig bestreiten können.
Seine Eltern würden jetzt nicht arbeiten, hätten früher aber für die Regierung von Siad BARRE gearbeitet. Seine Mutter habe Gemüse verkauft, sein Vater sei manchmal zum Großvater gegangen, welcher als Nomade Tiere gezüchtet habe.
Zu seinen Aufenthaltsorten befragt, führte der BF wie folgt aus:
„Ich bin in XXXX geboren. Bis 1997 lebte ich in XXXX , dann bin ich nach Kismaayo gezogen, mit einigen meiner Geschwister. Nach 6 Monaten bin ich wieder zurück nach XXXX . Meine Mutter wollte meine Schwester zurückholen, denn sie war seit sie klein war bei meiner Tante. Ich bin mit meiner Mutter mitgegangen. Bis 2001 war ich in XXXX und dann in Kismaayo. In Oktober 2008 bin ich nach Mogadischu gezogen. Ich war bereits verheiratet mit meiner Frau. Zuerst bin ich alleine nach Mogadischu gezogen, dann ist meine Frau mit einer Tochter nachgekommen.“
Zuletzt (bis zu seiner Ausreise am XXXX ) habe er in Mogadischu, Bezirk XXXX , gelebt. Er habe dort in einer Wohnung gelebt, welche er von der Regierung bekommen habe. Er habe keine Miete, sondern nur Strom bezahlt. Geschwister, seine Frau und die Kinder sowie Onkeln und Tanten würden sich noch in der Heimat aufhalten. Seine Schwester lebe in XXXX , seine Frau in Mogadischu und sein Bruder in Kismaayo. Sein Bruder sei Journalist, seine Schwester eine geschiedene Hausfrau. Das Verhältnis zu seinen Angehörigen sei gut. Seine Familie habe keine Besitztümer, ihr Haus sei verkauft worden. Das Geld für die Flucht habe er durch den Verkauf des Hauses in XXXX erhalten. Sein Bruder habe dies gemacht, das Geld sei im Jänner 2015 in die Türkei geschickt worden.
Zu seinem Fluchtgrund führte der BF wie folgt aus (LA: Leiter der Amtshandlung, VP: Verfahrenspartei):
[…]
Ich wollte meine Heimat nicht verlassen. Ich war wegen meiner Ausbildung in der Türkei. Ich war interessiert an anderen Religionen. Ich habe mich auch schon in Somalia für andere Religionen interessiert. Ich bin sunnitischer Moslem, aber ich wollte die Unterschiede kennenlernen. In Somalia gab es ausländische Soldaten aus Kenia, Äthiopien, Uganda Dschibuti und Burundi. Ich habe mich mit ihnen unterhalten, die meisten waren Christen. Ich habe sie in einem Zimmer besucht, das sie wie eine Kirche behandelten. Ich bin dorthin gekommen. In der Türkei dachte ich, dass ich mehr lesen kann über die anderen Religionen in somalischer Sprache. Ein Freund, der auch interessiert war an anderen Religionen, mit dem bin ich gemeinsam in eine Bibliothek gegangen. Dann haben wir uns dort zwei Bücher gekauft. Mit den Büchern sind wir in unser Militärlager in Istanbul gegangen. Wir haben gelesen in unserer Freizeit, Die Bücher waren auf Englisch und Türkisch geschrieben. Wir haben im selben Zimmer gewohnt. Dann sind somalische Soldaten in unser Zimmer gekommen, einer von den Soldaten hat das Buch gesehen, auf dem Bibel steht. Er hat es gesehen und er hat gleich gefragt, warum die Bücher da waren und hat das Buch aus dem Fenster geworfen. Das zweite Buch wollte er auch wegwerfe, aber mein Freund und ich haben das Buch gehalten. Er hat ein Blatt heraus gerissen.
LA: Wie viele Soldaten waren das?
VP: Zwei Soldaten.
LA: Was war dann?
VP: Dann sind die zwei gegangen. Sie sind zu den anderen somalischen Soldaten gegangen und haben den anderen somalischen Soldaten das herausgerissene Blatt gezeigt. Dann sind die anderen Soldaten böse zu uns gekommen. Dann haben sie uns mit den Fäusten geschlagen. Sie haben uns so geschlagen, dass wir auf den Boden gefallen sind. Die Oberlippe meines Freundes wurde verletzt und ich auf der Wange.
LA: War der Freund auch Soldat?
VP: Ja.
LA: Was war dann?
VP: Die türkischen Soldaten sind gekommen und haben uns getrennt. Wir sind nicht ins Spital gegangen.
LA: Woher wussten die türkischen Soldaten von der Auseinandersetzung?
VP: Es gibt dort Wächter, die schauen, ob man im Zimmer raucht und ob man Alkohol im Lager trinkt. Die haben geschaut, dass Ordnung im Lager herrscht.
LA: Sie wollen mir sagen, dass die somalischen Soldaten, von türkischen Soldaten bewacht wurden?
VP: Ja. Einige waren die Trainer.
LA: Was haben Sie bei der Ausbildung gelernt?
VP: In dieser Zeit mussten wir zuerst die Sprache lernen.
LA: Nur die Sprache haben Sie gelernt?
VP: Ja, nur die Sprache.
LA: Sonst haben Sie nichts gelernt?
VP: Doch wir haben gelernt wie das türkische Heer zu gehen und zu stehen, aber das Wichtigste war damals die Sprache.
LA: Was war dann?
VP: Dann haben die somalischen Soldaten mit der Botschaft gesprochen, mit der somalischen Botschaft in der Türkei. Mein Freund wurde noch zwei Mal von den Soldaten geschlagen. Ein somalischer Militärkommandant ist zu uns in der Türkei gekommen.
LA: Wie ist sein Name?
VP: XXXX , das ist sein Spitzname.
LA: Ich möchte den richtigen Namen wissen!
VP: XXXX .
LA: Wie alt war der? Wo war er stationiert?
VP: In XXXX ,
Frage wird wiederholt.
VP: Er war der höchste Kommandant vom somalischen Heer.
LA: Wann genau war das?
VP: Im Oktober 2013.
LA: Was war dann?
VP: Er hat uns gesagt, dass er von den Problemen gehört hat und dass er versuchen wird eine Lösung zu finden. Unsere Reisepässe sind im Lager geblieben. Wir haben sie nur bekommen am Samstag oder Sonntag, wenn wir in die Stadt gehen wollten.
LA: Warum am Samstag, oder Sonntag?
VP: Wir hatten keine Freizeit, wir mussten etwas lernen. Wir mussten im Lager bleiben. Nur am Samstag und Sonntag hatten wir frei.
LA: Ist das üblich in der Türkei, dass man am Samstag und Sonntag frei hat?
VP: Ja. Wir haben dann unseren Pass nicht mehr bekommen.
LA: Wenn Sie nicht langsam zum Punkt kommen, beende ich die Befragung.
VP: Man hat auch meiner Familie in Somalia gesagt, dass ich zum Christentum konvertiert bin.
LA: Wer hat das behauptet?
VP: Die Männer, die mir uns gekämpft haben, die haben verbreitet, dass wir Bibeln haben und die Kirche besuchen.
LA: Wem haben sie das erzählt?
VP: Allen haben sie das erzählt.
LA: Wann haben sie das erzählt?
VP: Es war im Oktober 2013.
LA: Ich dachte der Kommandant wollte für Sie eine Lösung finden?
VP: Er meinte damit, dass kein Streit mehr passieren dürfe.
LA: Der höchste Kommandant ist nur wegen des Streits von Ihnen und Ihrem Freund mit anderen Soldaten, extra aus Somalia in die Türkei gekommen?
VP: Er ist aus zwei Gründen gekommen. Er ist uns besuchen gekommen. Wir waren die ersten Soldaten, die zur Ausbildung gekommen sind. Der zweite Grund war, dass er über den Streit mit uns sprechen wollte.
LA: Was haben Sie in der Bibel gelesen?
VP: Dass man etwas Gutes tun soll.
LA: Was steht noch in der Bibel?
VP: Man soll die Menschen, die uns hassen lieben und gut behandeln.
LA: Was steht noch drinnen?
VP: Dass man nicht lügen soll. Dass man seine Versprechen halten soll.
LA: Aus wie vielen Teilen besteht die Bibel?
VP: Zwei Teile, die alte und die neue Bibel. Das Alte und das Neue Testament.
LA: Was wissen Sie noch?
VP: Man soll den Menschen verzeihen, dann wird einem selbst auch verziehen.
LA: Nennen Sie ein paar Propheten!
VP: Johannes,
Frage wird wiederholt.
VP: Matthäus, mehr fällt mir jetzt nicht ein.
LA: Sind Sie Christ?
VP: Nein, noch nicht. Ich bin noch nicht so weit gekommen, aber ich beschäftige mich damit.
LA: Was geschah sonst noch?
VP: Die Soldaten, die mich bedroht haben, haben gedroht mich zu töten, falls ich nach Somalia zurückkehre.
LA: Haben Sie alle Fluchtgründe vorgebracht?
VP: Nein, noch etwas. Ich und mein Freund haben dann beschlossen zu flüchten, denn, wenn wir nach Somalia zurückkehren, würden sie uns töten. Die Terroristen würden uns auch töten.
LA: Ist Ihr Freund auch in Österreich?
VP: Er ist nach Deutschland und wurde dort von einem Somalier getötet.
LA: Wo und wann wurde er getötet?
VP: Er war in einem Flüchtlingsheim und wurde getötet. Im XXXX .
LA: Wie war sein Name? Wo genau war er?
VP: XXXX , er war ca. 23 Jahre. Es war in der Nähe von XXXX .
LA: Was war der konkrete Anlass für das Verlassen Ihrer Heimat?
VP: Die Ausbildung in der Türkei.
LA: Wer hat Ihnen vom Mord an Ihrem Freund erzählt?
VP: Ein anderer Bekannter, der uns beide kennt. Ich habe ihn in der Türkei in der Haft kennengelernt.
LA: Warum waren Sie in Haft?
VP: Als wir das Lager verlassen haben, hat man nach uns gesucht. Deshalb. Unsere Bilder wurden verbreitet.
LA: Wie lang waren Sie in Haft?
VP: Ca. 4 Monate.
LA: Wann genau war das?
VP: Am XXXX .
LA: Wie sind Sie freigekommen?
VP: Man hat uns dann freigelassen und die UN Mitarbeiter, die zu uns ins Gefängnis gekommen sind, mit ihnen haben wir gesprochen. Wir wussten nichts Genaues. Wir haben uns beschwert.
LA: Wo waren Sie in Haft? Wie viele Insassen hatte das Gefängnis?
VP: Ich weiß den Namen des Gefängnisses nicht. Es waren viele Gefangene dort. Es sind immer neue gekommen und andere wurden wieder freigelassen. Den Namen des Gefängnisses weiß ich nicht.
LA: Was würden Sie theoretisch im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat befürchten?
VP: Ich habe Angst, dass ich getötet werde, weil sie glauben, dass ich ein Christ bin.
LA: Waren Sie mit Ihrem Freund gemeinsam in der Türkei eingesperrt?
VP: Ja.
LA: Hätten Sie damals die Möglichkeit gehabt, sich im Heimatland wo anders hinzubegeben, um sich den angegebenen Schwierigkeiten zu entziehen?
VP: Nein.
LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?
VP: Dass man Glaubensfreiheit hat.
LA: Sie sagten, dass Sie kein Christ sind?
VP: Wenn ich davon überzeugt werde, werde ich Christ. Ich lese noch darüber.
LA: Sind Sie noch nicht ganz sicher, dass Sie Christ werden wollen?
VP: Ich bin noch nicht sicher. Ich muss mich vergewissern.
[…]
Nach der Rückübersetzung führte der BF aus, er wisse jetzt, wie der Kommandant heiße: XXXX .
In der Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:
- Bestätigung der Pfarre XXXX vom 05.12.2016, wonach der BF regelmäßig bei einem ehrenamtlichen Deutschkurs der Pfarre teilnehme;
- Bildausschnitt eines YouTube-Videos;
- ein Foto von Personen in Militäruniform sowie ein Portraitfoto einer Person in Militäruniform.
4. Am 10.01.2017 stellte der BF beim BFA einen „Antrag auf Wiederholung bzw. Ergänzung der Einvernahme“. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass er bei der Einvernahme am 14.12.2016 keine Gelegenheit gehabt habe, ein ergänzendes und erklärendes Vorbringen hinsichtlich seiner Lebenssituation in Somalia, insbesondere seiner Entscheidung Soldat zu werden, der Situation in der Türkei und seiner Fluchtgründe zu erstatten. Die Fragen seien so abschließend gestellt worden, dass der BF Essentielles nicht habe erläutern können. Zusätzlich sei ihm wiederholt mit dem Abbruch des Interviews gedroht worden, sollte er die Fragen nicht direkt beantworten. Daher würden dem Einvernahmeprotokoll wichtige und für eine gerechte, seine Fluchtsituation berücksichtigende Entscheidung unverzichtbare Punkte fehlen, die er in seiner Einvernahme nicht erwähnen und erläutern habe können bzw. dürfen. Der BF sei nicht über die Beweggründe für seine Entscheidung Soldat zu werden befragt worden. Er habe auch keine Angaben dazu machen können, warum er nach der Ausbildung wieder als Fischer gearbeitet habe und erst 2009 seine Aufgaben als Soldat aufnehmen habe wollen. Weder über die Beweggründe, gegen die terroristische Gruppe zu kämpfen, noch über die Situation nach dem Regierungswechsel habe er Ausführungen machen können. Auch seine Befürchtungen, die auf Grund der ihm unterstellten religiösen Gesinnung entstanden seien, habe er nicht näher ausführen können bzw. was diese Unterstellung im Falle einer Rückkehr nach Somalia bedeuten würde. Da die Behörden in Somalia glauben würden, dass er zum Christentum konvertiert sei, drohe ihm das Schlimmste. Bereits zweimal seien seine Eltern telefonisch mit dem Tode bedroht worden und seien diese daraufhin nach Kenia geflohen. Seine Frau sei mit Steinen beworfen worden, da Menschen in Somalia davon überzeugt seien, dass er Christ geworden sei. Dies alles habe er in seiner Einvernahme nicht erwähnen dürfen, weil dazu keine Frage gestellt worden sei. Auch eine weitere, freie, detaillierte und chronologische Erzählung der näheren Umstände sei ihm nicht gestattet worden.
5. Mit Bescheid vom 27.01.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin wird ua. auf Berichte betreffend eine Somalisch-Türkische Kooperation in Militärangelegenheiten verwiesen, wonach einige Mitglieder des somalischen Heeres in der Türkei ausgebildet werden sollten. Zudem wurde ausgeführt, dass die Behörde die vom BF vorgelegten Fotos, welche ihn während der Ausbildung in der Türkei zeigen würden, nicht hinreichend berücksichtigt habe. Obwohl die Fotos eine minderwertige Qualität aufweisen würden, sei klar zu erkennen, dass es sich dabei um eine Gruppe somalischer Soldaten mit zwei türkischen Ausbildnern handle. Der BF habe sich auf dem Foto klar identifizieren können, der Körperbau und die Kopfform würden mit der Physiognomie des BF übereinstimmen. Sollte dies vom BVwG bezweifelt werden, werde jedenfalls in eventu die Heranziehung eines geeigneten Sachverständigen beantragt. Die vom BF in der Erstbefragung als „seine Ehefrau“ bezeichnete Person, sei in Wirklichkeit seine Cousine, mit welcher er gemeinsam geflohen sei. Der BF und seine Cousine hätten Angst gehabt, auf ihrer Flucht getrennt zu werden, weshalb sie angegeben hätten, verheiratet zu sein. Hinsichtlich der Ausbildung des BF zum Soldaten, wurde angemerkt, dass der BF 2007 in Somalia seine Ausbildung zum Soldaten begonnen habe. Wegen des Bürgerkrieges habe er nach der abgeschlossenen Grundausbildung nicht weiter als Soldat dienen können, weshalb er sich seinen Lebensunterhalt zwischendurch als Fischer verdient habe. 2009 habe der BF wieder den Militärdienst begonnen. Ab XXXX sei der BF Teil einer Gruppe somalischer Soldaten gewesen, welche in der Türkei eine Offiziersausbildung machen sollten. Diese mehrjährige Ausbildung, welche ein Teil des Türkisch-Somalischen Militärpaktes sei, sollte mit einem Universitätsabschluss in der Türkei enden und die Soldaten als Offiziere nach Somalia zurückkehren. Dazu sei es wegen des Zwischenfalles (unterstellte Konvertierung zum Christentum) nicht gekommen. Nach seiner Haftentlassung im XXXX habe sich der BF seinen Lebensunterhalt weiterhin in der Türkei verdient, ab XXXX habe er ein Jahr als Tischler in XXXX gearbeitet. Weiters wurde ausgeführt, dass sich der BF niemals in Strafhaft, sondern vier Monate in XXXX , an der Grenze zu Bulgarien, festgehalten worden zu sein, da er illegal versucht habe, die Grenze zu überqueren. Erst nach der Entlassung auf diesem Lager, nachdem der BF wieder nach XXXX zurückgekehrt sei und als Tischler gearbeitet habe, hätten somalische Soldaten angefangen, in Caféhäusern, welche von Somalis frequentiert würden, nach ihm zu fragen bzw. ihn zu suchen. Aufgrund der Angst vor Ergreifung durch die somalischen Gruppen habe sich der BF letztendlich zur Flucht entschieden. Der BF sei lediglich 3 Monate in der Militärbasis bei XXXX stationiert gewesen, bevor er fliehen hätte müssen. Da die Ausbildung jedoch mehrere Jahre gedauert hätte, sei es logisch, dass die ersten Monate Großteiles durch Grundausbildung (Marschieren/Stehen) und durch Sprachkurse gefüllt worden seien, da die Verständigung zwischen Ausbildnern und Auszubildenden wohl als Vorbedingung zur militärischen Ausbildung angesehen werden könne. Auch die Kommunikation zwischen dem BF und der Sachbearbeiterin des BFA sei suboptimal gelaufen. Zudem wurde die Einvernahme der bei der Einvernahme anwesenden Vertrauensperson beantragt. Dem BF drohe aufgrund der ihm unterstellten religiösen Gesinnung Verfolgung. Der somalische Staat sei nicht dazu in der Lage, den BF vor Angriffen durch die lokale Bevölkerung oder islamistische Terrorgruppen wie die Al Shabaab zu schützen. Zudem sei Blasphemie und der Abfall vom Glauben in Somalia mit Strafe bedroht. Die Verfolgung werde durch die Aktivitäten des BF in Österreich noch akuter, zumal der BF und seine Cousine seit längerer Zeit für einen katholischen Kirchenchor singen würden und deswegen mehrmals in Kirchen, auf Taufen oder am Pfarrball aufgetreten seien. Falls Fotos solcher Aktivitäten des BF in Somalia publik werden würden, würde dies eine massive Verfolgungsgefahr für den BF darstellen. Dem BF stehe aufgrund der humanitären bzw. allgemeinen prekären Situation in ganz Somalia keine IFA offen. Er verfüge in Somalia über keinerlei soziales Netzwerk mehr, da seine Familie aufgrund der Verfolgung, welche auf dem Fluchtvorbringen des BF basiere, nach Kenia habe flüchten müssen und sich aktuell nicht mehr in Somalia aufhalte. Die Eltern des BF seien nach der Flucht des BF zumindest 2 Mal von Unbekannten kontaktiert und mit dem Tode bedroht worden. Auch die Ehefrau und die zwei Kinder des BF würden sich wahrscheinlich nicht mehr in Mogadischu aufhalten. Jedenfalls bestehe derzeit keinerlei Kontakt zwischen dem BF und seiner Frau und sei ihm ihr Aufenthaltsort nicht bekannt. Auch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei nicht zulässig, zumal der BF in Österreich einen Deutschkurs besuche, in der Gemeindereinigung arbeite, als freiwilliger Schülerlotse tätig sei und in der Gesellschaft in XXXX integriert sei. Die beigelegten Empfehlungsschreiben und Fotos, welchen den BF ua. mit seiner Cousine und ihren Kindern bei diversen Aktivitäten in Österreich zeigen würden, würden die Integration des BF bestätigen.
Mit der Beschwerde wurden folgende Unterlagen in Vorlage gebracht:
- Bestätigung der Stadtgemeinde XXXX vom 07.02.2017 betreffend die Betrauung des BF mit der Sicherung des Schulweges;
- Empfehlungsschreiben einer österreichischen Familie;
- diverse Fotos, die den BF bei Auftritten des Chores zeigen;
- Schreiben der Pfarre XXXX vom 04.01.2016, wonach der BF bei diversen Aktionen der Pfarre teilnehme und im Kirchenchor singe;
- diverse Fotos, die den BF bzw. seine „Cousine“ und ihre Kinder bei Freizeitaktivitäten mit einer österreichischen Familie zeige.
7. Mit Schriftsatz vom 29.09.2017 stellte der BF einen Fristsetzungsantrag beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH).
8. Mit Beschluss des BVwG vom 08.11.2017, GZl. W142 2150335-1/8E, wurde der Bescheid des BFA vom 27.01.2017 gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF zu den vorgelegten Fotos überhaupt nicht näher befragt worden sei, insbesondere wer und was auf diesen Fotos zu sehen sei bzw. was er mit diesen Fotos beweisen wolle. Auch zum genauen Inhalt des vorgelegten Ausschnittes des YouTube-Videos sei der BF nicht befragt worden und dies von der Behörde völlig ignoriert worden. Im fortgesetzten Verfahren müsse sich das BFA näher mit den vorgelegten Beweismitteln befassen und den BF zu den vorgelegten Fotos eingehend und detailliert zu befragen haben. Weiters habe es die Behörde verabsäumt, die vorherrschende Dürre in Somalia in ihre Erwägungen einzubeziehen. Das BFA werde sich daher nach einer neuerlichen Einvernahme des BF und unter Heranziehung von aktuellen Länderinformationsmaterial eingehend mit dem individuellen Vorbringen des BF auseinanderzusetzen haben.
9. Mit Beschluss des VwGH vom 13.12.2017, GZl.: Fr 2017/20/0058-3, wurde der Fristsetzungsantrag zurückgewiesen.
10. Im fortgesetzten Verfahren führte das BFA am 26.04.2018 eine neuerliche Einvernahme des BF durch. Dabei war eine Dolmetscherin für die somalische Sprache sowie eine Vertrauensperson des BF ( XXXX ) anwesend.
Der BF gab an, dass die Vertrauensperson sein Deutsch- und Musiklehrer bzw. der Gruppenleiter sei. Die Vertrauensperson führte aus, er sei der Chorleiter. Weiters führte der BF aus, dass die Verständigung mit der Dolmetscherin sehr gut sei. Er habe keine Identitätsdokumente aus Somalia, habe aber einen Reisepass, Zeugnisse, Arbeitszeugnisse, einen Dienstausweis gehabt.
Weiters führte der BF in der Einvernahme wie folgt aus:
[…]
LA: Gibt es Änderungen Ihrer persönlichen Umstände seit der letzten Einvernahme am 14.12.2016, über welche das Bundesamt zu informieren ist?
VP: Ja.
Nachgefragt, meine Religion hat sich geändert.
LA: Können Sie das näher erläutern?
VP: Was meinen Sie?
Frage wird wiederholt und genauer ausgeführt.
VP: Ich habe mein Land verlassen, wegen meiner Religion. Ich habe eine richtige Religion gesucht. Meine Familie hat erfahren, dass ich eine andere Religion suche. Ich habe meine Arbeit, meine Freunde und meine Familie verlassen. Fünf Jahre lang habe ich die Bibel gelernt. Als ich gelernt habe, hat es mir gut gefallen. In diesem Jahr, 2018 bin ich zum Christentum konvertiert.
LA: Wie ist Ihr Familienstand?
VP: Ich bin verheiratet, aber wir sind nicht zusammen.
LA: Was meinen Sie mit „nicht zusammen“?
VP: Als ihre Familie erfahren hat, dass ich auf der Suche nach einer anderen Religion war, hat ihre Familie mir meine Frau weggenommen.
LA: Haben Sie Kinder?
VP: Ja. Ich habe zwei Kinder. Eine Tochter und einen Sohn.
Nachgefragt, meine Tochter heißt XXXX . Mein Sohn heißt XXXX geboren.
LA: Wie und wann erfolgte die Eheschließung? (traditionell, standesamtlich; falls traditionell – wurde sie beim Amt registriert?)
VP: Ich erinnere mich nicht an das genaue Datum, aber ich glaube es war Anfang 2008. Wir haben uns geliebt. Wir haben unsere Eltern informiert. Wir haben traditionell verheiratet.
Nachgefragt, traditionell islamisch.
LA: Wenn Sie nun zum Christentum konvertiert sind, sind Sie dann noch verheiratet, wenn Sie islamisch verheiratet wurden?
VP: Das kann ich nicht genau sagen. Ihre Familie hat gesagt, wenn ich eine andere Religion nehme, dann sind wir geschieden. Aber ich glaube das nicht.
LA: Sind Sie im Besitz einer Heiratsurkunde?
VP: Jetzt habe ich sie nicht.
Nachgefragt, wir haben nur als Erinnerung das Datum notiert. Wir haben keine Urkunde bekommen. Dieses Papier hat meine Frau.
LA: Wo haben Sie nach der Eheschließung mit Ihrer Gattin gewohnt? Nennen Sie bitte die konkrete Adresse.
VP: Wir haben in XXXX (phonetisch) gelebt. Es liegt in Südsomalia. Wir haben dort etwa ein Jahr gewohnt. Ich glaube, es waren sechs Monate. Wir sind nach Kismayo umgezogen. Meine beiden Kinder wurden in Kismayo geboren. Ich habe dann Kismayo verlassen und bin nach Mogadischu gegangen, bevor mein zweites Kind geboren wurde. Wo ich früher gearbeitet habe, hatte ich immer Probleme wegen meiner Religionskenntnisse. In Kismayo gab es auch viele Jugendliche, die mit uns über Religionen diskutiert haben. Sie sind alle radikale Islamisten geworden. Sie haben mich oft angerufen und gefragt, ob ich immer noch die Meinung habe. Eines Tages war ich in der Arbeit und sie kamen in meine Wohnung. Als sie in meinem Haus waren, haben sie meine Frau gefragt, wo ich bin. Als ich nach Hause kam, informierte mich meine Frau, was die Männer gesagt haben. Ich habe in dieser Nacht nicht in meiner Wohnung geschlafen. Ich habe bei einem Freund, der mein Nachbar war, übernachtet. Wie gesagt, habe ich Kismayo verlassen und bin nach Mogadischu gegangen.
LA: Was meinten Sie mit „Meinung“?
VP: Erstens habe ich im Jahr 2007 bei der Regierung gearbeitet. Damals war ich Suufi, weil es eine offene Religion war. Das ist dem Islam untergeordnet. Meine Freunde haben gemeint, dass ich ungläubig bin. Sie glauben, wenn jemand bei der Regierung arbeitet, ist er ungläubig. Dann bin ich nach Mogadischu gegangen. Dann habe ich wieder angefangen, bei der Regierung zu arbeiten. Ich bin Soldat geworden.
LA: Das erklärt noch immer nicht, welche Meinung Sie hatten.
VP: Meine Meinung war, dass ich eine andere Religion, außer dem Islam suchte, weil ich viele Fragen hatte. Ich war auf der Suche nach einer richtigen Antwort. Es gab im Islam sehr viele Fragen, die ich aufklären wollte. Ich habe den Islam sehr gut gelernt, aber es war nicht genug für mich. Ich habe versucht mit anderen Religionen zu vergleichen. Ich habe lange gebraucht, bis ich einen Weg finde, weil meine Leute alle Moslems sind und mir andere Religionen nicht erklären können. Es ist auch verboten, über andere Religionen zu sprechen.
LA: Was genau hat Ihnen am Islam nicht gefallen?
VP: Erstens habe ich nicht verstanden, warum sie von einem ungeborenen Kind sagten, dass schon feststeht, ob dieses Kind in das Paradies oder in die Hölle kommt. Das bedeutet, wenn jemand viel gebetet hat, oder geschlafen hat, es ändert sich nichts. Sie sagten, es ist schon geschrieben. Das war für mich unklar. Sie sagten auch, dass die Männer in der Welt die Macht haben. Es ist auch das Gleiche wenn sie sterben. Sie gehen ins Paradies und bekommen viele Frauen. Das war für mich unklar. Auch wenn jemand zu einer anderen Religion konvertiert, dass sie ihn töten. Auch ungläubige Menschen. Wenn Sie ablehnen, zum Islam zu konvertieren, töten sie ihn auch. Ich kann es nicht genau erklären, aber die Menschen sterben. Sie sagten, dass sie eine Verurteilung bekommen. Sie behaupten, dass Männer und Frauen in dem Fall gleich sind.
Nachgefragt, im Fall einer Verurteilung.
LA: Wo und bei wem hält sich Ihre Gattin mit den Kindern jetzt auf?
VP: Meine Kinder leben bei meiner Schwester und meiner Mutter. Meine Frau wohnt bei ihren Eltern. Aber ich habe gehört, dass sie einen anderen Mann geheiratet hat.
LA: Wo lebt die Familie Ihrer Gattin?
VP: Normalerweise lebten sie in Zentralsomalia. Aber ich habe gehört, dass meine Frau und ihre Mutter in Mogadischu leben.
Nachgefragt, meine Mutter, Schwester und Kinder leben in Kenia, in einem Flüchtlingslager, Xagardeheer.
LA: Wann wurde Ihnen Ihre Frau weggenommen?
VP: Ich erinnere mich nicht an den Monat. Aber es war im Jahr 2014.
LA: Stehen Sie mit Ihrer Gattin in Kontakt?
VP: Ja. Ich habe sie einmal im Jänner 2018 kontaktiert, telefonisch.
LA: Warum?
VP: Ein Freund von mir hat meine Frau zufällig im Spital getroffen, weil sie ein Kind bekommen hat. Er kannte meine Frau. Er hat mich angerufen und gesagt, dass meine Frau im Spital ist. Er hat meiner Frau das Telefon gegeben. Wir haben miteinander telefoniert.
LA: Schildern Sie dieses Telefonat in allen Einzelheiten.
VP: Sie hat zu mir gesagt, dass sie mit einem anderen Mann verheiratet ist und ein Kind bekommen hat. Ich habe zu ihr gesagt, dass ich nicht verstehe, warum sie es so gemacht haben.
Nachgefragt, mit „sie“ meine ich ihre Familie.
LA: Und weiter?
VP: Ich habe meiner Frau gesagt, dass ich sie immer noch so wie früher liebe. Ich habe gefragt, ob sie mir ihre Kontaktdaten geben kann. Sie hat mir eine Telefonnummer gegeben. Ich habe ihr meine gegeben. Aber sie hat gesagt, ich darf nicht bei ihr anrufen, denn sie bekommt Probleme mit ihrer Familie. Sie hat gesagt, dass sie mich anruft, wenn sie eine Chance findet. Ich kenne auch ihren jetzigen Ehemann. Er arbeitet bei der Regierung und ich sehe seine Bilder oft in den sozialen Medien. Ich habe sehr guten Kontakt mit meinem Freund. Er erzählt mir, dass sie immer noch in Mogadischu lebt.
Nachgefragt, damit meine ich den Freund vom Spital. Er ist auch mein Bekannter.
LA: An welcher Adresse haben Sie zuletzt vor Ihrer Ausreise gelebt?
VP: Ich habe im Bezirk XXXX gelebt. Es liegt in Mogadischu.
LA: Mit wem haben Sie dort zusammen in einem Haushalt gewohnt?
VP: Ich habe mit meiner Frau und meinen Kindern gelebt.
LA: Bis wann waren Sie an dieser Adresse aufhältig?
VP: Bis XXXX .
LA: Wann haben Sie Ihr Heimatland verlassen?
VP: Am selben Tag.
LA: Wie haben Sie in Ihrem Heimatland Ihren Lebensunterhalt bestritten?
VP: Ich habe bei der Regierung gearbeitet. Da habe ich mein Gehalt bekommen.
LA: Können Sie das genauer ausführen?
VP: Ich war ein Soldat. Ich habe 200 USD bekommen. Es war nicht regelmäßig.
Nachgefragt, grundsätzlich hätte ich 200 USD im Monat verdient. Ich erhielt auch Lebensmittel.
LA: Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z.B. Häuser, Grundstücke etc.?
VP: Nein. Meine Großeltern waren Nomaden. Meine Eltern hatten ein Grundstück.
LA: Sie haben nunmehr die Möglichkeit, Ihre Beweggründe für das Verlassen Ihrer Heimat ausführlich darzulegen. Bitte schildern Sie möglichst lebensnahe, also konkret und mit sämtlichen Details, sodass auch unbeteiligte Personen Ihre Darstellung nachvollziehen können, aus welchem Grund Sie Ihr Heimatland verließen.
VP: Ich habe mein Heimatland verlassen, weil ich meine Weiterbildung als Soldat in der Türkei weitermachen. Ich war nicht alleine. Wir waren XXXX Leute. Wir haben ein Training bekommen. Wir waren in unterschiedlichen Einrichtungen. Es gab eine Gruppe in Somalia, die heißen „Peace Keeping“. Sie waren auch Soldaten. Sie waren gemischt. EU und die afrikanische Union. Ich hatte mit ihnen Kontakt und wir haben viel über Religion gesprochen. Als ich in der Türkei war, habe ich meine Recherche weitergemacht und mit türkischen Leuten darüber geredet. In dem Lager gab es viele Soldaten. Nicht nur aus Somalia, sondern unterschiedlicher Herkunft. Wir haben über Religion gesprochen. Ich habe dort viele Leute kennengelernt, ich bin in die Buchhandlung gegangen. Wir haben uns dort religiöse Bücher gekauft. Wir waren zurück im Camp. Ein anderer Soldat aus Burundi hat uns zwei Bibelbücher gegeben. Ich und mein Freund haben weitergelesen. Wir haben in einem Zimmer zusamme gewohnt. Andere somalische Soldaten haben unsere Bücher gesehen, weil sie uns oft besucht haben. Als sie die Bibel gesehen haben, haben sie sie uns weggenommen und weggeschmissen. Sie sind zurückgegangen und haben die anderen somalischen Soldaten informiert. Es kamen viele Soldaten zu uns. Sie haben uns geschlagen. Es gab dort türkische Soldaten, die uns bewachten. Sie kamen zu uns und haben die anderen Soldaten hinausgebracht. Mein Freund wurde verletzt. (AW deutet auf seine Lippe) Die anderen somalischen Soldaten haben gesagt, dass sie mit uns nicht trainieren wollen, weil wir eine andere Religion lernen. Die anderen Soldaten haben die somalische Botschaft in der Türkei informiert. Sie haben gesagt, wir müssen dieses Camp verlassen. Unser Chef kam zu uns. Er hat unseren Reisepass weggenommen und gesagt, er findet eine Lösung. Normalerweise hatten wir Samstag und Sonntag frei. Wir durften die Stadt besuchen. Aber ab diesem Moment durften wir nicht mehr. Meine Frau hat mich angerufen und hat gefragt, ob ich eine andere Religion angenommen habe, weil sie das von jemand anderem gehört hat. Wir haben viele Drohungen bekommen. Ich und mein Freund haben viel darüber gesprochen und haben uns gefragt, was wir machen können. Wir haben uns entschieden, dass wir dieses Camp verlassen müssen. Wir sind weggegangen und die Polizei hat uns festgenommen. Etwa vier Monate waren wir im Gefängnis. Nach vier Monaten wurden wir entlassen. Ich bin nach XXXX gegangen. Vorher waren wir in Istanbul. Ich habe dort eine Arbeit als Tischler gefunden. Ich habe dort fast ein Jahr gearbeitet. Ich habe versucht, dass ich meinen Reisepass wieder bekomme und bin zur somalischen Botschaft gegangen. Wo ich gewohnt habe, gab es eine Cafeteria, wo sich viele Somalier treffen. Ich war dort und somalische Soldaten kamen zu mir. Sie haben mich gefragt, ob ich XXXX kenne. Ich bin das, aber die Leute kannten mich als XXXX . Ich habe gefragt, warum sie nach XXXX suchen. Sie sagten, dass er ein Soldat war und er oft in diese Cafeteria kommt. Sie sagten, dass sie auf der Suche nach XXXX sind. Ich bekam Angst und habe mir gedacht, dass sie mich nach Somalia schicken. Als ich in Somalia war, war das Leben schwer für mich. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet. Trotzdem habe ich nicht viel verdient. Danach habe ich mich entschieden, die Türkei zu verlassen. Dann bin ich in Österreich angekommen.
…
LA: Seit wann sind Ihre Kinder bei Ihrer Mutter und Ihrer Schwester?
VP: Seit August 2016.
Nachgefragt, davor waren sie bei ihrer Mutter.
LA: Seit wann sind Ihre Mutter, Ihre Schwester und Ihre Kinder in Kenia?
VP: Seit Juni 2016.
Nachgefragt, ich weiß den Monat nicht, aber es war vor August 2016.
LA: Können Sie Ihre Konversion schriftlich belegen?
VP: Ja. AW legt Taufschein und weitere Bestätigungen vor, sowie Gebete. (Kopien werden zum Akt genommen) Daraus geht hervor, dass der Taufname XXXX lautet.
LA: Haben Sie sich den Namen XXXX selbst ausgesucht, oder wurde er Ihnen zugeteilt.
VP: Ich habe ihn selbst ausgesucht. Man hat uns einige Namen genannt und dieser gefiel mir.
LA: Warum genau haben Sie sich diesen Namen ausgesucht? Hat Ihnen der Klang gefallen, oder gibt es eine Geschichte dazu?
VP: Er ist einer der zwölf Apostel.
Frage wird wiederholt.
VP: Es war ein Freund von Jesus und deswegen hat mir der Name gut gefallen.
LA: Was können Sie mir über XXXX erzählen?
VP: Ich kenne nicht so viel.
LA: Wie ist XXXX gestorben?
VP: Ich weiß es nicht.
LA: Haben Sie schon einmal den Begriff „ XXXX “ gehört?
VP: Was meinen Sie damit?
LA: Jesus wurde doch gekreuzigt. (Kreuz wird aufgezeichnet durch LA). XXXX wurde auch gekreuzigt. Sieht sein Kreuz auch so aus, oder anders. Können Sie das XXXX aufzeichnen?
VP: Wie gesagt, ich habe keine Ahnung von XXXX .
LA: Bitte sagen Sie Ihr tägliches Gebet zur Vorbereitung auf die Taufe auf.
VP: Vater unser im Himmel.
LA: Stop. Ist das das Gebet, das Sie täglich zur Vorbereitung auf die Taufe gebetet haben?
VP: Wenn wir in der Kirche sind, lesen wir das vor.
LA zeigt das vorgelegte tägliche Gebet zur Vorbereitung auf die Taufe.
LA: Können Sie dieses Gebet aufsagen?
VP: Kann ich das auf Somalisch machen?
LA: Natürlich.
VP: Ich glaube an Gott, den Vater…
LA: Das ist das Glaubensbekenntnis. Auch nicht das, was hier steht.
LA: Also haben Sie das Gebet, welches Sie zur Vorbereitung der Taufe täglich beten hätten sollen nicht gebetet.
VP: Ich gehe am Samstag zur Kirche. Wir haben jeden Freitagabend Taufgruppe.
LA: Jetzt auch noch nach der Taufe?
VP: Ja. (AW antwortet auf Deutsch, bevor Frage übersetzt wurde)
Dolm. wird angewiesen, die Frage zu übersetzen.
VP: Ja. Jetzt auch noch. Ich habe mich jetzt erinnern, dass mehrere Freunde von Jesus gekreuzigt wurden.
LA: Wer wurde noch gekreuzigt?
VP: Jesus, Andres.
LA: Das wissen wir schon. Wer noch?
VP: Jakobus und Lukas. Ich weiß es nicht genau. Ich habe es nur einmal gehört. (AW antwortet auf Deutsch)
LA: Was sind die Sakramente?
VP: Es gibt sieben Sakramente. Taufe, Christkerze, Kommunion, Brot und Wein, Heiliger Geist, weiße Kleidung, Ehe, Priesterweihe. Haben wir schon sieben?
LA: Wir haben schon mehr als sieben. Fehlt vielleicht noch etwas?
VP: Krankensalbung und Vergebung.
LA: Wurde jetzt alles genannt?
VP: Das Leben. Ich glaube das waren sieben Sakramente.
LA: Wie heißen die vier Evangelisten?
VP: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes.
LA: Können Sie auch die zehn Gebote benennen?
VP: Es gibt einen Gott. Gottes Name ist heilig. Jesus ist Gottes Sohn.
Vertrauensperson: Nein.
VP: Man soll nicht lügen, man soll nicht denken, jemand anderem etwas wegzunehmen. Betrogen.
Nachgefragt, man soll nicht mit einer verheirateten Frau schlafen. Dass ich Mutter und Vater zuhöre. Wie viele habe ich schon gesagt? Ich weiß es, aber erinnere mich nicht an alles. Ich habe mich nicht gut vorbereitet, dass Sie mir diese Fragen stellen.
LA: Sie gaben an, bereits 2007 bei der Regierung gearbeitet zu haben. Erzählen Sie davon.
VP: Ich war beim Militär. Meistens habe ich an Kriegen Teilgenommen. Meistens habe ich mit dem Ministerium gearbeitet. Damals war ich ein Bewacher. Ich war ein Captain. Das war es. Ich bin etwa viermal ins Ausland gegangen und habe unterschiedliche Trainings bekommen.
LA: Von 2007 bis wann waren Sie Soldat?
VP: Bis XXXX . Während dieser Zeit war ich ein Jahr XXXX .
Nachgefragt, von XXXX .
LA: Wieso haben Sie sich dazu entschlossen, Soldat zu werden?
VP: Weil mein Vater ein Soldat war. Ich habe mich entschlossen, dass ich ein Soldat werde, wie mein Vater.
LA: Dann erzählen Sie nun einmal zu Beginn von der Zeit von 2007 bis 2008.
VP: 2007 kam die Regierung in meine Stadt. Wir haben lange Zeit gewartet, dass eine Regierung zu uns kommt. Als sie kamen, habe ich mich entschlossen, ein Soldat zu werden.
Nachgefragt, ich meine die Stadt Kismayo. Weil ich gegen Extremismus war, habe ich dort ein Jahr lang gearbeitet. 2008 ist die Regierung zerfallen und es begann ein Bürgerkrieg.
LA: Bei welcher Einheit waren Sie?
VP: Danach habe ich als Fischer angefangen.
Frage wird wiederholt.
VP: Sechs Monate habe ich ein Training bekommen. Andere sechs Monate gab es Bürgerkrieg, wo ich teilgenommen habe.
Frage wird erneut wiederholt.
VP: Ich war beim Militär, bei der XXXX .
XXXX
LA: Worum geht es in dem Video?
VP: Es geht um einen Krieg zwischen der Regierung und dem Extremismus. Die Regierung war in XXXX . Diese Gruppe war nicht die Gleiche wie 2007. Dieser Sprecher war der Chef des Militärgerichtes.
LA: Ich brauche diese Bilder in elektronischer Form, um diese überprüfen zu können.
VP: AW und Vertrauensperson sichern zu, diese innerhalb einer Woche zu senden.
LA: Sie gaben an, dass es in Somalia eine Gruppe namens „Peace Keeping“ gibt. Was können Sie mir darüber erzählen?
VP: Es gab Soldaten aus Kenia, Burundi und Äthiopien. Es gab andere Soldaten, die uns trainiert haben. Sie waren aus Amerika und Europa. Sie waren Peacekeeper. Sie waren zuständig, wo die Regierung aufhältig ist. Sie haben die Regierung unterstützt.
LA: Hat diese Gruppe einen Namen?
VP: AMISOM.
LA: Wo, wie und wann kam es zum Kontakt zwischen Ihnen und dieser Gruppe?
VP: Unser Kontakt hat im Jahr 2011 angefangen. Wir haben im gleichen Camp gewohnt.
LA: Was war das für ein Camp?
VP: XXXX . Wir gehen zusammen von einem Ort zum anderen, essen zusammen, reden miteinander über Kämpfe. Wir waren oft zusammen (AW spricht Deutsch).
XXXX
LA: Welches Training haben Sie dort erhalten?
VP: Es war das Gleiche, das ich schon am Anfang gemacht habe.
LA: Warum mussten Sie das nochmal machen?
VP: Beim zweiten Mal habe ich ein spezielles Training bekommen. Zum Beispiel wie ich gut bewachen kann. Am Anfang hatte ich einen Stern und wollte mich weiterbilden. Als ich zurückkam, habe ich mitgearbeitet beim Chef der Armee.
Nachgefragt, er heißt XXXX .
Nachgefragt, ich weiß nicht wann er angefangen hat. Aber hat die Arbeit XXXX verlassen.
Nachgefragt, es war XXXX .
Nachgefragt, nach ihm war XXXX .
…
LA: Was können Sie mir über die Ausbildung in der Türkei erzählen?
VP: Erstens mussten wir die Sprache lernen. Zweitens musste ich Gesetze lernen. Wir hatten ein Training im gleichen Lager wie die Sowjetunion. Aber in der Türkei haben wir ein NATO-Training bekommen. Wie gesagt. Und dann bin ich weggegangen.
LA: Worin bestand das NATO-Training?
VP: Das war zum Beispiel, wie man grüßt und marschiert. Kommandieren.
LA: Warum wurden Sie in die Türkei geschickt? Was war das Ziel dieser Ausbildung?
VP: Dass ich eine Ausbildung bekomme. Das dauerte lang. Es gab ein Einvernehmen, wenn diese Leute die Prüfung bestanden haben, bekommen sie eine Ausbildung als XXXX .
Nachgefragt, ich war dort etwa dreieinhalb Monate. Ich habe gleichzeitig den Sprachunterricht und das Training bekommen.
Nachgefragt, das Training hätte drei Jahre und mehr dauern sollen.
Nachgefragt, der erste Auftrag war nur ein Jahr.
Nachgefragt, ich hätte nach einem Jahr wieder zurück nach Somalia kommen sollen.
LA: Was hätten Sie am Ende dieses Jahres können sollen, oder was wäre geprüft worden?
VP: Das will ich nicht beantworten. Sie müssen nur übersetzen, was ich sage. Ich will etwas anderes erzählen. (AW spricht Dolmetscherin an). AW spricht weiter, während Dolm. übersetzt.
LA: Stop.
LA: Die Dolmetscherin übersetzt natürlich genau das, was Sie sagen. Aber Sie müssen meine Fragen beantworten. Wenn Sie etwas anderes sagen wollen, haben Sie im Anschluss die Möglichkeit dazu.
VP: Okay.
LA: Was hätten Sie am Ende dieses Jahres können sollen, oder was wäre geprüft worden?
VP: Wie gesagt erstens die Sprache. Zweitens das NATO-Training. Drittens mussten wir eine Weiterbildung auswählen und damit anfangen.
LA: Was wäre der Inhalt der Prüfung gewesen?
VP: Die Leute, die dieses Training bekommen haben, haben unterschiedliche Berufe. Wie gesagt, nach dem Training suchte jeder seinen Beruf. AW nennt auf Deutsch, bzw. Englisch diverse Waffengattungen, Artillerie, Marine, Panzer, welche dann ausgesucht werden können.
Frage wird wiederholt.
VP: Ich bin nicht in den Beruf eingetreten. Ich weiß nicht, wie es gelaufen wäre.
LA: Welche Bücher hatten Sie sich in der Türkei gekauft?
VP: Es waren kleine Bücher. Es war auf Türkisch geschrieben. Ich erinnere mich nicht an die Namen dieser Bücher. Aber es waren „Injiil“-Bücher. Diese haben wir nicht gekauft, sondern als Geschenk bekommen.
Nachgefragt, wir haben von einem Soldaten aus Burundi diese Bücher bekommen und welche von der Kirche. Die Bücher, die wir gekauft haben, waren eine Geschichte. Eine Kinderbibel und enthielt große Buchstaben und Bilder. In Türkisch.
LA: Was sind „Injiil“-Bücher?
VP: Das ist auf Türkisch geschrieben. Der Name ist „Injiil“. Das Buch ist rot.
Nachgefragt, alles in türkischer Sprache.
LA: Wo haben Sie diese Bücher gekauft?
VP: Ich war mit meinen Freunden. Wir sind zusammen gegangen und haben es zusammen gekauft.
Nachgefragt, in Istanbul.
Nachgefragt, ich habe fünf Bücher gekauft. Eine Geschichte Christi war dabei. Auch ein Wörterbuch für Türkisch.
LA: Schildern Sie die Situation, als die anderen Soldaten in Ihr Zimmer gekommen sind.
VP: Als die anderen Soldaten zu uns kamen, hatte mein Freund diese Bibel. Sie haben sie ihm weggenommen. Sie haben es aus dem Fenster geworfen. Es waren zwei Soldaten. Wir waren auch zwei. Wir haben gegenseitig gestritten. Sie sind weggegangen und haben laut geschrien. Plötzlich kamen alle anderen Soldaten. Sie kamen zu uns und haben uns geprügelt. Wir haben versucht, uns zu verteidigen. Aber es waren mehrere Soldaten. Wir konnten uns nicht mehr verteidigen. Türkische Soldaten haben unsere Streiterei mitbekommen. Sie haben die anderen Soldaten hinausgebracht. Mein Freund wurde verletzt und wurde ins Spital gebracht. Wir haben keinen Kontakt mehr zu den anderen Soldaten gehabt. Nach zwei Tagen haben die anderen Soldaten meinen Freund geschlagen. Ab diesem Moment durften wir Samstag und Sonntag nicht mehr hinausgehen.
LA: Wie ging es danach genau weiter?
VP: Danach hat uns der Chef unsere Reisepässe weggenommen. Danach sagten sie, dass sie uns zurück nach Somalia schicken. Wir haben viele Drohungen bekommen, von der Soldatengruppe und auch in Somalia.
LA: Wieso sollten Sie Drohungen in Somalia bekommen haben? Sie waren doch in der Türkei.
VP: Weil wir Kontakt gehabt haben. Die Leute haben gehört, dass wir zum Christentum konvertiert waren. Deswegen bedrohten sie uns.
LA: Welche Leute?
VP: Erstens die Soldatengruppe. Zweitens meine Freunde, die in Somalia leben. Ich kann Ihnen gute Beispiele geben. Der Mann, der jetzt mit meiner Frau verheiratet ist, hat mich sehr viel bedroht. Er war ein Freund von mir.
LA: Wer noch?
VP: Normalerweise sind 60% der somalischen Leute gegen die Regierung. Und ich war damals Mitglied der Regierung. Jetzt bin ich zum Christentum konvertiert und 40% sind gegen mich. Das heißt, dass 100% der somalischen Leute gegen mich sind.
LA: Das war nicht meine Frage. Wer hat Sie außer diesem Freund noch bedroht?
VP: Nein. Ich kannte nur meine Freunde und die haben mich bedroht.
Nachgefragt, zum Beispiel mein Bekannter.
LA: Haben alle Ihre Freunde Sie bedroht?
VP: Welche haben mich kontaktiert und mich bedroht.
Nachgefragt, alle meine Freunde haben mich bedroht.
LA: Was haben diese Freunde gesagt? In welcher Form wurden Sie bedroht?
VP: Sie haben mich mit dem Tod bedroht. Die Soldaten in der Türkei haben gesagt, dass sie uns aus dem Fenster werfen. Sie haben auch gesagt, wenn wir ein Training haben, werden sie mich erschießen.
LA: Woher hätten diese anderen Soldaten die Waffen und Munition haben sollen? Sie haben doch nur Sprachtraining und exerzieren trainiert.
VP: AW antwortet auf Deutsch. Wir haben sechs Monate Sprache und Exerzieren geübt. Dann wären wir in den Wald gegangen. (AW deutet das Halten einer Waffe an).
Dolmetscherin gibt an, nicht mehr weiter übersetzen zu können, da VP unhöflich ist.
Vertrauensperson möchte von Dolm. wissen, was genau unhöflich ist. Dolm. wird von LA befragt, ob sie diese Frage beantworten möchte, was sie verneint.
LA: Die Einvernahme wird unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt.
LA: Haben Sie alles verstanden was Sie gefragt wurden, sowohl von der Sprache als auch vom Verständnis her?
VP: Ja. Ich habe verstanden. Manchmal sagt die Dolmetscherin nicht alles gut.
Dolm. gibt an, dass nur übersetzt wurde, was gefragt und geantwortet wurde.
LA: Es wird Ihnen nunmehr die Niederschrift rückübersetzt und Sie haben danach die Möglichkeit noch etwas richtig zu stellen oder hinzuzufügen.
Anm: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen vorzubringen?
VP: Es gab ein paar Fehler. Ich habe sie notiert. Als ich erzählt habe über die Soldaten, gab es einen Fehler. Es wurde geschrieben, dass ich nicht gesagt habe, dass AMISOM und wir getrennt waren.
Dolm. kann nicht mehr weiter übersetzen.
VP: Zu der Dauer der Ausbildung in der Türkei gebe ich auf Deutsch an, dass ich meinte, dass wir ein Jahr in der Türkei waren, und dann zum Beispiel für zwei Monate, über den Ramadan, nach Somalia zurückgekehrt wären, um dann wieder in die Türkei zu kommen.
Ich habe auch gesagt, dass ich am Sonntag in die Kirche gehe, sie hat aber Samstag gesagt.
Vertrauensperson: Du hast Samstag gesagt. Du hast dich geirrt.
VP: Sie kann nicht alle Worte übersetzen. Über Christus und so weiter. Das sind alles neue Wörter.
Dolm.: Man kann nur übersetzen, wenn man höflich ist.
VP: Zu Seite 7 gebe ich an, dass ich in der Türkei Tag und Nacht gearbeitet habe, jedoch nicht viel verdient habe.
Nachgefragt, ich habe ansonsten alles gesagt, was rückübersetzt wurde.
[…]
In der Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:
- Schreiben von Christoph Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien, wonach der BF am XXXX zu den Sakramenten der Eingliederung zugelassen worden sei und der Pfarrmoderator von XXXX mit der Spendung der heiligen Sakramente der Initiation im Rahmen des kommenden Festes der Auferstehung des Herrn beauftragt worden sei;
- Schreiben mit dem täglichen Gebet zur Vorbereitung auf die Taufe;
- Schreiben der Pfarre XXXX vom XXXX wonach der BF am XXXX im Rahmen der Jugendmesse unter die Taufkandidaten aufgenommen worden sei, am XXXX zur Taufe zugelassen worden sei und am XXXX in der XXXX Pfarrkirche getauft und gefirmt worden sei und die Erstkommunion empfangen habe.
Laut Aktenvermerk des BFA vom 26.04.2018 habe die bei der Einvernahme anwesende Dolmetscherin angegeben, dass der BF unhöflich gewesen sei und zudem seine Sprache chaotisch, durcheinander und teilweise nicht verständlich gewesen sei. Er habe mehrmals angeführt, dass die Dolmetscherin gegen ihn gewesen sei, weil er zum Christentum konvertiert wäre, was die Dolmetscherin verneint hätte. Die Dolmetscherin habe weiters den Eindruck gehabt, dass der BF geglaubt habe, dass die Dolmetscherin Teile des Inhaltes nicht übersetzt hätte, was laut Angaben der Dolmetscherin nicht der Wahrheit entspreche, da sie alles vollständig und korrekt übersetzt habe.
11. Am 02.05.2018 fand eine weitere Einvernahme des BF vor dem BFA statt. Bei der Einvernahme waren ein Dolmetscher für die somalische Sprache sowie eine Vertrauensperson des BF ( XXXX ) anwesend.
Die Vertrauensperson führte zum täglichen Gebet zur Vorbereitung auf die Taufe an, dass der BF diesen Zettel nicht in XXXX erhalten habe, sondern in einer großen Kirche in Wien mitgenommen hätte.
Der BF bejahte sich mit dem Dolmetscher gut verständigen zu können.
In der Einvernahme brachte der BF wie folgt vor:
[…]
LA: Möchten Sie in Bezug auf die Einvernahme von letzter Woche etwas korrigieren oder ergänzen?
VP: Ja.
LA: Bitte.
VP: Bezüglich meiner Tätigkeit als Tischler möchte ich angeben, dass ich diese Tätigkeit nicht in Somalia, sondern in der Türkei ausgeführt habe. Weiters möchte ich erwähnen, dass ich auch Gründe habe, die mich zur Ausreise bewogen haben. Diese wären als Ergänzung. Aus Angst vor einer anderen Seite habe ich mich dazu entschlossen, für die Regierung zu arbeiten und arbeitete als Soldat für die Regierung. Ich habe Somalia aus persönlicher Verfolgung und aus Angst um mein Leben und das Leben meiner Familie verlassen. Meine Familie sind Flüchtlinge. Das war es.
LA: Was meinen Sie mit persönlicher Verfolgung und Angst um Ihr Leben? Erklären Sie das!
VP: Weil sich viele meiner engsten Freunde der Al Shabaab-Gruppe angeschlossen hatten, beschloss ich, zur Regierung zu gehen und mit der Regierung zu arbeiten. Ich mag Demokratie. Ich mag, dass die Menschen in Freiheit leben. Das gab es dort nicht. Nachdem meine ehemaligen Freunde mich mit dem Umbringen bedroht hatten und bei mir zuhause nach mir suchten, bekam ich Angst. Sie wollten mich töten, weil ich nicht auf ihrer Seite war. Ich wollte nicht sterben und sah auch keine andere Möglichkeit, als auf die Flucht zu gehen. Es wurden Leute zunächst mit dem Umbringen bedroht und dann tatsächlich getötet. Unter anderem meine Verwandten, wie mein Schwager, mein Onkel mütterlicherseits und weitere weitschichtige Verwandte.
LA: Was hat das jetzt mit Ihnen persönlich zu tun? Worin bestand die persönliche Verfolgung?
VP: Alle diese Leute wurden deshalb getötet, weil sie sich nicht der Gruppe angeschlossen hatten.
LA: Sie sprachen von einer persönlichen Verfolgung. Was ist jetzt genau Ihnen persönlich passiert?
VP: Ich wurde persönlich von einem Mann verfolgt, der XXXX hieß. Ich war früher mit seinem Sohne XXXX befreundet. Dieser Mann war früher XXXX . Jetzt heißt die Gruppe Al Shabaab. Ursprünglich war er ein Nachbar. Ich und sein Sohn wuchsen zusammen auf und besuchten die gleiche Schule. Weil ich früher für die Regierung arbeitete, wollten diese Leute mich haben. Viele ehemalige Regierungsmitglieder und Mitarbeiter schlossen sich dieser Gruppe an. Einige die sich geweigert hatten wurden getötet. Ich persönlich wurde vor die Wahl gestellt. Ich war gegen die Gruppe. Ich war mit dem Sohn des Mannes befreundet. Er war damals in einer anderen Region in Somalia.
LA: Ich will wissen, worin die persönliche Verfolgung bestand, nicht wo dieser Mann war.
VP: Es kamen maskierte Männer zu mir, die nach mir gesucht haben. Diese wollten mich finden und töten.
LA: Wann war das, wo war das?
VP: Zwischen 2009 und 2010, an den genauen Monat erinnere ich mich nicht mehr. In Somalia ist das Datum nicht so wichtig.
Nachgefragt, das war in Kismayo.
LA: Warum erzählen Sie erst jetzt davon?
VP: Ich habe letztes Mal etwas erzählt, aber nicht so ausführlich wie heute.
LA: Was hat das mit Ihrer Ausreise Jahre später zu tun?
VP: Ich habe mich damals der Regierung angeschlossen und arbeitete etwa vier Jahre als Soldat. Ich wurde dann damals als Soldat in die Türkei geschickt um mich dort weiterbilden zu lassen. Ich bin aber dann weitergeflüchtet.
LA: Das heißt, Sie sind wegen der Vorfälle 2009 oder 2010 geflüchtet und nicht wegen der Vorfälle in der Türkei?
VP: Zunächst habe ich bei der Regierung…
LA: Ja oder nein?
VP: Nein. Nur wegen der Probleme in der Türkei.
LA: Wie geht das, dass Sie XXXX , als Sie zur Armee kamen, gleich als Offizier angefangen haben und nicht als gewöhnlicher Soldat?
VP: Die Erklärung dafür ist, dass ich damals ein Schulzeugnis bis zur Mittelschule hatte. Außerdem konnte ich etwas Englisch. Aufgrund meines Bildungsniveaus wurde ich damals eingestuft. Wir waren die ersten Soldaten. Jeder von uns bekam einen Rang.
LA: Als Sie XXXX wieder zurück zur Armee gingen, zu welcher Einheit/Abteilung kamen Sie?
VP: Es waren Bekannte von mir dort.
LA: Das wollte ich nicht wissen. Ich will den Namen der Einheit wissen.
VP: XXXX .
LA: Das weiß ich auch. Wie ist der Name der Einheit?
XXXX
LA: Nochmals auf die von Ihnen vorgelegten Fotos: Was genau ist auf diesen Fotos zu sehen?
VP: Zu XXXX (Mannschaftsfoto mit zwei Personen, die nicht in Tarnuniform sind): Mein Freund, mit dem ich nach Europa geflüchtet bin, ist neben mir. Er wurde in Deutschland von anderen Somalis getötet. Es ist unser XXXX zu sehen. Sie sind mit mir auf Facebook befreundet. Sie haben mir das Foto geschickt.
LA: Warum sind Sie und Ihr Freund auf diesem Foto dunkler als die anderen Personen (Kleidung)? Wurde dieses Bild nachträglich bearbeitet?
VP: Das Foto entstand in einem solchen Raum wie hier. (AW zeigt Foto auf seinem Mobiltelefon) Das Foto wurde mit einem Handy aufgenommen. Es waren mehrere Fotos, welche mit dem Handy aufgenommen wurden. Ich habe nur dieses eine Foto bekommen. Ich habe ein weiteres Foto, welches ich Ihnen zeigen möchte. (AW zeigt weiteres Foto von sich in Somalia in Uniform und mit Bewaffnung).
Frage wird wiederholt.
VP: Ich war damals ein hart arbeitender Mensch und habe wenig geduscht.
Frage wurde offensichtlich falsch verstanden, wird nochmals wiederholt.
VP: Da ich hinter jemandem gestanden bin, entstand ein Schatten.
LA: Wann und wo wurde dieses Mannschaftsfoto gemacht?VP: Etwa im XXXX .
LA: Erklären Sie nochmals, was genau der Zweck Ihres Türkeiaufenthaltes war.
VP: Ich sollte dort als Soldat ausgebildet werden, wie man kämpft, wie man sich verteidigt, wie man von einer Falle wieder hinauskommt, wie man heimliche Angriffe führt. Das waren unter anderem meine Ausbildungen in der Türkei.
LA: Wann kam es zu der Situation, als Sie mit den Büchern erwischt wurden?
VP: Als wir in die Unterkunft zurückkamen, wurden wir immer kontrolliert. Es gab eine Art Checkpoint. Erst dann, wenn die Sachen für in Ordnung befunden waren, durften wir sie mit hineinnehmen. Das Buch Injiil war schon da.
Frage wird wiederholt.
VP: Etwa im XXXX .
LA: Und bei diesem Checkpoint wurden Ihnen die Bücher weggenommen?
VP: Nein. Erst in dem Raum, wo ich geschlafen habe.
LA: Wann kam es zu dem Gespräch mit Ihrem Chef?
VP: Im XXXX .
Nachgefragt, etwa eineinhalb Wochen oder eine Woche nach dem Vorfall mit den Büchern. An einem Samstag wurden diese Bücher entdeckt. Etwa eine Woche später, an einem Samstag, durften wir nicht mehr hinaus.
LA: Wie lange dauerte das Gespräch?
VP: Wir haben dort zusammen gegessen. Er sagte, dass der Botschafter unsere Probleme lösen wird. Er selber ist dann gegangen.
LA: Beantworten Sie meine Frage.
VP: 30 Minuten.
LA: Erzählen Sie von diesem Chef.
VP: Er war nur kurz da und sagte, dass der Botschafter unsere Probleme lösen wird. Er kam damals aus Amerika. Er lebte damals als Flüchtling in Amerika. Seine ganze Familie lebt in Amerika. Von etwa XXXX hat er in Amerika gelebt. Er war Angehöriger der alten Regierung. Er arbeitete als Soldat.
XXXX
LA: Wer hat noch mit Ihnen gegessen?
VP: In der Türkei hatten wir einen Ausbildner. Dieser war auch beim Essen. Weiters war auch ein türkischer General, der die Ausbildungsstätte geleitet hat, anwesend. Auch war damals der Botschafter und mehrere hochrangige Soldaten dort.
Nachgefragt, wie der Name des Botschafters war, gebe ich an, XXXX .
Nachgefragt, ich saß neben dem Ausbildner. Sie waren in einem Büro. Ich wurde dann zu ihnen gebracht. Zu diesem Zeitpunkt waren sie in einer Essecke. Gegenüber saß der Chef. Neben ihm saß der türkische General. Neben dem Chef saß auch der Botschafter. Es saßen weitere Soldaten dort. Neben mir der Ausbildner.
Nachgefragt, auf der anderen Seite neben mir saß ein Militärangehöriger, der aber in der Botschaft gearbeitet hat.
LA: Kannten Sie noch jemanden der Anwesenden namentlich?
VP: Ja. XXXX .
LA: Schildern Sie das Gespräch mit Ihrem Chef in allen Einzelheiten.
VP: Der Chef stand auf und sagte, dass einige Soldaten ihn ersucht haben, die Ausbildung abzubrechen, weil ich der Verursacher war. Er sagte aber vor den Soldaten, dass die Ausbildung nicht abgebrochen wird und versprach dem Botschafter, dass er das Problem lösen wird. Er sagte auch, dass wir in zwei Wochen zurückgebracht werden. Die Soldaten akzeptierten das und wollten mit ihrer Ausbildung fortfahren. Sie waren damit einverstanden, dass wir innerhalb von zwei Wochen zurückgebracht werden. Sie haben uns die Reisepässe abgenommen. Sie schlugen meinen Freund zusammen.
LA: Bei dem Gespräch wurde Ihr Freund zusammengeschlagen?
VP: Nein. Das was der Chef gesagt hat, habe ich schon gesagt.
LA: Das war der Inhalt eines 30-Minuten dauernden Gespräches?
VP: Ich habe das Wichtigste gesagt.
LA: Ich wollte alle Einzelheiten wissen.
VP: Soll ich auch die Späße sagen?
LA: Bitte.
VP: Ich wurde namentlich von ihm gerufen. Er sagte, dass meine Frau und meine Kinder mich vermissen. Meine Freunde und meine Nachbarn vermissen mich. Er sagte spaßhalber, dass ich jetzt offener geworden bin. Er sagte mir, dass ich ein hart arbeitender und aufstrebender bin. Er sagte, er ist deshalb dorthin gekommen, weil wir für ihn sehr wichtig sind. Er sagte, dass er gehört habe, dass die Ausbildung unterbrochen wurde. Er sagte, dass die Ausbildung nicht unterbrochen werden sollte. Er sagte, dass die Probleme zum Teil noch bestehen und zum Teil bereits gelöst waren. Aber das sei bei Soldaten üblich, dass es zu Konflikten kommt. Es sei nicht neu. Aber die Vorgesetzten müssen das Problem lösen. Aus diesem Grund sind sie dort. Wenn alle gewollt hätten, dass sie zurückgehen wollen, wäre es nicht gut. Er sagte, dass es besser wäre, wenn die Probleme gemeinsam gelöst werden. Er baute mich auf und sagte, meine Kinder und meine Frau würden mich sehr vermissen. Ich solle mich beruhigen.
LA: Warum war Ihr Freund bei dem Gespräch nicht anwesend?
VP: Welcher?
LA: Der, der mit Ihnen erwischt worden wäre.
VP: Er war genauso dort und hat das gehört. Er hatte keine Familie.
LA: Wo ist Ihr Freund gesessen?
VP: Etwa hinter mir rechts.
LA: Wieso durften Sie neben dem Ausbildner und gegenüber dem Chef sitzen, aber Ihr Freund musste hinter Ihnen sitzen?
VP: Mein Freund wollte überhaupt nicht sprechen. Mein Freund kam aus dem Norden und nicht wie alle anderen aus dem Süden.
LA: Wie ging es nach dem Gespräch weiter?
VP: Er sagte, dass unsere Pässe der Botschafter hatte. Sollte es noch Probleme geben, würden diese an ihn gemeldet werden. Innerhalb von zwei Wochen würden uns diese Reisepässe zurückgegeben. Diese wären beim Botschafter.
LA: Warum wurden Ihnen die Reisepässe abgenommen?
VP: Weil sie verhindern wollten, dass wir von dort weggehen. Es waren andere Soldaten, die dort bewacht haben.
LA: Warum hätten Sie von dort weggehen sollen, warum hätte das verhindert werden sollen?
VP: Somalia können die Bibel nicht sehen. Sie können die Bibel nicht ausstehen. Sie glauben, dass es etwas Schlechtes ist. Sie sagten, normalerweise müssten sie mit uns kämpfen und gegen uns den Jihad führen.
Nachgefragt, ob das auch der Chef gesagt hat, gebe ich an, dass das alle gesagt haben. Das ist die Kommunikation zwischen den Somalis.
LA: Dann sind Sie von dort geflüchtet?
VP: Ich war mit dem Kommandanten sehr eng befreundet und wir gehörten auch demselben Clan an. Er gab mir immer Informationen. Ich hatte einen guten Freund bei der Botschaft. XXXX .
LA: Erzählen Sie mir dann etwas über Ihre Flucht, oder weiter über Ihre Freundschaften?
VP: Sie haben mir Informationen gegeben und sagten mir, dass ich in einer Woche zurückgebracht werde. Von Somalia wurden wir angerufen und mit dem Umbringen bedroht, denn wir waren für sie Ungläubige. Mein Freund sagte, er will nicht sterben und wir flüchteten aus dem Camp.
Nachgefragt, es war am Abend.
Nachgefragt, es war am XXXX .
LA: Warum wurden Sie in der Türkei festgenommen?
VP: Wegen meines illegalen Aufenthaltes. Später wurden unsere Fotos gefunden. Wir wurden von der Botschaft gesucht.
Nachgefragt, in XXXX , an der Grenze zu Bulgarien.
LA: Warum wurden Sie aus dem Gefängnis entlassen?
VP: Wir haben uns bei einer Organisation beschwert. Sie haben sich für uns eingesetzt.
Nachgefragt, UNHCR. Wir bekamen eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr nach der Entlassung. Während meines Aufenthaltes im Gefängnis wurde ich im Krankenhaus operiert. Der Blinddarm wurde entfernt.
LA: Hatten Sie nach Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in der Türkei noch Kontakt zu anderen Somalis?
VP: Während unserer Gefangenschaft kam der militärische Mitarbeiter der Botschaft. Er brachte uns unsere Kleider. Er sagte uns, dass wir im Gefängnis bleiben, bis unsere Kollegen mit der Ausbildung fertig sind.
Frage wird wiederholt.
VP: Ja.
LA: Wann und wo?
VP: XXXX .
LA: Wo?
VP: XXXX .
LA: Wann waren Sie bei der somalischen Botschaft?
VP: Das Datum weiß ich jetzt nicht mehr. Ich war dort, als Mitglied des somalischen Vereins in der Türkei.
LA: Warum waren Sie dort?
VP: Wir wollten dort von der Botschaft eine Anerkennung als Verein.
[…]
Zu seiner Integration in Österreich führte der BF aus, er treffe sich in seiner Freizeit unter anderem mit XXXX , der ihn beim Deutschlernen unterstütze bzw. mit seiner Taufgruppe. Einmal pro Woche spiele er Fußball. Er arbeite als Lotse und bekomme dafür Taschengeld. Früher habe er als Gärtner gearbeitet. Er habe in Österreich 2 Familien. Mindestens 2 Tage/Woche dürfe er bei einer Familie leben bzw. sich dort aufhalten. Er wohne seit 3 Jahren in seiner Unterkunft, kenne alle Nachbarn und viele Leute in der Gegend.
Enge Freunde aus Somalia habe er nicht. Er sei hin und wieder im somalischen Verein in Wien und kenne er einige Somalis. Die Frau, welche er als seine „Ehefrau“ angegeben habe, sei die Tochter seiner Tante mütterlicherseits. Sie lebe jetzt in Wien.
Bei einer Rückkehr habe er Angst getötet zu werden.
Auf die Frage, ob er alles angegeben habe, dass ihm wichtig erscheine bzw. er noch irgendwelche Ergänzungen zu machen habe, gab der BF an, er glaube, genug gesagt zu haben. Er habe aber große Sorgen um die etwa achtjährige Tochter seiner Schwester. Diese sei vergewaltigt worden und lebe bei seinen Kindern. Sollte er Schutz gewährt bekommen, ersuche er um spezielle Unterstützung, damit er dem kleinen Mädchen helfen könne. Auf die Frage, ob er das Mädchen adoptiert habe bzw. seine Schwester noch lebe, gab der BF an: „Ich bin verantwortlich für sie, sie lebt bei meinen Kindern.“ Nach Vorhalt, dass das nicht die Frage gewesen sei, gab der BF an, sie adoptiert zu haben. Die Mutter lebe in Somalia.
Auf die Frage, ob er mit den Fotos und Videos beweisen wolle, dass er Soldat gewesen sei oder noch etwas darüber hinaus, führte der BF aus, er habe damit beweisen wollen Soldat gewesen zu sein.
Die belangte Behörde hielt weiters fest, dass der BF noch ein weiteres Foto aus XXXX mit dem militärischen Mitarbeiter der somalischen Botschaft vorgezeigt habe.
Im Zuge der Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:
- Taufschein der Diözese XXXX ( XXXX ). Auf der Rückseite wurde vermerkt, dass der BF an diesem Tag auch gefirmt wurde;
- diverse Fotos von Personen in Militäruniform.
12. Mit nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.05.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
Das BFA stellte fest, dass die Identität des BF nicht feststehe. Er stamme aus Somalia und habe zuletzt in Mogadischu gelebt. Er gehöre der Volksgruppe der Marehan, Reer Dini, Reer Ugaas Sharmarke an. Seine Religionszugehörigkeit habe nicht festgestellt werden können. Ebenso habe nicht festgestellt werden können, dass der BF verheiratet ist. Der BF sei gesund. Er sei als Soldat tätig gewesen und habe zuletzt in der Türkei als Tischler gearbeitet. Eine Verfolgung im Herkunftsstaat habe nicht festgestellt werden können. Seine Ausführungen betreffend eine Verfolgung wegen seiner Konversion seien nicht glaubhaft. Eine Gefährdung seiner Person im Falle einer Rückkehr nach Somalia habe nicht festgestellt werden können. Eine Rückkehr sei ihm zumutbar.
Beweiswürdigend wurde hinsichtlich der Religionszugehörigkeit des BF ausführt, er sei nicht dazu in der Lage gewesen die zehn Gebote oder die Sakramente korrekt zu benennen, sondern habe er alles aufgezählt, was ihm in den Sinn gekommen sei und offenbar gehofft, dass richtige Antworten darunter seien. Hätte er tatsächlich 5 Jahre lang die Bibel gelernt, wären derartige Grundkenntnisse wohl vorauszusetzen. Auch sei absurd, dass der BF einerseits angab von Freunden/Kollegen wegen der unterstellten Konversion Drohungen bekommen zu haben, er andererseits sowohl in Wien, als auch in der Türkei somalische Vereine besucht haben will bzw. sogar Botschaftstermine wahrgenommen haben will. Es liege der Schluss nahe, dass er sich weiterhin in somalischen Kreisen bewegen könne, weil der bekannt sei, dass er eine Konversion nur vortäusche, um einen positiven Ausgang des Verfahrens zu erwirken. Der BF sei auch nicht fähig gewesen, das tägliche Gebet zur Vorbereitung auf die Taufe vorzubeten, was vorausgesetzt werden könne, wenn er als überzeugter Christ seinen Taufvorbereitungspflichten nachgekommen wäre. Eine innere Überzeugung sei daher nicht zum Vorschein gekommen. Die Vertrauensperson habe durch die Aussage, dass der BF den Zettel mit dem täglichen Gebet nicht in XXXX , sondern in einer großen Kirche in Wien erhalten habe, nur die Unwissenheit des BF abschwächen wollen. Es sei von einer Scheinkonversion des BF auszugehen. Glaubhaft sei aber, dass der BF als Soldat gearbeitet habe. Hinsichtlich seines Türkei-Aufenthaltes habe er sich aber in Widersprüche verstrickt, zumal er einmal von 2 Büchern, einmal von 5 Büchern gesprochen habe. Zudem habe er einmal davon gesprochen, dass nur der Freund verletzt worden wäre, ein anderes Mal habe er angegeben, dass auch er selbst verletzt worden sei. Unlogisch sei auch, dass der BF einerseits angegeben habe, dass alle seine Freunde in Somalia ihn mit dem Umbringen bedroht hätten, er andererseits aber ausgeführt habe, dass ihn ein Freund aus Somalia im Jänner 2018 angerufen habe und von dem Spitalsaufenthalt der (Ex-) Frau erzählt habe. Weiters sei nicht nachvollziehbar, woher die somalischen Soldaten wissen hätten sollen, dass der BF in XXXX öfters eine Cafeteria besuche. Unlogisch sei weiters, dass der BF in der Einvernahme vom 02.05.2018 plötzlich ausführte, auch zwischen 2009 und 2010 bedroht worden zu sein, zumal er in der früheren Einvernahme ausführte, dass er nach der Ausbildung in der Türkei wieder zurück nach Somalia gehen hätte wollen. Insgesamt habe der BF eine Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen können, da er widersprüchliche und unplausible Angaben gemacht habe und ist daher davon auszugehen, dass der BF eine Fluchtgeschichte konstruiere und in seiner Person unglaubwürdig sei.
Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass der BF bei einer Rückkehr keiner Gefährdung von Art. 3 EMRK und keiner unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sei, zumal er jung, gesund und arbeitsfähig ist und im Falle einer Rückkehr nach Mogadischu seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Die Dürresituation/Versorgungslage habe sich durch Regenfälle entspannt und verfüge er in Somalia auch über familiäre Anknüpfungspunkte.
Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF illegal eingereist sei und Leistungen aus der Grundversorgung beziehe. Er habe einen Deutschkurs besucht spreche passabel Deutsch. Er nehme an Aktionen der Pfarrgemeinde XXXX teil und sei Mitglied in einem Chor. Er sei gemeinsam mit der Tochter seiner Tante mütterlicherseits eingereist, welche sich mit ihren Kindern in Österreich befinde. Eine umfassende Integration in Österreich liege nicht vor.
13. Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Nach Wiederholung des bisherigen Gangs des Verfahrens wird im Wesentlichen ausgeführt, es sei ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt worden, da die Einvernahme am 26.04.2018 habe abgebrochen werden müssen und die Dolmetscherin dies mit der Unhöflichkeit des BF begründet habe. Anhand des vermeintlich wortwörtlichen und vollständigen Protokolls sei jedoch nicht ersichtlich, inwiefern sich der BF unhöflich oder unfreundlich verhalten habe. Vielmehr sei ersichtlich, dass entweder die Übersetzung nicht vollständig sei oder nicht vollständig protokolliert worden sei oder die Dolmetscherin dem BF zu Unrecht unterstellt habe, unhöflich zu sein. Da es also jedenfalls zu Schwierigkeiten beim Dolmetschen gekommen sei, sei der gesamte Inhalt des Protokolls anzuzweifeln bzw. nicht jedes Wort für „bare Münzen“ zu nehmen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wenn die Behörde kleinere Widersprüche mit dem Inhalt des Protokolls begründe. Auch die Länderfeststellungen seien mangelhaft/veraltet und würden sich nur am Rande mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF beschäftigen. Vielmehr hätten die UNHCR-Richtlinien von Mai 2010 berücksichtigt werden müssen. Demnach gehöre der BF wegen seiner Konversion zum Christentum und seiner Unterstützung der somalischen Streitkräfte/Regierung einer gefährdeten Personengruppe an. Auch aus Berichten von anderen Quellen (OpenDoors, ARC, USDOS) aus den Jahren 2017/2018 gehe eine Verfolgung für Christen in Somalia (durch Al Shabaab bzw. die Gesellschaft) hervor. Weiters wurde auf einen Bericht von Accord aus dem Jahr 2018 verwiesen, wonach Al Shabaab gezielt gegen Personen vorgehe, welche eine Nähe zur Regierung oder eine Zusammenarbeit mit dem Militär unterstellt werde. Zudem wurde erneut auf Berichte betreffend die Somalisch-Türkische-Kooperation in Militärangelegenheiten verwiesen. Die herangezogenen Berichte des BFA betreffend das Ende der Dürre seien veraltet, es sei tatsächlich zu keiner Verbesserung der Versorgungslage gekommen und hätten nunmehr Überschwemmungen die Lage verschlechtert. Unabhängig davon sei auch die Beweiswürdigung des BFA unschlüssig. Soweit argumentiert werde, dass der BF die zehn Gebot bzw. die Sakramente nicht korrekt benennen habe können, so sei darauf hinzuweisen, dass es dabei offensichtlich Schwierigkeiten bei der Übersetzung gegeben habe. Daher sei schon anzuzweifeln, dass der BF diese Frage nicht richtig beantworten habe können. Entgegen der Ansicht des BFA habe der BF nicht 5 Jahre lang die Bibel gelernt, sondern ein Jahr lang den Taufvorbereitungskurs absolviert und sich davor lediglich für das Christentum interessiert. Auch habe der BF den Zettel mit dem Gebet zur Taufvorbereitung nicht von der Kirche erhalten, in welcher er auf die Taufe vorbereitet worden sei, sondern habe er nicht einmal gewusst, dass auf diesem Zettel ein Gebet stehe bzw. habe er dieses nicht gelesen. Er habe es deshalb nicht aufsagen können und habe er es auch nicht im Rahmen der Taufvorbereitung lernen und aufsagen müssen. Den Taufschein und die Taufbestätigung seien vom BFA nicht gewürdigt worden. Es werde daher beantragt den Pfarrer der Pfarre XXXX sowie den Leiter des Taufkurses des BF als Zeugen zur mündlichen Verhandlung zu laden und diese zur Konversion des BF zu befragen. Hinsichtlich der vermeintlichen Widersprüche zur Anzahl der Bücher sei wiederum auf die höchst fragwürdigen Umstände in der Einvernahme vom 26.04.2018 hinzuweisen. Der BF habe sein Fluchtvorbringen nicht immer in denselben Worten, sondern nur dem Inhalt und Sinn nach gleich dargestellt. Geringfügige Divergenzen, die nicht die Hauptpunkte des Vorbringens betreffen, seien daher nicht geeignet, die Unglaubwürdigkeit des BF zu begründen, sondern würden die Glaubwürdigkeit des BF bekräftigen, da er keine auswendig gelernte Geschichte vorgetragen habe, sondern entsprechend seiner Erinnerungen berichtet habe. Zudem sei auch im Protokoll vom 26.04.2018 niedergeschrieben, dass der BF und sein Freund sowohl Bücher gekauft, als auch zwei Bibeln von einem Soldaten geschenkt bekommen hätten. Zum Widerspruch betreffend die Verletzungen des BF bzw. seines Freundes, werde angemerkt, dass der BF richtigerweise im Zuge des Vorfalles auch verletzt worden sei. Er habe Schwellungen/blaue Flecken davongetragen. Sein Freund habe geblutet und medizinisch versorgt werden müssen. Da die Verletzungen des BF von untergeordneter Bedeutung gewesen seien und er keine medizinische Versorgung benötigt habe, sei es nachvollziehbar, dass er dies am 26.04.2018 nicht erwähnt habe, wobei die Richtigkeit dieses Protokolls anzuzweifeln sei. Auch betreffend die Bedrohung durch die Freunde in Somalia könne aufgrund der fragwürdigen Dolmetsch-Situation nicht auf einen Widerspruch geschlossen werden und habe der Freund, welcher ihn auf dem Spital angerufen habe, jedenfalls nicht sicher gewusst, ob der BF konvertiert sei und habe ihn deswegen auch nicht mit dem Tode bedroht. Es sei weiters verständlich, dass der BF nicht seitenlang über jede Einzelheit der Ausbildung in der Türkei erzählt habe, da er von der Behörde mit den Worten „Wenn Sie nicht langsam zum Punkt kommen, beende ich die Befragung“ ermahnt worden sei. Hinsichtlich der Situation im Cafe in XXXX , wisse der BF nicht, wie die Soldaten davon erfahren haben sollen. Der BF habe auch nicht erst in der Einvernahme im Mai 2018 angegeben in Somalia Probleme gehabt zu haben, sondern führte er auch schon in der Einvernahme von April 2018 aus, Probleme mit radikalen Islamisten wegen seiner Religionskenntnisse und seiner Arbeit bei der Regierung gehabt zu haben. Insgesamt sei der BF wegen der zumindest unterstellten politischen sowie der religiösen Überzeugung durch Al Shabaab, die Gesellschaft und dem somalischen Staat verfolgt. Dem BF stünde auch keine IFA zur Verfügung und könne er auf kein soziales Netzwerk zurückgreifen, da er als Christ nicht in seinen Clan aufgenommen werde. Da die Regenfälle in Somalia zu keiner Entspannung geführt hätten, Überschwemmungen und Krankheitsfälle aufgetreten seien und eine Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung lediglich prognostiziert werde, würde der BF im Falle einer Rückkehr in eine Art. 2 und Art. 3 EMRK widersprechende Lage geraten. Auch sei der BF in Österreich bestens integriert, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig sei. Abschließend wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Mit der Beschwerde legte der BF ein ÖSD-Zertifikat A2 vom 27.04.2018 und ein Zertifikat für den Workshop „Demokratie in Österreich“ vom 29.05.2018 vor.
14. Mit Eingabe vom 17.06.2019 brachte der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter beim BFA eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) ein.
Darin wurde ausführt, dass wegen der Verletzung der Entscheidungspflicht durch das BFA eine Säumnisbeschwerde an das BVwG erhoben werde, da der BF in seinem Recht auf Entscheidung verletzt worden sei. Der BF habe am 23.08.2017 einen Asylantrag gestellt, welcher mit Bescheid des BFA vom 27.01.2017 abgewiesen worden sei. Gegen den Bescheid habe der BF am 23.02.2017 Beschwerde an das BVwG erhoben. Mit Beschluss des BVwG vom 08.11.2017 sei die Angelegenheit an das BFA zurückverwiesen worden und dort am 15.11.2017 eingelangt. Das BFA habe über den Antrag jedoch bis dato nicht entschieden und werde durch Verweis auf den Akteninhalt glaubhaft gemacht, dass seit Anfall beim BFA die Entscheidungsfrist des § 22 Abs. 1 AsylG von 15 Monaten verstrichen sei. Es werde daher beantragt, das BVwG möge in Stattgebung der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkennen, dem Antrag stattgeben und dem BF internationalen Schutz zuerkennen.
Am 24.06.2019 wurde die Säumnisbeschwerde vom BFA dem erkennenden Gericht vorgelegt und darauf hingewiesen, dass seitens des BFA bereits am 25.05.2018 eine Entscheidung ergangen sei. Der Bescheid sei an den Vertreter des BF versandt worden, eine Beschwerde gegen diesen Bescheid sei durch den Vertreter am 26.06.2018 eingebracht worden und in weiterer Folge an das BVwG übermittelt worden. Es sei eindeutig ersichtlich, dass das BFA der Entscheidungspflicht rechtzeitig nachgekommen sei.
15. Eine Ladung (vom 17.01.2020) zur mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte dem BF erst durch eine Erhebung der Landespolizeidirektion Niederösterreich zugestellt werden.
16. Am 07.04.2020 langten eine Stellungnahme des Organisators der Taufvorbereitungsgruppe in XXXX sowie eine Stellungnahme der Taufpatin des BF ( XXXX ) ein.
17. Am 20.04.2020 langte eine Stellungnahme des Diakons der Pfarre XXXX ein.
15. Am 18.06.2020 wurde eine von XXXX zusammengefasste, mehrseitige Darstellung der Fluchtgeschichte des BF, datiert mit März 2020, vorgelegt.
16. Am 14.09.2020 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des BF, einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch, des Rechtsvertreters und einer Vertrauensperson des BF sowie des Zeugen XXXX statt.
Die Dolmetscherin führte am Beginn der Verhandlung aus, sie sei bei der Einvernahme vor dem BFA vom BF beleidigt worden, auch sei dieser unhöflich gewesen. Weiters teilte die Dolmetscherin mit, die Einvernahme selbst abgebrochen zu haben.
Der BF wurde daraufhin wie folgt befragt:
[…]
R an BF: Sprechen Sie Deutsch? Warum wurde die Einvernahme damals abgebrochen?
BF (auf Deutsch): Ja. Ich habe ihren Dialekt und ihren Akzent nicht verstanden. Sie wollte nicht übersetzen was ich gesagt habe. Ich bin ein guter Christ.
R: Welchen Dialekt haben Sie nicht verstanden?
BF (auf Deutsch): Den Dialekt habe ich verstanden, aber bei manchen Fragen über das Christentum, ich sage: „Jesus ist mein Gott, er ist mein Retter bzw. mein Savior“. Ich hatte das
Gefühl, dass die D nervös geworden ist, weil ich als gebürtiger Moslem manche Sätze über das Christentum nicht so gut sagen konnte.
R an RV: Wissen Sie, was bei der Einvernahme passiert ist?
RV: Aus dem Protokoll lässt sich herausersehen, was das Problem dabei war. Über das Beratungsgespräch darf ich nichts sagen.
R an die anwesende Vertrauensperson, Herr XXXX : Sie waren bei dieser Einvernahme, wo die D die Einvernahme abgebrochen hat dabei?
VP: Ja.
R: Welchen Grund sehen Sie darin?
VP: ich habe bemerkt, wie der BF das in seiner Sprache dem einvernehmenden Beamten sagen wollte. Ich habe gesehen, dass er nicht mit der Übersetzung der D einverstanden war. Dann hat der BF versucht, seine Worte in Deutsch zu fassen. Dann hatte ich das Gefühl, dass die D gesagt hat, dass sie nicht weiter übersetzen wolle, weil dies unhöflich sei. Darauf habe ich den Beamten gefragt, ob ich etwas sagen darf, was er mir erlaubte. Ich habe die D gefragt, was der BF unhöfliches gesagt hat. Daraufhin hat der Beamte zur D gesagt, dass sie diese Frage nicht beantworten müsse, was diese dann auch getan hat.
R: Haben Sie sonst noch Wahrnehmungen zur Einvernahme gemacht?
VP: Nein, damit war die Sache erledigt und die Einvernahme wurde abgebrochen.
[…]
Daraufhin wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.
Der BF brachte folgende Unterlagen in Vorlage:
- Bestätigung vom 16.12.2019, wonach der BF im Wintersemester 2019/20 regelmäßig die Veranstaltungen der katholischen Studentengemeinde XXXX besucht habe;
- Bestätigung der Pfarre XXXX vom 28.08.2020, wonach der BF seit Jänner 2020 in gewisser Regelmäßigkeit am Pfarrgottesdienst teilnimmt;
- Bestätigung vom 16.07.2018 für den Besuch eines Deutsch-Integrationskurses B1;
- Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs vom 29.01.2019;
- Schreiben einer Privatperson vom 21.08.2020, wonach der BF an einer Bibelstunde über Skype bzw. Facebook teilnehme;
- Schreiben, wonach der BF Mitglied der „ XXXX “ sei.
Weiters legte der BF in der Verhandlung eine Stellungnahme vor. Darin wird im Wesentlichen auf Berichte (von „OpenDoors“, USDOS) aus den Jahren 2019/2020 verwiesen, wonach Personen, die vom Islam zum Christentum konvertiert seien, in Somalia Verfolgung durch Al-Shabaab ausgesetzt seien und mit Belästigungen durch die Gesellschaft zu rechnen hätten, welche über bloße Diskriminierung hinausgehe und aufgrund der Intensität eine Verfolgung darstelle. In der somalischen Verfassung sei festgeschrieben, dass alle Gesetze im Einklang mit der Scharia stehen müssten und diese die Konversion zu anderen Religionen verbiete, weshalb der somalische Staat als nicht schutzwillig angesehen werden könne, sondern selbst zum potentiellen Verfolger werde. Die Verfolgung bestehe im gesamten Staatsgebiet. Dem BF sei daher Asyl zu gewähren. Weiters wurde auf die Rechtsprechung des VwGH vom 05.03.2020 (Ra 2020/19/0053) sowie VwGH vom 12.06.2020 (Ra 2019/18/0040) verwiesen. Dem BF stehe (unter Heranziehung der ACCORD-Anfragebeantwortung von August 2020 zur Auswirkungen der COVID-19-Pandemie) in Somalia keine IFA in Mogadischu zu und bestehe für ihn aufgrund der derzeitigen Lage die reale Gefahr bei einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage zu geraten, weshalb ihm jedenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei.
17. Am 24.09.2020 teilte der BF dem erkennenden Gericht per E-Mail mit, dass er zu viel Stress habe, weil er mehr als 5 Jahre ohne Asyl in Österreich gelebt habe bzw. er sich immer noch nicht dem Gericht gestellt habe. Zudem führte er aus: „Bitte schau meine Situation, ich werde sterben“.
18. Am 29.09.2020 (eingelangt beim Gericht am 30.09.2020) sendete der BF dieses E-Mail erneut, wobei er dem E-Mail ein Bild mit einem Seil, welches an einem Lampenschirm befestigt wurde beifügte und kündigte er zudem an: „Ich werde morden Selbstmord begehen.“
19. Vom erkennenden Gericht wurde daher am 30.09.2020 die zuständige Polizeiinspektion damit beauftragt, Nachschau an der Adresse des BF zu halten. Der BF konnte von der Polizei vor Ort nicht angetroffen werden, sondern teilte der Unterkunftgeber mit, dass der BF mit dem öffentlichen Bus nach XXXX gefahren sei. Der Unterkunftgeber benachrichtigte die Polizei in weiterer Folge, dass der BF nun zurückgekehrt sei. In weiterer Folge wurde der BF der Amtsärztin vorgeführt und eine Untersuchung nach § 8 UbG durchgeführt, wobei auf der ärztlichen Bescheinigung festgehalten wurde, dass die Voraussetzungen zur Unterbringung nicht vorliegen würden.
20. Am 27.07.2021 langte ein weiteres E-Mail des BF ein, worin er sich über Rassismus in Österreich beschwerte. Zudem legte der BF ein Foto vor, welches ihn gemeinsam mit anderen Menschen in weißen Kutten zeige.
21. Am 17.08.2021 langte ein E-Mail von XXXX ein, wonach sich hinsichtlich des BF eine Verschärfung ergeben habe. Seine beiden Kinder würden in Somalia bei der Exfrau und ihrem neuen Ehemann aufwachsen und würden dort immer mehr bedrängt/benachteiligt bzw. sehr islamistisch erzogen werden, weil der BF hier Christ geworden sei. Sein Sohn (10) sei schwer am Auge verletzt worden, der Tochter (fast 12) drohe weiterhin die Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung. Der BF sei als Christ auch in der somalischen Community in Wien ausgeschlossen. Der BF habe ihn gebeten zu schreiben und um einen baldigen Gerichtstermin zu ersuchen. Wenn nötig würden der XXXX Pfarrer sowie andere Personen aus XXXX weiterhin als Zeugen zur Verfügung stehen.
22. Am 28.08.2021 (Samstag), sendete der BF erneut ein E-Mail an das erkennende Gericht. Darin kündigte er folgendes (wortwörtlich) an: „Sehr geehrte Damen und Herren Ich werde Gewalt oder protestieren ohne verlust tun, am Donnerstag 02 September Vor dem Gerichtsgebäude“.
23. Vom erkennenden Gericht wurde daher am 30.08.2021 das Polizeikommissariat XXXX damit beauftragt, eine Perlustrierung des BF vorzunehmen, um feststellen zu können, ob der BF im Besitz von Waffen ist bzw. sein Handy/Computer im Hinblick auf Kontakte zu überprüfen und zudem eine Vorführung des BF bei einem Amtsarzt zu machen.
24. Der BF wurde am 30.08.2021 durch die Polizei aufgesucht und wegen dem Verdacht auf gefährliche Drohung (in deutscher Sprache) einvernommen bzw. eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft vorgenommen. Bei der polizeilichen Einvernahme gab der BF zusammengefasst an, dass er sich im E-Mail aufgrund seiner mäßigen Deutschkenntnisse in der Wortwahl vergriffen habe, er damit nur Aufmerksamkeit habe erregen wollen und am 02.09.2021 vor dem BVwG protestieren und sich mit Wasser und Mehl habe überschütten wollen bzw. mit einem Plakat auf seine Traurigkeit/Frustration wegen seines lange anhängigen Asylverfahrens hinweisen habe wollen. Er habe damit niemanden gefährden oder bedrohen wollen.
Laut der einschreitenden Beamten habe die Vorführung des BF beim Amtsarzt nicht stattgefunden, da die Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen seien und beim BF keine Allgemeingefährdung oder Selbstgefährdung vorgelegen habe. Ein Dolmetscher sei nicht beigezogen worden, da der BF über mäßige Deutschsprachkenntnisse verfüge (Aktenvermerk vom 01.09.2021).
25. Am 31.08.2021 wurde das Ermittlungsverfahren gegen den BF gemäß § 190 Z 2 StPO mangels Vorliegen eines tatsächlichen Grundes zur weiteren Verfolgung von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
26. Am 28.09.2021 wurde erneut ein Antrag auf Zeugenbefragung von XXXX zum Beweis der tiefen inneren Gesinnung des BF zum Christentum gestellt.
27. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.10.2021 in Anwesenheit des BF, einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch, dem Rechtsvertreters des BF sowie des Zeugen XXXX eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
Der BF führte zu seinem Gesundheitszustand aus, dass es ihm gut gehe.
Zu seinem Leben in Österreich führte der BF aus, er arbeite 3 Mal im Monat, ansonsten besuche er die Schule. Er mache seit Jänner 2021 den Pflichtschulabschluss. Er habe schon einige Prüfungen abgelegt und die Note „1“ bekommen. Befragt, ob er Belege habe, führte der BF aus, dass er das Zeugnis erst später bekomme. Er müsse noch einige Prüfungen ablegen wie Deutsch, Englisch und Mathematik. Die Note „1“ habe er bei „Gesundheit und Kraftfahrzeug“ bekommen. „Kraftfahrzeug“ sei ein Thema für den Berufsorientierungskurs gewesen, er sei an Technik interessiert. Das Fach „Gesundheit“ heiße „Sozial und Gesundheit“. Die B1-Prüfung habe er noch nicht gemacht. In der Schule hätten sie gesagt, dass für ihn ein Termin für die B1-Prüfung vereinbart werde.
Nach seiner beruflichen Zukunft befragt, führte der BF aus, er wolle ein christlicher Pfarrer werden. Dies habe er eigentlich gewollt, aber dafür müsse er die Uni besuchen, dies sei eine lange Ausbildung und er schaffe dies nicht, deshalb habe er sich gedacht, dass er eine Ausbildung im KFZ-Bereich/Technikbereich mache. Er habe sich gedacht, dass er auch ohne Ausbildung als Pfarrer predigen und Leute überzeugen könne. Er sei römisch-katholisch. Verwandte habe er in Österreich nicht.
Im weiteren Verlauf der Verhandlung gab der BF wie folgt an:
[…]
R: Haben Sie Verwandte, die in Somalia leben?
BF: Ja.
R: Welche Verwandte leben in Somalia?
BF: Mutter, Bruder, Vater und Schwester.
R: Wo lebt Ihre Familie in Somalia?
BF: In verschiedenen Orten, z.B. mein Vater lebt in XXXX . Meine Mutter lebt in Mogadischu.
R: Wo lebt der Bruder?
BF: Vor einigen Monaten ist mein Bruder zu der Region Gedo gegangen, wohin genau weiß ich nicht.
R: Wohin ist Ihre Schwester gegangen?
BF: Meine Schwester lebt in XXXX .
R: Wo liegt XXXX ?
BF: In Zentralsomalia in der Region Galguduud.
R: Wann war der letzte Kontakt zu Ihrer Familie?
BF: Im September war der letzte Kontakt.
R: Wann genau?
BF: Wann genau, an den Tag kann ich mich nicht erinnern, aber es war nach dem 15.09.
R: Und mit wem haben Sie gesprochen?
BF: Mit der Mutter.
R: Welchem Glauben gehört ihre Mutter an?
BF: Muslim, Sunnit.
R: Und der Vater?
BF: Auch so.
R: Und die Geschwister?
BF: Die ganze Familie sind Muslim, Sunnit.
R: Von wann bis wann haben Sie sich in Somalia aufgehalten?
BF: Seit der Geburt bis zur Ausreise, nämlich das Jahr 2013.
R: Wann genau im Jahr 2013 haben Sie Somalia verlassen?
BF: Ungefähr am XXXX .
R: Und von wo aus haben Sie Somalia verlassen?
BF: Mogadischu.
R: Haben Sie, als Sie in Somalia waren, in Mogadischu gelebt?
BF: Die letzten 5 Jahre habe ich in Mogadischu gelebt.
R: Also von welchem Jahr beginnend haben Sie in Mogadischu gelebt?
BF: Von 2009 bis 2013.
R: Können Sie mir die genaue Adresse angeben wo Sie in Mogadischu gelebt haben?
BF: Im XXXX habe ich die letzte Zeit gelebt.
Davor habe ich woanders in Mogadischu gelebt.
R: Wo haben Sie da gelebt?
BF: In einem XXXX .
R: Und wo haben Sie vor 2009 gelebt?
BF: In Kismayo und in den Dörfern, die in der Umgebung von Kismayo liegen z.B. XXXX .
R: Wieso haben Sie in verschiedenen Dörfern gelebt?
BF: Ich war ein Soldat als ich in Kismayo gelebt habe. Im Jahr 1997 ist meine Familie nach Kismayo gezogen und dort habe ich auch die Schule besucht.
R: Was für eine Schulausbildung haben Sie?
BF: Bis zur 7. Schulklasse Grundschule und die nennen wir auch Volkshauptschule.
R: In welchem Jahr haben Sie die Schule beendet?
BF: Im Jahr 2006.
R: Was haben Sie dann nach Ihrer schulischen Ausbildung gemacht?
BF: Ich bin im Jahr XXXX ein Soldat geworden.
R: Wie lange waren Sie Soldat?
BF: Von XXXX , aber im Jahr XXXX habe ich nicht als Soldat gearbeitet, sondern als Fischer im XXXX für ein Jahr.
R: Wieso sind Sie Soldat geworden?
BF: Damit ich dann später die Freiheit habe. Ich habe mich, damals als ich jung war, auch für den christlichen Glauben interessiert. Ich bin auch in die Kirche gegangen.
R: In welche Kirche sind Sie gegangen?
BF: Es war eine Kirche, die von den Italienern aufgebaut wurde. Soweit ich gehört habe, es war aber zerstört.
R: Das heißt Sie sind in eine zerstörte Kirche gegangen?
BF: Ja, es war fast ganz zerstört, nur einige Wände sind übriggeblieben und die Wand vorne, wo normalerweise der Priester predigt, steht noch immer.
R: Wo war diese Kirche?
BF: In Kismayo.
R: Hat dort irgendwer eine Messer zelebriert als Sie in die zerstörte Kirche gegangen sind?
BF: Nein, gab es nicht.
R: Was meinen Sie mit „damit ich dann später die Freiheit habe“?
BF: Damit, weil die Leute dort Angst haben vor den Soldaten, dann wird mir keiner die Frage stellen, warum ich mich für die alten Religionen interessiere und Fragen stelle.
R: Was haben Sie in der zerstörten Kirche gemacht?
BF: Ich ging so ca. 3-mal pro Woche zu der zerstörten Kirche und ich habe davon geträumt wie die Leute damals zusammengekommen sind in der Kirche.
R: Was haben Sie dort gemacht?
BF: Ich habe nachgedacht, was ist dann dort hier damals gelaufen. Was konnte passieren. Ich habe dann schon damals von der Kirche in XXXX geträumt.
R: Sie haben von der Kirche von XXXX in Somalia in Kismayo geträumt? Wie kann das sein?
BF: Ich meine damit den Ablauf, wie sich die Leute in der Kirche versammeln.
R: Wann waren Sie in dieser zerstörten Kirche?
BF: Ca. 10 bis 12 Jahre alt war ich damals, als ich damit angefangen habe. Es war damals als ich begonnen habe die Schule zu besuchen. Die Kirche lag auf dem Weg zwischen der Schule und zuhause.
R: Gab es zu dieser Zeit in Kismayo Christen?
BF: Nein.
R: Kennen Sie überhaupt Christen, die in Somalia leben? Haben Sie, als Sie in Somalia waren, Bekanntschaften mit Christen gehabt?
BF: Nein, damals nicht.
R: In Somalia haben Sie keine Christen kennengelernt?
BF: Nein.
R: Wieso sind Sie Soldat geworden, wenn Sie sagen, dass Sie sich so sehr für die katholische Kirche interessiert haben? Wieso wurden Sie Soldat?
BF: Es gab damals die Möglichkeit nicht die christlichen Leute zu treffen in Somalia so wie hier jetzt in Europa. Die Leute in Somalia glauben nur an den Islam.
R: Wieso sind Sie Soldat geworden, wenn Sie so sehr am katholischen Glauben interessiert sind?
BF: Weil als Soldat kann ich suchen, Fragen stellen. Niemand wird mit mir schimpfen.
R: Haben Sie als Soldat von der Waffe Gebrauch gemacht?
BF: Ich war ja ein Soldat und ich habe auch ein Gewehr getragen, aber nur gegen die terroristische Gruppe. Ich habe niemanden getötet, auch niemanden von der terroristischen Gruppe.
R: Was ist dann passiert, Sie haben gesagt als Sie 10 bis 12 Jahre alt waren haben Sie die zerstörte Kirche besucht. Was haben Sie ab Ihrem 13. Lebensjahr im Zusammenhang mit der katholischen Kirche gemacht?
BF: Bis ich 15 Jahre alt geworden bin, habe ich diese Kirche besucht, solange ich die Schule besucht habe.
R: Und als Sie dann Soldat waren, haben Sie da auch eine Kirche besucht?
BF: Ja.
R: Welche?
BF: Die selbe. Es gab sogar einmal Leute, die versucht haben die Kirche zu bauen, um es als Wohnhaus zu verwenden.
R: Die Kirche war ja zerstört, die muss ja in den Jahren immer mehr zusammengefallen sein. War die Kirche dann ein „Trümmerhaufen“, wie kann ich mir dies vorstellen?
BF: Vom ersten Mal, als ich die Kirche gesehen habe, bis zum letzten Mal hat sich an dieser Kirche nichts verändert.
R: Wo waren Sie als Soldat stationiert?
BF: Ich war in dieser Zeit ein Dolmetscher im XXXX .
R: Wo ist das XXXX ?
BF: In einer Ortschaft, XXXX .
R: Wieso waren Sie Dolmetscher?
BF: Mein Schwager, der Mann von meiner Schwester, der inzwischen gestorben ist, hatte dort eine höhere Position.
R: Wo hatte Ihr Schwager eine höhere Position?
BF: Im XXXX . Er hat mich dort gebeten zwischen den Somaliern und Äthiopiern zu dolmetschen. Es war ein Trainingscamp. Dort wurden neue Soldaten trainiert.
R: Das heißt Sie waren Soldat und Dolmetscher?
BF: Ja.
R: Wo waren Sie noch als Soldat stationiert?
BF: Ich habe am Ende des Jahres 2006 begonnen als Soldat. Das ganze Jahr XXXX war ich ein Soldat.
R: Wo waren Sie im Jahr XXXX ein Soldat?
BF: XXXX .
R: Wie lange waren Sie Soldat im XXXX ?
BF: XXXX .
R: Wo waren Sie anschließend als Soldat stationiert?
BF: Im Jahr 2009 habe ich in Mogadischu wieder als Soldat angefangen.
R: Was haben Sie dann in der Zwischenzeit gemacht also Anfang 2008 bis 2009?
BF: Ich war ein Fischer in dieser Zeit.
R: Wie kommt man als Fischer wieder dazu ein Soldat zu werden?
BF: In dieser Zeit gab es äthiopische Truppen in Somalia. Als die Truppen gegangen sind, hat sich dann die somalische Armee aufgelöst. Die äthiopischen Truppen sind wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt und die andere Gruppe hat das Land erobert. Es gab zum Teil Al Shabab damals, Clan-Gruppen etc. Al Shabab hatte damals einen anderen Namen.
R: Welchen Namen hatte die al Shabab damals?
BF: Camboni, islamische Partei und Anole.
R: Wieso sind sie dann wieder Soldat geworden?
BF: Ich habe damals die Radikalislamisten, die Strenggläubigen gehasst. Ich hasste auch die islamischen Gerichte.
R: Deswegen sind Sie Soldat geworden?
BF: Dann haben sich einige Freunde von mir diesen verschiedenen Gruppen angeschlossen. Dann haben sie zu mir auch gesagt, warum ich mich nicht auch anschließe. Ich habe sie vertröstet und gesagt, dass ich einmal kommen werde, wenn ich mit der Arbeit fertig bin. Dann hat mich einmal ein Bekannter von mir angerufen und gesagt, er weiß, dass ich die Muslimen hasse und deshalb möchte ich nicht zu diesen Gruppen kommen. Ich sei ihr Feind.
R: Weswegen sind Sie nun Soldat geworden, warum?
BF: Ich wollte gegen die terroristischen Gruppen kämpfen. Ich wollte gegen die radikalen Islamisten kämpfen. Die habe ich auch früher vor dieser Zeit gehasst und ich wollte auch die Freiheit haben, die ich früher bereits erwähnt habe.
R: Von XXXX waren Sie wieder Soldat?
BF: Ja.
R: Und von XXXX waren Sie in XXXX Soldat?
BF: In XXXX .
R: Was ist XXXX ?
BF: Das ist ein XXXX .
R: Von wann bis wann waren Sie Soldat in XXXX ?
BF: Wir haben Al Shabab aus Mogadischu vertrieben und sind bis XXXX gekommen, dort war ich dann drei Monate lang Soldat.
R: Ab wann haben Sie dann aufgehört Soldat zu sein?
BF: Am XXXX .
R: Wohin sind Sie dann, als Sie als Soldat aufgehört haben, gegangen?
BF: Ich war bereits in der Türkei in einem Militärcamp. Ich habe das Militärcamp verlassen.
R: Wann waren Sie nun genau im Militärcamp in der Türkei?
BF: Vom XXXX .
R: Wo waren Sie dann ab dem XXXX ?
BF: Ich habe das Militärcamp verlassen und ich war vier bis 5 Monate dann in Haft.
R: Wieso waren Sie in Haft?
BF: Weil ich das Militärcamp verlassen habe. Als Soldat durfte ich das nicht. Deshalb wurde ich dann eingesperrt.
R: Warum haben Sie das Militärcamp verlassen?
BF: Weil ich einmal in der Kirche war, als ich in der Türkei war. Ich habe mir eine Bibel geholt und da habe ich gelesen. Ich wollte den christlichen Glauben lernen. Dort, wo es die Bücher gibt, habe ich mir eine Bibel gekauft und dann haben meine Kollegen im Militärcamp das gesehen und sie haben gesagt, dass das ein schlechtes Verhalten von mir ist und ich darf das nicht, deshalb gehöre ich nach Somalia zurückgebracht. Sie haben mit mir gestritten.
R: Wer hat Sie nun in Haft genommen?
BF: Die türkische Polizei.
R: Wenn Sie dort als Somalier Soldat waren, wieso nimmt Sie die türkische Polizei in Haft?
BF: Ich war damals an der bulgarischen Grenze, ich wollte die Grenze überqueren. Ich wurde dann abgeschoben, zwei Mal habe ich es versucht. Beim zweiten Mal hat mich die türkische Polizei festgenommen, vor allem die Gendarmerie. Dann haben sie gesehen, dass ich ein Soldat bin. Dann war ich für eine lange Zeit inhaftiert.
R: Wann wurden Sie genau inhaftiert?
BF: Vom XXXX .
R: Wo waren Sie genau inhaftiert?
BF: In XXXX .
R: Was ist XXXX ?
BF: Das war eine Art wie ein Anhaltezentrum. Dort wurden die Flüchtlinge gefangen gehalten.
R: Das heißt Sie wurden in einem Flüchtlingslager festgehalten?
BF: Am Anfang ja.
R: Was heißt „am Anfang ja“?
BF: Meine Fingerabdrücke wurden abgenommen, dann ist herausgekommen, dass ich ein Soldat bin.
R: Wo wurden Sie dann hingebracht?
BF: In ein Gefängnis im Anhaltezentrum. Dort war ich 4 Monate lang.
R: Wer war noch in diesem Gefängnis? Wer wurde noch inhaftiert?
BF: Ich, ein anderer somalischer Soldat und ein dritter, ein Israeli. Es gab Leute aus der Mongolei.
R: Diese Menschen waren im Gefängnis wie Sie?
BF: Ja.
R: Sie waren als somalischer Soldat in der Türkei stationiert, stimmt das?
BF: Ja.
R: Wieso sind somalische Soldaten in der Türkei stationiert worden?
BF: Zur Ausbildung.
R: Das heißt Sie waren zwecks der Ausbildung in der Türkei?
BF: Ja.
R: Was für eine Ausbildung haben Sie in der Türkei erhalten?
BF: Wir haben die Sprache gelernt und dann sollte man die Leute einstufen und schauen wer, wo hinpasst. Wir waren Landwegsoldaten.
R: Die somalische Armee hat Sie in die Türkei in ein Ausbildungslager geschickt?
BF: Ja, von der somalischen Regierung.
R: Was wollte man erreichen? Wieso hat man somalische Soldaten in ein Ausbildungslager in die Türkei geschickt, können Sie mir dies bitte erklären.
BF: Das war politisch so gedacht. Die somalischen Soldaten zu trainieren, damit sie dann nach Somalia zurückgebracht werden und für die Sicherheit in Somalia sorgen.
R: Welche Rolle haben Sie in diesem Ausbildungslager in der Türkei innegehabt?
BF: Ich sollte dann ein Kapitän werden.
R: Was für ein Kapitän?
BF: Für den Kampf. Es gab dort verschiedene Soldaten für die Luftwaffe, für den Meerweg und den Landweg. Wir waren für den XXXX .
R: Was heißt „Sie sollten ein Kapitän werden“? Sollten Sie eine Kampfeinheit leiten?
BF: Das ist ein Soldat mit drei Sternen. Es gibt die erste Stufe, die zweite Stufe und die dritte Stufe. Ich war die XXXX .
R: Heißt das nun, dass Sie eine Kampfeinheit leiten sollten?
BF: Ja.
R: Das heißt aber, dass Sie ein gehorsamer Soldat und ein guter Soldat gewesen sein mussten, sonst hätte man Sie nicht befördern wollen.
BF: Ja, ich war ein gehorsamer Soldat. Ich habe meinen Job ordentlich gemacht.
R: Was haben Sie persönlich genau im Ausbildungslager in der Türkei gemacht?
BF: Jeden Tag in der Früh sind wir in einer Schlange gestanden und wir haben unseren türkischen Chef gegrüßt und mitgeteilt, wenn jemand nicht aufgewacht ist.
R: Was haben Sie dann gemacht?
BF: Nach der militärischen Begrüßung haben wir die somalische Hymne gehört.
R: Was war dann?
BF: Wir haben auch die türkische Hymne gehört.
R: Was ist dann weiterhin geschehen?
BF: Dann haben wir unseren Tagesablauf miteinander besprochen.
R: Was haben Sie dann gemacht?
BF: Dann sind wir zu unseren Klassen hingegangen, um die Sprache zu lernen.
R: Was ist dann passiert?
BF: Gegen Mittag sind wir dann in ein Restaurant essen gegangen.
R: Und dann?
BF: Am Nachmittag ist man wieder zusammen in den Hof gegangen. Dann wurde wieder ein Bericht geschrieben und gesagt, dass was heute passiert ist, dass jemand gefehlt hat. Dann haben wir Sport gemacht. Es gab dort eine Stelle, wo man Sport machen konnte, Gymnastik etc.
R: So wie Sie mir alles schildern, klingt dies wie ein Sprachaufenthalt mit körperlicher Bewegung. Wieso sollten Sie die türkische Sprache lernen?
BF: Weil man uns zuerst die Sprache beibringen sollte und dann später sollten wir vom türkischen Militär trainiert und unterrichtet werden. Wir sollten kämpfen und den Umgang mit verschiedenen Gewehren lernen.
R: In welcher Zeit sollten Sie die türkische Sprache erlernen?
BF: In 6 Monaten.
R: Heißt das, dass Sie türkisch sprechen können?
BF: Ja.
R: Können Sie auch türkisch schreiben?
BF: Ja.
R: Wie hat Ihr türkischer Chef geheißen?
BF: XXXX .
R: Können Sie mir den vollständigen Namen des türkischen Chefs nennen?
BF: Ich habe es vergessen, ich kann mich nicht erinnern.
R: Wie konnten Sie das Ausbildungslager verlassen?
BF: Mir wurde dann gesagt, dass ich nächste Woche zurück nach Somalia gebracht werde.
R: Wer hat Ihnen das gesagt?
BF: Die Leute, die mir dann mein Gewand gebracht haben.
R: Welche Leute haben Ihnen Ihr Gewand gebracht?
BF: Mein Vorgesetzter XXXX und zwei somalische Soldaten mit höheren Positionen und von der somalischen Kanzlei.
XXXX
R: Wieso können Sie nicht die genaue Adresse angeben, wo sich das Ausbildungslager befunden hat?
BF: Ich weiß es nicht.
R: Dann wollte man Sie nach Somalia zurückschicken.
BF: Ja.
R: Wollte man nur Sie alleine nach Somalia zurückschicken?
BF: Also ich sollte nach Somalia zurückgeschickt werden und eine andere Gruppe sollte in Somalia ein Monat Ferien machen und dann wieder in die Türkei zurückgeschickt werden.
R: Sollten Sie jetzt alleine nach Somalia zurückgeschickt werden, um dort zu bleiben und nicht mehr in die Türkei zurückgeschickt werden?
BF: Ja, mich wollte man zurück nach Somalia schicken und vor ein Gericht stellen. Die anderen sollten dann wieder in die Türkei zurückkehren.
R: Wieso sollten Sie nun in Somalia vor ein Gericht gestellt werden?
BF: Weil ich aus dem Militär geflüchtet bin. Einen flüchtenden Soldaten sollte man nicht vor Gericht stellen.
R: Wo hat man Sie nun erwischt? Sie haben gesagt vor der bulgarischen Grenze und in der Folge sollten Sie vor ein somalisches Gericht gestellt werden. Stimmt das?
BF: Ja.
R: Wieso konnten Sie das Ausbildungslager verlassen? Erzählen Sie mir chronologisch, also nach der Reihe, was in der Türkei nun konkret passiert ist.
BF: Am XXXX wurde ich in dieses Ausbildungscamp gebracht und dann habe ich mir eine Bibel gekauft. Dann haben mich meine Kollegen mit der Bibel gesehen. Sie haben mit mir gestritten. Sie haben gesagt, dass dieser Mann mit dem schlechten Verhalten gekommen ist, das ist eine Sünde.
R: Wann haben Sie die Bibel gekauft?
BF: Mitte XXXX .
R: Wo haben Sie die Bibel gekauft?
BF: In der Stadt.
R: In welcher Stadt?
BF: In der Stadt XXXX . Es war eine Kinderbibel mit Bildern.
R: Wie war es Ihnen möglich das Ausbildungslager zu verlassen, um eine Bibel einkaufen zu gehen?
BF: Wir wurden eigentlich mit einem Bus mit anderen türkischen Mitarbeitern gefahren.
R: Wie konnten Sie dann den Bus verlassen, um eine Bibel in einem islamischen Land zu kaufen?
BF: Wir sind mitgefahren, um einzukaufen, wir brauchten Wörterbücher und übersetzte Bücher etc.
R: Waren Sie alleine oder waren noch andere somalische Soldaten beim Kauf der Bibel anwesend?
BF: Es war ein sehr großes Geschäft, es bestand aus zwei Stockwerken. Wir sind alle hineingegangen.
R: Wie viele Leute sind mit ihnen in das Geschäft gegangen?
BF: Es waren mindestens 20 Personen.
R: Waren auch somalische Soldaten dabei?
BF: Alle waren somalische Soldaten. Türkische Soldaten haben uns begleitet.
R: Das heißt, Sie haben vor allen anderen Soldaten diese Bibel gekauft?
BF: Ja, aber jeder hat seinen Einkauf alleine getätigt. Ich war alleine an der Kassa.
R: Was haben Sie alles gekauft?
BF: Ein Wörterbuch Türkisch – Somali und türkische Bücher.
R: Welche türkischen Bücher?
BF: Für Anfänger.
R: Welchen Inhalt hatten diese türkischen Bücher?
BF: Für Anfänger, wie sie Gespräche führen, einen Dialog führen, wie z.B. wie geht es dir?
R: Wie viele Bücher haben Sie nun gekauft?
BF: Es stand auf Englisch und auch Türkisch. Das Wörterbuch war türkisch – englisch und nicht somalisch.
R: Wie viele Bücher haben Sie insgesamt gekauft?
BF: 4.
R: Darunter die Bibel?
BF: Ja.
R: Wie viele Bücher haben die anderen gekauft?
BF: Ich weiß es nicht.
R: Wieso haben Sie dann vor dem Bundesamt angegeben „wir haben uns dort 2 Bücher gekauft“?
BF: Es waren zwei Bibeln.
R: Wieso zwei Bibeln, Sie haben immer gesagt, Sie haben eine Bibel gekauft?
BF: Ein Wörterbuch, ein Lehrbuch für Anfänger auf Türkisch und zwei Bibeln.
R: Erklären Sie bitte diesen Widerspruch.
BF: Ich kann mich nicht ganz genau erinnern, wie viele Sachen ich an dem Tag gekauft habe.
R: Was sagen Sie zu diesem Widerspruch?
BF: Wir haben zwei Bibeln gekauft, ich und mein Freund. Für mich eine und für ihn eine, deshalb waren es zwei Bibeln.
R: Wo ist der Freund?
BF: Er ist in Deutschland gestorben.
R: Wann ist er gestorben? Wie hat er geheißen?
BF: Er hieß XXXX . Er hieß auch XXXX . Wann genau, weiß ich nicht.
R: Wieso haben Sie nicht vor dem Bundesamt erzählt, dass Ihr Freund auch eine Bibel gekauft hat?
BF: Ich habe erzählt, dass ein Freund von mir geschlagen wurde, damals. Ich habe meine Bücher damals erwähnt. Aber ich habe auch erwähnt, dass mein Freund auch viel Bibel gelesen hat und dass er geschlagen wurde und mehrere Verletzungen hatte.
R: Sie haben die Bücher gekauft und sind dann mit dem Bus wieder in das Ausbildungslager zurückgekehrt, stimmt das?
BF: Ja.
R: Was ist dann im Ausbildungslager passiert?
BF: Es gibt Kontrollen draußen. Damit ich in das Ausbildungslager hineinkonnte, wurde ich kontrolliert. Es wird alles aus dem Sack herausgeholt und angeschaut. Die Leute, die dabei waren, haben es gesehen.
R: Was haben Sie gesehen?
BF: Sie haben gesehen, dass auf einem Buch Bibel steht, vor allem auf Türkisch stand das Wort „injil“ (phonetisch) das heißt auch auf somalisch Bibel.
R: In welcher Sprache war diese Bibel?
BF: Türkisch.
R: Was ist dann passiert?
BF: Dann haben die Somalier miteinander gesprochen, er hat eine Bibel dabei, was soll das und so.
R: Hat man ihnen die Bibel weggenommen oder konnten Sie sie mitnehmen?
BF: Ich konnte die Bibel mitnehmen. Ich bin dann auf mein Zimmer gegangen und dann kann ich mich nicht genau erinnern an welchem Tag es gewesen ist. Dann am Nachmittag haben wir uns mit den Bibeln beschäftigt. Ich und mein Freund haben versucht die Bibel zu übersetzen und zu verstehen. Dann sind zwei Somalier zu uns gekommen.
R: Wie hat der Freund geheißen mit dem Sie die Bibel gelesen haben?
BF: XXXX .
R: Was ist dann weiterhin passiert als die zwei Somalier gekommen sind?
BF: Sie waren wütend als sie das gesehen haben. Sie haben schon bei der Kontrolle gesehen, dass wir Bibeln haben. Sie sind dann auf uns losgegangen, sie haben meinem Freund die Bibel weggenommen und durch das Fenster geschmissen. Sie haben versucht meine Bibel wegzunehmen, ich habe sie aber festgehalten.
R: Was haben Sie dann mit ihrer Bibel gemacht?
BF: Einer von den zwei somalischen Soldaten, die auf uns losgegangen sind, hat eine Seite aus der Bibel gerissen. Dann waren sie zu zweit und wir haben gegenseitig handgreiflich miteinander gekämpft. Dann sind sie gegangen und haben andere geholt.
R: Aus welcher Bibel wurde die Seite gerissen?
BF: Es war aus meiner Bibel.
R: Wen haben sie geholt?
BF: Andere somalische Soldaten.
R: Und die anderen somalischen Soldaten sind dann in ihr Zimmer gekommen?
BF: Ja, sie haben uns dann geschlagen.
R: Wie viele somalische Soldaten waren dann ungefähr in Ihrem Zimmer?
BF: Mindestens 5.
R: Waren Sie verletzt?
BF: Ja, ich habe einen Riss an meiner Oberlippe gehabt. Mein Freund wurde an beiden Lippen verletzt und an den Augenbrauen.
R: Was war dann?
BF: Sie haben uns dann geschlagen bis wir zu Boden gegangen sind. Dann sind sie auf uns gestiegen.
R: Wer hat ihnen dann geholfen?
BF: Die türkischen Betreuer aus der Rezeption, die selbst Soldaten sind, sind gekommen.
R: Was haben diese dann gemacht?
BF: Die haben uns alle getrennt. Ich und mein Freund wurden nach unten gebracht.
R: Was war dann?
BF: Dann hat die Rettung meinen Freund ins Spital gebracht. Im Camp selbst hat es ein Spital gegeben. Wir wurden gefragt, was der Grund war, warum wir uns gestritten haben und wieso es so weit gekommen ist. Die Männer haben gesagt, dass wir die Bibel haben und andere Religionen lernen wollen. Wir dürften nicht weiter bei ihnen sein, wenn wir zurückkommen, würden sie uns wieder schlagen.
R: Wohin wurden Sie gebracht?
BF: Ins Zimmer. Dann haben die Vorgesetzten gesagt, dass sie eine Lösung dafür finden werden. Jeder soll zurück in sein Zimmer gehen.
R: Welche Vorgesetzten?
BF: XXXX .
R: Dann haben Sie geschlafen, was ist am nächsten Morgen passiert als Sie wieder aufgewacht sind?
BF: Am nächsten Tag haben sie uns gesagt, dass wir nicht wieder kommen dürfen und zwar in die Gruppe, wir durften auch nicht in der Reihe stehen.
R: Wohin wurden Sie und Ihr Freund gebracht?
BF: Im selben Haus sind wir geblieben, wo das Restaurant und die Rezeption sind.
R: Was hat man dann mit ihnen beiden gemacht?
BF: Wir durften nicht mehr mitgehen. Von unserer somalischen Gruppe gab es einen Chef und meine Gruppe ist mit ihrem somalischen Chef zum Leiter des Camps gegangen und haben unsere Abschiebung nach Somalia verlangt, weil wir uns nicht mehr vertragen.
R: Wie hat der somalische Chef geheißen?
BF denkt lange nach. BF: Ich kann mich an meinen Chef erinnern, er hieß XXXX . Ich habe all die Namen vergessen, weil alle gestorben sind.
R: Woher wissen Sie, dass der somalische Chef gestorben ist, wenn sie geflüchtet sind?
BF: Ein somalischer Freund hat mir Bescheid gegeben.
R: Was war dann?
BF: Ich habe dann immer dem UNHCR dort erzählt, dass ich ein christlicher Somalier bin. Als sie gesagt haben, dass sie uns nächste Woche abschieben werden, habe ich vier Zigaretten ins Wasser dazugegeben und dann getrunken und daraufhin habe ich erbrochen und dann habe ich behauptet, dass ich krank bin und zum Spital muss.
…
R: Sind Sie dann ins Spital gekommen?
BF: Ja.
R: In welches Spital sind Sie gekommen?
BF: In der Stadt XXXX .
R: Wo ist diese Stadt nochmals?
BF: Das ist eine XXXX .
R: Wieso sind Sie in das Spital nach XXXX gekommen, wenn Sie vorhin gesagt haben, dass es in ihrem Ausbildungslager auch ein Spital gegeben hat?
BF: Ich war in einem Gefängnis in XXXX eingesperrt, nicht in XXXX .
R: Das heißt, Sie sind direkt von Ihrem Ausbildungslager in das Gefängnis XXXX gelangt? Haben die Soldaten des Ausbildungslagers Sie in das Gefängnis nach XXXX gebracht und zwar direkt nachdem man die Bibel bei ihnen entdeckt hat?
BF: Nein.
R: Wie war es denn?
BF: Ich habe das Camp verlassen. Ich habe ein Taxi genommen. Ich wollte flüchten und dann wurde ich von der Polizei erwischt und zwar in XXXX . Ich war an der bulgarischen Grenze.
R: Wie konnten Sie das Camp verlassen? Wie war dies möglich, zumal Sie in einem Ausbildungslager voller Soldaten waren, man bei Ihnen eine Bibel gefunden hat und Sie nach Somalia abgeschoben hätten werden sollen?
BF: Ich und mein Freund sind in der Nacht weggegangen. Wir sind über die Mauern gesprungen. Alle haben geschlafen, es gab nur Wächter.
R: Wie konnten Sie einfach über die Mauer springen, wenn die anderen Soldaten sehr wütend auf Sie waren. Sie hätten nach Somalia abgeschoben werden sollen, wurden Sie nicht bewacht?
BF: Es war eine dichte Mauer, es stimmt. Es gab auch Stacheldraht, aber wir sind auf einen Baum, der in der Nähe der Mauer war, geklettert und über die Mauer gesprungen. Wir mussten unser Leben retten.
R: Wieso wurden Sie nicht bewacht, zumal die Soldaten sehr wütend auf sie waren?
BF: Es gab Wächter, es gab Hunde. Wir haben unsere letzte Chance genutzt und sind geflüchtet. Selbst wenn es am Tag gewesen wäre, hätten wir versucht zu flüchten. Wir haben gewusst, was uns in Somalia erwartet, wenn wir abgeschoben werden. Wir mussten was tun.
R: Wann sind Sie dann in Österreich eingereist?
BF: Im Jahr 2015, ich glaube im Juni.
R: Wie sind Sie von der Türkei dann nach Österreich gelangt?
BF: Die Türkei habe ich mit einem Boot verlassen und bin dann nach Griechenland gekommen.
R: Wie lange waren Sie in Griechenland aufhältig?
BF: 2 Wochen.
R: Wo genau waren Sie in Griechenland?
BF: Wir sind zu der Insel Samos gekommen und dann wurden wir nach Athen gebracht. In Athen war ich im Haus eines Schleppers. Ich hatte kein Geld, aber eine Frau war dabei. Sie hatte das Geld für mich bezahlt und wir sind dann gemeinsam weitergereist. Wir sind dann nach Serbien gekommen.
R: Wie kann es sein, dass eine fremde Frau Ihnen das Geld gegeben hat, damit Sie weiterreisen konnten?
BF: Weil ich ihr bei der Flucht aus der Türkei und weiter nach Griechenland geholfen habe. Sie hatte zwei Kinder. Sie konnte nicht alleine auf die zwei Kinder aufpassen. Ich habe ihr gesagt, dass ich kein Geld habe. Ich werde bleiben und dann hat sie angeboten, dass sie bezahlt. Sie war auch eine Somalierin.
R: Was glauben Sie würde Ihnen passieren, wenn Sie nach Somalia zurückkehren müssten?
BF: Ich werde umgebracht. Ich kann doch nicht so leben so wie ich hier lebe.
R: Wer würde Sie umbringen?
BF: Meine Familie würde mich umbringen, die Leute auf der Straße, in der Stadt. Sie wollen mich nicht als einen christlichen Somalier akzeptieren. Ich bete wie ein christlicher Mensch und ich lebe hier meine Religion aus.
R: Das heißt Ihre Familie weiß nicht, dass Sie Christ sind?
BF: Ja.
R: Wie viele Geschwister haben Sie insgesamt?
BF: Mit mir sind es 6 Geschwister. Ich habe 2 Brüder und 3 Schwestern.
R: Wo befinden sich Ihre Brüder und Schwestern?
BF: Der jüngere Bruder lebte zuletzt im Sudan, ich weiß nichts mehr von ihm. Ich habe keinen Kontakt zu ihm. 2 Schwestern leben in Kenia, in XXXX .
R: Haben Sie Kontakt zu Ihren Schwestern?
BF: Manchmal ja, aber ich rede mit meiner Schwester, die in Somalia lebt. Sie hat meine Nummer, sie ruft mich über Handys von anderen an. Sie hat keine eigene Nummer und verwendet dafür das Handy anderer. Sie kontaktiert mich über WhatsApp.
R: Ihre Mutter, Schwester und Bruder leben in Somalia, wie schauen die Wohnverhältnisse aus?
BF: Sie haben kein eigenes Haus, Schwester und Bruder leben in einem Miethaus. Jeder lebt in einer anderen Stadt.
R: Wo lebt Ihre Mutter jetzt?
BF: Die Familie wohnte früher in einem Miethaus in Kismayo, zurzeit lebt meine Mutter bei einer Cousine in Mogadischu. Meine Mutter ist krank.
R: Außer Ihrer Mutter und Geschwistern haben Sie noch Cousinen in Somalia?
BF: Ja.
R: Wie viele Cousinen haben Sie?
BF: Ich weiß es nicht, sie sind viele.
R: Welche Verwandten leben noch in Mogadischu außer der Mutter und Cousine?
BF: Eine Tante ms. Mein Großvater hatte 12 Kinder. Jedes Kind hat sehr viele Kinder zur Welt gebracht.
R: Das heißt Sie haben noch andere Verwandte die in Mogadischu leben?
BF: 2 Kinder von mir leben in Mogadischu und meine Ex-Frau auch. Auch andere Cousins und Cousinen von mir leben in Mogadischu.
R: Wenn Sie kein Christ wären, könnten Sie in Mogadischu leben?
BF: Man kann nicht in Mogadischu leben, dort gibt es keine Sicherheit.
R: Was könnten Sie arbeiten, wenn Sie nach Somalia zurückkehren könnten.
BF: ich werde nicht nach Somalia zurückgehen.
R: Keiner Ihrer Familienangehörigen weiß, dass Sie Christ sind?
BF: Alle wissen davon, dass ich Christ bin.
R: Dann ist ihre Familie mit Ihrem christlichen Glauben einverstanden, da sie doch regelmäßig miteinander telefonieren?
BF: Meine Mutter weiß es schon, aber trotzdem versucht sie, das zu vertuschen. Sie fragt mich, ob ich in der Moschee war und ob ich beten gegangen bin und sie glauben, dass ich noch Muslim bin. Meine Mutter weiß schon, dass ich christlich bin, aber sie versucht das zu vertuschen, damit die anderen glauben ich sei Muslim.
R: Was gefällt Ihnen so sehr am katholischen Glauben, welche Unterschiede gibt es zum Islam?
BF: Das Gott ein lieber Gott ist und kein böser Gott ist. Das Gott der Vater ist, das er sagt, wir sollen ihn fragen was wir brauchen, er wird uns geben.
R: Was wissen Sie über Fronleichnam?
BF: Nochmals die Frage.
R: Den Namen Fronleichnam müssten Sie ja öfters gehört haben, was verbinden Sie damit?
BF: Fronleichnam habe ich nie gehört, ich kenne nur die Maria.
R: Können Sie mir den Rosenkranz aufsagen?
BF: Rosenkranz haben Sie gesagt?
R: Ja.
BF: Das kann ich nicht sagen.
R: Welche Sprache sprechen Sie?
BF: Somali, Deutsch, Englisch, Türkisch.
R: Seit wann sind Sie geschieden?
BF: Ich habe mich eigentlich für die Scheidung nicht ausgesprochen. Ich habe mich nicht scheiden lassen, aber sie haben für sie eine Scheidungsurkunde besorgt. Sie hat jetzt eine andere Familie. Sie hat einen anderen Mann und noch ein Kind.
R: Sind Sie in Kontakt mit Ihrer Ex-Ehefrau?
BF: Sie hat einen Mann und noch zwei Kinder. Ich bin noch in Kontakt mit ihr, manchmal ruft sie mich an.
R: Wo lebt ihre Ex-Ehefrau mit den Kindern?
BF: Mogadischu, alle leben dort. Ihre Kinder, sie und meine Kinder.
R: In Österreich gehen Sie regelmäßig in die Kirche?
BF: Ja.
R: In welche Kirche gehen Sie?
BF: XXXX .
R: Seit wann gehen Sie in diese Kirche?
BF: Seit 2016 bis jetzt.
R: Wo leben Sie derzeit?
BF: XXXX .
R: Wieso besuchen Sie dann eine Schule in XXXX , wenn Sie in XXXX leben?
BF: Weil diesen Pflichtschulabschluss gibt es in XXXX nicht, deshalb bin ich nach XXXX gegangen.
R: Haben Sie jemals in XXXX gelebt?
BF: Nein.
R: Wer hat Ihnen geholfen, dass Sie diesen Kurs besuchen können?
BF: Eine österreichische Familie, mit der ich befreundet bin. Die Familie heißt XXXX .
R: Müssen Sie ständig Medikamente einnehmen?
BF: Ja.
R: Welche nehmen Sie ein?
BF: Ja, zurzeit nehme ich Sataralin, die anderen weiß ich nicht, wie die heißen. Metazapin habe ich einmal genommen, aber jetzt nicht mehr (Siehe Beilage G).
R: Wie viele verschiedene Tabletten nehmen Sie täglich ein?
BF: Ich nehme zwei verschiedene Medikamente ein, bei einer Tablette die Hälfte und bei der anderen ein Drittel.
R: Gehen Sie ständig zum Arzt?
BF: Ja.
R: Was heißt ständig? Wie oft gehen Sie monatlich zum Arzt?
BF: Einmal im Monat.
R: Zu wem gehen Sie?
BF: Meine Medikamente sind bald aus. Ich muss mir neue holen.
R: Das heißt Sie gehen dann zum Arzt, wenn Ihre Medikamente aus sind?
BF: Ja, sonst nicht.
R: Und als Sie in Somalia Soldat waren, zu welcher Einheit haben Sie gehört? Wie schaut die Armee in Somalia aus? Gibt es verschiedene Einheiten?
BF: Ich habe zu den Landwegsoldaten gehört. Wir hatten die Raketen, aber unser Land ist eigentlich kaputt. Es gibt keine Raketen mehr, es gibt keine verschiedenen Waffen, alle legen sich auf den Boden und kämpfen mit Ak, einem Gewehr.
R: Wie heißt derjenige, der Ihre Einheit geführt hat? Was hatte er für einen Titel?
BF: Er hieß XXXX und er hatte einen bekannten Spitznamen nämlich XXXX . Seinen Vornamen kenne ich nicht.
R: Wie lange waren Sie bei seiner Einheit?
BF: XXXX , es war ein Militärchef von ganz Somalia. Er wurde XXXX gewählt.
R: Ich habe gefragt, wie der Leiter Ihrer Einheit geheißen hat?
BF: XXXX .
R: Wie lange waren Sie bei dieser Einheit bei XXXX ?
BF: Von XXXX .
R: Wie lautet der Vorname XXXX ?
BF: XXXX ist der Vorname, XXXX der Familienname.
R: Wie viel hat ihre Reise nach Österreich gekostet?
BF: 3500 Dollar.
R: Woher hatten Sie das Geld?
BF: Wenn man die Wahrheit sagt, mir gehört nur 1000 Dollar. Der Rest gehört der Frau, die mir geholfen hat.
R: Das heißt die Frau hat 2500 Dollar bezahlt?
BF: Ja. Ich habe früher mal gesagt, dass meine Mutter mir das Geld gegeben hat, das stimmt aber nicht. Aus Liebe zu meiner Mutter habe ich es behauptet.
R: Was arbeitet Ihr Bruder in Somalia? Von was lebt er?
BF: Jetzt arbeitet er nicht, früher war er ein Journalist.
R: Von was lebt er?
BF: Jedes Mal isst er mit den anderen, je nach dem.
R: Mit welchen anderen?
BF: Mit seinen Freunden.
R: Wieso haben Sie vor dem BFA angegeben 8 Jahre lang die Schule besucht zu haben?
BF: Weil ich die 8. Klasse nicht abgeschlossen. Ich habe sie begonnen, aber nicht abgeschlossen. Deshalb sage ich manchmal sieben und manchmal acht.
R: Wo haben Sie die Schule besucht?
BF: XXXX , bis zur 8. Klasse, die ich jedoch nicht abgeschlossen habe.
R: Was ist XXXX ? Wo liegt XXXX ?
BF: Zuerst habe ich eine Volksschule in XXXX besucht.
R: Wie lange haben Sie die Volkschule in XXXX besucht?
BF: Ich weiß nicht wie lange, ich war noch klein. Später habe ich die Schule in Kismayo besucht.
R: In welchem Jahr haben Sie dann aufgehört die Schule zu besuchen`
BF: 2005 oder 2006.
R: Sie haben eine Volkshauptschule besucht?
BF: Ja, richtig.
R: Wann haben Sie begonnen die Schule zu besuchen? Wie alt waren Sie?
BF: Ich war sehr jung, ich war noch klein. Ich kann nicht sagen, wann es genau gewesen ist, aber es war als die großen Gebäude in Amerika zerstört wurden.
R: Meinen Sie die Terroranschläge?
BF: Ich glaube es war in dieser Zeit.
R: Wieso haben Sie bei der Erstbefragung angegeben die Schule von 1995 bis 2007 besucht zu haben?
BF: Ich kann mich an diese Zeit erinnern, dass ich die Schule besucht habe, aber wann genau ich in die Schule gebracht wurde, dass weiß ich nicht. Ich kann mich an die Zeit nach dem Jahr 2000 erinnern, was davor war, dass weiß ich nicht, ich kann mich nicht erinnern. Ich leide an Vergesslichkeit, schlechtes Gedächtnis. Meine Exfrau hat mir über Vorfälle erzählt, was wir gemeinsam gemacht haben und ich kann mich nicht mehr erinnern.
R: Welche Vorfälle, was meinen Sie damit?
BF: Das sie einmal z.B. schwanger gewesen ist und das Kind ist in ihrem Bauch gestorben. Wir sind zum Spital gefahren und ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, das wir jemals im Spital mit ihr waren. Sie erzählt sogar, dass wir in zwei Spitälern waren.
R: Es könnte ja sein, dass sich Ihre Frau nicht mehr richtig erinnern kann.
BF: Nein. Meine Mutter hat auch etwas erzählt, woran ich mich nicht erinnern kann und dann noch dazu ist es gekommen, als meine Exfrau mir das erzählt hat.
R: Was macht Ihr Vater in Somalia?
BF: Er arbeitet nicht.
R: Von was lebt Ihr Vater?
BF: Er lebt mit seinen Verwandten.
R: Mit welchen Verwandten?
BF: Einmal ist er im Haus seines Bruders, einmal im Haus seines Cousins und dann einmal bei der Cousine.
R: Was hat Ihr Vater gearbeitet?
BF: Auf einem Tisch hat er Schuhe, Rasierklingen, Shampoos und T-Shirts verkauft. Manchmal war er Träger.
R: Was hat er getragen?
BF: Kohle. Er hat Kohle auf das Boot getragen.
R: Wann waren Sie zuletzt in Österreich in der Kirche?
BF: Letzten Sonntag.
R: Können Sie mir auf Deutsch erzählen, wie Sie einen typischen Tag in Österreich verbringen?
BF auf Deutsch: Aufstehe um 05:30 Uhr jede Morgen und ich gehe abwaschen, Gesicht abwaschen. Zähne putzen, Toilette, dann Kuche, ja ich koche zum Beispiel Tea (Anmerkung: er sagt Tee auf Englisch) und ich mache meine Fruhstuck alles mit Eier, Tomate, Zwiebel. Ich frühstucke ungefähr um six Uhr 10. Dann ich düsche und dann ich schaue meine Stunden auf Plan. Dann ich nehme was soll ich heute beispiel Mathematik oder Englisch meine Tasche. Dann um six Uhr 55 Minüte ich raus ich gehe raus ich gehe nach die Bushaltestelle und meine Bus kommen dann six sieben Uhr 12 Minute dann ich fahre nach XXXX . Dann ich warte dort, nach 10 Minüte ich warte im XXXX zum Umsteigen in andere Zug. Ich fahre XXXX .
R: Was wurde in der Messe, die Sie am letzten Sonntag gehört haben, gepredigt?
BF: Jeder wird ein Prophet.
R: Haben Sie österreichische Freunde hier in Österreich?
BF: Ja.
R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
BF: Am Wochenende gehe ich spazieren, ich lese Bücher. Ich gehe dann auch Sport treiben.
R: Was machen Sie für Sportarten?
BF: 2 Sportarten, spiele ich zwei, Fußball, laufen. Ich gehe ins Fitnessstudio. Mein Arzt hat mir dazu geraten.
R an RV: Haben Sie eine Frage?
RV: Ja.
RV: Was hat sich in Ihrem Leben geändert, seit dem Sie die neue Religion angenommen haben?
BF: Ich habe keine Ängste mehr, ich bin fröhlicher geworden. Seit dem ich Christ geworden bin, habe ich niemanden etwas angetan.
R: Und vorher haben Sie den Menschen schon etwas angetan?
BF: Ich habe z.B. früher Lügen erzählt. Damals habe ich die Frau, die mir geholfen hat hierherzukommen, versucht einzureden, dass sie ihren Mann verlässt, aber seit ich Christ geworden bin, mache ich das nicht. Seit man mir gesagt hat, dass ich nicht etwas mit verheirateten Frauen eingehen soll, habe ich aufgehört.
RV: Haben Sie eine Bibel oder besitzen Sie Bibeln?
BF: Ja.
RV: Tragen Sie sonst noch welche christlichen Symbole bei sich?
BF: Ja. Ich trage eine Kreuzkette. Ich trage einen Kreuzring und eine Kette mit Kreuz habe ich auch. Eine Rosenkranzkette.
RV: Missionieren Sie oder haben Sie es jemals gemacht?
BF: Ja, habe ich.
R: Wann haben Sie das gemacht?
BF: Das mache ich immer, ich erzähle den Leuten, dass das der richtige Weg ist.
RV: Haben Sie schon jemanden überzeugt, dass er/sie in die Kirche gehen soll?
BF: 2 Personen, also eine Frau und ein Herr. Der Mann, den habe ich in die Kirche gebracht, der hat noch immer guten Kontakt zur Kirche. Er besucht die Kirche und die Frau habe ich anderen vorgestellt und sie hat guten Kontakt zu ihnen.
R: Wie heißt der Herr?
BF: XXXX .
R: Wie heißt die Frau?
BF: Den Namen der Frau erwähne ich nicht.
R: Wieso nicht?
BF: Sie heißt XXXX . Das ist der einzige Name, den ich kenne.
R: Wieso wollten Sie den Namen nicht sagen?
BF: Doch, sie heißt noch dazu XXXX . Ich habe mir gedacht, dass die Dolmetscherin die Frau vielleicht kennt, aber denke ich mir nicht, dass sie sie kennt.
RV: Haben Sie einen christlichen Namen?
BF: XXXX .
R: Wieso gerade XXXX ?
BF: Das ist einer der Freunde von Jesus.
RV: Keine weiteren Fragen.
R: Wieso schreiben Sie einen Drohbrief, wenn Sie ein guter Christ sind?
BF: Mir ist es in diesem Moment psychisch sehr schlecht gegangen. Meine Mutter hat mich hin und wieder angerufen und gesagt, dass sie im Krankenhaus ist, dass sie krank ist. Sie hat geweint, ich konnte nichts für sie tun. Ich kann für mich selbst nichts tun. Meine Tochter wurde mit 12 Jahren in die Koranschule gebracht und wird bald mit einem Scheich verheiratet, weil ihr Vater ein Christ geworden ist. Sie möchten, dass sie Muslim bleibt. Das hat mich alles durcheinandergebracht, dann habe ich das Handy genommen und geschrieben.
R: Man kann nicht einfach das Handy nehmen und einen Drohbrief schreiben. Wenn Ihnen das nächstes Mal etwas nicht passt, was machen Sie dann? Wem drohen Sie dann?
BF: Ich weiß nicht, wie ich das getan habe, ich weiß nicht, wie das passiert ist. Wenn ich versuche den Leuten zu sagen oder sie zu überzeugen, dann sagen sie mir, wenn das mein Gott ist, dann hat er mir nicht geholfen. 7 Jahre lang lebe ich hier, ich konnte mein Leben nicht verbessern. Meine Tochter ist den ganzen Tag in der Koranschule.
R: Sie hatten bereits eine Verhandlung im Jahr 14.09.2020. In dieser Verhandlung haben Sie die Dolmetscherin beleidigt und gekränkt, weswegen sie nicht mehr als Dolmetscherin weiter tätig sein konnte, deshalb musste die Verhandlung vertagt werden.
BF: Ich habe sie nicht beleidigt. Am Tag davor war ich bei der Diakonie und dort haben wir besprochen, dass wir die erste Dolmetscherin nicht wollen. Ich habe keine Zeit gehabt, um es mir zu überlegen. Am nächsten Tag sind wir zu der Verhandlung erschienen. Die Dolmetscherin war da und die von der Diakonie hat mir gesagt, dass es die selbe Dolmetscherin ist und wir sie nicht wollen, aber beleidigt habe ich sie nicht.
R: Sie haben die Dolmetscherin gekränkt und beleidigt.
BF: Wir haben ja gesprochen, aber ich kann mich an das nicht erinnern.
R: Wieso wollten Sie die gleiche Dolmetscherin nicht? Was war der Grund?
BF: Für mich war es egal, aber derjenige, der bei der Diakonie zuständig war, hat es mir geraten.
R: Warum schicken Sie mir ein Foto von einem Seil? Was wollten Sie mit diesem Bild bezwecken?
BF: Ich weiß nicht, wie ich das getan habe. Wenn die somalischen Leute, die hier in Österreich leben, mich so sehen, wollen sie nicht zum Christentum konvertieren, weil ich ein schweres Leben habe, obwohl ich ein Christ bin.
R: Schicken Sie Geld nach Somalia, schicken Sie Geld zu Ihrer Familie?
BF: Meiner Mutter.
R: Wie viel schicken Sie monatlich?
BF: 500 Euro habe ich zuletzt geschickt. Die Bekannten in XXXX haben mir geholfen, weil die Mutter krank ist. XXXX hat mir 250 Euro gegeben. XXXX hat mir 300 Euro gegeben.
R: Welchem Clan gehören Sie an?
BF: Daroud Marehan.
R: Wie heißt Ihr Sub-Clan?
BF: Reer Dini.
R: Wie heißt Ihr Sub-Sub-Clan?
BF: Reer Ugaas sharmarke.
Erörtert und verlesen werden folgende Berichte
Länderinformationsblatt Somalia Stand: 31.03.2021
Landkarte von Somalia
EASO Somalia Security Situation September 2021
EASO Somalia Key socio-economic indicators, September 2021
Dazu gibt der BF an: Ich möchte noch sagen, in Somalia ist ein anderer Glaube nicht erlaubt und das meine Familie arm ist und es gibt auch Clan-Probleme, darunter leidet meine Familie.
RV: Vor dem Hintergrund der aktuellen LIB Somalia ergibt sich, dass eine Konversion zu einer anderen Religion einerseits durch die somaliländische Verfassung verboten ist, andererseits bleibt die Konversion sozial inakzeptabel. Die Personen, die unter Verdacht stehen konvertiert zu sein, müssen mit Belastungen seitens der Umgebung rechnen. Das selbe ist im EASO Country Report Somalia targeted profiles vom September 2021 zu finden. Der BF wäre im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen, Diskriminierungen, sowie einem Verfolgungsrisiko ausgesetzt. Nach islamischem Verständnis bedeutet der Abfall vom Islam ein hoch verratsähnlicher Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem. Der BF hat in der heutigen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass er sich aus freier Überzeugung und von Ernsthaftigkeit getragen vom Islam abgewendet hat. Dies wird auch die Tatsache, dass er missionierte bestätigen. Schon allein aus dem Grund, dass es verfassungsrechtlich verboten ist zu einer anderen Religion zu konvertieren, ist der BF gesamtstaatlicher Verfolgung ausgesetzt und eine IFA ist hiermit somit auszuschließen. Im Falle einer Rückkehr droht dem BF asylrelevante Verfolgung aus religiösen Gründen aufgrund seiner Konversion zum Christentum. Ich beantrage die Stattgebung der Beschwerde.
Der RV legt einen Ausdruck betreffend Wikipedia Lisan Ukulu vor, dieser wird als Beilage H zum Akt genommen.
R: Könnten Sie in Puntland oder in Somaliland leben?
BF: Die christlichen Somalier, die dort sind, wurden inhaftiert, getötet oder vertrieben. Wir beten jeden Tag, damit sie befreit werden.
[…]
Der Zeuge XXXX gab in der Verhandlung wie folgt an:
[…]
R: Was sind Sie von Beruf?
Z: Ich bin katholischer Priester seit 25 Jahren.
R: Waren Sie immer in XXXX tätig?
Z: Nein, ich bin seit 6 Jahren in XXXX tätig. Ich bin für eine Vierpfarrengemeinschaft verantwortlich, zu der auch die Pfarre XXXX gehört.
R: Seit wann kennen Sie den BF?
Z: Seit dem Jahr 2017.
R: Wo haben Sie ihn kennengelernt?
Z: In der Pfarre XXXX .
R: Können Sie mir die Umstände näher beschreiben, wie Sie den BF kennengelernt haben?
Z: Im Jahr 2017 hat sich der BF an mich gewandt, weil er sich für den katholischen Glauben interessiert hat. Wir sind ins Gespräch gekommen, wir haben uns mehrmals getroffen. Er ist dann auch in die offizielle Erwachsenentaufvorbereitung eingestiegen.
R: Wann ist er in die Erwachsenentaufvorbereitung eingestiegen?
Z: Im Jahr 2017. Zuerst gibt es eine unverbindliche Taufteilnahme an der Taufvorbereitung und nach einer ersten Prüfungsphase habe ich ihn dann im Herbst 2017 offiziell als nächsten Schritt unter die Taufbewerber aufgenommen und im Jahre 2018 durfte ich ihn dann taufen und firmen und ihm die Erstkommunion spenden. Er ist auch gefirmt, das ist in einer Feier. Als Erwachsener wird man in einer Feier getauft, gefirmt und einem wird die Erstkommunion gespendet.
R. Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?
Z: Letzten Sonntag in der Sonntagsmesse.
R: Geht der BF regelmäßig in die Kirche?
Z: Ja, regelmäßig und häufig am Sonntag, praktisch jeden Sonntag.
R: Wie würden Sie den BF beschreiben?
Z: Zunächst einmal habe ich den BF als einen Menschen kenngelernt, der interessiert war am Christentum und das hat sich im Laufe der Zeit vertieft. Ich erlebe ihn auch als einen freundlichen und hilfsbereiten Menschen, z.B., wenn ich ihn frage, ob er irgendwo bei der Pfarre bei verschiedenen Veranstaltungen mithelfen kann. Das tut er auch immer wieder. Ich erlebe ihn auch als einen Menschen, der große Sorgen hat, weil er Angst hat, wenn er in sein Heimatland zurückmüsste, fürchtet er um sein Leben.
R: Können Sie sich erklären, warum der BF einen Drohbrief geschrieben hat?
Z: Davon weiß ich nichts.
R: Können Sie sich erklären, warum er dem Gericht ein Foto mit einem Seil geschickt hat? Anscheinend wollte er damit einen Selbstmord androhen.
Z: Ich kann nur vermuten, ich erlebe ihn immer wieder als einen Menschen mit großen Sorgen.
R: Sorgen haben wir alle, aber es ist nicht üblich, dass Fotos und Drohbriefe verschickt werden. Wie erklären Sie sich so eine Verhaltensweise als Christ. Selbstmord wird im christlichen Glauben nicht gebilligt.
Z: Ich glaube er leidet unter dieser Situation.
R: Haben Sie sonst noch etwas über den BF zu sagen?
Z: Ich möchte nur sagen, dass ich noch nie in der Pfarre XXXX bemerkt habe, dass der BF gewalttägig geworden ist. Ich erlebe ihn ausschließlich friedlich.
RV: Wie erkennt man, dass der BF seine neue Religion angenommen hat?
Z: Das ist natürlich ein Kern, zunächst einmal in der Taufvorbereitung. Die Taufvorbereitung dauert in der Regel ein Jahr. Erstens einmal äußerlich, weil er die Termine wahrgenommen hat. Die Taufvorbereitungstreffen fanden 14-tägig statt. Er ging von Anfang praktisch jeden Sonntag in den Gottesdienst. Er ist auch danach noch geblieben beim Pfarrcafe. Der zweite Teil ist, dass ich prüfe in Gesprächen und darauf achte, ob es einen Fortschritt bei ihm gibt. Ich konnte z.B. sehen, dass er begonnen hat sich mit der Bibel zu beschäftigen und sich mittlerweile in der Bibel gut zurechtfindet. Ich habe erleben können, dass er immer wieder Fragen stellt und Interesse zeigt. Auch nach der Taufe weiß ich, dass er noch in einer regelmäßigen Bibelschule teilnimmt. Die findet zwei Mal in der Woche online statt. Für somalische Christen, die im deutschen Sprachraum sind. Da bekommt er auch täglich eine elektronische Nachricht mit einer Bibelstelle und Gedanken dazu. Immer wieder haben wir uns auch darüber ausgetauscht.
R: In welcher Sprache haben Sie sich anfangs mit dem BF unterhalten?
Z: Anfangs teils deutsch und teils englisch, aber das war immer schwierig. Mittlerweile ist es schon besser geworden.
[…]
In der Verhandlung legte der BF folgende Unterlagen vor:
- Wikipedia-Ausschnitt betreffend die „Schwarze Sprachschule/School of Black Language“;
- Befund einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutin vom 30.09.2021, wonach der BF regelmäßig vorstellig werde, aus psychiatrischer Sicht gebessert sei, er aber nicht stabil und somit nicht voll belastbar sei. Bei Therapie wurde „Rez. depressive Episoden F 32. 1, Posttraumatische Belastungsstörung F 43.1“ festgehalten;
- Ärztliches Attest eines Allgemeinmediziners, wonach beim BF die Dauerdiagnose „Depression“ vorliege und er deswegen in regelmäßiger Behandlung sei, als Dauermedikation wurde „Sertralin 50 mg“ und „Trittico“ festgehalten;
- Schreiben der Pfarre XXXX vom 28.09.2021;
- Schreiben von XXXX sowie Reisepasskopien von XXXX ;
- Schreiben, wonach vom Verein „Integrationslotsen“ ein B1 Deutsch-Intensivkurs organisiert worden sei bzw. mit Juli 2018 abgeschlossen sei;
- Bestätigung vom 13.09.2021, wonach der BF einen Platz im Pflichtschulabschlusskurs habe (Zeitraum Februar 2021-Dezemeber 2021) und der BF im Dezember 2021 voraussichtlich ein komplettes Externistenzeugnis einer Mittelschule vorlegen könne.
28. Am 30.11.2021 sendete der BF erneut ein E-Mail an das erkennende Gericht, worin er die erkennende Richterin beschuldigte, ihn angelogen zu haben bzw. er sich sehr krank fühle.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF ist somalischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe/dem Clan der Darod Marehan, Reer Dini, Reer Ugaas Sharmarke, an.
Der BF ist volljährig. Seine Identität und sein genaues Geburtsdatum konnten nicht festgestellt werden. Der angegebene Name und das angegebene Geburtsdatum dienen lediglich zur Identifizierung als Verfahrenspartei.
Er spricht Somalisch als Muttersprache. Zudem spricht der BF Englisch und Deutsch.
Der BF wurde in Somalia in der Stadt XXXX geboren und lebte auch in der Stadt Kismaayo. Zuletzt (vor seiner Ausreise in Richtung Europa) lebte er in der Hauptstadt Mogadischu. Der BF ist daher mit den Gegebenheiten in der Stadt Mogadischu sehr gut vertraut.
Der BF hat in Somalia einige Jahre lang die Schule besucht. Wie viele Jahre er in die Schule gegangen ist, kann nicht festgestellt werden.
Der BF reiste von der Stadt Mogadischu aus in die Türkei. Der BF lebte einige Zeit lang illegal in der Türkei, bevor er unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich einreiste und hier am 04.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Er hat in Somalia als Fischer gearbeitet. In der Türkei war der BF als Tischler tätig. Es ist nicht glaubwürdig, dass der BF in Somalia bzw. der Türkei als Soldat gearbeitet hat.
Der BF hat in Somalia traditionell geheiratet und mit seiner Frau zwei gemeinsame Kinder. Mittlerweile lebt seine Frau in Somalia (Mogadischu) mit einem anderen Mann zusammen. Auch die Kinder des BF leben bei ihrer Mutter, der BF telefoniert gelegentlich mit der Mutter seiner Kinder.
Auch viele andere Familienangehörige des BF leben nach wie vor noch im Herkunftsstaat Somalia. Seine Mutter lebt in der Stadt Mogadischu bei einer Cousine des BF, sein Vater lebt in XXXX bei verschiedenen Verwandten. Ein Bruder lebt in der Region Gedo in einem Mietshaus, eine Schwester lebt in der Region Galguduud ( XXXX ) in einem Mietshaus. Eine Tante des BF sowie mehrere Cousinen/Cousins leben ebenso in der Stadt Mogadischu. Der BF steht mit seiner Kernfamilie in Kontakt.
Der BF leidet an „Rez. depressive Episoden F 32.1“ und einer „Posttraumatischen Belastungsstörung F 43.1“ und nimmt deshalb die Medikamente Sertralin (50 mg) und Trittico ein. Ansonsten ist der BF gesund und liegt bei ihm keine Suizidalität vor. Der BF leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, die einer Rückkehr nach Somalia entgegenstehen würden. Er ist arbeitsfähig.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.
Es ist nicht glaubwürdig, dass der BF in Somalia als Soldat für die Regierung gearbeitet hat. Weiters ist nicht glaubwürdig, dass der BF von der somalischen Regierung in die Türkei geschickt wurde, um dort eine (militärische) Ausbildung zu absolvieren.
Der BF wurde als sunnitischer Moslem erzogen. Er besucht seit Juni 2017 regelmäßig den katholischen Gottesdienst der Pfarrkirche XXXX sowie das dortige Pfarrcafe. Der BF nimmt auch an diversen Veranstaltungen der Pfarrgemeinde teil, singt im Pfarrchor und hat auch regelmäßig an der Taufvorbereitungsgruppe teilgenommen. Am XXXX wurde er getauft, gefirmt und hat die Erstkommunion empfangen. Der BF nimmt auch regelmäßig an einer Online-Bibelstunde teil. Er hat im Wintersemester 2019/20 regelmäßig Veranstaltungen der katholischen Studentengemeinde XXXX besucht, seit Jänner 2020 besucht er in gewisser Regelmäßigkeit auch den Gottesdienst der Pfarrgemeinde XXXX .
Der BF ist in Österreich nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert und kann nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden ist.
Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinem Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Somalia weiter nachkommen würde oder er dieses Interesse in Somalia nach außen zur Schau tragen würde.
Es ist nicht glaubwürdig, dass die somalischen Behörden oder das persönliche Umfeld des BF von dessen Glaubenswechsel und christlichem Engagement Kenntnis erlangt haben oder bei einer Rückkehr des BF Kenntnis erlangen würden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Somalia eine an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
Dem BF droht individuell und konkret, im Falle einer Rückkehr nach Somalia, weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität.
Der BF hatte in Somalia auch keine Probleme aufgrund seiner Clanzugehörigkeit.
Er hat mit seinem Vorbringen keine Verfolgung iSd GFK glaubhaft gemacht.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Der BF hat im Falle seiner Rückkehr nach Somalia keine konkrete Verfolgung oder Bedrohung zu befürchten.
Der BF ist im Falle seiner Rückkehr nach Somalia keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt, weil er in Österreich christlich getauft wurde, christliche Gotteshäuser besucht hat bzw. an diversen Veranstaltungen teilgenommen hat.
Dem BF droht wegen seiner religiösen Einstellung im Falle seiner Rückkehr nach Somalia keine psychische und/oder physische Gewalt durch die somalische Regierung oder Dritte.
Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF aufgrund der volatilen Sicherheitslage gefahrlos in seine Heimatstadt XXXX zurückkehren kann.
Dem BF ist aber eine Rückkehr in die Stadt Mogadischu, wo er zuletzt vor seiner Ausreise Richtung Europa lebte, möglich. Bei einer Rückkehr in die Stadt Mogadischu droht dem BF kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Es kann ausgeschlossen werden, dass eine Rückführung des BF in die Stadt Mogadischu mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden ist.
Der BF ist jung, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Er verfügt über mehrjährige Schulbildung und hat Berufserfahrung als Fischer und Tischler gesammelt. Er spricht Somalisch als Muttersprache und hat vor seiner Ausreise in Richtung Europa bereits in der Hauptstadt Mogadischu gelebt, sodass er mit den dortigen (örtlichen) Gegebenheiten vertraut ist. Da der BF in Somalia aufgewachsen ist, ist er mit den dortigen Gepflogenheiten/Gebräuchen vertraut. Mehrere Familienangehörige des BF leben nach wie vor an verschiedenen Orten in Somalia. Die Mutter, eine Tante sowie Cousinen/Cousins des BF leben in der Stadt Mogadischu. Er kann zumindest anfänglich von seinen Familienangehörigen in Somalia – insbesondere von den in Mogadischu lebenden Verwandten -, durch die Zurverfügungstellung einer vorübergehenden Unterkunft sowie bei der Arbeitssuche, unterstützt werden. Er kann auch Unterstützung von seinem Clan erhalten. Zudem kann er Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er kann anschließend selber für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Der BF kann in Mogadischu grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Es ist dem BF möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Somalia in Mogadischu wieder Fuß zu fassen und dort – nach anfänglichen Schwierigkeiten –sein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Die Stadt Mogadischu verfügt über einen internationalen Flughafen.
1.4. Zum (Privat)Leben des BF in Österreich:
Der BF ist seit seiner Antragsstellung am 04.06.2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG in Österreich durchgehend aufhältig.
Er spricht und versteht die deutsche Sprache, hat Deutschkurse (bis zum Niveau B1) besucht und die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden. Zudem hat er einen Werte- und Orientierungskurs sowie den Workshop „Demokratie in Österreich“ besucht. Seit Jänner 2021 besucht der BF einen Kurs zum Abschluss der Pflichtschule. Er behauptet zwar, dafür schon die Prüfungen „Soziales und Gesundheit“ sowie „Kraftfahrzeug“ gemacht zu haben bzw. diese mit der Note „1“ bestanden zu haben, er legte aber keine Bestätigungen zur Verifizierung dieser Angaben in Vorlage.
Der BF lebt seit seiner Einreise nach Österreich von der Grundversorgung. Er hat für die Gemeinde XXXX gearbeitet (etwa als Schülerlotse und als Gärtner) und dafür Taschengeld bekommen.
Wie bereits oben festgestellt wurde, nimmt der BF an diversen kirchlichen/christlichen Aktivitäten teil (Pfarrcafe, Pfarrchor, Gottesdienst, Taufvorbereitungskurs, diverse Veranstaltungen, Online-Bibelkurs) und wurde er in Österreich getauft, gefirmt und hat die Erstkommunion empfangen.
Ansonsten betreibt der BF in seiner Freizeit Sport (etwa Fußball, Laufen, Fitnessstudio), geht spazieren und liest Bücher. Er hat Bekannte und Freundschaften im Bundesgebiet geschlossen. Neben Freundschaften bzw. Bekanntschaften konnten keine substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. Beziehungen, Lebensgemeinschaften, Kinder) festgestellt werden. Der BF pflegt kein besonderes Abhängigkeits- oder Naheverhältnis in Österreich.
Es leben keine Verwandten des BF in Österreich.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er drohe aber damit, vor dem erkennenden Gericht Gewalt auszuüben bzw. Selbstmord zu begehen. Der BF wurde wegen gefährlicher Drohung angezeigt und von der Polizei einvernommen, das Ermittlungsverfahren wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:
Unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand: 31.03.2021), die EASO Security Situation sowie die EASO Key socio-economic indicators, jeweils von September 2021, werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des BF individuell betreffende Feststellungen zur Lage in Somalia getroffen:
Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung: 29.03.2021
Völkerrechtlich gehört die Republik Somaliland (Regionen Awdal, Woqooyi Galbeed, Togdheer, Sanaag und Sool) zu Somalia. In den vorliegenden Länderinformationen wird Somaliland aufgrund der gegebenen de-facto-Eigenstaatlichkeit aber nahezu durchgehend als eigenständiges Land (Kapitelüberschriften „Somaliland“) behandelt. Aufgrund dieser stark ausgeprägten de-fac- to-Eigenstaatlichkeit ist aus länderkundlicher Sicht ein Hinzuziehen der Länderinformationen zu Somalia jedoch nur bei den mit „siehe Kapitel zu Somalia“ bzw. „siehe auch Kapitel zu Somalia“ erkenntlichen Kapiteln erforderlich.
Wo notwendig und sinnvoll wird auch Puntland separat ausgewiesen, da dieser somalische Bundesstaat in manchen Aspekten unabhängig vom Rest Somalias zu betrachten ist.
COVID-19
Letzte Änderung: 29.03.2021
Zwischen 19.3.2020 und 2.1.2021 wurden über 81.000 Menschen getestet, knapp 4.700 waren infiziert (HIPS 2021, S.24). Im August 2020 wurde der internationale Flugverkehr wieder aufgenommen (PGN 10.2020, S.9).
Regeln zum social distancing oder auch Präventionsmaßnahmen wurden kaum berücksichtigt (HIPS 2021, S.24). Trotz Warnungen wurden Moscheen durchgehend - ohne Besucherbeschränkung - offengehalten (DEVEX 13.8.2020). Mitte Feber 2021 warnte die Gesundheitsministerin vor einer Rückkehr der Pandemie. Die Zahl an Neuinfektionen und Toten stieg an (Sahan 16.2.2021b). Ende Feber 2021 wurden alle Demonstrationen in Mogadischu verboten, da eine neue Welle von Covid-19 eingetreten war. Zwischen 1. und 24. Feber verzeichnete Somalia mehr als ein Drittel aller Covid-19-Todesopfer der gesamten Pandemie (PGN 2.2021,
S.16) . Testungen sind so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Die Zahl an Infektionen dürfte höher liegen, als offiziell bekannt. Viele potenziell Infizierte melden sich nicht, da sie eine gesellschaftliche Stigmatisierung fürchten (UNFPA 12.2020, S.1). Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen - ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX 13.8.2020). Mit Stand 9.3.2021 waren in Somalia 4.544 aktive Fälle registriert, insgesamt 319 Personen waren verstorben. Seit Beginn der Pandemie waren nur 84.278 Tests durchgeführt worden (ACDC
9.3.2021) .
Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind also um ein Vielfaches höher als die offiziellen. Einerseits sind die Regierungen nicht in der Lage, breitflächig Tests (es gibt insgesamt nur 14 Labore) oder gar Contact-Tracing durchzuführen. Gleichzeitig behindern Stigma und Desinformation die Bekämpfung von Covid-19 in Somalia und Somaliland. Mit dem Virus geht eine Stigmatisierung jener einher, die infiziert sind, als infiziert gelten oder aber infiziert waren. Mancherorts werden selbst Menschen, die Masken tragen, als infiziert gebrandmarkt. Die Angst vor einer Stigmatisierung und die damit verbundene Angst vor ökonomischen Folgen sind der Hauptgrund, warum so wenige Menschen getestet werden. Es wird berichtet, dass z.B. Menschen bei (vormals) Infizierten nicht mehr einkaufen würden. IDPs werden vielerorts von der Gastgemeinde gemieden - aus Angst vor Ansteckung. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen - z. B. als Haushaltshilfen - geführt. Dabei fällt es gerade auch IDPs schwer, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Sie leben oft in Armut und in dicht bevölkerten Lagern, und es mangelt an Wasser (DEVEX 13.8.2020).
Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, S.1). Humanitäre Partner haben schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Abs.51). UNSOS unterstützt medizinische Einrichtungen, stellt Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Bis Anfang Juni konnten die UN und AMISOM eine substanzielle Zahl an Behandlungsplätzen schaffen (darunter auch Betten zur Intensivpflege) (UNSC 13.8.2020, Abs.69). Trotzdem gibt es nur ein speziell für Covid-19-Pa- tienten zugewiesenes Spital, das Martini Hospital in Mogadischu. Dieses ist unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügen nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). In ganz Somalia und Somaliland gab es im August 2020 für Covid-Patienten nur 24 Intensivbetten (DEVEX 13.8.2020). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in ein Privatspital - wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG
26.2.2021) . Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Insgesamt bleiben Test- und Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19-Infizierte aber beschränkt (UNFPA 12.2020, S.1).
Nachdem die Bildungsinstitutionen ihreArbeit wieder aufgenommen hatten, sind nicht alle Kinder zurück in die Schule gekommen. Dies liegt an finanziellen Hürden, an der Angst vor einer Infektion, aber auch daran, dass Kinder zur Arbeit eingesetzt werden. Außerdem zeigt eine Studie aus Puntland, dass die Zahl an Frühehen zugenommen hat. Gleichzeitig wurden Immunisierungskampagnen und auch Ernährungsprogramme unterbrochen. Manche Gesundheitseinrichtungen sind teilweise nur eingeschränkt aktiv - nicht zuletzt, weil viele Menschen diese aufgrund von Ängsten nicht in Anspruch nehmen; der Patientenzustrom hat sich in der Pandemie verringert (UNFPA 12.2020, V-VI).
Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, S.2; vgl. UNFPA 12.2020). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, S.2). Auch der Export von Vieh - der wichtigste Wirtschaftszweig - ist wegen der Pandemie zurückgegangen (UNFPA
12.2020, S.1).
Internationale und nationale Flüge operieren uneingeschränkt. Ankommende müssen am Aden Adde International Airport in Mogadischu und auch am Egal International Airport in Hargeysa einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als vier Tage ist. Wie in Mogadischu mit Personen umgegangen wird, welche diese Vorgabe nicht erfüllen, ist unbekannt. Möglicherweise werden diese zusätzlich getestet und in Quarantäne geschickt. In Hargeysa werden Personen ohne Test auf eigene Kosten in eine von der Regierung benannte Unterkunft zur zweiwöchigen Selbstisolation geschickt. Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 12.2.2021).
Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte sind offen, es gelten Hygienemaßnahmen und solche zum Social Distancing. Die Maßnahmen außerhalb Mogadischus können variieren. Es kann jederzeit geschehen, dass Behörden Covid-Maßnahmen kurzfristig verschärfen (GW 12.2.2021).
Quellen:
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• ACDC - African Union Center for Disease Control and Prevention (9.3.2021): Africa CDC Dashbord Covid-19, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 10.3.2021
• DEVEX / Sara Jerving (13.8.2020): Stigma and weak systems hamper the Somali COVID-19 response, https://www.devex.com/news/stigma-and-weak-systems-hamper-the-somali-covid-19 - response-97895 , Zugriff 12.10.2020
• GW - GardaWorld (12.2.2021): Somalia: Authorities maintain coronavirus disease restrictions as of Feb. 12 /update 9, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/442256/somalia-authorities-ma intain-coronavirus-disease-restrictions-as-of-feb-12-update-9 , Zugriff 10.3.2021
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• PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-map - of-al-shabaab-control.html
• RE - Radio Ergo (25.2.2021): No masks, gloves or oxygen in Mogadishu hospital, says grieving husband who lost pregnant wife to COVID19, https://radioergo.org/en/2021/02/25/no-masks-glove s-or-oxygen-in-mogadishu-hospital-says-grieving-husband-who-lost-pregnant-wife-to-covid19/, Zugriff 10.3.2021
• Sahan - Sahan / Mogadishu Times (11.3.2021): The Somali Wire Issue No. 100, per e-Mail, Originallink auf Somali: http://mogtimes.com/articles/41259/Sawirro-Dahabshiil-Group-oo-ka-jawaabt ay-baaqii-DF-kuna-wareejisay-Oxygen
• Sahan - Sahan / Somali Wire Team (25.2.2021c): Editor's Pick-COVID-19 has not been prevented, it is used as a political weapon, in: The Somali Wire Issue No. 87, per e-Mail
• Sahan - Sahan / Hiiraan Online (16.2.2021b): The Somali Wire Issue No. 83, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.hiiraan.com/news/2021/Feb/wararka_maanta15-176705.htm
• STC - Safe the Children (4.2.2021): 840,000 children going hungry as Somalia declares state of emergency over locust invasion, https://www.savethechildren.net/news/840000-children-going - hungry-somalia-declares-state-emergency-over-locust-invasion, Zugriff 3.3.2021
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• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
Politische Lage
Letzte Änderung: 29.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 29.03.2021
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 2.4.2020, S.5). Während Süd/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, S.4).
Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große
Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 2.4.2020, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 4.3.2020a, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, S.33). Die Regierung ist bei der Umsetzung von Aktivitäten grundsätzlich stark von internationalen Institutionen und Geberländern abhängig (FH 4.3.2020a, C1). Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS
11.3.2020, S.24). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR 16.2.2021).
Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo" zum Präsidenten (AA 2.4.2020, S.6; vgl. ÖB 3.2020, S.2; USDOS 11.3.2020, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 11.3.2020, S.1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC
13.8.2020, Abs.5). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Abs.6). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, S.34/40).
Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 11.3.2020, S.24). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 2.4.2020, S.6; vgl. USDOS
11.3.2020, S.24). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 11.3.2020, S.1). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, S.11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, S.20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 2.4.2020, S.4; vgl. BS 2020, S.20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 11.3.2020, S.26; vgl. ÖB 3.2020, S.3; BS 2020, S.11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, S.3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister wenig Einfluss (BS 2020, S.20).
Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021). Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, S.11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 11.3.2020, S.23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA2.4.2020, S.5f). Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Abs.7). Und es kam im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten. Das vereinbarte Modell entspricht in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Abgeordnetem sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Statt der National Independent Electoral Commission soll die Wahl von sogenannten Electoral Implementation Committees (EIC) umgesetzt werden. Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt (UNSC 13.11.2020, Abs.2f; vgl. FP 10.2.2021). Neben einem 25köpfigen EIC des Bundes sollte zusätzlich in jedem Bundesstaat ein eigenes elfköpfiges EIC eingesetzt werden (UNSC 13.11.2020, Abs.21). Dieses Modell war von allen relevanten politischen Stakeholdern, von Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft vereinbart und vom Bundesparlament ratifiziert worden (UNSC 13.11.2020, Abs.88).
Politische Lage: Allerdings hat sich um die Bestellung der Mitglieder dieser EICs ein neuer Konflikt entsponnen (FP 10.2.2021). Präsident Farmaajo war schließlich nicht in der Lage, sich mit Ahmed „Madobe", Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vgl. FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vgl. ECFR 16.2.2021). Damit verfügt Somalia über keine legitime Regierung mehr. Allerdings weigert sich Farmaajo sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021). Er hofft offenbar darauf, dass das Parlament Artikel 53 des Wahlgesetzes in Kraft setzt, wonach Wahlen ausgesetzt und die Amtszeit der Regierung im Katastrophenfall um sechs Monate verlängert würde. Die Covid-19- Pandemie bietet hier einen Vorwand (BMLV 25.2.2021).
Die Führer von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vgl. Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mo- hamed und Sharif Sheikh Ahmed, erkennen Farmaajo nicht mehr als Präsidenten an (Sahan 9.2.2021b; vgl. IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Die Allianz aus Oppositionsparteien sprach sich für die Bildung einer Übergangsregierung aus (FP 10.2.2021). Somalia befindet sich somit in einer schweren Verfassungs- und politischen Krise (Sahan 9.2.2021a). Das Versagen, einen Kompromiss zu finden, hat nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021). Es besteht die Angst, dass Präsident Farmaajo durch das Festklammern an der Macht einen neuen Bürgerkrieg auslösen könnte (SG 8.2.2021). Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt - auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vgl. UNSOM 2.3.2021).
Föderalisierung: Auch wenn diese Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (BS 2020, S.10; vgl. AI 13.2.2020, S.13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Administration/BRA) (AI 13.2.2020, S.13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).
Die Fortschritte der Jahre 2012-2016 wurden von der Regierung Farmaajo weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden solle, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vgl. ECFR 16.2.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von HirShabelle, dem SWS und von Galmudug gelten nunmehr als der somalischen Bundesregierung freundlich gesinnt (Sahan 11.2.2021b).
Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Die entstandene Pattsituation zwischen Bund und Ländern hat anfangs zum Stillstand bei wichtigen Fragen geführt - etwa hinsichtlich der Wahlen, der Verfassung und der Sicherheit (UNSC
13.2.2020, Abs.6). Schließlich hat Farmaajo Somalia aber an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).
Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) - unterstützt von Saudi-Arabien - und Katar - unterstützt von der Türkei - wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, S.41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien - beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020).
Quellen:
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Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba)
Letzte Änderung: 29.03.2021
Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 11.3.2020, S.25; vgl. HIPS 2021, S.12). Am 22.8.2019 wurde Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (HIPS 2020, S.7). Andere unterstellen Madobe hinsichtlich der Wahl Manipulation und Einschüchterung (USDOS
11.3.2020, S.25).
Angesichts des Konflikts mit der Bundesregierung hat Präsident Madobe versucht, sich mit seinen politischen Rivalen in Jubaland zu versöhnen. Während die Bundesregierung jeden unterstützt, der in Opposition zu Präsident Madobe steht (HIPS 2021, S.13), hat dieser im April 2020 mit seinen Erzfeinden ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (HIPS 2021, S.13; vgl. UNSC 13.5.2020, Abs.8). Im Juni 2020 hat die Bundesregierung Madobe als Präsident anerkannt (UNSC 13.8.2020, Abs.14; vgl. HIPS 2021, S.13). Jedenfalls wird Jubaland immer noch vom Streit um die umstrittenen Wahlen erschüttert. Die Bundesregierung hatte auf Jubaland starken Druck ausgeübt - etwa durch eine Wirtschaftsblockade und das Abschneiden der Region Gedo vom Rest von Jubaland (HIPS 2021, S.12). Die Bundesregierung hat sich mit militärischer Macht der Region bemächtigt (ECFR 16.2.2021; vgl. Sahan 17.2.2021), obwohl die Verwaltung von Gedo laut Verfassung eigentlich der Regierung von Jubaland zukommt (Sahan 17.2.2021; vgl. BMLV 25.2.2021). Letztere verfügt in Gedo nur noch über schwachen Einfluss (BMLV 25.2.2021). Präsident Madobe fordert den Abzug der somalischen Armee aus Gedo. Dahingegen wollen Teile der dortigen Administration die Soldaten unbedingt in Gedo behalten (UNSC 13.11.2020, Abs.7).
In Kismayo hat sich die Verwaltung durch Jubaland gefestigt (BMLV 25.2.2021).
Quellen:
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• ECFR - European Council on Foreign Relations / Matt Bryden / Theodore Murphy (16.2.2021): Somalia’s election impasse-Acrisis of state building, https://ecfr.eu/article/somalias-election-im passe-a-crisis-of-state-building/, Zugriff 22.2.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2020): State of Somalia Report 2019, Year in Review, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/01/HIPS_2020-SOS-2019-Rep ort-English-Version.pdf, Zugriff 17.3.2021
• Sahan - Sahan / Radio Markabley (17.2.2021): The Somali Wire No. 84, per e-Mail, Originallink auf Somalia: https://radiomarkabley.com/2021/02/16/masuuliyiinta-maamulka-g-gedo-ee-df-oo-s oo-gaaray-muqdisho/
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)
Letzte Änderung: 29.03.2021
Die Übergangsverfassung sieht vor, dass das Bundesparlament über den Status der Region Benadir - und damit den Status von Mogadischu - entscheiden muss. Es kam auch zu einer Kampagne, wonach Benadir zu einem eigenen Bundesstaat werden sollte. Dadurch wäre aber die künstliche Clanbalance der Bundesstaaten insgesamt gefährdet (HIPS 2021, S.18). Als Konsequenz ist der Status der Bundeshauptstadt nach wie vor nicht geklärt. Die BRA ist kein Bundesstaat, verfügt aber über eine funktionierende Regionalregierung und wird vom Bürgermeister von Mogadischu geführt (AI 13.2.2020, S.13). Die Hauptstadt untersteht direkt der Bundesregierung (HIPS 2021, S.9), der somalische Präsident ernennt Bürgermeister und Stellvertreter (HIPS 2021, S.18).
In Mogadischu bleiben die Hawiye/Abgaal sowie die Hawiye/Habr Gedir in ihren Machtpositionen; in Dayniile auch die Hawiye/Murusade (FIS 7.8.2020, S.38).
Quellen:
• AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024685/A FR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Letzte Änderung: 29.03.2021
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2021). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und - in noch stärkerem Ausmaß - in Süd-/Zentralsoma- lia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6)…
Quellen:
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/ , Zugriff 26.1.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff 17.3.2021
• PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-map - of-al-shabaab-control.html
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 29.03.2021
Die Sicherheitslage bleibt instabil (BS 2020, S.38) bzw. volatil, mit durchschnittlich 285 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat. Die meisten Vorfälle waren Angriffe der al Shabaab, darunter auch Sprengstoffanschläge (UNSC 17.2.2021, Abs.13). Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB 3.2020, S.2), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen berichtet (AA 2.4.2020, S.4/7).
AMISOM hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete. Während die somalische Regierung und ihre Alliierten zwar im Großen und Ganzen territoriale Gewinne verzeichnen und die Kontrolle über die meisten Städte halten können, ist es ihnen nicht gelungen, die Kontrolle in ländliche Gebiete auszudehnen (BS 2020, S.6). Die somalische Regierung und AMISOM können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 3.12.2020). Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf AMISOM, aber auch auf Unterstützung durch die USA - angewiesen. Dies wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern (IP 1.11.2019; vgl. BS 2020, S.11). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 11.3.2020, S.1; vgl. ÖB 3.2020, S.2).
Trend: Im Zeitraum von Anfang 2018 bis zum Ende 2020 gab es hunderte terroristische Vorfälle. In den Jahren 2018 und 2019 war die Zahl an Vorfällen zunächst rückläufig - v.a. wegen der intensivierten Operationen gegen al Shabaab. Die Gruppe konnte dabei aus einigen strategisch wichtigen Punkten vertrieben werden - etwa von den fünf Shabelle-Brücken zwischen Sabid Anoole und Janaale (Sahan 11.2.2021a). Dadurch und durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in Mogadischu konnte al Shabaab auch nur mehr selten Sprengstoffanschläge mit Fahrzeugen durchführen. Die Zahl an zivilen Opfern durch Sprengstoffanschläge ging demnach 2020 gegenüber 2019 um 50% zurück (UNSC 17.2.2021, Abs.13). Im Jahr 2020 haben sich aber zuletzt die Angriffe auf somalische Kräfte und AMISOM wieder gemehrt (Sahan 11.2.2021a; vgl. JF 28.7.2020). Dies kann direkt mit den politischen Streitigkeiten zwischen Bund und Bundesstaaten in Zusammenhang gebracht werden, da dadurch für den Kampf gegen al Shabaab notwendige Ressourcen umgeleitet wurden (Sahan 11.2.2021a). Aufgrund des politischen Streits rund um das Ende der Präsidentschaft Farmajos ist die Sicherheitslage in einer Abwärtsspirale.
Sicherheitskräfte haben teilweise seit Monaten keinen Sold erhalten und halten sich in Mogadischu und anderen Landesteilen an der Bevölkerung schadlos (SG 8.2.2021). Auch der politische Streit selbst hat das Potenzial, zu einem bewaffneten Konflikt zu eskalieren. Viele Sicherheitskräfte sind v. a. ihrem Kommandanten oder ihrem Clan gegenüber loyal. So kann nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition Bewaffnete ins Feld stellen (Reuters 19.2.2021).
Laut Einschätzung eines Experten kann ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AM- ISOM auf der aktuellen Grundlage nicht erwartet werden (BMLV 25.2.2021). In Lower Juba und Lower Shabelle kommt es nur noch sporadisch zu Störoperationen gegen al Shabaab (UNSC 13.11.2020, Abs.60). In der Vergangenheit hat die Bundesarmee wiederholt dabei versagt, von AMISOM geräumte Gebiete auch tatsächlich abzusichern (UNSC 1.11.2019, S.24). Trotzdem berät AMISOM die Übergabe weiterer Forward Operating Bases (FOBs) an die somalische Armee bzw. die Aufgabe einzelner FOBs (UNSC 13.11.2020, Abs.61).
Ein Vordringen größerer Kampfverbände der al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit - i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und AMISOM - können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden (BMLV 25.2.2021).
Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (USDOS 10.6.2020, S.5). Al Shabaab bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden und Sicherheit. Die Gruppe führt ihren Kampf mit zunehmender Intensität und Häufigkeit. Die Angriffe auf sogenannten high-profile-Ziele in Mogadischu und anderswo wurden verstärkt (HIPS 2021, S.20). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze - z.B. Restaurants und Hotels (FIS 7.8.2020, S.25; vgl. AA 3.12.2020). Al Shabaab führt weiterhin regelmäßige Angriffe auf Regierungsstellungen durch. Vor allem der Korridor Mo- gadischu-Merka ist für Angriffe anfällig (PGN 10.2020, S.2). Die Kriegsführung der al Shabaab erfolgt weitgehend asymmetrisch mit sog. hit-and-run-attacks, Attentaten, Sprengstoffanschlägen und Granatangriffen. Das Gros der Angriffe wird mit niedriger Intensität bewertet - jedoch sind die Angriffe zahlreich, zerstörerisch und kühn (JF 28.7.2020). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, z.B. in Mogadischu koordinierte Angriffe durchzuführen. Die Zahl an Mörserangriffen ist zurückgegangen. Derartige Angriffe richten sich in erster Linie gegen AMISOM und regionale Sicherheitskräfte in Lower Juba, Lower Shabelle und Middle Shabelle (UNSC 13.11.2020, Abs.12), aber auch in Hiiraan und Benadir (UNSC 13.8.2020, Abs.19). Hingegen hat die Zahl an Selbstmordattentaten zugenommen. Es kommt auch weiterhin zu sogenannten komplexen Angriffen, etwa am 16.8.2020 auf das Elite Hotel in Mogadischu mit zwanzig Todesopfern oder am 17.8.2020 auf einen Stützpunkt der somalischen Armee in Goof Gaduud Burey (Bay) (UNSC 13.11.2020, Abs.14).
Kampfhandlungen: Al Shabaab greift die Bundesarmee und AMISOM weiterhin an, bei durchschnittlich 140 Angriffen pro Monat. Dabei handelt es sich meist um sogenannte hit-and-run-An- griffe. Im Zeitraum November 2020 bis Feber 2021 waren davon die Regionen Lower und Middle
Shabelle, Benadir, Bay, Hiiraan, Bakool, Lower Juba, Gedo, Galgaduud und Mudug betroffen (UNSC 17.2.2021, Abs.15). Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 14.1.2020). In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 2.4.2020, S.18; vgl. AA 3.12.2020). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle (AA2.4.2020, S.18). Der durch AMISOM und die somalische Armee in der Region Lower Shabelle auf al Shabaab ausgeübte militärische Druck hat dazu beigetragen, dass die Gruppe ihre Aktivitäten in HirShabelle und Galmudug verstärkt hat (UNSC 13.11.2020, Abs.15). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (BMLV 25.2.2021).
Immer wieder überrennt al Shabaab kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte - etwa Daynuunay oder Goof Gaduud im Bereich Baidoa - um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (PGN 10.2020, S.9f). Andernorts greift al Shabaab Stützpunkte erfolglos an - etwa die FOB äthiopischer AMISOM-Truppen in Halgan im Feber 2021 (Halbeeg 22.2.2021).
GebietskontroNe: Al Shabaab wurde im Laufe der vergangenen Jahre erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB 3.2020, S.2). Seit der weitgehenden Einstellung offensiver Operationen durch AMISOM seit Juli 2015 hat sich die Aufteilung der Gebiete nicht wesentlich geändert. Während AMISOM und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (UNSC 1.11.2019, S.10; vgl. ÖB 3.2020, S.2). Dabei kontrollierte al Shabaab im Jahr 2019 soviel Land, wie schon seit dem Jahr 2010 nicht mehr. Man rechnet mit 20% des gesamten Staatsterritoriums (USDOS 10.6.2020, S.5). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 2.4.2020, S.5).
Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben (BMLV 25.2.2021). Gegen einige dieser Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 14.1.2020). Al Shabaab ist in der Lage, Hauptversorgungsrouten abzuschneiden und Städte dadurch zu isolieren (UNSC 1.11.2019, S.10; vgl. BMLV 25.2.2021).
Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind
1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; sowie Qunya Baarow in Lower Juba;
2. Teile von Lower Shabelle um Sablaale;
3. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;
4. weites Gebiet recht und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;
5. sowie die südliche Hälfte von Galgaduud mit den Städten Ceel Dheere und Ceel Buur; und angrenzende Gebiete von Mudug und Middle Shabelle, namentlich die Städte Xaradheere (Mudug) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (PGN 2.2021).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BMLV 25.2.2021).
Andere Akteure: Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2020, S.31). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 3.12.2020). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten - v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 11.3.2020, S.30). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2020, S.7). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 2.4.2020, S.17f).
Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 2.4.2020, S.17f). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2019 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Subclans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2019 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle sowie Sool betroffen (USDOS 11.3.2020, S.3/11; vgl. ÖB 3.2020, S.10). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8).
Der sogenannte Islamische Staat bleibt in Somalia in Puntland konzentriert, in Mogadischu gibt es nur eine minimale Präsenz. Größere Aktivitäten des IS gab es in Puntland in den Jahren 2016 und 2017. In Mogadischu richtet sich der IS mit gezielten Tötungen v.a. gegen Sicherheitskräfte (JF 14.1.2020). Für den Zeitraum Mai-August 2020 werden dem IS allerdings nur zwei Attacken - beide in Mogadischu - zugeschrieben (UNSC 13.8.2020, Abs.24). Im Zeitraum August-Oktober 2020 (UNSC 13.11.2020, Abs.16) sowie November 2020-Feber 2021 gab es keine Aktivitäten (UNSC 17.2.2021, Abs.17).
Zivile Opfer: Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich (siehe Tabelle weiter unten). Allerdings greift al Shabaab Zivilisten nicht spezifisch an. Doch auch wenn die Gruppe eigentlich andere Ziele angreift, enden oft Zivilisten als Opfer, da sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden haben (NLMBZ 3.2020, S.17/37).
Insgesamt werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) wie folgt angegeben:
…
Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 15,4 Millionen Einwohnern (WHO 12.1.2021) lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:12035.
Luftangriffe: Im Jahr 2017 führten die USA 35 Luftschläge in Somalia durch, 2018 waren es 47 und 2019 63. Im Jahr 2020 ist die Zahl auf 51 gesunken. Die Luftangriffe auf al Shabaab und den IS, bei denen seit 2017 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden sind (HIPS 2021, S.21) konzentrierten sich vor allem auf die Regionen Lower Shabelle, Lower Juba, Middle Juba, Gedo und Bari (UNSC 13.8.2020, Abs.24). Die Luftangriffe werden in der Regel mit bewaffneten Drohnen geflogen (PGN 10.2020, S.8). Neben den offiziell bekannt gegebenen Luftschlägen kommen noch verdeckte hinzu. Zusätzlich führt auch die kenianische Luftwaffe Angriffe durch, vorwiegend in Gedo und Lower Juba (PGN 10.2020, S.15ff). Insgesamt gab es demnach 2020 72 Luftangriffe, bei welchen die USA als Angreifer bestätigt sind oder vermutet werden (PGN 2.2021, S.11).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.12.2020): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somali asicherheit/203132#content_6 , Zugriff 3.12.2020
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff 15.4.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• Halbeeg (22.2.2021): AMISOM repels al-Shabaab attack on its base in Hiiraan region, https: //en.halbeeg.com/2021/02/22/amisom-repels-al-shabaab-attack-on-its-base-in-hiiraan-region/, Zugriff 23.2.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• IP - Indigo Publications (1.11.2019): Why the Somali National Army cannot do without AMISOM and the US, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www.africaintelligence.com/eastern-a nd-southern-africa_politics/2019/11/01/why-the-somali-national-army-cannot-do-without-amisom -and-the-us,108379834-art, Zugriff 7.10.2020
• JF - Jamestown Foundation (28.7.2020): Al-Shabaab Attacks Spike, as COVID-19 Grips the World, Terrorism Monitor Volume: 18 Issue: 15, https://www.ecoi.net/de/dokument/2036808.html , Zugriff 9.10.2020
• JF - Jamestown Foundation (14.1.2020): Islamic State's Mixed Fortunes Become Visible in Somalia, Terrorism Monitor Volume: 18 Issue: 1, https://jamestown.org/program/islamic-states-mixed-fortu nes-become-visible-in-somalia/, Zugriff 3.2.2021
• LI - Landinfo [Norwegen] (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold pa reise i S0r-Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2019/06/Somalia-temanotat-Praktiske-og-si kkerhetsmessige-forhold-pa-reise-i-S0r-Somalia-28062019.pdf, Zugriff 18.12.2020
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://ww w.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021
• NLMBZ-Ministerievon Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020): AlgemeenAmbtsberichtSoma- lie, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Somalie+maart+2020.pdf , Zugriff 18.12.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2021/02/somalia-cont rol-map-2021.html
• PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-map - of-al-shabaab-control.html
• Reuters (19.2.2021): Somali government forces, opposition clash in Mogadishu over election protest, https://www.reuters.com/article/us-somalia-politics/somali-government-forces-opposition-das h-in-mogadishu-over-election-protest-idUSKBN2AJ0MI , Zugriff 22.2.2021
• Sahan - Sahan / Somali Wire Team (11.2.2021a): Editor's Pick - The link between Al-Shabaab's intensified attacks and the political impasse in Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 80, per e-Mail
• SG - Somali Guardian (8.2.2021): Somalia on Knife Edge as President's Term Ends, https://somaliguardian.com/somalia-on-knife-edge-as-presidents-term-ends/ , Zugriff 12.2.2021
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
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• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/05/SOMALIA-2019-INTERN ATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 1.7.2020
• WHO - World Health Organization (12.1.2021): Health for all is Somalia’s answer to COVID-19 and future threats to health, https://www.who.int/news-room/feature-stories/detail/health-for-all-is - somalia-s-answer-to-covid-19-and-future-threats-to-health, Zugriff 16.2.2021
Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba)
Letzte Änderung: 29.03.2021
Vereinfacht dargestellt werden seit Anfang 2020 die drei Regionen Jubalands de facto von drei unterschiedlichen Parteien kontrolliert: Lower Juba durch die Regierung von Jubaland und kenianische Truppen, Middle Juba durch al Shabaab und Gedo durch die Bundesarmee und äthiopische Truppen (PGN 10.2020, S.13). Allerdings kontrolliert al Shabaab größere Teile von Jubaland, nämlich nicht nur die gesamte Region Middle Juba, sondern auch einen großen Teil von Lower Juba (HIPS 2021, S.12) und Teile von Gedo (PGN 2.2021, S.1).
Der Kampf gegen al Shabaab ist in Jubaland zum Stillstand gekommen, da Jubaland und die Bundesregierung ihre militärischen Kräfte gegeneinander einsetzen (siehe unten) anstatt gegen al Shabaab. Unterdessen hat al Shabaab die Konflikte zwischen Jubaland und der Bundesregierung genutzt (HIPS 2021, S.12f). Der Konflikt zwischen ihren Gegnern öffnet al Shabaab neue Räume und hat auch zu einem Anstieg an Aktivitäten der Gruppe geführt (Mahmood 28.7.2020). Nach anderen Angaben beobachtet al Shabaab in Jubaland die Vorgänge, wird aber selbst kaum aktiv. Die einzig aktive Front von AMISOM ist jene im Jubatal nördlich von Kismayo; al Shabaab ist hingegen weniger in Jubaland, als vielmehr im benachbarten Osten Kenias aktiv (BMLV 25.2.2021).
Lower Juba: Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani, Dif und Kolbiyow werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert. Jamaame steht unter Kontrolle von al Shabaab; dies gilt auch für den nördlichen Teil Lower Jubas. Gemäß einer Quelle wird auch Badhaade von al Shabaab kontrolliert - allerdings ohne das Umland (PGN 2.2021, S.1). Dhobley ist relativ frei von al Shabaab und wird als sicher erachtet. Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie der Orte Bilis Qooqaani können hinsichtlich einer Anwesenheit von
(staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Zudem wird Dhobley als sicher erachtet (BMLV 25.2.2021).
Der Regierung von Jubaland ist es gelungen, im Clanstreit zwischen Majerteen und Awramale erfolgreich zu vermitteln (UNSC 13.8.2020, Abs.40). Älteste beider Clans einigten sich im April 2020 auf einen Waffenstillstand. Beim Konflikt um Land kamen südwestlich von Kismayo zuvor im Feber und März 2020 mehr als 50 Menschen zu Tode (UNSC 13.5.2020, Abs.35).
In Kismayo selbst wird versucht, Clanstreitigkeiten friedlich zu lösen. Die Bevölkerung hat verstanden, dass sie von einer Friedensdividende profitiert (BMLV 25.2.2021). Die Bevölkerung der Stadt ist in kurzer Zeit um 30% auf ca. 300.000 gewachsen. Viele der Zuzügler stammen aus dem Umland oder kamen aus Kenia oder der weltweiten Diaspora nach Kismayo zurück (FIS 5.10.2018, S.20f). Regierungskräfte kontrollieren Kismayo (LIFOS 3.7.2019, S.27f), es gibt ausreichend Sicherheitskräfte. Der Aufbau von Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Die Polizei wurde in den letzten Jahren von AMISOM und UN ausgebildet, sie hat ein relativ gutes Ausbildungsniveau erreicht. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und anderen bewaffneten Kräften (BMLV 25.2.2021).
Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt, die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde. Folglich lässt sich sagen, dass die Polizei in Kismayo entsprechend gut funktioniert. Zivilisten können sich in Kismayo frei und relativ sicher bewegen. Der Regierung ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren. Diese ist gefestigt und funktioniert. Hinsichtlich Sicherheit hat Kismayo das Niveau von Garoowe (Puntland) erreicht. Der einzige Unterschied ist, dass die Front hier erheblich näher ist (BMLV 25.2.2021).
Al Shabaab ist in Kismayo nur eingeschränkt aktiv und hat keinen großen Einfluss in der Stadt. Es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen. Dies beweist auch, dass die Kooperation zwischen Polizei und Bevölkerung funktioniert (BMLV 25.2.2021). Zudem weigert sich rund ein Drittel der Wirtschaftstreibenden in Kismayo Steuern an al Shabaab abzuführen. Dies weist auf einen besseren Schutz bzw. auf eine geringere Dichte an Straforganen der al Shabaab hin (HI 10.2020, S.2).
Kismayo ist von al Shabaab umgeben (LIFOS 3.7.2019, S.27f); allerdings hat Jubaland die Front im Norden weiter vorschieben können (BMLV 25.2.2021; vgl. PGN 2.2021), im Nordosten bis in das Vorfeld von Jamaame. So ist al Shabaab zumindest nicht mehr in der Lage, entlang des Juba in Richtung Kismayo vorzustoßen. Trotzdem ist es der Gruppe möglich, punktuell auch in Kismayo Anschläge zu verüben (BMLV 25.2.2021).
Middle Juba: Die ganze Region und alle Bezirkshauptstädte (Buale, Jilib, Saakow) stehen unter Kontrolle der al Shabaab (PGN 2.2021, S.1).
Gedo: Die Städte Baardheere, Belet Xaawo, Doolow, Luuq und Garbahaarey sowie die Orte Ceel Waaq und Buurdhuubo werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert. Die Orte und das Umland von Ceel Cadde, Qws Qurun und Faafax Dhuun befinden sich unter Kontrolle von al Shabaab (PGN 2.2021, S.1). Die Städte Luuq, Garbahaarey, Doolow und Baardheere können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter
Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Die Grenzstadt Doolow sowie Luuq werden als sicher erachtet. Diese Städte und das direkte Grenzgebiet zu Äthiopien sind relativ frei von al Shabaab und stabil. Auch Garbahaarey gilt als stabil (BMLV 25.2.2021).
Im Jänner 2020 war der Sicherheitsminister von Jubaland, Abdirashid Janan, aus dem Gefängnis in Mogadischu entkommen. Er war zuvor als Kommandant einer lokalen Miliz auch der de-facto-Herrscher der Region Gedo. Eine Woche nach seiner Flucht hat die Bundesregierung hunderte Bundessoldaten in den Bereich Belet Xaawo - der Bastion von Janan - verlegt und dort die zu Jubaland loyale Lokalverwaltung entmachtet (HIPS 2021, S.12f). Eine neue, zur Bundesregierung loyale Verwaltung wurde installiert (HIPS 2021, S.8). Dieser Austausch erfolgte flächendeckend in ganz Gedo (BMLV 25.2.2021). Dies wurde von internationalen Partnern stark kritisiert (HIPS 2021, S.13). Im Zuge dieser Vorgänge sind die Spannungen zwischen Präsident Madobe und der Bundesregierung Anfang 2020 im Bereich Belet Xaawo zu Kämpfen zwischen Milizionären von Jubaland und der Bundesarmee eskaliert (UNSC 13.5.2020, Abs.8). Bis Anfang März 2020 wurden ca. 50.000 Menschen aus Belet Xaawo vertrieben, sie verteilten sich zu 90% auf Gastgemeinden in der Umgebung der Stadt sowie in Luuq und Doolow. Schon bis Mitte März waren bereits 30% der Geflohenen wieder nach Belet Xaawo zurückgekehrt (UNOCHA
12.3.2020) . Sechs Zivilisten waren bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen (Mahmood
28.7.2020) . Truppen der Regierung von Jubaland sind danach aus Gedo ins benachbarte Kenia ausgewichen (PGN 10.2020, S.4). Eigentlich hatte die Bundesregierung der Regierung von Jubaland zugesichert, die Bundestruppen aus Gedo wieder abzuziehen. Entgegen dieser Angaben wurden die Truppen aber im Oktober 2020 in Doolow, Belet Xaawo und Ceel Waaq weiter verstärkt (PGN 10.2020, S.16). Dort befinden sich Teile der Spezialeinheit Haramcad sowie durch in Eritrea ausgebildete Kräfte (BMLV 25.2.2021). Nach anderen Angaben wird Ceel Waaq - als einziger Teil von Gedo - von Sicherheitskräften Jubalands und kenianischen Truppen kontrolliert (PGN 2.2021, S.7).
Gemäß Angaben einer Quelle gilt Gedo mittlerweile als ein der volatilsten Regionen Somalias (Sahan 16.2.2021c). Gemäß einer andern Quelle haben sich lediglich die Akteure geändert; die erhöhte Präsenz von Mogadischu-treuen Truppen ist für Gedo demnach nicht ausschließlich nachteilig. Sie wirkt sich auf die Sicherheitslage in der Region sogar positiv aus (BMLV
25.2.2021) , denn mehrere Teile von Gedo werden nunmehr von Einheiten der Bundesarmee patrouilliert (PGN 10.2020, S.4). Nur im Bereich Belet Xaawo kommt es regelmäßig zu Zwischenfällen zwischen Bundesarmee und Jubaland-nahen Clanmilizen. Gegenüber stehen sich unterschiedliche Fraktionen der Marehan (BMLV 25.2.2021). So kam es dort etwa im Jänner 2021 zu bewaffneten Auseinandersetzungen, mehrere Menschen wurden getötet (PGN 2.2021, S.13; vgl. UNSC 17.2.2021, Abs.16).
Vorfälle: In den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 25 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians"). Bei 16 dieser 25 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 34 derartige Vorfälle (davon 21 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in den
Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt):…
Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)
Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „Violence against Civilians" (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED einige Unschärfen aufweist; auch „normale" Morde sind inkludiert):…
Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)
Quellen:
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/ , Zugriff 26.1.2021
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2020): Africa (Data through 11 January 2020), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 16.1.2020
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 23.1.2019
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 10.1.2018
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 21.12.2017
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Fin ding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f69 44b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021
• HI - Hiraal Institute (10.2020): A Losing Game: Countering Al-Shabab’s Financial System, https: //hiraalinstitute.org/wp-content/uploads/2020/10/A-Losing-Game.pdf, Zugriff 30.10.2020
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://ww w.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021
• Mahmood, Omar (28.7.2020): Defuse tensions in key Somali region, in: Daily Nation, veröffentlicht von ICG - International Crisis Group: https://www.crisisgroup.org/africa/horn-africa/somalia/defus e-tensions-key-somali-region , Zugriff 9.10.2020
• PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2021/02/somalia-cont rol-map-2021.html
• PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-map - of-al-shabaab-control.html
• Sahan - Sahan / Caasimada (16.2.2021c): The Somali Wire Issue No. 83, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.caasimada.net/jeneral-maxamed-tahliil-oo-amar-xasaasi-ah-siiyey-ciidam ada-df-ee-gedo/
• UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 - Somalia, https: //somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Population-Estimation-Survey-of-Somalia-PESS-2 013-2014.pdf, Zugriff 28.1.2021
• UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.3.2020): Somalia: Flash Update No.2 on displacement in Gedo region, Jubaland as of 12/03/2020, https://www.ecoi.net/e n/file/local/2026809/Gedo+flash+update+2++for+publication-FINAL-M-2.pdf, Zugriff 26.3.2020
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Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)
Letzte Änderung: 29.03.2021
Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war (BBC 18.1.2021). Heute hingegen ist Mogadischu unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 2.2021, S.1f). Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren aber verbessert (FIS 7.8.2020, S.4). Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. So wurden etwa 20 zusätzliche Checkpoints errichtet und im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 190 gezielte Sicherheitsoperationen durchgeführt (UNSC 13.2.2020, Abs.18). Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (FIS 7.8.2020, S.20). Im Jahr 2019 hat die Einrichtung neuer Checkpoints, die Besetzung dieser Kontrollpunkte mit frischen Truppen, die regelmäßigere Auszahlung des Soldes und die Rotation der Mannschaften zur Moral und Effizienz der Sicherheitskräfte und damit zur Verbesserung der Sicherheitslage in Mogadischu beigetragen. Al Shabaab kann weniger Material und Operateure nach Mogadischu schleusen (FIS 7.8.2020, S.9f). Die Checkpoints haben also die Sicherheit verbessert (BMLV 25.2.2021). Auch die Militäroperation Badbaado in Lower Shabelle hat die Fähigkeiten von al Shabaab, Sprengsätze herzustellen und nach Mogadischu zu transportieren, wesentlich vermindert (HIPS 2021, S.20).
Allerdings werden solche Maßnahmen nicht permanent aufrecht erhalten; werden sie aber vernachlässigt, steigt auch wieder die Zahl an Anschlägen durch al Shabaab (FIS 7.8.2020, S.9f). Die Checkpoints wurden teilweise wieder abgebaut (BMLV 25.2.2021). Zudem haben Teile der Sicherheitskräfte seit Monaten keinen Sold erhalten, im Feber 2021 hielten sich Soldaten in Mogadischu an den Bewohnern schadlos (SG 8.2.2021). In Mogadischu kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten auch Unbeteiligte zu Schaden kommen (AA 3.12.2020). Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (FIS 7.8.2020, S.4).
Einerseits reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 25.2.2021). Andererseits bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen -wenngleich die Durchführung schwierigerer geworden ist (BMLV 25.2.2021). Täglich kommt es zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit al Shabaab (FIS 7.8.2020, S.5).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).
Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5; vgl. BBC 18.1.2021, BMLV 25.2.2021).
Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f; vgl. BMLV 25.2.2021). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al Shabaab unterwandert (BMLV 25.2.2021). Die Gruppe kann weiterhin ins Stadtgebiet infiltrieren und auch größere Anschläge durchführen (UNSC 17.2.2021, Abs.14). In Mogadischu betreibt al Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert" und eigene Gerichte sprechen Recht (BBC 18.1.2021). Jedenfalls verfügt al Shabaab über großen Einfluss in Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.7) und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (FIS 7.8.2020, S.13; vgl. BBC 23.11.2020). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (FIS 7.8.2020, S.6f/12; vgl. BMLV 25.2.2021).
Anschläge und Attentate: Die Zahl größerer Anschläge und Operationen in der Hauptstadt hat abgenommen (FIS 7.8.2020, S.10f). Trotzdem ermordet al Shabaab immer noch regelmäßig Menschen in Mogadischu (BBC 23.11.2020). Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates [„officials"], Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23f). Nach anderen Angaben sind v.a. jene Örtlichkeiten betroffen, die von der ökonomischen und politischen Elite als Treffpunkte verwendet werden - z.B. Restaurants und Hotels (BS 2020, S.14).
Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal (FIS 7.8.2020, S.8). Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen (LIFOS 3.7.2019, S.25f; vgl. FIS 7.8.2020, S.25). Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (FIS 7.8.2020, S.6f/12).
Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shaba- ab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (FIS 7.8.2020, S.14f). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralscha- den von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vgl. FIS 7.8.2020, S.24ff).
Bewegungsfreiheit: Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21). Die Menschen wissen um diese Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen (FIS 7.8.2020, S.25f). Zudem gibt es in Mogadischu mehrere hundert Straßensperren und Kontrollpunkte von Armee, Polizei und NISA. Einige davon sind permanent eingerichtet, andere werden mobil eingerichtet. Ob Gebühren oder illegale Abgaben verlangt werden, ist unklar (FIS 7.8.2020, S.22f). Diese Checkpoints schränken die Bewegungsfreiheit mehr ein, als es die Bedrohung durch al Shabaab tut (BMLV 25.2.2021). Jedenfalls gehen die Sicherheitskräfte an derartigen Sperren mittlerweile verantwortungsvoller vor, die Situation hat sich verbessert. Es liegen keine Informationen vor, wonach es dort zu schweren Vergehen oder Übergriffen kommen würde (FIS 7.8.2020, S.22f).
Die Gewaltkriminalität in der Stadt ist hoch. Monatlich sterben mehrere Menschen bei Raubüberfällen oder aus anderen Gründen verübten Morden (FIS 7.8.2020, S.19). Bei manchen Vorfällen ist unklar, von wem oder welcher Gruppe die Gewalt ausgegangen ist; Täter und Motiv bleiben unbekannt. Es kommt zu Rachemorden zwischen Clans, zu Gewalt aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder aus politischer Motivation. Lokale Wirtschaftstreibende haben in der Vergangenheit auch schon al Shabaab engagiert, um Auftragsmorde durchzuführen (FIS 7.8.2020, S.5). Gleichzeitig haben die Bewohner eine hohe Hemmschwelle, um sich an die Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist gering (FIS 7.8.2020, S.15/20; vgl. BMLV 25.2.2021). Die Fähigkeit der Behörden, bei kleineren Delikten wie etwa Diebstahl zu intervenieren, ist derart gering, dass Menschen keinen Nutzen darin sehen, Anzeige zu erstatten. Hat eine Person Angst vor al Shabaab, dann kann ein Hilfesuchen bei der Polizei - aufgrund der Unterwanderung selbiger - die Gefahr noch verstärken. Die Polizei ist auch nicht in der Lage, Menschen bei gegebenen Schutzgeldforderungen seitens al Shabaab zu unterstützen (FIS 7.8.2020, S.15/20).
Die Kapazitäten des sogenannten Islamischen Staates sind in Mogadischu sehr beschränkt (FIS 7.8.2020, S.18).
Vorfälle: 2020 waren die Bezirke Dayniile (28 Vorfälle), Dharkenley (35), Hodan (39) und Yaqs- hiid (22), in geringerem Ausmaß die Bezirke Hawl Wadaag (17), Heliwaa (14), Karaan (18) und Wadajir/Medina (19) von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2020 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile (15 Vorfälle), Dharkenley (16), Hodan (18) und Yaqshiid (12) von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).
In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 134 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians"). Bei 120 dieser 134 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 96 derartige Vorfälle (davon 86 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt):
…
Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)
Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „Violence against Civilians" (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED einige Unschärfen aufweist; auch „normale" Morde sind inkludiert):
…
Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)
Quellen:
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• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/ , Zugriff 26.1.2021
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2020): Africa (Data through 11 January 2020), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 16.1.2020
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 23.1.2019
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 10.1.2018
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 21.12.2017
• BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news /world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021
• BBC - BBC News (23.11.2020): Life after al-Shabab: Driving a school bus instead of an armed pickuptruck, https://www.bbc.co.uk/news/stories-55016792 , Zugriff 2.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
• ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.12.2020
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• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information
Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020
• PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2021/02/somalia-cont rol-map-2021.html
• SG - Somali Guardian (8.2.2021): Somalia on Knife Edge as President’s Term Ends, https://somaliguardian.com/somalia-on-knife-edge-as-presidents-term-ends/ , Zugriff 12.2.2021
• UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 - Somalia, https: //somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Population-Estimation-Survey-of-Somalia-PESS-2 013-2014.pdf, Zugriff 28.1.2021
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf , Zugriff 26.3.2020
Al Shabaab
Letzte Änderung: 29.03.2021
Al Shabaab ist eine radikal-islamistische, mit der al Qaida affiliierte Miliz (AA 2.4.2020, S.5; vgl. USDOS 24.6.2020). Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: der Eroberung Somalias (BBC 18.1.2021; vgl. BMLV 25.2.2021). Allerdings wandelt sich al Shabaab langsam zu einer mafiösen Entität, bei der das Eintreiben von „Steuern“ über den bewaffneten Kampf gestellt wird (HIPS 2021, S.3).
Der Anführer von al Shabaab ist Ahmed Diriye alias Ahmed Umar alias Abu Ubaidah (USDOS
24.6.2020) . Es wird darüber berichtet, dass dieser aus gesundheitlichen Gründen von seinem Stellvertreter Sheikh Abukar Ali Aden abgelöst worden ist (JF 23.10.2020; vgl. PGN 10.2020,
S.12) , und dass die Spannungen innerhalb al Shabaabs größer geworden sind (JF 23.10.2020). Gemäß Angaben einer Quelle handelt es sich hier um wenig fundierte Gerüchte. Al Shabaab bleibt auch weiterhin eine geschlossene, monolithische Organisation, es sind keinerlei Anzeichen für eine Spaltung erkennbar (BMLV 25.2.2021).
Manche Menschen unterstützen al Shabaab aus ideologischen Gründen; manche deshalb, weil die Gruppe Rechtsschutz bietet; die meisten Menschen befolgen Anweisungen der Gruppe aber aus Angst (FIS 7.8.2020, S.15f). Die Menschen auf dem Gebiet von al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Die Gruppe versucht, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2020, S.12). Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (Maruf 14.11.2018). Die mit der Nichtbefolgung strenger Vorschriften verbundenen harten Bestrafungen haben ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2020, S.12). Dadurch kann al Shabaab die Bevölkerung kontrollieren, rekrutieren, Gebiete kontrollieren, Steuern eintreiben und ihre Gesetze durchsetzen (Mohamed 17.8.2019).
Verwaltung und Clans: Al Shabaab hat in den von ihr kontrollierten Gebieten Verwaltungsstrukturen geschaffen (BS 2020, S.6) und erfüllt alle Rahmenbedingungen eines Staates. Gleichzeitig erlangt al Shabaab aufgrund ihres funktionierenden Justizwesens auch ein Maß an Unterstützung durch die Bevölkerung (Mohamed 17.8.2019). Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 2.4.2020, S.5/17). Al Shabaab sorgt dort auch einigermaßen für Ordnung (ICG 27.6.2019, S.1). Die Gruppe verfügt über eine eigene Verwaltung und eigene Gerichte (LIFOS 9.4.2019, S.6). Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten (BMLV
25.2.2021) . Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft (HI 31.5.2018,
S.5) . In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BMLV 25.2.2021). Die Zivilverwaltung von al Shabaab bietet u.a. Rechtsprechung durch Schariagerichte, organisiert Treffen mit Clanältesten, unterstützt Bedürftige, führt Religionsschulen und bietet Fortbildungsmöglichkeiten - auch für Frauen (NLMBZ 3.2019, S.11). Al Shabaab versucht, zu enge Bindungen an Clans zu vermeiden, unterstützt schwächere Gruppen gegen stärkere Rivalen oder vermittelt bei Streitigkeiten (ICG 27.6.2019, S.2). Gleichzeitig wird al Shabaab als Friedensbewahrer erachtet, da sie Clankonflikte derart handhabt, dass diese auf den Gebieten unter ihrer Kontrolle nur selten in Gewalt münden (HI 31.5.2018, S.5).
Stärke: Die Hälfte der Mitglieder von al Shabaab stellt den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; sowie Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk. Die Größe der Miliz von al Shabaab wird von einer Quelle auf 13.000 geschätzt (Maruf 14.11.2018). Neuere Quellen berichten von 7.000-9.000 (USDOS 24.6.2020) oder auch von 5.000-10.000 Angehörigen der al Shabaab (HIPS 2021, S.21). Die tatsächliche Größe ist schwer festzulegen, da viele Angehörige der al Shabaab zwischen Kampf und Zivilleben hin- und herwechseln (WP 31.8.2019). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BMLV 25.2.2021). Der Amniyad ist die wichtigste Stütze der al Shabaab (Mohamed 17.8.2019).
Kapazitäten: Al Shabaab hat zwar insgesamt nicht an Stärke verloren (ÖB 3.2020, S.2) und ist nach wie vor in der Lage, Friedens- und Staatsbildung zu hemmen (HIPS 2021, S.3). Trotz ihrer Fähigkeit zu stören und zu zerstören, stellt al Shabaab aber nicht länger eine existentielle Bedrohung für die somalische Regierung dar (HIPS 2021, S.21). An Kapazitäten zur konventionellen Kriegsführung hat al Shabaab deutlich eingebüßt. Schuld daran sind die Luftschläge der USA und die Bodenoperationen von somalischer Armee und AMISOM (HIPS 2021, S.3). Allein bei Luftschlägen hat al Shabaab seit 2017 ca. 1.000 Mann verloren (HIPS 2021, S.21). So wurden Kommandostrukturen unterbrochen und zudem Sprengstoffvorräte vernichtet (FIS
7.8.2020, S.10f). Gemäß einer anderen Quelle bleiben die Kapazitäten von al Shabaab konstant. Zwar kann die Gruppe aufgrund intensiver Aufklärungstätigkeiten keine großen Kampfverbände mehr verlegen; allerdings sind die personellen und materiellen Kapazitäten unverändert geblieben (BMLV 25.2.2021). Allerdings nutzt die Gruppe die bestehenden politischen Konflikte um Neuwahlen. Die politische Elite ist durch sich selbst abgelenkt und hat den Kampf gegen al Shabaab vernachlässigt (HIPS 2021, S.21).
Gebiete: Al Shabaab wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position (BBC 18.1.2021). Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen (HIPS 2021, S.3). Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 2.2021, S.1).
Gemäß einer Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (LI 21.5.2019a, S.3). Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (BMLV 25.2.2021).
Steuern: Al Shabaab hat in ganz Süd-/Zentralsomalia ein komplexes System an Schutzgelderpressung etabliert, welches in den Jahren 2018 und 2019 exponentiell ausgebaut worden ist (HIPS 2020, S.12f; vgl. FIS 7.8.2020, S.14f). In den Gebieten der al Shabaab wird alles und jeder besteuert (HI 10.2020, S.2f; vgl. BBC 18.1.2021). In umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung der al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden Steuern an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv (HI 10.2020, S.2f).
Die Besteuerung scheint systematisch, organisiert und kontrolliert zu erfolgen - zumindest im Vergleich zur Bundesregierung (BS 2020, S.10). Demnach hebt al Shabaab auch mehr „Steuern" ein, als die Bundesregierung. Dabei agiert die Gruppe wie eine mafiöse Organisation (FIS
7.8.2020, S.18; vgl. HI 10.2020, S.5). Das Steuersystem von al Shabaab wird durch systematische Einschüchterung und Gewalt gestützt (SEMG 9.11.2018, S.26/97). Ziel ist es, aus kriminellen Aktivitäten Gewinn zu lukrieren. Dabei dient die Religion nur als Deckmantel (FIS
7.8.2020, S.18). U.a. investiert al Shabaab Überschüsse aus Einnahmen in kleine Geschäfte und am Immobilienmarkt von Mogadischu (PGN 10.2020, S.16).
Eingehoben werden Steuern auf landwirtschaftliche Produkte; Güter, Personen und Fahrzeuge im Transit; auf den Verkauf von Vieh (BS 2020, S.10); sowie auf manche Dienstleistungen - und zwar sowohl in den eigenen Gebieten als auch in jenen der Regierung (HIPS 2020, S.13). Sogar Bundesbedienstete - darunter hochrangige Angehörige der Armee - führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer" an al Shabaab ab. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöser Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird (HI 10.2020, S.6f).
Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten (LI 20.12.2017, S.3). Die Höhe der Steuer ist oft verhandelbar. Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen (WP 31.8.2019). Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben; aber jene, die sich weigern, werden bestraft und ihr Leben bedroht. Vorerst werden dabei hohe Strafzahlungen ausgesprochen oder aber der Zugang zu Märkten wird blockiert, dann folgen auch Todesdrohungen. Zur tatsächlichen Exekution kommt es aber nur in Extremfällen. Andere müssen ihre Firma schließen, ihre Kontaktdaten ändern oder aus dem Land fliehen. Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shaba- ab befinden (HI 10.2020, S.4ff). Kaum jemand bezahlt die Abgaben freiwillig, das Antriebsmittel dafür ist die Angst (HI 10.2020, S.1).
Konservativen Schätzungen zufolge lukriert al Shabaab alleine an monatlichen Abgaben 15 Millionen US-Dollar pro Monat - davon die Hälfte in Mogadischu (HI 10.2020, S.5). Generell werden alle Wirtschaftstätigkeiten in Mogadischu von der Gruppe mit Schutzgeld belegt (FIS
7.8.2020, S.13). Wirtschaftstreibende werden angerufen und bedroht. Diese zahlen Schutzgeld (WP 31.8.2019), denn die Regierung ist nicht in der Lage, sie vor Schutzgelderpressung zu schützen (HI 10.2020, S.9). Dabei verlangt al Shabaab von Wirtschaftstreibenden zunehmend höhere Steuern (HI 10.2020, S.1). Alle großen Unternehmen im südlichen Somalia zahlen diese jährliche Steuer. Nur sehr kleine Betriebe oder Straßenhändler müssen den Zakat nicht abführen. Dahingegen werden auch zahlreiche andere Bereiche besteuert - etwa die Nutzung von Bewässerungsanalgen durch Bauern (HI 10.2020, S.3). Steuern werden auch auf landwirtschaftliche Produkte und Vieh eingehoben. Zusätzlich kommt es auch zu allgemeinen Geldforderungen (infaaq). Am meisten Geld verdient al Shabaab aber mit der Besteuerung von Fahrzeugen, die Güter durch das Gebiet der Gruppe transportieren. Auch am Bakara-Markt (VOA 3.12.2018), für Importe am Hafen von Mogadischu (UNSC 1.11.2019, S.13; vgl. FIS 7.8.2020, S.13) sowie am Immobilienmarkt hebt al Shabaab Steuern ein (HI 10.2020, S.4). Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Steuern bzw. Schutzgeld an al Shabaab, um in Ruhe gelassen zu werden (BFA 8.2017, S.33).
Auch der sog. Islamische Staat fordert „Steuern" - v.a. von Wirtschaftstreibenden in städtischen Gebieten. Jene, die sich der Zahlung einer „Steuer" widersetzen, müssen mit Gewalt rechnen (USDOS 11.3.2020, S.14). Dies gilt jedenfalls für Unternehmen in Puntland - etwa in Bossaso und Galkacyo (UNSC 1.11.2019, S.19).
Quellen:
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• BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news /world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
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Rechtsschutz, Justizwesen
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v. a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017, S.31; vgl. BS 2020, S.16; USDOS 11.3.2020, S.8). Nach dem Kollaps des Staates im Jahr 1991 kollabierte in weiten Teilen des Landes auch das formelle Recht. Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Scharia und Xeer. Die Scharia hat es als Grundlage allen Rechts in die Übergangsverfassung und in die Verfassung von Puntland geschafft (BS 2020, S.9).
In Süd-/Zentralsomalia sowie in Puntland sind die Grundsätze der Gewaltenteilung in der Verfassung niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 2.4.2020, S.8; vgl. USDOS 11.3.2020, S.8). Al Shabaab untergräbt die Rechtsstaatlichkeit durch die Einhebung von Steuern und Durchsetzung von Urteilen eigener Gerichte. Der mangelnde (Rechts-)Schutz durch die Regierung führt dazu, dass sich Staatsbürger der Schutzgelderpressung durch al Shabaab beugen (HI 10.2020, S.9f). Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, die „Regelung" wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen. Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Zentral- und Südsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden. Staatliche Sicherheitskräfte können und wollen oftmals nicht in Clankonflikte eingreifen. Befinden sich Angehörige eines bestimmten Clans oder von Minderheiten in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Schutz gewährleistet ist (ÖB 3.2020, S.10). Andererseits ist auch bekannt, dass staatliche Sicherheitskräfte manchmal bei Clankonflikten Partei ergreifen (BS 2020, S.34).
Formelle Justiz - Kapazität: In den vergangenen zehn Jahren haben unterschiedliche Regierungen in Mogadischu und anderen Städten Gerichte auf Bezirksebene errichtet. U.a. gibt es zwei Bezirksgerichte in HirShabelle, sechs im SWS, acht in Jubaland und eines in Galmudug. Sie sind für Straf- und Zivilrechtsfälle zuständig. In Mogadischu gibt es außerdem ein Berufungsgericht und ein Oberstes Gericht (Supreme Court) (BS 2020, S.16). Generell sind Gerichte aber nur in größeren Städten verfügbar (BS 2020, S.9). Vielen Richtern und Staatsanwälten mangelt es an Qualifikation (BS 2020, S.17; vgl. LIFOS 1.7.2019, S.4). Oft werden diese nicht aufgrund ihrer Qualifikation ernannt (SIDRA 11.2019, S.5), und ernannte Richter erhielten keine Ausbildung (BS 2020, S.17). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes. Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht und gewürdigt (AA 2.4.2020, S.4/13). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 4.3.2020a, F1), in vielen Landesteilen gar nicht vorhanden. Einige Regionen haben lokale Gerichte geschaffen, die vom dort dominanten Clan abhängen (USDOS 11.3.2020, S.8).
Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: In der Verfassung ist die Unabhängigkeit der Justiz vorgesehen (BS 2020, S.9). In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 2.4.2020, S.7; vgl. USDOS 11.3.2020, S.8). Nicht immer respektiert die Regierung Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020, S.8). Außerdem sind Urteile von Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2020, S.16; vgl. USDOS 11.3.2020, S.9; FH 4.3.2020a, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 11.3.2020, S.8f). Nationales oder internationales Recht werden bei Fest- oder Ingewahrsamnahme sowie beim Vor-Gericht-Stellen von Tatverdächtigen nur selten eingehalten (AA 2.4.2020, S.9).
Auch Korruption behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 11.3.2020, S.9; vgl. FH 4.3.2020a, F1; FIS 7.8.2020, S.21). Verfahren dauern sehr lang (FIS 7.8.2020, S.21). Von Richtern oder Staatsanwälten werden Bestechungsgelder verlangt. Verdächtige und Verurteilte werden gegen Geld, oder weil sie einem bestimmten Clan angehören, auf freien Fuß gesetzt (SIDRA 11.2019, S.5). Zusätzlich halten sich Staatsbedienstete bzw. Behörden nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 11.3.2020, S.8; vgl. BS 2020, S.16; FH 4.3.2020a, F1). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, ineffizient und manipulierbar wahrgenommen (BS 2020, S.16). Insgesamt stehen Zivilisten ernsthaften Mängeln beim Rechtsschutz gegenüber (FIS 7.8.2020, S.21). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 4.3.2020a, F1).
Formelle Justiz - Militärgerichte: Die von der Bundesregierung geschaffenen Militärgerichte verhandeln und urteilen weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 2.4.2020, S.8; vgl. BS 2020, S.16; vgl. FH 4.3.2020a, F2), bzw. wo unklar ist, ob diese in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Ein Grund dafür ist, dass zivile Richter oftmals Angst haben, bestimmte - zivile - Fälle zu verhandeln (USDOS 11.3.2020, S.8f). Verfahren vor Militärgerichten entsprechen nicht den international anerkannten Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 2.4.2020, S.8; vgl. USDOS
11.3.2020, S.2; HRW 13.1.2021; FH 4.3.2020a, F2). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 11.3.2020, S.9).
Traditionelles Recht (Xeer): Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2020, S.16). Die traditionelle Justiz dient im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten (USDOS 11.3.2020, S.8). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung - z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern - angewendet (SEM 31.5.2017, S.34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, S.100). Es kommt also auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, S.7), in anderen Fällen behindert der Einsatz des Xeer Polizei und Justiz. Jedenfalls wiegt eine Entscheidung im Xeer schwerer als ein Urteil vor einem formellen Gericht. Im Zweifel zählt die Entscheidung im Xeer (LIFOS 1.7.2019, S.4). Frauen werden im Xeer insofern benachteiligt, als sie in diesem System nicht selbst aktiv werden können und auf ein männliches Netzwerk angewiesen sind (LIFOS 1.7.2019, S.14).
Clanschutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib - die sogenannte Diya/Mag/Blut- geld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet- je nach Region, Clan und Status - ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat - z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde - sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen (SEM 31.5.2017, S.8ff). Wenn einer Person etwas passiert, dann wendet sie sich nicht an die Polizei, sondern zuallererst an die eigene Familie und den Clan (FIS 7.8.2020, S.20). Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, S.8ff).
Der Ausdruck „Clanschutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017,
S.33) . Allerdings haben schwächere Clans und Minderheiten oft Schwierigkeiten - oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit - ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S.14). Der Clanschutz funktioniert generell - aber nicht immer - besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clanmechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, S.36). Dementsprechend wird etwa ein Tod in erster Linie durch die Zahlung von Blutgeld und nicht durch einen Rachemord ausgeglichen (GIGA 3.7.2018).
Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, S.8; vgl. ÖB 3.2020, S.10), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM
31.5.2017, S.35).
Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, S.3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, S.35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 11.3.2020, S.8). Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, S.32).
Scharia: Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia führte dazu, dass die Scharia nicht mehr nur in Zivil-, sondern auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, S.34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird, bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt. Schariagerichte werden auch für andere Rechtsdienste herangezogen - sie werden als effizienter, weniger korrupt, schneller und fairer angesehen (BS 2020, S.16).
Recht bei al Shabaab: In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe abgelehnt (AA 2.4.2020, S.7). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, S.33; ÖB 3.2020, S.4) bzw. ist Letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2020, S.17).Außerdem gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 11.3.2020, S.10). Der Clanschutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, S.33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, S.3).
Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, S.4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2020, S.17). Angeklagte vor einem Schariagericht haben kein Recht auf Verteidigung, Zeugen oder einen Anwalt (USDOS 11.3.2020, S.10). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 2.4.2020, S.13; vgl. BS 2020, S.17). Al Shabaab inhaftiert Personen für Vergehen wie Rauchen, unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Musikhören, Fußballschauen oder -spielen und das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 11.3.2020, S.6). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt. In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, S.3).
Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv, weniger korrupt, schnell und im Vergleich fairer beschrieben (BS 2020, S.16) - zumindest im Vergleich zur staatlichen Rechtsprechung (FIS 7.8.2020, S.16). Al Shabaab urteilt oder vermittelt u.a. in Streitigkeiten zwischen Wirtschaftstreibenden (HI 10.2020, S.7). Viele Menschen bevorzugen die Gerichte der al Shabaab - selbst Personen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten (BS 2020, S.17) - etwa aus Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.16). Von dort begeben sich Streitparteien extra nach Lower Shabelle, um dort bei al Shabaab Klage einzureichen (FIS 7.8.2020, S.16; vgl. LIFOS
1.7.2019, S.4). Denn der Rechtsprechung durch al Shabaab wird mehr Vertrauen entgegengebracht als jener der staatlichen Justiz (LIFOS 1.7.2019, S.14). Auch für benachteiligte Gruppen mit keinem oder nur eingeschränktem Zugang zu anderen Rechtssystemen kann die Justiz von al Shabaab anziehend wirken. So sind diese Gerichte für manche Frauen etwa die einzige Möglichkeit, um finanzielle Ansprüche an vormalige Ehemänner oder männliche Verwandte geltend zu machen (UNSC 1.11.2019, S.14). Gerichte von al Shabaab hören alle Seiten, fällen Urteile und sorgen dafür, dass Urteile auch umgesetzt bzw. eingehalten werden - wo nötig mit Gewalt (FIS 7.8.2020, S.16). Al Shabaab ist grundsätzlich in der Lage, Gerichtsbeschlüsse auch durchzusetzen (UNSC 1.11.2019, S.14; vgl. HI 10.2020, S.10).
Es gilt das Angebot einer Amnestie für Kämpfer der al Shabaab, welche ihre Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen. Für dieseAmnestiemöglich- keit gibt es aber keine rechtliche Grundlage (AA 2.4.2020, S.13). Allerdings wird üblicherweise ehemaligen Kämpfern im Austausch für Informationen über al Shabaab eine Amnestie gewährt (LIFOS 1.7.2019, S.24).
Puntland: Die meisten Fälle werden durch Clanälteste im Xeer abgehandelt. Ins formelle Justizsystem gelangen vor allem jene Fälle, wo keine Clanrepräsentation gegeben ist (USDOS
11.3.2020, S.9).
Puntland hat ein eigenes Gerichtswesen geschaffen (BS 2020, S.16), die Gerichte werden als funktionierend bezeichnet. Es gilt die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein öffentliches Verfahren, auf einen Anwalt und auf Berufung (USDOS 11.3.2020, S.9f).
Abseits der Zivilgerichtsbarkeit gibt es in Puntland Militärgerichte. Deren Personal wird direkt vom Präsidenten aus den Reihen des Militärs ernannt und muss über keine fachliche Ausbildung verfügen. Die Spezialeinheit „Puntland Security Force" (PSF) ist gemäß Anti-Terrorgesetz mit den Militärgerichten in enger Verbindung. Es kommt an diesen Gerichten - in Zusammenhang mit Prozessen bei Terrorismusverdacht - mitunter zu Verurteilungen unter Verwendung erzwungener Geständnisse. Zuständig sind Militärgerichte in Puntland u.a. im Falle von Spionage, Verrat, Kontakt mit dem Feind und Terrorismus (UNSC 1.11.2019, S.38/138ff).
Das UNDP unterstützt seit Jahren die universitäre Ausbildung von Juristen in Puntland, um dem Mangel an Personal - Richter, (Staats-)Anwälte - entgegenzutreten (UNDP 7.4.2019).
Zu den weder von der Regierung noch von al Shabaab kontrollierten Gebieten gibt es kaum Informationen. Es ist aber davon auszugehen, dass Rechtsetzung, -Sprechung und - Durchsetzung zumeist in den Händen von v.a. Clanältesten liegen. Von einer Gewaltenteilung ist dort nicht auszugehen (AA 2.4.2020, S.7). Urteile werden hier häufig gemäß Xeer von Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Clans. Sind mehrere Clans betroffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 2.4.2020, S.13).
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• SIDRA - Somali Institute for Development Research and Analysis (11.2019): Youth Radicalization in Somalia, https://sidrainstitute.org/2020/02/17/youth-radicalization-in-somalia/ , Zugriff 2.10.2020
• UNDP - UN Development Programme (7.4.2019): Sixth group of UNDP sponsored law students graduate from Puntland State University, http://www.so.undp.org/content/somalia/en/home/pressc enter/pressreleases/2019/sixth-group-of-undp-sponsored-law-students-graduate-from-puntlan.ht ml , Zugriff 10.12.2020
• UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1422745/1930_1516796959_g1726 077.pdf , Zugriff 10.12.2020
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Ausländische Kräfte
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit 2007 in Somalia stationiert (EU o.D.). Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Die Truppe trägt einerseits seit Jahren die Führung im Kampf gegen al Shabaab und andererseits schützt sie die Bundesregierung (BBC 18.1.2021), die in großem Maße von den Kräften der AMISOM abhängig ist (BS 2020, S.6/13; vgl. ÖB 3.2020, S.8, BBC 18.1.2021). AMISOM ist ein beispielgebender Fall internationaler Kooperation bei einer militärischen Intervention. Afrikanische Länder stellen die Truppen, während die EU und andere für die Finanzierung aufkommen. Die UN wiederum sind für Ausrüstung und Logistik verantwortlich. Einzelne Länder, wie etwa die USA und Großbritannien, gewährleisten zusätzliche Unterstützung bei finanziellen Ressourcen, Logistik und Ausbildung (BS 2020, S.39).
Die UN haben im Mai 2020 das Mandat von AMISOM mit 19.626 Mann uniformiertem Personal, davon mindestens 1.040 Polizisten, verlängert (UNSC 29.5.2020, Abs.9ff). Im Dezember 2018 gab es noch ca. 21.600 uniformiertes AMISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, S.9). AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (AMISOM 2021a). Die Stärke beträgt seit Feber 2020: Äthiopien: 3.902; Burundi: 3.715; Dschibuti: 1.691; Kenia: 3.654; Uganda: 5.448; Hauptquartier: 111. Seit Ende 2020 verfügt AMISOM über eine zusätzliche Luftkomponente von vier Hubschraubern, die von Uganda gestellt werden. Diese dienen v.a. für Verbindung, Versorgung und medizinische Notfälle (BMLV 2.3.2021). UNSOS hat die Stationierung der Hubschrauber in Bali Doogle unterstützt (UNSC 13.11.2020, Abs.76). Auch private Firmen sind mit Hubschraubern dabei. Ob diese künftig auch in einer Kampfrolle eingesetzt werden, ist unklar (IP 4.2.2021). Insgesamt verfügt AMISOM über sieben militärische Luftfahrzeuge, zwölf wären autorisiert (UNSC 17.2.2021, Abs.78).
Hinsichtlich des Exit-Plans für AMISOM, der einen Abzug der Truppe eigentlich für Dezember 2021 vorgesehen hätte (ISS 28.2.2019), gibt es Rückschläge - v.a. in Zusammenhang mit den negativen Effekten der Streitigkeiten rund um die Wahl 2021 sowie jenen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten. Zudem leidetAMISOM an den Spannungen zwischen der somalischen Bundesregierung und Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien. Befürchtet wird z.B., dass Kenia Truppenteile aus AMISOM abzieht (ISS 15.12.2020).
AMISOM wird maßgeblich von der EU finanziert (ÖB 3.2020, S.7). Mehr als 2,1 Mrd. Euro wurden bisher von der Europäischen Kommission für AMISOM ausgegeben. Die EU beteiligt sich am Sold von Soldaten, finanziert das Gehalt von AMISOM-Polizisten und zivilen Angestellten sowie die Infrastruktur (EU o.D.). UNSOS unterstützt AMISOM logistisch, z.B. mit mehr als tausend Flugstunden pro Monat, um AMISOM-Stützpunkte zu versorgen (UNSC 13.5.2020, Abs.78f). Die Ausbildung für AMISOM erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU. In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BMLV 2.3.2021).
Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Zumindest drei sogenannte Formed Police Units wurden aus Nigeria, Uganda und Sierra Leone entsendet (AMISOM 2021b). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).
Neben den fünf Armeen der AMISOM-Truppenstellerstaaten sind in Somalia noch Militärberater aus zahlreichen anderen Staaten aktiv (BBC 18.1.2021). Zur Zahl der bilateral auf somalischem Territorium operierenden äthiopischen Truppen gibt es unterschiedlichste Angaben. Denn Äthiopien hat auch diese Truppenteile mit dem grünen Barett von AMISOM ausgestattet (BMLV
25.2.2021) . Eine Quelle berichtet von bis zu 15.000 bilateral eingesetzten äthiopischen Truppen (PGN 2.2021, S.5). Eine andere Quelle berichtet von vermutlich drei (teils verstärkten) Bataillonen und insgesamt geschätzten 2.200-2.800 Mann in Gedo, Hiiraan und Galmudug (BMLV 2.3.2021). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, S.17f). Dies ist aufgrund des inneren Konflikts in Äthiopien Ende 2020 dann auch geschehen, das Land hat bis zu 3.000 bilateral in Somalia eingesetzte Truppen abgezogen (ISS 15.12.2020; vgl. PGN 2.2021, S.5). Bereits abgezogene äthiopische Truppen wurden zumindest an der Grenze durch Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State ersetzt (BMLV 2.3.2021).
Nach der Räumung der Stützpunkte in Buusaar und Faafax Dhuun (Süd-Gedo) Anfang 2020 befinden sich vermutlich keine bilateralen Truppen Kenias mehr in Somalia (BMLV 2.3.2021).
Die USA führen in Somalia eigene Angriffe durch, um führende Mitglieder der al Shabaab gefangenzunehmen oder zu töten (BS 2020, S.40). Zudem haben die USA die Eliteeinheit Danaab ausgebildet und unterstützen diese bei Einsätzen (BBC 18.1.2021; vgl. HIPS 2021, S.28). Damit wurden Anti-Terrorismus-Kapazitäten geschaffen. Außerdem haben die USA auch Teile regionaler Kräfte ausgebildet (BS 2020, S.40; vgl. ISS 15.12.2020). Schließlich unterstützen die USA auch maßgeblich AMISOM (ISS 15.12.2020) und haben insgesamt entscheidend zur Beschneidung der Kapazitäten von al Shabaab beigetragen (HIPS 2021, S.28). Mitte Jänner 2021 gaben die USA bekannt, dass der Abzug der Bodentruppen aus Somalia abgeschlossen ist; Luftschläge werden aber weiterhin geflogen (PGN 2.2021, S.12f; vgl. IP 3.2.2021).
Quellen:
• AMISOM (2021a): AMISOM Military Component, https://amisom-au.org/mission-profile/military-c omponent/, Zugriff 8.2.2021
• AMISOM (2021b): AMISOM Police, https://amisom-au.org/mission-profile/amisom-police/ , Zugriff
8.2.2021
• BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news /world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• EU - Europäische Union / The Africa-EU Partnership (o.D.): Projects - African Union Mission in Somalia (AMISOM), https://africa-eu-partnership.org/en/projects/african-union-mission-somalia - amisom , Zugriff 8.2.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
• IP - Indigo Publications (4.2.2021): Africa Intelligence - Kampala Executive Aviation running flights for UPDF in Mogadishu, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www.africaintelligence.c om/archives , Zugriff 12.2.2021
• IP - Indigo Publications (3.2.2021): Africa Intelligence - GI’s are out of Somalia, but US Air Force keeps the Horn under surveillance, mit Zugangsberechtigung verfügbar auf: https://www.africainte lligence.com/archives , Zugriff 12.2.2021
• ISS - Institute for Security Studies (15.12.2020): Regional conflicts add to Somalia’s security con- cerns, https://issafrica.org/iss-today/regional-conflicts-add-to-somalias-security-concerns , Zugriff
3.2.2021
• ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, https://issafrica.org/iss-today/is-this-the-right-time-to-downsize -amisom , Zugriff 8.2.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2021/02/somalia-cont rol-map-2021.html
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (29.5.2020): Resolution 2520 (2020), http://unscr.com/en/resolutions /doc/2520 , Zugriff 8.2.2021
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
• UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/1456824/1226_1548256199_n1846028.pdf, Zugriff 8.2.2021
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Somalische Kräfte
Letzte Änderung: 30.03.2021
Der Sicherheitssektor ist sehr relevant, 80 % der öffentlichen Stellen befinden sich in diesem Bereich, zwei Drittel der Staatsausgaben fließen dorthin (AA 2.4.2020, S.8). Der Sektor ist nach wie vor eine Mischung aus formellen und informellen Institutionen und Akteuren, welche von innerstaatlichen und externen Kräften finanziert werden. De facto gibt es auch kaum einen Unterschied zwischen polizeilichen und militärischen Kräften, Ausrüstung und Auftrag sind oftmals identisch (LIFOS 1.7.2019, S.5).
Somalische Sicherheitskräfte sind auch weiterhin nicht in der Lage, ohne internationale Unterstützung für die Sicherheit im Land zu garantieren (TDP 12.2.2020). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2020, S.6; vgl. HI
10.2020, S.1), sie ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2020, S.6; vgl. BBC 18.1.2021). Zudem hat al Shabaab die Sicherheitskräfte und Verwaltung infiltriert (FIS
7.8.2020, S.12; vgl. BMLV 25.2.2021). Immerhin ist es der Armee mittlerweile möglich, sporadisch eigenständige Operationen durchzuführen - etwa in Middle Shabelle (UNSC 13.2.2020, Abs.68).
Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020, S.1) bzw. entziehen sich Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA), aber auch für die Polizeikräfte. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 2.4.2020, S.8f/19). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 2.4.2020, S.8). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, herrscht eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 11.3.2020, S.2).
Polizei: Die Polizei untersteht einer Mischung von lokalen und regionalen Verwaltungen und der Bundesregierung. Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit (USDOS 11.3.2020, S.1).
Aktuelle Mannstärke der Polizei:
• Benadir/Mogadischu: Zum Stand 8.000-9.000 Mann vom September 2019 gibt es keine neuen Informationen (BMLV 2.3.2021).
• Galmudug: mindestens 700; diese wurden laut UN in Menschenrechten und Polizeiarbeit unterrichtet (UNSC 17.2.2021, Abs.69).
• HirShabelle: rund 600 Mann (UNSC 13.2.2020, Abs.71; vgl. UNSC 13.5.2020, Abs.68).
• Jubaland: Zum Stand vom August 2017 - 500-600 Mann - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BMLV 2.3.2021).
• South West State: Stand August 2017 gab es 600-700 Polizisten (BFA 8.2017, S.12). Ende 2019 traten 400 neue Polizisten ihren Dienst an - u.a. in neu eroberten Gebieten von Lower Shabelle (UNSC 13.2.2020, Abs.71).
Im Bereich der Polizeiausbildung bestehen Trainingsschulen von AMISOM und UNSOM, bilaterale Initiativen (v.a. zur Ausbildung von Polizeikräften in Mogadischu), Unterstützung durch UNDP und UNODC sowie IOM (ÖB 3.2020, S.8). Auch die USA unterstützen die Ausbildung - maßgeblich mit dem Einsatz von Privatfirmen; so unterstützt die Firma Engility die somalische Kriminalpolizei (IP 13.3.2020). AMISOM betreut über 3.200 somalische Polizisten an 31 Polizeistationen (AMISOM 7.8.2019, S.4). AMISOM hat bereits mehr als 4.000 somalische Polizisten in unterschiedlichen Bereichen ausgebildet (AMISOM 2021b). So bildet AMISOM etwa in Bai- doa Polizisten aus und unterstützt diese auch beim Einsatz (RD 22.2.2021). Generell tragen auch die UN auf regionaler und nationaler Ebene zur Aus- bzw. Weiterbildung von Polizisten bei (UNSC 13.11.2020, Abs.64ff). So lassen etwa UNSOM und UNFPA einigen somalischen Polizisten hinsichtlich des Umgangs mit Fällen sexueller Gewalt eine angemessene Ausbildung zukommen (UNSC 13.11.2020, Abs.49). Die Polizei in Kismayo wurde ebenfalls von AMISOM und UN ausgebildet (BMLV 25.2.2021).
Die Türkei hat eine Spezialeinheit der Polizei ausgebildet und ausgerüstet. Ihr Name ist Haram- cad (Gepard). Diese Einheit wird allgemein als fähig erachtet, wird allerdings von der Regierung v.a. eingesetzt, um interne Gegner auf Linie zu bringen (HIPS 2021, S.28).
Die Bezahlung von Polizisten erfolgt meist nur unregelmäßig, dies fördert die Korruption (AA
2.4.2020, S.8; vgl. FIS 7.8.2020, S.20). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten. Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal - und die lokale Clandynamik berücksichtigend - rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BMLV 2.3.2021).
Armee: Die Bundesarmee dient dem Schutz von Souveränität, Unabhängigkeit und Integrität des Landes. Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der Armee verantwortlich (US- DOS 11.3.2020, S.1). Der Bundesarmee kam und kommt beachtliche internationale Unterstützung zugute (BS 2020, S.6). Es wurde versucht, diverse Milizen zu einer Armee unter Führung der Bundesregierung zu fusionieren (Reuters 19.2.2021). Allerdings ist es nicht gelungen, eine vereinte Bundesarmee zu schaffen. Vor zehn Jahren hieß es noch, dass, wenn AMISOM abzieht, al Shabaab binnen einer Stunde Mogadischu einnehmen wird; nun heißt es, al Shaba- ab würde dafür zwölf Stunden brauchen (BBC 18.1.2021). Denn die Loyalität von Truppen zu einzelnen Kommandanten und Clans bleibt stark (Reuters 19.2.2021; vgl. ICG 27.6.2019, S.4). Dementsprechend können sowohl Regierung als auch Opposition jederzeit Truppen ins Feld stellen. Laut einer Quelle zeigt die Armee sogar Auflösungserscheinungen (Reuters 19.2.2021). Zudem nehmen einige Kommandanten Bestechungsgelder und kooperieren mit al Shabaab - mit ein Grund für die mangelnden Fortschritte im Kampf gegen die Gruppe (Sahan 3.3.2021).
Besoldung: Soldaten verdienen etwa 100 US-Dollar im Monat (FIS 7.8.2020, S.22). Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden, dies fördert die Korruption. Diese, sowie Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee (AA 2.4.2020, S.8). Generell erfolgt nunmehr die (elektronische) Bezahlung der Soldaten viel regelmäßiger, doch selbst hier kommt es mitunter zu Verzögerungen (HIPS 2020, S.12; vgl. FIS 7.8.2020, S.20, BMLV 2.3.2021). Die Spezialeinheit Danaab wird und wurde von den USA finanziert und regelmäßig bezahlt (BMLV 2.3.2021).
Der Armee mangelt es an Ausbildung und Ausrüstung, Korruption ist verbreitet (LIFOS
3.7.2019, S.22). Im vergangenen Jahrzehnt hat die Armee von zahlreichen Akteuren Unterstützung bei Ausrüstung, Ausbildung und Logistikerhalten, namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN (Williams 2019, S.2ff). Selbst in Eritrea wurden Soldaten ausgebildet (BMLV 25.2.2021). Insgesamt wurden zigtausende Soldaten ausgebildet. Diese Ausbildung erfolgte aber unkoordiniert und ohne Gesamtkonzept (Williams 2019, S.2ff). Außerdem hat Somalia alleine in den Jahren 2013-2015 17.500 Waffen von außen erhalten. Trotzdem stellte sich im Jahr 2017 heraus, dass nur 70% der Soldaten überhaupt eine Waffe besitzen (Williams 2019, S.22).
Die EU und die USA unterstützen weiterhin somalische Sicherheitskräfte, u.a. auch mit Ausbildung (BS 2020, S.40). Aus den USA sind einige Sicherheitsfirmen (z.B. Sincerus Global Solutions, Halcyon Group International, Barbaricum, People Technologies & Processes, Bancroft Global Development Group) in Somalia engagiert. Sie werden als Berater oder in der Ausbildung eingesetzt (IP 14.9.2020; vgl. IP 20.8.2020). Die Türkei unterstützt die Bundesarmee materiell und bildet in einem eigens erbauten Stützpunkt (TURKSOM) auch Soldaten aus (IP 13.12.2019; vgl. HIPS 2021, S.28). Die UN-Agentur UNSOS unterstützt logistisch weiterhin 10.900 Soldaten der Bundesarmee und plant künftig 2.000 weitere Soldaten und 1.000 Polizisten hinzuzunehmen (UNSC 17.2.2021, Abs.87). Katar hat der somalischen Armee Anfang 2019 68 gepanzerte Fahrzeuge geschenkt. Die Türkei schenkte der Armee im August 12 gepanzerte Fahrzeuge und 12 Geländewagen; die USA haben angekündigt, 96 Geländewagen zu schenken (IP 10.9.2020). Die Ausbildung im Menschenrechtsbereich wird international zunehmend unterstützt; es muss aber weiterhin davon ausgegangen werden, dass der Mehrzahl der regulären Kräfte die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für regierungsnahe Milizen (AA 2.4.2020, S.8).
Armee/Stärke: Die Zahl aktiver Kräfte in der Bundesarmee, ihre Größe, Kommandostrukturen und die interne Organisation bleiben undurchsichtig (BS 2020, S.6).
Die genaue Stärke ist unbekannt bzw. unklar (BMLV 2.3.2021). Mit internationaler Hilfe wurden Anfang 2020 zwei neue Bataillone aufgestellt; zwei weitere wurden mit bestehenden Truppen neu geformt (UNSC 13.5.2020, Abs.66).
Spezialeinheiten: Danaab - von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut - ist die einzige Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und Können eine Rolle spielen (Williams 2019, S.2/9). Eine weitere Spezialeinheit ist die von der
Türkei ausgebildete und ausgerüstete Gorgor (Adler) (HIPS 2021, S.28; vgl. AN 22.2.2021). Diese Einheit ist in Mogadischu, Dhusamareb und Belet Xaawo stationiert und steht unter direktem Befehl des Präsidenten. Die ca. 4.500-5.000 Mann umfassende Einheit steht einer Quelle zufolge zum Teil auch unter Führung türkischer Offiziere (AN 22.2.2021). Nach Angaben einer anderen Quelle hat die türkische Armee erst 2.500 Mann fertig ausgebildet, strebt aber die Ausbildung von insgesamt 10.000 Mann an (JF 20.11.2020). Eine dritte Quelle berichtet von insgesamt sechs ausgebildeten Gorgor-Bataillonen, die sich v.a. in Mogadischu und in Lower Shabelle im Einsatz befinden (BMLV 25.2.2021).
Regionale Kräfte: Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden.
Beim Operational Readiness Assessment wurden in Jubaland, Galmudug, SWS und Puntland sogar fast 20.000 Personen registriert, welche zu „Regionalkräften“ (auch Darawish) gezählt werden (UNSC 15.5.2019, Abs.45). Darawish werden nunmehr auch national ausgebildet. So haben im Feber 2020 die ersten 300 von 1.750 Darawish ihre - u.a. von AMISOM und EUTM gestaltete - Ausbildung in Mogadischu abgeschlossen. Diese Kräfte sollen in neu gewonnenen Gebieten in Lower Shabelle stationiert werden (AMISOM 14.2.2020).
NISA (National Intelligence and Security Agency): Die Rolle des Staatsschutzes liegt in der Hand der NISA. Die exekutiven Vollmachten der NISA sind 2018 formal auf die Polizei übertragen worden. Trotzdem übt die NISA weiterhin eine aktive Rolle in der Terrorismusbekämpfung aus und führt - ohne rechtliches Mandat - weiterhin Razzien durch und nimmt Menschen fest (AA 2.4.2020, S.8f). Unter der Führung eines der engsten Vertrauten von Präsident Farmaajo entwickelt sich die NISA zunehmend zu einem Instrument der politischen Einflussnahme. Die Organisation der Ausbildung eines - eigentlich militärischen - Kontingents in Eritrea und der Einsatz der fertig ausgebildeten Kräfte in Gedo unterstreichen diese Entwicklung. Die Stärke der NISA wird mit ca. 1.500 Mann angegeben, weitere ca. 600 Mann stehen - wie erwähnt - in Gedo. Die Finanzierung der NISA erfolgt weitgehend durch Katar (BMLV 2.3.2021). Die Führung der NISA soll von al Shabaab infiltriert worden sein (BS 2020, S.7).
Puntland: Insgesamt beläuft sich die Stärke der Streit- und Sicherheitskräfte Puntlands (Darawish, Polizei, Puntland Maritim Police Force und andere) auf rund 10.000-12.000 Mann (BMLV
2.3.2021) . Die Spezialeinheit Puntland Security Force (PSF) dient als Anti-Terrorismuseinheit und besteht aus rund 600 Soldaten. Die PSF wird von den USA ausgebildet und unterstützt. Die Einheit unterliegt nur eingeschränkter ziviler Kontrolle und unterhält in Bossaso eigene Haftanstalten (UNSC 1.11.2019, S.38f/138f). Ausstehende Soldzahlungen sind nach wie vor ein wiederkehrendes Problem, das zwar punktuell zu Störungen des öffentlichen Lebens durch Straßenblockaden führen kann; diese Störungen dauern gewöhnlich aber nicht mehr als einige Stunden an (BMLV 2.3.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag
e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• AMISOM (2021b): AMISOM Police, https://amisom-au.org/mission-profile/amisom-police/ , Zugriff
8.2.2021
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• AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, https://reliefweb.int/report/somalia/progress-report-chairperson-commission-si tuation-somaliaamisom , Zugriff 23.2.2021
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Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Staatlichen Akteuren werden gravierende Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, militärische Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigungen, Entführung,
Folter, schwere Misshandlung von Kindern, Raub, Bestechung, Korruption und willkürlicher Waffengebrauch vorgeworfen oder diese wurden dokumentiert. Im Zeitraum von Dezember 2018 bis November 2019 wurden 117 Zivilisten zu Opfern (Tote und Verletzte) von Armee, Polizei, Sicherheitsbehörden der Bundesstaaten, NISA (National Intelligence and Security Agency) und AMISOM (AA 2.4.2020, S.8f). Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden jedoch nicht erhoben. Es kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherheitskräfte den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und bei Verstößen straffrei gehen (AA 2.4.2020, S.19).
Tötungen: Sicherheitskräfte der Regierung, alliierte Milizen und andere Personen, die Uniformen tragen; sowie regionale Sicherheitskräfte, al Shabaab und unbekannte Angreifer verüben willkürliche und ungesetzliche Tötungen. Bei bewaffneten Zusammenstößen werden Zivilisten getötet (USDOS 11.3.2020, S.2; vgl. BS 2020, S.18). Sporadisch kommt es auch bei friedlichen Demonstrationen zum Einsatz tödlicher Gewalt (HRW 14.1.2020). Berichten zufolge ist es Ende 2018 in Baardheere (Region Bay) zur extralegalen Tötung von sechs inhaftierten Angehörigen der al Shabaab gekommen. Diese wurden ohne (faires) Verfahren nach mehreren Monaten Haft von einem Erschießungskommando der somalischen Armee exekutiert (USDOS 11.3.2020, S.3).
Folter: Auch wenn Folter und unmenschliche Behandlung gesetzlich verboten sind, kommt es zu derartigen Vorfällen. Bundes- und Regionalbehörden setzen gegen Journalisten, Demonstranten und Häftlinge exzessiv Gewalt ein; dabei kam es in der Vergangenheit zu Todesopfern und Verletzten. NISA misshandelt Personen bei Verhören (USDOS 11.3.2020, S.4/12), es kommt dabei zu Folter (BS 2020, S.18). Verhaftete sind also dem Risiko ausgesetzt, gefoltert (FH 4.3.2020a, F3; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25) bzw. unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten und misshandelt zu werden (AA 2.4.2020, S.9). Vorwürfe gibt es mitunter auch gegen Angehörige der Spezialeinheit Haramcad. Solche haben z.B. am 19.2. einen Journalisten verhaftet und dann gefoltert (WQ 21.2.2021).
In Puntland gibt es einige Vorwürfe gegen die Puntland Security Force (PSF), wonach diese gegen Terrorismusverdächtige in Haft Folter anwendet (UNSC 1.11.2019, S.39/138f). Nach anderen Angaben sind diese Vorwürfe gegen die Puntland Intelligence Agency gerichtet (BS 2020, S.18).
Verhaftungen: NISA verhaftet Menschen und hält diese über längere Zeit ohne Anklage fest (USDOS 11.3.2020, S.4; vgl. AA 2.4.2020, S.8).
Rechenschaft: Die Armee hat mehrere Angehörige von Sicherheitskräften verhaftet, die o.g. Verbrechen beschuldigt werden (USDOS 11.3.2020, S.12). Ein Polizist wurde im Feber 2020 in Baidoa aufgrund einer Vergewaltigung zum Tode verurteilt und hingerichtet (UNSC 13.5.2020, Abs.58). Generell bleibt Straffreiheit aber die Norm (USDOS 11.3.2020, S.12; vgl. FH 4.3.2020a, F3; AA 2.4.2020, S.13). Dies gilt auch für willkürliches Vorgehen der Polizeikräfte. Die Opfer polizeilicher Willkür und Gewalt haben oft keine Möglichkeit, juristisch dagegen vorzugehen (AA
2.4.2020, S.9).
Al Shabaab: Die Gruppe verhängt und vollstreckt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle weiterhin unmenschliche und erniedrigende Strafen (z.B. Amputation, öffentliche Exekution) (USDOS
11.3.2020, S.3f; vgl. BS 2020, S.17). Dort ist auch von unmenschlicher Behandlung auszugehen, wenn Personen gegen die Interessen von al Shabaab handeln oder dessen verdächtigt werden (AA 2.4.2020, S.19).
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Korruption
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Korruption ist endemisch (BS 2020, S.17/36f; vgl. FH 4.3.2020a, C2). Die im Aufbau befindlichen staatlichen Institutionen sind von einem hohen Maß an Korruption, Amtsmissbrauch und Missmanagement geprägt (USDOS 11.3.2020, S.27f). Korruption und Clanpatronage ziehen sich durch alle Ebenen der Verwaltung (BS 2020, S.5). Zudem durchdringt Korruption alle Teile der Gesellschaft (LIFOS 9.4.2019, S.34). Für Politiker stehen persönliche und Claninteressen im Vordergrund (BS 2020, S.36). Kleptokratie, Korruption und Entscheidungsfindung nach Claninteressen verhindern, dass auch nur die wesentlichsten Regierungsinstitutionen unabhängig funktionieren. Richter werden regelmäßig korrupter Praktiken beschuldigt, und auch bei den Sicherheitskräften ist Korruption weit verbreitet (BS 2020, S.15ff). Somalia findet sich am Index von Transparency International 2020 zum wiederholten Male auf dem letzten Platz von 180 untersuchten Ländern (TI 2021, S.3).
Al Shabaab hebt in den von ihr kontrollierten Gebieten nicht vorhersagbare und hohe Zakat- und Sadaqa-Steuern ein. Außerdem werden humanitäre Hilfsgüter zweckentfremdet oder gestohlen (USDOS 11.3.2020, S.28).
Maßnahmen: Es gibt zwar ein Gesetz gegen Korruption in der Verwaltung, dieses wird aber nicht effektiv angewendet. Antikorruptionsbehörden sind nicht effektiv. Für öffentlich Bedienstete ist Straflosigkeit bei Korruption die Norm (USDOS 11.3.2020, S.27; vgl. BS 2020, S.17f/37; FH 4.3.2020a, C2). Immerhin setzte Präsident Farmaajo einige Schritte gegen Korruption (USDOS
11.3.2020, S.27). Mehrere hochrangige Angestellte des Gesundheitsministeriums wurden 2020 für Diebstahl und Fehlverwendung von Geldern zu Haftstrafen verurteilt (GN 15.2.2021). Zudem hat das Justizministerium gemeinsam mit UNDP ein Projekt auf den Weg gebracht, um die Korruptionsbekämpfung zu stärken (LIFOS 9.4.2019, S.35).
Quellen:
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
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• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff
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• TI - Transparency International (2021): Corruption Perceptions Index 2020, https://images.trans parencycdn.org/images/CPI2020_Report_EN_0802-WEB-1_2021-02-08-103053.pdf , Zugriff
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• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Schon Mitte der 1990er wurden in Somalia zahlreiche NGOs und auf Gemeinden fußende Organisationen gegründet. Viele arbeiten mittlerweile professionell (BS 2020, S.33). Im gesamten somalischen Kulturraum gibt es zahlreiche internationale Organisationen und NGOs, die sich um Belange vulnerabler Personen (u.a. IDPs, Frauen, Kinder und andere sozial benachteiligte Gruppen) kümmern (SEM 31.5.2017, S.43).
Lokale Gruppen der Zivilgesellschaft, internationale NGOs und UN-Agenturen können in Teilen des Landes eine breite Palette an Aktivitäten durchführen - allerdings unter schwierigen und oft auch gefährlichen Umständen (FH 4.3.2020a, E2). Aktiv sind derartige Gruppen und Organisationen vor allem in jenen Gebieten Süd-/Zentralsomalias sowie Puntlands, die sich nicht unter der Kontrolle der al Shabaab befinden. Sie untersuchen Vorfälle, veröffentlichen Ergebnisse (USDOS 11.3.2020, S.29) und werden ggf. politisch gebilligt und gefördert (AA 2.4.2020, S.7).
Die Regierung ist hinsichtlich der Ergebnisse einigermaßen kooperativ und reagiert auf deren Ansichten (USDOS 11.3.2020, S.29). Menschenrechtsorganisationen sehen sich trotzdem in aller Regel Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane, die auch auf eigene Faust und im eigenen Interesse agieren, ausgesetzt (AA 2.4.2020, S.7).
Außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete können diese Organisationen meist nicht arbeiten (AA 2.4.2020, S.7). Al Shabaab untersagt den meisten NGOs sowie allen UNAgenturen das Arbeiten auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle (HRW 14.1.2020; vgl. FH 4.3.2020a, E2).
Die Bewegungsfreiheit von Organisationen in Süd-/Zentralsomalia ist aufgrund von Sicherheitserwägungen eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.29; vgl. HRW 14.1.2020). Somalia ist weltweit eines der gefährlichsten Länder für humanitäre Kräfte (BS 2020, S.14), auf welche mitunter gezielte Angriffe durchgeführt werden. Unsicherheit (HRW 14.1.2020), Fahrzeugraub und bürokratische Hürden für humanitäre Organisationen stellen ernste Hindernisse dar (USDOS
11.3.2020, S.14). Im Zeitraum von Mai bis August 2020 waren humanitäre Organisationen von 76 sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffen. Neun ihrer Angestellten wurden dabei getötet, 17 entführt und elf in Haft genommen (UNSC 13.8.2020, Abs.68). In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es insgesamt 51 Zwischenfälle. Der Großteil davon ereignete sich in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 11.3.2020, S.14/21). Vor allem in der Region Gedo kommt es immer wieder zu Entführungen durch al Shabaab, die mit Geiseln Lösegeld lukrieren will (UNSC
1.11.2019, S.35).
Die Präsenz von UN-Agenturen und Organisationen ist in den vergangenen Jahren stark ausgebaut worden: Ende 2014 befanden sich 331 internationale und 951 nationale Angestellte der UN in Somalia (UNSC 23.1.2015, S.16), im Feber 2020 waren es 683 bzw. 1.308 (UNSC
13.2.2020, Abs.89). Büros befinden sich in Baidoa, Belet Weyne, Berbera, Bossaso, Dhob- ley, Dhusamareb, Doolow, Galkacyo, Garoowe, Hargeysa, Jowhar, Kismayo und Mogadischu. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde das internationale Personal vor Ort reduziert (UNSC
13.8.2020, Abs.95; vgl. UNSC 17.2.2021, Abs.89).
In Puntland können internationale und lokale NGOs generell ohne größere Einschränkungen arbeiten (USDOS 11.3.2020, S.29).
Quellen:
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Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
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• FH - Freedom House (4.3.2020a): Freedom in the World 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2035807.html , Zugriff 12.10.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
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• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf , Zugriff 26.3.2020
• UNSC - UN Security Council (23.1.2015): Report of the Secretary-General on Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/1235688/1226_1423052016_n1501704somal.pdf, Zugriff 11.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Ombudsmann
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die Verfassung sieht eine unabhängige Menschenrechtskommission sowie eine Wahrheits- und Versöhnungskommission vor. Beide Institutionen waren zum Jahresende 2019 noch nicht eingerichtet worden. Folglich gibt es seitens der Bundesregierung bislang keine Mechanismen, um Menschenrechtsvergehen aufzuklären (USDOS 11.3.2020, S.29). Die nationale Menschenrechtskommission wurde immer noch nicht eingerichtet (HRW 13.1.2021).
Die Effektivität des puntländischen Human Rights Defender Office bleibt aufgrund eingeschränkter Ressourcenlage und Unerfahrenheit eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.29).
Quellen:
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Somalia, https://www.ecoi.net/en/ document/2043509.html , Zugriff 28.1.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Wehrdienst und Rekrutierungen (durch den Staat und Dritte)
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die somalische Armee ist eine Freiwilligenarmee (BFA 8.2017, S.14). Es gibt keinen verpflichtenden Militärdienst. Allerdings rekrutieren Clans regelmäßig - und teils unter Androhung von Zwangsmaßnahmen für die Familie-junge Männer zum Dienst in einer Miliz, bei den staatlichen Sicherheitskräften oder bei der al Shabaab. Dadurch soll für den eigenen Clan oder Subclan Schutz erlangt werden (AA 2.4.2020, S.14).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
(Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten
Letzte Änderung: 30.03.2021
Kindersoldaten: Alle Konfliktparteien rekrutieren Kinder (BS 2020, S.19). Insgesamt werden Kinder häufiger von al Shabaab und teils auch von Clanmilizen rekrutiert, seltener durch die Regierung. Die Zahl an Kindersoldaten wurde 2019 auf mindestens 5.000 geschätzt (AA 2.4.2020,
S.14) . Im Jahr 2019 gab es immer wieder Berichte über den Einsatz von Kindersoldaten durch die Armee, alliierte Milizen, die Sufi-Miliz Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) und al Shabaab (USDOS
11.3.2020, S.12f; vgl. AA 2.4.2020, S.14). Im ersten Halbjahr 2020 sind insgesamt 535 Kinder rekrutiert worden, mehr als 400 davon durch al Shabaab (UNSC 28.9.2020, Abs.137). Im Jahr 2019 wurde die Rekrutierung und der Einsatz von 1.495 Kindern verzeichnet (USDOS 11.3.2020, S.12f; vgl. AA 2.4.2020, S.14), davon 1.169 durch al Shabaab (UNSC 28.9.2020, Abs.138). 2018 waren es noch 2.300 gewesen (UNSC 28.9.2020, Abs.138; vgl. AA 2.4.2020, S.14). Die Regierung versucht der Rekrutierung von Kindern durch die Armee mit Ausbildungs- und Screening-Programmen entgegenzuwirken. Dass es keine Geburtenregistrierung gibt, macht diese Arbeit schwierig (USDOS 11.3.2020, S.12f).
Beim Konflikt in der äthiopischen Region Tigray sind auch somalische Rekruten eingesetzt worden, die sich in Eritrea zur Ausbildung befunden haben. Nach Angaben betroffener Eltern sind die Jungmänner unter Vorspiegelung falscher Aussichten in die somalische Armee und damit in den Krieg gelockt worden (HIPS 2021, S.27).
Kindersoldaten - al Shabaab: Al Shabaab entführt auch weiterhin Kinder, um diese zu rekrutieren. Betroffen sind in erster Linie ländliche, von al Shabaab kontrollierte Gebiete der Region Bay aber auch Middle Shabelle und Bakool (UNSC 1.11.2019, S.37). Allerdings ist die Zahl an derartigen Rekrutierungen seit 2019 rückläufig. Anfang 2020 betraf eine Rekrutierungskampagne die Regionen Bay, Bakool und Lower Shabelle (UNSC 28.9.2020, Abs.138f).
Al Shabaab hat Kinder teils mit aggressiven und gewaltsamen Methoden rekrutiert (BS 2020, S.19; vgl. HRW 14.1.2020). Es wird davon ausgegangen, dass al Shabaab Kinder von Minderheitengruppen systematisch entführt, um sie in die eigene Armee zu integrieren (BS 2020, S.19). Die Gruppe führt zu diesem Zweck Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 11.3.2020, S.13). Außerdem indoktriniert und rekrutiert al Shabaab Kinder gezielt in Koranschulen und Moscheen (USDOS 11.3.2020, S.13; vgl. ÖB 3.2020, S.5). Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS
11.3.2020, S.13). Es wird mitunter auch Gewalt angewendet, um von Gemeinden und Ältesten junge Rekruten zu erpressen (BS 2020, S.19). An Gemeinden, die sich einer Herausgabe von Kindern verweigern, wird Vergeltung geübt (HRW 14.1.2020).
In Lagern werden Kinder einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder werden gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren. Al Shabaab zwingt Kinder, an Kampfhandlungen teilzunehmen; sie setzt diese auch für Selbstmordanschläge ein (USDOS 11.3.2020, S.13).
Manchmal werden Kinder aus den Händen der al Shabaab befreit, so etwa durch Sicherheitskräfte im August 2020, als 33 Buben aus einer Madrassa in Kurtunwareey (Lower Shabelle) befreit wurden. Alle Kinder wurden mit ihren Eltern wiedervereint (UNSC 13.11.2020, Abs.46). Im Jahr 2019 wurden mehr als 1.000 Kinder an UNICEF übergeben (UNSC 13.2.2020, Abs.56).
(Zwangs-)Rekrutierung: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB 3.2020, S.5). Dabei versucht die Gruppe junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können trotz fehlenden religiösem Verständnis auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner der al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020, S.17; vgl. Khalil 1.2019, S.33). Bei manchen spielt auch Abenteuerlust eine Rolle (Khalil 1.2019, S.33). Jugendliche selbst geben an, dass der Hauptgrund zum Beitritt zu al Shabaab oder zur Armee das Einkommen ist (DI 6.2019, S.22f). Mindestens 50% schließen sich al Shabaab aus ökonomischen Gründen an (ÖB 3.2020, S.5). Dies betrifft insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019a, S.4). Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen der al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil 1.2019, S.16). Im Übrigen ist auch die Loyalität von al Shabaab ein Anreiz. Während die Regierung kriegsversehrten Soldaten keinerlei Unterstützung zukommen lässt, sorgt al Shabaab sogar für die Hinterbliebenen gefallener Kämpfer (FIS 7.8.2020, S.17).
Auch Abenteuerlust spielt eine große Rolle. Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans (Khalil 1.2019, S.14f). Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die
Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS
5.10.2018, S.34). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 11.3.2020, S.34).
Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen (FIS 7.8.2020, S.18; vgl. ICG 27.6.2019, S.2). Knapp ein Drittel der in einer Studie befragten al Shabaab-Deserteure gab an, dass bei ihrer Rekrutierung Drohungen eine Rolle gespielt haben. Dies kann freilich insofern übertrieben sein, als Deserteure dazu neigen, die eigene Verantwortung für begangene Taten dadurch zu minimieren (Khalil 1.2019,
S.14) . Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch die al Shaba- ab (BMLV 2.3.2021; vgl. FIS 7.8.2020, S.17f). Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV
25.2.2021) .
Verweigerung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer (BFA 8.2017, S.52), denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden (DIS 3.2017,
S.20) . Entweder der Clan oder das Individuum zahlt oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens. Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus der al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BFA 8.2017, S.54f).
Es besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht (DIS 3.2017, S.21). Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BFA 8.2017, S.54f). Stellt eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen der al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es mitunter zu Gewalt - so etwa geschehen im Gebiet Toosweyne westlich von Baidoa. Dort wurden Ende 2019 und Anfang 2020 mehrere Gemeindeführer von al Shabaab in Haft genommen, weil sich die Bevölkerung weigerte, 100 Buben und 200.000 US-Dollar abzuführen. Tausende Familien sind in der Folge aus dem Gebiet geflüchtet. Im Bezirk Xudur (Bakool) hat al Shabaab Gemeinden Enteignung und Deportation angedroht. Die Gemeinden wehrten sich mit ihrer Miliz, die 2020 in mehrere Kampfhandlungen mit al Shabaab verwickelt wurde. Im Juli 2020 entführte al Shabaab in Reaktion 60 Personen, danach wurde ein Waffenstillstand ausverhandelt (UNSC
28.9.2020, Annex 7.2).
Frauen: In den Führungsgremien und Kampfkräften von al Shabaab finden sich keine Frauen. Deren Rolle reicht von jener der einfachen Ehefrau bis hin zu Rekrutierung, Missionierung, Spionage, Waffenschmuggel und Spendensammlung (ICG 27.6.2019, S.7f). Frauen, die mit Soldaten oder AMISOM Kleinhandel treiben, werden als Spione und Informationsbeschafferinnen rekrutiert (ICG 27.6.2019, S.12).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-im proved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff 14.12.2020
• DIS - Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (3.2017): South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016, https://flygtning.dk/media/3189161/south-and-central-s omalia-report-march-2017.pdf , Zugriff 2.2.2021
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Fin ding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f69 44b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.12.2020
• Khalil - Khalil, James / Brown, Rory/ et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019): Deradicalisation and Disengagement in Somalia. Evidence from a Rehabilitation Programme for Former Members of Al-Shabaab, https://rusi.org/sites/default/files/20190104_whr _4-18_deradicalisation_and_disengagement_in_somalia_web.pdf , Zugriff 2.2.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• SIDRA - Somali Institute for Development Research and Analysis (6.2019a): The Idle Youth Labor Force in Somalia: A blow to the Country’s GDP, https://sidrainstitute.org/2019/06/30/the-idle-youth -labor-force-in-somalia-a-blow-to-the-countrys-gdp/, Zugriff 8.10.2020
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (28.9.2020): Letter dated 28 September 2020 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Final report of the Panel of Experts on Somalia [S/2020/949], https://www.ecoi.net/en/file/local/2039997/S_2020_949_E.pdf , Zugriff 2.2.2021
• UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf , Zugriff 26.3.2020
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Deserteure und ehemalige Kämpfer von al Shabaab
Letzte Änderung: 30.03.2021
Allgemein geben Deserteure für das Verlassen der al Shabaab folgende Gründe an: inadäquate Bezahlung, familiäre Verpflichtungen, schlechte Lebensbedingungen, Risiko für Leib und Leben (Khalil 1.2019, S.33/16f). Mit letzterem ist nicht bloß die Gefahr von Kampfhandlungen gemeint, sondern auch die von al Shabaab angewandte Bestrafung bei (vermeintlichen) Regelbrüchen (Khalil 1.2019, S.16f). Generell stellt die Desertion eines Einzelnen für al Shabaab ein kleineres Problem dar, als der Seitenwechsel ganzer Clans und der zugehörigen Milizen, z.B. als AbgaalSubclans sich in Galgaduud derAhlu Sunna Wal Jama’a zuwandten, oder als Hawadle-Subclans der al Shabaab in Hiiraan die Miliz Macawiisley entgegenstellten (SEMG 9.11.2018, S.27).
Verfolgung: Generell gestattet al Shabaab keinen Austritt (FIS 7.8.2020, S.8). Allerdings sind nicht alle ehemaligen Kämpfer der al Shabaab Deserteure. Es gibt Beispiele, wo Angehörige die Entlassung eines Familienmitglieds durch die al Shabaab erwirken konnten. Oft gleicht eine Desertion jedoch einer Flucht - mit entsprechender Angst vor Vergeltungsmaßnahmen seitens al Shabaab. Manche Deserteure warten Monate oder sogar Jahre, bevor sich ihnen eine Gelegenheit zur Flucht bietet (Khalil 1.2019, S.17f).
In manchen Fällen kann ein Deserteur bei seinem eigenen Clan Schutz finden (FIS 7.8.2020, S.8). Al Shabaab ist aufgrund eines Systems von Informanten in der Lage, Deserteure nahezu im gesamten Land aufzuspüren. Die Gruppe nutzt dafür unter anderem Clannetzwerke. In Mogadischu sind Deserteure nicht sicher. Ob sie jedoch zum Ziel werden oder nicht, hängt auch von ihrer früheren Rolle bei al Shabaab ab (ÖB 3.2020, S.6f). Ein Deserteur befindet sich dann in einer gefährlichen Situation, wenn al Shabaab ihn aufspüren konnte (FIS 7.8.2020, S.8). Es gibt Berichte, wonach Deserteure von al Shabaab als Abtrünnige (murtadd) verfolgt und teilweise exekutiert werden (ÖB 3.2020, S.6). Dies gilt insbesondere für Deserteure mittleren Ranges. Doch auch einfache Mannschaftsgrade können zum Ziel werden (BFA 8.2017, S.43f; vgl. ÖB
3.2020, S.6, FIS 7.8.2020, S.8).
Allerdings gibt es kaum bekannte Beispiele für getötete Deserteure (BMLV 2.3.2021; vgl. FIS
7.8.2020, S.8). Überhaupt gibt es keine konkreten Zahlen bzw. Berichte zu Tötungen von Deserteuren (ÖB 3.2020, S.6). Interessanterweise sind auch die vorhandenen Rehabilitationszentren für ehemalige Angehörige der al Shabaab nie zum Angriffsziel geworden [siehe unten] (NLMBZ
3.2019, S.12f; vgl. BFA 8.2017, S.45ff). Inwiefern al Shabaab also tatsächlich Energie in das Aufspüren und Töten von desertierten Fußsoldaten investieren will, ist unklar. Insgesamt besteht in einigen Fällen offenbar auch die Möglichkeit, dass sich ein Deserteur mit der al Shabaab verständigt - etwa durch die Zahlung von Geldbeträgen (BFA 8.2017, S.43ff; vgl. ÖB 3.2020,
S.6) .
Deserteure in Somaliland und Puntland gelten grundsätzlich nicht als gefährdet. Deserteure aus Süd- oder Zentralsomalia befinden sich jedoch in Somaliland in einer schwierigen Lage, da sie nicht wissen, wem sie vertrauen können oder wer al Shabaab nahe steht (ÖB 3.2020, S.6f).
Amnestie: Präsident Farmaajo hat zwar eine Amnestie für Angehörige der al Shabaab ausgesprochen, welche sich freiwillig ergeben. Allerdings ist diese Amnestie nur mündlich ausgesprochen worden. Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür. Trotzdem geben Deserteure an, dass die Aussicht auf eine Amnestie ein maßgeblicher Faktor für ihre Desertion war (Khalil 1.2019,
S.17) .
Rehabilitation/Reintegration: Die somalische Regierung betreibt mehrere Rehabilitationszentren für ehemalige Angehörige der al Shabaab (NLMBZ 3.2020, S.27f). Dies sind in erster Linie Zentren in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (UNSC 13.8.2020, Abs.82). Im Dezember 2021 befanden sich in diesen Zentren 302 Männer und 183 Frauen, 62 Frauen und 35 Männer konnten im gleichen Monat als rehabilitiert entlassen werden (UNSC 17.2.2021, Abs.77). Alleine im Zeitraum August-Oktober 2020 durchliefen 248 Männer und 226 Frauen die Rehabilitationsprogramme an den fünf Rehabilitationszentren (zwei für Frauen, drei für Männer). Frauen erhalten dort auch handwerkliche Ausbildung (UNSC 13.11.2020, Abs.75). IOM unterstützt in Baidoa ein Projekt zur Demobilisierung und Reintegration von männlichen und weiblichen „disengaged combatants" der al Shabaab. Dabei wird die Grundversorgung gesichert, Zugang zu Berufsausbildung ermöglicht und Mediationsarbeit zur langfristigen Reintegration geleistet. Nach der Ausbildung wird Geld zur Verfügung gestellt, um gegebenenfalls ein Unternehmen gründen zu können (ÖB 3.2020, S.6). Immer wieder werden Rehabilitierte in die Zivilgesellschaft entlassen (UNSC 13.5.2020, Abs.77).
Für Minderjährige (unter 18 Jahre) gibt es eigene Zentren (NLMBZ 3.2020, S.27f). Über Reintegrationsprogramme werden knapp 1.000 minderjährige ehemalige Kombattanten unterstützt (UNSC 13.8.2020, Abs.56). U.a. werden bei von UNICEF unterstützten Reintegrationsprojekten für ehemalige Kindersoldaten Minderjährige in ihren Gemeinden resozialisiert. Sie erhalten außerdem Zugang zu einer Ausbildung (ÖB 3.2020, S.6). Alleine in den ersten vier Monaten 2020 wurden an UNICEF 1.283 Kinder (699 Buben, 314 Mädchen) zur Rehabilitation übergeben. Diese waren zuvor bei den Sicherheitskräften oder bewaffneten Gruppen aktiv (UNSC 13.5.2020, Abs.53).
Reintegration - Beispiel Serendi Rehabilitation Centre (SRC), Mogadischu: Das SRC steht jenen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab offen, die als „low-risk" eingestuft wurden (Khalil
1.2019, S.vii). Als „low-risk" wird von der NISA herausgefiltert, wer al Shabaab freiwillig verlassen hat; wer sich gegen die Ideologie der Gruppe ausspricht; und wer nicht als künftiges Risiko für die öffentliche Sicherheit erachtet wird (Khalil 1.2019, S.19/2; vgl. BBC 23.11.2020). Trotzdem gibt es in Rehabilitationszentren auch Agenten von al Shabaab (BBC 23.11.2020).
DieAufenthaltsdauer im SRC beträgt 6-12 Monate (Khalil 1.2019, S.19).Am SRC erhalten die Bewohner neben psycho-sozialer Unterstützung auch eine schulische und eine Berufsausbildung (Khalil 1.2019, S.23/12). Ein Rehabilitierter erzählt, dass er nun Schulbusfahrer ist, ein anderer ist Friseur. Im Zentrum gibt es z.B. auch Ausbildung in Mechanik, Schweißen, IT, Basisbildung und Englisch (BBC 23.11.2020). Das SRC unterstützt die Bewohner bei der Wiederherstellung des Kontakts zu Familie und Clan (Khalil 1.2019, S.24). Spätestens im Zuge der Reintegration in Mogadischu wenden sich viele aus dem SRC Entlassene an (teils entfernte) Verwandte. In vielen Fällen konnten positive Beziehungen zur Familie wieder hergestellt werden, die meisten wurden von ihrer Kernfamilie wieder aufgenommen (Khalil 1.2019, S.27f).
Nach der Entlassung aus dem SRC stellt gesellschaftliche Diskriminierung kaum ein relevantes Problem für ehemalige Angehörige der al Shabaab dar, wohl auch, weil es vielen gelingt, ihre Vergangenheit zu verschweigen (Kahlil 1.2019, S.29/34). Viele der Deserteure stammen zwar aus Mogadischu (Kahlil 1.2019, S.3), die Mehrheit jedoch aus Lower Shabelle, Middle Juba, Hiiraan oder Galgaduud (Kahlil 1.2019, S.3/27). Trotzdem entscheiden sich viele für eine Reintegration in Mogadischu - mitunter, weil dort relative Anonymität herrscht (Khalil 1.2019, S.29/27).
Bereits entlassene rehabilitierte ehemalige Angehörige von al Shabaab bleiben auch in Mogadischu und versuchen, dort in der Masse unerkannt zu bleiben (BBC 23.11.2020). Viele der aus dem SRC Entlassenen sind aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht in ihre eigentliche Heimat zurückgekehrt. Einige von ihnen meiden auch in Mogadischu bestimmte Stadtgebiete, da sie Angst haben, dort als ehemalige Angehörige der al Shabaab identifiziert zu werden. Insgesamt äußern aus dem SRC Entlassene häufig Sicherheitsbedenken bezüglich al Shabaab - natürlich besteht eine latente Bedrohung, von ehemaligen Kameraden erkannt zu werden. Allerdings ist nur in einem Fall auch tatsächlich eine Drohung (über SMS) ausgesprochen worden (Khalil
1.2019, S.27f). Schon in ihrer Zeit im halb-offenen SRC haben Deserteure am Wochenende Ausgang, und fast alle nehmen diesen auch in Anspruch (Khalil 1.2019, S.22).
Quellen:
• BBC - BBC News (23.11.2020): Life after al-Shabab: Driving a school bus instead of an armed pickuptruck, https://www.bbc.co.uk/news/stories-55016792 , Zugriff 2.12.2020
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• Khalil - Khalil, James / Brown, Rory/ et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019): Deradicalisation and Disengagement in Somalia. Evidence from a Rehabilitation
Programme for Former Members of Al-Shabaab, https://rusi.org/sites/default/files/20190104_whr _4-18_deradicalisation_and_disengagement_in_somalia_web.pdf , Zugriff 2.2.2021
• NLMBZ-Ministerievon Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020): AlgemeenAmbtsberichtSoma- lie, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Somalie+maart+2020.pdf , Zugriff 18.12.2020
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information
Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), https://www.ecoi.net/en/file/local/1452043/1226_1542897099_n1830165.pdf , Zugriff 2.2.2021
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert, wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 2.4.2020, S.18).
Trotzdem werden Zivil- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Alle politischen Akteure, die um politische und ökonomische Macht streiten, waren in den vergangenen Jahren in schwere Menschenrechtsvergehen involviert (BS 2020, S.18). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: Tötung von Zivilisten durch al Shabaab, Kräfte der somalischen Bundesregierung, Clanmilizen und unbekannte Angreifer; Entführungen durch al Shabaab; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung;
harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen; Gewalt gegen Frauen und Mädchen (USDOS 11.3.2020, S.1f; vgl. BS 2020, S.34). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen verantwortlich (UNSC 1.11.2019, S.5; vgl. USDOS
11.3.2020, S.2).
Extralegale Tötungen stellen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Allerdings wäre in solchen Fällen aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems in der Regel von Straflosigkeit auszugehen (AA 2.4.2020, S.20). In Süd-/Zentralsomalia werden extralegale Tötungen in der Regel von der al Shabaab in von ihr kontrollierten Gebieten durchgeführt, zunehmend auch in Form von gezielten Attentaten in Gebieten unter staatlicher Kontrolle (AA 2.4.2020, S.13).
Bei Kämpfen unter Beteiligung von AMISOM, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten (USDOS 11.3.2020, S.1f/11f; vgl. ÖB 3.2020, S.2) und anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (ÖB
3.2020, S.2). Im Jahr 2019 wurden mehr als 1.150 Kinder entführt, 481 verletzt und 222 getötet (USDOS 11.3.2020, S.11f). Im Zeitraum 5.11.2020 bis 9.2.2021 kamen landesweit 363 Zivilisten bei Kämpfen oder Anschlägen ums Leben oder wurden verletzt. Für 144 Opfer trug dabei al Shabaab die Verantwortung (UNSC 17.2.2021, Abs.44). Im Zeitraum 5.8.2020 bis 4.11.2020 waren es vergleichsweise 257 Opfer gewesen, davon 163 durch al Shabaab zu verantworten (UNSC 13.11.2020, Abs.39).
Es liegen keine Berichte vor, wonach Behörden für Entführungen oder Verschwindenlassen verantwortlich wären (USDOS 11.3.2020, S.3; vgl. AA2.4.2020, S.20). Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch alle Konfliktparteien (USDOS 11.3.2020, S.6f). Die Regierung verhaftet dabei meist Personen, die verdächtigt werden, al Shabaab anzugehören (UNSC 13.5.2020, Abs.47).
Hinsichtlich von staatlichen Sicherheitskräften begangener sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt konnte im Jahr 2019 eine Reduktion gemeldeter Fälle verzeichnet werden (USDOS 11.3.2020, S.11). Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung ergreift nur minimale Schritte, um öffentlich Bedienstete - vor allem Sicherheitskräfte - strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 11.3.2020, S.2).
Generell begeht al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Menschenrechtsverletzungen (BS 2020, S.18). Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 11.3.2020, S.2; vgl. HRW 14.1.2020). Al Shabaab verhängt in Gebieten Bestrafungen wie Amputationen und Exekutionen (BS 2020, S.17). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit Regierung, internationalen Organisation oder westlichen Hilfsorganisation vorgeworfen wird (AA 2.4.2020, S.13; vgl. USDOS 11.3.2020, S.3). Frauen werden für die Missachtung strenger Kleidungsvorschriften geschlagen (BS 2020, S.19). Mitunter kommt es bei al Shabaab auch zu Zwangsarbeit (USDOS 11.3.2020, S.38).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Gesetze und Verfassung sehen Meinungs- und Pressefreiheit vor (USDOS 11.3.2020, S.15; vgl. BS 2020, S.14; FH 4.3.2020a, D1; AI 13.2.2020, S.17), allerdings halten sich weder die Bundes- noch regionale Regierungen daran (USDOS 11.3.2020, S.15). Die Meinungsfreiheit unterliegt in Somalia schweren Einschränkungen (BS 2020, S.14). Nach anderen Angaben ist sie zumindest in Gebieten unter Kontrolle der Regierung weitgehend gegeben und wird durch die sehr weit verbreiteten sozialen Medien auch intensiv wahrgenommen (AA 2.4.2020, S.11). Demnach gibt es in den sichereren Gebieten des Landes ein gewisses Maß an Meinungsfreiheit. Allerdings können Personen, welche sich kritisch über Mächtige in Staat und Gesellschaft äußern, Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sein (FH 4.3.2020a, D4). Ein im August 2020 neu in Kraft getretenes Mediengesetz wird von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. In diesem Gesetz sind u.a. mehrere, ungenau definierte Verbote enthalten, welche Journalisten zur Selbstzensur zwingen (AI 5.10.2020).
Medienvereinigungen setzen sich für die Rechte der Medien, Meinungsfreiheit und Qualität im Journalismus ein (BS 2020, S.14). Die National Union of Somali Journalists beobachtet die Lage der Medien und berichtet über Übergriffe gegenüber Medien und Journalisten. Ein Bericht zu allen 2019 verzeichneten Vorfällen findet sich auf der Homepage der Organisation (NUSOJ o.D.).
In Somalia wurden zahlreiche regionale Medien etabliert, darunter Zeitungen, Fernseh- und Radiosender sowie Onlinemedien (BS 2020, S.14). In Print- und v. a. Online-Publikationen spiegelt sich die Meinungsvielfalt in Mogadischu wider (AA 2.4.2020, S.11). Unabhängige Medien verbreiten eine große Anzahl unterschiedlicher Meinungen; allerdings ist aufgrund der Erfahrung mit willkürlichen Verhaftungen und anderen Folgen Selbstzensur üblich, was die Kritik an der Regierung betrifft (USDOS 11.3.2020, S.16f).
Mobiles Internet ist in weiten Teilen des Landes ohne Zugangseinschränkung verfügbar (AA
2.4.2020, S.11). Nach anderen Angaben schränkt die Regierung den Zugang zum Internet ein. Es gibt aber keine Berichte hinsichtlich widerrechtlicher Überwachung privater Kommunikation (USDOS 11.3.2020, S.18). Die Verwendung von Sozialen Medien in Somalia hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Eine signifikante Zahl an Menschen in der Diaspora sowie Junge und Urbane in Somalia sind mit dem Internet und mit sozialen Medien verbunden (AI 13.2.2020,
S.12) .
Journalisten sehen sich regelmäßig Einfluss- oder sogar Zwangsmaßnahmen durch staatliche Stellen ausgesetzt (AA 2.4.2020, S.11). Kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft oder in Medien werden oft bedroht und zum Schweigen gebracht (BS 2020, S.38). Zudem manipuliert die Regierung Medien durch Bestechung und durch Drohungen. Einerseits fördert die Bestechung von Medienbesitzern und Redakteuren die Selbstzensur (AI 13.2.2020, S.13/39ff; vgl. LI 8.3.2016, S.7).
Am World Press Freedom Index 2020 von Reporter ohne Grenzen rangiert Somalia auf Platz 163 von 180 bewerteten Ländern (RSF 3.7.2020). Die Bundesregierung, Regierungen von Bundesstaaten, affiliierte Milizen, ASWJ, al Shabaab und andere Akteure töten, misshandeln und belästigen Journalisten (USDOS 11.3.2020, S.15; vgl. AI 13.2.2020, S.24). In Süd-/Zentralso- malia waren in den Jahren 2018 und 2019 mindestens 14 Journalisten physischen Übergriffen ausgesetzt (AI 13.2.2020, S.26). Journalisten werden nicht nur in von al Shabaab kontrollierten Gebieten, sondern auch außerhalb dieser immer wieder von Angehörigen der al Shabaab und anderen Auftraggebern ermordet (AA 2.4.2020, S.11; vgl. BS 2020, S.15). Laut dem Komitee zum Schutz von Journalisten wurden zwischen 2012 und 2018 30 Journalisten getötet (AA
2.4.2020, S.12). In den Jahren 2019 und 2020 wurden jeweils zwei Journalisten getötet (AI
13.2.2020, S.19; HIPS 2021, S.26). Angriffe auf oder Morde an Journalisten werden nur selten untersucht (HRW 14.1.2020; vgl. AI 13.2.2020, S.12/19). Im März 2019 wurden allerdings zwei Soldaten verhaftet, welche zwei Reporter bedroht und misshandelt haben sollen. Ein weiterer Angehöriger der Sicherheitskräfte wurde im Juni 2019 wegen physischer Übergriffe gegen einen Journalisten angeklagt (USDOS 11.3.2020, S.17).
Journalisten arbeiten in Somalia generell in einer feindseligen Umgebung. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen, zu Drangsalierung, zur Verhängung von Geldbußen und auch zur Ausübung von Gewalt; Täter sind sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure (FH 4.3.2020a, D1; vgl. BS 2020, S.14). Bundes- und Regionalbehörden verhaften Journalisten und andere Personen, die sich über die Behörden kritisch äußern. In Mogadischu hat sich die Zahl an diesbezüglichen Verhaftungen und Belästigungen seit der Wahl von Präsident Farmaajo deutlich verringert (USDOS 11.3.2020, S.7/10). Gemäß einer anderen Quelle ist dies nicht der Fall (AI
13.2.2020) . Dabei kommt es mitunter auch zur Verhaftung von Journalisten, die sich weigern, Bestechungsgelder des Präsidenten anzunehmen (AQ3 5.2020).
2020 sind landesweit 56 Journalisten verhaftet und fünf Medienanstalten geschlossen worden (HIPS 2021, S.26). Schon im Jahr 2019 wurden neun Medienhäuser - zum Teil temporär - geschlossen (AA 2.4.2020, S.11). Aus dem Jahr 2019 sind laut einer Quelle 25 Fälle von willkürlichen Verhaftungen oder überlanger Haft von und für Journalisten und Mitarbeiter von Medien bekannt (USDOS 11.3.2020, S.16), eine weitere Quelle berichtet von 43 Festnahmen im Jahr 2019. 41 sind später wieder freigelassen worden (AA 2.4.2020, S.12).
Al Shabaab verbietet den Menschen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle das Hören internationaler Medien (USDOS 11.3.2020, S.18). Generell ist die Meinungsfreiheit in ihren Gebieten massiv eingeschränkt (FH 4.3.2020a, D4), unabhängige Medien sind verboten. Al Shabaab betreibt eigene Radiosender, welche v.a. religiöse Inhalte und politische Propaganda verbreiten (BS 2020, S.15). Al Shabaab verbietet Telekommunikationsunternehmen Zugang zum Internet anzubieten. Die Unternehmen wurden gezwungen, ihre Datendienste einzustellen (USDOS
11.3.2020, S.18), es gibt dort kein Internet (FIS 7.8.2020, S.18).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• AI - Amnesty International / Committee to Protect Journalists / Human Rights Watch (5.10.2020): Re: Concerns and recommendations on Somalia's new media law, https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2038685/AFR5231642020ENGLISH.PDF , Zugriff 9.10.2020
• AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024685/A FR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020
• AQ3 - Anonyme Quelle 3 (5.2020): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020a): Freedom in the World 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2035807.html , Zugriff 12.10.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• LI - Landinfo [Norwegen] (8.3.2016): Somalia - Media and Journalism, https://landinfo.no/asset/35 68/1/3568_1.pdf, Zugriff 12.7.2019
• NUSOJ - National Union of Somali Journalists (o.D.): About us, http://www.nusoj.org/about-us/ , Zugriff 9.12.2020
• RSF - Reporters Sans Frontieres (3.7.2020): Somalia: Already 20 journalists arrested in the first half of 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032832.html , Zugriff 9.10.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Gesetzlich werden grundsätzlich Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährt, erstere wird von der somalischen Regierung aber eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.19f; vgl. AA 2.4.2020, S.11; BS 2020, S.14). Für eine Demonstration oder eine öffentliche Versammlung ist die Genehmigung des Innenministeriums notwendig (USDOS 11.3.2020, S.19; vgl. FH 4.3.2020a, E1). Die Regierung macht bei sicherheitsrelevanten Themen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geltend (AA2.4.2020, S.11). Aufgrund der Sicherheitslage bleibt die Versammlungsfreiheit daher in vielen Gebieten effektiv eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.19; vgl. BS 2020, S.14). Trotzdem kommt es in urbanen Zentren zu Versammlungen und Demonstrationen (FH 4.3.2020a, E1), wie etwa am 2.1.2020 gegen Gewalt durch al Shabaab (UNSC 13.2.2020, Abs.19).
Dabei bekräftigt die Regierung regelmäßig ihren Willen, diese Rechte auch zu gewährleisten. Hinsichtlich der Versammlungsfreiheit ist jedoch in staatlich kontrollierten Gebieten nie genau absehbar, wie die lokalen Sicherheitskräfte reagieren. Generell sind Handfeuerwaffen weitverbreitet, eine blutige Eskalation kann nie ausgeschlossen werden (AA 2.4.2020, S.11). In allen Teilen Somalias kommt es regelmäßig zu Gewaltanwendung bei Protesten (HRW 14.1.2020). Die Regierung geht mit Sicherheitskräften gegen Demonstranten vor (AA 2.4.2020, S.11). Es kommt manchmal zu exzessiver Gewaltanwendung gegen Demonstranten durch regionale und föderale Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020, S.19). Immer wieder setzen Sicherheitskräfte dabei auch scharfe Munition ein (Sahan 16.2.2021a), so etwa die von der Türkei ausgebildete Spezialeinheit Gorgor gegen demonstrierende Zivilisten in Mogadischu im Feber 2021, als mehrere Menschen getötet wurden (AN 22.2.2021); oder zuvor am 15. und am 25.12.2020 bei Demonstrationen der Opposition (ein Todesopfer) (UNSC 17.2.2021, Abs.4).
Aufgrund des meist informellen Charakters politischer Gruppen und der Schwäche von Gewerkschaften kann zur Vereinigungsfreiheit keine Aussage gemacht werden (AA 2.4.2020, S.11). Personen außerhalb der von al Shabaab kontrollierten Gebiete können Organisationen der Zivilgesellschaft ungehindert beitreten (USDOS 11.3.2020, S.20).
In von der al Shabaab kontrollierten Gebieten bestehen weder Versammlungs- noch Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020, S.19f; vgl. AA 2.4.2020, S.11; BS 2020, S.14). Die meisten internationalen Organisationen dürfen dort nicht tätig werden (USDOS 11.3.2020, S.20).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• AN - Ahval News (22.2.2021): Turkish-trained special forces take Somalia back to days of civil war, https://ahvalnews.com/turkey-somalia/turkish-trained-special-forces-take-somalia-back-days-civil -war, Zugriff 22.2.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020a): Freedom in the World 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2035807.html , Zugriff 12.10.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• Sahan - Sahan / Matt Bryden (16.2.2021a): Editor’s Pick - Somalis have right to peaceful protest, in: The Somali Wire Issue No. 83, per e-Mail
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf , Zugriff 26.3.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Opposition, Parteien
Letzte Änderung: 30.03.2021
Im September 2016 unterzeichnete der Präsident ein Parteiengesetz - der erste juristische Rahmen für legale politische Parteien seit dem Jahr 1969. Alle Politiker sollten demnach bis Ende 2018 einer Partei beitreten (USDOS 11.3.2020, S.25). 2020 waren bereits 90 Parteien bei der National Independent Election Commission registriert (CMI 7.2020, S.3). Es handelt sich aber um keine Parteien im westlichen Sinn. Sie weisen mehrheitlich keine erkennbaren inhaltlich-programmatischen Konzepte auf. Trotz vorgesehener Mechanismen, die eine breite geografische Repräsentanz in den Parteien sicherstellen sollen, manifestiert sich das Clansystem auch in den neuen Parteien. Schon bisher orientierten sich politische Loyalitäten in erster Linie an Clanzugehörigkeit oder an religiöser Bindung an informelle Gruppierungen (AA
2.4.2020, S.6).
Die puntländische Verfassung beschränkt die Anzahl der politischen Parteien auf drei. Hinsichtlich des politischen Programms, der Finanzgebarung und der Satzungen gibt es Auflagen (USDOS 11.3.2020, S.26).
Oppositionelle Arbeit ist in den von der Regierung kontrollierten Gebieten grundsätzlich möglich. Aufgrund manchmal unklarer Machtverhältnisse ist es jedoch unmöglich, sicher festzustellen, ob Gegner und Kritiker der Regierung im Einzelfall von staatlichen oder quasi-staatlichen Akteuren oder aber Dritten behindert oder gewaltsam angegriffen werden (AA 2.4.2020, S.10). Politische Konflikte neigen dazu, zu eskalieren - bis hin zur Anwendung von Gewalt (BS 2020, S.38). Opponenten führender politischer Persönlichkeiten - sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene - werden häufig eingeschüchtert und manchmal auch ermordet (BS 2020, S.14) oder angegriffen, Veranstaltungen der Opposition wurden fallweise gesprengt (Sahan 16.2.2021a). Im September 2019 wurden in Baidoa mehrere Personen und ein Journalist verhaftet, als sie bei einer Veranstaltung offen die Regierung kritisierten. Jubaland und der SWS haben Gesetze erlassen, wonach politische Treffen nur mit vorheriger Behördengenehmigung abgehalten werden dürfen (USDOS 11.3.2020, S.19). Die NISA bedroht ebenfalls Politiker (AQ3 5.2020).
Al Shabaab ist offen anti-demokratisch und erachtet Demokratie als unislamisches, christlichjüdisches Konzept (BS 2020, S.21). In den von ihr kontrollierten Gebieten wird oppositionelles Handeln nicht geduldet. Al Shabaab geht gegen Gegner brutal vor - auch mit Hinrichtungen (AA 2.4.2020, S.10).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• AQ3 - Anonyme Quelle 3 (5.2020): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• CMI - Christian Michelsen Institute (7.2020): Excluding women: the clanization of Somali political institutions, https://www.cmi.no/publications/file/7277-excluding-women-the-clanization-of-somali- political-institutions.pdf , Zugriff 9.10.2020
• Sahan - Sahan / Matt Bryden (16.2.2021a): Editor’s Pick - Somalis have right to peaceful protest, in: The Somali Wire Issue No. 83, per e-Mail
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die Haftbedingungen sind in den meisten Landesteilen hart, da es an sanitären Einrichtungen, an Hygiene, an adäquater Ernährung und an Wasser sowie an medizinischer Versorgung mangelt (USDOS 11.3.2020, S.5; vgl. AA 2.4.2020, S.20). Zum Teil sind die Haftbedingungen lebensbedrohlich (AA 2.4.2020, S.20). Besser waren die Bedingungen im Central-Mogadishu- Prison, auch wenn dort, wie in anderen städtischen Haftanstalten, Überbelegung manchmal ein
Problem darstellt. Das Gefängnis in Garoowe erfüllt internationale Standards und wird ordentlich geführt. Andere Haftanstalten sind oftmals baufällig, und ungeschulte Justizbeamte sind teilweise nicht in der Lage, die Sicherheit der Insassen zu gewährleisten (USDOS 11.3.2020, S.5). Unterstützung von UNDP, UNODC und IKRK beim Gefängnisaufbau und der Schulung von Gefängnispersonal in allen Regionen schafft langsam Abhilfe (AA 2.4.2020, S.20). So wurde etwa Anfang 2020 durch UNSOM Gefängnispersonal für Puntland, Belet Weyne und Kismayo in Verwaltung und menschenrechtlichen Belangen ausgebildet (UNSC 13.5.2020, Abs.71). Um die Überbelegung zu reduzieren, wurden über 362 Häftlinge in mehreren Bundesstaaten und in Mogadischu eine Amnestie verhängt (UNSC 13.5.2020, Abs.49). Im August 2020 kam es in einem Gefängnis in Mogadischu zu einem Aufstand, bei welchem 15 Häftlinge und vier Wachen getötet wurden (PGN 10.2020, S.10).
In Somaliland sind Haftanstalten gemäß einer Quelle überbelegt und die Bedingungen dort sind hart (FH 4.3.2020b, F3). Nach anderen Informationen entspricht das Hargeysa-Prison internationalen Standards und wird gut geführt (USDOS 11.3.2020, S.5). UNODC und andere UN-Agen- turen unterstützen Somaliland bei der Verbesserung der Haftbedingungen (ÖB 3.2020, S.17). Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Häftlinge bei den Justizbehörden Beschwerden vorbringen dürfen, und dies geschieht auch (USDOS 11.3.2020, S.6). Um dem Problem der Überbelegung zu begegnen, gewährte Somaliland 2020 939 Gefangenen eine Amnestie (UNSC 13.8.2020, Abs.53; vgl. UNSC 13.5.2020, Abs.49).
Die Regierungen von Somalia, Puntland und Somaliland gestatten unabhängigen Beobachtern Zutritt zu Haftanstalten, darunter UNODC, UNSOM und anderen (USDOS 11.3.2020, S.6).
Al Shabaab hält Personen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle in Haft, teils für verhältnismäßig geringfügige Vergehen und unter inhumanen Bedingungen. Haftanstalten der al Shabaab und jene in entlegenen, von traditionellen Autoritäten geführten Gebieten sind nicht zugänglich; es kann angenommen werden, dass die Haftbedingungen dort hart und manchmal lebensbedrohlich sind (USDOS 11.3.2020, S.5f).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020b): Freedom in the World 2019 - Somaliland, https://www.ecoi.net /de/dokument/2030808.html , Zugriff 12.10.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-map - of-al-shabaab-control.html
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Todesstrafe
Letzte Änderung: 30.03.2021
In allen Landesteilen wird die Todesstrafe verhängt und vollzogen, allerdings [im Gegensatz zu Gebieten von al Shabaab] deutlich seltener in Gebieten unter der Kontrolle der jeweiligen Regierung - und dort nur für schwerste Verbrechen (AA 2.4.2020, S.20). Allerdings kommt es dort auch nach Verfahren, die nicht internationalen Standards genügen, zur Ausführung der Todesstrafe (AA 2.4.2020, S.13; vgl. USDOS 11.3.2020, S.2). Die von Militärgerichten - aber auch jene von Regionalbehörden - verhängten Todesurteile werden oft innerhalb weniger Tage vollstreckt (USDOS 11.3.2020, S.2/9).
Im Zeitraum Mai-August 2020 wurden in Kismayo und Bossaso je ein Todesurteil (an Mitgliedern der Sicherheitskräfte) vollstreckt. Acht Todesurteile wurden von Militärgerichten in Jubaland, Puntland und Mogadischu ausgesprochen, vier davon gegen Angehörige der al Shabaab, vier gegen Angehörige der Sicherheitskräfte (UNSC 13.8.2020, Abs.52). Am 18.8.2020 wurden in Baidoazwei Männer wegen sexueller Vergehen an einem Minderjährigen öffentlich exekutiert (UNSC 13.11.2020, Abs.46). Im Jahr 2019 waren mindestens 70 Personen zum Tode verurteilt worden, 17 Todesurteile wurden im gleichen Jahr vollstreckt (AA2.4.2020, S.9/20). Nach anderen Angaben waren mindestens 24 Todesurteile verhängt und mindestens 12 vollstreckt worden. Exekutionen erfolgen grundsätzlich durch Erschießen (AI 4.2020, S.8ff/44).
Im Jänner 2020 wurden in Somaliland sechs Männer hingerichtet (AA 2.4.2020, S.14/20).
In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten kommt es zu Exekutionen, z.B. wegen des Verdachts der Spionage (USDOS 11.3.2020, S.3) oder wegen vorgeworfenerApostasie (USDOS
10.6.2020, S.6) oder wegen Ehebruchs und „Kooperation mit den Feinden des Islam" (d.h. mit der Regierung, AMISOM, UNO oder Hilfsorganisationen). Exekutionen durch al Shabaab werden öffentlich vollzogen (AA 2.4.2020, S.20). Im Mai 2018 wurde eine Frau in Sablaale wegen des Vorwurfs der Polygamie gesteinigt (USDOS 11.3.2020, S.32).
Eine Zusicherung der Nichtverhängung oder des Nichtvollzugs der Todesstrafe erscheint im Hinblick auf die jeweiligen Regierungen sehr unwahrscheinlich, im Hinblick auf die von al Shabaab kontrollierten Gebiete aussichtslos (AA 2.4.2020, S.20).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• AI - Amnesty International (4.2020): Death Sentences and Executions 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028355/ACT5018472020ENGLISH.PDF , Zugriff 12.10.2020
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/05/SOMALIA-2019-INTERN ATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 1.7.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die somalische Bevölkerung bekennt sich zum sunnitischen Islam (AA 2.4.2020, S.13). Eine
Konversion zu einer anderen Religion bleibt sozial inakzeptabel (USDOS 10.6.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/05/SOMALIA-2019-INTERN ATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 1.7.2020
Gebiete unter Regierungskontrolle
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die Verfassungen von Somalia, Puntland und Somaliland bestimmen den Islam als Staatsreligion. Das islamische Recht (Scharia) wird als grundlegende Quelle der staatlichen Gesetzgebung genannt (AA 2.4.2020, S.13; vgl. BS 2020, S.9; USDOS 10.6.2020), alle Gesetze müssen mit den generellen Prinzipien der Scharia konform sein. Auch die Verfassungen der anderen Bundesstaaten erklären den Islam zur offiziellen Religion (USDOS 10.6.2020).
Der Übertritt zu einer anderen Religion ist gesetzlich nicht explizit verboten, wohl aber durch die Scharia. Blasphemie und „Beleidigung des Islam" sind Straftatbestände (USDOS 10.6.2020). Missionierung oder Werbung für andere Religionen ist laut Verfassung verboten (FH 4.3.2020a, D2). Andererseits bekennen sich die Verfassungen zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung (AA 2.4.2020, S.13). Auch ist dort das Recht auf Religionsfreiheit und ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion (FH 4.3.2020a, D2) sowie die freie Glaubensausübung festgeschrieben (USDOS 10.6.2020).
Unabhängig von staatlichen Bestimmungen und insbesondere jenseits der Bereiche, in denen die staatlichen Stellen effektive Staatsgewalt ausüben können, sind islamische und lokale Traditionen und islamisches Gewohnheitsrecht weit verbreitet (AA 2.4.2020, S.13). Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion wird als sozial inakzeptabel erachtet. Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen (USDOS 10.6.2020, S.7). Insgesamt spielen Repressionen aufgrund der Religion in Somalia aber fast keine Rolle, da es außer den Entsandten - z. B. bei der UN - praktisch keine Nicht-Muslime im Land gibt (AA 2.4.2020, S.10).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020a): Freedom in the World 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2035807.html , Zugriff 12.10.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/05/SOMALIA-2019-INTERN ATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 1.7.2020
Gebiete von al Shabaab
Letzte Änderung: 30.03.2021
Al Shabaab setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten gewaltsam die eigene strenge Interpretation des Islam und der Scharia durch (FH 4.3.2020a, D2; vgl. USDOS 10.6.2020, S.6). Dabei drangsaliert, verstümmelt oder tötet die Gruppe Personen, welche sie verdächtigt, zu einer anderen Religion konvertiert zu sein oder jene, die sich nicht an die Edikte von al Shabaab halten (USDOS 10.6.2020, S.1). Vertreter der Regierung und ihrer Verbündeten werden unter dem Vorwand getötet, sie seien Nicht-Muslime und Glaubensabtrünnige (USDOS 10.6.2020,
S.6) . Auf Apostasie steht die Todesstrafe (FH 4.3.2020a, D2).
Politik und Verwaltung von al Shabaab sind von religiösen Dogmen geprägt (BS 2020, S.9). Dort, wo al Shabaab die Kontrolle ausübt, wurde als von der Gruppe generell „un-islamisches Verhalten", Kinos, Fernsehen, Musik, Internet, das Zusehen bei Sportübertragungen, der Verkauf von Khat, Rauchen und weiteres mehr verboten. Es gilt das Gebot der Vollverschleierung (USDOS 10.6.2020, S.6). Allerdings scheint al Shabaab bei der Durchsetzung derartiger Normen zunehmend pragmatisch zu sein (ICG 27.6.2019, S.7).
Quellen:
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020a): Freedom in the World 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2035807.html , Zugriff 12.10.2020
• ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/05/SOMALIA-2019-INTERN ATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 1.7.2020
Minderheiten und Clans
Letzte Änderung: 30.03.2021
Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen
Recht: Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA
2.4.2020, S.10). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, S.42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S.42; vgl. ÖB 3.2020, S.3). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 3.2020, S.3). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, S.21). Im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S.11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, S.33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten - oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit - ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S.14).
Politik: Regierung und Parlament sind entlang der sogenannten 4.5-Formel organisiert. Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhält (ÖB
3.2020, S.3; vgl. USDOS 11.3.2020, S.26f; FH 4.3.2020a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 4.3.2020a, B4). Selbst die gegebene, formelle Vertretung ist jedoch nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen. Politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren (ÖB 3.2020, S.3).
Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS
11.3.2020, S.36; vgl. AA 2.4.2020, S.13; FH 4.3.2020a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 2.4.2020, S.13).
Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans (USDOS 11.3.2020, S.36). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, S.39).
Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt und zwangsrekrutiert (BS 2020, S.19). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz - etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen" Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, S.7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, S.11; vgl. ÖB 3.2020, S.4). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist auch ein Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, S.21). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 3.2020, S.4).
Quellen:
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Bevölkerungsstruktur
Letzte Änderung: 30.03.2021
In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen (AA 2.4.2020, S.12). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 11.3.2020, S.36). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 3.2019, S.42; vgl. SEM, 31.5.2017, S.12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA
2.4.2020, S.12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S.5).
Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seid dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2020, S.33). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM
31.5.2017, S.8).
Die sogenannten „noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:
• Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
• Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
• Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir- Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
• Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
• Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, S.10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, S.9).
Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S.25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, S.38ff).
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM
31.5.2017, S.5).
Die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation, welche immer wichtiger werden, kann eine „falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensieren (BS 2020, S.25). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S.9).
Quellen:
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• GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
• LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/03/Report-Somalia - Practical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-in-Southern-Somalia-4-April-201 6.pdf, Zugriff 18.12.2020
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information
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Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation
Letzte Änderung: 30.03.2021
Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, S.11). Die soziale Stellung der ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017,
S.14) .
In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten nicht systematischer Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S.3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).
Nach anderen Angaben leiden Angehörige von Minderheiten an Arbeitslosigkeit und unter einem Mangel an Ressourcen. Sie werden amArbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v.a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig, wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, S.42ff).
Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, S.12f; vgl. FIS 7.8.2020, S.41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z.B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, S.12f). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten, sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, S.42ff).
Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, S.14). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2020, S.9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft. Ihre Situation ist sehr schlecht (LIFOS 19.6.2019, S.9f). Sie sind auch weiterhin Diskriminierung ausgesetzt (USDOS
11.3.2020, S.36;vgl. GIGA3.7.2018).Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 11.3.2020, S.36; vgl. LIFOS 19.6.2019, S.8). 80% der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, S.42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, S.9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 3.2020, S.3; vgl. FIS 7.8.2020, S.42). Andererseits sind einige BantuGruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS
7.8.2020, S.44).
Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, S.7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet (FH 4.3.2020a, G3). Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, S.43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019, S.7ff).
Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, S.13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, S.41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, S.17). Viele von ihnen sind relativ wohlhabend, befinden sich in relevanten Positionen und sind in der Lage, Schutz zuzukaufen (NLMBZ 3.2019, S.43). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, S.2f), und der Verwaltungsdirektor des Bezirks ist Angehöriger der Reer Xamar (FIS 7.8.2020, S.40).
Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln an der Südspitze Somalias sowie in Kismayo lebt (SEM 31.5.2017, S.14).
Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z. B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, S.9).
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• LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://landinfo.no/wp-conte nt/uploads/2018/09/Report-Somalia-Marriage-and-divorce-14062018-2.pdf, Zugriff 2.12.2020
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Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation
Letzte Änderung: 30.03.2021
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den „noblen" Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können.
Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S.14ff).
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S.43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S.3).
Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S.44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM
31.5.2017, S.44ff).
Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelneAngehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S.49).
Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, S.44ff; vgl. ÖB 3.2020, S.4). Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks (FH 4.3.2020a, G3) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, S.44ff; vgl. FIS 5.10.2018, S.26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, S.44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, S.26). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, S.7f).
Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, S.44ff). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen - insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB
3.2020, S.4). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem „noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, S.44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten Vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, S.26).
Quellen:
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• GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
• ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 9.12.2020
• LI - Landinfo [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https: //landinfo.no/wp-content/uploads/2019/05/Respons-Somalia-Rer-Hamar-befolkningen-i-Mogadish u-21052019.pdf, Zugriff 2.2.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020
Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose
Letzte Änderung: 30.03.2021
Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir- Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als „Gast" ist schwächer als jene des „Gastgebers“. Im System von „hosts and guests“ sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als „Gäste“. Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, S.11f/32f).
Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus (USDOS 11.3.2020, S.36). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ist grundsätzlich von einer Diskriminierung hinsichtlich der Clan-/Subclan-Zugehörigkeit auszugehen. Dabei kann es sich um wirtschaftliche Diskriminierung (z.B. bei staatlichen Vergabeverfahren) handeln, aber auch um Diskriminierung beim Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, natürlichen Ressourcen, Gesundheitsdienstleistungen oder anderen staatlichen Diensten (AA 2.4.2020, S.10), beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren handeln (USDOS 11.3.2020, S.36). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 2.4.2020,
S.12) . In Mogadischu ist es im allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, davor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).
Ashraf und Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status. Beide Clans werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014, S. S.46f/103).
Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben (ACCORD 29.5.2019, S.2f).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (29.5.2019): Anfragebeantwortung a-11008 (Auskunftsperson: Lidwien Kapteijns)
• EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/public/COI-Report-Somalia.pdf , Zugriff 2.2.2021
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020
• UNFPA/DIS - UN Population Fund / Danish Immigration Service (Dänemark) (25.6.2020): Skype- Interview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84, https://www. nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_care_nov_2020.pdf?l a=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3BA52E60C , Zugriff 7.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und andere terroristische Gruppen
Letzte Änderung: 30.03.2021
Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:
• Angehörige der AMISOM (USDOS 10.6.2020, S.1; vgl. BS 2020, S.34, FIS 7.8.2020, S.8);
• nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS
10.6.2020, S.1, BS 2020, S.34);
• Angehörige der Sicherheitskräfte (USDOS 10.6.2020, S.1; vgl. HRW 14.1.2020, BS 2020, S.14, FIS 7.8.2020, S.8);
• Regierungsangehörige, Parlamentarier und Offizielle (UNSC 1.11.2019, S.5; vgl. USDOS
10.6.2020, S.1, BS 2020, S.34, FIS 7.8.2020, S.8); al Shabaab greift z.B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich die politische Elite trifft (BS 2020, S.14).
• mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 11.3.2020, S.12; vgl. FIS
7.8.2020, S.8);
• Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 11.3.2020, S.12; vgl. FIS 7.8.2020, S.8);
• Wirtschaftstreibende (FIS 7.8.2020, S.8; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.23f); diese werden unter gewissen Umständen zum Ziel. Dies hängt von ihrem Status ab, und von der Frage, ob sie von al Shabaab geforderte Schutzgeldabgaben entrichten. Verweigert ein Wirtschaftstreibender eine Schutzgeldzahlung, wird er und/oder sein Betrieb zum Angriffsziel (NLMBZ 3.2020, S.47; vgl. BS 2020, S.7, HI 10.2020, S.4ff). Ein Risiko besteht auch für Unternehmer, die für die Regierung tätig sind (LIFOS 3.7.2019, S.24);
• Älteste und Gemeindeführer (USDOS 11.3.2020, S.12; vgl. HRW 14.1.2020, FIS 7.8.2020, S.8);
• Wahldelegierte und deren Angehörige bzw. Personen, die am letzten Wahlprozess mitgewirkt haben (UNSC 1.11.2019, S.5; vgl. USDOS 11.3.2020, S.12, HRW 14.1.2020, BS 2020, S.21); dabei hat al Shabaab die Delegierten vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen. Die große Mehrheit entschuldigte sich (Mohamed 17.8.2019).
• Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 11.3.2020, S.12);
• prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten (USDOS 11.3.2020, S.12; vgl. BS 2020, S.34);
• religiöse Führer (FIS 7.8.2020, S.8);
• Journalisten (BS 2020, S.34);
• mutmaßliche Kollaborateure und Spione (USDOS 11.3.2020, S.3/12);
• Deserteure (FIS 7.8.2020, S.8);
• (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS (AA 2.4.2020, S.13f); den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020).
Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie keine Steuern an al Shabaab abführen (BFA 8.2017, S.34; vgl. HI 10.2020). Gemäß einer Studie richteten sich Angriffe von al Shabaab im Zeitraum 2006-2017 zu 36,6 % gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), zu 24,5 % Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter AMISOM) und zu 32,4 % gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (NLMBZ 3.2019, S.12).
Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 2.4.2020, S.17). Dort werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel definiert und entsprechend zur Ermordung freigegeben (AA 2.4.2020, S.10). Alleine im Juli 2019 wurden in Middle Juba zehn Personen wegen angeblicher Spionage exekutiert (USDOS 10.6.2020, S.6). Al Shabaab exekutiert vor allem jene, welche der Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften bezichtigt werden (HRW 14.1.2020). Im März 2021 wurden z.B. fünf der Spionage verdächtige Personen in Buale (Middle Juba) exekutiert (Sahan 8.3.2021). Dabei ist die Schwelle dessen, was die al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, mitunter sehr niedrig angesetzt (BFA 8.2017, S.40f). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sa- han 15.2.2021a). Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017, S.40ff).
Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein „Angebot“ der al Shabaab abzulehnen (BMLV 25.2.2021).
Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23). Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele - auch in Mogadischu - aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017, S.35f).
Insgesamt muss hinzugefügt werden, dass al Shabaab nicht für alle an den o.g. Personengruppen begangenen Morde die Verantwortung übernimmt (HRW 14.1.2020). Es muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde politisch motiviert oder einfach Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (LIFOS 3.7.2019, S.26).
Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (NLMBZ 3.2020, S.17; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25; FIS 7.8.2020, S.24ff) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25; vgl. FIS 7.8.2020, S.24). So greift al Shabaab etwa Cafes, Restaurants oder Hotels an, die von Behördenvertretern, Politikern oder Sicherheitskräften frequentiert werden. Zwar richten sich diese Angriffe also gegen Personengruppen, die von al Shabaab als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu Schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten. Nach einem Anschlag im Dezember 2019 hat sich al Shabaab sogar dafür entschuldigt, dass derart viele Zivilisten ums Leben gekommen sind (FIS 7.8.2020, S.25).
Ausweichmöglichkeiten: Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] sind - vor allem prominente - Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet (BFA 8.2017, S.36). Nach Angaben eines Journalisten wiederum kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken (AI 13.2.2020, A.36).
Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BFA 8.2017, S.47f).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) operiert nahezu ausschließlich in Puntland [siehe dazu Kapitel Sicherheitslage] (JF 14.1.2020). Die Hauptziele des IS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, Polizisten und Angehörige von al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, S.35).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear": Violations and Abuses of Freedom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024685/A FR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HI - Hiraal Institute (10.2020): A Losing Game: Countering Al-Shabab’s Financial System, https: //hiraalinstitute.org/wp-content/uploads/2020/10/A-Losing-Game.pdf, Zugriff 30.10.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• JF - Jamestown Foundation (14.1.2020): Islamic State’s Mixed Fortunes Become Visible in Somalia, Terrorism Monitor Volume: 18 Issue: 1, https://jamestown.org/program/islamic-states-mixed-fortu nes-become-visible-in-somalia/, Zugriff 3.2.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://ww w.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021
• Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, https://www.hiiraan.com/op4/2019/aug/165221/the_recent_al_shabab_resur gence_policy_options_for_somalia.aspx, Zugriff 2.2.2021
• NLMBZ-Ministerievon Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020): AlgemeenAmbtsberichtSoma- lie, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Somalie+maart+2020.pdf , Zugriff 18.12.2020
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische
Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020
• Sahan - Sahan / Amiirnuur (8.3.2021): The Somali Wire Issue No. 97, per e-Mail, Originallink auf Somali: http://www.amiimuur.com/?p=10647
• Sahan - Sahan / Keydmedia (15.2.2021a): The Somali Wire Issue No. 82, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.keydmedia.net/news/meydadka-3-ruux-oo-lasoo-dhigay-muqdisho
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/05/SOMALIA-2019-INTERN ATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 1.7.2020
Risiko in Zusammenhang mit Schutzgelderpressungen („Steuern“)
Letzte Änderung: 30.03.2021
In den Gebieten von al Shabaab wird alles und jeder besteuert (HI 10.2020, S.2f; vgl. BBC
18.1.2021) . In umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung der al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden Steuern an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv (HI 10.2020, S.2f).
Al Shabaab hebt mehr „Steuern" ein als die Bundesregierung. Dabei agiert die Gruppe wie eine mafiöse Organisation (FIS 7.8.2020, S.18; vgl. HI 10.2020, S.5). Ziel ist es, aus kriminellen Aktivitäten Gewinn zu lukrieren. Dabei dient die Religion nur als Deckmantel (FIS 7.8.2020, S.18). Dafür hat al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia ein komplexes System der Schutzgelderpressung etabliert. Landwirtschaftliche Produkte (UNSC 1.11.2019, S.13) sowie Güter und auch manche Dienstleistungen werden sowohl in den eigenen Gebieten als auch in jenen der Regierung „besteuert" (HIPS 2020, S.13). Sogar Bundesbedienstete - darunter hochrangige Angehörige der Armee - führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer" an al Shabaab ab. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöse Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird (HI 10.2020, S.6f).
Konservativen Schätzungen zufolge lukriert al Shabaab alleine an monatlichen Abgaben 15 Millionen US-Dollar - davon die Hälfte in Mogadischu (HI 10.2020, S.5). Generell werden alle Wirtschaftstätigkeiten in Mogadischu von der Gruppe mit Schutzgeld belegt (FIS 7.8.2020, S.13). Wirtschaftstreibende werden angerufen und bedroht. Diese zahlen Schutzgeld (WP 31.8.2019), denn die Regierung ist nicht in der Lage, sie vor Schutzgelderpressung zu schützen (HI 10.2020, S.9). Dabei verlangt al Shabaab von Wirtschaftstreibenden zunehmend höhere Steuern (HI
10.2020, S.1). Alle großen Unternehmen im südlichen Somalia zahlen diese jährliche Steuer. Nur sehr kleine Betriebe oder Straßenhändler müssen den Zakat nicht abführen. Dahingegen werden auch zahlreiche andere Bereiche besteuert - etwa die Nutzung von Bewässerungsanalgen durch Bauern (HI 10.2020, S.3). Steuern werden auch auf landwirtschaftliche Produkte und Vieh eingehoben. Zusätzlich kommt es auch zu allgemeinen Geldforderungen (infaaq). Am meisten Geld verdient al Shabaab aber mit der Besteuerung von Fahrzeugen, die Güter durch das Gebiet der Gruppe transportieren. Auch am Bakara-Markt (VOA 3.12.2018), für Importe am Hafen von Mogadischu (UNSC 1.11.2019, S.13; vgl. FIS 7.8.2020, S.13) sowie am Immobilienmarkt hebt al Shabaab Steuern ein (HI 10.2020, S.4). Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Steuern bzw. Schutzgeld an al Shabaab, um in Ruhe gelassen zu werden (BFA 8.2017,
S.33) .
Kommt es zu einem Anschlag auf ein Hotel, dann steht für al Shabaab eine Strafaktion für ausständige Steuerzahlungen im Vordergrund. Allfällig anwesende Regierungsvertreter oder Staatsbedienstete sind hierbei nur nebenrangige Ziele (BMLV 25.2.2021). Jene, die sich weigern an al Shabaab Abgaben abzuführen, werden bestraft und ihr Leben bedroht. Vorerst werden dabei hohe Strafzahlungen ausgesprochen oder aber der Zugang zu Märkten wird blockiert, dann folgen auch Todesdrohungen. Zur tatsächlichen Exekution kommt es aber nur in Extremfällen (HI 10.2020, S.4ff). Manche Personen müssen ihre Firma schließen, ihre Kontaktdaten ändern oder aus dem Land fliehen. Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shabaab befinden (HI 10.2020, S.4ff). Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben (HI 10.2020, S.4ff). Kaum jemand bezahlt die Abgaben freiwillig, das Antriebsmittel dafür ist die Angst (HI 10.2020, S.1).
Auch der sog. Islamische Staat fordert „Steuern" - v.a. von Wirtschaftstreibenden in städtischen Gebieten. Jene, die sich der Zahlung einer „Steuer" widersetzen, müssen mit Gewalt rechnen (USDOS 11.3.2020, S.14). Dies gilt jedenfalls für Unternehmen in Puntland - etwa in Bossaso und Galkacyo (UNSC 1.11.2019, S.19).
Quellen:
• BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news /world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HI - Hiraal Institute (10.2020): A Losing Game: Countering Al-Shabab’s Financial System, https: //hiraalinstitute.org/wp-content/uploads/2020/10/A-Losing-Game.pdf, Zugriff 30.10.2020
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2020): State of Somalia Report 2019, Year in Review, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/01/HIPS_2020-S0S-2019-Rep ort-English-Version.pdf, Zugriff 17.3.2021
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
• VOA - Voice of America / Harun Maruf (3.12.2018): In Somalia, Businesses Face ,Taxation‘ by Militants, https://www.voanews.com/a/in-somalia-businesses-face-taxation-by-militants/4684759 .html, Zugriff 2.2.2021
• WP - The Washington Post (31.8.2019): ‘If I don’t pay, they kill me’: Al-Shabab tightens grip on Somalia with growing tax racket, https://www.washingtonpost.com/world/africa/if-i-dont-pay-they-k ill-me-al-shabab-tightens-its-grip-on-somalia-with-growing-tax-racket/2019/08/30/81472b38-beac -11e9-a8b0-7ed8a0d5dc5d_story.html , Zugriff 2.2.2021
Bewegungsfreiheit und Relokation
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.20) - v.a. durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt (ÖB 3.2020, S.9f).
Überlandreisen: Reisende sind durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren, an welchen Wegzoll erpresst wird, einer Gefahr ausgesetzt (FH 4.3.2020a, G1; vgl. USDOS 11.3.2020, S.20). Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen (LI 28.6.2019, S.8). Generell werden Überlandreisen als riskant und teuer erachtet. Die Hauptstraßen Süd-/Zentralsomalias werden nur teilweise von AMISOM und der Armee kontrolliert, weswegen AMISOM und die Armee aufgrund des Risikos Truppen und Versorgungsgüter oft auf dem Luftweg transportieren (NLMBZ
3.2020, S.33). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift Zivilisten an, welche die Blockade durchbrochen haben (HRW 13.1.2021).
Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen (LI
28.6.2019, S.4/9). Nach anderen Angaben sind die Möglichkeiten für Überlandreisen von Mogadischu in Richtung Baidoa, Kismayo oder Belet Weyne stark eingeschränkt. Weniger weit entfernte Ziele - etwa Afgooye - sind demnach aber auf der Straße erreichbar. Allerdings finden sich auch an dieser Route Straßensperren unterschiedlicher Akteure. An der Straße nach Merka verwendet al Shabaab mobile Kontrollen. Generell werden Überlandreisen in Süd-/Zen- tralsomalia als nicht wirklich sicher erachtet. Al Shabaab ist in der Lage, alle Straßen, die nach Mogadischu führen, zu kontrollieren. Auch andere Akteure können Reisenden unterschiedlichste Probleme verursachen. Daher gibt es auch nur wenig Verkehr (FIS 7.8.2020, S.27f).
Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren (LI 28.6.2019, S.4/9). Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden (LI 28.6.2019, S.7).
Die Straße zwischen Mogadischu und Jowhar wird fallweise blockiert. Anfang 2021 konnten dort LKW über fast zwei Wochen nicht verkehren (Sahan 1.3.2021b). Die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne ist grundsätzlich für den Personenverkehr und Warentransport geöffnet. Die Straße unterliegt allerdings noch immer einer erheblichen Bedrohung durch al Shabaab, wenn auch die Frequenz der Überfälle entlang dieser Verbindungslinie merklich abgenommen hat (BMLV 2.3.2021). Allerdings beklagten sich Bewohner im März 2021, dass Buulo Barde von al Shabaab abgeriegelt worden ist (Sahan 2.3.2021b). Der Verkehr entlang der Route Belet Weyne - Garoowe ist von al Shabaab unbeeinträchtigt (BMLV 2.3.2021). Nur punktuell konnte al Shabaab in Galmudug an die Hauptverbindungsroute vordringen (PGN
2.2021, S.12). An den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba kann es zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen (BMLV 2.3.2021). Allerdings hat al Shabaab offenbar mehrere Straßen in der Region unter Blockade gesetzt (Sahan 10.3.2021b). In Bakool befinden sich die Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde einigermaßen unter Kontrolle. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab (BMLV 2.3.2021), Xudur ist von al Shabaab eingekreist (PGN 2.2021, S.12). In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren (BMLV 2.3.2021).
In Hiiraan kommt es an der Straße von Belet Weyne in Richtung Dhusamareb mitunter zu Clanauseinandersetzungen (RE 18.2.2021).
Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll (LI 28.6.2019, S.8), wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen (LI 28.6.2019, S.8; vgl. FH 4.3.2020a, G1; USDOS
11.3.2020, S.20).
In Mogadischu gibt es mehrere hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt (FIS 7.8.2020, S.21ff). Zeitweise sperren Sicherheitskräfte ganze Straßenzüge, wodurch die Bewegungsfreiheit für Menschen und Waren erheblich behindert wird (HIPS 2020, S.2). Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen (FIS 7.8.2020, S.39).
Frauen: Es ist nicht ungewöhnlich, alleine reisende ältere Frauen anzutreffen. Dahingegen wird vermieden, jüngere Frauen ohne Begleitung auf Reisen zu schicken - v.a. aufgrund der Gefahr sexueller Gewalt (LI 28.6.2019, S.11f). Bezüglich dieser besteht für Frauen an Straßensperren ein erhöhtes Risiko (FIS 7.8.2020, S.23).
Straßensperren von al Shabaab: Al Shabaab kontrolliert Versorgungsrouten zwischen Städten (BS 2020, S.6). Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen (LI 28.6.23019, S.4/10). Doch auch an anderen wichtigen Straßenverbindungen betreibt al Shabaab Checkpoints (NLMBZ 3.2020, S.33).
Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern ab und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Menschen können z. B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen (LI 28.6.2019, S.9f). Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient (FIS 7.8.2020, S.28).
Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die tatsächlich Verbindungen zur Regierung haben, oder aber die diesbezüglich verdächtigt werden (LI 28.6.2019, S.9f; vgl. FIS 7.8.2020, S.28). Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich - ohne Verfahren - exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab - etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) - als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden (LI 28.6.2019, S.9f). Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt (LI 28.6.2019, S.4/11).
Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor - etwa Auspeitschen (LI 28.6.2019, S.11). Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LI 28.6.2019, S.4).
Ausweichmöglichkeiten und Binnenmigration: Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen jedenfalls für einen Teil der somalischen Bevölkerung (ÖB 3.2020, S.12). Im Fall einer nicht durch individuelle Verfolgung begründeten Flucht aus von al Shabaab kontrollierten Gebieten bieten urbane Zentren und ländliche Gebiete unter staatlicher Kontrolle relativ größere Sicherheit. Dabei ist es schwierig, relativ sichere Zufluchtsgebiete pauschal festzulegen, denn je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen ist eine Person möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen bedroht (AA 2.4.2020, S.17).
Jedenfalls herrscht in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr Freiheit (AA 2.4.2020, S.17). Üblicherweise genießen Somalis außerdem den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind (ÖB 3.2020, S.12). Selbst IDPs tun sich bei einer Integration leichter, wenn sie z.B. in Mogadischu über Beziehungen und Clanverbindungen verfügen. Manchmal helfen bei einer Integration auch spezielle berufliche Fähigkeiten (FIS
7.8.2020, S.36). Zudem gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. In Mogadischu und anderen großen Städten ist es nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016, S.9). Dort leben Angehörige aller somalischen Clans, sie können sich dort frei bewegen und auch niederlassen (FIS 7.8.2020, S.39). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen (z.B. Checkpoints), die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr nicht passierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich: von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen (BMLV 2.3.2021).
Generell hat die Binnenmigration seit 2012 stark zugenommen, v.a. der Zuzug in urbane Gebiete. Menschen erhoffen sich in der Stadt eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen als etwa auf dem Land, wo wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen ein nomadisches oder landwirtschaftliches Leben schwer gemacht haben (FIS 7.8.2020, S.36).
Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen (FIS 7.8.2020, S.29; vgl. LI 28.6.2019, S.6f). Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galka- cyo, Bossaso, Hargeysa, Dhobley und Doolow mit Linienflügen erreicht werden (FIS 7.8.2020, S.29). Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US- Dollar (FIS 7.8.2020, S.29; vgl. LI 28.6.2019, S.6f).
Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (AA 2.4.2020, S.24).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation
• FH - Freedom House (4.3.2020a): Freedom in the World 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2035807.html , Zugriff 12.10.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2020): State of Somalia Report 2019, Year in Review, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/01/HIPS_2020-SOS-2019-Rep ort-English-Version.pdf, Zugriff 17.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Somalia, https://www.ecoi.net/en/ document/2043509.html , Zugriff 28.1.2021
• LI - Landinfo [Norwegen] (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold pa reise i S0r-Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2019/06/Somalia-temanotat-Praktiske-og-si kkerhetsmessige-forhold-pa-reise-i-S0r-Somalia-28062019.pdf, Zugriff 18.12.2020
• LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/03/Report-Somalia - Practical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-in-Southern-Somalia-4-April-201 6.pdf, Zugriff 18.12.2020
• NLMBZ-Ministerievon Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020): AlgemeenAmbtsberichtSoma- lie, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Somalie+maart+2020.pdf , Zugriff 18.12.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2021/02/somalia-cont rol-map-2021.html
• RE - Radio Ergo (18.2.2021): Conflict along Hiran-Galmudug road affects jobs and local markets, https://radioergo.org/en/2021/02/18/conflict-along-hiran-galmudug-road-affects-jobs-and-local-ma rkets/, Zugriff 23.2.2021
• Sahan - Sahan / Radio Dalsan (10.3.2021b): The Somali Wire Issue No. 99, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.radiodalsan.com/howlgal-lagu-furayo-waddooyin-ay-xireen-al-shaabab-o o-lagu-dhawaaqay/
• Sahan - Sahan / Gedo Times (2.3.2021b): The Somali Wire No. 93, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.gedotimes.com/2021/03/01/sawirobulshada-buulo-barde-oo-ka-cabanaya-g odoon-ay-galiyeen-alshabaab/
• Sahan - Sahan / Badweyn Times (1.3.2021b): The Somali Wire No. 92, per e-Mail, Originallink auf Somalia: https://badweyntimes.net/sawirro-gaadiid-uu-fasaxay-al-shabaab-oo-gudaha-u-galay-j owhar-ujeedka/
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Meldewesen und Staatsbürgerschaft
Letzte Änderung: 30.03.2021
Es gibt in Somalia kein Personenstandsverzeichnis (LIFOS 9.4.2019, S.7). Die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt oft nur durch den Ältestenrat eines Dorfes oder durch Verwandte bzw. Bekannte (ÖB 3.2020, S.4). Auch an somalischen Botschaften wird die Identität - etwa bei Beantragung eines Reisepasses - über Angaben zu Sprachkenntnis, ethnische und Clanzugehörigkeit verifiziert (NLMBZ 3.2020, S.35). Generell kommt es bei der Registrierung - etwa im Rahmen der Ausstellung von Dokumenten - zu Korruption (BS 2020, S.17).
Die meisten nach 1991 in Somalia geborenen Personen wurden nie offiziell registriert (ÖB
3.2020, S.4), und auch jetzt werden Geburten in Puntland und Süd- und Zentralsomalia behördlich nicht registriert (USDOS 11.3.2020, S.33). Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige in Süd- und Zentralsomalia und Puntland zu erhalten. Zustellungen sind nicht möglich (AA 2.4.2020, S.24).
Die Übergangsverfassung sieht vor, dass es hinsichtlich der Definition wie jemand an die somalische Staatsbürgerschaft gelangt, wie er diese aussetzt oder verliert, ein Gesetz geben soll. Allerdings wurde ein solches Gesetz noch nicht geschaffen (USDOS 11.3.2020, S.33; vgl. ÖB
3.2020, S.5). Die somalische Staatsbürgerschaft wird prinzipiell mit der Geburt erlangt, wenn der Vater Somali ist (LIFOS 9.4.2019, S.11). Es gilt also weiterhin, dass jeder Abkomme eines männlichen Somali somalischer Staatsbürger ist. Kinder somalischer Mütter können die Staatsbürgerschaft nach zwei Jahren erhalten (USDOS 11.3.2020, S.33). Als Somali wird hier definiert, wer durch Herkunft, Sprache oder Tradition zur somalischen Nation gehört (BS 2020, S.9). Somalische Behörden betrachten demnach auch Somali, die eigentlich kenianische oder äthiopische Staatsbürger sind, als somalische Staatsbürger. Ein großer Teil der Parlamentsabgeordneten sind Doppelstaatsbürger (LIFOS 9.4.2019, S.10f) - Doppelstaatsbürgerschaften werden also de facto akzeptiert. Während die provisorische Verfassung aus dem Jahr 2012 diese Auffassung unterstützt, sprechen nach wie vor bestehende Gesetze dagegen (LIFOS
9.4.2019, S.10f; vgl. NLMBZ 3.2020, S.36).
Somalia erachtet natürlich auch alle in Somaliland lebenden Somali als somalische Staatsbürger, während Somaliland sie als somaliländische Staatsbürger erachtet (LIFOS 9.4.2019, S.11f).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff
17.3.2021
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020): Algemeen Ambtsbericht So- malie, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Somalie+maart+202 0.pdf , Zugriff 18.12.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Meldewesen und Staatsbürgerschaft
Letzte Änderung: 30.03.2021
Es bestehen nur wenige bis rudimentäre staatliche Aufzeichnungen und Personenregister (ÖB
3.2020, S.18). Nach anderen Angaben gibt es seit September 2014 ein vom Innenministerium geführtes digitales Melderegister. Vor einer Registrierung wird die betroffene Person interviewt, werden Älteste befragt und Daten von Familienangehörigen verglichen (LIFOS 9.4.2019, S.24f). Auch biometrische Daten werden aufgenommen bzw. abgeglichen (LIFOS 9.4.2019, S.24f; vgl. BFA3./4.2017), wodurch Doppeleinträge verhindert werden (BFA3./4.2017).
UNICEF unterstützt die Registrierung von Geburten und von Kleinkindern sowie das Ausstellen von Geburtsurkunden. Der Prozentsatz der Geburtenregistrierung ist in Somaliland mit 7% immer noch sehr niedrig (ÖB 3.2020, S.18), zahlreiche Geburten werden nicht registriert (USDOS
11.3.2020, S.33).
Das somaliländische Staatsbürgerschaftsrecht (2002) beruht auf patrilinearer Abstammung (BS 2020, S.9). Demnach sind alle männlichen Personen, die zum 26.6.1960 aus Somaliland stammten und dort lebten sowie deren Nachfahren Staatsbürger Somalilands (LIFOS 9.4.2019, S.8f). Doppelstaatsbürgerschaft wird akzeptiert. Somalia erachtet natürlich auch alle in Somaliland lebenden Somali als somalische Staatsbürger, während Somaliland sie als somaliländische Staatsbürger erachtet (LIFOS 9.4.2019, S.11f).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
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15.4.2020
• BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia [Österreich/Schweiz] (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff
17.3.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die somalische Regierung und Somaliland arbeiten mit dem UNHCR und IOM zusammen, um IDPs, Flüchtlinge, Rückkehrer und Asylwerber zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 11.3.2020, S.22).
IDP-Zahlen: Schon vor dem Jahr 2016 gab es - v.a. in Süd-/Zentralsomalia - mehr als 1,1 Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen (OXFAM 6.2018, S.5). Die Zahl an IDPs beträgt ca. 2,6 Millionen. Alleine 630.000 waren (Stand September 2020) durch Überflutungen vertrieben worden (UNSC 13.11.2020, Abs.52f). Die meisten Menschen (69%) flohen im Zeitraum Juli-Dezember 2020 aufgrund von Überflutungen, weitere 14% wegen eines Mangels an Lebensgrundlage. Nur 14% flohen wegen Unsicherheit oder Konflikten (IPC 3.2021, S.3).
Es gibt ca. 2.300 IDP-Lager und -Siedlungen (UNSC 13.11.2020, Abs.52), nach anderen Angaben sogar knapp 3.000 (UNOCHA 1.2021, S.4). Alleine aus Baidoa werden 483 IDP-Ansiedlun- gen berichtet (UNOCHA31.3.2020, S.3). Insgesamt ist aber die Anzahl an Personen, die im Jahr 2019 vertrieben wurden, im Vergleich zu den Vorjahren zurückgegangen (USDOS 11.3.2020,
S.21) .
Rechtswidrige Zwangsräumungen, die IDPs und die arme Stadtbevölkerung betrafen, bleiben ein großes Problem (AA 2.4.2020, S.21). Zwischen Jänner und August 2020 wurden dadurch mehr als 100.000 Menschen vertrieben (UNSC 13.11.2020, Abs.52), in den ersten zehn Monaten 2019 waren es 220.000 (AA 2.4.2020, S.21). Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen (FIS 7.8.2020, S.37). Die Mehrheit der IDPs zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke von Mogadischu, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt, und sie unter äußerst schlechten Bedingungen leben (AA 2.4.2020, S.21).
Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So wurden z.B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haus- halte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt (IOM 25.6.2019; vgl. RD 27.6.2019). Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs wurden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt (IOM 25.6.2019. Auch die UN versuchen, Land für IDPs zu pachten (UNSC 13.11.2020, Abs.52).
Rechtliche Lage: Ende 2019 hat die Bundesregierung die Konvention der Afrikanischen Union zum Schutz von IDPs ratifiziert. Die Regionalverwaltung von Benadir (BAR) hat ein Büro für nachhaltige Lösungen für IDPs geschaffen. Auch eine nationale IDP-Policy wurde angenommen. Im Jänner 2020 präsentierte die BAR eine Strategie für nachhaltige Lösungen (UNOCHA
6.2.2020, S.4; vgl. RI 12.2019, S.11f). Ebenso wurde auf Bundesebene ein Büro für nachhaltige Lösungen geschaffen (USDOS 11.3.2020, S.23). Diesbezüglich wurden nationale Richtlinien zur Räumung von IDP-Lagern erlassen. Insgesamt sind dies wichtige Schritte, um die Rechte von IDPs zu schützen und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen (RI 12.2019, S.4).
Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen - aber auch staatlichen - Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung (AA 2.4.2020, S.21); es kommt auch zu Vertreibungen und sexueller Gewalt (HRW 14.1.2020). Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP-Lagern - in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen (FIS 7.8.2020, S.36). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 11.3.2020, S.22; vgl. HRW 14.1.2020). 2018 betrafen 80 % der gemeldeten Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (AA 2.4.2020, S.15). Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer und Zivilisten (HRW 14.1.2020). Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (FIS 7.8.2020, S.36).
Versorgung: In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten (FIS 7.8.2020, S.36). Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen -v.a. in Benadir, dem SWS und Jubaland (UNOCHA 1.2021, S.5). Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt (RI
12.2019, S.9). Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften (ÖB 3.2020, S.12). Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (FIS 7.8.2020. S.36).
Unterstützung: Die EU unterstützte über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür wurden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt [siehe dazu Kapitel Rückkehrspezifische Grundversorgung] (EC o.D.). Damit wurde unter anderem für 7.000 Familien aus 54 IDP-Lagern in Baidoa Land beschafft, welches diesen permanent als Eigentum erhalten bleibt, und auf welchem sie siedeln können. Insgesamt hat die EU mit ähnlichen Programmen bisher 60.000 Menschen helfen können (EC 13.7.2019). Die Weltbank stellt für fünf Jahre insgesamt 112 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mit diesem Geld soll die städtische Infrastruktur verbessert werden, wovon sowohl autochthone Stadtbewohner als auch IDPs profitieren sollen (RI 12.2019, S.18f). Andere Programme für nachhaltige Lösungen werden von UN-HABITAT, dem Norwegian Refugee Council und der EU finanziert oder geführt (RI 12.2019, S.9). UNSOM hat mit der somalischen Regierung ein Drei-Jahres-Programm begonnen, das ausschließlich auf IDPs abzielt. Mit diesem Programm namens Saameynta sollen für IDPs in Baidoa, Bossaso und Belet Weyne dauerhafte Lösungen gefunden und geschaffen werden. 100.000 IDPs sollen ordentlich angesiedelt und mit sozialen Diensten und Arbeitsmöglichkeiten versehen werden (UNSOM 31.1.2021). Im März 2021 konnte IOM knapp 7.000 IDPs aus Baidoa in das IDP-Lager Barwaaqo übersiedeln, wo schon 2019 mehr als 6.000 IDPs angesiedelt worden waren. Das Land für dieses Lager wurde von der Lokalverwaltung zur Verfügung gestellt. In Barwaaqo bekommen Familien ein Stück Land, auf dem eine Unterkunft errichtet und ein Garten betrieben werden kann. Die Familien erhalten zudem finanzielle Unterstützung. Zwei Jahre nach der Umsiedlung erhalten die Familien dann auch Rechtsanspruch auf den von ihnen genutzten Grund (IOM 9.3.2021a).
Die Situation von IDPs in Puntland wird von NGOs als durchaus positiv beschrieben, sie können z. B. geregelter Tätigkeit nachgehen (ÖB 3.2020, S.12). Es gibt Anzeichen dafür, dass in Puntland aufhältige IDPs aus anderen Teilen Somalias dort permanent bleiben können und dieselben Rechte genießen, wie die ursprünglichen Einwohner (LIFOS 9.4.2019, S.9).
Flüchtlinge: Somalia ist ein äußerst unattraktives Zufluchtsland für Asylsuchende. Die Zahl ausländischer Flüchtlinge wird als sehr gering eingeschätzt und beschränkte sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf ethnische Somali aus dem äthiopischen Somali Regional State. Seit Beginn des Konflikts im Jemen sind auch von dort Flüchtlinge nach Somalia gekommen (AA 2.4.2020, S.21). Im September 2020 befanden sich rund 23.000 registrierte Asylwerber und
Flüchtlinge in Somalia, mehr als die Hälfte davon in Somaliland. Diese stammen nahezu zur Gänze aus Äthiopien und dem Jemen (UNHCR 25.10.2020b). Asylwerbern aus dem Jemen wird prima facie der Asylstatus zuerkannt (USDOS 11.3.2020, S.23). Der UNHCR betreibt ein Unter- stützungs- und Integrationsprogramm zur möglichst schnellen Eingliederung von Flüchtlingen in das öffentliche Leben (AA 2.4.2020, S.21).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• EC - European Commission (13.7.2019): 7,000 Displaced Families in Baidoa HaveANew Home, https://reliefweb.int/report/somalia/7000-displaced-families-baidoa-have-new-home , Zugriff
29.1.2021
• EC - European Commission (o.D.): EU Emergency Trust Fund for Africa - RE-INTEG, https: //ec.europa.eu/trustfundforafrica/region/horn-africa/somalia/re-integ-enhancing-somalias-respons iveness-management-and-reintegration_en , Zugriff 29.1.2021
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• IOM - Internationale Organisation für Migration (9.3.2021a): IOM Somalia Relocates Nearly 7,000 Internally Displaced Persons Facing Eviction, https://www.iom.int/news/iom-somalia-relocates-n early-7000-internally-displaced-persons-facing-eviction , Zugriff 11.3.2021
• IOM - Internationale Organisation für Migration (25.6.2019): In Somalia, IOM Begins Relocating Families at Risk of Eviction, https://www.iom.int/news/somalia-iom-begins-relocating-families-risk -eviction , Zugriff 29.1.2021
• IPC - Integrated Food Security Phase (3.2021): Somalia - IPC Acute Food Insecurity and Acute Malnutrition Analysis January-June 2021, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-ipc-acute-f ood-insecurity-and-acute-malnutrition-analysis-january-june , Zugriff 9.3.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff
17.3.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, http://regionaldss.org/wp-content/uploa ds/2018/07/bn-somalia-somaliland-drought-displacement-protection-280618-en-002.pdf, Zugriff
26.1.2021
• RD - Radio Dalsan (27.6.2019): UN relocates 3,900 IDPs to new sites in Somalia, https://www.ra diodalsan.com/en/2019/06/27/un-relocates-3900-idps-to-new-sites-in-somalia/, Zugriff 29.1.2021
• RI - Refugees International (12.2019): Durable Solutions in Somalia, Moving from Policies to Practice for IDPs in Mogadishu, https://static1.squarespace.com/static/506c8ea1e4b01d9450dd5 3f5/t/5dfa4e11ba6ef66e21fbfd17/1576685091236/Mark+-+Somalia+-+2.0.pdf, Zugriff 28.1.2021
• UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (25.10.2020b): Fact Sheet; Somalia; 1 - 30 September 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041035/UNHCR_Somalia_Factsheet_Sep_2020.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (1.2021): Somalia Humanitarian Bulletin, January 2021, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitarian-bulletin-january-2 021-enso , Zugriff 9.3.2021
• UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.3.2020): Somalia Humanitarian Bulletin, 1-31 March 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027648/March+2020+Humani tarian+Bulletin-Final+%281%29.pdf, Zugriff 8.4.2020
• UNOCHA- UN Office forthe Coordination of Humanitarian Affairs (6.2.2020): Somalia Humanitarian Bulletin, 1 January-6 February 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024797/January+2020 + Humanitarian+BuNetin+eo+rev+M.pdf, Zugriff 20.2.2020
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (31.1.2021): On visit to Baidoa, Humanitarian Coordinator Highlights Needs for ‘Long-term Durable Solutions’ for Internally Displaced Persons, https://unsom.unmissions.org/visit-baidoa-humanitarian-coordinator-highNghts-needs - %E2%80%98long-term-durable-solutions%E2%80%99-intemally, Zugriff 3.3.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Grundversorgung/Wirtschaft
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Wirtschaft und Arbeit
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die somalische Wirtschaft hat mit dem dreifachen Schock aus Covid-19, einer Heuschreckenplage und Überschwemmungen zu kämpfen. Dabei hat sich die Wirtschaft als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden (UNSC 13.11.2020, Abs.17), tatsächlich sind es dann nur minus 1,5 % geworden. Für 2021 wird ein Wachstum von 2,9 % prognostiziert (UNSC 17.2.2021, Abs.19). Jedenfalls ist der Viehexport im Rahmen der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (UNFPA 12.2020, S.1).
Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist und bleibt die Diaspora - etwa durch Investitionen (v. a. in Mogadischu und anderen Städten) (BS 2018, S.5/28; vgl. UNSC 17.2.2021, Abs.19). Remissen stabilisieren auch weiterhin Haushalte und Betriebe (UNSC 13.11.2020, Abs.17). Diese Rückflüsse sind 2020 im Vergleich zu 2019 noch einmal gestiegen (UNSC
17.2.2021, Abs.19), nach Angaben einer anderen Quelle sind sie aufgrund der Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, S.2). Zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (ÖB 3.2020, S.20).
Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, S.4), die Bevölkerung wuchs schneller als das BIP. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 500 US-Dollar (BS 2020, S.30). Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB 3.2020, S.15). Die Viehwirtschaft macht rund 60 % des BIP und 80 % der Exporte aus (BS 2020, S.25/30). Die Exporte - vor allem von Vieh - sind im ersten Halbjahr 2020 um 22 % zurückgegangen (UNSC 13.11.2020, Abs.17). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 11.3.2020, S.20). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB
3.2020, S.2/15) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2020, S.30).
Staatshaushalt: Der Staat ist in großem Maße von ausländischer Hilfe abhängig, alleine die offizielle Entwicklungshilfe betrug 2017 1,75 Milliarden US-Dollar-26 % des BIP (BS 2020, S.39). Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium - aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten -war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen (BS 2020, S.36). Im Jahr 2020 sollte sich das Budget auf 460 Mio. US-Dollar erhöhen (UNSC 13.2.2020, Abs.4). Die eigenen Einnahmen betrugen 2016 nur rd. 113 Millionen US-Dollar, 2017 waren es 143 Millionen (BS 2020, S.27). Im ersten Halbjahr 2020 wurden Steuereinnahmen in Höhe von 99 Millionen US-Dollar lukriert (UNSC 13.11.2020, Abs.18). Ca. 36 % der Staatsausgaben entfallen auf die nationale Sicherheit (HIPS 2020, S.11); nach anderen Angaben sind es sogar bis zu 90 % (BS 2020, S.36).
Im Jahr 2020 wurde in Somalia ein Meilenstein erreicht. Endlich kann das Land wieder an internationalen Finanzinstitutionen partizipieren. Im März 2020 erklärte die Afrikanische Entwicklungsbank nach einer Einzahlung durch die EU und das Vereinigte Königreich, dass alle Schulden und Rückstände Somalias beglichen sind. Die Weltbank, der IMF und die Afrikanische Entwicklungsbank haben alle Zahlungsrückstände und Darlehen bereinigt und ihre Beziehungen mit Somalia nach 30 Jahren normalisiert. Ende März bewilligte der Internationale Währungsfonds einen dreijährigen Kreditplan zur Unterstützung des Nationalen Entwicklungsplans (HIPS 2021, S.4/23).
Arbeitsmarkt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen (USDOS 11.3.2020, S.39). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort (Stadt-Land- und Nord-Süd-Gefälle) ab (BS 2020, S.30). Generell zeigt vor allem die urbane Ökonomie in Somalia - allen voran in Mogadischu - eine Erholung. Es gibt einen Bau-Boom. Supermärkte, Restaurants und Geschäfte werden eröffnet (BS 2020, S.25). Alleine der TelekomKonzern Hormuud Telecom hat in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer (RD 14.2.2021). In Puntland und Teilen Südsomalias - insbesondere Mogadischu - boomt der Bildungsbereich (BS 2020, S.32).
Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen limitiert sind. So berichten Personen, die aus Kenia in Orte in Süd/Zentralsomalia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS
11.3.2020, S.23). Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen - etwa wegen besserer Sprachkenntnisse. Gerade um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man aber auch auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (FIS 7.8.2020, S.33f). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, S.22f; vgl. OXFAM 6.2018, S.10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OX- FAM 6.2018, S.10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen
Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, S.22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, S.10).
Programme, wie die von der EU finanzierte Dalbile-Youth-Initiative, sollen Abhilfe schaffen. Dieses Programm, in welches sechs Millionen Euro investiert werden, dient der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit. Junge Menschen werden mit Fähigkeiten und Ressourcen ausgestattet, Start-ups mit bis zu 2.000 US-Dollar gefördert (UNFPA 2.3.2021b).
Einkommen: Am Bau kann man beispielsweise als Träger arbeiten. Der Verdienst für eine derartige Tätigkeit beläuft sich auf rund 100 US-Dollar im Monat. Auch am Hafen gibt es Verdienstmöglichkeiten. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar, besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen - z.B. IDPs - die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten. Damit erzielen sie ein Einkommen von 1-2 US-Dollar pro Tag (FIS 7.8.2020, S.33f). Von in der Reintegrationsphase befindlichen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab wurden im September 2017 folgende Berufe genannt: Köhler; Hilfsarbeiter am Bau in Dayniile (10 Tage pro Monat; 10 US-Dollar pro Tag); Koranlehrer am Vormittag in Dayniile (120 US-Dollar pro Monat); Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre (10-12 US-Dollar pro Tag); Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, S.30). Ärzte verdienen im Banadir-Hospital 1.500-2.000 US-Dollar, Krankenschwestern 400-600 US- Dollar (FIS 5.10.2018, S.36). Ein angestellter Fahrer, der Güter und Personen von Hiiraan nach Galgaduud befördert, verdient 300 US-Dollar pro Monat, ein anderer, der selbständig Personen transportiert, rechnet auf dieser Strecke pro Fahrt mit einem Verdienst von 75 US-Dollar (RE 18.2.2021). Eine Fleischverkäuferin in Belet Weyne verdient 4-8 US-Dollar am Tag (RE
19.2.2021) .
Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 11.3.2020, S.23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58 %, bei Frauen bei 37 % (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58 % der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016, S.4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2018 mit 14 % angeführt (BS 2020, S.23). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24-Jährigen eine Quote von 48 % (OXFAM 6.2018, S.22, FN8) und eine andere Quelle berichtet von einer Arbeitslosenquote von 47,4 % bei der erwerbstätigen Bevölkerung (ÖB 3.2020, S.15). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3 % der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos" unklar ist (z. B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).
[Zur Arbeitsmarktlage in Somalia gibt es kaum aktuelle Informationen.) In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv"; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schülern/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 2016):
• Ländlich: 68,8% der Männer - 40,5% der Frauen
• Urban: 52,6% der Männer - 24,6% der Frauen
• IDP-Lager: 55,2% der Männer - 32,6% der Frauen
• Nomaden: 78,9% der Männer - 55,6% der Frauen (UNFPA 2016)
Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4 % gelten als Arbeitssuchende. 44,2 % der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, S.29):
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Quelle: (UNFPA 2016, S.29)
In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen. Folglich sind in Puntland und Süd-/Zentralsomalia 13,8 % der Männer und 9 % der Frauen im Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 55,8 % der Männer und 32,9 % der Frauen einer Arbeit nachgehen (UNFPA 2016, S.31):
…
Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen - etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, S.10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, S.22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43 % der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, S.10).
Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z. B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80%-90% des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS 5.10.2018, S.24f), oder sie verkaufen Kleidung und Essen (RE 19.2.2021). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018,
S.10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, S.24f; vgl. OXFAM 6.2018, S.10). All diese Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, S.10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z. B. können sie nicht Taxifahrer werden (FIS 5.10.2018, S.24f).
Lebensunterhalt: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2020, S.25). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, S.2; vgl. OXFAM 6.2018, S.4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (UNFPA 2016, S.22).
Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20 % der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2 % der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30 %). Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel - v. a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, S.10). NGOs und der Privatsektor bieten den Menschen grundlegende Dienste - vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, S.4).
In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 2.2016, S.42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, S.5/32f; vgl. GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen - z. B. bei Krankenkosten - und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.9/32ff). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (BS 2020, S.29).
Aufgrund des Fehlens eines formellen Bankensystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt- credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clanverbindungen eine wichtige Rolle - und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greißler anschreiben lassen (RVI 9.2018, S.4).
Remissen: Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr ca. 1,3 Milliarden bzw. 20 % des BIP (ÖB 3.2020, S.15). Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 7.8.2020, S.34). Sie ermöglichen größeren Teilen der Bevölkerung den Lebensuntererhalt, und damit Wasser, Gesundheitsleistungen, Bildung und Strom zu finanzieren (BS 2020, S.25). Diese Remissen, die bis zu 40 % eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2020, S.29) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, S.5). Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, S.1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, S.28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia - und hier v. a. im ländlichen Raum - empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, S.2). Vorerst wurde geschätzt, dass die Remissen aufgrund der Covid-19-Pandemie 2020 um 17 % zurückgehen würden (UNSC
13.8.2020, Abs.26). Schließlich waren sie aber 2020 noch einmal höher als schon 2019 (UNSC
17.2.2021, Abs.19).
Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 -wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z. B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, S.2f).
Quellen:
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• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Fin ding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f69 44b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021
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Grundversorgung und humanitäre Lage
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die humanitären Bedürfnisse bleiben weiter hoch, angetrieben vom anhaltenden Konflikt, von politischer und wirtschaftlicher Instabilität und regelmäßigen Klimakatastrophen sowie der dreifachen Belastung durch Covid-19, Heuschrecken und Überflutungen (UNSC 13.11.2020, Abs.50; vgl. UNSC 17.2.2021, Abs.54). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 2.4.2020, S.4/21). Covid-19 hat die bereits bestehende Krise nur noch verschlimmert. Es fügt sich ein in die Krisen der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren, schweren Überflutungen mit zeitweise 650.000 Vertriebenen, dem mancherorts andauernden Konflikt und vorangehenden Jahren der Dürre. Insgesamt gelten rund 2,6 Millionen Menschen als im Land vertrieben, 3,5 Millionen können auch nur die grundlegendste Nahrungsversorgung nicht sicherstellen (DEVEX 13.8.2020). Die Aussicht für das Jahr 2021 ist düster, die Gesamtzahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen wird von 5,2 Millionen im Jahr 2020 auf 5,9 Millionen steigen (UNSC 17.2.2021, Abs.60).
Seit dem Jahr 2000 hat Somalia 19 schwere Überschwemmungen und 17 Dürren durchgemacht. Das ist dreimal so viel wie im Zeitraum 1970-1990. Im Jahr 2017 stand Somalia nach einer schweren Dürre am Rand einer Hungersnot. 2019 gab es nach einer ungewöhnlichen Gu- Regenzeit die schlechteste Ernte seit der Hungersnot im Jahr 2011 (UNSOM 31.1.2021).
Überschwemmungen: Schon im Zuge der überaus positiv ausgefallenen Deyr-Regenzeit (September-Dezember) 2019 kam es in HirShabelle, Jubaland und dem SWS zu Überschwemmungen. Besonders betroffen war Belet Weyne. 570.000 Menschen waren betroffen, 370.000 mussten ihre Häuser verlassen. Humanitäre Organisationen haben mehr als 350.000 Menschen Unterstützung geleistet (UNSC 13.2.2020, Abs.60f). Doch auch die Gu-Regenzeit (April-Juni) 2020 sorgte für Überschwemmungen. Erneut waren in 39 Bezirken 1,3 Millionen Menschen betroffen, ca. 500.000 wurden vertrieben (UNSC 13.8.2020, Abs.64). Bei saisonalen Überflutungen im September 2020 wurden erneut 630.000 Menschen vertrieben (UNSC 13.11.2020, Abs.53). Dies betraf v. a. die Bezirke Merka, Afgooye, Balcad, Jowhar und Jalalaqsi (PGN 10.2020, S.9).
Bei den Überschwemmungen im April-Juni 2020 wurden Felder zerstört (UNSC 13.8.2020, Abs.64). Im September 2020 wurden bei Überschwemmungen mehr als 1.320 Quadratkilometer bewirtschaftetes Land verwüstet (UNSC 13.11.2020, Abs.53). Insgesamt wurden 2020 alleine im Bundesstaat HirShabelle fast 1.500 Quadratkilometer Ackerland zerstört (HIPS 2021, S.18).
Heuschrecken: Im Jahr 2020 war Somalia von der größten Heuschreckenplage seit 25 Jahren betroffen, die Bundesregierung rief den nationalen Notstand aus (BBC 2.2.2020; vgl. UNSC
13.2.2020, Abs.65). Zumindest Anfang 2020 blieben die durch Heuschrecken verursachten Schäden begrenzt und lokal (FSNAU 3.2.2020c). Die damals am meisten betroffenen Gebiete waren Somaliland, Puntland und Galmudug (UNSC 13.2.2020, Abs.65). Die Gu-Regenfälle 2020 haben dafür gesorgt, dass die Heuschrecken erneut ideale Brutbedingungen vorfinden. Die FAO und die Regierung hatten vorsorglich 437 Quadratkilometer mit Bio-Pestiziden besprühen lassen (UNSC 13.8.2020, Abs.65). Später im Jahr wurden neuerlich 396 Quadratkilometer in Somaliland, Puntland und Galmudug besprüht. Damit wurden rund 90.000 Tonnen Nahrung gesichert. Luft- und Bodenoperationen gegen die Plage werden fortgesetzt (UNSC 13.11.2020, Abs.55). Trotzdem hat sich die Plage auch in die zentralen und südlichen Landesteile verbreitet. Insgesamt sind rund 3.000 Quadratkilometer und 700.000 Menschen betroffen. Humanitäre Organisationen unterstützten 25.900 agro-pastorale Haushalte, davon rd. 7.500 mit Geld (UNSC
17.2.2021, Abs.56). Jedenfalls werden die Heuschrecken noch bis mindestens Mitte 2021 eine ernste Bedrohung für Weide und Ernte darstellen (FEWS 4.2.2021). Anfang Feber 2021 wurde dann auch von der somalischen Regierung ein diesbezüglicher Notstand ausgerufen. Diesmal betrifft die Plage eher den Süden des Landes (AAG 4.2.2021).
Regenfälle: Die Deyr-Regenzeit 2020 (Oktober-Dezember) setzte um drei bis vier Wochen zu spät ein. Insgesamt blieb Deyr unterdurchschnittlich - und dies v. a. in den meisten Gebieten Nordsomalias (IPC 3.2021, S.2). Dort herrscht leichte bis moderate Dürre. Vor allem die Regionen Sanaag, Bari, Nugaal und Mudug sind von Wassermangel betroffen (FAO 1.3.2021). In Zentralsomalia fiel mehr Regen als üblich (IPC 3.2021, S.2). Trotzdem wird für 2021 eine Dürre erwartet (UNSC 13.11.2020, Abs.96).
Im November 2020 hat der Zyklon Gati Puntland getroffen und auch Teile Somalilands erreicht. Dies war der stärkste Zyklon in der Region, seit es Aufzeichnungen gibt. Der Zyklon brachte doppelt so starke Niederschläge, wie in einem Jahr durchschnittlich üblich. Dutzende puntlän- dische Ortschaften und auch ein Teil von Bossaso wurden überschwemmt (PGN 2.2021, S.5f). Infrastruktur, Häuser und 120 Fischerboote wurden beschädigt oder zerstört, 7.500 Stück Vieh getötet (USAID 8.1.2021, S.2). 120.000 Menschen waren betroffen, 42.000 wurden temporär vertrieben. 78.000 Betroffenen wurde von humanitären Organisationen Hilfe geleistet (UNSC
17.2.2021, Abs.55).
Ernte: In Südsomalia wird die Ernte nach der Deyr-Regenzeit um 20% niedriger ausfallen, als üblich. Im Norden viel die Gu/Karan-Ernte im November 2020 um 58% niedriger aus, als im langjährigen Durchschnitt. Die Heuschreckenplage hat signifikant zum Ernterückgang beigetragen (IPC 3.2021, S.2; vgl. FEWS 4.2.2021).
Armut: Rund 77 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen - insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP-Lagern (ÖB 3.2020, S.14; vgl. BS 2020,
S.22) . Nach anderen Angaben leben 69% der Bevölkerung in Armut (HIPS 2020, S.14), nach wieder anderen Angaben sind es 73 %. 43 % werden als extrem arm eingestuft (SIDRA 6.2019a, S.5). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 11.3.2020,
S.34) . Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖB 3.2020, S.14). 60 % der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23% sind Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, S.4). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019).
Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Die Zahl an Menschen, die in ganz Somalia stark oder sehr stark von Lücken in der Nahrungsmittelversorgung betroffen sind (IPC 3 und höher), ist von 1,3 Millionen Anfang 2020 (FSNAU 3.2.2020c) auf 1,6 Millionen Anfang 2021 angewachsen. Weitere 2,5 Millionen Menschen leiden ebenfalls an Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung (IPC 2) (IPC 3.2021, S.2).
Die meisten ländlichen Gebiete fallen im Zeitraum Jänner-März 2021 unter IPC 2, jene in den Regionen [geographische Einteilung nach IPC] Togdheer agro-pastoral, East Golis pastoral (Sanaag) und Coastal Deeh pastoral sowie Middle Shabelle riverine und Lower Juba riverine fallen in IPC 3. Dahingegen befinden sich Southern Inland pastoral (Hiiraan, Shabelle, Bakool, Bay und Juba) sowie Juba Cattle pastoral in IPC 1. Die meisten armen Stadtbewohner („urban poor") sowie IDPs finden sich in IPC 2; die IDPs in Burco, Laascaanood, Bossaso, Garoowe, Qardho und Baidoa in IPC 3 (IPC 3.2021, S.2).
Szenario für April-Juni 2021 - wohlgemerkt bei ausbleibender humanitärer Hilfe: Während die städtische Bevölkerung (Ausnahme Kismayo bei IPC 3) und die meisten ländlichen Gebiete weitgehend in IPC 2 verharren werden, finden sich die meisten IDPs sowie einige über ganz Somalia verteilte, ländliche Gebiete in IPC 3 wieder. Lediglich Southern Inland pastoral (Teile von Hiiraan, Lower und Middle Shabelle, Bakool, Bay sowie Lower und Middle Juba) bleiben in IPC 1 (IPC 3.2021, S.3). Insgesamt wären dann 2,7 Millionen Menschen in ganz Somalia von IPC 3 oder IPC 4 sowie 2.9 Millionen von IPC 2 betroffen (FEWS 4.2.2021).
Die Mehrheit der IDPs in städtischen Gebieten sind arm und haben nur eingeschränkte Reserven und Einkommensmöglichkeiten. Sie sind stark von externer humanitärer Hilfe abhängig. Sie, sowie Teile der armen Stadtbevölkerung (urban poor) werden bis Mitte 2021 vor moderaten bis großen Lücken bei der Nahrungsmittelversorgung stehen (FEWS 4.2.2021). Gedo ist Anfang 2021 schwer getroffen, es mangelt an Wasser und Weide. Die Krise wird durch den ungelösten Konflikt zwischen der Regierung von Jubaland und der Bundesregierung verstärkt (Sahan 1.3.2021a). Auch aus Puntland kommen Meldungen zur Dürre -124.000 Familien waren dort Anfang März akut von Nahrungs- und Wassermangel betroffen (RE 10.3.2021). Mit Stand
9.3.2021 galten folgende Bezirke als schwer von Wassermangel betroffen (nur rote und orange Ringe sind relevant):
…
In der Region Middle Juba ist im März 2021 Vieh verendet und mehrere Menschen sind den Hungertod gestorben (Sahan 4.3.2021). Auch aus dem Ceel Raage (Middle Shabelle) (Sahan 10.3.2021a) und aus Ceel Waaq (Gedo) kommen Berichte über an Hunger verstorbene Kinder und ältere Menschen (GN 8.3.2021).
Die folgenden IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Jänner 2019 bis März 2021:
…
Dabei ist angesichts der IPC-Karten die Stadtbevölkerung i.d.R. von IPC 3 oder IPC 4 anteilig weit weniger betroffen als Menschen in ländlichen Gebieten; und letztere sind weit weniger betroffen als IDPs (FEWS 4.2.2021).
…
Verteilung nach Gebieten in Prozent der Bevölkerung für Jänner-März 2020 bzw. Jänner-März 2021
…
Eine weitere Kartensammlung, in welcher ausschließlich alarmierende Werte mehrere, für die Nahrungsmittelversorgung relevanter Werte zusammengefasst dargestellt werden, zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre (je dunkler das Rot, desto mehr Alarmwerte wurden überschritten):
…
Ca. 838.900 Kinder unter fünf Jahren werden bis Dezember 2021 vor einer Situation der akuten Unter- oder Mangelernährung stehen, 143.200 vor schwerer akuter Unterernährung (IPC 3.2021, S.1; vgl. FEWS 4.2.2021). Die Daten unten zeigen, dass IDPs in manchen Städten besonders von Unterernährung betroffen sind, in anderen weniger stark [GAM = akute Unterernährung; SAM = schwere akute Unterernährung]:
…
Besorgniserregend ist die Unter- und Mangelernährung in folgenden Gebieten bzw. bei folgenden Gruppen: Shabelle und Juba riverine; Southern Inland pastoral (Ceel Barde); Xudur Stadt; Bay agropastoral; Bezirke Belet Weyne, Jalalaqsi, Buulo Barde; Matabaan; IDPs in Xudur, Bai- doa, Mogadischu, Bossaso, Garoowe und Galkacyo; Hawd pastoral (zentrale Regionen) (FEWS 4.2.2021; vgl. IPC 3.2021, S.6). Die IPC-Stufen zur Unter- und Mangelernährung für Jänner 2021 und die Prognose bis April 2021:
…
Humanitäre Hilfe: Ein von der Bundesregierung und Hilfsorganisationen neu aufgelegter Somalia Humanitarian Response Plan (HRP) hat drei Millionen Menschen notwendige lebenserhaltende Unterstützung zukommen lassen (UNOCHA 6.2.2020, S.1). Die Kosten werden mit über einer Milliarde US-Dollar beziffert (UNOCHA 6.2.2020, S.1; vgl. UNSC 13.2.2020, Abs.67). Alleine im Mai 2020 erreichte die Nahrungsmittelhilfe 2,3 Millionen von auf Hilfe angewiesene Personen; im Juni waren es 1,8 Millionen (UNSC 13.8.2020, Abs.63). Hilfe erreichte im Dezember 2020 rund 2,3 Millionen Menschen (UNSC 17.2.2021, Abs.59). Im Zeitraum Juli-Dezember 2020 erreichten humanitäre Organisationen durchschnittlich 1,8 Millionen Menschen pro Monat mit Nahrungsmittelhilfe (IPC 3.2021, S.3). Diese Hilfe hat stärkere Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und eine höhere Rate an Unterernährung verhindert (FEWS 4.2.2021). Für Mogadischu gibt es ein spezielles Sicherheitsnetz, das von der Regierung gemeinsam mit dem World Food Programme betrieben wird. Dieses erreicht seit Juli 2018 monatlich 125.000 Menschen (IPC 3.2021, S.3).
Die humanitäre Unterstützung für Somalia ist eine der am besten finanzierten humanitären Maßnahmen weltweit (RI 12.2019, S.16). Alleine die USA geben in den Jahren 2020 und 2021 mehr als einen halbe Milliarde US-Dollar dafür aus (USAID 8.1.2021, S.1). Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen. Allerdings kann aufgrund großer internationaler humanitärer Kraftanstrengungen und einer zunehmenden Professionalisierung der humanitären Hilfe bei den regelmäßig wiederkehrenden Dürren sowie Überschwemmungen inzwischen weitgehend verhindert werden, dass es zu Hungertoten kommt (AA 2.4.2020, S.21). Laut UN-Generalsekretär sind die Spitzen bei der Notwendigkeit humanitärer Hilfe in Somalia schon zur Routine geworden (UNSC 13.11.2020, Abs.96). In der Regel erreichen humanitäre Organisationen die Menschen. Im November 2020 hatten Organisationen der Nahrungsmittelhilfe beispielsweise die Erreichung von 2,1 Millionen Menschen angestrebt; erreicht wurden schließlich 1,9 Millionen. Aufgrund von Behinderungen beim Zugang zu den Menschen konnten in diesem Monat etwa nur 3% der Menschen in Middle Shabelle und niemand in Middle Juba erreicht werden. In Benadir konnten - aufgrund von Finanzierungsausfällen - nur 22% erreicht werden. Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (UNOCHA 27.1.2021, S.3ff).
Insgesamt nutzen rund 70% der Bevölkerung mobile Bankdienste, ein Drittel der Menschen haben mobile Konten (BS 2020, S.26). Aufgrund von Covid-19 hat z.B. die Hilfsorganisation CARE ihre work-for-cash-Programme ausgesetzt. Als Ersatz wird Hilfsbedürftigen das Geld auch ohne Arbeit auf ihr Mobiltelefon überwiesen. 84.000 Menschen nehmen dies in Anspruch. Die Europäische Kommission hat aufgrund der Heuschreckenplage weitere 5,8 Millionen Euro für Geldtransfers an Betroffene zur Verfügung gestellt (DEVEX 13.8.2020).
Folgende Organisationen sind beispielsweise in folgenden Städten in einem oder mehreren der genannten Bereiche tätig:
• Baidoa (Kinderschutz, Gesundheit, Rückkehr/Unterkunft, Lokalverwaltung, Katastrophenmanagement, Kommunikation): World Vision, Save the Children International, Medecins Sans Frontieres, International Organization for Migration (IOM), IMC Worldwide, Soma- lia’s Ministry of Resettlement, Disaster Management and Disability Affairs, Ministry of Humanitarian Affairs, Ministry of Planning, Baidoa District Administration, Bay Regional Administration, Gargaar Relief and Development Organization (GREDO), Social-life and Agricultural Development Organization (SADO), Radio Baidoa, Baidoa Specialist Hospital;
• Belet Weyne (Bildung, Schutz, Ernährung und Gesundheit, Nahrungsversorgungssicherheit, humanitäre Hilfe, Geldtransfer-Programme): UNICEF, Danish Refugee Council (DRC), the International Committee of the Red Cross (ICRC), Relief International, World Food Programme (WFP), Merci, World Health Organisation (WHO), UNOCHA, WARDI, Green Hope, Global Guardian Somalia Security Services, Beledweyne Private School;
• Kismayo (handwerkliche Ausbildung, Unterstützung beim Lebensunterhalt mit Lebensmittelgutscheinen und anderen Aktivitäten, Unterkunft, Bildung): Jubaland Chamber of Commerce & Industry (JCCI), American Refugee Committee (ARC), IOM, CARE, Norwe- gian Refugee Council (NRC), Daallo Airlines, Kismayo University (DI 6.2019, S.25f);
Außerhalb urbaner Zentren ist der Zugang zu manchen Bezirken nur eingeschränkt möglich - v.a. wegen der Unsicherheit entlang von Versorgungsrouten (UNSC 17.2.2021, Abs.58). Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile - speziell in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 11.3.2020, S.14; vgl. UNSC 17.2.2021, Abs.58). In Bakool hat sich die humanitäre Lage aufgrund von Unsicherheit, Drohungen und einer Blockade drastisch verschlechtert. Der Zugang für humanitäre Organisationen ist beschränkt (UNOCHA 1.2021, S.3). Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (UNOCHA 27.1.2021, S.3ff). Es kam außerdem zur Plünderung humanitärer Hilfsgüter durch al Shabaab (USDOS 11.3.2020, S.14). Alleine im Zeitraum August-November 2020 kam es zu 44 gewaltsamen Zwischenfälle mit Auswirkungen auf humanitäre Organisationen. Dabei kamen zwei Mitarbeiter ums Leben, einer wurde verletzt (UNSC 13.11.2020, Abs.57). Rund ein Drittel des Landes ist für humanitäre Kräfte nur schwer erreichbar (UNSC 13.5.2020, Abs.64).
Gesellschaftliche Unterstützung: Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2020, S.29), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 2.4.2020, S.21). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Woh- nungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2020, S.29). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, zumindest einen rudimentären Schutz (AA 2.4.2020, S.21; vgl. OXFAM 6.2018, S.11f; BS 2020, S.29). Eine weitere Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland (BS 2020, S.29). Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen. Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, S.2).
Generell stellt in Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar. Neben Familie und Clan helfen also auch andere soziale Verbindungen - seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI
6.2019, S.15ff). Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann (SIDRA 6.2019b, S.4). 22% der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28% bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7%) untergebracht. Weitere 28% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, S.11f).
In der somalischen Gesellschaft - auch bei den Bantu - ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt - wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, S.20f). Selbst Kleinhändlerinnen in IDP-Lagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen (RE 19.2.2021).
Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clanheimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (DI 6.2019, S.12).
Quellen:
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Rückkehrspezifische Grundversorgung
Letzte Änderung: 30.03.2021
Einkommen: Rund die Hälfte der vom UNHCR seit 2014 bei ihrer Rückkehr nach Somalia unterstützten Haushalte geben an, nicht über genügend Einkommen zu verfügen. Für 24% stellt humanitäre Hilfe das Haupteinkommen dar. 48% sind von Einkommen aus Taglöhnerarbeit oder Kleinhandel abhängig, 15% betätigen sich als Landwirte. Insgesamt leben von diesen Rückkehrern nur 19% in IDP-Lagern (UNHCR 12.2019). Nach anderen Angaben ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (ÖB 3.2020, S.14). Arbeitslose Rückkehrer im REINTEG-Programm (siehe unten) berichten über mangelnde Möglichkeiten; über eingeschränkte Erfahrungen, Fähigkeiten und Informationen über den Arbeitsmarkt. Nur 30% der REINTEG-Rückkehrer sind mit ihrer ökonomischen Situation zufrieden, viele klagen über niedriges Einkommen und lange Arbeitsstunden (IOM 3.12.2020). Dabei ist wirtschaftliche Unabhängigkeit für viele Rückkehrerim REINTEG-Programm ein Hauptthema. Viele von ihnen sind diesbezüglich Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt - v.a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben (IOM 9.3.2021b).
Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder-je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.5/31f). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clanoder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 3.2020, S.14). Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, S.39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, S.5).
Unterstützung extern: Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, S.63) und Kenia gibt es seitens des UNHCR finanzielle Unterstützung. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt. Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNHCR 30.9.2018, S.6; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.63), die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können (LIFOS
3.7.2019, S.63). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 2.4.2020, S.22). IOM hat über die von der EU finanzierte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration seit März 2017 knapp 6.500 Rückkehrer bei der freiwilligen Rückkehr nach Somalia unterstützt. Fast 12.000 Rückkehrer erhielten Unterstützung nach ihrer Ankunft in Somalia (IOM 8.3.2021).
Rückkehrprogramme: In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network) wurde mit November 2019 auch die Destination Somalia aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büro in Mogadischu. Das Programm umfasst - neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln - pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019). Neben Mogadischu hat IRARA Standorte in Kismayo, Baidoa und Belet Weyne. Laut IRARA werden nicht nur freiwillige Rückkehrer, sondern auch abgewiesene Asylwerber, irreguläre Migranten, unbegleite- te Minderjährige und andere vulnerable Gruppen unterstützt und vom Programm abgedeckt. Bei Ankunft bietet IRARA Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft (sieben Tage); medizinische Betreuung; Grundversorgung. Zur Reintegration wird ein maßgeschneiderter Plan erstellt, der folgende Maßnahmen enthalten kann: soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung; Unterstützung für ein Start-up; Unterstützung für vulnerable Personen (IRARA o.D.a).
Das ebenfalls von der EU finanzierte Programm REINTEG bietet freiwilligen Rückkehrern - je nach Bedarf - medizinische und psycho-soziale Unterstützung; Bildung für Minderjährige; Berufstraining und Ausbildung, um ein Kleinunternehmen zu starten; die Grundlage für eine Arbeit,
die ein eigenes Einkommen bringt; und Unterstützung bei Unterkunft und anderen grundlegenden Bedürfnissen. Durchschnittlich waren die REINTEG-Rückkehrer zwei Jahre lang weg aus Somalia (IOM 3.12.2020). Für Rückkehrer im REINTEG-Programm hat IOM im Mai 2020 eine Hotline eingerichtet. Rückkehrer melden sich dort, um etwa Fragen hinsichtlich der Zeitpläne zur ökonomischen Reintegration beantwortet zu bekommen, oder um hinsichtlich ihrer Mikro-Unternehmen oder auch z.B. für psycho-soziale oder medizinische Unterstützung anzusuchen (IOM 9.3.2021b). Nachdem schon im Jahr 2019 in Hargeysa erfolgreich ein Rückkehrer-Komitee für REINTEG eingerichtet worden war, wurde ein solches 2020 auch in Mogadischu gebildet. Die ebenfalls aus Rückkehrern zusammengesetzten Komitees unterstützen Rückkehrer nach ihrer Ankunft. Sie teilen Informationen und Netzwerke und stellen Kontakt zu relevanten Organisationen und Reintegrationsprojekten her (IOM 3.12.2020).
Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEG- Programm als problematisch beschrieben (IOM 3.12.2020). Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2020, S.25). In den „besseren" Bezirken der Stadt, wo es größere Sicherheitsvorkehrungen gibt - z.B. Waaberi, Medina, Hodan oder das Gebiet am Flughafen - kostet die Miete eines einfachen Raumes mit 25m2 50-100 US-Dollar pro Monat. Am Stadtrand - z.B. in Heliwaa oder am Viehmarkt - sind die Preise leistbarer. Der Kubikmeter Wasser wird um 1-1,5 US-Dollar verkauft (FIS 7.8.2020, S.31). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, S.63; vgl. AA 2.4.2020, S.22, USDOS 11.3.2020, S.22). Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (AA 2.4.2020, S.22f). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020, S.32).
Frauen und Minderheiten: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige - geführt von einem männlichen Verwandten - umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, S.23). Auch für Angehörige von Minderheiten - etwa den Bantus - gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z.B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein (LIFOS 19.6.2019, S.8). Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB 3.2020, S.11).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
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15.4.2020
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• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Fin ding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f69 44b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf, Zugriff 17.3.2021
• IOM - Internationale Organisation für Migration (9.3.2021b): ‘Returnees can Call us from Sunday to Thursday during Working Hours’, https://migrationjointinitiative.org/news/returnees-can-call-us - sunday-thursday-during-working-hours , Zugriff 11.3.2021
• IOM - Internationale Organisation für Migration (8.3.2021): Eintrag auf Twitter, 8:15, https://twitter. com/IOM_Somalia/status/1368822542157438979/photo/1, Zugriff 11.3.2021
• IOM - Internationale Organisation für Migration (3.12.2020): How Peer Support Can Assist Returnees to Breathe Easy, https://migrationjointinitiative.org/news/how-peer-support-can-assist-return ees-breathe-easy, Zugriff 11.3.2021
• IRARA- International Return and Reintegration Assistance (o.D.a): Country Leaflets - Somalia, https://www.irara.org/leaflets/ , Zugriff 11.3.2021
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• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf, Zugriff 10.12.2020
• SIDRA - Somali Institute for Development Research and Analysis (6.2019a): The Idle Youth Labor Force in Somalia: A blow to the Country’s GDP, https://sidrainstitute.org/2019/06/30/the-idle-youth -labor-force-in-somalia-a-blow-to-the-countrys-gdp/, Zugriff 8.10.2020
• UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (12.2019): Somalia, Post Return Monitoring Snapshot as of December 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2022667/document-12.pdf , Zugriff 27.1.2020
• UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.9.2018): Operational Update Somalia 1-30 September 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/66704.pdf , Zugriff 21.6.2019
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Grundversorgung (es ist auch der Teil zu Somalia zu berücksichtigen)
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die Regierung ist in der Lage, grundlegende Dienste bereitzustellen. Gerade im Bildungs- und Gesundheitsbereich wurden hier signifikante Verbesserungen erreicht (BS 2020, S.11). Allerdings herrscht im Land noch immer ein hohes Maß an Armut (BS 2020, S.33). Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem. Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor. Das eigentliche soziale Sicherungsnetz bilden die erweiterte Familie und der Clan. Auch Remissen aus dem Ausland tragen zu diesem Netz bei (BS 2020, S.29). Viele Haushalte sind darauf angewiesen (FH 4.3.2020, G4).
In vielen Teilen Somalilands gibt es nach wie vor Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und Armut. In ländlichen Gebieten lebt mehr als eine von drei Personen in Armut, in urbanen Gebieten ist es mehr als eine von vier (HD 14.1.2021). Überdurchschnittlich viele der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten (76 %) oder aber auch in institutionellen Pflegeeinrichtungen (7%) untergebracht. Weitere 54% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn. Generell sind gesellschaftlicher Zusammenhalt und soziale Netze in Somaliland besser als in anderen Landesteilen (OXFAM 6.2018, S.11f). Wenn Verwandten aber die Ressourcen zur Hilfe ausgehen, führt der Weg oft ins IDP-Lager (TG 8.7.2019).
In Somaliland ist es den Menschen aufgrund der besseren Sicherheitslage und der grundsätzlich besseren Organisation der staatlichen Stellen und besseren staatlichen Interventionen im Krisenfalle rascher möglich, den Lebensunterhalt wieder aus eigener Kraft zu bestreiten (AA
2.4.2020, S.22). Allerdings hat das Land in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren Dürre durchlebt. Vielen Menschen ist dadurch ihr Lebensunterhalt verloren gegangen. Auch früher hat es Dürren gegeben, aber nicht in dieser Frequenz (DEVEX 9.7.2019; vgl. TG 8.7.2019). Rund 725.000 Menschen sind akut von einer Unsicherheit in der Nahrungsmittelversorgung betroffen (ÖB 3.2020, S.19). Aus Bari, Nugaal und Sanaag kommen Anfang 2021 Meldungen über Wassermangel; auch die Region Togdheer ist von der Krise betroffen (UNOCHA 27.1.2021, S.1). Die National Disaster Agency (NADFOR) hat bestätigt, dass eine schwere Dürre Teile von Maroodi-Jeex, Togdheer, Sool und Sanaag getroffen hat. Anfangs wurde durch die Regierung Nahrung verteilt, doch war dies zu wenig, um die betroffenen ca. 55.000 Familien zu versorgen (SLS 7.3.2021).
Bereits seit der Hungersnot 2011 versuchen internationale Organisationen, eine Resilienz gegenüber den Klimabedingungen in der Region aufzubauen. Allerdings führen akute Notlagen immer wieder zu einer Umplanung der Ressourcen, damit nötige Soforthilfe bereitgestellt werden kann (ÖB 3.2020, S.19). Der Konflikt in den umstrittenen Gebieten von Sool und Sanaag schränkt den Zugang für humanitäre Organisationen ein (USDOS 11.3.2020, S.14). Dahingegen kommt es zu keinen Problemen durch al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, S.38).
Aufgrund der vergleichsweise guten Sicherheitslage, verzeichnen die UN in Somaliland weniger Zwischenfälle im Zusammenhang mit humanitärem Zugang als anderswo im Land (ÖB
3.2020, S.19). Alleine die UN führt für die somaliländischen Regionen folgende Zahlen an aktiven
Partnern an: Awdal: 29; Woqooyi Galbeed: 42; Togdheer: 34; Sool: 36; Sanaag: 32 (UNOCHA
11.2020) .
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
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15.4.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• DEVEX / Sara Jerving (9.7.2019): Somali aid community faces up to a new reality of recurring drought, https://www.devex.com/news/somali-aid-community-faces-up-to-a-new-reality-of-recurri ng-drought-95229 , Zugriff 26.1.2021
• FH - Freedom House (4.3.2020b): Freedom in the World 2019 - Somaliland, https://www.ecoi.net /de/dokument/2030808.html , Zugriff 12.10.2020
• HD - Horn Diplomat (14.1.2021): Somaliland Budget Analysis 2021, https://www.horndiplomat.c om/2021/01/14/somaliland-budget-analysis-2021/, Zugriff 26.1.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://ww w.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf, Zugriff 17.3.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, http://regionaldss.org/wp-content/uploa ds/2018/07/bn-somalia-somaliland-drought-displacement-protection-280618-en-002.pdf, Zugriff
26.1.2021
• SLS - Somaliland Standard (7.3.2021): NADFOR chief confirms drought plight in Somaliland, https: //somalilandstandard.com/nadfor-chief-confirms-drought-plight-in-somaliland/, Zugriff 10.3.2021
• TG - The Guardian (8.7.2019): In Somalia, the climate emergency is already here. The world cannot ignore it, https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/jul/08/somalia-climate-emer - gency-world-drought-somalis, Zugriff 26.1.2021
• UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (27.1.2021): Somalia - Humani- tarian Dashboard - December 2020, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-humanitarian-da shboard-december-2020-27-january-2021, Zugriff 9.3.2021
• UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (11.2020): Somalia Operational Presence (3W), October 2020, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarian response.info/files/documents/files/somalia_operational_presence_3ws_october.pdf, Zugriff
26.1.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA2.4.2020, S.22). Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete (HIPS 5.2020, S.38). Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können (HIPS 5.2020, S.38;
vgl. AA 3.12.2020). Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten (HIPS 5.2020, S.38).
Folglich zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt (ÖB 3.2020, S.15). Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 54,4 Jahre für Männer und 57 Jahre für Frauen (HIPS
5.2020, S.18; vgl. AA2.4.2020, S.22). Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 2.4.2020, S.22); daran sterben jährlich 87 von 100.000 Einwohnern (Äthiopien: 44) (HIPS 5.2020, S.24). Die Quoten von Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind unter den höchsten Werten weltweit (AA 2.4.2020,
S.22) . Eine von zwölf Frauen stirbt während der Schwangerschaft, eines von sieben Kindern vor dem fünften Geburtstag (Äthiopien: 17). Bei der hohen Kindersterblichkeit schwingt Unterernährung bei einem Drittel der Todesfälle als Faktor mit (ÖB 3.2020, S.15; vgl. HIPS 5.2020, S.21ff). Selbst in Somaliland und Puntland werden nur 44% bzw. 38% der Mütter von qualifizierten Geburtshelfern betreut (ÖB 3.2020, S.15). Al Shabaab hat die medizinische Versorgung eingeschränkt - etwa durch die Behinderung zivilen Verkehrs, die Vernichtung von Medikamenten und die Schließung von Kliniken (USDOS 11.3.2020, S.14).
Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten (HIPS 5.2020, S.42). Insgesamt kommen auf 100.000 Einwohner nur zwei im medizinischen Bereich ausgebildete Personen (Standard weltweit: 25 pro 100.000) (UNOCHA 31.3.2020, S.2). Nach anderen Angaben sind es pro 100.000 Einwohnern fünf Ärzte, vier Krankenpfleger und eine Hebamme. Dabei herrscht jedenfalls eine Ungleichverteilung: In Puntland gibt es 356 Ärzte, in Jubaland nur 54 und in Galmudug und im SWS je nur 25 (HIPS 5.2020, S.27/44ff).
In Benadir gibt es 61 Gesundheitseinrichtungen, in HirShabelle 81. In anderen Bundesstaaten stehen folgende Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung (HIPS 5.2020, S.39ff):
…
Nach anderen Angaben gibt es in ganz Somalia 11 öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es 4 öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren (FIS 7.8.2020, S.31). Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen (HIPS 5.2020, S.39). In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt werden (FIS 5.10.2018, S.36). Im Gegensatz zu Puntland werden in Süd-/Zentralsomalia Gesundheitseinrichtungen vorwiegend von internationalen NGOs unter Finanzierung von Gebern betrieben (HIPS 5.2020, S.39). Das Keysaney Hospital wird von der Somali Red Crescent Society (SRCS) betrieben. Zusätzlich führt die SRCS Rehabilitationszentren in Mogadischu und Galkacyo (SRCS 2020, S.8). Die Spitäler Medina und Keysaney (Mogadischu) sowie in Kismayo und Baidoa werden vom Roten Kreuz unterstützt (ICRC 7.2020). Das Rote Kreuz unterstützt die Somali Red Crescent Society beim Betrieb von 29 Erstversorgungseinrichtungen (20 feste und 9 mobile Kliniken). Auch vier Spitäler mit insgesamt 410 Betten in Mogadischu (Keysaney, Medina), Baidoa und Kismayo werden unterstützt (ICRC 13.9.2019).
Allerdings sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet (AA 2.4.2020, S.22; vgl. FIS 7.8.2020, S.31f), was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht (AA 2.4.2020, S.22). Dabei ist der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus erheblich schlechter (FIS 5.10.2018, S.36). Zudem bietet die Mehrheit der Krankenhäuser nicht alle Möglichkeiten einer tertiären Versorgung (HIPS 5.2020, S.38). Speziellere medizinische Versorgung - etwa Chirurgie - ist nur eingeschränkt verfügbar - in öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst am Banadir Hospital - einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist - nur einfache Operationen durchgeführt (FIS 5.10.2018, S.35). Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden (FIS 7.8.2020, S.31).
Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden. Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Schon ein kleiner operativer Eingriff kostet 100 US-Dollar. Am Banadir-Hospital in Mogadischu wird eine Ambulanzgebühr von 5-10 US-Dollar eingehoben, die Behandlungsgebühr an anderen Spitälern beläuft sich auf 5-12 US-Dollar. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos. Üblicherweise sind die Kosten für eine Behandlung aber vom Patienten zu tragen (FIS 5.10.2018, S.35f). Am türkischen Spital in Mogadischu, das als öffentliche Einrichtung wahrgenommen wird, werden nur geringe Kosten verrechnet, arme Menschen werden gratis behandelt (MoH/DIS 27.8.2020, S.73). Generell gilt, wenn z.B. ein IDP die Kosten nicht aufbringen kann, wird er in öffentlichen Krankenhäusern auch umsonst behandelt. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. Bei privaten Einrichtungen sind alle Kosten zu bezahlen (FIS 7.8.2020, S.31/37). Es gibt keine Krankenversicherung (MoH/DIS 27.8.2020, S.73).
Aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten musste die SRCS ihre mobilen und stationären Kliniken von 129 auf 72 reduzieren (57 stationäre und 15 mobile). Als Ziel wird die Abdeckung des Bedarfs von rund 1,6 Millionen Menschen angegeben. Im Jahr 2019 konnten mehr als 850.000 Patienten behandelt werden. Davon waren 45% Kinder und 40% Frauen. Die häufigsten Behandlungen erfolgten in Zusammenhang mit akuten Atemwegserkrankungen (26%), Durchfallerkrankungen (9,2%), Anämie (13%), Hautkrankheiten (5,2%), Harnwegsinfektionen (11,6%) und Augeninfektionen (4,4%) (SRCS 2020, S.9f). Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen örtlicher (islamistischer) Machthaber unterbrochen werden (AA 2.4.2020, S.22).
Psychiatrie: Es gibt in ganz Süd-/Zentralsomalia und Puntland nur einen Psychiater, elf Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie 19 Pflegekräfte. Folgende psychiatrische Einrichtungen sind bekannt (WHO Rizwan 8.10.2020):
…
An psychiatrischen Spitälern gibt es nur zwei, und zwar in Mogadischu; daneben gibt es drei entsprechende Abteilungen an anderen Spitälern und vier weitere Einrichtungen. Dabei gibt es eine hohe Rate an Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (WHO Rizwan 8.10.2020). Psychische Probleme werden durch den bestehenden Konflikt und den durch Instabilität, Ar- beits- und Hoffnungslosigkeit verursachten Stress gefördert. Schätzungen zufolge sind 30% der Bevölkerung betroffen (FIS 5.10.2018, S.34; vgl. ÖB 3.2020, S.16), die absolute Zahl wird mit 1,9 Millionen Betroffenen beziffert (HIPS 5.2020, S.26). Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weit verbreitete Praxis. Dies gilt selbst für psychiatrische Einrichtungen - etwa in Garoowe (WHO Rizwan 8.10.2020).
Verfügbarkeit:
• Diabetes: Kurz- und langwirkendes Insulin ist kostenpflichtig verfügbar. Medikamente können überall gekauft werden. Die Behandlung erfolgt an privaten Spitälern (UNFPA/DIS
25.6.2020, S.84). Rund 537.000 Menschen leiden in Somalia an einer Form von Diabetes (HIPS 5.2020, S.26).
• Dialyse: In Mogadischu ist Dialyse nicht möglich (FIS 7.8.2020, S.31); nach anderen Angaben steht Dialyse in Städten zur Verfügung, nicht aber auf Bezirksebene (MoH/DIS
27.8.2020, S.74). Am türkischen Krankenhaus in Mogadischu kostet jede Behandlung 35 US-Dollar (DIS 11.2020, App. F, S.16).
• HIV/AIDS: Kostenlose Dienste stehen zur Verfügung (MoH/DIS 27.8.2020, S.74). Über das Land verstreut gibt es Zentren, in welchen anti-retrovirale Medikamente kostenfrei abgegeben werden (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.83).
• Krebs: Es gibt nur diagnostische Einrichtungen, keine Behandlungsmöglichkeiten (MoH/DIS
27.8.2020, S.74). Es sind auch keine Medikamente verfügbar. Wer es sich leisten kann, geht zur Behandlung nach Indien, Äthiopien, Kenia oder Dschibuti (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.83).
• Orthopädie: Das SRCS betreibt in Hargeysa, Mogadischu und Galkacyo orthopädische Rehabilitationszentren samt Physiotherapie (SRCS 2020, S.8). An den genannten Zentren der SRCS in Mogadischu und Galkacyo werden Prothesen, Orthosen, Physiotherapie, Rollstühle und Gehhilfen organisiert, unterhalten und repariert (SRCS 2020, S.20ff).
• Psychische Krankheiten: Die Verfügbarkeit ist hinsichtlich der Zahl an Einrichtungen, qualifiziertem Personal und geographischer Reichweite unzureichend. Auch die Verfügbarkeit psychotroper Medikamente ist nicht immer gegeben, das Personal im Umgang damit nicht durchgehend geschult (WHO Rizwan 8.10.2020). Oft werden Patienten während psychotischer Phasen angekettet (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.84).
• Transplantationen: Diese sind in Somalia nicht möglich, es gibt keine Blutbank. Patienten werden i.d.R. nach Indien, in die Türkei oder nach Katar verwiesen (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.84).
• Tuberkulose: Die Behandlung wird über den Global Fund gratis angeboten (UNFPA/DIS
25.6.2020, S.84). Die Zahl an Infizierten mit der multi-resistenten Art von Tuberkulose ist in Somalia eine der höchsten in Afrika. Mehr als 8% der Neuinfizierten weisen einen resistenten Typ auf (HIPS 5.2020, S.25).
Medikamente: Grundlegende Medikamente sind verfügbar (FIS 5.10.2018, S.37; vgl. FIS
7.8.2020, S.31), darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. In den primären Gesundheitszentren ländlicher Gebiete kann es bei Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten zu Engpässen kommen (FIS 5.10.2018, S.37). Nach anderen Angaben kommt es in Krankenhäusern allgemein immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Verbands- und anderen medizinischen Verbrauchsmaterialien (AA 3.12.2020). Die oben erwähnten, vom Roten Kreuz unterstützten Spitäler erhalten Medikamente vom Roten Kreuz (ICRC 13.9.2019).
Es gibt keine Regulierung des Imports von Medikamenten (DIS 11.2020, S.73). Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Für Apotheken gibt es keinerlei Aufsicht (FIS 5.10.2018, S.37). Die zuständige österreichische Botschaft kann zur Medikamentenversorgung in Mogadischu keine Angaben machen (ÖB 3.2020, S.16).
Quellen:
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• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
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Rückkehr
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Rückkehr international: Die steigende Rückkehr von somalischen Flüchtlingen nach Somalia ist eine Tatsache (ÖB 3.2020, S.13). Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd- und Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Es gibt keine Statistiken, doch alleine die vollen Flüge nach Mogadischu und die sichtbaren Investments der Diaspora scheinen die Entwicklung zu bestätigen (EASO 12.2017, S.55). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA3./4.2017). Repräsentanten der somalischen Gemeinde in London geben an, dass hunderte ihrer Kinder nach Somalia, Somaliland und Kenia ausgeflogen wurden. Grund dafür ist die wachsende Sorge der Eltern vor Drogenbanden und Gewalt in England (TG 9.3.2019).
Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Belgien führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. Schweden unterstützt freiwillige Rückkehrer. Schweden kann inAusnahmefällen verurteilte Straftäter nach Puntland zurückführen. Aus den USA wurden seit 2018 über 200 Somali nach Mogadischu abgeschoben. 2018 hat auch die Schweiz erstmals nach Mogadischu abgeschoben. Die Niederlande haben derzeit ihre Rückführungen nach Somalia ausgesetzt (AA2.4.2020, S.23f). Im November 2019 wurde Somalia in das ERRIN-Programm für freiwillige Rückkehr aufgenommen. Daran partizipiert auch Österreich (BMI 8.11.2019).
Rückkehr regional: Bis November 2019 sind insgesamt 91.232 Somalis über AVR-Programme (zur unterstützten freiwilligen Rückkehr) des UNHCR zurückgeführt worden, mehrheitlich aus Kenia, aber auch aus Dschibuti, Libyen und dem Jemen (UNHCR 30.11.2019). Aus dem Jemen sind dort als Flüchtlinge anerkannte Somali zurückgekehrt (USDOS 11.3.2020, S.22). Mehr als 75 % der Rückkehrer aus dem Jemen gehen nach Mogadischu (UNHCR 30.6.2019a). Immer mehr somalische Flüchtlinge im Jemen wenden sich an den UNHCR, um Unterstützung für ihre Rückkehr zu erhalten. Knapp 5.000 von ihnen wurden bis November 2019 nach Somalia zurückgebracht (UNHCR 30.11.2019). Insgesamt kamen aus dem Jemen schon rund 45.000 Personen zurück (ÖB 3.2020, S.13). Im Feber 2021 landete ein Boot mit 164 jemenitischen und somalischen Familien in Bossaso, die Menschen wurden dort in einem Flüchtlingszentrum registriert (Sahan 25.2.2021b).
Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR (AA2.4.2020, S.22; vgl. NLMBZ 3.2019, S.54). Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 84.820 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück. Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland (AA 2.4.2020,
S.22) . Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie ca. 8 % aller seit 2014 bei der Rückkehr nach Somalia vom UNHCR unterstützten Haushalte zu ihrer Situation befragt. Davon befanden sich 57 % in Lower Juba (Kismayo), 24 % in Benadir/Mogadischu, 8 % in Bay (Baidoa) und 11 % in anderen Gebieten Somalias. 93 % der Rückkehrer sind demnach mit ihrer Entscheidung zur Rückkehr zufrieden; 95 % gaben an, sich sicher zu fühlen (UNHCR 12.2019).
Die Remigration von Kenia nach Somalia erfolgt hauptsächlich über Land, wobei die Fahrt bis an die Grenze organisiert wird, und die Rückkehrer dann innerhalb Somalias den Transport selbst arrangieren (NLMBZ 3.2019, S.54). Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen (FIS 7.8.2020, S.28). Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikt immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung (USDOS 11.3.2020, S.22).
Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Über dieses Programm sind bislang 775 Rückkehrer bei Rückkehr und Reintegration unterstützt worden (AA 2.4.2020, S.22).
Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professio- nalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird (AA 2.4.2020, S.23). Am Flughafen kann es zu einer Befragung von Rückkehrern kommen (NLMBZ 3.2019, S.52). Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität,
Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer (AA
2.4.2020, S.23).
Es sind keine Fälle bekannt, wo somalische Behörden Rückkehrer misshandelt haben (NLMBZ
3.2019, S.52). Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 2.4.2020, S.23).
Erreichbarkeit: Einen internationalen Standards entsprechenden, regelmäßigen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es mit Turkish Airlines aus Istanbul, Ethiopian Airlines aus Addis Abeba, Kenyan Airways aus Nairobi und Qatar Airways aus Doha. Darüber hinaus fliegen nur regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Für Rückführungen somalischer Staatsbürger werden die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgt meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmert (AA 2.4.2020, S.24).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
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15.4.2020
• BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM
• BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per e-Mail
• EASO - European Asylum Support Office (12.2017): Somalia Security Situation, https://www.easo .europa.eu/sites/default/files/publications/coi-somalia-dec2017lr.pdf, Zugriff 3.12.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
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• Sahan - Sahan / Hillaac Net (25.2.2021b): The Somali Wire No. 90, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.hillaac.net/puntland-oo-qaabishay-in-ka-badan-160-qoys-oo-qaxooti-ka-soo -cararay-yemen/
• TG - The Guardian (9.3.2019): Mothers send sons to Somalia to avoid knife crime, https://www.theguardian.com/uk-news/2019/mar/09/british-somalis-send-sons-abroad-to-protect - against-knife-crime , Zugriff 3.12.2020
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• UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.6.2019): UNHCR Somalia Factsheet -1 - 30 June 2019, https://reliefweb.int/report/somalia/unhcr-somalia-factsheet-1-30-june-2019 , Zugriff
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• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Dokumente
Letzte Änderung: 30.03.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 30.03.2021
Es gibt im Land kein umfassendes Programm zur Geburtenregistrierung, die Registrierungsrate beträgt in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur rund 3% (ÖB 3.2020). Seit dem Fall von Siad Barre im Jahr 1991 herrscht in Somalia eine „dokumentenlose" Gesellschaft. Normalerweise identifizieren sich Somalis durch Dialekt und Clanzugehörigkeit (LIFOS 9.4.2019, S.13). Der Großteil der Bevölkerung besitzt also keine Papiere (ÖB 3.2020, S.4). Üblicherweise verfügen nur jene Somali über Dokumente, die vorhaben, ins Ausland zu reisen (LIFOS 9.4.2019, S.13).
Identitätsprüfung: Möchte jemand ein Dokument beantragen, dann muss er sich an jene Lokalbehörde wenden, wo er geboren wurde oder lebt (LIFOS 9.4.2019, S.15f). Nachdem in Somalia kein Personenstandsverzeichnis existiert, erfolgt die Ausstellung von Dokumenten allein aufgrund der mündlichen Angaben der antragstellenden Person (ÖB 3.2020, S.4; vgl. LI 14.6.2018,
S.17) und ggf. anwesender Zeugen und Verwandten (ÖB 3.2020, S.4; vgl. LI 14.6.2018, S.17; LIFOS 9.4.2019, S.15f). Die Person selbst wird interviewt und nach dem Ältesten befragt, mit welchem ggf. Kontakt aufgenommen wird (LIFOS 9.4.2019, S.15f). Denn die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt - neben Verwandten - oft durch Älteste eines Dorfes (ÖB 3.2020, S.4).
Folglich kann es bei Angaben, die zur Ausstellung eines Dokuments gemacht werden müssen, leicht zu Falschangaben kommen. Zusätzlich fördern schwache Institutionen, niedrige Gehälter und eine Kultur der Korruption die Bestechlichkeit von Beamten, welche Dokumente ausstellen. Auch die starken Loyalitäten, die auf dem Clansystem beruhen, kommen hier zu tragen. In das System der Identifizierung einzelner Personen kann folglich nicht viel Vertrauen gelegt werden (LIFOS 9.4.2019, S.34ff). Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten (AA 2.4.2020, S.24).
Dokumentensicherheit: Für Somalier ist es generell einfach, echte Dokumente (fast jeden) unwahren Inhalts zu besorgen, darunter auch unrichtige Pässe der Nachbarländer Dschibuti, Äthiopien und Kenia. In Somalia selbst, aber auch z.B. im Stadtteil Eastleigh in Nairobi, werden gefälschte somalische Reisepässe ebenso wie zahlreiche andere gefälschte Dokumente zum Verkauf angeboten (AA 2.4.2020, S.24). Dokumenten mangelt es insgesamt an nachweisbaren Grundlagen und Verlässlichkeit der Angaben. Dieser Umstand öffnet die Tür für Betrug und Missbrauch. Personen mit fünf verschiedenen Reisedokumenten und fünf darin anderslautenden Namen sind keine Seltenheit. Hinzu kommen erschwerend die häufige Namensgleichheit bzw. verschiedene Namensschreibweisen (ÖB 3.2020, S.4). Für ethnische Somali aus den Nachbarländern scheint es kein Problem zu sein, an echte somalische Dokumente zu gelangen. Sowohl in Kenia als auch in Äthiopien sind zahlreiche eigene Staatsbürger somalischer Ethnie als aus Somalia stammende Flüchtlinge registriert (BFA 3./4.2017). Die Echtheit von Dokumenten bzw. Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. dem Wahrheitsgehalt von Dokumenten kann von österreichischen Vertretungsbehörden keinesfalls überprüft werden (ÖB
3.2020, S.4).
Dokumente: Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten (ÖB 3.2020, S.9). Dabei erfolgt die Ausstellung eines Passes in Mogadischu innerhalb weniger Wochen ohne Problem, die Kosten betragen 90-100 US-Dollar. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis (FIS 7.8.2020, S.45). Pässe können außerhalb Somalias auch an 27 somalischen Botschaften beantragt werden (NLMBZ 3.2019, S.29ff). Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die Integrität dieses Dokuments ist untergraben (ÖB 3.2020, S.5; vgl. BS 2020, S.17). Aufgrund von weit verbreitetem Passbetrug erkennen viele Staaten den somalischen Reisepass nicht als gültiges Reisedokument an (ÖB 3.2020, S.9; vgl. USDOS 11.3.2020, S.21).
Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig (FIS
7.8.2020, S.45; vgl. NLMBZ 3.2019, S.29ff). Letztere kann ebenfalls an der Botschaft beantragt werden (NLMBZ 3.2019, S.29ff). Die große Mehrheit somalischer Geburtsurkunden ist aber entweder gefälscht oder sonst für einen Identitätsnachweis unbrauchbar (LIFOS 9.4.2019, S.34f). Geburtsurkunden mit falschen Einträgen können gekauft werden (FIS 7.8.2020, S.45). Selbst somalische Behörden schenken somalischen Geburtsurkunden nur wenig Vertrauen (BFA 3./4.2017).
In Puntland erhalten nicht-puntländische Somali zwar keinen puntländischen Ausweis; sie können aber eine Personalurkunde erhalten (warqadda sugnaanta), wo ihre eigentliche Herkunft eingetragen ist. Für IDPs aus anderen Teilen Somalias gibt es in Puntland eigene ID-Karten (LIFOS 9.4.2019, S.17).
Ehen werden vor einem Schariagericht geschlossen und auch wieder aufgelöst. Die Scharia-Gerichte können Ehe- und Scheidungsurkunden ausstellen. Es gibt kein zentrales Verzeichnis, das die Akte der Gerichte nachprüfbar macht (ÖB 3.2020, S.9). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018,
S.7) .
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante
Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028000/Deutschland A
usw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lag e_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2020%29%2C_02.04.2020.pdf , Zugriff
15.4.2020
• BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia [Österreich/Schweiz] (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf, Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Moga- dishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact -Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://landinfo.no/wp-conte nt/uploads/2018/09/Report-Somalia-Marriage-and-divorce-14062018-2.pdf, Zugriff 2.12.2020
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff
17.3.2021
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information
Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie maart_2019.pdf, Zugriff 2.12.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf, Zugriff 21.1.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
2.1.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF sowie seiner Volksgruppenzugehörigkeit ergeben sich aus seinen eigenen Angaben während des Verfahrens, zuletzt etwa in der mündlichen Verhandlung (S. 27 Verhandlungsprotokoll) an denen kein Grund für Zweifel besteht.
Da der BF keine somalischen Identitätsdokumente vorlegte, konnte seine Identität nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Der BF gab in der Erstbefragung auch offen zu, in Griechenland und Ungarn einen anderen Namen angegeben zu habe und er dort als „ XXXX aufgetreten sei (AS 11). Auch sein Geburtsdatum konnte nicht eindeutig festgestellt werden, da der BF während des Verfahrens auch dazu unterschiedliche Angaben machte. So gab er in der Erstbefragung und der ersten Einvernahme vor dem BFA an, er sei am XXXX geboren (AS 1 und AS 87), während auf dem vorgelegten Taufschein plötzlich angeführt ist, dass der BF am XXXX geboren sei (AS 415). Fest steht jedenfalls, dass der BF volljährig ist.
Die Feststellungen zur Muttersprache des BF sowie dem Umstand, dass er auch die Sprache Englisch spricht, ergeben sich aus den eigenen glaubwürdigen Angaben des BF während des Verfahrens (etwa AS 1) sowie den Ausführungen des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2021, welcher angab, sich mit dem BF teils auf Englisch unterhalten zu haben (S. 30 Verhandlungsprotokoll). Der Umstand, dass der BF Deutsch spricht, ergibt sich aus den vorgelegten Bestätigungen betreffend den Besuch von Deutschkursen sowie der Absolvierung von Deutschprüfungen sowie dem Eindruck der erkennenden Richterin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.10.2021, wo der BF dem erkennenden Gericht – wenn auch in gebrochenem Deutsch – seinen Tagesablauf erzählen konnte (vgl. S. 25 Verhandlungsprotokoll).
Die Feststellungen zum Geburtsort sowie den Wohnorten des BF in Somalia (zuletzt in Mogadischu) ergeben sich aus den eigenen Angaben des BF während des Verfahrens, zuletzt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Es steht daher auch fest, dass der BF mit den Gegebenheiten in der Stadt Mogadischu sehr gut vertraut ist.
Da der BF während des gesamten Verfahrens stets angab, in Somalia mehrere Jahre in die Schule gegangen zu sein, konnte dieser Umstand vom erkennenden Gericht als glaubwürdig festgestellt werden. Da der BF zum Dauer des Schulbesuches jedoch unterschiedliche Angaben machte, konnte dies nicht konkret festgestellt werden. So sprach der BF etwa in der Erstbefragung davon von 1995-2007 (sohin 12 Jahre) in die Grundschule gegangen zu sein (AS 1) während er in der zweiten mündlichen Verhandlung angab, bis zur 7. Schulkasse die Grundschule, auch Volkshauptschule genannt, besucht zu haben (S. 6 Verhandlungsprotokoll). An späterer Stelle der zweiten mündlichen Verhandlung konnte der BF erneut keine genauen Angaben zur Dauer seines Schulbesuches machen, wobei er dann schließlich, als ihm seine unterschiedlichen Angaben zum Schulbesuch vorgehalten wurden, plötzlich angab, dass er sich an die Zeit vor dem Jahr 2000 nicht mehr erinnern könne, er an Vergesslichkeit leide, ein schlechtes Gedächtnis habe und er auch diverse andere Sachen (etwa, dass er in einem Spital gewesen sei, als seine Frau ihr Kind verloren habe) vergessen habe (S. 24 Verhandlungsprotokoll). Das erkennende Gericht geht allerdings nicht davon aus, dass diese Angaben des BF der Wahrheit entsprechen, zumal er diesen Umstand diesfalls schon früher im Verfahren einmal zur Sprache gebrachte hätte, sondern ist eher davon auszugehen, dass es sich dabei um einen Versuch des BF handelt, eine Rechtfertigung für seine unterschiedlichen Angaben zu konstruieren.
Die Feststellung zum Datum der Antragsstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Für das erkennende Gericht war aufgrund der diesbezüglich durchwegs gleichen Angaben im Verfahren glaubwürdig, dass der BF von Mogadischu aus in die Türkei reiste und er dort bis zu seiner Ausreise nach Österreich illegal lebte und als Tischler arbeitete. Ebenso war glaubwürdig, dass der BF in Somalia als Fischer arbeitete. Die Angaben des BF, wonach er (in Somalia und der Türkei) als Soldat tätig gewesen sei, waren aufgrund der massiv widersprüchlichen Angaben des BF nicht glaubwürdig (dazu wird im Detail auf die Beweiswürdigung zu den Fluchtgründen des BF verwiesen).
Die Feststellungen, dass der BF in Somalia traditionell geheiratet hat bzw. zwei Kinder hat, ergeben sich aus seinen Angaben während des Verfahrens. Die Umstände, dass die Frau des BF bzw. seine Kinder mittlerweile mit einem anderen Mann in Mogadischu zusammenleben und der BF gelegentlich mit der Mutter seiner Kinder telefoniert, ergeben sich ebenso aus den eigenen Angaben des BF während des Verfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 (S. 21 und 22 Verhandlungsprotokoll).
Die Feststellungen zu den in Somalia lebenden Verwandten des BF sowie deren Wohnorten, ergeben sich insbesondere aus den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021. Dort gab der BF ebenso an, dass er mit seiner Mutter (zuletzt im September) telefoniert habe bzw. er auch mit seiner Schwester in telefonischem Kontakt stehe, wobei seine Schwester sich von den Handys anderer Personen bei ihm melde (vgl. S. 5, 20, 21 und 24 Verhandlungsprotokoll). Es konnte daher auch festgestellt werden, dass der BF mit seiner Kernfamilie in Somalia in Kontakt steht.
Die Feststellungen zu den diagnostizierten psychischen Problemen des BF und der Einnahme von Medikamenten ergeben sich insbesondere aus dem in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 in Vorlage gebrachten Befund einer Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapeutische Medizin vom 30.09.2021 sowie dem vorgelegten (undatierten) Attest eines Allgemeinmediziners, wo die genannten Medikamente angeführt sind. Die Feststellung, dass beim BF keine Suizidalität vorliegt, ergibt sich ebenso aus dem vorgelegten Befund einer Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapeutische Medizin vom 30.09.2021, worin angeführt wird, dass sich die Selbstmordphantasien des BF deutlich gebessert haben, der BF aus psychiatrischer Sicht gebessert, wenn auch nicht stabil bzw. nicht voll belastbar sei. Während des Verfahrens ist auch nicht hervorgekommen, dass der BF wegen seiner psychischen Probleme stationär (etwa in einer Psychiatrie) aufhältig war und gab der BF in der letzten mündlichen Verhandlung auch nicht an, an anderweitigen Krankheiten oder gesundheitlichen Beschwerden zu leiden. Vielmehr führte er nur aus, einmal im Monat, wenn seine Medikamente leer seien, zum Arzt zu gehen (S. 22 Verhandlungsprotokoll). Insgesamt konnte daher keine schwerwiegende oder lebensbedrohliche Krankheit des BF festgestellt werden, welche einer Rückkehr des BF nach Somalia entgegenstehen würde und geht das erkennende Gericht auch davon aus, dass der BF arbeitsfähig ist.
Hinsichtlich der Selbstmordgedanken des BF ist weiters anzumerken, dass der BF dem erkennenden Gericht per E-Mail vom 29.09.2020 zwar ankündigte, am 30.09.2020 Selbstmord zu begehen, als die zuständige Polizeiinspektion an diesem Tag jedoch Nachschau in der Unterkunft des BF hielt, konnte dieser nicht zu Hause angetroffen werden, sondern sei er laut seinem Unterkunftgeber mit dem öffentlichen Bus nach XXXX gefahren. Der BF wurde nach seiner Rückkehr auch einer Amtsärztin vorgeführt, diese konnte jedoch bei einer Untersuchung nach § 8 UbG nicht feststellen, dass die Voraussetzungen zur Unterbringung beim BF vorliegen würden (vgl. die im Akt einliegende ärztliche Bescheinigung vom 30.09.2020). Am 28.08.2021 sendete der BF erneut ein E-Mail an das erkennende Gericht, wo er ankündigte am 02.09.2021 „Gewalt“ bzw. einen „Protest“ vor dem Gerichtsgebäude durchzuführen. Vom erkennenden Gericht wurde wiederum eine Polizeiinspektion mit der Nachschau in der Unterkunft des BF beauftragt, wobei der BF am 30.08.2021 von der Polizei einvernommen wurde und dabei angab „Ich bin körperlich vollkommen gesund und auch habe auch keine psychischen Probleme“. Zudem führte er zusammengefasst aus, dass er sich im E-Mail aufgrund seiner mäßigen Deutschkenntnisse in der Wortwahl vergriffen habe, er damit nur Aufmerksamkeit habe erregen wollen und am 02.09.2021 vor dem BVwG protestieren und sich mit Wasser und Mehl habe überschütten wollen bzw. mit einem Plakat auf seine Traurigkeit/Frustration wegen seines lange anhängigen Asylverfahrens hinweisen habe wollen. Er habe damit niemanden gefährden oder bedrohen wollen. (vgl. die im Akt einliegende Beschuldigteneinvernahme vom 30.08.2021). Eine Vorführung beim Amtsarzt fand laut dem einschreitenden Beamten nicht statt, da die Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen seien und beim BF keine Allgemeingefährdung oder Selbstgefährdung vorgelegen habe. (Aktenvermerk vom 01.09.2021). Der BF sendete am 30.11.2021 neuerlich ein E-Mail an das erkennende Gericht, worin er ausführte, sich „sehr krank“ zu fühlen, da dies aber nicht weitere konkretisiert wurde, geht das erkennende Gericht davon aus, dass der BF mit dieser Aussage lediglich erneut Aufmerksamkeit erregen wollte.
Unabhängig davon, ist darauf hinzuweisen, dass in der Stadt Mogadischu zumindest eine grundlegende medizinische Versorgung vorhanden ist. Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass es dort mindestens zwei Spitäler gibt, die für jedermann zugänglich sind. Am türkischen Spital in Mogadischu, das als öffentliche Einrichtung wahrgenommen wird, werden beispielsweise nur geringe Kosten für die Behandlung verrechnet, arme Menschen werden gratis behandelt. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. In Mogadischu gibt es zudem zwei psychiatrische Spitäler. Auch grundlegende Medikamente sind in Somalia verfügbar und können ohne Verschreibung in privaten Apotheken gekauft werden. Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass für den BF in Mogadischu eine medizinische Behandlung bzw. die von ihm benötigten Medikamente in Mogadischu verfügbar sind.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:
Zum Vorbringen des BF hinsichtlich seiner Tätigkeiten als Soldat (in Somalia und der Türkei):
Nach Durchführung von mündlichen Beschwerdeverhandlungen geht das erkennende Gericht davon aus, dass die Angaben des BF, wonach er in Somalia als Soldat gearbeitet habe, er dann von der somalischen Regierung (zur militärischen Ausbildung/Weiterbildung als Soldat) in der Türkei geschickt worden sei, nicht glaubwürdig sind. Der BF verstrickte sich dazu in zahlreiche Widersprüche und änderte seine Angaben im Laufe des Verfahrens ständig ab.
Zunächst fällt auf, dass die Angaben des BF zu seiner Tätigkeit als Soldat in Somalia divergieren.
So gab der BF in der ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.12.2016 nur vage an, er habe in Somalia durch seine Tätigkeit als Soldat „mittelmäßig“ verdient (AS 97) bzw. habe er eine Wohnung von der Regierung bekommen, wo er keine Miete, sondern nur den Strom bezahlt habe (AS 99), während er in der zweiten niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 26.04.2018 dann plötzlich einen konkreten Geldbetrag, nämlich 200 USD/Monat, als Gehalt nennen konnte, wobei er auch ausführte, dass dies nicht regelmäßig gewesen sei. Weiters gab er an, Lebensmittel erhalten zu haben (AS 376). Den Umstand, dass er eine Wohnung von der Regierung bekommen habe, erwähnte der BF jedoch mit keinem einzigen Wort mehr.
Der BF verstrickte sich aber auch zu seiner Ausbildung in der Türkei in massive Widersprüche.
In der Erstbefragung sprach der BF noch davon, im Augst 2012 in die Türkei zur Ausbildung gekommen zu sein (AS 5 und 7), während er diese Angaben in der ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA dann korrigierte und angab, Somalia im Jahr 2013, nicht 2012 verlassen zu haben (AS 85).
Weiters fällt auf, dass sich der BF auch betreffend das Ziel (seiner) der Ausbildung in der Türkei in Widersprüche verstrickte. So führte er etwa in der zweiten Einvernahme vor dem BFA am 26.04.2018 anfangs aus, dass man, wenn man die Prüfung (in der Türkei) bestanden habe, eine Ausbildung als Pilot bekomme (AS 383), während er an späterer Stelle der Einvernahme dann plötzlich davon sprach, dass die Leute unterschiedliche Berufe hätten und sich jeder nach dem Training seinen Beruf suchen würde (etwa Englisch, diverse Waffengattungen, Artillerie, Marine, Panzer), bevor er dann nach nochmaliger Wiederholung der Frage ausführte, dass er nicht in den Beruf eingetreten sei bzw. er nicht wisse, wie es gelaufen wäre (AS 384). Auch in der dritten Einvernahme vor dem BFA am 02.05.2018 wurde der BF zum Zweck des Türkeiaufenthaltes befragt, wobei der BF hier wiederum angab, dass er als Soldat ausgebildet werden sollte (wie man kämpfe, sich verteidige, aus einer Falle herauskomme, heimliche Angriffe führe) (AS 407). In der zweiten mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 01.10.2021 sprach der BF wiederum davon, er selbst hätte ein Kapitän für den Kampf bzw. ein Soldat mit drei Sternen (dritte Stufe) werden sollen und eine Kampfeinheit leiten sollen (vgl. S. 11 und 12 Verhandlungsprotokoll).
Der BF konnte in der mündlichen Verhandlung betreffend seine Ausbildung in der Türkei teilweise auch nur völlig oberflächliche Angaben machen.
So konnte der BF etwa den vollständigen Namen des türkischen Chefs nicht nennen, sondern gab er dazu nur an, dass dieser XXXX geheißen habe, den vollständigen Namen wisse er nicht, er habe es vergessen bzw. könne er sich nicht daran erinnern. Der BF konnte der erkennenden Richterin auch nicht den Namen des Mannes nennen, welcher von der somalischen Botschaft gekommen sei, sondern gab er auch dazu lediglich an, es sei ein Militärattaché gewesen, an den Namen könne er sich nicht erinnern bzw. sei dieser inzwischen gestorben. Aber auch die genaue Adresse des Ausbildungslagers in der Türkei konnte der BF nicht nennen, sondern gab er auch dazu an, sich nicht erinnern zu können bzw. es in XXXX gelegen sei (vgl. S. 13 und 14 Verhandlungsprotokoll).
Hervorzuheben ist weiters, dass der BF auch völlig widersprüchliche Aussagen hinsichtlich des fluchtauslösenden Ereignisses in der Türkei machte.
So gab der BF in der Erstbefragung an, er habe in der Türkei in einer Bibliothek heilige Bücher kaufen wollen, sei dabei aber von anderen Somaliern gesehen worden und hätten diese die Bücher zerrissen (AS 9).
In der ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.12.2016 schilderte er die Situation dann völlig anders, zumal er hier erstmals davon sprach, nicht alleine, sondern mit seinem Freund/Zimmerkollegen, welcher auch an anderen Religionen interessiert und Soldat gewesen sei, gemeinsam in eine Bibliothek gegangen zu sein. Zudem konkretisierte der BF auch erstmals die Anzahl der Bücher und gab an, zwei Bücher gekauft zu haben und sie mit den Büchern ins Militärlager nach Istanbul gegangen seien. Zur Sprache der Bücher gab er an, diese seien auf Englisch und Türkisch geschrieben gewesen. Es seien zwei somalische Soldaten in ihr Zimmer gekommen, einer der Soldaten habe das Buch gesehen, auf welchem Bibel gestanden sei und habe gefragt, warum die Bücher da seien und habe das Buch aus dem Fenster geworfen. Das zweite Buch habe er auch wegwerfen wollen, aber der Freund und der BF hätten das Buch gehalten und habe er (der Soldat) ein Blatt herausgerissen. Dann seien die zwei Soldaten gegangen und hätten den anderen somalischen Soldaten das herausgerissene Blatt gezeigt, woraufhin die anderen Soldaten böse zu ihnen gekommen seien und sie mit Fäusten geschlagen hätten, sodass sie auf den Boden gefallen seien. Dabei sei die Oberlippe des Freundes und der BF auf der Wange verletzt worden. Türkische Soldaten hätten sie dann getrennt, ins Spital seien sie nicht gegangen (AS 101 und 103). Danach hätten die somalischen Soldaten mit der XXXX in der Türkei gesprochen, der Freund sei noch 2 Mal von den Soldaten geschlagen worden und sei dann der XXXX zu ihnen in die Türkei gekommen. Diese hätte ihnen gesagt, er werde versuchen eine Lösung für die Probleme zu finden. Ihre Reisepässe seien im Lager geblieben, den Pass hätten sie nicht mehr bekommen. Die Männer, welche mit ihnen gekämpft hätten, hätten auch seiner Familie in Somalia gesagt, dass er zum Christentum konvertiert sei und hätten verbreitet, dass die Bibeln hätten und die Kirche besuchen würden (AS 105 und 107). Der BF sei von den Soldaten auch damit bedroht worden, getötet zu werden, falls er nach Somalia zurückkehren würde. Er und sein Freund hätten dann beschlossen zu flüchten. Als sie das Lager verlassen hätten, habe man nach ihnen gesucht und seien Bilder von ihnen verbreitet worden. Er und sein Freund seien dann ca. 4 Monate in der Türkei im Gefängnis gewesen, seien dann aber aufgrund einer Beschwerde freigelassen worden (AS 109 und 111).
In der zweiten Einvernahme vor dem BFA am 26.04.2018 schilderte der BF die Situation bei der freien Erzählung zu seinen Fluchtgründen wieder völlig anders. Er gab an, in eine Buchhandlung gegangen zu sein und sie sich dort religiöse Bücher gekauft hätten, zusätzlich zu seinen Angaben in der ersten Einvernahme führte er jedoch erstmals aus, dass auch ein Soldat aus Burundi ihnen zwei Bibelbücher gegeben habe. Er und sein Freund hätten in einem Zimmer gewohnt, die Bücher gelesen und als andere somalische Soldaten die Bibel gesehen hätten, hätten sie diese weggenommen und weggeschmissen. Diese hätten dann die anderen somalischen Soldaten informiert, welche zu ihnen gekommen seien und sie geschlagen hätten. Im Gegensatz zu seinen Angaben bei der ersten Einvernahme sprach der BF hier wiederum nur davon, dass sein Freund verletzt worden sei, wobei der BF – laut der Anmerkungen des BFA – dabei auf seine Lippe gedeutete habe. Die anderen somalischen Soldaten hätten dann – wegen des Lernens der anderen Religion – nicht mehr mit ihnen trainieren wollen, hätten gesagt, dass sie das Camp verlassen müssen und die somalische Botschaft in der Türkei informiert. Ihr Chef habe ihnen dann die Reisepässe weggenommen und gemeint, er werde eine Lösung finden. Erstmals sprach der BF dann auch davon, dass seine Frau ihn angerufen und gefragt habe, ob er eine andere Religion angenommen habe, da sie das von jemand anders gehört habe. Sie hätten viele Drohungen bekommen und hätten der BF und sein Freund sich dann dazu entschieden, das Camp zu verlassen. Sie seien weggegangen, die Polizei habe sie festgenommen und sie seien etwa 4 Monate im Gefängnis gewesen, dann freigelassen worden. Zusätzlich zu seinen Angaben in der ersten niederschriftlichen Einvernahme führte der BF dann noch an, er habe danach in XXXX gelebt und habe es dort eine Cafeteria gegeben, wo sich viele Somalis treffen würden. Diese hätten nach ihm (einem Mann namens „ XXXX “) gesucht, weshalb sich der BF dann dazu entschieden habe, die Türkei zu verlassen (AS 377 und 378).
An späterer Stelle der zweiten Einvernahme änderte der BF seine Angaben bei der genaueren Befragung der Behörde zu den Büchern jedoch weiter ab. Auf die Frage, welche Bücher er in der Türkei gekauft habe, gab der BF an, es seien „kleine Bücher“ gewesen und seien sie auf Türkisch geschrieben gewesen. An die Namen erinnere er sich nicht, es seien „Injiil-Bücher“ gewesen und sie hätten diese nicht gekauft, sondern von einem Soldaten aus Burundi und von der Kirche als Geschenk bekommen. Die Bücher, die sie gekauft hätten, seien eine „Geschichte“ bzw. eine „Kinderbibel“ gewesen und diese hätte große Buchstaben und Bilder enthalten und sei auf Türkisch gewesen. Auf die Frage, was „Injiil-Bücher“ seien, gab der BF an, der Name sei „Injiil“, das Buch sei rot. Es sei alles in Türkischer Sprache (AS 385). Auf die Frage, wo er die Bücher gekauft habe, gab der BF an: „Ich war mit meinen Freunden. Wir sind zusammen gegangen und haben es zusammen gekauft.“ Dies sei in Istanbul gewesen und habe er fünf Bücher gekauft, wobei eine Geschichte Christi dabei gewesen sei und ein Wörterbuch für Türkisch. (AS 385).
In der Beschwerdeschrift wurden betreffend die Verletzungen wiederum ausgeführt, dass der BF „Schwellungen“ und „blaue Flecken“ davongetragen habe.
Der BF wurde von der belangten Behörde in der zweiten Einvernahme auch nochmals zur Situation im Zimmer befragt, wobei der BF auch dazu völlig andere Angaben machte. Er gab an, als die anderen zwei Soldaten zu ihnen gekommen seien, habe sein Freund diese Bibel gehabt. Sie hätten sie ihm weggenommen und aus dem Fenster geworfen. Sie hätten gegenseitig gestritten, die Soldaten seien weggegangen und hätten laut geschrien. Plötzlich seien alle andere Soldaten zu ihnen gekommen und hätten sie geprügelt. Sie hätten versucht, sich zu verteidigen, aber es seien mehrere Soldaten gewesen und hätten sie sich nicht mehr verteidigen können. Wiederum im völligen Widerspruch zu seinen Angaben in der ersten Einvernahme, gab er hier an, dass sein Freund verletzt und ins Spital gebracht worden sei und hätten nach zwei Tagen die anderen Soldaten den Freund geschlagen (AS 385). Zu den weiteren Folgen dieses Vorfalles gab der BF dann weiters an, der Chef habe ihnen ihre Reisepässe weggenommen und habe man ihnen gesagt, dass man sie nach Somalia zurückschicken werde. Sie hätten von der Soldatengruppe und von Freunden aus Somalia viele Drohungen bekommen. Die Leute hätten gehört, dass sie zum Christentum konvertiert seien. Erstmals sprach der BF hier auch davon, dass er auch vom neuen Ehemann seiner Frau bedroht worden sei. Man habe den BF mit dem Tode bedroht, die Soldaten in der Türkei hätten gesagt, dass man sie aus dem Fenster werfe bzw. man sie beim Training erschießen werde (AS 385 und 386).
Auch in der dritten Einvernahme vor dem BFA am 02.05.2018 wurde der BF zur Situation, als er mit den Büchern erwischt worden sei, befragt. Auch hier machte der BF wiederum völlig andere Angaben als in den vorigen Einvernahmen und gab erstmals an, sie seien, als sie in die Unterkunft zurückgekommen seien, immer kontrolliert worden und habe es eine Art „Checkpoint“ gegeben. Erst dann, wenn die Sachen für in Ordnung befunden worden seien, habe man sie mithineinnehmen dürfen. Das Buch „Injiil“ sei schon da gewesen. Die Bücher seien ihm aber nicht beim Checkpoint, sondern in dem Raum, wo er geschlafen habe, weggenommen worden (AS 407). Der BF wurde in dieser Einvernahme auch nochmal genauer zu seinem Chef befragt, wobei er hier wiederum ua. ausführte, dass dieser aus Amerika gekommen sei bzw. damals als Flüchtling in Amerika gelebt habe (AS 407).
In der zweiten mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 schilderte der BF die Situation wiederum völlig anders. So gab er etwa erstmals an, dass er in der Türkei einmal in der Kirche gewesen sei. Zudem führte er - abweichend zu seinen Angaben vor dem BFA - aus, er habe sich eine Bibel geholt und gelesen bzw. den christlichen Glauben kennenlernen wollen. Dort, wo es die Bücher gebe, habe er sich eine Bibel gekauft, die Kollegen aus dem Militärcamp hätten dies gesehen und ihm gesagt, dass dies ein schlechtes Verhalten sei, er dies nicht dürfe und deshalb nach Somalia zurück gehöre. Sie hätte mit ihm gestritten (vgl. S. 10 Verhandlungsprotokoll). An späterer Stelle der Verhandlung wurde der BF dann nochmals zu den Ereignissen in der Türkei befragt, wobei der BF in freier Erzählung wiederum nur davon sprach, eine Bibel gekauft zu haben, ihn Kollegen mit der Bibel gesehen hätten und sie dann mit ihm gestritten hätten. Nach genauerer Nachfrage gab der BF dann an, es sei eine Kinderbibel mit Bildern gewesen, er habe die Bibel in der Stadt Istanbul gekauft. Als der BF dann genauer zum Verlassen des Ausbildungslagers gefragt wurde, sprach er dann erstmals davon, dass sie mit einem Bus mit anderen türkischen Mitarbeitern zum Einkaufen mitgefahren seien, sie hätten Wörterbücher, übersetzte Bücher etc. gebraucht. Alle (mindestens 20 Personen) seien in das große Geschäft hineingegangen, es habe aus zwei Stockwerken bestanden. Sie seien somalische Soldaten gewesen, die türkischen Soldaten hätten sie begleitet. Er habe dort ein Wörterbuch Türkisch-Somali und türkische Bücher für Anfänger gekauft. Auf die Frage, wie viele Bücher er nun gekauft habe, gab der BF an: „Es stand auf Englisch und auch Türkisch. Das Wörterbuch war türkisch-englisch und nicht somalisch.“ Als die Frage von der Richterin dann nochmals wiederholt wurde, führte der BF plötzlich aus, 4 Bücher gekauft zu haben, darunter sei auch die Bibel gewesen (vgl. S. 15 Verhandlungsprotokoll). Nach Vorhalt, warum er dann vor dem Bundesamt davon gesprochen habe 2 Bücher gekauft zu haben, gab der BF dann an „Es waren zwei Bibeln“, bevor er nach nochmaligem Vorhalt dann ausführte, es sei „Ein Wörterbuch, ein Lehrbuch für Anfänger auf Türkisch und zwei Bibeln gewesen.“ Als der BF in weiterer Folge dann dazu aufgefordert wurde, den Widerspruch aufzuklären, gab dieser überhaupt nur lapidar an, sich nicht ganz genau erinnern zu können, wie viele Sachen er an dem Tag gekauft habe, bevor er nach nochmaligem Vorhalt dann plötzlich wieder davon sprach, dass er und sein Freund zwei Bibeln gekauft hätten, eine sei für ihn selbst und eine für den Freund gewesen, deshalb seien es zwei Bibeln gewesen. Hinsichtlich der Rückkehr ins Ausbildungslager gab der BF dann im weiteren Verlauf der zweiten mündlichen Verhandlung an, es habe draußen Kontrollen gegeben. Damit er in das Ausbildungslager hinein habe können, sei er kontrolliert worden. Alles werde aus dem Sack herausgeholt und angeschaut. Die Leute, die dabei gewesen seien, hätten gesehen, dass auf einem Buch Bibel stehe. Vor allem auf Türkisch sei das Wort „injil“ gestanden, dies heiße auch auf Somalisch Bibel. Die Bibel sei in der Sprache Türkisch gewesen. Danach hätten die Somalier miteinander über die Bibel gesprochen, der BF habe die Bibel aber mitnehmen können. Er sei auf sein Zimmer gegangen. Er könne sich nicht mehr genau erinnern, an welchen Tag es gewesen sei, aber am Nachmittag hätten er und sein Freund versucht die Bibel zu übersetzen bzw. zu verstehen, dann seien zwei Somalier zu ihnen gekommen. Diese hätten die Bibeln schon bei der Kontrolle gesehen und seien wütend gewesen und auf sie losgegangen. Sie hätten dem Freund die Bibel weggenommen und durch das Fenster geschmissen. Auch hätten sie versucht dem BF seine Bibel wegzunehmen, er habe sie aber festgehalten und hätte ein somalischer Soldat eine Seite aus der Bibel gerissen. Dann seien sie zu zweit gewesen und hätten sie gegenseitig handgreiflich miteinander gekämpft, danach seien sie gegangen und hätten andere somalische Soldaten geholt. Diese seien dann ins Zimmer gekommen und hätten sie geschlagen. Mindestens 5 somalische Soldaten seien im Zimmer gewesen. Hinsichtlich der erlittenen Verletzungen gab der BF an, er habe einen Riss an seiner Oberlippe gehabt, der Freund sei an beiden Lippen und an den Augenbrauen verletzt worden. Man habe sie dann geschlagen, bis sie zu Boden gegangen seien, dann sei man auf sie gestiegen. Der türkische Betreuer/Soldaten aus der Rezeption seien gekommen, hätten sie alle getrennt, er und sein Freund seien nach unten gebracht worden. Die Rettung habe seinen Freund ins Spital gebracht. Sie seien nach dem Grund für den Streit gefragt worden, wobei die Männer gesagt hätten, dass sie Bibeln hätten, andere Religionen lernen wollen und sie nicht weiter bei ihnen sein dürften bzw. man sie bei einer Rückkehr wieder schlagen würde. Der BF sei dann wieder ins Zimmer gebracht worden, die Vorgesetzten hätten gesagt, dass sie eine Lösung finden werden. Am nächsten Tag sei ihnen gesagt worden, dass sie nicht wieder in die Gruppe kommen dürften. Es sei dann ihre Abschiebung nach Somalia verlangt worden, weil sie sich nicht mehr vertragen würden. Er und sein Freund seien dann in der Nacht vom Ausbildungslager geflüchtet, der BF sei danach auch in einem Gefängnis gewesen (vgl. S. 15-19 Verhandlungsprotokoll).
Weiters fällt auf, dass der BF in der dritten Einvernahme beim BFA am 02.05.2018 erstmals davon berichtete, in Somalia auch persönlich von einem Mann ( XXXX ) verfolgt worden zu sein, welcher einmal sein Nachbar gewesen sei. Er sei persönlich vor die Wahl gestellt worden, sei aber gegen die Gruppe gewesen. In Kismaayo hätten „maskierte Männer“ nach ihm gesucht und ihn töten wollen. Auf die Frage, warum er erst jetzt davon erzählt habe, gab der BF dann an: „Ich habe letztes Mal etwas erzählt, aber nicht so ausführlich wie heute“ (AS 405). Dieser Rechtfertigungsversuche des BF vermochte allerdings nicht zu überzeugen, ist abgesehen davon auch nicht mit dem Akteninhalt vereinbar und erwähnte der BF auch in der mündlichen Verhandlung dieses Ereignis mit keinem einzigen Wort mehr.
Insgesamt geht das erkennende Gericht aufgrund dieser massiv widersprüchlichen und immer wieder gesteigerten Angaben des BF nicht davon aus, dass die von ihm geschilderten Fluchtgründe der Wahrheit entsprechen. Es ist für das erkennende Gericht nicht glaubwürdig, dass der BF in Somalia als Soldat gearbeitet hat bzw. in die Türkei zur Ausbildung geschickt worden sei bzw. er wegen des Besitzes/Lesens von „heiligen Büchern“ aus der Türkei nach Österreich flüchten musste. Vielmehr geht das erkennende Gericht davon aus, dass sich der BF eines gedanklichen Konstruktes bedient und er seinen Fluchtgründen mit der Steigerung in jeder Einvernahme immer wieder einen neuen Aspekt hinzufügen wollte. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht bei dieser Beurteilung auch nicht, dass die Erstbefragung nicht vorrangig der Befragung zu den Fluchtgründen eines Fremden dienen soll. Vom BF ist aber jedenfalls zu erwarten, dass er zu den zentralen Punkten seiner Fluchtgeschichte – wie etwa zum Kauf/Erhalt bzw. der Anzahl der „heiligen Bücher“ sowie der erlittenen Verletzungen durch somalische Soldaten - gleichbleibende Angaben tätigt. Diese Angaben des BF waren – wie zuvor dargestellt – jedoch massiv widersprüchlich. Auch die Behauptungen des BF bzw. in der Beschwerdeschrift, wonach die Dolmetscherin in der niederschriftlichen Einvernahme am 26.04.2018 nicht „korrekt“ bzw. „vollständig“ übersetzt habe, das Protokoll daher unvollständig sei und die Widersprüche des BF aufgrund der Übersetzung entstanden seien, vermochten an dieser Einschätzung nichts zu ändern, zumal der BF am Beginn dieser Einvernahme explizit angab, sich mit der Dolmetscherin „sehr gut“ verständigen zu können (AS 372), ihm das Protokoll der Niederschrift am Ende wortwörtlich rückübersetzt wurde (AS 387) und der BF die Richtigkeit der Niederschrift (auf jeder Seite des Protokolls) mit seiner Unterschrift auch bestätigte. Abgesehen davon, wurde der BF von der belangten Behörde dann nochmals einvernommen und verstrickte sich der BF – wie dargelegt - auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.10.2021 in diverse Widersprüche, weshalb die aufgestellten Behauptungen des BF ins Leere gehen und die Richtigkeit des Protokollinhaltes vom erkennenden Gericht nicht angezweifelt wird.
Letztlich vermochten auch die vom BF während des Verfahrens vorgelegten Fotos das erkennende Gericht nicht davon zu überzeugen, dass der BF tatsächlich (in Somalia oder der Türkei) als Soldat tätig war. Die vorgelegten Fotos enthalten einerseits keine Datums- oder Ortsangaben, weshalb schon nicht verifiziert werden kann wo und wann diese aufgenommen wurden. Andererseits kann auch nicht verifiziert bzw. festgestellt werden, dass es sich bei den darauf abgebildeten Personen, tatsächlich um die Person des BF handelt.
Der BF wurde vom BFA auch dazu befragt, warum er bzw. sein Freund auf dem Foto (wohl gemeint AS 123, nicht AS 113) dunkler als die anderen Personen erscheinen würden, wobei der BF dazu keine plausible Erklärung abgeben konnte. Anfangs gab er an, dass das Foto in einem solchen Raum wie der Raum der Einvernahme aufgenommen worden sei, kurz darauf führte er dann aus, dass das Foto mit einem Handy aufgenommen worden sei. Danach gab er wiederum an, er sei damals ein hart arbeitender Mensch gewesen und habe wenig geduscht, während er – nach Wiederholung der Frage – wiederum ausführte, hinter jemanden gestanden zu sein und daher ein Schatten entstanden sei (AS 406).
Selbiges gilt für das vom BF angesprochene Video. Auch dieses ist keiner Verifizierung zugänglich und kann daher nicht festgestellt werden, dass sich bei den darin gezeigten Personen tatsächlich um den BF handelt.
Zur vorgebrachten Hinwendung zum Christentum in Österreich:
Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426, mwN). Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel. Diese Indizien sind auch maßgeblich für eine aus innere Überzeugung vollzogene Hinwendung zu einer neuen Religion.
Im gegenständlichen Fall spricht die erkennende Richterin dem BF grundsätzlich nicht ab, dass er sich für die christliche Glaubensgemeinschaft interessiert, seit Juni 2017 regelmäßig am Gottesdienst der katholischen Pfarrkirche XXXX teilnimmt, das dortige Pfarrcafe besucht und an diversen kirchlichen Veranstaltungen teilnimmt. Diese Umstände konnten insbesondere durch die in Vorlage gebrachten Schreiben der Pfarre XXXX nachgewiesen werden (siehe etwa das Schreiben AS 397). Auch die Umstände, dass der BF an einer Taufvorbereitungsgruppe teilgenommen hat, am XXXX getauft und gefirmt wurde sowie die Erstkommunion empfangen hat, werden durch den in Vorlage gebrachten Taufschein (AS 415) bzw. das Schreiben der Pfarre XXXX (AS 397) nachgewiesen. Ebenso konnte durch das in der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2021 in Vorlage gebrachte Schreiben (datiert mit 17.09.2021) nachgewiesen werden, dass der BF auch regelmäßig an einer Online-Bibelstunde teilnimmt. Die Teilnahme an Veranstaltungen der katholischen Studentengemeinde XXXX sowie der Besuch des Gottesdienstes der Pfarrgemeinde XXXX wird ebenso durch die vorgelegten Schreiben bestätigt (vgl. das mit 28.08.2020 datierte Schreiben der Pfarre XXXX und das Schreiben der katholischen Studentengemeinde vom 16.12.2019).
Die regelmäßigen Kirchenbesuche sowie sonstigen – eben dargelegten - Aktivitäten des BF bzw. die durchgeführte Taufe/Firmung wären grundsätzlich geeignet, als Indiz für eine echte innere Konversion gewertet zu werden. Die weiteren Ausführungen des BF während des Asylverfahrens bzw. in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.10.2021 zeigen jedoch, dass der christliche Glaube keineswegs bereits tief im BF verwurzelt und Bestandteil seiner Identität geworden ist.
Dazu ist zunächst zu betonen, dass sich der BF bereits hinsichtlich des Zeitpunktes seines erstmaligen Interesses für das Christentum in mehrere Widersprüche verstrickte.
Der BF schilderte in der ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.12.2016, er habe sich bereits in Somalia für andere Religionen interessiert. Dort habe es ausländische Soldaten (aus Kenia, Äthiopien, Uganda, Dschibuti und Burundi) gegeben. Die meisten seien Christen gewesen und habe er sich mit ihnen unterhalten bzw. sie in einem Zimmer besucht, welches sie wie eine Kirche behandelt hätten (AS 101). In der zweiten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 26.04.2018 gab der BF dann erstmals an, er habe schon in Somalia „Probleme“ wegen seiner Religionskenntnisse gehabt. In Kismaayo habe es viele Jugendliche gegeben, welche mit ihnen über Religion diskutiert hätten. Diese seien alle radikale Islamisten geworden und hätten den BF oft angerufen und gefragt, ob er immer noch diese Meinung habe. Eines Tages – als er in der Arbeit gewesen sei – seien diese auch zu ihm in die Wohnung gekommen und hätten seine Frau nach seinem Aufenthaltsort gefragt. Auch seine Freunde hätten gemeint, dass er – weil er bei der Regierung gearbeitet hätte – ungläubig sei. Er habe andere Religionen gesucht, weil er viele Fragen gehabt habe, sei auf der Suche nach der richtigen Antwort gewesen und habe versucht den Vergleich mit anderen Religionen herzustellen (AS 374). Erst an späterer Stelle dieser Einvernahme erwähnte der BF dann noch zusätzlich, dass es in Somalia eine Gruppe von Soldaten namens „Peace Keeping“ gegeben habe, mit welchen er viel über Religion gesprochen habe. Im Gegensatz zu seinen Angaben in der ersten Einvernahme vor dem BFA gab er hier jedoch an, die Soldaten seien gemischt gewesen (aus der EU und der afrikanischen Union) (AS 377). An späterer Stelle der zweiten Einvernahme führte der BF – nach genauerer Befragung zur „Peace Keeping“ Gruppe – dann wiederum aus, es habe Soldaten aus Kenia, Burundi und Äthiopien gegeben bzw. andere Soldaten (welche sie trainiert) hätten aus Amerika und Europa gewesen seien und es sich dabei um AMISOM handle (AS 382). In einem vom BF vorgelegten Schreiben betreffend seine Fluchtgründe (datiert mit März 2020) wurde dann plötzlich ausgeführt, dass sich der BF bereits als Kind für das Christentum interessiert habe. Es habe im Dorf ein Radio gegeben und habe man über Kurzwelle mehrere Sender empfangen können, wobei auch ein christlicher Sender aus dem Ausland in somalischer Sprache dabei gewesen sei. Der BF habe als Jugendlicher die Sender einstellen dürfen und dabei öfter für ein paar Minuten (beim Suchen) auch christliche Sender hören/aufschnappen können. Zudem habe es in der Gegend von Kismaayo eine verfallende Kirche (ohne Dach) gegeben habe, wo man Teile des Innenraumes sehen habe können und habe sich der BF schon damals gefragt, was dies sei. Auch in der zweiten mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 schilderte der BF, sich schon als er jung (ca. 10-12 Jahre alt) gewesen sei bzw. mit der Schule angefangen habe, für den christlichen Glauben interessiert zu haben und er in eine von den Italienern aufgebaute, aber schon zerstörte Kirche in Kismaayo gegangen sei. Von der Kirche seien nur einige Wände übriggeblieben und die Wand vorne, wo normalerweise der Priester predige stehe noch immer. Der BF sei dort – solange er die Schule besucht habe - etwa 3 Mal pro Woche gewesen und habe davon geträumt, wie die Leute in der Kirche zusammengekommen seien (vgl. S. 7 Verhandlungsprotokoll). Auch als Soldat habe er diese Kirche besucht. (vgl. S. 8 Verhandlungsprotokoll). Der BF wurde in der mündlichen Verhandlung dann auch dazu befragt, ob er in Somalia Bekanntschaft mit Christen gemacht habe oder solche kennengelernt habe, wobei der BF diese Fragen jeweils mit „Nein“ beantwortete (vgl. S. 8 Verhandlungsprotokoll). Dies widerspricht jedoch deutlich seinen eigenen Angaben in den beiden Einvernahmen vor dem BFA, wo er noch schilderte Kontakt zu diversen ausländischen Soldaten, welche Christen gewesen seien, gehabt zu haben. Den im vorgelegten Schreiben erwähnten Umstand, bereits als Kind christliche Sender gehört zu haben, erwähnte der BF in der mündlichen Verhandlung jedoch mit keinem einzigen Wort mehr.
Unabhängig davon, zeigte sich der BF im Rahmen der Befragung zum Wissen über die neue Religion nur allgemein informiert und verfügt der BF über auffallend wenig Detailwissen hinsichtlich des christlichen Glaubens bzw. des Christentums.
So konnte der BF in der ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.12.2016 zwar angeben, dass die Bibel aus dem alten und dem neuen Testament besteht bzw. einige wenige Dinge beschreiben, welche er in der Bibel gelesen hat (etwa, dass man Gutes tun solle; die Menschen, die einen hassen lieben und gut behandeln solle; nicht lügen und seine Versprechen halten solle), als er dann aber von der Behörde dazu aufgefordert wurde, ein paar Propheten zu nennen, konnte der BF dazu nur Johannes und nach nochmaliger Nachfrage Matthäus angeben. Mehr falle ihm jetzt nicht ein (AS 107 und 109).
Auffällig ist weiters, dass der BF laut dem vorgelegten Taufschein (AS 415) zwar offiziell den zusätzlichen Taufnamen XXXX annahm, vor der belangten Behörde konnte er jedoch nicht plausibel erklären, warum er genau diesen Namen ausgewählt hat, sondern gab er auf diesbezügliche Befragung des BFA anfangs nur an, dass dieser einer der zwölf Apostel sei. Selbst nach nochmaliger Nachfrage durch das BFA führte der BF dann nur aus: „Es war ein Freund von Jesus und deswegen hat mir der Name gut gefallen.“ Als der BF dann dazu befragt wurde, was er über XXXX erzählen könne, gab der BF an „Ich kenne nicht so viel“. Auch die Frage, wie XXXX gestorben sei, konnte der BF nicht beantworten, sondern gab er darauf nur an, dies nicht zu wissen. Der BF konnte auch mit dem Begriff „ XXXX “ nichts anfangen, zumal er – selbst als ihm vom BFA mitgeteilt wurde, dass XXXX ebenfalls gekreuzigt wurde – nichts weiter dazu angeben konnte, sondern nur ausführte „Wie gesagt, ich habe keine Ahnung von XXXX .“ An späterer Stelle der Einvernahme gab der BF dann zwar an, sich jetzt daran erinnern zu können, dass mehrere Freunde von Jesus gekreuzigt worden seien. Auf genauere Nachfrage des BFA, wer noch gekreuzigt worden sei, nannte er jedoch wiederum nur Jesus und XXXX , bevor er dann auf nochmalige Nachfrage der Behörde auch Jakobus und Lukas nannte, dann jedoch selbst zugab, es nicht genau zu wissen und er es nur einmal gehört habe (AS 379). Der BF wurde auch in der zweiten mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 dazu befragt, warum er gerade den Namen XXXX als christlichen Namen angenommen habe, wobei er auch hier wiederum keine ausführlichen Angaben tätigte, sondern dies lediglich wieder nur lapidar damit begründete, dass dies einer der „Freunde von Jesus“ sei (S. 26 Verhandlungsprotokoll).
Der BF wurde von der belangten Behörde am 26.04.2018 auch zu den Sakramenten befragt. Er konnte zwar angeben, dass es 7 Sakramente gibt, er konnte diese – in auffälliger Weise – jedoch nicht richtig benennen, sondern gab er dazu zunächst an: „Taufe, Christkerze, Kommunion, Brot und Wein, Heiliger Geist, weiße Kleidung, Ehe, Priesterweihe. Haben wir schon sieben?“ Nach Vorhalt des BFA, dass er mehr als 7 genannt habe bzw. auf die Frage, ob noch etwas fehle, nannte der BF noch die „Kranksalbung und Vergebung“. Nach nochmaligem Vorhalt, ob jetzt alles genannt worden sei, führte der BF schließlich noch aus „Das Leben. Ich glaube das waren sieben Sakramente.“ (AS 380).
Im weiteren Verlauf der zweiten Einvernahme am 26.04.2018, konnte der BF dem BFA zwar die vier Evangelisten richtig benennen, zu den 10 Geboten befragt, gab der BF jedoch anfangs an: „Es gibt einen Gott. Gottes Name ist heilig. Jesus ist Gottes Sohn.“ Erst danach, als die bei der Einvernahme anwesende Vertrauensperson „Nein“ sagte, fiel dem BF offenbar auf, dass er nicht die richtige Antwort gegeben hat und führte er aus: „Man soll nicht lügen, man soll nicht denken, jemand anderen etwas wegzunehmen. Betrogen.“ Auf nochmalige Nachfrage der Behörde, gab er dazu dann noch an: „Man soll nicht mit einer verheirateten Frau schlafen. Dass ich Mutter und Vater zuhöre. Wieviele habe ich schon gesagt? Ich weiß es, aber erinnere mich nicht an alles. Ich habe mich nicht gut vorbereitet, dass Sie mir diese Fragen stellen.“ (AS 380). An späterer Stelle der Einvernahme führte der BF dann noch aus, sich wegen der 10 Gebote an etwas zu erinnern und führte aus „Wenn ein Mann und eine Frau verheiratete sind, dürfen sie sich nicht scheiden lassen.“ (AS 381).
Der BF legte bei der belangten Behörde auch einen Zettel mit einem „Täglichen Gebet zur Vorbereitung auf die Taufe“ vor (AS 395). Als der BF in der niederschriftlichen Einvernahme am 26.04.2018 jedoch dazu aufgefordert wurde, dieses tägliche Taufgebet aufzusagen, begann der BF dann damit, das „Vater Unser“ zu beten. Selbst als dem BF der von ihm vorgelegte Zettel mit dem Taufgebet vorgezeigt wurde, konnte der BF nicht das richtige Gebet vorbeten, sondern fing er damit an, das Glaubensbekenntnis („Ich glaube an Gott, den Vater ….“ aufzusagen (AS 379). In der niederschriftlichen Einvernahme am 02.05.2018 gab die Vertrauensperson des BF zum vorgelegten „Täglichen Gebet zur Vorbereitung auf die Taufe“ zwar an, dass der BF diesen Zettel nicht in XXXX , sondern in einer großen Kirche in Wien erhalten habe (AS 403), diesbezüglich ist für das erkennende Gericht jedoch nicht verständlich, weshalb der BF (oder seine Vertrauensperson) diesen Umstand nicht schon bei der Befragung zu dem Gebet in der Einvernahme am 26.04.2018 zur Sprache brachten.
Weiters fällt noch auf, dass der BF in der zweiten Einvernahme vor dem BFA am 26.04.2018 ausführte, am Samstag in die Kirche zu gehen (AS 379). Dies widerspricht jedoch dem vorgelegten Schreiben der Pfarre XXXX vom 19.04.2018, worin ausgeführt wird, dass der BF wöchentlich am Sonntagsgottesdienst teilnehme (AS 397). Der BF versuchte nach der Rückübersetzung zwar der Dolmetscherin zu unterstellen dies falsch übersetzt zu haben bzw. er gesagt habe, am Sonntag in die Kirche zu gehen. Diese Anschuldigung des BF geht allerdings ins Leere, zumal auch die bei der Einvernahme anwesende Vertrauensperson bestätigte, dass der BF Samstag gesagt habe bzw. sich geirrt habe (AS 387).
Aber auch die weiteren Angaben des BF in der zweiten mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 in Zusammenhang mit Glaubensinhalten sowie Glaubens- und Bibelwissen zeigen, dass sich der BF nicht umfassend mit dem christlichen Glauben beschäftigt haben kann und er sich nicht tatsächlich zum Christentum hingewandt hat. So konnte der BF in der mündlichen Verhandlung nicht einmal genau erklären, was ihm am katholischen Glauben gefällt bzw. welche Unterschiede es zum Islam gibt. Vielmehr gab der BF dazu nur vage emotionslos an: „Das Gott ein lieber Gott ist und kein böser Gott ist.“ Das Gott der Vater ist, das er sagt, wir sollen ihn fragen was wir brauchen, er wird uns geben.“ (S. 21 Verhandlungsprotokoll). Abgesehen davon, konnte der BF auch mit dem Begriff „Fronleichnam“ nichts anfangen, zumal der BF, als er dazu befragt wurde, als Antwort nur ausführte, „Fronleichnam habe ich nie gehört, ich kenne nur die Maria.“ Der BF war in der mündlichen Verhandlung auch nicht dazu in der Lage den Rosenkranz aufzusagen. (S. 21 Verhandlungsprotokoll).
Letztlich war noch besonders auffällig, dass der BF der erkennenden Richterin auch nicht davon berichten konnte, was in der letzten Sonntagsmesse gepredigt wurde, sondern gab er als Antwort nur an: „Jeder wird ein Prophet.“ (S. 25 Verhandlungsprotokoll). Auch dieses Unwissen des BF zeigt deutlich, dass seine Angaben zur Konversion nicht glaubwürdig sind, andernfalls er inhaltliche Angaben zum letzten Gottesdienst machen hätte können. Vor allem bei einem neuen und begeisterten Christen, der sich in einem Land, in dem im Gegensatz zum Herkunftsstaat Glaubensfreiheit herrscht, befindet, kann davon ausgegangen werden, dass er sich insbesondere auch mit Predigten des Priesters auseinandersetzt und diesbezügliche Inhalte benennen kann, was der BF jedoch mit der oben wiedergegebenen Antwort nicht vermochte.
Angesichts des mehr als vierjährigen Zeitraumes, in dem der BF in Österreich regelmäßig den Gottesdienst besucht, der Teilnahme an einem Taufvorbereitungskurs sowie der Teilnahme an Online-Bibelstunden in Verbindung mit der Zeit, die ihm mangels Berufsausübung zur Verfügung steht, müsste davon auszugehen sein, dass sich zumindest ein zentrales Wissen zum Christentums nachhaltig verfestigt haben muss und er einfach Fragen wie jenen zu den 7 Sakramenten, den 10 Geboten oder zu christlichen Feiertagen wie Fronleichnam beantworten können muss. Aufgrund der dargelegten Angaben des BF bzw. dessen Unkenntnis kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der BF Bibelwissen bzw. Wissen zum Christentum angeeignet und sich mit Bibelinhalten ernsthaft und aus persönlichem, spirituellen Interesse auseinandergesetzt hat, was einmal mehr gegen die Glaubwürdigkeit seiner Konversion spricht. Die dargelegten Antworten des BF vermitteln deutlich ein Gesamtbild, wonach eine tatsächliche, ernsthafte und inhaltliche Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten und eine ernsthafte Glaubenspraxis nicht gegeben ist, sodass nicht von einer Konversion im Sinne einer inneren, tatsächlichen Hinwendung zum Christentum ausgegangen werden kann, sondern von einer Konversion, welche lediglich zum Schein erfolgte. Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes sprechen die hervorgekommenen Aktivitäten und Kenntnisse des BF für keine substantiierte spirituelle Haltung, welche von einer Person, die sich aus freien Stücken einem neuen Glauben zugewendet, diesen über mehrere Jahre praktiziert und sich sogar für die Taufe entscheiden hat, zugrunde liegt, sondern dafür, dass der BF dieses Sakrament aus Opportunitätserwägungen an sich vornehmen ließ.
Der BF führte in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 – auf Nachfrage seines Rechtsvertreters – zwar auch aus, dass sich sein Leben, seit er Christ geworden sei, geändert habe, er keine Ängste mehr habe, fröhlicher geworden sei und er niemanden mehr etwas angetan habe bzw. zu lügen aufgehört habe (S. 25 Verhandlungsprotokoll); aber auch diese Aussage des BF vermochte das erkennende Gericht nicht zu überzeugen, zumal der BF – wie aus dem Akteninhalt ersichtlich ist – per E-Mail Drohungen bzw. ein Foto mit einem Seil an das erkennende Gericht gesendet hat. Auch die dazu getätigten Erklärungsversuche des BF, wonach es ihm in diesem Moment psychisch sehr schlecht gegangen sei, seine Mutter krank sei, seine Tochter mit 12 Jahren in die Koranschule gebracht worden sei bzw. diese bald mit einem Scheich verheiratet werden solle, weil ihr Vater Christ geworden sei, er durcheinandergebracht gewesen sei und dies deswegen geschrieben bzw. er sein Leben nicht habe verbessern können bzw. er nicht wisse wie er das getan habe oder dies passiert sei, stellen nach Ansicht des erkennenden Gerichtes keine Rechtfertigung für das Verhalten des BF dar (S. 26 und 27 Verhandlungsprotokoll). Vielmehr zeigt auch dieses Verhalten des BF erneut deutlich, dass dieser die christlichen Werte nicht verinnerlicht hat und stellte dieses Verhalten des BF auch einen Widerspruch zu den christlichen Verhaltenswerten dar.
Auch der in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 einvernommene Zeuge (Pfarrer/Pfarrmoderator der Pfarre XXXX ) vermochte mit seiner Aussage nichts an der soeben dargelegten Ansicht zu ändern und konnten Hinweise auf eine innere Glaubensüberzeugung und Ernsthaftigkeit der Religionsausübung des BF aus den Angaben des Zeugen nicht entnommen werden. Vielmehr konnte der Zeuge in der Verhandlung im Wesentlichen nur die nach außen in Erscheinung getretenen Faktor bestätigen. So schilderte der Zeuge etwa, dass er den BF seit dem Jahr 2017 kenne, sich der BF 2017 wegen seines Interesses am katholischen Glaubens an ihn gewandt habe, der BF einen Taufvorbereitungskurs gemacht habe, im Jahr XXXX getauft und gefirmt worden sei bzw. die Erstkommunion erhalten habe, der BF praktisch jeden Sonntag in die Kirche gehe, in der Pfarre bei verschiedenen Veranstaltungen mithelfe und am Pfarrcafe teilnehme. Diese Faktoren wurden vom erkennenden Gericht allerdings ohnehin – aufgrund der dazu in Vorlage gebrachten Schreiben - als glaubwürdig festgestellt. Der Zeuge führte in der mündlichen Verhandlung zwar – auf Nachfrage des Rechtsvertreters - auch aus, er habe gesehen, dass sich der BF mit der Bibel beschäftigt habe und sich der BF mittlerweile in der Bibel gut zurechtfinde (S. 30 Verhandlungsprotokoll). Diese Aussagen des Zeugen passen allerdings nicht mit dem gewonnenen Eindruck des erkennenden Gerichtes zusammen, zumal der BF – wie bereits oben ausgeführt wurde – vor der belangten Behörde bzw. dem erkennenden Gericht nicht einmal einfache Fragen, wie jene nach den 7 Sakramenten oder den 10 Geboten, beantworten konnte und offenbar auch den Begriff „Fronleichnam“ noch nie zuvor gehört hat. Unabhängig davon, ist für das erkennende Gericht auch nicht verständlich, wie sich der Zeuge einen Eindruck über die Fähigkeiten des BF machen konnte bzw. er dessen Fortschritt in Gesprächen überprüfen konnte oder überhaupt die (zumindest anfängliche) Verständigung mit dem BF stattgefunden haben soll, zumal der Zeuge in der mündlichen Verhandlung sogar selbst zugab, sich anfangs mit dem BF teils auf Deutsch, teils auf Englisch unterhalten zu haben, dies aber immer schwierig gewesen sei, es aber mittlerweile besser geworden sei (S. 30 Verhandlungsprotokoll). Ansonsten beschrieb der Zeuge den BF in der Verhandlung zwar als einen am Christentum interessierten, freundlichen und hilfsbereiten Menschen, welcher große Sorgen bzw. Angst davor habe, in sein Heimatland zurückzukehren (S. 29 Verhandlungsprotokoll). Dieser Eindruck des Zeugen von der Persönlichkeit des BF ist aber ebenso wenig mit dem gewonnenen Eindruck des erkennenden Gerichtes vereinbar und wusste der Zeuge auch nicht darüber Bescheid, dass der BF E-Mails mit Drohungen bzw. ein Foto mit einem Seil an das erkennende Gericht geschickt hat. Dazu befragt, gab der Zeuge auch nur vage an, er vermute, dass der BF große Sorgen habe, habe er den BF ausschließlich friedlich erlebt bzw. noch nie bemerkt habe, dass der BF gewalttätig geworden sei (S. 29 und 30 Verhandlungsprotokoll).
Hinsichtlich des gewonnenen Eindruckes von der Person des BF ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass der BF – wie bereits oben dargestellt wurde – nicht nur hinsichtlich seiner Fluchtgründe völlig widersprüchliche Angaben vor den Behörden bzw. dem erkennenden Gericht machte, sondern er offenbar auch nicht davor zurückschreckt zu seinen persönlichen Verhältnissen völlig falsche Angaben zu machen, so offenbar auch gegenüber den Mitgliedern der Pfarre XXXX . Der BF erzählte etwa dem Diakon der Pfarre XXXX sowie seiner Taufpatin, dass er mit seiner Cousine sowie ihren beiden Kindern (aus der Türkei) nach Österreich eingereist sei (vgl. das vorgelegte Schreiben von XXXX von April 2020 sowie das vorgelegte Schreiben der Taufpatin von März 2020). Auch dem Leiter des Taufkurses erzählte er, dass es sich bei der mitgereisten Frau um eine Verwandte handeln würde (vgl. das vorgelegte Schreiben von XXXX betreffend die Fluchtgeschichte des BF von März 2020). In der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2021 stellt sich nunmehr aber heraus, dass es sich bei der mitgereisten Frau bzw. ihren Kinder tatsächlich gar nicht um die Cousine/bzw. Verwandte des BF handelt, zumal der BF in der Verhandlung explizit angab, keine Verwandten in Österreich zu haben (S. 5 Verhandlungsprotokoll) und an späterer Stelle der Verhandlung sogar zugab, dass es sich bei der mitgereisten Frau um eine andere Somalierin handle, welche er bei der Flucht aus der Türkei mit ihren beiden Kindern geholfen habe bzw. diese ihm daher Geld für die Flucht bezahlt habe (vgl. S. 19 und 20 Verhandlungsprotokoll). Auch diese Umstände zeigen deutlich, dass der BF nicht nur vor den österreichischen Behörden, sondern auch gegenüber seinen Bezugspersonen/Freunden im Bundesgebiet völlig falsche Angaben machte und er damit in seiner Person nicht glaubwürdig ist. Es war daher auch nicht notwendig weitere Zeugen einzuvernehmen.
Die nach außen hin gesetzten sichtbaren Aktivitäten des BF, wie die erfolgte Taufe, die Teilnahme an Gottesdiensten, die Mithilfe bei kirchlichen Festen sowie die Teilnahme an Online-Bibelstunden vermögen nicht die oben aufgezeigten Mängel, welche gegen einen tatsächlichen Glaubens- bzw. Gesinnungswandel des BF sprechen, zu kompensieren und kann alleine aus solchen äußeren Faktoren, welche jedoch nichts über die tatsächliche innere Haltung des BF aussagen, keine Konversion des BF abgleitet werden. Insgesamt kann ein Zusammenhang zwischen den vorgebrachten Aktivitäten des BF mit einer inneren identitätsprägenden Konversion bzw. Glaubenszuwendung zum Christentum nicht festgestellt werden.
Es vermag auch der Formalakt der Taufe, nichts an dieser Beurteilung zu ändern, kann doch alleine aus solchen äußeren Faktoren, welche jedoch nichts über die tatsächliche innere Haltung des BF aussagen, keine Glaubenszuwendung des BF mit allen bereits mehrfach umschriebenen Voraussetzungen und Folgewirkungen abgeleitet werden. Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur, der zufolge es für die Beurteilung der Frage, ob eine Konversion vorliegt, nicht auf den Formalakt der Taufe, sondern auf die religiöse Einstellung des Asylwerbers ankommt (vgl. zuletzt VwGH vom 21.12.2006, 2005/20/0624).
Soweit der BF – über Befragung durch seinen Rechtsvertreter – in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 darüber hinaus auch noch angab, eine Kreuzkette, einen Kreuzring und eine Rosenkranzkette mit sich zu tragen (S. 26 Verhandlungsprotokoll), so kann auch dadurch kein Rückkehrhindernis für den BF erkannt werden, zumal er diese Gegenstände bei einer Rückkehr in sein Heimatland ablegen kann.
Auch die weiteren Angaben des BF in der Verhandlung am 01.10.2021, wonach er in Österreich bereits 2 Personen - einen Mann und eine Frau - vom christlichen Glauben überzeugt habe bzw. er „missionieren“ würde, sind nicht glaubwürdig, zumal der BF den Namen der Frau zunächst nicht angeben wollte („Den Namen der Frau erwähne ich nicht.“), wobei er dann auf Nachfrage der Richterin nach dem Grund, plötzlich ausführte: „Sie heißt XXXX . Das ist der einzige Name, den ich kenne.“, bevor er dann auf nochmalige Nachfrage, wieso er den Namen nicht sagen wolle, dann doch angeben, dass diese XXXX heiße. Als Erklärung führte der BF dann schließlich noch aus: „Ich habe mir gedacht, dass die Dolmetscherin die Frau vielleicht kennt, aber denke ich mir nicht, dass sie sie kennt.“ (S. 26 Verhandlungsprotokoll). Auch dieser Rechtfertigungsversuch des BF ist nicht glaubwürdig, sondern entstand beim erkennenden Gericht eher der Eindruck, dass dem BF zunächst kein passender Frauenname einfiel und er deswegen erst nach mehrmaliger Nachfrage einen vollständigen Namen nannte. Das erkennende Gericht geht daher nicht davon aus, dass der BF missionarischen Tätigkeiten, welche die Weitergabe von Glaubenslehre, die Verkündung des Glaubens und die Bekehrung zu dem betreffenden Glauben beinhaltet, bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Somalia nachgehen würde.
Zusammengefasst ist verfahrensgegenständlich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Angaben des Zeugen und der konkreten Befragung des BF zu seinen religiösen Aktivitäten im Rahmen der mündlichen Verhandlung und zu seiner Auseinandersetzung mit einem neuen Glauben eine aktuell bestehende innere Glaubensüberzeugung des BF nicht nachvollziehbar dargelegt geworden. Der BF konnte somit eine ernsthafte innere Hinwendung zum christlichen Glauben nicht glaubhaft machen. Das erkennende Gericht geht nicht davon aus, dass der BF sich intensiv mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt hat, sich in weiterer Folge ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt hat, dieser für ihn identitätsstiftend ist bzw. er im Falle einer Rückkehr nach Somalia diesen Glauben praktizieren wird und deshalb in das Blickfeld der Behörden geraten oder missionierend bzw. in einer herausgehobenen Position tätig sein wird. Der christliche Glaube ist nicht bereits derart im BF verwurzelt, dass dieser Bestandteil seiner Identität geworden ist. An dieser Einschätzung kann auch die Behauptung in der Beschwerde, wonach die „Unwissenheit“ des BF betreffend den christlichen Glauben bzw. speziell hinsichtlich der 10 Gebote/7 Sakramente auf die „nicht korrekte“ bzw. „falsche“ Übersetzung der Dolmetscherin in der Einvernahme am 26.02.2018 zurückzuführen sei, nichts ändern, zumal – wie bereits weiter oben ausgeführt wurde – der BF die Richtigkeit der Niederschrift mit seiner Unterschrift bestätigte und sich auch in der mündlichen Verhandlung herauskristallisierte, dass der BF über äußerst wenig Detailwissen zum Christentum/dem christlichen Glauben verfügt.
Dazu ist noch zu ergänzen, dass sich der BF auch hinsichtlich der Kenntnis seiner Familie in Somalia über sein Interesse am christlichen Glauben in Widersprüche verstrickte. Abgesehen davon, dass – wie bereits oben dargestellt wurde – seine Schilderungen betreffend seine Tätigkeiten als Soldat in Somalia bzw. der Ausbildung in der Türkei schon völlig unglaubwürdig sind und es daher schon aus diesem Grund nicht der Wahrheit entsprechen kann, dass somalische Soldaten in der Türkei seiner Familie bzw. seiner Frau in Somalia betreffend sein Interesse am Christentum Bescheid gesagt hätten (AS 105); waren diese Angaben des BF auch noch in einem weiteren Punkt widersprüchlich. So bejahte der BF in der zweiten mündlichen Beschwerdeverhandlung am 01.10.2021 nämlich anfangs, dass seine Familie nicht wisse, dass er Christ sei (S. 20 Verhandlungsprotokoll), während er im weiteren Verlauf der Verhandlung dann plötzlich doch angab, dass „alle“ davon wissen würden, dass er Christ sei, bevor er dann kurz darauf wiederum davon sprach, seine Mutter wisse, dass er christlich sei, diese es aber versuche es zu vertuschen, damit die anderen glauben würden, dass er Muslim sei (S. 21 Verhandlungsprotokoll). Aufgrund dieser völlig widersprüchlichen Angaben geht das erkennende Gericht daher nicht davon aus, dass der BF seine Familie über sein Interesse am Christentum etwas erzählt hat, sondern es sich dabei lediglich um eine Schutzbehauptung des BF handelt.
Der BF behauptete im Verfahren vor dem BFA zwar auch, dass die somalischen Behörden bzw. andere Menschen in Somalia glauben/wissen würden, dass er zum Christentum konvertiert sei, aber auch dabei kann es sich aufgrund seiner bisher getätigten widersprüchlichen Angaben nur um eine Schutzbehauptung des BF handeln. Unabängig davon, verstrickte sich der BF zu diesem Punkt aber auch in weitere Ungereimtheiten, zumal er in seinem „Antrag auf ergänzende Einvernahme“ vom 10.01.2017 etwa behauptete, seine Eltern seien deswegen bereits 2 Mal telefonisch mit dem Tode bedroht worden und deshalb nach Kenia geflüchtet bzw. sei seine Frau in Somalia mit Steinen beworfen worden, während er diese Umstände im Laufe des weiteren Verfahren dann nicht mehr erwähnte und sich in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 dann auch herausstellte, dass die Eltern des BF nach wie vor noch in Somalia leben.
Es lassen sich daher keine glaubhaften Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der BF bereits ins Blickfeld der somalischen Behörden gerate wäre und ist auch nicht wahrscheinlich bzw. glaubwürdig, dass die somalischen Behörden Fotos des BF (etwa wo er im Kirchenchor singt) erhalten sollten. Die seitens des BF angegebenen Aktivitäten in Zusammenhang mit der christlichen Religion sind daher auch nicht geeignet, eine asylrelevante Rückkehrgefährdung des BF zu begründen. Auch der Umstand, dass der BF in Österrreich online an einer Bibelstunde (via Skype oder Zoom) teilnimmt bzw. er eine Bestätigung betreffend eine „Mitgliedschaft“ in der „ XXXX “ vom 25.02.2020 vorlegte, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Der BF erwähnte eine „Mitgliedschaft“ in dieser Gemeinschaft von sich aus auch mit keinem einzigen Wort, weshalb davon auszugehen ist, dass es sich bei der vorgelegten Bestätigung um ein Gefälligkeitsschreiben handelt.
Im Falle des BF ist damit keine ernsthafte Konversion zum christlichen Glauben hervorgekommen, sodass in weiterer Konsequenz auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass er den christlichen Glauben, dem er sich, wie die Beweiswürdigung zeigte, lediglich zum Schein zugewandt hat und diesen nicht tatsächlich und ernsthaft praktiziert und dieser auch nicht Bestandteil seiner Identität geworden ist, diesen umso weniger im Rückkehrfall nach Somalia praktizieren bzw. ein diesbezügliches Bedürfnis haben wird. Die Angaben des BF zu seiner Konversion zum Christentum sind aus den dargelegten Erwägungen nicht als glaubwürdig zu qualifizieren und ist daher davon auszugehen, dass die behauptete Konversion des BF zum Christentum allenfalls nur formal erfolgt ist, um Vorteile im Asylverfahren zu erwirken.
Soweit der BF gegen Ende der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2021 letztlich noch ausführte, dass seine Familie auch unter Clan-Problemen leiden würde (S. 28 Verhandlungsprotokoll), so ist auch diese Aussage des BF nicht glaubwürdig, zumal er diesen Umstand während des bisherigen Verfahrens nie auch nur ansatzweise erwähnte. Abgesehen davon, legte der BF mit diesen vagen und oberflächlichen Angaben auch in keinster Weise dar, inwiefern sich diese Clan-Probleme für seine Familie genau darstellen würden.
Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, dass sowohl die Gründe für die Ausreise als auch die geltend gemachten subjektiven Nachfluchtgründe des BF als unglaubwürdig zu qualifizieren sind.
2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des BF in die Stadt Mogadischu ergeben sich aus den o.a. Länderberichten.
Mogadischu steht unter der Kontrolle von Regierung und AMISOM. Es ist durch die Stadtverwaltung von Mogadischu zur Verbesserung der Sicherheitslage gekommen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Die Al Shabaab verübt zwar Angriffe in Mogadischu, jedoch vor allem in Regierungsnähe (high-profile-Ziele). Für die Zivilbevölkerung ist das größte Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Die Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an. Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko eines Eingriffs in die körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt wäre. Das Gericht geht daher davon aus, dass es in der Stadt Mogadischu zu Anschlägen kommt, jedoch nicht in allen Stadtteilen.
Die sichere Erreichbarkeit der Stadt Mogadischu ist durch den örtlichen Flughafen gewährleistet.
Die humanitären Bedürfnisse in Somalia bleiben zwar weiterhin hoch und ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in weiten Landesteilen (aufgrund der periodisch wiederkehrenden Dürreperioden, Überflutungen und zuletzt auch wegen der Heuschreckenplage) oftmals nicht gewährleistet und ist auch die Arbeitslosenquote in Somalia nach wie vor landesweit hoch; positiv zu erwähnen ist aber, dass die die urbane Ökonomie in Somalia – allen voran in Mogadischu – eine Erholung zeigte. So gibt es einen Bau-Boom, Supermärkte, Restaurants und Geschäfte werden eröffnet. Alleine der Telkom-Konzern Hormuud Telecom hat in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer. Um bessere Arbeit zu erhalten, sind Menschen in Somalia auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Männer finden generell unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Am Bau kann man beispielsweise als Träger arbeiten.
Der BF hat vor seiner Ausreise nach Europa in Mogadischu gelebt und ist daher mit den dortigen örtlichen Gegebenheiten vertraut. Er spricht die Landessprache Somalisch als Muttersprache. Darüber hinaus verfügt der BF über eine Schulausbildung und hat bereits als Fischer und Träger gearbeitet.
Da der BF über familiäre Anknüpfungspunkte in Somalia und insbesondere auch in der Stadt Mogadischu verfügt und er daher bei einer Rückkehr nach Mogadischu Unterstützung von seiner dort lebenden Verwandten (etwa in Form einer Unterkunft) in Anspruch nehmen kann, ist nicht davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr nach Mogadischu in eine Notlage geraten würde oder er seine Grundbedürfnisse (Nahrung, Unterkunft) nicht befriedigen könnte. Der BF behauptete gegen Ende der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 zwar, dass er seiner Mutter Geld geschickt habe bzw. seine Familie arm sei (S. 27 und 28 Verhandlungsprotokoll), da er diese Umstände aber zuvor nie erwähnte, geht das erkennende Gericht davon aus, dass es sich dabei lediglich um eine Schutzbehauptung des BF handelt. Unabhängig davon kann der BF in Mogadischu selbst einer Arbeit nachgehen (beispielsweise als Träger am Bau) und sich den Lebensunterhalt selbst verdienen. Es ist daher für das Gericht auch nicht davon auszugehen, dass sich der BF in einem IDP-Camp ansiedeln müsste und er dort der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen, fehlender Grundversorgung oder Zwangsräumungen ausgesetzt wäre. Der BF kann zudem von seinem Clan unterstützt werden bzw. Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.
Das Gericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich der BF nach anfänglichen Schwierigkeiten wieder in Mogadischu niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen kann.
2.4. Zum (Privat)Leben des BF in Österreich:
Die Feststellung zur Asylantragstellung des BF in Österreich ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen, dass der BF Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht hat und er die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden hat, ergibt sich insbesondere aus den im Verfahren vorgelegten Bestätigungen.
Die Feststellung, dass der BF die deutsche Sprache spricht und versteht, ergibt sich einerseits aus dem Umstand, dass der BF Deutschkurse/-prüfungen in Österreich besuchte/abschloss und andererseits daraus, weil der BF in der zweiten mündlichen Verhandlung – wenn auch in gebrochenem Deutsch – seinen Tagesablauf beschreiben konnte (S. 25 Verhandlungsprotokoll).
Die Feststellungen, dass der BF einen Werte- und Orientierungskurs sowie den Workshop „Demokratie in Österreich“ besucht hat, ergibt sich ebenso aus den dazu vorgelegten Bestätigungen.
Die Feststellung, dass der BF seit Jänner 2021 einen Kurs zum Abschluss der Pflichtschule besucht, ergibt sich aus den eigenen Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 (S. 4 und 5 Verhandlungsprotokoll) sowie der dazu vorgelegten Bestätigung vom 13.09.2021. Der BF gab in der Verhandlung am 01.10.2021 zwar auch an, dass er die Prüfungen „Soziales und Gesundheit“ sowie „Kraftfahrzeug“ schon gemacht zu haben bzw. diese mit der Note „1“ bestanden zu habe, da er aber keine Bestätigungen zur Verifizierung dieser Angaben in Vorlage brachte, konnte dies nicht als erwiesen festgestellt werden.
Der Umstand, dass der BF seit seiner Einreise nach Österreich Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus der Einsichtnahme ins GVS-System.
Die Feststellungen zu den Tätigkeiten des BF in der Gemeinde sowie dem Erhalt von Taschengeld ergeben sich aus den eigenen Angaben des BF sowie den dazu vorgelegten Bestätigungen.
Die Feststellungen zu den kirchlichen/christlichen Aktivitäten des BF im Bundesgebiet ergeben sich insbesondere aus den dazu vorgelegten Bestätigungen (wie dem vorgelegten Taufschein, der Bestätigungen betreffend den Online-Bibelkurs), den Aussagen des einvernommenen Zeugen in der Verhandlung sowie den vorgelegten Schreiben der Mitglieder der Pfarrgemeinde XXXX .
Die Feststellungen zu den sonstigen Freizeitaktivitäten des BF im Bundesgebiet ergeben sich aus seinen eigenen Angaben während des Verfahrens, insbesondere aus seinen Angaben in der letzten mündlichen Beschwerdeverhandlung (S. 25 Verhandlungsprotokoll). Die Feststellung, dass der BF Bekanntschaften bzw. Freundschaften im Bundesgebiet geschlossen hat, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben während des Verfahrens sowie den in Vorlage gebrachten Empfehlungsschreiben und ist auch vor dem Hintergrund, dass sich der BF seit dem Jahr 2015 in Österreich befindet nachvollziehbar. Ein besonderes Abhängigkeits- oder Naheverhältnis zu in Österreich lebenden Personen ist im gegenständlichen Verfahren nicht hervorgekommen und wurde vom BF auch nie behauptet.
Wie bereits oben kurz dargestellt wurde, steht für das erkennende Gericht nunmehr zweifelsfrei fest, dass keine Verwandten des BF im Bundesgebiet leben. Der BF machte dazu im Laufe des Verfahrens völlig widersprüchliche Angaben. So behauptete er in der Erstbefragung, dass die mit ihm (von der Türkei aus) eingereisten Personen seine 2. Ehefrau bzw. seine beiden Stiefkinder seien (AS 1 und 5), während er in der ersten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA dann plötzlich angab, es stimme nicht, dass er mit dieser Frau verheiratetet sei, sondern er dies nur deshalb angegeben habe, damit man sie nicht trenne bzw. sie gemeinsam leben hätten wollen (AS 87). Die Frage des BFA, ob er Verwandte in Österreich habe, verneinte der BF anfangs (AS 93), bevor er dann an späterer Stelle der Einvernahme wiederum ausführte, dass seine Mutter mit der Mutter dieser Frau verwandt sei (AS 101). Auch im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens behauptete der BF dann stets, dass es sich bei der mitgereisten Frau um seine Cousine handle, er legte auch gemeinsame Fotos vor und gab er auch - wie bereits oben dargelegt wurde - gegenüber den Mitgliedern der Pfarre XXXX stets an, dass es sich bei der mitgereisten Frau um seine Cousine bzw. eine Verwandte handeln würde. In der vom erkennenden Gericht durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 01.10.2021 stellte sich nunmehr aber heraus, dass es sich bei der mitgereisten Frau bzw. deren Kinder tatsächlich gar nicht um die Cousine/bzw. eine Verwandte des BF handelt, zumal der BF in der Verhandlung explizit angab, keine Verwandten in Österreich zu haben (S. 5 Verhandlungsprotokoll) und er an späterer Stelle der Verhandlung auch zugab, dass es sich bei der mitgereisten Frau um eine andere Somalierin handle, welche er bei der Flucht aus der Türkei mit ihren beiden Kindern geholfen habe bzw. diese ihm daher Geld für die Flucht bezahlt habe (vgl. S. 19 und 20 Verhandlungsprotokoll). Es konnte somit festgestellt werden, dass keine Verwandten des BF in Österreich leben.
Die Feststellung, dass der BF in Österreich unbescholten ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister. Die Feststellungen zu den Drohungen des BF, der Anzeige wegen gefährlicher Drohung sowie der Einstellung des Ermittlungsverfahrens, ergibt sich aus den im Akt einliegenden Schriftstücken (insbesondere aus den dokumentieren E-Mails des BF an das erkennende Gericht, der im Akt einliegenden polizeilichen Anzeige sowie dem Schreiben der Staatsanwaltschaft betreffend die Einstellung des Ermittlungsverfahrens).
2.5. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt 1.) A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, konnte keine asylrelevante Verfolgung und auch keine glaubwürdige Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund erkannt werden. Auch das Vorbringen des BF bezüglich seiner Hinwendung zum Christentum war in seiner Gesamtheit – wie ebenso in der Beweiswürdigung detailliert ausgeführt wurde – nicht als glaubhaft zu qualifizieren (vgl. VwGH vom 07.05.2018 zu Ra 2018/20/0186-6).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 30.06.2005, Zl. 2003/20/0544) zur Frage der Verfolgungsgefahr bei Iranern, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grunde mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (so schon im Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2001, Z1. 99/20/0550, ebenfalls VwGH vom 17.10.2002, Zl: 2000/20/0102). In gleichem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 31.05.2001, Zl. 2001/20/0054, im Zusammenhang mit einer noch nicht erfolgten, aber beabsichtigten Konversion zum Ausdruck gebracht, dass für die Beurteilung des Asylanspruches maßgeblich sei, ob der Asylwerber in seinem Heimatstaat in der Lage war, eine von ihm gewählte Religion frei auszuüben, oder ob er bei Ausführung seines inneren Entschlusses, vom Islam abzufallen und zum Christentum überzutreten, mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsse.
Gemäß der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es - um von Asylrelevanz überhaupt sprechen zu können - auf die Art der Ausführung bzw. Ausübung des christlichen Glaubens in Somalia an, sowie darauf, ob der Asylwerber bei dieser Ausübung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanter Gefährdung zu rechnen hat.
Im Lichte der Länderinformationen und auch der aktuellen Judikatur ist der Schluss zu ziehen, dass aus der lediglich formalen Konversion zum christlichen Glauben ohne eine innere ernsthafte Überzeugung- wie sie im gegenständlichen Fall vorliegt – nicht davon auszugehen ist, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Somalia die christliche Religion praktizieren wird. Somit resultiert daraus keine asylrechtlich relevante Gefährdung.
Der BF hat in Österreich christliche Gotteshäuser besucht, nimmt an Veranstaltungen der Pfarre teil, wurde getauft, gefirmt und nimmt an einer Online-Bibelstunde teil. Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, war nicht glaubwürdig, dass der BF seinen Familienangehörigen in Somalia über sein Interesse am Christentum bzw. seine Taufe in Österreich berichtet hat. Dass dies dem BF im Rückkehrfall in asylrelevanter Weise zum Nachteil gereicht, kann aufgrund der in der Beweiswürdigung getroffenen Ausführungen, wonach nicht davon auszugehen ist, dass die Person des BF für die somalischen Behörden in irgendeiner Weise von Interesse ist und unter Beobachtung steht und es somit keinen ersichtlichen Grund gibt, wie die Aktivitäten des BF den somalischen Behörden bekannt werden sollten, nicht festgestellt werden. Ein asylrelevantes Verfolgungsrisiko ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts daher nicht gegeben.
In einer Gesamtschau der beigezogenen Länderquellen kommt das erkennende Gericht zu dem Schluss, dass lediglich durch den Formalakt der Taufe sowie Besuche von österreichischen Kirchen keine asylrelevante Gefährdung verbunden ist.
Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.
3.1.4. Aus den Länderberichten ergibt sich auch nicht, dass die allgemeine Lage im Somalia dergestalt ist, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
3.2.1. § 8 AsylG lautet auszugsweise:
Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
3.2.2. Gemäß Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).
Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).
3.2.3. Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden allgemeinen Sicherheitslage scheint eine Rückkehr des BF nach Somalia im Hinblick auf die regional differenzierende Sicherheitslage auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Der BF kann nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts wieder in die Stadt Mogadischu zurückkehren:
Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die Länderfeststellungen zwar nicht verkannt, dass die Situation (auch) in der Stadt Mogadischu nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die somalische Regierung bzw. die AMISOM die Kontrolle über Mogadischu hat. Darüber hinaus ist Mogadischu eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens sicher erreichbare Stadt, deren Sicherheitslage sich verbessert hat.
Anschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, sind in Mogadischu nicht auszuschließen und finden in unregelmäßigen Abständen auch statt. In Mogadischu, einer Stadt mit derzeit 1,65 Million Einwohnern und einer großen Anzahl Binnenvertriebener, geht die größte Gefahr heute von terroristischen Aktivitäten der Al Shabaab aus. Die Aktivitäten der Al Shabaab richten sich vorwiegend gegen die Regierung oder gegen "soft targets" (Hotels und Restaurants die häufig von Behördenbediensteten oder Sicherheitskräften besucht werden). Hierzu ist auszuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Mogadischu nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist.
Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre (vgl. EGRM vom 10.09.2015 R.H. gegen Schweden, Nr. 4601/14). Die Stadtbewohner sind normalerweise nur dann betroffen, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind oder mit der Regierung in Verbindung gebracht werden. Im konkreten Fall ist nicht ersichtlich, dass exzeptionellen Umstände vorliegen würden, die eine Außerlandesschaffung des BF im Hinblick auf die Gegebenheiten in Mogadischu hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage gemäß Art. 3 EMRK unzulässig scheinen lassen. Wie bereits oben dargestellt wurde, ist völlig unglaubwürdig, dass der BF als Soldat tätig war.
3.2.4. Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der somalischen Bevölkerung in Mogadischu dennoch zumindest grundlegend gesichert. Dabei wird auch berücksichtigt, dass es derzeit, bedingt durch die COVID-19 Pandemie auch in der Stadt Mogadischu zu Ausgangsbeschränkungen kam, welche die Situation für Rückkehrer und Binnenvertriebene zusätzlich verschärfte. Der Arbeitsmarkt stagniert aufgrund der Covid-19-Beschränkungen weiterhin, insbesondere im Hinblick auf die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen, darunter die Binnenvertriebenen (IDPs). Bestimmte Zugangsbeschränkungen haben die Arbeitsmöglichkeiten von IDPs geschmälert. Viele IDPs, wie auch andere arme Menschen in Mogadischu, die ihr Einkommen zuvor mittels informeller Arbeit verdient haben, sind durch die Covid-19-Maßnahmen nun arbeitslos und können grundlegende Bedürfnisse, wie etwa den Kauf von Wasser, nicht mehr decken.
Wie festgestellt wurde, ist der BF im erwerbsfähigen Alter, verfügt über Schulausbildung und hat bereits Berufserfahrung als Fischer und Tischler gesammelt. Der BF ist in Somalia aufgewachsen, wodurch er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist. Zudem spricht der BF die Landessprache als Muttersprache. Der BF ist arbeits- und anpassungsfähig. Der BF gehört auch keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.
Der BF verfügt nach wie vor über zahlreiche Familienangehörige in Somalia, seine Mutter sowie andere Verwandte (Tante, Cousinen/Cousins) leben in Mogadischu. Weitere Familienangehörige leben in anderen Teilen Somalias. Er kann im Falle einer Rückkehr daher Unterstützung von seinen Verwandten erhalten. Er kann auch von seinem Clan Unterstützung erhalten. Der BF kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Es ist daher für das Gericht nicht davon auszugehen, dass der BF in ein IDP-Camp müsste. Der BF gehört aufgrund seiner Ortskenntnisse in Mogadischu, seiner Schulbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnisse sowie aufgrund seines familiären Netzwerks in Somalia nicht zu den vulnerablen Gruppen. Dies auch unter Berücksichtigung der medizinischen Beschwerden des BF.
Der BF kann auch durch die Inanspruchnahme von österreichischer Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Mogadischu das Auslangen finden. Es gibt auch ein breites Angebot an Unterstützungen für Rückkehrer in Mogadischu. Es ist deshalb auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würde.
Dem BF ist es daher aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich dort - etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten und durch Unterstützung seines familiären Netzwerkes - eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine (einfache) Unterkunft zu finden. Dafür, dass der BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.
3.2.5. Kein Fremder hat das Recht in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden. Dies selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt, ist es unerheblich ob die Behandlung dort nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK.
Solche außergewöhnlichen Umstände liegen vor, wenn ein Fremder bei einer Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt werden würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, da eine tödliche Erkrankung in der Endphase vorliegt, im Herkunftsstaat keine Krankenbehandlung und -pflege verfügbar ist und zudem Grundbedürfnisse mangels Angehöriger nicht gesichert sind. Außergewöhnliche Umstände liegen auch dann vor, wenn anzunehmen ist, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (VwGH vom 25.09.2019, Ra 2018/19/0585; VwGH vom 18.10.2018, Ra 2018/19/0139; EGMR vom 13.12.2016, P./Belgien, 41738/10).
Wie bereits oben ausgeführt wurde, leidet der BF an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten und sind eine grundlegende medizinische Versorgung sowie Medikamente in Somalia (Mogadischu) verfügbar. Der BF verfügt in Somalia über ein tragfähiges familiäres Netzwerk, dass ihn auch bei der medizinischen Versorgung unterstützen kann. Es liegen daher keine außergewöhnlichen Umstände bei einer Rückkehr nach Mogadischu vor.
Eine Rückführung des BF nach Somalia stellt keine Verletzung nach Art. 3 EMRK dar. Anlässlich einer Abschiebung wird von der Fremdenpolizeibehörde stets der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit der Fremden beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.
Auch unter Berücksichtigung der Covid-19-Pandemie ergibt sich hierzu keine andere Beurteilung. Der BF fällt aufgrund seines Alters nicht in die Risikogruppe der älteren Personen und hat sich beim BF keine besondere Immunschwächeerkrankung oder sonstige lebensbedrohliche Erkrankung ergeben. Es wurde vom BF auch nicht vorgebracht, dass er wegen der derzeitigen Covid-19-Pandemie besonders gefährdet oder einer Risikogruppe zugehörig wäre. In Mogadischu gibt es zudem ein Spital für Covid-19 Patienten.
Es besteht damit keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Somalia eine COVID-19 Erkrankung mit schwerwiegenden oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus zu gewärtigen hätte. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass der BF in Österreich die Möglichkeit hätte sich gegen COVID-19 impfen zu lassen oder eine „Booster-Impfung“ zu erhalten. Auch unter Miteinbeziehung einer etwaigen, aus der Covid-19-Pandemie resultierenden schlechteren wirtschaftlichen Situation ergibt sich kein anderes Bild (vgl. VwGH vom 23.06.2020, Ra 2020/20/0188).
In jedem Fall setzt eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK aber eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH vom 06.11.2009, 2008/19/0174). Nach der derzeitigen Sachlage wäre daher eine mögliche Ansteckung des BF in Somalia mit Covid-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf allenfalls spekulativ. Eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr ist nicht zu erkennen.
3.2.6. Die Angaben des BF legen somit eine Exzeptionalität der Umstände oder eine konkrete Betroffenheit des BF nicht dar.
Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr nach Somalia sein kann, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Der BF hat für seinen Einzelfall keine individuellen, konkret ihre Person treffenden exzeptionellen Umstände aufgezeigt bzw. diese glaubhaft gemacht.
Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist diesem eine Ansiedlung in der Stadt Mogadischu trotz der COVID-19-Pandemie möglich und auch zumutbar.
3.2.7. Es kommt zwar aufgrund von Dürren, der Heuschreckenplage, der Überschwemmungen und der Covid-19-Pandemie zu wirtschaftlichen Einschränkungen und Erschwernissen, dennoch ist die Betroffenheit von Region zu Region unterschiedlich und nicht für ganz Somalia einheitlich, sodass auf den tatsächlichen Herkunftsort – in diesem Fall Mogadischu – abzustellen ist. Die aktuelle wirtschaftliche Versorgungslage sowie die medizinische Versorgungssituation in Mogadischu, die persönlichen Umstände des BF und das Vorhandensein eines tragfähigen familiären Netzwerkes in Mogadischu, wurden dem Erkenntnis auch zugrunde gelegt.
3.2.8. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Somalia und einer Ansiedlung in der Stadt Mogadischu in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Ansiedlung in der Stadt Mogadischu entgegenstehen würden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem BF eine Ansiedlung in der Stadt Mogadischu möglich und auch zumutbar ist.
3.2.9. Die Beschwerde betreffend Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist daher abzuweisen.
3.3. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides – Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG
3.3.1. § 57 AsylG lautet auszugsweise:
„Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, …,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
…“
3.3.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.
3.3.3. Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.
3.4. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides - Rückkehrentscheidung
3.4.1. § 52 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 9 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG), und §§ 58 Abs. 2 und 52 AsylG lauten auszugsweise:
„Rückkehrentscheidung (FPG)
§ 52 …
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn,
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird,
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
…“
„Schutz des Privat- und Familienlebens (BFA-VG)
§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,4. der Grad der Integration,5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.
…“
„Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln
Antragstellung und amtswegiges Verfahren (AsylG)
§ 58 …
(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
…“
„Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK (AsylG)
§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn,
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
…“
3.4.2. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien vorzunehmen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalles unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.
Unter „Privatleben“ im Sinne von Art. 8 EMRK sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554).
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff). Nach einem Aufenthalt von sechs Jahren im Bundesgebiet kann laut Verwaltungsgerichtshof (VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0122 bis 0125-7; VwGH, 30.06.2016, Ra 2016/21/0076-10) eine Aufenthaltsbeendigung trotz vorhandener Integrationsschritte (Deutschkenntnisse, Selbsterhaltungsfähigkeit) im öffentlichen Interesse liegen.
Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens über kein weiteres Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben (VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407).
3.4.3. Wie bereits beweiswürdigend dargelegt wurde, konnte vom erkennenden Gericht festgestellt werden, dass der BF in Österreich über keine Familienangehörigen verfügt. Ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK ist daher auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des BF eingreifen.
3.4.4. Im gegenständlichen Fall ist der BF unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Der BF hält sich zwar schon seit seiner Antragstellung im Juni 2015, somit seit etwa 6,5 Jahren im Bundesgebiet auf und hat auch das Asylverfahren diese Zeitspanne in Anspruch genommen, dabei ist aber zu betonen, dass sich das Verfahren auch aufgrund der vorliegenden Corona-Pandemie bzw. der vom BF behaupteten Schwierigkeiten mit der beigezogenen Dolmetscherin maßgeblich verzögerte wurde. Der BF durfte sich in Österreich zudem bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war.
Dem BF ist zugutezuhalten, dass er sich Deutschkenntnisse aneignete, Deutschkurse (bis zum Niveau B1) besuchte und die Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden hat. Zudem hat er einen Werte- und Orientierungskurs sowie den Workshop „Demokratie in Österreich“ besucht. Der BF besucht zwar seit Jänner 2021 einen Kurs zum Abschluss der Pflichtschule und behauptete, dafür schon die Prüfungen „Soziales und Gesundheit“ sowie „Kraftfahrzeug“ gemacht zu haben bzw. diese mit der Note „1“ bestanden zu haben, er legte aber keine Bestätigungen zur Verifizierung der bestandenen Prüfungen vor.
Weiters wird nicht verkannt, dass der BF für die Gemeinde XXXX gearbeitet hat (etwa als Schülerlotse und als Gärtner) und dafür Taschengeld bekommen hat, schwer ins Gewicht fällt jedoch, dass der BF seit seiner Einreise ins Bundesgebiet – sohin seit über 6 Jahren – Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und zu keinem Zeitpunkt selbsterhaltungsfähig war. Der BF konnte in der mündlichen Verhandlung auch nur völlig vage Berufswünsche äußern, zumal er dort – auf Befragung - zunächst angab, christlicher Pfarrer werden zu wollen, während er kurz darauf ausführte, dass er dies wegen der langen Ausbildung nicht schaffen würde und er sich deshalb gedacht habe, eine Ausbildung im KFZ-/Technikbereich zu machen. Der BF legte während des gesamten Verfahrens auch keine Einstellungszusagen vor, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass der BF in naher Zukunft seinen Lebensunterhalt in Österreich ohne staatliche Unterstützung finanzieren wird können.
Der BF nimmt an diversen kirchlichen/christlichen Aktivitäten in der Gemeinde teil (Pfarrcafe, Pfarrchor, Gottesdienst, Taufvorbereitungskurs, diverse Veranstaltungen, Online-Bibelkurs), wurde in Österreich getauft, gefirmt und hat die Erstkommunion empfangen und betreibt in seiner Freizeit Sport (etwa Fußball, Laufen, Fitnessstudio), geht spazieren und liest Bücher. Wie die vorgelegten Empfehlungsschreiben belegen, konnte der BF im Bundesgebiet zwar auch Freundschaften bzw. Bekanntschaften knüpfen, dabei handelt es sich jedoch nicht um enge soziale Kontakte. Es liegt auch kein besonderes Abhängigkeits- oder Naheverhältnis in Österreich vor, sondern leben sämtliche Familienangehörige des BF (Eltern, Geschwister, Tante, Cousinen/Cousins sowie seine beiden Kinder) nach wie vor noch in Somalia, weshalb von einer starken Bindung im Herkunftsstaat auszugehen ist. Der BF steht mit seiner Familie in Somalia auch in regelmäßigem Kontakt, weshalb auch nicht davon auszugehen ist, dass der BF aufgrund der Ortsabwesenheit seinem Kulturkreis zwischenzeitig völlig entrückt wäre. Auch unabhängig von den dort lebenden Familienangehörigen ist von einer engen Bindung des BF nach Somalia auszugehen, zumal der BF den Großteil seines Lebens dort verbracht hat, dort sozialisiert wurde, die Schule besuchte und Berufserfahrung sammelte. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der BF – trotz der Abwesenheit vom Herkunftsstaat – in die dortige Gesellschaft problemlos wieder eingliedern können wird.
Der Umstand, dass der BF in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, Zl. 2002/18/0112). Hervorzuheben ist aber erneut, dass der BF gegenüber dem erkennenden Gericht per E-Mail Drohungen aussprach, er etwa androhte vor dem erkennenden Gericht Gewalt auszuüben bzw. Selbstmord zu begehen und auch ein Foto mit einem Seil sendete.
Es ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, die eine Ausweisung auch nach einem mehrjährigen Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen hat, auch wenn der Fremde perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, da er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste und daher seine Interessen dennoch gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesen zurücktreten müssen. (VfGH 12.06.2013, U485/2012). In folgenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wurde trotz langjährigem Aufenthalt und dem Vorliegen von Integrationsschritten die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeenden Maßnahme bejaht: VwGH 18.03.2010, 2010/22/0023 (sechsjähriger Aufenthalt; enge Beziehung zu Geschwistern in Österreich; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Einstellungszusage; großer Freundes- und Bekanntenkreis), VwGH 25.02.2010, 2008/18/0411 (siebeneinhalbjähriger Aufenthalt; Berufstätigkeit; ein Jahr lang Ehe mit österreichischer Staatsbürgerin; Unbescholtenheit; enge Freundschaften zu Arbeitskollegen und ehemaligen Wohnungskollegen; andere in Österreich lebende Familienangehörige), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070 (rund achtjähriger Aufenthalt; drei Jahre Berufstätigkeit; gute Deutschkenntnisse; engen Kontakt zu Freundes- und Bekanntenkreis sowie Bruder in Österreich; Unbescholtenheit; kaum Kontakt zu seinen im Libanon verbliebenen Angehörigen), VwGH 23.03.2010, 2010/18/0038 (siebenjähriger Aufenthalt; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; beruflich integriert als Zeitungsausträger, Sportverein), VwGH 25.03.2010, 2009/21/0216 ua. (Familie; siebenjähriger Aufenthalt; selbständige Berufstätigkeit bzw. Schulbesuch; Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine staatliche Unterstützung), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0031 (achtjähriger Aufenthalt; familiäre Bindung zu Onkel, der BF unterstützt; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Grundversorgung), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029 (knapp achtjähriger Aufenthalt; beabsichtigte Eheschließung mit österreichischer Staatsbürgerin; Sohn in Österreich geboren; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; nahezu durchgehende Beschäftigung; sozial vielfältig vernetzt und integriert), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026 (siebenjähriger Aufenthalt; Mangel an familiären Bindungen; Unbescholtenheit; Deutschkenntnisse; fehlende Bindungen zum Heimatstaat; arbeitsrechtlicher Vorvertrag), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0187 (mehr als siebenjähriger Aufenthalt; Sohn besitzt österreichische Staatsbürgerschaft; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine berufliche Integration), VwGH 13.04.2010, 2010/18/0078 (siebenjähriger Aufenthalt; jahrelange Erwerbstätigkeit; unbescholten; Freundes- und Bekanntenkreis; gute Deutschkenntnisse; Vereinsmitglied). Aus der neuen Judikatur ist auf die Entscheidung des VwGH vom 04.02.2020, Ra 2020/14/0026-5 (Selbsterhaltungsfähigkeit, Beschäftigungsbewilligung, eigene Unterkunft) sowie vom 18.09.2019, Ra 2019/18/0349, zu verweisen. Dem BF steht auch die Möglichkeit offen, sich um eine legale Zuwanderung zu bemühen, sofern er die Voraussetzungen erfüllt.
Der BF musste sich während der gesamten Zeit seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein, zumal die negative erstinstanzliche Entscheidung seit Mai 2018 vorliegt. Auch der VwGH vertritt die Ansicht, dass der Fremde spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende gehabt haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen habe müssen (VwGH 29.04.2010, 2010/21/0085).
Das Gewicht seiner Aufenthaltsdauer wird überdies weiter dadurch gemindert, dass dieser Aufenthalt sich nur auf ein aus einem letztlich als unberechtigt erkannten Asylantrag abgeleitetes Aufenthaltsrecht stützen konnte.
Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen, wobei im Rahmen der Gesamtabwägung einem solchen Vorbringen nicht in jeder Konstellation Relevanz zukomme (vgl. dazu VwGH, 30.06.2016, Zl Ra 2016/21/0076-10 und VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Vulnerabilität liegt gegenständlich aber nicht vor, zumal für den BF auch im Herkunftsstaat eine medizinische Versorgung zur Verfügung steht und er bei der Arbeitssuche Unterstützung von seinen zahlreichen im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen erhalten kann.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der BF erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.")
3.4.5. Vor diesem Hintergrund überwiegen die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet, sodass der damit verbundene Eingriff in sein Familien- und Privatleben nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes als verhältnismäßig qualifiziert werden kann. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass eine Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt.
3.4.6. Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.
3.5. Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides – Zulässigkeit der Abschiebung
3.5.1. §§ 52 Abs. 9 und 50 FPG lauten auszugsweise wie folgt:
„Rückkehrentscheidung
§ 52 …
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
…
Verbot der Abschiebung
§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
…“
Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 FPG entsprechen jenen des § 8 Abs. 1 AsylG. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 FPG entsprechen jenen des § 3 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint.
Es besteht auch keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, welche eine Abschiebung nach Somalia für unzulässig erklärt. Die Abschiebung des BF nach Somalia ist daher zulässig.
3.5.2. Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.
3.6. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides – Ausreisefrist
3.6.1. § 55 FPG lautet auszugsweise:
„Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
…
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.“
3.6.2. Besondere Umstände im Sinne des § 55 Abs. 2 FPG sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden. Die Beschwerde richtet sich zwar gegen sämtliche Spruchpunkte, der BF hat jedoch weder substantiierte Beschwerdegründe hinsichtlich dieses Spruchpunktes vorgebracht, noch eine Abänderung dieser Frist beantragt.
3.6.3. Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchpunkt 2.) A):
Zurückweisung der Säumnisbeschwerde:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit (Z 1); gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit (Z 2); wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde (Z 3); gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 2 B-VG (Z 4).
Gegenstand einer Säumnisbeschwerde ist die Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde (Art. 130 Abs. 1 Z 3, Art. 132 Abs. 3 B-VG). Damit ist Säumnis bei der Erlassung von Bescheiden gemeint. (...) Eine Entscheidungspflicht setzt jedoch voraus, dass überhaupt ein Verfahren eingeleitet wurde, das auch anhängig ist (...). Die Säumnis der Verwaltungsbehörde ist Prozessvoraussetzung für eine Säumnisbeschwerde. Daneben muss der Beschwerdeführer eine zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigte Partei des verzögerten Verwaltungsverfahrens sein (Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte (2014), § 7 Rn 12). Die Säumnisbeschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG schützt den Einzelnen vor behördlicher Untätigkeit im Bereich der Hoheitsverwaltung (VwGH 03.05.2017, Ro 2016/03/0027).
Im gegenständlichen Fall stellte der BF am 04.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des BFA vom 27.01.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia abgewiesen wurde. Ferner wurde dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht eine vollumfängliche Beschwerde ein. Mit Beschluss des BVwG vom 08.11.2017 wurde der Bescheid des BFA vom 27.01.2017 gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
Im fortgesetzten Verfahren erließ das BFA nach Durchführung zweier niederschriftlichen Einvernahmen am 25.05.2018 erneut einen Bescheid, wobei der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia abgewiesen wurde. Ferner wurde dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Gegen diesen Bescheid des BFA vom 25.05.2018 brachte der BF am 26.06.2018 bei der belangten Behörde fristgerecht eine vollumfängliche Beschwerde ein. Die Beschwerdevorlage langte am 03.07.2018 beim erkennenden Gericht ein.
Mit Eingabe vom 17.06.2019 brachte der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter beim BFA die gegenständliche Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) ein. Am 24.06.2019 wurde die gegenständliche Säumnisbeschwerde von der belangten Behörde dem erkennenden Gericht vorgelegt.
Das BFA hat – wie eben dargestellt – im fortgesetzten Verfahren am 25.05.2018 einen Bescheid erlassen. Damit hat die belangte Behörde über den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 04.06.2015 vollinhaltlich abgesprochen. Es wurde seitens des BFA daher keine Entscheidungspflicht verletzt. Mangels Säumnis der Verwaltungsbehörde war die gegenständliche Säumnisbeschwerde somit als unzulässig zurückzuweisen.
Zu den Spruchpunkten 1.) B) und 2.) B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
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