AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W215.2244158.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerden von XXXX , alle Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1) bis 4) XXXX und 5) 09.06.2021, Zahlen XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerden von XXXX werden gemäß § 9 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2021, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, und § 55 FPG, in der Fassung BGBl I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.
II. a) Die Beschwerde von XXXX gegen die Spruchpunkte I. bis III. 1. Satz, wird gemäß § 9 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 und § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2021, als unbegründet abgewiesen.
b) Im Übrigen wird der Beschwerde von XXXX stattgegeben, der Bescheid hinsichtlich des bekämpften Spruchpunkts III. 2. und 3. Satz sowie des Spruchpunkts IV. aufgehoben und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019 iVm § 9 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, für auf Dauer unzulässig erklärt. XXXX wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 55 Abs. 1 Asyl, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, und 58 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
III. Die Beschwerde von XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG, § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2021, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, und § 55 FPG, in der Fassung BGBl I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die erste beschwerdeführende Partei, Herr XXXX (P1), dessen Identität im Gegensatz zu allen anderen Beschwerdeführern feststeht, ist der Ehegatte der zweiten beschwerdeführenden Partei (P2) und beide sind die Eltern der (mittlerweile volljährigen) dritten beschwerdeführenden Partei (P3) und der beiden minderjährigen vierten und fünften beschwerdeführenden Parteien (P4 und P5).
1. Erste und zweite Asylverfahren von P1 bis P4
1. P1 reiste gemeinsam mit seiner Ehegattin P2 und den beiden älteren Kindern P3 und P4, zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt, illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo P1 und P2 am XXXX für sich und ihre beiden Kinder P3 und P4 ihre ersten Asylanträge in Österreich stellten. Gegen die abweisenden Bescheide des Bundesasylamtes vom XXXX wurde von P1 bis P4 am XXXX Berufungen erhoben.
2. Am XXXX wurde von P1 und P2 für sich und P3 sowie P4 zweite Asylanträge beim Bundesasylamt eingebracht. Nach abweisenden Bescheiden wurden auch dagegen am XXXX Berufungen erhoben.
Mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX , wurden die Berufungen gegen die abweisenden Asylentscheidungen gemäß § 7 AsylG 1997, wegen des nicht glaubhaften Vorbringens zu den angeblichen Fluchtgründen, abgewiesen, den Berufungen gegen die Nichterteilung von subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG jedoch stattgegeben, P1 bis P4 gemäß § 8 Abs 1 AsylG jeweils der Status subsidiärer Schutz und gemäß § 8 Abs 4 AsylG, in der damaligen Fassung, befristete Aufenthaltsberechtigungen zuerkannt. Am XXXX und XXXX langten beim Bundesasylamt Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung für P1 bis P4 ein. Antragsgemäß wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils um ein Jahr verlängert; zuletzt mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX bis zum XXXX .
2. Gegenständliche erstinstanzliche Verfahren von P1 bis P4
Am XXXX - mehr als XXXX Jahre nach den letzten Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigung als Schutzberechtigte bzw. mehr als XXXX Jahre nach deren Ablauf - langten beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Anträge auf Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigungen von P1 bis P4 ein.
Dazu wurde am P1 am 06.04.2017 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt und gab zusammengefasst an, dass die Familie zu seiner kranken Mutter nach Dagestan zurückgekehrt sei. Für die Heimreise verwendete die Familie ihre russischen Auslandsreisepässe. Ihre russischen Auslandsreisepässe seien ihnen im Jahr XXXX in Polen abgenommen worden und auf der Weiterreise habe die Familie keine Reisedokumente vorweisen müssen. P1 gab an, er habe XXXX . Er sei seinerzeit in Österreich behandelt worden, auch in Dagestan habe er eine Kontrolle gehabt. Nur im Falle einer Verschlechterung müsste er Medikamente einnehmen. Derzeit müsse P1 nur zu Kontrollen. Er leide nicht an psychischen Beeinträchtigungen. Die Familie habe in Österreich keine Verwandten, aber Freunde. Es bestünden keinerlei Abhängigkeitsverhältnisse. Der Beschwerdeführer spreche Russisch, Kumykisch und wenig Deutsch. Die Familie bekomme in Österreich pro Person und Woche von der XXXX € 10.- und bezahle keine Miete. P1 besuche keine Deutschkurse, werde aber im Mai einen besuchen. In Dagestan leben die Brüder von P1 und im Haus seiner Mutter derzeit ein Neffe. Weiters gab P1 an: „…A: Ich arbeitete XXXX .
F: Was befürchten Sie, im Falle der Rückkehr in der Russischen Föderation erleiden zu müssen?
A: Wir hatten ein Problem dort. Im August 2016 kamen vier bewaffnete Männer zu uns. Sie kamen zu uns herein und versuchten meine Frau zu vergewaltigen. Ich arbeitete zum betreffenden Zeitpunkt im Garten. Als ich Schreie hörte, lief ich mit einer Schaufel ins Haus und schlug auf einen dieser Männer ein. Ein anderer versetzte mir einen Schlag mit einer Maschinenpistole. Die beiden anderen kamen auch dahergelaufen und schlugen mich, bis ich das Bewusstsein verlor. Danach gingen sie weg. Als ich wieder zu mir kam, ging ich zur Polizei und erstattete dort Anzeige. Ich verbrachte die ganze Nacht bei der Polizei. Erst in der Früh des nächsten Tages ließen sie mich gehen. Ich habe die Anzeige geschrieben, aber ich denke, dass man diese Anzeige gar nicht entgegengenommen hat. Denn etwa 10 Tage später erhielt ich einen Anruf. Man sagte mir, wir wissen dass du zur Polizei gegangen bist und dort eine Anzeige geschrieben hast. Wir werden das nicht darauf beruhen lassen. Wir werden mit deiner Familie abrechnen. Danach fuhren wir von dort weg. Ich telefonierte mit Bekannten aus Tschetschenien und fuhr dort hin. Dort hielten wir uns etwa zwei Wochen in einer privaten Wohnung auf. Dann riefen dieselben Leute auch in Tschetschenien an. Sie sagten, wir wissen, dass ihr nach Grosny gefahren seid und euch dort aufhaltet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir bei euch dort sind. Daraufhin fuhr ich von Grosny nach Inguschetien. Dort lebten wir etwa drei Wochen. Dann kamen auch dort Anrufe. Man sagte uns, egal wohin ihr fährt, ihr könnt euch in ganz Russland vor uns nicht verstecken. Deshalb fassten wir den Entschluss, Russland zu verlassen. Wir fuhren nach Brest. Die erste Nacht verbrachten wir in einem Hotel. Am nächsten Morgen versuchten wir die Grenze zu überqueren. Wir kamen aber an jenem Tag nicht über die Grenze. Ich sprach dann mit einem Tschetschenen, der mir sagte, dass man auch eine billigere Wohnung finden könnte. Wir fanden eine solche Wohnung bei einer alten Frau. Sie vermietete eine Wohnung an uns und eine weitere an andere. Dort waren wir dann die nächste Zeit. Wir versuchten 15 Mal die Grenze zu überschreiten. Aber erst am 28.12.2016 hatten wir Glück.
F: Wollen Sie Länderinformationen über die Russische Föderation (inklusive Dagestan) ausgefolgt erhalten und dazu eine schriftliche Stellungnahme abgeben?
A: Nein.
F: Haben Sie noch Fragen?
A: Nein…“
Ebenfalls am 06.04.2017 wurde P2, zugleich als gesetzliche Vertreterin des damals noch minderjährigen P3 sowie P4, beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftliche befragt und gab auszugsweise an: „…A: Ich fuhr erst einige Tage später als mein Mann nach Dagestan. Nach Österreich reisten wir gemeinsam zurück.
F: Mit welchem Dokument unternahmen Sie die Hin- und Rückreise?
A: Ich hatte dieselben Dokumente wie mein Mann (russischer Auslandsreisepass).
F: Was war ausschlaggebend für das Verlassen Österreichs?
A: Die kranke Schwiegermutter.
F: Besuchten Ihre Kinder in Dagestan weiterhin eine Schule?
A: Ja.
F: Wurde Ihnen ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht erteilt?
A: Nein.
F: Stehen Sie zurzeit in ärztlicher Behandlung und/oder nehmen Sie Medikamente?
A: Nein. Ich bin gesund.
F: Sind Ihre Kinder gesund?
A XXXX
F: Gehen Ihre Kinder jetzt in Österreich zur Schule?
A: XXXX besucht eine Schule. Mein älterer Sohn besucht einen Deutschkurs. Man sagte uns, dass wir zu spät für einen Schulbesuch gekommen sind.
F: Haben Sie in Österreich Verwandte? Besteht in Österreich eine besondere private Bindung (ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis muss vorliegen) beziehungsweise besteht ein Familienleben in Österreich?
A: Außer meinem Ehegatten und den Söhnen habe ich keine Verwandtschaft hier. Ich habe aber Freunde hier. Es gibt in Österreich keine Personen, zu denen ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht.
F: Haben Sie während Ihres Aufenthaltes in Österreich Sprachkenntnisse in Deutsch erworben?
A: Ich kann nicht besonders gut Deutsch, aber es reicht.
F: Gehen Sie oder gingen Sie in Österreich einer legalen Arbeit nach?
A: Früher hatte ich in XXXX Arbeit. Ich arbeitete beim XXXX . Es waren nur einige Monate.
F: Haben Sie ein laufendes Einkommen?
A: Wir erhalten Geld von der XXXX (€ 10,-- pro Woche). Ich führe Reinigungsarbeiten bei der XXXX durch.
F: Beziehen Sie Sozialleistungen?
A: Die XXXX gibt uns € 10,-- pro Person in der Woche.
F: Wo wohnen Sie derzeit?
A: Wir wohnen bei der XXXX .
F: Wer bezahlt die Miete?
A: Wir müssen nichts bezahlen.
F: (Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Österreich:) Besuchen Sie eine Schule, eine Universität, einen Kurs oder einen Verein?
A: Früher besuchte ich Deutschkurse. Sonst nichts.
F: Was haben Ihre Kinder bisher in Österreich gemacht?
A: Meine Kinder besuchten den Kindergarten und die Schule. Sie gingen gerne schwimmen.
F: Leben noch Familienmitglieder in der Russischen Föderation?
A: Ja (Mutter, Brüder; sie leben in Dagestan).
F: Wie war Ihre wirtschaftliche Situation in der Russischen Föderation? Wovon haben Sie gelebt?
A: Vor der ersten Einreise in Österreich hatte ich keine Arbeit. Als wir in die Russische Föderation zurückkehrt sind, arbeitete ich als Brotbäckerin.
F: Was befürchten Sie, im Falle der Rückkehr in der Russischen Föderation erleiden zu müssen?
A: Ich habe Angst vor den Männern, die mich vergewaltigten wollten. Ich habe vor allem Angst um das Leben der Kinder.
F: Haben Sie noch Fragen?
A: Nein.
Nach Rechtsbelehrung gebe ich an, dass ich für die Dauer des Aberkennungsverfahrens die gesetzliche Vertretung für die minderjährigen Kinder übernehme…“
Mit Aktenvermerk vom 17.05.2017 wurden Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes von P1 bis P4 eingeleitet.
Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde P1 bis P4 gemäß § 52a Absatz 2 BFA-VG mitgeteilt, dass zu einem zuvor festgesetzten Zeitpunkt Rückkehrberatungsgespräche in Anspruch zu nehmen seien.
Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde P1 bis P4 gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
P1 bis P4 wurde mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahlen XXXX , jeweils in Spruchpunkt I. der mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG vom Amts wegen aberkannt. In den Spruchpunkten II. wurden die mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX , Zahlen XXXX erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. In den Spruchpunkten III. wurden P1 bis P4 Aufenthaltsberechtigungen aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen P1 bis P4 gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von P1 bis P4 gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. In Spruchpunkt IV. wurde jeweils ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Zusammengefasst wird darin ausgeführt, dass sich die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf die allgemeine Sicherheitslage in der Russischen Föderation, Teilrepublik Dagestan gründete. Aufgrund der nachhaltig geänderten Sicherheitslage in der Russischen Föderation, Teilrepublik Dagestan, ebenfalls belegt durch den jahrelangen Aufenthalt der Familie in Dagestan von XXXX , bestehe diese Gefahr aktuell nicht mehr. P1 sei XXXX , auch hier könne nicht festgestellt werden, dass eine Rückkehr vor dem Hintergrund dieser Beeinträchtigung einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkomme. Die Familie sei am XXXX illegal in das Bundesgebiet eingereist, wo sich P1 bis P4 bis etwa XXXX aufhielten. Anschließend seien P1 bis P4 in Dagestan in der Russische Föderation aufhältig gewesen. Seit dem XXXX seien sie durchgehend in Österreich verfügen hier zwar über ein schützenswertes Privatleben, nicht jedoch über ein schützenswertes Familienleben.
Mit Verfahrensanordnungen vom XXXX wurde P1 bis P4 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
Gegen die Bescheide von P1 bis P4 wurden mit Schriftsätzen vom XXXX , fristgerecht am 08.06.2017, Beschwerden eingebracht. In der Beschwerde wird auszugsweise angeführt:
„… XXXX …“. XXXX : XXXX “ XXXX . Weiters tritt die Beschwerde den Länderfeststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Sicherheitslage in Dagestan entgegen, wobei darauf Bezug genommen wird, der subsidiäre Schutz sei wegen der XXXX der Familie erteilt worden und der damit in Zusammenhang stehende Probleme für die Versorgung der Kinder. Die Mutter von P1 sei verstorben, das Haus habe ein Neffe der Mutter geerbt. Der XXXX habe sich nach Angaben der Eltern verstärkt, eine XXXX sei in Dagestan nicht möglich. Hinsichtlich der inhaltlichen Rechtswidrigkeit moniert die Beschwerde, die XXXX Die Familie habe nur unter schweren Entbehrungen in Dagestan leben können, um die Mutter in ihren letzten Lebensjahren zu begleiten. Hinsichtlich des Kindeswohls wurde angemerkt, eine Rückkehrentscheidung stehe im Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht des (Art 8 EMRK iVm) Art 1 BVG über die Rechte von Kindern (Kindeswohl). Weiters könne P1 aufgrund der körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen nicht für die Familie sorgen, welches direkte Auswirkungen auf die Behandlung des XXXX habe. In der extra verfassten und eingebrachten Beschwerde zu P5 wurde insbesondere die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sowie im Hinblick auf das Kindeswohl und die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Kindes verwiesen. P5 habe ihre bisherige Schulzeit in Österreich verbracht und habe hier ihren Freundeskreis. Eine Rückkehrentscheidung stelle einen ungerechtfertigten Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht der P5 auf Schutz ihres Privatlebens i.S.d. Art. 8 EMRK dar.
3. Gegenständliches erstinstanzliches Asylverfahren von P5
Am XXXX brachte P2 für die am XXXX in der Russischen Föderation geborene P5 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Am 04.08.2017 wurde dieses Verfahren zunächst vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 38 AVG ausgesetzt.
Nachdem das Asylverfahren von P5 fortgesetzt wurde, erfolgte am 03.12.2018 eine niederschriftliche Befragung von P2, als gesetzliche Vertreterin von P5, in der P2 zusammengefasst angab, dass P5 gesund ist und keine Asylgründe hat.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2021, Zahl 1157724704-170745062, wurde der Antrag von P5 auf internationalen Schutz vom XXXX in Spruchpunkt I. hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde P5 eine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, in Spruchpunkt IV. gegen P5 gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. In Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Zusammengefasst wird darin ausgeführt, dass für P5 keine eigenen Asylgründe vorgebracht wurden. P5 sei am XXXX , Dagestan geboren. Die Familienmitglieder P1 bis P4 seien ebenso wie P5 in Österreich. P5 befinde sich in der Obhut der Eltern und lebe mit diesen und P4 im gemeinsamen Haushalt, weshalb ein schützenswertes Familienleben und ein schützenswertes Privatleben vorliegen.
Mit Verfahrensanordnungen vom 10.06.2021 wurde P5 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2021, Zahl 1157724704-170745062, wurde für P5 am XXXX fristgerecht gegenständliche Beschwerde eingebracht.
4. Gegenständliche Beschwerdeverfahren von P1 bis P5
Die Beschwerdevorlagen von P1 bis P4 vom 12.06.2017 langten am 19.06.2017 im Bundesverwaltungsgericht ein und wurden einer Gerichtsabteilung zur Erledigung zugewiesen.
Nach Unzuständigkeitseinreden gemäß § 20 AsylG, wegen der P2 angedrohten Vergewaltigung, wurde die Verfahren am 16.10.2018 der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.
In Erledigung der Beschwerden von P1 bis P4 wurden die Bescheide zunächst mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.10.2018, Zahlen 1) W215 1254743-2/10E, 2) W215 1268140-2/10E, 3) W215 1268141-2/10E, und 4) W215 1268142-2/11E, behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde die Judikatur der Verfassungsgerichtshofs zu § 20 Abs. 1 AsylG im Verfahren von P2 angeführt und in Folge auch in den Verfahren der restlichen Familienmitglieder inhaltsgleich entschieden.
Die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.10.2018 in den Verfahren von P1 bis P4 wurden nach Amtsrevisionen, mit Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofs vom 05.02.2021, Ra 2018/19/0685-6, behoben. Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinen Erkenntnissen vom 05.02.2021 davon aus, dass die Zurückverweisungen am 22.10.2018 zu Verfahrensverlängerungen geführt haben, die nicht seiner Judikatur entsprechen und verweist dazu wiederholt auf sein Erkenntnis vom 30.11.2020, Ra 2020/19/0284.
Am 20.08.2021 wurden mehrere Schriftstücke übermittelt, darunter:
ad P1: ein Sprachdiplom A2 vom XXXX , ein Zertifikat Deutsch als Zweitsprache vom XXXX eine Anmeldebestätigung vom XXXX über einen A2 Deutschkurs;
eine Arbeitszusage als XXXX vom XXXX , einen Dienstvertrag mit Dienstantrittsdatum XXXX , ein Kündigungsschreiben vom XXXX ;
ein psychiatrisch-neurologischer Befund vom XXXX mit den Diagnosen: XXXX “, ein Schreiben des XXXX ein Kurzbrief der Krankenanstalt XXXX vom XXXX ist, ein Schreiben der Krankenanstalt XXXX vom XXXX worin eine endoskopische Nasennebenhöhlenoperation durchgeführt wurde, eine Aufenthaltsbestätigung der XXXX eine Aufenthaltsbestätigung des XXXX ein ärztlicher Entlassungsbrief des XXXX über die Behandlung einer XXXX des Mittelfingers links, eine undatierte Ladung zum Kontrolltermin in der XXXX , eine XXXX , ein Endbefund bezüglich des XXXX ein Behandlungsausweis der AUVA, eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung.
ad P2: eine Teilnahmebestätigung der XXXX , ein Sprachzertifikat Deutsch des österreichischen Integrationsfonds A2 vom XXXX , eine Anmeldebestätigung vom XXXX über einen A2 Deutschkurs, eine Bestätigung des XXXX vom XXXX über den wöchentlichen Besuch seit XXXX einer XXXX ; eine AMS Betreuungsvereinbarung vom XXXX ;
einen psychiatrischen Befund vom XXXX .
ad P3: eine Bestätigung vom XXXX über einen A2 Deutschkurs vom XXXX , eine Bestätigung vom XXXX über einen B1 Deutschkurs XXXX , eine Teilnahmebestätigung A2 Deutschkurs vom XXXX , eine Teilnahmebestätigung B1 Deutschkurs vom XXXX ;
eine Praktikumsvereinbarung vom XXXX , eine Praktikumsvereinbarung vom XXXX , ein Lehrvertrag vom XXXX über die Lehrzeit XXXX ;
eine XXXX .
ad P4: eine Schulbesuchsbestätigung vom XXXX , eine Schulbesuchsbestätigung vom XXXX , eine Schulbesuchsbestätigung vom XXXX , ein Kurszeugnis im XXXX , ein Jahres- und Abschlusszeugnis vom XXXX ;
ein fachärztlicher Befundbericht vom XXXX .
ad P5: Kompetenzprofile vom XXXX , ein Jahreszeugnis vom XXXX , ein Jahreszeugnis vom XXXX .
Für den 23.08.2021 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung im Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Es erschienen die geladenen P1 bis P3, deren Rechtsanwalt und ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. Die Parteien verzichteten auf Einsichtnahme und Ausfolgung. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine Frist bis 15.10.2021 zur Abgabe von Stellungnahmen ein.
Nach einer, vom Rechtsanwalt beantragten Fristerstreckung, langte am 02.11.2021 eine Stellungnahme der Beschwerdeführer im Bundesverwaltungsgericht ein, in der zusammengefasst ausgeführt wird, dass die Beschwerdeführer nachvollziehbare und überprüfbare Angaben gemacht hätten, welche durch erstattete Urkundenvorlage bescheinigt würden. Es liege im Wesentlichen eine sehr gute Integration vor, die Beschwerdeführer könnten sich vor allem sprachlich sehr gut verständige. P2 leide an XXXX . P4 leide XXXX Das Strafverfahren von P3 im Landesgericht für Strafsachen XXXX , sei nach wie vor offen. Es wurden Passkopien von P1 XXXX , Kopien von P2 XXXX und Kopien von P3 XXXX vorgelegt. Für P4 wurde eine XXXX vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:
1. Feststellungen:
a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer:
Die Identität von P1 steht fest; nicht jedoch die Identitäten von P2 bis P5. P1 und P2 sind die Eltern von P3 bis P5. Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der Volksgruppe der Kumyken an, stammen aus Dagestan, sind moslemischen Glaubens und beherrschen die Sprachen Kumykisch und Russisch. P1 und P2 sprechen nur mangelhaft Deutsch; P3 hingegen sehr gut.
P1 bis P4 hielten sich nach ihrer ersten illegalen Einreise und ihren ersten beiden Asylantragstellungen am XXXX und XXXX bzw. ab XXXX bis XXXX als subsidiär Schutzberechtigte im Bundesgebiet auf. Die Familie kehrte freiwillig spätestens XXXX nach Dagestan zurück, wo P5 am XXXX geboren wurde. Nach ihrer Rückkehr gingen P1 und P2 in Dagestan arbeiteten, P3 bis P5 besuchten Kindergarten bzw. Schulen.
b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:
P1 reiste gemeinsam mit seiner Ehegattin P2 und den beiden älteren Kindern P3 und P4 zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. P1 und P2 stellten für sich und ihre Kinder am XXXX ihre ersten Asylanträge. Gegen die abweisenden Bescheide des Bundesasylamtes vom XXXX wurde von P1 bis P4 am XXXX Berufungen erhoben.
Am XXXX wurde von P1 und P2 für sich und P3 sowie P4 zweite Asylanträge beim Bundesasylamt eingebracht. Nach abweisenden Bescheiden wurden auch dagegen am XXXX Berufungen erhoben.
Mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX , wurden die Berufungen gegen die abweisenden Asylentscheidungen gemäß § 7 AsylG 1997, wegen des nicht glaubhaften Vorbringens zu den angeblichen Fluchtgründen von P1, abgewiesen, den Berufungen gegen die Nichterteilung von subsidiären Schutz jedoch - wegen der allgemeinen Lage in Dagestan in Verbindung mit dem damaligen Gesundheitszustand von P1 - gemäß § 8 AsylG stattgegeben, P1 bis P4 gemäß § 8 Abs 1 AsylG jeweils der Status subsidiärer Schutz und gemäß § 8 Abs 4 AsylG, in der damaligen Fassung, befristete Aufenthaltsberechtigungen zuerkannt.
Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurden immer wieder verlängert, zuletzt mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX bis zum XXXX .
XXXX kehrten P1 bis P4 freiwillig nach Dagestan zurück; am XXXX wurde P5 XXXX geboren.
Am XXXX - mehr als XXXX Jahre nach den letzten Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigung als Schutzberechtigte bzw. mehr als XXXX Jahre nach deren Ablauf – reisten P1 bis P5 nach Österreich und beantragten am XXXX Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigungen von P1 bis P4 ein.
P1 bis P4 wurde mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahlen XXXX , jeweils in Spruchpunkt I. der mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG vom Amts wegen aberkannt. In den Spruchpunkten II. wurden die mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX , Zahlen XXXX erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. In den Spruchpunkten III. wurden den Beschwerdeführern Aufenthaltsberechtigungen aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von P1 bis P4 gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. In Spruchpunkt IV. wurde jeweils ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
Am XXXX wurde für P5 einen Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebracht.
In Erledigung der Beschwerden von P1 bis P4 wurden die Bescheide zunächst mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.10.2018, Zahlen 1) W215 1254743-2/10E, 2) W215 1268140-2/10E, 3) W215 1268141-2/10E, und 4) W215 1268142-2/11E, behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde die Judikatur der Verfassungsgerichtshofs zu § 20 Abs. 1 AsylG im Verfahren von P2 angeführt und als Folge auch die Verfahren der restlichen Familienmitglieder inhaltsgleich entschieden.
Die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.10.2018 in den Verfahren von P1 bis P4 wurden nach Amtsrevisionen, mit Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofs vom 05.02.2021, Ra 2018/19/0685-6, behoben. Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinen Erkenntnissen vom 05.02.2021 davon aus, dass die Zurückverweisungen am 22.10.2018 zu Verfahrensverlängerungen geführt haben, die nicht seiner Judikatur entsprechen und verweist dazu wiederholt auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 30.11.2020, Ra 2020/19/0284.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2021, Zahl 1157724704-170745062, wurde der Antrag auf internationalen Schutz von P5 in Spruchpunkt I. hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde P5 eine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, in Spruchpunkt IV. gegen P5 gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. In Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Zusammengefasst wird darin ausgeführt, dass für P5 keine eigenen Asylgründe vorgebracht wurden.
Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 23.08.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt.
c) Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von P1 bis P4:
In den Verfahren von P1 bis P4 entschied der Unabhängige Bundesasylsenat in seinen Bescheiden vom XXXX , dass auf Grund der nicht glaubhaften Angaben von P1 zu angeblichen Verfolgungen das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht und deshalb kein Asyl gemäß § 7 AsylG 1997 zuzuerkennen ist. P1 bis P4 wurde jedoch gemäß § 8 Abs 1 AsylG jeweils der Status subsidiärer Schutz und gemäß § 8 Abs 4 AsylG, in der damaligen Fassung, befristete Aufenthaltsberechtigungen zuerkannt. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes wurde zusammengefasst mit dem Problem der Rückkehr nach Dagestan für P1 bis P4 - angesichts der im Jahr XXXX herrschenden allgemeinen schwierigen Lage in Dagestan, insbesondere was die XXXX von P1 betraf - begründet. Die Grundversorgung war damals äußerst Mangelhaft und unter Berücksichtigung der Umstände, dass P1 für die damals minderjährigen P3 und P4 sorgepflichtig war, er aber XXXX , war nicht auszuschließen, dass die Familie deshalb in eine aussichtslose Lage geraten könnte.
Die letzte Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen erfolgte mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX bis zum XXXX . Danach war die Familie nicht mehr daran interessiert, sondern kehrte freiwillig XXXX nach Dagestan zurück, wo im XXXX P5 geboren wurde. P1 bis P4 lebten, trotz XXXX der Geburt von P5, jahrelang in Dagestan und stellten erst am XXXX Anträge auf Verlängerung des subsidiären Schutzes.
P1 bis P4 wurde mit gegenständlichen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX in Spruchpunkt I. der mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG vom Amts wegen aberkannt.
Bereits in den rechtskräftigen Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom XXXX wurde festgestellt, dass die Angaben von P1 zu einer angeblichen Bedrohungssituation in Dagestan frei erfunden waren. Es kann nicht festgestellt werden, dass P1 bis P5 am XXXX nach Österreich kamen, weil im August 2016 vier unbekannte, maskierte Männer in militärische Uniformen ins Haus von P1 und P2 kamen, P1 aus unbekannten Gründen zusammenschlugen und drohten in Zukunft zurückzukehren um P2 zu vergewaltigen.
Seit Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigen am XXXX hat sich die Sicherheitslage im gesamten Nordkaukasus, somit auch in Dagestan, verbessert.
In Bezug auf die zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzes am XXXX vorgelegenen Krankheitssituationen und die damals prognostizierten Versorgungsengpässe im Gesundheitsbereich in Dagestan ist festzustellen, dass P1 und P3 nach eigenen Angaben gesund sind. P2 ist bis auf Probleme mit der XXXX ebenfalls nach Eigenangaben gesund; XXXX . Hinsichtlich der in den Vorverfahren berücksichtigungswürdigen schlechten Grundversorgung ist mittlerweile davon auszugehen, dass die primäre Versorgung der Russischen Bevölkerung durch ihr eigenes Einkommen erfolgt, Menschen mit Behinderungen können jedoch mit staatlichen Hilfen rechnen. Fest steht, dass P1 als XXXX und P2 in einer XXXX arbeiteten und damit in den Jahren vor ihrer neuerlichen Ausreise problemlos ihren Lebensunterhalt und den ihrer drei minderjährigen Kinder, darunter eines mit XXXX , bestreiten konnten. Alle Sozialleistungen der Russischen Föderation (Sozialversicherung, Wohlfahrts- und Rentensystem) stehen allen Bürgern, auch Rückkehrern, offen.
P1 bis P3 haben nicht behauptet, wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnissen erneut am XXXX nach Österreich gereist zu sein oder in Dagestan an Hunger gelitten zu haben. Sie haben nicht angegeben im Herkunftsstaat Gefahr zu laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. P1 bis P3 können ihre Bedürfnisse des täglichen Lebens nach ihrer Rückkehr wieder durch Einkommen aus eigener Erwerbsarbeit stillen. Die Existenzgrundlage der Familie ist nach wie vor durch die Arbeit von P1 und P2 gesichert. Es kann nicht festgestellt werden, dass P1 bis P4 im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine ihre Existenz gefährdende Notsituation geraten würden.
Es ist sind seit den Bescheiden vom XXXX wesentliche Änderungen eingetreten und es kann nicht festgestellt werden, dass für P1 bis P3 als drei leistungsfähige Erwachsene im berufsfähigen Alter, ohne festgestelltem besonderen Schutzbedarf, im Falle ihrer Rückkehr in Dagestan eine Gefährdungssituation bezüglich der Grundversorgung oder für die Gesundheit von P1 und P4 bestehen würde. P1 bis P3 leiden weder an schweren Krankheiten, noch sind sie längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig. XXXX Es kann nicht festgestellt werden, dass P1 bis P4 im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine ihre Existenz gefährdende Notsituation geraten würden.
d) Zu den Fluchtgründen von P5:
P5 wurde am XXXX in XXXX , Dagestan, in der Russischen Föderation geboren und reiste problemlos, legal mit ihrem russischen Auslandsreisepass, welcher ihr vor ihrer Ausreise von den Behörden ausgestellt wurde, gemeinsam mit P1 bis P4 aus ihrem Herkunftsstaat aus. Obwohl P5 keine Asylgründe hat bzw. nie aus der Russischen Föderation ausreisen hätte müssen, stellten P1 und P2 für die minderjährige P5 am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
e) Zu einer möglichen Rückkehr von P5 in ihren Herkunftsstaat:
Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird bezüglich der erst XXXX , laut Angaben ihrer Eltern gesunden, P5 auf die bereits weiter oben getroffenen Feststellungen c zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von P1 bis P4 verwiesen bzw. zusammengefasst wiederholt, dass auch bezüglich der gesunden P5 im Falle ihrer Rückkehr nach Dagestan eine Gefährdungssituation bezüglich der Grundversorgung nicht besteht, ihre Eltern wie auch schon in ihren ersten XXXX Lebensjahren in Dagestan wieder für P5 sorgen können und nicht festgestellt werden kann, dass P5 im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine ihre Existenz gefährdende Notsituation geraten würden.
f) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich:
ad P1, P2, P4 und P5
Die unbescholtenen P1 bis P4 reisten zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Jahr XXXX illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, verließen dieses XXXX , P5 wurde am XXXX Dagestan, in der Russischen Föderation geboren, reisten anschließend erneut nach Österreich ein, wo sich die Familie seit dem XXXX durchgehend aufhält und Verlängerungsanträge bezüglich des subsidiären Schutzes bzw. einen Antrag auf internationalen Schutz für P5 stellte. P1 und P2 gehen keiner legalen Beschäftigung nach und P1 und P2 beziehen seitdem (gemeint nicht XXXX ) sondern wieder seit XXXX laufend Leistungen aus der Grundversorgung.
Die Beschwerdeführer sind keine Mitglieder in Vereinen oder einer sonstigen Organisationen; allfällige freundschaftliche Beziehungen sind zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich die Beschwerdeführer ihrer unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung bewusst sein mussten. Eine überdurchschnittlich fortgeschrittene Integration im Bundesgebiet konnte bei P1, P2, P4 und P5 nicht festgestellt werden. Es bestehen keinerlei familiäre Anbindungen in Österreich; sämtlich Verwandte leben nach wie vor in der Russischen Föderation.
ad P3:
P3 reiste als Minderjähriger zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Jahr XXXX illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, verließen dieses XXXX , mit seinen Eltern, reiste anschließend erneut mit ihnen nach Österreich ein, und hält sich hier seit dem XXXX durchgehend auf bzw. stellten seine Eltern stellten für ihn einen Verlängerungsantrag bezüglich des subsidiären Schutzes. Seit P3 ist mittlerweile volljährig, aus der elterlichen Wohnung in Österreich ausgezogen, lebt zusammen mit einem guten Freund, besucht jedoch seine Familie. P3 ist als Lehrling im dritten Lehrjahr erwerbstätig, unbescholten und übt in einem Verein Kampfsport aus.
g) Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer:
COVID-19-Situation
Letzte Änderung: 17.11.2021
Russland ist von COVID-19 landesweit sehr stark betroffen. Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) (AA 27.10.2021) (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru ). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 zuständig, beispielsweise in Bezug auf Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CWRR 9.11.2021).
Einen strengen Lockdown gab es landesweit im ersten Halbjahr 2020 (ÖB Moskau 6.2021). Von 30.10. bis 7.11.2021 verordnete Präsident Putin einen weiteren Lockdown bzw. eine arbeitsfreie Woche als kurzfristige Maßnahme zur Eindämmung des Coronavirus. In vielen Regionen waren die Einschränkungen teilweise bereits vorher in Kraft getreten (WKO 8.11.2021; vgl. HB 29.10.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 8.11.2021; vgl. AA 27.10.2021). In allen öffentlich zugänglichen Räumen und Verkehrsmitteln ist ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen (AA 27.10.2021; vgl. WKO 8.11.2021). Bei Verstößen gegen die Hygienevorschriften können hohe Geldstrafen verhängt werden (AA 27.10.2021). Die medizinische COVID-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CWRR o.D.a).
Sport-, Kultur-, Unterhaltungs-, Werbeveranstaltungen und Messen sind erlaubt, wenn die Teilnehmeranzahl 50% der gesamten Raumkapazität nicht übersteigt. Veranstaltungen mit mehr als 500 Teilnehmern sind nur mit QR-Codes (welche den österreichischen 3-G-Regeln entsprechen) möglich. Am Arbeitsplatz sind Hygienevorschriften (u.a. Temperaturmessungen, Mundschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 8.11.2021).
Zu den Impfstoffen, welche in der Russischen Föderation entwickelt wurden und dort eingesetzt werden, zählen: Gam-COVID-Vac (Sputnik V), EpiVacCorona, Sputnik Light, EpiVacCorona-N, CoviVac und Ad5-nCoV (CWRR o.D.b). Aufgrund stark steigender COVID-19-Erkrankungen im Sommer und Herbst 2021 haben mehrere Regionen Russlands Unternehmen im Dienstleistungsbereich verpflichtet, Angestellte gegen COVID-19 zu impfen (WKO 8.11.2021). In Russland herrscht eine Impfskepsis unter der Bevölkerung (RFE/RL 6.10.2021; vgl. LM 14.8.2021). Rund 30% der Bürger sind vollständig geimpft (Ria.ru 6.10.2021; vgl. DS 30.9.2021, RFE/RL 6.10.2021). COVID-Impfungen sind für russische Staatsbürger kostenlos (ÖB Moskau 6.2021). Der Ministerpräsident Michail Mischustin unterzeichnete am 8.9.2021 ein Dekret, wonach für jede Impfung gegen das Coronavirus an die impfenden Ärzte eine Prämie von mindestens 200 Rubel (ca. 2,50 Euro) ausbezahlt werden soll (Russland-Analysen 20.9.2021).
Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei den Grenzkontrollen keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, welche nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Russische Staatsbürger, welche mit einem in Russland zugelassenen Impfstoff geimpft sind, und genesene russische Staatsbürger dürfen ohne PCR-Test und Quarantäne nach Russland einreisen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden mehrmals wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Auch mit anderen Ländern bestehen reguläre Flugverbindungen (WKO 8.11.2021). Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Dauer der Pandemie aufrechterhalten (WKO 8.11.2021; vgl. AA 27.10.2021).
Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Die meisten Hilfsprogramme sind Ende 2020 ausgelaufen. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Reduktion der Sozialabgaben sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse hinzu (WKO 8.11.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, eröffnete die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, bot zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen an, etc. (CWRR o.D.c). Viele der Maßnahmen waren nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und hatten einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 8.11.2021). Unterstützung gab es für „systemrelevante“ Unternehmen, außerdem finanzielle Unterstützung der regionalen Budgets. Laut einem Bericht der Menschenrechts-Ombudsperson haben 4,5 Millionen kleine und mittlere Unternehmen während der Pandemie aufgehört zu existieren. Soziale Unterstützungsleistungen hatten v.a. Familien mit Kindern zum Ziel. Zusätzliche Bonuszahlungen gab es für medizinisches Personal (ÖB Moskau 6.2021). Die Wirtschaft ist wieder stark gewachsen (WIIW o.D.). Von Jänner bis August 2021 stieg die Industrieproduktion um +4,5%, was auf die Rohstoffproduktion (+2,1%) und mehr noch auf die verarbeitende Industrie (+5,3%) zurückzuführen ist (WKO 10.2021). Es kam zu einer beträchtlichen Beschleunigung der Inflation (WIIW o.D.). Im März 2020 fielen die Ölpreise aufgrund des Ölpreiskampfes zwischen Russland und Saudi-Arabien sowie der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie mit einem starken Nachfragerückgang auf die Weltwirtschaft erneut auf ein historisches Tief und führten zu einer Abwertung des Rubels von 25%. Ein starker Ölpreisanstieg von über 50% sorgte 2021 für eine Stärkung des Rubels, welcher derzeit knapp unter 85 Rubel je Euro gehandelt wird (WKO 10.2021).
Moskau:
In Moskau herrscht Maskenpflicht (plus Handschuhpflicht im Moskauer Gebiet). Im öffentlichen Verkehr gelten Maskenpflicht und Distanzregelungen. Konzert-, Sport-, Unterhaltungsveranstaltungen u.Ä. mit mehr als 500 Personen sind nur mit QR-Codes erlaubt (CWRR 9.11.2021). Mindestens 30% aller Arbeitskräfte sowie ältere Arbeitnehmer und chronisch Kranke haben Fernarbeit zu leisten. Ausgenommen sind vollständig Geimpfte und Genesene (Mos.ru 21.10.2021; vgl. CWRR 9.11.2021). Strafen werden auferlegt wegen Verletzungen der Maskenpflicht, Nichteinhaltung von Distanzregelungen sowie Quarantäne-Verstößen (Mos.ru o.D.b). Zwei Drittel der für COVID-Patienten zur Verfügung stehenden Krankenhausbetten sind aktuell belegt (RFE/RL 6.10.2021). Bis 1.1.2022 müssen mindestens 80% der Mitarbeiter in Dienstleistungsunternehmen in Moskau geimpft sein (Mos.ru 21.10.2021). 39,5% der Moskauer sind geimpft (Ria.ru 6.10.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.a). Im Moskauer Gebiet herrscht in u.a. folgenden Bereichen eine Impfpflicht: Staatsdienst, Dienstleistungen an der Bevölkerung, Bildung, Gesundheitswesen, Tourismus und Gastgewerbe sowie Kultur und Sport (CWRR 9.11.2021).
Tschetschenien:
In Tschetschenien herrscht Masken- und Handschuhpflicht. Im öffentlichen Verkehr sind Masken zu tragen (CWRR 9.11.2021). Es gilt eine Impfpflicht für Staatsbedienstete, Mitarbeiter in den Bereichen Handel, Massenmedien, Gastronomie, Nahrungsmittelindustrie, Bildung, Tourismus usw. (Ria.ru 27.7.2021). Ungeimpften Personen wird seitens öffentlich Bediensteter mit Entlassung gedroht, mit Verweigerung medizinischer Hilfe etc. Für das Erledigen von Einkäufen (z.B. in Apotheken) oder für den Besuch von Kaffeehäusern ist ein Impfzertifikat erforderlich (CK 5.7.2021). Tschetschenien hat mit 65,64% eine der höchsten Impfquoten Russlands. 71,3% der über 60-Jährigen sind geimpft (Chechnya.gov 20.9.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Insgesamt sind in Tschetschenien 755 an COVID erkrankte Personen registriert (davon 346 Personen in stationärer Behandlung und 409 Personen in ambulanter Behandlung). Seit Anfang der Pandemie verstarben 568 Personen (Chechnya.gov 20.9.2021).
Dagestan:
In Dagestan herrscht Masken- und Handschuhpflicht. Veranstaltungssäle dürfen mit maximal 50% der Plätze belegt sein (CWRR 9.11.2021). Es gilt eine Impfpflicht für Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen (CWRR 9.11.2021; vgl. KMS 21.7.2021) und für Mitarbeiter in den Bereichen Bildung, Handel, Gastronomie, Finanzwesen, öffentlicher Verkehr etc. (KMS 21.7.2021). Insgesamt wurden in Dagestan bislang 606.297 Personen (33,7%) geimpft (E-dag.ru 12.11.2021).
Quellen:
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Chechnya.gov – Глава Чеченской Республики [Oberhaupt der Tschetschenischen Republik] [Russische Föderation] (20.9.2021): Р. Кадыров провел совещание по борьбе с коронавирусной инфекцией [R. Kadyrow hielt Sitzung zur Bekämpfung der Coronavirus-Infektion ab], http://chechnya.gov.ru/novosti/r-kadyrov-provel-soveshhanie-po-borbe-s-koronavirusnoj-infektsiej/ , Zugriff 12.11.2021
CK – Caucasian Knot (5.7.2021): Week in the Caucasus: review of main events of June 28-July 4, 2021, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/56028 , Zugriff 12.11.2021
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CWRR – COVID-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.a): Часто задаваемые вопросы [FAQ], https://стопкоронавирус.рф/faq/, Zugriff 5.10.2021
CWRR – COVID-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.b): Все о вакцинации против COVID-19 [Alles über die COVID-19-Impfung], https://вакцина.стопкоронавирус.рф/#faq27, Zugriff 5.10.2021
CWRR – COVID-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.c): Меры поддержки бизнеса [Unternehmensunterstützungsmaßnahmen], https://стопкоронавирус.рф/what-to-do/business/, Zugriff 5.10.2021
DS – Der Standard (30.9.2021): Höchstwert von 867 Corona-Toten in 24 Stunden in Russland, https://www.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000130049914/redcontent/1000244645?responsive=false , Zugriff 12.11.2021
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Politische Lage
Letzte Änderung: 15.11.2021
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.com 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).
Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 1.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).
Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteienstärke gliedert sich nach den Wahlen von September 2021 wie folgt: Einiges Russland (324 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (57 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (21 Sitze), Gerechtes Russland (27 Sitze) und die neu gegründete Partei Neue Leute (13 Sitze). Alle in der Duma vertretenen Parteien gelten als dem Kreml nahestehend (BAMF 27.9.2021). Diese sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik (SWP 11.2018). Während Präsident Putin und die Zentrale Wahlkommission von einer 'freien und fairen' Abstimmung sprachen, bezeichnete die unabhängige Wahlrechtsorganisation Golos die Wahl mit Blick auf Berichte über massive Unregelmäßigkeiten als 'eine der schmutzigsten' in der Geschichte des Landes. Aufgrund der Wahlfälschungsvorwürfe kam es zu Demonstrationen und Festnahmen (BAMF 27.9.2021).
Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannt annektierten Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).
Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ('exekutive Machtvertikale') deutlich (GIZ 1.2021a).
Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung meist ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürger sollten irgendjemand wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).
Der Rat der Europäischen Union hat am 12.7.2021 beschlossen, die auf bestimmte Wirtschaftssektoren der Russischen Föderation abzielenden und wegen Destabilisierung der Ukraine verhängten Sanktionen um weitere sechs Monate bis zum 31.1.2022 zu verlängern (Rat der EU 12.7.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.10.2021c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710 , Zugriff 1.10.2021
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (27.9.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw39-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 28.9.2021
BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report, Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 17.2.2021
CIA – Central Intelligence Agency [USA] (5.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/ , Zugriff 16.2.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 10.3.2020
FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html , Zugriff 16.2.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 16.2.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 16.2.2021
Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau , Zugriff 10.3.2020
MDR - Mitteldeutscher Rundfunk (16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html , Zugriff 21.7.2020
ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/ , Zugriff 10.3.2020
OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true , Zugriff 10.3.2020
Presse.com (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen , Zugriff 10.3.2020
Rat der EU (12.7.2021): Russland: EU verlängert Wirtschaftssanktionen wegen Destabilisierung der Ukraine um sechs Monate, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2021/07/12/russia-eu-prolongs-economic-sanctions-over-the-destabilisation-of-ukraine-by-six-months/ , Zugriff 28.9.2021
Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident , Zugriff 10.3.2020
Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html , Zugriff 10.3.2020
Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau , Zugriff 10.3.2020
DAGESTAN
Letzte Änderung: 16.11.2021
Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten bessergestellt als Tschetschenien (AA 2.2.2021), bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands (AA 13.2.2019).
Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 2.2.2021). Ebenso existiert – anders als in der Nachbarrepublik – zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Auch die Menschenrechtslage in Dagestan ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 2.2.2021), obwohl auch dort mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 2.2.2021; vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte schon länger damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden; im Nordkaukasus wurde davon jedoch Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan – und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht – Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll (NZZ 12.2.2018). Der Nachfolger Wassiljews ist seit Oktober 2020 Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (Russland Analysen 5.10.2020).
Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende Nordkaukasus-Republik auszubeuten. Kurz zuvor waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018; vgl. Standard.at 5.2.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.2.2021
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (13.1.2020): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022550.html , Zugriff 17.2.2021
Russland Analysen (5.10.2020): Chronik: 28. September – 10. Oktober 2020, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/chronik?c=russland&d1=2020-09-28&d2=2020-10-10&t=&o=50&l=50&x=0#eintraege , Zugriff 10.3.2021
Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nicht-system-opposition , Zugriff 10.3.2020
NZZ – Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351?reduced=true , Zugriff 10.3.2020
Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublik-dagestan-festgenommen , Zugriff 10.3.2020
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 10.3.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 26.05.2021
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA 7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).
In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.4.2021a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 7.4.2021
BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (8.2.2021): Analyse: Söldner im Dienst autoritärer Staaten: Russland und China im Vergleich, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/327198/soeldner-im-dienst-autoritaerer-staaten , Zugriff 8.4.2021
Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824 , Zugriff 7.4.2021
Deutschlandfunk (29.9.2020): An Russland kommt im Nahen Osten niemand mehr vorbei, https://www.deutschlandfunk.de/fuenf-jahre-russischer-militaereinsatz-in-syrien-an.724.de.html?dram:article_id=484951 , Zugriff 8.4.2021
DW - Deutsche Welle (29.9.2020): Russland im Syrien-Krieg: Gekommen, um zu bleiben, https://www.dw.com/de/russland-im-syrien-krieg-gekommen-um-zu-bleiben/a-55096554 , Zugriff 8.4.2021
EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (7.4.2021): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html#par_textimage , Zugriff 7.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170 , Zugriff 7.4.2021
SN - Salzburger Nachrichten (15.10.2020): Terrorzelle in Russland ausgeschaltet, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/terrorzelle-in-russland-ausgeschaltet-94250941 , Zugriff 8.4.2021
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 7.4.2021
NORDKAUKASUS
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben (SWP 4.2017).
Ein Risikomoment für die volatile Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Trotzdem wird sowohl in Tschetschenien als auch in Dagestan immer wieder von bewaffneten Übergriffen berichtet (ÖB Moskau 6.2021).
Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpften Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der 'Tschetschenisierung' wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für eine nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).
Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 6.2021). Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 13.1.2020).
[Anmerkung Staatendokumentation:] Bitte vergleichen Sie hierzu auch alle Kapitel zur Allgemeinen Menschenrechtslage (einschließlich der Kapitel zu Tschetschenien, Dagestan und Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein).
Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehörten bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Tschetschenien sind im Jahr 2020 insgesamt 18 Personen getötet und zwei verwundet worden. 15 der Getöteten gehörten bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen. Drei Getötete gab es in Kabardino-Balkarien und einen Getöteten in Inguschetien (CK 2.7.2020a, CK 2.7.2020b, CK 27.10.2020, CK 24.12.2020, CK 20.2.2021). Von Jänner bis inklusive August 2021 sind 26 Personen im Zuge des Konfliktes im Nordkaukasus getötet werden [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] (CK 15.4.2021, CK 21.7.2021, CK 12.8.2021, CK 27.9.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 8.4.2021
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan, Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen/#Toc489358424 , Zugriff 9.4.2021
CK - Caucasian Knot (2.7.2020a): In January 2020, there were no victims of armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51356/ , Zugriff 8.4.2021
CK - Caucasian Knot (2.7.2020b): In February and March 2020, four people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51357/ , Zugriff 8.4.2021
CK - Caucasian Knot (27.10.2020): In Quarter 2 of 2020, 11 people suffered in armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/52582/ , Zugriff 8.4.2021
CK - Caucasian Knot (24.12.2020): 15 people suffered in armed conflict in Northern Caucasus in Q3 2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53177/ , Zugriff 8.4.2021
CK - Caucasian Knot (20.2.2021): In Quarter 4 of 2020, 26 persons fell victim to armed conflict in North Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53738/ , Zugriff 8.4.2021
CK - Caucasian Knot (15.4.2021): In the 1st quarter of 2021, 19 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/55259/ , Zugriff 18.10.2021
CK - Caucasian Knot (21.7.2021): One person killed during armed conflict in Northern Caucasus in Quarter 2 of 2021, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/56193/ , Zugriff 18.10.2021
CK - Caucasian Knot (12.8.2021): In July 2021, six people were killed in armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/56855/ , Zugriff 18.10.2021
CK - Caucasian Knot (27.9.2021): In August 2021, no victims of armed conflict recorded in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/56857/ , Zugriff 18.10.2021
Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824 , Zugriff 9.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 18.10.2021
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 9.4.2021
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 8.4.2021
Rechtsschutz/Justizwesen
Letzte Änderung: 16.11.2021
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2021). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020).
Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2021). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs- und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto 'Schuldvermutung' im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Anwälte im Menschenrechtsbereich beklagen ungleiche Spielregeln in Gerichtsverfahren und steigenden Druck gegen die Anwälte selbst (ÖB Moskau 6.2021).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2021). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Juli 2020 wurde diese Rechtsposition auch in der Verfassung verankert und dem russischen Verfassungsgerichtshof das Recht eingeräumt, Urteile zwischenstaatlicher Organe nicht umzusetzen, wenn diese in ihrer Auslegung der Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Weiters wurde mit der Verfassungsänderung, die am 4.7.2020 in Kraft trat, das Recht des Föderationsrats, Richter des Verfassungsgerichtshofs auf Vorschlag des Präsidenten zu entlassen, verankert (ÖB Moskau 6.2021). Die Venedig-Kommission des Europarates gab eine Stellungnahme zu den damaligen Entwürfen für Verfassungsänderungen ab. Die Kommission bekräftigte ihre Ansicht, dass die Befugnis des Verfassungsgerichts, ein Urteil des EGMR für nicht vollstreckbar zu erklären, den Verpflichtungen Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht (HRW 13.1.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Mit Ende 2020 waren beim EGMR 13.650 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2020 wurde die Russische Föderation in 173 Fällen wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (ÖB Moskau 6.2021).
Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer nicht genehmigten friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020). Im Juli 2017 trat eine weitere neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der 'Absicht' angenommen haben, die 'Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen'. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann. Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die vonseiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.3.2021
AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 23.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 23.3.2021
BTI – Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 17.5.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 23.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 23.3.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 23.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 23.3.2021
TSCHETSCHENIEN UND DAGESTAN
Letzte Änderung: 16.11.2021
Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetschenien und Dagestan. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition (EASO 9.2014).
Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [Anm. d. Staatendokumentation: für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält unter anderem auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten (EASO 9.2014). Die Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art „alternative Justiz“. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für die Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015). Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Somit herrscht in Tschetschenien ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (Adat), einschließlich der Tradition der Blutrache, und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 2.2.2021). Somit bewegt sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechtssysteme einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia (EASO 9.2014). Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien 'Ramsan sagt' lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 1.2020).
Die Tradition der Blutrache hat sich im Nordkaukasus in den Clans zur Verteidigung von Ehre, Würde und Eigentum entwickelt. Dieser Brauch impliziert, dass Personen am Täter oder dessen Verwandten Rache für die Tötung eines ihrer eigenen Verwandten üben. Er kommt heutzutage noch vereinzelt vor. Die Blutrache ist durch gewisse traditionelle Regeln festgelegt und hat keine zeitliche Begrenzung (ÖB Moskau 6.2021). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021).
In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Föderationssubjektes zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz gegenüber dem tschetschenischen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechten und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten sowie Friedensgerichten, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). So musste zum Beispiel im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in die föderalen Kompetenzen fällt (ÖB Moskau 6.2020). Die föderalen Behörden haben nur begrenzte Möglichkeiten, politische Entscheidungen in Tschetschenien zu treffen, wo das tschetschenische Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow im Gegenzug für das Halten der Republik in der Russischen Föderation unkontrollierte Macht erlangt hat (FH 3.3.2021).
Die Bekämpfung von Extremisten geht laut Aussagen von lokalen NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Es gibt ein Gesetz, welches die Verwandten von Terroristen verpflichtet für Schäden zu haften, die bei Angriffen entstanden sind. Menschenrechtsanwälte kritisieren dieses Gesetz als kollektive Bestrafung. Angehörige von Terroristen können auch aus Tschetschenien vertrieben werden (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 6.2021). Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 2.2.2021), hierzu gehören neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (ÖB Moskau 6.2021) auch Oppositionelle, Regimekritiker und Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, Angehörige der LGBTI-Gemeinschaft und diejenigen, die sich mit Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. seinem Clan überworfen haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Elena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021). Kritik und Dissens werden nicht geduldet (HRW 13.1.2021).
In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige werden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).
Auch in Dagestan hat sich der Rechtspluralismus – das Nebeneinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht – bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 1990er Jahren nahm auch die Einrichtung von Scharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weit verbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts war bzw. ist u.a. das dysfunktionale und korrupte staatliche Justizwesen, das in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Die verschiedenen Rechtssphären durchdringen sich durchaus: Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern nehmen aufeinander Bezug. Auch die Blutrache wird im von traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan angewendet. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Institution der Blutrache zu verzichten (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 8.4.2021
CSIS – Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 8.4.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 8.4.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser), https://www.ecoi.net/en/file/local/1154982/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , Zugriff 8.4.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, https://www.ecoi.net/en/file/local/1394622/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 8.4.2021
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ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam [vergriffen; liegt in der Staatendokumentation auf]
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 8.4.2021
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Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 16.11.2021
Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung (US DOS 11.3.2020).
Das Untersuchungskomitee (SK) ist zuständig für schwere und sehr schwere Straftaten (z.B. Mord, Vergewaltigung, Verbrechen an Minderjährigen, Straftaten im Zusammenhang mit den verfassungsmäßigen Rechten einer Person; Bestechlichkeit und Fehlverhalten von Beamten) (EASO 3.2017).
Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und bekämpft Kriminalität. Die Aufgaben der Föderalen Nationalgarde sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, die Administrierung von Waffenbesitz, der Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, der Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil. Zivile Behörden halten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Obwohl das Gesetz Mechanismen für Einzelpersonen vorsieht, um Klagen gegen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen einzureichen, funktionieren diese Mechanismen oft nicht gut. Gegen Beamte, die Missbräuche begangen haben, werden nur selten strafrechtliche Schritte unternommen, um sie zu verfolgen oder zu bestrafen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führt (US DOS 11.3.2020), ebenso wendet die Polizei häufig übermäßige Gewalt an (FH 3.3.2021; vgl. AI 16.4.2020, HRW 13.1.2021).
Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Spätestens 12 Stunden nach der Inhaftierung muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Behörden müssen dem Inhaftierten auch die Möglichkeit geben, seine Angehörigen telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt stellt einen Haftbefehl aus, um die Inhaftierung geheim zu halten. Die Polizei ist verpflichtet, einen Häftling nach 48 Stunden gegen Kaution freizulassen, es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, den von der Polizei eingereichten Antrag mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haft zu verlängern. Der Angeklagte und sein Anwalt müssen bei der Gerichtsverhandlung entweder persönlich oder über einen Videolink anwesend sein. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 11.3.2020).
Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen „fremdländischen“ Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 2.2.2021).
Die zivilen Behörden auf nationaler Ebene haben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien, die nur dem Republiksoberhaupt, Kadyrow, unterstellt sind (US DOS 11.3.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Kadyrows Macht wiederum gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen „Kadyrowzy“. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet; ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Rebellenkämpfern. Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Aufseiten des tschetschenischen Innenministeriums sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Gründung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hat angeblich 9.000 Bedienstete. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramsan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ansuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch 'ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden ‚unantastbaren Polizeieinheiten‘ zu tun haben' (EASO 3.2017).
Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem 'langen Arm' des Regimes von Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs etwa auch in Moskau präsent. Sie berichten von Einzelfällen aus Tschetschenien, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von LGBTI-Personen, die gegen ihren Willen nach Tschetschenien zurückgeholt worden sind (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 24.3.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, https://www.ecoi.net/en/file/local/1394622/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 24.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 24.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 24.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 24.3.2021
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 16.11.2021
Im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Art. 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. EASO 3.2017). Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugsbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern häufig nur unzureichend untersucht (ÖB Moskau 6.2021; vgl. EASO 3.2017, AA 2.2.2021). Folter ist jedoch noch immer allgegenwärtig, und die Täter bleiben häufig straffrei (AI 16.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021, AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020).
Immer wieder gibt es auch Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land (AI 16.4.2020). Laut Amnesty International und dem russischen 'Komitee gegen Folter' kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 2.2.2021). Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Tagen nach der Inhaftierung (USDOS 11.3.2020). Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtlichen Tötungen. Ramsan Kadyrow lässt solche Formen von Gewalt anwenden, um die Kontrolle über die Republik Tschetschenien zu behalten. Diese Aktivitäten finden manchmal über die Grenzen Russlands hinaus statt (FH 3.3.2021).
Im August 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gaseta Videos von Wachen, die in Jaroslawl Gefangene organisiert prügelten. Die Behörden verhafteten nach einem öffentlichen Aufschrei mindestens 12 Gefängniswachen, aber die NGO Public Verdict berichtete schon im Dezember 2018 über systematische Misshandlung in einem anderen Gefängnis in der Region. Im Juli 2019 veröffentlichte Public Verdict ein weiteres Video, das anhaltende Misshandlungen in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter und verurteilten sie zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 3.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 23.3.2021
EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 23.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 23.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 23.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 23.3.2021
Korruption
Letzte Änderung: 16.11.2021
Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen, genauso wie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).
Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet, und ein zunehmender Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es Bürokraten, ungestraft Straftaten zu begehen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert (FH 3.3.2021). Obwohl das Gesetz Strafen für Behördenkorruption vorsieht, bestätigt die Regierung, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 3.2017, BTI 2020). Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 3.2017, BTI 2020). Die meisten Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung sind oft nur symbolischer Natur. Korruptionsvorwürfe der politischen Elite gelten als Instrumente in Machtkämpfen (BTI 2020). Zu den Formen von Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördenkorruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (USDOS 11.3.2020).
Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny dokumentiert regelmäßig Korruptionsfälle auf höchster politischer Ebene, ohne dass die staatlichen Strukturen darauf reagieren (BTI 2020). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung. 2020 nimmt Russland im Ranking des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International den 129. Platz von 179 ein (GIZ 1.2021a).
Korruption ist auch in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet. Öffentliche Bedienstete müssen einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die Zeitung 'Kommersant' den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 6.2021). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland (SEM 15.7.2016).
Dagestan ist eine der ärmsten Regionen Russlands, bis zu 70% des Budgets stammen aus Subventionen aus Moskau. Auch in Dagestan ist die Gesellschaft in Clans aufgebaut. Nirgendwo sonst in Russland ist der Clan so stark wie in Dagestan, weshalb systemische Korruption in dieser Republik nicht überrascht (WI 25.2.2018). Das staatliche Justizwesen ist in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt (AA 2.2.2021). Zum ersten Mal in der Geschichte der Russischen Föderation wurden Anfang 2018 der Premierminister Dagestans, seine Stellvertreter und der ehemalige Bildungsminister wegen schwerer Korruptionsvorwürfe festgenommen und sofort nach Moskau ausgeflogen. Alle vier standen im Verdacht, Haushaltsmittel aus Sozialprogrammen in großem Umfang veruntreut zu haben (WI 25.2.2018). Wladimir Wassilews Ernennung [zum Republiksoberhaupt von 2018-2020] bekräftigt die Bedeutung von Dagestan für den russischen Staat und die Tatsache, dass Putin nicht länger bereit ist, die von den Subventionen abgezogenen Mittel zu ignorieren (PONARS Eurasia 11.2018). Der Nachfolger Wassilews ist Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (BPB 26.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 16.3.2021
BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (26.10.2020): Chronik: 28. September – 10. Oktober 2020, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/317747/chronik-28-september-10-oktober-2020 , Zugriff 16.3.2021
BTI – Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 16.3.2021
EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 16.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 16.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 16.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
PONARS Eurasia (11.2018): The Kremlin’s New Man in Dagestan. Corruption Supplants Security as Moscow's Chief Concern, PONARS Eurasia Policy Memo No. 549, https://www.researchgate.net/publication/337674069_The_Kremlin%27s_New_Man_in_Dagestan_Corruption_Supplants_Security_as_Moscow%27s_Chief_Concern , Zugriff 16.3.2021
SEM – Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (15.7.2016): Focus Russland. Korruption im Alltag, insbesondere in Tschetschenien, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/europa-gus/rus/RUS-korruption-d.pdf , Zugriff 16.3.2021
USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 16.3.2021
WI – Warsaw Institute (25.2.2019): Federal clean-up in Dagestan, https://warsawinstitute.org/federal-clean-dagestan/ , Zugriff 16.3.2021
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 16.11.2021
Der russische Staat wünscht sich, dass NGOs vor allem im sozialen Bereich tätig sind. Das Engagement in Bezug auf andere, politische Aktivitäten, wird mit Misstrauen betrachtet (BTI 2020). Somit geraten NGOs zunehmend unter Druck. Auf Basis des sog. NGO-Gesetzes aus 2012 werden russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register 'ausländischer Agenten' eingetragen, was mit verstärkten Berichts- und Kennzeichnungspflichten und bürokratischer Kontrolle der Tätigkeit der NGO einhergeht (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, AA 2.2.2021, FH 3.3.2021, BTI 2020). Die Bezeichnung als 'Agent' provoziert unter der russischen Bevölkerung eine negative Konnotation mit den Tätigkeiten dieser NGOs im Sinne von Spionagetätigkeiten (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021). Organisationen, die sich nicht eintragen lassen, haben mit hohen Geldstrafen zu rechnen bzw. können aufgelöst werden. 2016 wurde die NGO Agora, eine Vereinigung von Menschenrechtsanwälten, als erste Organisation aufgrund von Nichtbefolgung des NGO-Gesetzes aufgelöst (ÖB Moskau 6.2020). Mit 1. März 2021 trat eine Verschärfung des Strafgesetzes in Kraft, wonach eine 'mutwillige Umgehung' der Verpflichtungen einer 'NGO, welche die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt', mit Strafen von 300.000 Rubel (ca. 3.310 Euro) bis zu Haftstrafen von 2-5 Jahren geahndet werden kann (ÖB Moskau 6.2021). Die international bekannte NGO Memorial ist aktuell mit Geldstrafen in Höhe von 6,1 Mio. Rubel (ca. 68.000 Euro) wegen fehlender Kennzeichnungen u.a. auf Social-Media-Kanälen konfrontiert (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AI 16.4.2020, HRW 13.1.2021). Mit Ende 2020 waren beim Justizministerium 75 NGOs als ausländische Agenten registriert (FH 3.3.2021). Ende 2019 wurde zudem die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, auch natürliche Personen als 'ausländische Agenten' zu listen, sofern diese Medieninhalte von solchen verbreiten oder erarbeiten und dafür Geld erhalten (AA 2.2.2021; vgl. Standard Online 3.12.2019).
Um eine Alternative zu ausländischer Finanzierung russischer NGOs zu schaffen, werden seit 2017 sogenannte präsidentielle Subventionen vergeben, größtenteils an NGOs mit patriotischer bzw. sozialer Ausrichtung; in einigen Fällen erhielten auch als 'ausländische Agenten' deklarierte Einrichtungen staatliche Zuwendungen. Die Kehrseite der staatlichen Unterstützung ist, dass die Empfänger sich im Gegenzug einer intensiven behördlichen Kontrolle ihrer Geschäftstätigkeit unterwerfen müssen (ÖB Moskau 6.2021). In einem Bereich hat der Staat Interesse an Zusammenarbeit und Beratung gezeigt, insbesondere in ländlichen Regionen: Wenn Aktivitäten auf Sozialpolitik ausgerichtet sind, nicht auf politisches Engagement (BTI 2020).
Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, um die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären (ÖB Moskau 6.2021; vgl. BTI 2020, FH 3.3.2021). Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten. Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn ein Kunde als unerwünschte NGO eingestuft wurde (ÖB Moskau 6.2021). Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021). Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung auch Freiheitsstrafen von mehreren Jahren vor (ÖB Moskau 6.2021). Mit Ende 2020 gelten 29 ausländische NGOs als unerwünschte Organisationen, da sie die nationale Sicherheit gefährden würden. Die Bezeichnung gibt den Behörden die Möglichkeit, eine Bandbreite an Sanktionen gegen diese Gruppierungen zu verhängen (FH 3.3.2021).
Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, 'Strategie 31' setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe 'Wojna' setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen 'Initiativen von unten' und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 1.2021a).
Die Gesetzeslage zu NGOs hat sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert, mit dem Ergebnis, dass derzeit unpolitische bzw. Pro-Regierungs-NGOs, die etwa im sozialen Bereich tätig sind, eher unterstützt werden und im Gegensatz dazu kritische NGOs, Medien und Einzelpersonen, vor allem jene, die sich öffentlich kritisch zu Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz und dergleichen äußern, mit Einschränkungen und Repression konfrontiert sind (ÖB Moskau 6.2021). In Dagestan können NGOs tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO 'Komitee zur Verhinderung von Folter' arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen (AA 2.2.2021). Gemeinnützige Stiftungen sind in Dagestan der am weitesten entwickelte Teil der Zivilgesellschaft. Dies sind die stärksten, stabilsten und zahlreichsten NGOs in der Republik und umfassen Stiftungen wie 'Hope and Pure Heart'. Diese Organisationen sind äußerst professionell, verfügen über gut entwickelte IT-Plattformen und verwenden eine gemeinsam nutzbare Datenbank aller Bedürftigen in Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien. Die Zielgruppen ihrer Aktivitäten sind alleinerziehende Mütter, Waisen und Senioren, die alleine leben. Da sie sich nicht mit politischen und bürgerrechtlichen Themen befassen, passt ihre Tätigkeit in den aktuellen politischen Kontext und die konservative Wertebasis und wird von den Behörden nicht kontrolliert. Dagestan hat die am weitesten entwickelte, vielfältigste und unabhängigste Zivilgesellschaft der drei nordkaukasischen Republiken (Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan). Dagestan unterliegt nicht der erhöhten staatlichen Kontrolle und dem Druck Tschetscheniens oder dem Konservativismus und der traditionellen Lebensweise Inguschetiens. Stattdessen gibt es viele verschiedene Gruppen, die sich aktiv für ihre zivilgesellschaftlichen Positionen einsetzen. Dagestan ist auch die erste Region, die die Umwelt aktiv auf die öffentliche Tagesordnung setzt. Aufgrund regelmäßiger Machtwechsel auf Republiks- und lokaler Ebene hat sich in Dagestan kein ausschließliches Zentrum gebildet, das Unterdrückung und Kontrolle über NGOs und Basisinitiativen ausüben würde (CSIS 1.2020).
Unbestrafte und nicht untersuchte, grobe Menschenrechtsverletzungen und Druck auf Menschenrechtsorganisationen haben die Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft in Tschetschenien stark eingeschränkt. Trotzdem konnten viele lokale NGOs dem Druck standhalten und sich an die neuen Regeln anpassen. Die Popularität von gemeinnützigen Aktivitäten und sozialen Projekten zur Unterstützung von einkommensschwachen und schutzbedürftigen Gruppen wächst, ebenso die Anzahl sozialer Initiativen für Kinder und Jugendliche. Auch das Thema Menschen mit Beeinträchtigungen wird de-stigmatisiert. Ein weiterer wichtiger positiver Trend ist, dass immer mehr junge Menschen an Freiwilligenarbeit interessiert sind. Die Reduzierung der Auslandsfinanzierung (nach Angaben des Justizministeriums erhalten derzeit nur 16 NGOs in Tschetschenien Geld aus dem Ausland) wird teilweise durch das Programm der Präsidentenzuschüsse kompensiert, von dem mehrere lokale NGOs profitieren. Insbesondere die Abteilungen für öffentliche Angelegenheiten und religiöse Organisationen arbeiten im Rahmen des Zuschussprogramms des Präsidenten eng zusammen (CSIS 1.2020).
Memorial zählte Ende 2020 349 Menschen als politische (61) oder religiöse Gefangene (288). Darunter waren Teilnehmer der Moskauer Wahlproteste 2019, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte ethnischer Minderheiten (FH 3.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.4.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 12.4.2021
BTI – Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/de/berichte/country-dashboard-RUS.html , Zugriff 12.4.2021
CSIS – Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 12.4.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 12.4.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 12.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 12.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
Standard Online (3.12.2019): Putin billigt Gesetz zu Journalisten als 'ausländische Agenten', https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000111799282/putin-billigt-gesetz-zu-journalisten-als-auslaendische-agenten , Zugriff 12.4.2021
Ombudsperson
Letzte Änderung: 28.05.2021
Für die Russische Föderation gibt es wie für jedes der Föderationssubjekte einen Menschenrechtsbeauftragten [Ombudsperson]. Die Amtsinhaberin Tatjana Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. In ihrem Jahresbericht vom April 2020 gibt sie gleichwohl an, dass die meisten Beschwerden das Verhalten von Polizei und Justiz betreffen. Andere wichtige Beschwerdegründe waren die Nicht-Genehmigung von Versammlungen und – mit großem Abstand – die Behandlung von Häftlingen (AA 2.2.2021). Die Effektivität der regionalen Ombudspersonen variiert erheblich, und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit (US DOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 26.3.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 26.3.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 16.11.2021
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):
Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).
Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlugen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2021).
Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikane bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021).
Einerseits wird in Russland soziales Engagement und freiwillige soziale Arbeit (etwa auch in Zeiten der Coronavirus-Pandemie) begrüßt und unterstützt. Sogenannte 'Bürgerkammern' sollen als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat dienen. Andererseits wurde der Freiraum für eine kritische Zivilgesellschaft seit den Protesten 2011/2012 immer weiter eingeschränkt. Im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet. Kritische inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2021) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).
Rassismus und Xenophobie richten sich in Russland traditionell vor allem gegen Migranten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus und vermehrt auch gegen dunkelhäutige Personen. Weitere Opfer von Hassverbrechen sind ideologische Gegner (Angriffe v.a. der nationalistischen Gruppierung SERB), LGBTIQ-Personen und Obdachlose. Die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangen Jahren ist gesunken, und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen sind beträchtlich zurückgegangen. Anti-LGBTIQ-Rhetorik ist nunmehr eine der am weitesten verbreiteten Formen von Hassreden. Der Islam wird häufig mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Die häufigsten Opfer rassistischer Gewalt sind Zentralasiaten, andere 'nicht-slawisch' aussehende Personen, Roma und dunkelhäutige Personen. Die Zahl der Opfer bei Hassverbrechen ist zwar klar geringer als noch vor 10 Jahren, dennoch aber nicht unbedeutend. Keinen Rückgang gab es bei Angriffen gegen Mitglieder oppositioneller Gruppierungen (ÖB Moskau 6.2021).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 12.3.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 12.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 12.3.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 12.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 30.9.2021
DAGESTAN
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Menschenrechtslage ist in Dagestan grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien. Die Kontrolle der Zivilgesellschaft ist weniger ausgeprägt, und die Bewohner Dagestans sind im direkten Vergleich hinsichtlich persönlicher Freiheit bessergestellt. Doch auch in Dagestan gehen mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einher, darunter Entführungen und Verschwindenlassen. Von dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden wegen Verdachts auf Extremismus sind nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch NGOs im sozialen/humanitären Bereich oder regierungskritische Journalisten betroffen. Im Gegensatz zu Tschetschenien können NGOs in Dagestan tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO 'Komitee gegen Folter' arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen (AA 2.2.2021). Die Haltung der Behörden in Dagestan ist milder gegenüber der Presse und den Institutionen der Zivilgesellschaft, die auch ein höheres Maß an Protestaktivität aufweisen als andere russische Regionen. Darüber hinaus sind Regierungs- und regierungsnahe Strukturen in Dagestan gegenüber Aktivisten etwas toleranter als in anderen Teilen Russlands. Während Demonstrationen verboten und aufgelöst werden können, werden jedoch manche Demonstrationen toleriert. Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es starken Widerstand von Aktivisten, welche die Entscheidungen der Behörden mit rechtlichen Schritten erfolgreich anfechten. Obwohl es registrierte NGOs und spezifische Projekte gibt, ist die Zivilgesellschaft eher durch soziale Bewegungen und Initiativen vertreten. Nur wenige Organisationen in Dagestan sind ausschließlich im Bereich der Menschenrechte tätig. Zu denen, die dies tun, gehört Memorial. Eine andere Menschenrechtsorganisation - 'Patientenmonitor' - arbeitet daran, die Rechte von Patienten zu schützen, die in staatlichen Einrichtungen behandelt werden. Die Hauptschwierigkeiten der Menschen bestehen darin, ambulant kostenlose Medikamente zu erhalten, Medikamente und Dienstleistungen in stationären Einrichtungen zu erhalten sowie Analysen und diagnostische Tests durchführen zu lassen. 'Patientenmonitor' bietet Menschen, deren Rechte nicht beachtet werden, kostenlose Rechtshilfe und bekämpft Korruption in medizinischen Einrichtungen. Auch Umweltaktivisten sind in Dagestan aktiv (CSIS 1.2020).
Wenngleich von offizieller Seite im Jänner 2019 die praktisch vollständige Liquidierung des bewaffneten Widerstands in Dagestan verkündet wurde, kommt es immer wieder zu bewaffneten Zwischenfällen. Nach Einschätzung von Experten hat sich die Struktur des bewaffneten Widerstands geändert. Es soll keine Lager in den Wäldern mehr geben, stattdessen werden Anschläge von Personen, die nach außen hin ein normales Leben führen, vorbereitet. Bewaffnete Gruppen stehen offiziellen Sicherheitsorganen gegenüber, dem Partisanenkrieg auf der einen Seite wird mit Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung auf der anderen Seite begegnet. Im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen mutmaßliche Terroristen bzw. Anhänger extremistischer Überzeugungen. Entführungen und Fälle von Verschwindenlassen, Folter und außergerichtliche Tötungen kommen ebenso vor. Bei der Vorgehensweise bei Verhaftungen von Verdächtigen im Zuge der Terrorbekämpfung sind mitunter auch Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozio-ökonomischen Lage in Dagestan schafft wiederum einen weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. Es kommt nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten (ÖB Moskau 6.2021).
In Bezug auf Beobachtungslisten von Salafisten ist zu sagen, dass in den meisten Quellen derzeit keine Hinweise auf die Weiterführung dieser Listen zu finden sind [vgl. dazu Kapitel Religionsfreiheit/Dagestan] (HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, AA 2.2.2021). Nach Einschätzung des Menschenrechtszentrums Memorial dürften solche Listen inoffiziell weiterhin geführt werden, wenngleich Beschwerden diesbezüglich abgenommen haben und Grundrechtsverletzungen nicht mehr im früheren Ausmaß vorkommen (ÖB Moskau 6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021AI - Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 12.3.2021
CSIS – Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 12.3.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 12.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 30.9.2021
Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 16.11.2021
Meinungs- und Pressefreiheit sind zwar verfassungsrechtlich garantiert (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021), die Wahrnehmung ist in der Praxis jedoch durch ein ständig dichter werdendes Netz einschränkender und bestrafender Vorschriften begrenzt (AA 2.2.2021). Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde 2019 in Gesetz und Praxis weiter eingeschränkt, unter anderem durch zusätzliche Restriktionen im Internet und neue Repressalien gegen Online-Dissidenten. Die Anwendung der Rechtsvorschriften zur Meinungsäußerung auf staatliche Medien und Behörden unterschied sich immer stärker von ihrer Anwendung auf kritische Medien, die abweichende Meinungen äußerten. Während die 'Aufstachelung zu Hass und Feindschaft' (Paragraf 282 des Strafgesetzbuches) im Januar 2019 teilweise entkriminalisiert wurde, erfolgte bei anderen strafrechtlichen Bestimmungen, darunter Paragraf 280 (öffentliches Anstiften zu 'extremistischen' Handlungen), weiterhin eine selektive Anwendung gegen Andersdenkende. Nach einem im März 2019 verabschiedeten neuen Gesetz wurden die 'Verbreitung von Falschnachrichten' und die 'Beleidigung' des Staates, seiner Symbole und Organe im Internet zu Ordnungswidrigkeiten, die mit hohen Geldbußen geahndet werden. In der Folge wurden bis Dezember 2019 über 20 Personen mit Geldbußen belegt, vor allem wegen Kritik am Präsidenten. Dagegen waren die Verleumdung von Regierungskritikern und die Verbreitung von 'Falschnachrichten' über sie in den staatlich kontrollierten Medien an der Tagesordnung (AI 16.4.2020). Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist die 2012 verabschiedete Gesetzgebung zum Extremismus (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, AI 16.4.2020). Sie sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund ihrer vagen Formulierung häufig überschießend angewendet. Diese Einschränkung der Grundrechte führt zu einem schwindenden Raum für eine unabhängige Zivilgesellschaft und ist durch ein hartes Durchgreifen gegen unabhängige politische Stimmen gekennzeichnet (ÖB Moskau 6.2021). Auch die 'Bedrohung der nationalen Sicherheit' dient regelmäßig als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. Selbst ein schlichtes 'liken' oder 'retweeten' eines Beitrags, den die Behörden als 'extremistisch' einstufen, kann zu Strafen führen (AA 2.2.2021), darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim. Mehrere Personen, von denen viele politisch nicht aktiv waren, wurden unter dieser Anti-Extremismus-Gesetzgebung verurteilt (ÖB Moskau 6.2021). Das oben erwähnte Gesetz zur 'Verbreitung von Falschnachrichten' sanktioniert die Verbreitung von 'fake news', die eine Gefährdung für Leib und Leben der Bevölkerung darstellen. Es wurden zahlreiche Strafen verhängt und der Strafrahmen im März 2020 erhöht (höhere Geldstrafen; bis zu fünf Jahre Haft). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde diese Gesetzgebung noch ausgedehnt. Seit April 2020 ist auch die Verbreitung von 'fake news' zur Pandemie strafbar (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, FH 14.10.2020). Nach einer Schätzung haben die Behörden innerhalb von drei Monaten mindestens 170 Verwaltungs- und 42 Strafverfahren wegen angeblicher Online-Verbreitung von Falschinformationen über Covid-19 eingeleitet (HRW 13.1.2021). Im Frühjahr 2020 setzte die Regierung auch Überwachungssysteme ein, angeblich um das COVID-19-Quarantäneregime durchzusetzen (FH 14.10.2020). Die staatliche Kontrolle von Internet und sozialen Medien wird zunehmend verschärft (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, FH 14.10.2020).
Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV-Sender Doschd, Radiosender Echo Moskwy, Zeitung Nowaja Gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Kritische Journalisten sind in Russland mit Drohungen, physischer Gewalt und Verhaftungen konfrontiert (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Insbesondere kommt es auch im Nordkaukasus mitunter zu physischen Attacken und Verfolgung von Journalisten. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt (ÖB Moskau 6.2021). Angriffe, Verhaftungen, Razzien in Büros und Drohungen gegen Journalisten sind weit verbreitet, und die Behörden richteten sich 2020 aktiv gegen Journalisten außerhalb Moskaus (FH 3.3.2021). Immer wieder gibt es Berichte über Angriffe auf Journalisten oder Todesfälle unter gewaltsamen Umständen. Journalisten werden manchmal auch infolge ihrer beruflichen Tätigkeit verhaftet und z.B. wegen angeblicher Drogenvergehen oder terrorismusbezogener Anklagen strafrechtlich verfolgt. Gegen die auf Tschetschenien spezialisierte Journalistin Jelena Milaschina wurden vonseiten des tschetschenischen Oberhaupts Ramsan Kadyrow im April 2020 Morddrohungen ausgesprochen (ÖB Moskau 6.2021).
Im Herbst 2017 wurde eine gesetzliche Grundlage zur Listung gewisser ausländischer Medien als ausländische Agenten geschaffen. Eine im November 2019 beschlossene Gesetzesnovelle ermöglicht es, auch natürliche Personen, die Nachrichten von Medien, welche bereits als ausländische Agenten eingetragen sind, verbreiten (z.B. Journalisten, Blogger, etc.), als ausländische Agenten zu qualifizieren. Ausländischen Personen bzw. Unternehmen ist es nach Änderungen im Gesetz über die Massenmedien seit 2014 verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Zahlreiche Internetseiten wurden aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt (ÖB Moskau 6.2021). Im November 2020 wurde dem Parlament ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt, der den Behörden die Befugnis geben soll, Webseiten zu blockieren, die russische staatliche Medieninhalte zensiert haben. Zu den genannten Webseiten zählen Twitter, Facebook und YouTube (HRW 13.1.2021). Auch verschlüsselte E-Mail-Dienste wurden blockiert (FH 14.10.2020).
Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung) abgeschwächt wurde. Nur wenn jemand innerhalb eines Jahres mehrmals 'extremistischen Inhalt' veröffentlicht oder verbreitet hat, kann ein Strafverfahren eröffnet werden. Passiert das zum ersten Mal, drohen statt mehrjähriger Gefängnisstrafen lediglich Bußgelder oder Arrest. Im Mai 2020 wurde eine neue Strategie zur Extremismusbekämpfung bis 2025 unterzeichnet. Darin wird Extremismus als eine der Hauptgefahren für die verfassungsmäßige Ordnung des Staates bezeichnet. Als Gefährdung der Stabilität der russischen Gesellschaft wird auch die Tätigkeit einzelner ausländischer NGOs im Zusammenhang mit der Verbreitung extremistischer Ideologien bezeichnet (ÖB Moskau 6.2021). Im November 2019 trat das Gesetz über das 'Souveräne RuNet' in Kraft, das es den russischen Behörden ermöglichen soll, in Krisensituationen die Nachrichtenströme im Internet vollständig zu kontrollieren. Im Dezember 2019 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein neues Gesetz, nach dem sich alle Bürger als 'ausländischer Agent' registrieren lassen müssen, die Informationen ausländischer Medien oder 'Agenten' weiterverbreiten und Gelder aus dem Ausland erhalten. Verstöße gegen diese Bestimmung werden mit Geldstrafen von bis zu 5.000.000 Rubel (etwa 80.000 Euro) geahndet (AI 16.4.2020).
In den Internetmedien, die weiterhin beträchtliche Wachstumsraten aufweisen, hat sich eine erhebliche Dynamik entfaltet. 78% der erwachsenen russischen Bevölkerung nutzt das Internet. Die IT-Versorgung des Landes ist eine der Prioritäten der Regierung. Dennoch bleibt es vorerst ein großstädtisches Phänomen. Der Einfluss der Internetmedien und der Blogger-Szene (wie z.B. Projekt Snob, Alexej Nawalny), als Ventil für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen, wächst (GIZ 1.2021a). Die Medienbehörde Roskomnadzor stellte ihre Bemühungen zur Schließung des verschlüsselten Nachrichtendienstes Telegram ein und hob das zwei Jahre alte Verbot der Plattform im Juni 2020 auf. Die Aufhebung des Verbotes hängt mit der Zusammenarbeit des Unternehmens in Terrorismusfällen zusammen (FH 3.3.2021).
In einem weltweiten Ranking zur Pressefreiheit 2020 nimmt die Russische Föderation derzeit den 149. Platz von 180 Ländern und Territorien ein (RoG 2020). Reporter ohne Grenzen veröffentlichte seine Liste der 20 schlimmsten 'digitalen Raubtiere' der Pressefreiheit im Jahr 2020 - 'Unternehmen und Regierungsbehörden, die digitale Technologie einsetzen, um Journalisten auszuspionieren und zu belästigen und damit unsere Fähigkeit zu gefährden, Nachrichten und Informationen zu erhalten'. Russland findet sich auf dieser Liste (RoG 12.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 24.3.2021
FH – Freedom House (14.10.2020): Bericht zur Freiheit digitaler Medien und des Internet (Berichtszeitraum Juni 2019 - Mai 2020) - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2039111.html , Zugriff 24.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 24.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 24.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 24.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
RoG – Reporter ohne Grenzen (2020): 2020 World Press Freedom Index, https://rsf.org/en/ranking_table , Zugriff 24.3.2021
RoG – Reporter ohne Grenzen (12.3.2020): RSF unveils 20/2020 list of press freedom’s digital predators, https://rsf.org/en/news/rsf-unveils-202020-list-press-freedoms-digital-predators , Zugriff 24.3.2021
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 16.11.2021
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch lokale Behörden in der Praxis jedoch häufig eingeschränkt (US DOS 11.3.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021, FH 3.3.2021). Die Organisation ungenehmigter Protestveranstaltungen zieht regelmäßig die Verhaftung der Organisatoren und die Verhängung von Geld- oder mehrwöchigen administrativen Arreststrafen nach sich (AA 2.2.2021). Das Gesetz sieht harte Strafen für nicht genehmigte Proteste und andere Verstöße gegen das öffentliche Versammlungsrecht vor - bis zu 300.000 Rubel (ca. 4.000€) für Einzelpersonen, 600.000 Rubel (8.000€) für Veranstalter und eine Million Rubel (13.600€) für Gruppen oder Unternehmen. Demonstranten mit mehreren Verstößen innerhalb von sechs Monaten können mit einer Geldstrafe von bis zu einer Million Rubel (13.600€) belegt oder für bis zu fünf Jahre inhaftiert werden (USDOS 11.3.2020). Ausnahmen wie die Demonstrationen gegen die Festnahme und Amtsenthebung eines Provinzgouverneurs in Chabarowsk, gegen die im Sommer 2020 lange nicht eingeschritten wurde, bestätigen diese Regel. Wiederholte Verstöße gegen die Vorschriften zur Organisation oder Durchführung von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen, Märschen oder auch Mahnwachen können strafrechtlich geahndet werden (bis zu drei Jahre Lagerhaft). Zudem kam es 2019/2020 zu Verurteilungen von Demonstranten wegen angeblicher Gewalt gegen Polizeibeamte, von denen einige nach öffentlichen Protesten und der Veröffentlichung von Videos aufgehoben wurden (AA 2.2.2021). Im Dezember 2020 verabschiedete die Duma zwei neue Gesetze, die Mahnwachen für Einzelpersonen verbieten und die Protestorganisatoren dazu auffordern, umfangreiche Unterlagen auszufüllen (FH 3.3.2021).
Kundgebungen und Demonstrationen von oppositionellen Gruppen werden entweder nicht genehmigt oder müssen abseits zentraler Plätze stattfinden. Gleichzeitig zeigen die Behörden eine zunehmende Intoleranz gegenüber nicht genehmigten Demonstrationen (ÖB Moskau 6.2021; FH 3.3.2021). Im Sommer 2019 kam es in Moskau zu einer Reihe von - zum Teil nicht genehmigten - Protestaktionen mit bis zu 60.000 Teilnehmern, nachdem zahlreiche oppositionelle Kandidaten nicht zur Wahl zum Moskauer Stadtparlament zugelassen worden waren. Mehr als tausend Personen wurden festgenommen, gegen einige wurde ein Strafverfahren eröffnet. Mehrere Angeklagte wurden zu Haftstrafen verurteilt, darunter Personen, welche die Menschenrechtsorganisation Memorial zu politischen Gefangenen erklärt hat. Kreml-freundliche Gruppierungen hingegen berichten nicht über Probleme, entsprechende Genehmigungen der Moskauer Stadtverwaltung für Demonstrationen an zentralen Plätzen der Stadt zu erhalten (ÖB Moskau 6.2021; vgl. Zeit Online 2.8.2019).
Aufgrund der zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung von den Behörden nahm die Zahl der Straßenproteste zu. Dabei geht es neben politischen Themen immer öfter auch um lokale wirtschaftliche, soziale oder ökologische Fragen wie z.B. die Abfallentsorgung. Es wurden jedoch auch allgemeinere politische Forderungen gestellt. Die Behörden reagieren darauf oft mit der Verweigerung der (im Gesetz verbindlich vorgeschriebenen) Genehmigung für öffentliche Versammlungen, der Auflösung friedlicher Versammlungen und der administrativen und strafrechtlichen Verfolgung der Organisatoren und Teilnehmenden. Diese Behandlung friedlich demonstrierender Menschen löste wiederum eine große öffentliche Solidarität mit ihnen aus (AI 16.4.2020).
In Bezug auf die Vereinigungsfreiheit ist zu sagen, dass öffentliche Organisationen ihre Statuten und die Namen ihrer Leiter beim Justizministerium registrieren müssen. Die Finanzen der registrierten Organisationen werden von den Steuerbehörden überprüft, und ausländische Gelder müssen registriert werden [bez. Organisationen siehe auch Kapitel NGOs und Menschenrechtsaktivisten] (US DOS 11.3.2020). Obwohl Gewerkschaftsrechte rechtlich geschützt sind, sind sie in der Praxis eingeschränkt. In führenden Branchen, einschließlich der Automobilherstellung, kam es zu Streiks und Protesten der Arbeiter, aber gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung und Repressalien sind weit verbreitet. Arbeitgeber ignorieren häufig Kollektivverhandlungsrechte. Der größte Gewerkschaftsverband arbeitet eng mit dem Kreml zusammen, obwohl in einigen Industriesektoren und Regionen unabhängige Gewerkschaften tätig sind (FH 3.3.2021).
Oppositionspolitiker und -aktivisten werden häufig mit fabrizierten Anklagen und anderen Formen administrativer Belästigung konfrontiert, die ihre Teilnahme am politischen Leben verhindern sollen. Alexej Nawalny wurde im August 2020 mit einem Nervengift vergiftet, als er Korruption und Kampagnen in Sibirien untersuchte. Später gab es Beweise dafür, dass der Anschlag vom Inlandsgeheimdienst FSB durchgeführt worden war. Nawalny musste nach Deutschland evakuiert werden, um zu verhindern, dass die Behörden in seine Behandlung eingreifen (FH 3.3.2021). Die Vergiftung Nawalnys führte zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen Russlands zur Europäischen Union (HRW 13.1.2021). Als Nawalny in seine Heimat im Jänner 2021 zurückkehrte, wurde er festgenommen, weil er während seiner Abwesenheit gegen Bewährungsauflagen aus einer früheren Verurteilung wegen Untreue verstoßen haben soll. Ein Gericht wandelte die frühere Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe um. Die Verurteilung wurde international scharf kritisiert und wird auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als ungerechtfertigt angesehen. Alexej Nawalny wurde zu mehr als zweieinhalb Jahren Haft in einem Straflager verurteilt (Standard.at 28.2.2021). Nach der Duma-Wahl im September 2021 hat das Ermittlungskomitee ein neues Strafverfahren gegen Alexej Nawalny und Vertraute wegen Schaffung und Führung einer extremistischen Organisation eingeleitet. Weiteren Personen aus dem Umkreis Nawalnys wird eine Beteiligung an dieser Organisation vorgeworfen. Nawalny drohen damit nun weitere sechs bis zehn Jahre Haft. Das neue Verfahren erfasst potenziell einen sehr weiten Personenkreis. So können alle ehemaligen Mitstreiter Nawalnys nun auch wegen Beteiligung an einer extremistischen Organisation haftbar gemacht werden. Prinzipiell können die Ermittlungsbehörden den Vorwurf dann auch auf Teilnehmer von Protestdemonstrationen ausweiten (Standard.at 30.9.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 26.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 26.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 26.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 26.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
Standard.at (28.2.2021): Regierungskritiker Nawalny in russisches Straflager überstellt, https://www.derstandard.at/story/2000124540577/regierungskritiker-nawalny-in-russisches-straflager-ueberstellt , Zugriff 26.3.2021
Standard.at (30.9.2021): In Moskau wird der Ton rauer, https://www.derstandard.at/story/2000130039784/in-moskau-wird-der-ton-rauer , Zugriff 18.10.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 26.3.2021
Zeit Online (2.8.2019): Moskau genehmigt zwei Großkundgebungen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/russland-moskau-proteste-kundgebungen-demonstrationen-polizei , Zugriff 26.3.2021
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 16.11.2021
Straftäter werden entweder in sogenannten Ansiedlungskolonien (ähnelt dem freien Vollzug), Erziehungskolonien, Besserungsheileinrichtungen, Strafkolonien mit allgemeinem, strengem oder besonderem Regime (hier sitzt der ganz überwiegende Anteil der Häftlinge ein), oder in einem Gefängnis untergebracht (AA 2.2.2021). Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 1990er Jahre langsam, aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. Im Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall 'Ananjew und andere gegen Russland' hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen und das Problem systemischer Natur ist. Im März 2017 veröffentlichte die Föderale Strafvollzugsbehörde (FSIN) einen Bericht, laut welchem die Zahl der Selbstmorde und der Erkrankungen mit direkter Todesfolge aufgrund verbesserter Bedingungen im Jahr 2016 um 12% bzw. 13% gesunken ist. Menschenrechtsverteidiger äußerten jedoch Zweifel an diesen Zahlen (ÖB Moskau 6.2021). Gefangene können Beschwerden bei öffentlichen Aufsichtskommissionen oder beim Büro der Ombudsperson einreichen. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen wird diese Option aber nicht immer genutzt. Aktivisten berichten, dass nur Gefangene, die glauben, keine andere Option zu haben, die Konsequenzen einer Beschwerde riskieren. Beschwerden, die bei den Aufsichtskommissionen eingingen, konzentrierten sich häufig auf geringfügige persönliche Anfragen. Die Behörden gestatten Vertretern der öffentlichen Aufsichtskommissionen regelmäßig, Gefängnisse zu besuchen, um die Haftbedingungen zu überwachen. Es gibt in fast allen Regionen öffentliche Aufsichtskommissionen. Menschenrechtsaktivisten äußern sich besorgt darüber, dass einige Mitglieder der Kommissionen behördennahe Personen sind und Personen, die in der Strafverfolgung arbeiten. Laut Gesetz haben Mitglieder von Aufsichtskommissionen das Recht, Insassen in Haftanstalten und Gefängnissen mit ihrer schriftlichen Genehmigung auf Video aufzunehmen und zu fotografieren. Mitglieder der Kommission können auch Luftproben sammeln, andere Umweltinspektionen durchführen, Sicherheitsbewertungen durchführen und Zugang zu psychiatrischen Einrichtungen in Gefängnissen erhalten. Es gibt Berichte, dass die Gefängnisbehörden die Mitglieder der Aufsichtskommissionen daran hindern, Beschwerden von Gefangenen entgegenzunehmen (US DOS 11.3.2020).
Die häufigsten Vorwürfe betreffen die schlechten hygienischen Zustände, den Mangel an medizinischer Betreuung, den akuten Platzmangel (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020), Misshandlungen durch Aufsichtspersonen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020), Korruption und fehlende Resozialisierungsmaßnahmen. Kritisiert werden auch die Bedingungen bei der Verbringung von Häftlingen in oft weit entfernte Strafkolonien. 2020 ist eine Gesetzesnovelle in Kraft getreten, gemäß welcher Häftlinge in Russland ihre Haftstrafe in der Nähe ihres Wohnorts oder in der Nähe des Wohnorts ihrer Angehörigen verbüßen sollen (ÖB Moskau 6.2021).
Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Häftlinge stetig gesunken, von über 1 Mio. auf ca. 520.000 im Februar 2020. Dennoch ist Russland mit 360 Häftlingen auf 100.000 Einwohner in Europa immer noch führend. Ca. 18% der Häftlinge befinden sich in Untersuchungshaftanstalten (ÖB Moskau 6.2021). In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Häftlinge kontinuierlich um durchschnittlich 32.000 pro Jahr gesunken (WPB 8.3.2019). Die Regierung ist bestrebt, die Anzahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte einen Gesetzesentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsätze statt Freiheitsstrafen) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich; sie reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis zu solchen, die laut NGOs als 'Folterkolonien' berüchtigt sind. Hauptprobleme sind Überbelegung (in Moskau, weniger in den Regionen), qualitativ schlechtes Essen und veraltete Anlagen mit den einhergehenden hygienischen Problemen. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling am ehesten vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge sind in dieser Isolationshaft oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt (AA 2.2.2021). Vorwürfe in Bezug auf Folter und andere Misshandlungen in den Haftanstalten werden weiterhin gemeldet. Täter werden so gut wie nie zur Verantwortung gezogen. Aus ganz Russland trafen unzählige Foltervorwürfe ein. Im Dezember 2019 erhielt die gemeinnützige Stiftung 'Nuschna Pomosch' (Nötige Hilfe) von der Ermittlungsbehörde Statistiken über Folterungen in Haftanstalten. Demzufolge wurden von 2015 bis 2018 jährlich zwischen 1.590 und 1.881 Beschwerden wegen 'Amtsmissbrauchs' durch Strafvollzugsbeamte verzeichnet. Nur bei 1,7 - 3,2% dieser Beschwerden wurden Ermittlungen durchgeführt (AI 16.4.2020).
Die medizinische Versorgung ist nicht überall befriedigend (AA 2.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020). Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Todesfälle wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung kommen laut NGOs vor. Die COVID-19-Prävention und die medizinische Versorgung Infizierter richten sich nach den Vorgaben des russischen Föderalen Strafvollzugsdienstes und den ihm unmittelbar unterstellten Einrichtungen. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs deutlich besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Hauptproblem ist auch hier die Überbelegung. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer verlängerten Gerichte die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 2.2.2021). Der Chef der föderalen Strafvollzugsbehörde (FSIN) gibt an, dass es an Personal fehlt, um Menschen mit Beeinträchtigungen in Haftanstalten zu betreuen (ÖB Moskau 6.2021).
Im Allgemeinen sind die Haftbedingungen in Frauengefängnissen besser als in Männergefängnissen, aber auch diese bleiben unter dem Standard (US DOS 11.3.2020).
Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafkatalog. Somit können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnete im Jänner 2017 vier 'Besserungszentren' – in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet – und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe sind die Täter 'nicht von der Gesellschaft isoliert'. Sie können Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung eines Drittels der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben – vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen. Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard.at 10.1.2017).
Im Juli 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta ein durchgesickertes Video von Strafvollzugspersonal in Jaroslawl, das einen Gefangenen brutal schlägt. Als Reaktion auf die öffentliche Empörung verhaftete die russische Kriminalpolizei bis November 15 Verdächtige. Die schnelle und effektive Untersuchung war beispiellos in Russland, wo die Behörden typischerweise Beschwerden von Gefangenen über Misshandlungen ablehnen (HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019). Laut Freedom House veröffentlichte die NGO Public Verdict ein Video, das den anhaltenden Missbrauch in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 3.3.2021).
Laut Berichten des 'Komitees Ziviler Beistand' müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. Laut den Moskauer Vertretern des 'Komitees gegen Folter' gibt es hingegen keine gezielte staatliche Diskriminierung. Es ist flächendeckend sichergestellt, dass muslimische Strafgefangene Zugang zu Gebetsräumen und Imamen haben. Allerdings werden außer medizinisch indizierten Ernährungsvorgaben keine anderen Speisevorschriften, seien sie religiöser oder sonstiger Art, beachtet (AA 2.2.2021).
In denjenigen Fällen, in welchen die Strafverfolgung nicht sachfremd motiviert ist, oder die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, d.h. im Bereich 'normaler' Kriminalität, kann davon ausgegangen werden, dass Strafverfahren in nordkaukasischen Regionen mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan) ähnlich wie im Rest der Russischen Föderation verlaufen. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen im Nordkaukasus besser als im Rest Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien in der Regel als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an denen die Sicherheitsbehörden kein besonderes 'sachfremdes' Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien in der Regel eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 1.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Amnesty International Report 2019 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 1.3.2021
FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html , Zugriff 11.3.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
Handelsblatt (2.1.2017): Zwangsarbeit statt Knast, https://www.handelsblatt.com/politik/international/russlands-neuer-strafenkatalog-zwangsarbeit-statt-knast/19195230.html?ticket=ST-8052534-klHgWpsWYfm2euFZS9La-ap6 , Zugriff 11.3.2020
HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002220.html , Zugriff 11.3.2020
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
Standard.at (10.1.2017): Zwangsarbeit statt Haft in Russland, https://www.derstandard.at/story/2000050437057/zwangsarbeit-statt-knast-in-russland , Zugriff 11.3.2020
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 12.3.2020
WPB – World Prison Brief (8.3.2019): Russia’s falling prison population , https://www.prisonstudies.org/news/russia%E2%80%99s-falling-prison-population , Zugriff 11.3.2020
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 16.11.2021
Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit (AA 2.2.2021). Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei als 'traditionelle Religionen' de facto eine herausgehobene Stellung (AA 2.2.2021), die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) spielt allerdings eine zentrale Rolle (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die ROK arbeitet bei bestimmten Themen eng mit der Regierung zusammen (FH 3.3.2021). Rund 68% identifizieren sich als russisch-orthodoxe Christen, 7% als Muslime, und 25% gehören religiösen Minderheiten an, darunter Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Juden und Baha'i (USCIRF 4.2020). Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben zwischen 14 und 20 Millionen Muslime (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021c).
Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die 'Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens' sowie die 'Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus' vertreten. Darüber hinaus sind zahlreiche andere Konfessionen, wie der Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen -, das Judentum (ca. 200.000 Gläubige) sowie von den christlichen Kirchen die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche und eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 1.2021c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen (GIZ 1.2021c; vgl. USCIRF 4.2020). Die russische Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als eine Bedrohung für die soziale und politische Stabilität des Landes und pflegt gleichzeitig bedeutende Beziehungen zu den sogenannten 'traditionellen' Religionen des Landes. Die Regierung aktualisiert regelmäßig Gesetze, welche die Religionsfreiheit einschränken, darunter ein Religionsgesetz von 1996, ein Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus von 2002 und neuere Gesetze über Gotteslästerung, wie beispielsweise 'Schüren von religiösem Hass' und 'Missionstätigkeit'. Diese vagen Gesetze geben den russischen Behörden weitreichende Befugnisse, religiöse Reden oder Aktivitäten zu definieren und zu verfolgen oder religiöse Literatur zu verbieten, die sie für schädlich halten. Das Religionsgesetz legt strenge Registrierungsanforderungen an religiöse Gruppen fest und ermächtigt Staatsbeamte, die Tätigkeit der Gruppierungen zu behindern (USCIRF 4.2020).
Seit Ende der Achtzigerjahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer 'religiösen Renaissance' bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als nicht gläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein 'kanonisches Territorium' verfügt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der ROK in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat (GIZ 1.2021c).
Seit einer Änderung des Anti-Extremismus-Gesetzes im Jahr 2007 gerieten bestimmte religiöse Gruppen ins Visier der russischen Behörden, vor allem die Zeugen Jehovas und islamische Gruppierungen wie Hizb ut-Tahrir, aber auch Falun Gong, Scientology, und andere. Im Zuge einer Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Jahr 2016 wurden die Auflagen für Missionarstätigkeiten neu geregelt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. USCIRF 4.2020). Das Anti-Extremismus-Gesetz wird auch genutzt, um Muslime - insbesondere Anhänger der islamischen Missionsbewegung Tablighi Jamaat und Leser des türkischen Theologen Said Nursi - wegen friedlicher religiöser Aktivitäten zu verfolgen (USCIRF 4.2020). Auch andere nicht-traditionelle religiöse Gruppen kamen in letzten Jahren unter Druck, wie beispielsweise Adventisten, Baptisten, die Pfingstbewegung und die Heilsarmee (ÖB Moskau 6.2021).
Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, welche die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Im Jahr 2020 erließen russische Gerichte Dutzende Schuldsprüche gegen Zeugen Jehovas (HRW 13.1.2021). Im Laufe des Jahres 2019 wurden mindestens 17 Zeugen Jehovas verurteilt, sieben von ihnen zu Freiheitsstrafen. Viele Weitere wurden zum Beispiel mit Hausdurchsuchungen schikaniert. Einige von ihnen erklärten, während der Vernehmung gefoltert oder misshandelt worden zu sein (AI 16.4.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 5.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 5.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 5.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 5.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 1.10.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): 2020 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028973/Russia.pdf , Zugriff 5.3.2021
DAGESTAN
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die meisten Muslime Dagestans gehören dem Sufismus an, einer gemäßigt-mystischen Richtung im Islam. Sie hören auf Scheichs, religiöse Führer, die zwischen Gott und den Menschen vermitteln. Die Scheichs treten auch als Fürsprecher der Gläubigen vor Politikern auf. Der Sufismus ist seit vielen Jahrhunderten in Dagestan vorherrschend. Die zweitgrößte Gruppe der Muslime in Dagestan sind die Salafisten. Diese ultrakonservative Strömung breitet sich seit den 1990er-Jahren in der Region aus. Zunächst wurden sie als Wahhabiten bezeichnet. In Dagestan gibt es Schätzungen zufolge Zehntausende Salafisten, und sie haben ihre eigenen Moscheen. Die Salafisten wollen ein Kalifat bzw. einen Gottesstaat errichten. Die Sufis hingegen haben sich mit dem russischen Staat arrangiert. Die Radikalen unter den Salafisten wollen das Kalifat mit Gewalt durchsetzen und kämpfen dafür. In Dagestan gibt es einen bewaffneten islamistischen Untergrund. Seit Jahren verüben die Terroristen Anschläge gegen russische Sicherheitskräfte, es gab Hunderte Todesopfer. Sie ermordeten auch mehrere geistliche Führer der Sufis, die sich offen gegen die Ideologie der Salafisten aussprachen. Viele Salafisten in Dagestan fühlen sich zu Unrecht von den Behörden verdächtigt. Salafisten werden oft mit den Terror-Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates gleichgesetzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).
In den Republiken Inguschetien und Dagestan wurde in der Vergangenheit versucht, einen Dialog zwischen Regierung und offizieller Geistlichkeit auf der einen Seite und islamistischer Opposition auf der Gegenseite zu führen. Derzeit befindet sich die Regierung in Dagestan aber wieder in Konfrontation mit salafistischen Gemeinden. Der 'Krieg gegen Wahhabiten', der dort schon 1999 ausgerufen worden war, hat allerdings dazu geführt, dass sich immer mehr junge Menschen zu einem puristischen, streng konservativen Islam bekennen (SWP 4.2017). Wenngleich von offizieller Seite im Jänner 2019 die praktisch vollständige Liquidierung des bewaffneten Widerstands in Dagestan verkündet wurde, kommt es immer wieder zu bewaffneten Zwischenfällen. Nach Einschätzung von Experten hat sich die Struktur des bewaffneten Widerstands geändert. Es gibt keine Lager in den Wäldern mehr, stattdessen werden Anschläge von Personen, die nach außen hin ein normales Leben führen, vorbereitet. Bewaffnete Gruppen stehen offiziellen Sicherheitsorganen gegenüber, dem Partisanenkrieg auf der einen Seite wird mit Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung auf der anderen Seite begegnet. Im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen mutmaßliche Terroristen bzw. Anhänger extremistischer Überzeugungen (dazu zählen auch in Dagestan Zeugen Jehovas). Entführungen und Fälle plötzlichen Verschwindenlassens von Personen, Folter und außergerichtliche Tötungen kommen in Dagestan ebenso vor. Bei der Vorgehensweise bei Verhaftungen von Verdächtigen im Zuge der Terrorismusbekämpfung sind mitunter auch Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. Es kommt nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten (ÖB Moskau 6.2021).
In Bezug auf Beobachtungslisten von Salafisten ist zu sagen, dass weder in den jüngsten Berichten der NGOs Human Rights Watch, Freedom House und Amnesty International, noch im staatlichen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes Hinweise auf die Weiterführung dieser Listen zu finden sind (HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, AA 2.2.2021). Die österreichische Botschaft berichtet im neuesten Asylländerbericht, dass nach Einschätzung des Menschenrechtszentrums Memorial solch eine Liste inoffiziell weiterhin geführt wird, wenngleich Beschwerden diesbezüglich abgenommen haben und Grundrechtsverletzungen nicht mehr im früheren Ausmaß vorkommen (ÖB Moskau 6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 9.3.2021
Deutschlandfunk (28.6.2017): Salafisten contra Sufis, https://www.deutschlandfunk.de/die-religioese-landschaft-dagestans-salafisten-contra-sufis.886.de.html?dram:article_id=389688 , Zugriff 20.3.2020
FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 9.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 9.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 9.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 20.3.2020
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 16.11.2021
Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als 160 Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind Tataren (4,0%), Ukrainer (2,2%), Armenier (1,9%), Tschuwaschen (1,5%), Baschkiren (1,4%), Tschetschenen (0,9%), Deutsche (0,8%), Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Udmurten (0,4%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nicht-russischen und russischen Bevölkerungsteilen durch interethnische Ehen und Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet. Die Sprachen der kleinen indigenen Völker stehen unter gesetzlichem Schutz (GIZ 1.2021c). Minderheiten sind in der Regel politisch und gesellschaftlich gut integriert (AA 2.2.2021).
Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem (AA 21.5.2018). Trotzdem werden Rechte von Minderheiten nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert (ÖB Moskau 6.2021). Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021, FH 3.3.2021, BTI 2020). 'Racial profiling' ist bei den Behörden verbreitet. Minderheiten ohne anerkannten Rechtsstatus wie z.B. Sinti und Roma sind immer wieder Opfer von Diskriminierungen auch durch staatliche Organe (AA 2.2.2021). Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine haben zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung geführt. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden daher verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank auch die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist ebenfalls die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen wie etwa die Organisation BORN (ÖB Moskau 6.2021). Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Die meisten Vorfälle gab es wie in den Vorjahren in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Gleichzeitig ist aber im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu bemerken, welcher im Zusammenhang mit sozialen Problemen (Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats stellte in ihrem Bericht vom März 2019 betreffend die Situation in der Russischen Föderation fest, dass die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren gesunken ist und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen stark zurückgegangen sind. In der Statistik des Sova-Center zu rassistischen und Neo-Nazi-Übergriffen in Russland sind für das Jahr 2019 Angriffe auf 48 Personen erfasst, von denen 6 getötet wurden. Die Zahl der Opfer bei Hassverbrechen ist zwar klar geringer als noch vor 10 Jahren, dennoch aber nicht unbedeutend. Keinen Rückgang gab es bei Angriffen gegen Mitglieder oppositioneller Gruppierungen (ÖB Moskau 6.2021).
Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, der Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung), der von den Behörden zum Teil überschießend angewandt worden war (z.B. für Likes und Re-Posts auf sozialen Medien), abgeschwächt wurde. Seither ist die Zahl der Verurteilungen wegen 'Anstiftung von Hass' deutlich zurückgegangen. Die Zahlen von strafrechtlicher Verfolgung wegen 'Aufruf zu und Rechtfertigung von Terrorismus' und wegen 'Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation' sind gestiegen (ÖB Moskau 6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434107/4598_1528119149_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-april-2018-21-05-2018.pdf , Zugriff 11.3.2020
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.2.2021
BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report, Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 17.2.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
Relevante Bevölkerungsgruppen
FRAUEN
Letzte Änderung: 16.11.2021
Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021c). Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, welche diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Russland hat die Istanbul Konvention nicht ratifiziert. In der Gesellschaft herrschen stereotype Rollenbilder vor, traditionelle Geschlechterrollen werden vom Staat propagiert, Frauen sind im Durchschnitt schlechter bezahlt (ÖB Moskau 6.2021).
Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen (GIZ 1.2021c). Frauen mit kleinen Kindern gehören einer sozialen Gruppe an, die besonders von sozialer Unterstützung wie Lohnfortzahlung während des Mutterschutzes und dem sogenannten 'Mutterschaftskapital' Nutzen ziehen (vgl. Kapitel Sozialbeihilfen) (Russland Analysen 21.2.2020a).
Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 1.2021c). Frauen sind in Politik und Regierung unterrepräsentiert. Sie halten weniger als ein Fünftel der Sitze in der Duma und im Föderationsrat. Nur drei von 31 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 3.3.2021). In Russland herrscht noch immer ein konservatives Familienbild vor – die Frau als Hausfrau und Mutter. Jedoch sind Frauen in der Realität gezwungen, auch (Vollzeit) erwerbstätig zu sein, schon allein aufgrund der hohen Scheidungsrate. Daraus folgt logischerweise auch eine große Anzahl von alleinerziehenden Frauen (Russland Analysen 21.2.2020b).
Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt die häusliche Gewalt dar (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021, HRW 10.2018). Häusliche Gewalt wird von den Behörden kaum beachtet, stattdessen werden Opfer häuslicher Gewalt, die zur Selbstverteidigung den Täter töten, häufig inhaftiert. Bis zu 80% der in Russland inhaftierten Frauen dürften unter diese Kategorie fallen (FH 3.3.2021). Es gibt in Russland sowohl staatliche Krisenzentren (Frauenhäuser) als auch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen zur Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt. Das Zentrum ANNA etwa koordiniert ein informelles Netzwerk von Organisationen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Kinder. Es wurde eine interaktive Karte mit Zentren, die betroffene Frauen in den meisten Regionen Russlands unterstützen, erstellt (ÖB Moskau 6.2021). Offizielle Studien legen nahe, dass mindestens jede fünfte Frau in Russland irgendwann in ihrem Leben körperliche Gewalt durch ihren Ehemann oder Partner erlebt hat (HRW 10.2018). Nach offiziellen Statistiken ereignen sich 40% aller schweren Gewaltdelikte innerhalb der Familien. Es gibt kein System zur Prävention, und es gibt zu wenig Einrichtungen, in denen Frauen mit Kindern vorübergehend Zuflucht suchen können. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügend Nachdruck oder zuweilen gar nicht nach (AA 2.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020, HRW 10.2018). Experten schätzen, dass 60% bis 70% der Fälle von häuslicher Gewalt nicht gemeldet werden (US DOS 11.3.2020). Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. Durch eine Gesetzesänderung im Jänner 2017 wurde häusliche Gewalt im Erstfall zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021), wenn sie zu keinen dauerhaften körperlichen Schäden führt (FH 3.3.2021). Ende 2019 wurde ein neuer Gesetzesentwurf zur Vorbeugung von häuslicher Gewalt ins russische Parlament eingebracht, dessen Behandlung bis zum Ende der Coronavirus-Epidemie aber ausgesetzt wurde. Gegner des Entwurfs sehen traditionelle Familienstrukturen in Gefahr. In der Zeit des Lockdowns aufgrund der COVID-19-Pandemie hatten sich die Anrufe bei der Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt des ANNA-Zentrums um 74% erhöht. Die NGO 'nasiliu.net', welche sich gegen häusliche Gewalt engagiert, wurde vom russischen Justizministerium in die Liste der Organisationen eingetragen, welche 'die Funktion eines ausländische Agenten' erfüllen (ÖB Moskau 6.2021). Häusliche Gewalt bleibt lückenhaft dokumentiert, und die Dienste für Überlebende sind unzureichend (HRW 13.1.2021). Mehrere Politiker und Experten, die sich für ein robustes Gesetz gegen häusliche Gewalt einsetzen, berichteten von Drohungen gegen sie und ihre Familien, unter anderem durch diejenigen, die behaupten, 'traditionelle' oder 'familiäre' Werte zu fördern (HRW 13.1.2021; vgl. AI 16.4.2020). Russlands Ombudsperson stellte fest, dass die häusliche Gewalt während der Covid-19-Pandemie zugenommen hat und sich die gemeldeten Fälle während des Lockdowns im Frühjahr 2020 mehr als verdoppelt haben (HRW 13.1.2021).
Vergewaltigung ist illegal, und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Das Strafmaß für Vergewaltigung ist drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter mit zusätzlicher Haft bei erschwerenden Umständen. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung durch Ehemänner bzw. durch Bekannte keine Priorität einräumen (US DOS 11.3.2020). NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange sich das Opfer nicht in einer lebensbedrohlichen Situation befindet (US DOS 11.3.2020; vgl. EASO 3.2017).
NGOs stellten fest, dass der Zugang zu Notunterkünften oft kompliziert ist, da sie einen Wohnsitznachweis in dieser bestimmten Gemeinde sowie einen Nachweis über den Status eines Niedrigeinkommens benötigen. In vielen Fällen werden diese Dokumente von den Tätern verwaltet und stehen den Opfern deshalb nicht zur Verfügung (US DOS 11.3.2020). Krisenzentren und Notunterkünfte von NGOs spielen eine entscheidende Rolle bei der Erbringung von Dienstleistungen für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen. Diese sind auf staatlicher Ebene oft nicht verfügbar, und es gibt Fälle, in denen Frauen, bevor sie in NGO-Einrichtungen kamen, von staatlichen Einrichtungen abgewiesen wurden (HRW 10.2018). Aufgrund finanzieller Engpässe und staatlicher Beschränkungen bei der Beschaffung ausländischer Mittel haben NGOs Schwierigkeiten, ausreichend viele Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. In Großstädten gibt es staatliche Unterkünfte, die dringende Hilfe, wie zum Beispiel 'Krisenwohnungen' zur Verfügung stellen können. Neben staatlichen und NGO-Einrichtungen gibt es auch religiöse Einrichtungen der Russisch-Orthodoxen, der Katholischen und der Baptisten-Kirche, die Opfern von häuslicher Gewalt Hilfe bereitstellen. Um in eine staatliche Einrichtung aufgenommen zu werden, müssen Frauen oft eine ganze Reihe von Dokumenten mitbringen, wie beispielsweise Meldezettel, Reisepass, eine Überweisung von Sozial- oder Kinderschutzdiensten, eine persönliche schriftliche Erklärung, warum die Person Hilfe benötigt, ärztliche Atteste mit Angaben zu allen Impfungen und in einigen Fällen sogar Röntgenaufnahmen. Wenn eine Frau Kinder hat, muss sie auch für jedes ihrer Kinder Gesundheitsunterlagen vorlegen. Der Prozess der Beschaffung all dieser Dokumente kann bis zu zwei Wochen dauern, in einigen Fällen auch länger (HRW 10.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff 19.2.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 24.2.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 19.2.2021
HRW – Human Rights Watch (11.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 19.2.2021
HRW – Human Rights Watch (10.2018): 'I Could Kill You and No One Would Stop Me' Weak State Response to Domestic Violence in Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1447924/3175_1540546740_russia1018-web3.pdf , Zugriff 5.3.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.10.2021
Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 5.3.2021
Russland Analysen/ Hornke, Theresa (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 5.3.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 5.3.2021
FRAUEN IM NORDKAUKASUS, INSBESONDERE IN TSCHETSCHENIEN
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021), aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu liegen nicht vor. Erschwert wird die Situation durch die Koexistenz dreier Rechtssysteme in der Region – dem russischen Recht, dem Gewohnheitsrecht (Adat) und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach Traditionen als nach den russischen Rechtsvorschriften. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, die in der Republik Tschetschenien unter Ramsan Kadyrow propagiert werden, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer 'Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit' (ÖB Moskau 6.2021). Die Heirat einer 17-jährigen Tschetschenin mit einem 47-jährigen örtlichen Polizeichef im Frühjahr 2015 gilt als Beispiel für die verbreitete Praxis von Zwangsehen. Außerdem weist sie auf eine Form der Polygamie hin, die zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich ist (AA 13.2.2019).
Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf, gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Republiksoberhaupt Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Nach Aussagen eines tschetschenischen Rechtsanwalts werden Frauen sowohl nach islamischem als auch nach dem Adatrecht hoch geschätzt. Die Wirklichkeit im Tschetschenien von heute sieht jedoch so aus, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist und sich die Lage für Frauen äußerst schwierig gestaltet (EASO 9.2014; vgl. Welt.de 14.2.2017, openDemocracy 7.8.2020). Gewalttätige Ehemänner werden selten bestraft, die Schuld wird üblicherweise der Frau zugeschoben (openDemocracy 7.8.2020). Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in eine den Männern untergeordnete Position (EASO 9.2014; vgl. Welt.de 14.2.2017). Es ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft sind. Jedoch kann nur das russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird, und auch Kadyrow selbst – obwohl er sowohl Adat als auch Scharia betont – sich eher auf die Scharia bezieht. Das Adat-Recht dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014).
Häusliche Gewalt, die überall in Russland ein großes Problem darstellt, gehört in den nordkaukasischen Republiken zum Alltag (Welt.de 14.2.2017; vgl. openDemocracy 7.8.2020). Sie ist weit verbreitet, gesellschaftlich toleriert und oft äußerst brutal. Zivilgesellschaftliche Initiativen widmen sich der Unterstützung nordkaukasischer Frauen und bieten etwa psychologische, rechtliche und medizinische Hilfe an: z.B. die Organisationen 'Women for Development' und 'SINTEM' in Tschetschenien und 'Mat‘ i Ditja' (Mutter und Kind) in Dagestan (ÖB Moskau 6.2021). Im Jahr 2019 eröffnete in Tschetschenien die Organisation Women for Development - eine der ältesten und angesehensten Organisationen in Tschetschenien - mit Unterstützung des Zuschussprogramms für NGOs ein Krisenzentrum für Frauen. Es gab auch Pläne, ein Frauenhaus zu eröffnen; aufgrund der engen familiären Bindungen, die in der Republik herrschen, wäre es aber schwierig gewesen, die Einrichtung vor Männern und ihren Familien geheim zu halten, darum scheiterte dieses Vorhaben. Beamte haben das hohe Maß an Scheidung und häuslicher Gewalt anerkannt und ein Komitee zur Verhütung von Familienkonflikten unter dem Spirituellen Ausschuss der Muslime der Republik Tschetschenien eingerichtet. Mehrere NGOs, die Teil der Koalition der Frauen-NGOs im Nordkaukasus sind, arbeiten an den Themen häusliche Gewalt und Unterstützung für Frauen. 'Zulässige' Themen müssen jedoch in die allgemeine Logik traditioneller, kultureller, spiritueller, religiöser und nationaler Bräuche und Werte passen. Es ist auch wichtig anzumerken, dass die Mehrheit der NGO-Direktoren und Mitarbeiter in Tschetschenien Frauen sind. Der Ausweg aus der humanitären Nachkriegskrise lag direkt auf den Schultern der Frauen, da sich die Mehrheit der männlichen Bevölkerung nicht frei bewegen konnte und ständigen Bedrohungen und Kontrollen ausgesetzt war. Da Frauen in Tschetschenien, als Folge der lokalen traditionellen Kultur, als verantwortlich für Empathie und Fürsorge angesehen werden, sind sie diejenigen, die die meisten gemeinnützigen und sozialen Projekte zusammenstellen, als Psychologinnen arbeiten, sich freiwillig für Kinder engagieren und sich mit den Themen von Familien mit niedrigem Einkommen und Menschen mit Behinderungen beschäftigen (CSIS 1.2020).
In Dagestan werden Geschlechterfragen und Frauenrechte in der Arbeit von Malikat Jabirowas Organisation 'Mat i Ditja' (Mutter und Kind) sowie von der unabhängigen Journalistin Swetlana Anochina mit ihrem 'Daptar'-Projekt und ihrer Gruppe 'Väter und Töchter' behandelt, obwohl diese Initiativen nicht die einzigen sind, die in diesem Bereich aktiv sind (CSIS 1.2020).
Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt, trotzdem ist davon auszugehen, dass Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet ist. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht als Vergewaltigung angesehen. Vergewaltigungen passieren auch in Polizeistationen. Es handelt sich um ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an. Sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie wird isoliert und stigmatisiert, und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als an der Vergewaltigung schuldig angesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014). Die Täter werden oft nicht bestraft (openDemocracy 7.8.2020).
Es ist in Tschetschenien üblich, die Ehe auf muslimische Art – durch einen Imam – zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Standesbeamten geschlossen noch registriert ist. Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014).
In den letzten Jahren repatriierte Russland aktiv die Kinder und zum Teil auch die Ehefrauen von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates zurück nach Russland. Laut einer Pressemeldung vom August 2020 wurden bisher 122 russische Kinder aus dem Irak und 35 aus Syrien nach Russland zurückgebracht, die Rückholung weiterer Kinder sei geplant (ÖB Moskau 6.2021). Der Umgang mit Familienangehörigen von (ehemaligen) Kämpfern variiert von Region zu Region. Die Maßnahmen reichen von Beobachtung, über soziale Diskriminierung bis zu strafrechtlichen Verurteilungen. In Tschetschenien war es weiblichen Rückkehrern gestattet, nach Hause zurückzukehren. In Dagestan wurden Frauen, angesichts aktiver weiblicher Beteiligung im Aufstand, als Sicherheitsrisiko wahrgenommen und zu ca. sieben Jahren Haft verurteilt, wobei die Haftstrafen aufgrund Fürsorgepflichten für kleine Kinder aufgeschoben wurden, bis die Kinder 14 Jahre alt sind (ÖB Moskau 6.2021; vgl. The Guardian 2.3.2019).
Weibliche Beschneidung kommt in Teilen von Dagestan vor. Etwa 1.240 Mädchen werden jährlich einer Genitalverstümmelung unterzogen (Human Rights Center 'Memorial'; OVD-Info; Stichting Justice Initiative; et al. 6.2020; vgl. Caucasian Knot 19.6.2020). Neben Dagestan gibt es auch Berichte von Genitalverstümmelung in Tschetschenien und Inguschetien (ÖB Moskau 6.2021). In Tschetschenien wurden ältere Frauen einer Beschneidung unterzogen (Caucasian Knot 19.6.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 24.2.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
Caucasian Knot (19.6.2020): Dagestan becomes centre of female circumcision problem in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51240/ , Zugriff 9.4.2021
CSIS – Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://www.csis.org/analysis/civil-society-north-caucasus , Zugriff 24.2.2021
EASO – European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautenführung; Waisenhäuser), https://www.ecoi.net/en/file/local/1154982/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , Zugriff 24.2.2021
Human Rights Center 'Memorial'; OVD-Info; Stichting Justice Initiative; et al. (Autor), veröffentlicht von UN Human Rights Committee (6.2020): Russia’s Compliance with the International Covenant on Civil and Political Rights; Suggested List of Issues; Submitted for the consideration of the 8th periodic report by the Russian Federation for the 129th Session of the Human Rights Committee, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/RUS/INT_CCPR_ICO_RUS_42488_E.pdf , Zugriff 9.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.10.2021
openDemocracy (7.8.2020): After a Chechen woman died, a journalist was targeted with death threats. Here’s why, https://www.opendemocracy.net/en/odr/after-a-chechen-woman-died-a-journalist-was-targeted-with-death-threats-heres-why/ , Zugriff 30.3.2021
The Guardian (2.3.2019): 'We aren't dangerous': Why Chechnya has welcomed women who joined Isis, https://www.theguardian.com/world/2019/mar/02/we-arent-dangerous-why-chechnya-has-welcomed-women-who-joined-isis , Zugriff 19.2.2021
Welt.de (14.2.2017): Immer ein echter Mann zu sein – das ist eine Last, https://www.welt.de/politik/ausland/article161562501/Immer-ein-echter-Mann-zu-sein-das-ist-eine-Last.html , Zugriff 19.2.2021
KINDER
Letzte Änderung: 16.11.2021
Russland hat die UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 1990 ratifiziert und deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001) (AA 21.5.2021; vgl. UNTC 25.10.2021). 2014 verabschiedete die russische Regierung die Grundlagen der staatlichen Jugendpolitik der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025. Die Föderale Agentur für Jugendangelegenheiten (Rosmolodesch) ist seit 2018 direkt der Regierung unterstellt und besitzt einen Jahresetat von ca. 8 Milliarden Rubel [ca. 8 Mio. Euro] (FES 2020).
Landesweit existiert kein Gesetz zu Kindesmissbrauch, aber Mord, Vergewaltigung sowie Körperverletzung sind gesetzlich strafbar. Verboten sind kommerzielle sexuelle Ausbeutung, Kinderprostitution sowie die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie. Gesetzlich verboten ist der Besitz von Kinderpornografie nur dann, wenn eine Absicht der Verbreitung besteht. Die Gesetze werden von Behörden im Allgemeinen umgesetzt. Einige Kinder sind gewerblicher sexueller Ausbeutung ausgesetzt (US DOS 30.3.2021). Gemäß Berichten kommt es vor, dass russische Kinder, darunter obdachlose Kinder, Opfer von Sexhandel in Russland und in anderen Ländern werden. Auch kommt es vor, dass Minderjährige in staatlichen Waisenheimen von Menschenhändlern in folgende Bereiche gelockt werden: Zwangsbettelei, Zwangskriminalität, Kinderpornografie, Sexhandel sowie Verwendung Minderjähriger durch bewaffnete Gruppierungen im Nahen Osten (US DOS 1.7.2021). Gewalt gegen Kinder ist ziemlich weit verbreitet (US DOS 30.3.2021). Körperliche Züchtigung von Kindern zu Hause ist gesetzlich zugelassen. Körperliche Züchtigung von Kindern in Schulen und als Disziplinarmaßnahme in Strafanstalten ist nicht ausdrücklich verboten. Ungesetzlich ist körperliche Züchtigung als Strafmaßnahme im Zusammenhang mit Straftaten (GI 7.2020). Es gibt in Russland gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen zur Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt. Das Zentrum ANNA etwa koordiniert ein informelles Netzwerk von Organisationen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Kinder (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AC o.D.). Es gibt kein System zur Prävention gegen häusliche Gewalt und nur sehr wenige Einrichtungen, wo Frauen mit Kindern vorübergehend Zuflucht suchen können (AA 21.5.2021; vgl. Humanium o.D.). Die Notwendigkeit der Eindämmung von Kinderprostitution, Kinderhandel, Kinderpornografie und Gewalt gegen Kinder wird in der Öffentlichkeit zunehmend thematisiert (AA 21.5.2021). Die medizinische Versorgung für Kinder ist sehr angespannt. Es fehlen unter anderem Physiotherapeuten und Psychologen (AA 21.5.2021). Die Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren beträgt 5,8 pro 1.000 Lebendgeburten (UNICEF o.D.; vgl. WHI o.D.).
Das gesetzliche Mindestalter für Eheschließungen beträgt für Männer und Frauen 18 Jahre. Unter bestimmten Umständen können lokale Behörden Eheschließungen ab einem Alter von 16 Jahren bewilligen. Mehrere Regionen erlauben Eheschließungen ab einem Alter von 14 Jahren, wenn beispielsweise eine Schwangerschaft vorliegt oder ein Kind geboren wurde (US DOS 30.3.2021).
Bildung ist kostenlos. Es herrscht Schulpflicht bis zur 11. Schulstufe. Dennoch verweigern Regionalbehörden häufig den Schulbesuch für Kinder von Personen, welche keine örtliche Wohnsitzregistrierung aufweisen (darunter Roma). Roma-Kinder werden in Schulen, deren Qualitätsstandards niedrig sind, abgesondert. HIV-infizierte Kinder sind Diskriminierung im Bildungsbereich ausgesetzt (US DOS 30.3.2021). Der Zugang zu (inklusiver) Bildung gestaltet sich - trotz bestehender gesetzlicher Regelungen - für viele beeinträchtigte Kinder schwierig. Diesbezüglich fehlt beispielsweise ausgebildetes Personal an den Schulen (US DOS 30.3.2021; vgl. Humanium o.D.). Seit 2019 läuft das sogenannte Nationale Projekt Bildung, welchem 784,5 Milliarden Rubel [ca. 9,7 Milliarden Euro] zur Verfügung stehen, um Schulen zu sanieren und zu modernisieren, Lehrpläne zu aktualisieren, Fachpersonal zu schulen und die Schulverwaltung umzustrukturieren und fortzubilden (Russland-Analysen 21.2.2020b).
14-Jährige dürfen unter bestimmten Bedingungen und mit Erlaubnis der Eltern oder des Vormunds einer Arbeit nachgehen. Kindern unter 18 Jahren ist eine berufliche Beschäftigung in bestimmten Bereichen nicht gestattet, z.B. Arbeiten unter Tag und Sektoren, welche die moralische und gesundheitliche Entwicklung von Kindern gefährden. Gesetzliche Vorgaben werden von der Regierung effektiv umgesetzt, obwohl das Strafausmaß zu milde ist. Kinderarbeit kommt selten vor (US DOS 30.3.2021).
Es gibt staatliche Einrichtungen für Kinder mit Beeinträchtigungen, innerhalb derer sie leben können und kostenlose medizinische Behandlung erhalten (ÖB Moskau 6.2021). Es existieren Berichte über Vernachlässigung, körperlichen, sexuellen und psychologischen Missbrauch von Kindern, welche in staatlichen Institutionen untergebracht sind. Besonders vulnerabel sind Kinder mit Beeinträchtigungen (US DOS 30.3.2021). Beeinträchtigte Kinder erfahren keine Gleichberechtigung, und es existieren zu wenige Unterbringungsmöglichkeiten und Infrastruktur (Humanium o.D.).
2009 wurde das Amt eines Kinderrechtsbeauftragten geschaffen (KRB o.D.a). Kinderrechtsbeauftragte werden vom Staatspräsidenten für eine Amtsperiode von fünf Jahren ernannt. Der Staatspräsident ist berechtigt, Kinderrechtsbeauftragte vorzeitig zu entlassen. Zu den Aufgaben von Kinderrechtsbeauftragten, welche dem Staatspräsidenten gegenüber rechenschaftspflichtig sind, zählt beispielsweise die Bearbeitung von Beschwerden (KRB 27.12.2018). Die Kinderrechtsbeauftragte hat ab Dezember 2020 jährlich einen Tätigkeitsbericht und Bericht über die Lage der Kinder in allen Regionen vorzulegen (AA 21.5.2021; vgl. KRB 27.12.2018).
Gemäß dem von der NGO Humanium erstellten Index bestehen in Russland wahrnehmbare Probleme bei der Realisierung von Kinderrechten (orange Stufe bzw. 7,84 von 10 maximal erreichbaren Punkten) (Humanium o.D.).
Nordkaukasus:
Gemäß dem russischen Ministerpräsidenten ist die Kindersterblichkeit im Nordkaukasus um 29% höher als im russischen Durchschnitt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. Government.ru 15.6.2021), und es gibt nicht genügend Schulen (Government.ru 15.6.2021). Im Nordkaukasus sind mancherorts Mädchen Zwangs- bzw. Kinderheiraten ausgesetzt (US DOS 30.3.2021). Regionen in Russland haben eigene Kinderrechtsbeauftragte. Seit 2014 wird dieses Amt in Tschetschenien von Chirachmatow Chamsat Asurin-Basiriewitsch bekleidet (KRB o.D.b). Die derzeitige Kinderrechtsbeauftragte für Dagestan ist Eschowa Marina Jurewna (KRB o.D.c.).
[Anmerkung der Staatendokumentation:] Weitere Informationen zum Thema Minderjährige sind folgenden Kapiteln zu entnehmen: Relevante Bevölkerungsgruppen/Scheidung und Obsorge, Grundversorgung/Sozialbeihilfen und Rückkehr.
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053304/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_21.05.2021.pdf , Zugriff 25.10.2021
AC – Anna Center (o.D.): Центр "АННА" [Zentrum "ANNA"], https://www.anna-center.ru/ , Zugriff 25.10.2021
FES – Friedrich-Ebert-Stiftung / Pavel Chikov (2020): Jugend und Menschenrechte in Russland: Ein Verhältnis mit Widersprüchen, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/moskau/16507.pdf , Zugriff 25.10.2021
GI – Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children (7.2020): Corporal punishment of children in the Russian Federation, http://www.endcorporalpunishment.org/wp-content/uploads/country-reports/RussianFederation.pdf , Zugriff 25.10.2021
Government.ru – Webseite der Regierung [Russland] (15.6.2021): Совещание с членами Правительственной комиссии по вопросам социально-экономического развития Северо-Кавказского федерального округа [Sitzung mit Mitgliedern der Regierungskommission in Fragen der sozial-ökonomischen Entwicklung des nordkaukasischen Föderalkreises], http://government.ru/news/42494/ , Zugriff 25.10.2021
Humanium (o.D.): Kinder in Russland: Die Verwirklichung der Kinderrechte in Russland, https://www.humanium.org/de/russland/ , Zugriff 25.10.2021
KRB – Kinderrechtsbeauftragte beim Staatspräsidenten [Russische Föderation] (27.12.2018): Федеральный закон: Об уполномоченных по правам ребенка в Российской Федерации (Nr. 501-ФЗ) [Föderales Gesetz: Über Kinderrechtsbeauftragte in der Russischen Föderation], http://deti.gov.ru/detigray/upload/documents/January2019/amRfIOZ71CtFW0jcp7UI.pdf , Zugriff 25.10.2021
KRB – Kinderrechtsbeauftragte beim Staatspräsidenten [Russische Föderation] (o.D.a): 10 лет Институту [Institution ist 10 Jahre alt], http://deti.gov.ru/pages/history , Zugriff 25.10.2021
KRB – Kinderrechtsbeauftragter in Tschetschenien [Russische Föderation] (o.D.b): Уполномоченный [Beauftragter], http://deti.gov.ru/region/chechen/bio , Zugriff 25.10.2021
KRB – Kinderrechtsbeauftragte beim Republiksoberhaupt Dagestans [Russische Föderation] (o.D.c.): Уполномоченный [Beauftragte], http://deti.gov.ru/region/dagestan/bio , Zugriff 25.10.2021
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
Russland-Analysen (Nr. 382) / Theresa Hornke (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 25.10.2021
UNICEF – United Nations Children’s Fund (o.D.): Country profiles: Russian Federation, https://data.unicef.org/country/rus/ , Zugriff 25.10.2021
UNTC – United Nations Treaty Collection (25.10.2021): Convention on the Rights of the Child, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-11&chapter=4&clang=_en , Zugriff 25.10.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2055127.html , Zugriff 25.10.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048103.html , Zugriff 22.10.2021
WHI – Welthunger-Index (o.D.): Russische Föderation, https://www.globalhunge rindex.org/de/russia.html, Zugriff 25.10.2021
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 16.11.2021
In der Russischen Föderation herrscht laut Gesetz Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 11.3.2020). In einigen Fällen schränkten die Behörden diese Rechte jedoch ein. Die meisten Russen können jederzeit ins Ausland reisen, aber ca. vier Millionen Mitarbeiter des Militär- und Sicherheitsdiensts wurden nach den im Jahr 2014 erlassenen Regeln vom Auslandsreiseverkehr ausgeschlossen (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021).
Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestanern etc.], das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes und auf Aufenthalt in der Russischen Föderation zu (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Wer zur Miete wohnt, benötigt eine Bescheinigung seines Vermieters und wird damit vorläufig registriert. In diesen Fällen erfolgt keine Eintragung in den Inlandspass (AA 2.2.2021). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung vor allem von ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein [bez. Registrierung vgl. Kapitel Meldewesen] (FH 3.3.2021).
Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen; 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 2.2.2021; vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017).
Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 2.2.2021). Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihren Inlandsreisepass mit sich führen (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018; vgl. FH 3.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 6.4.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 6.4.2021
ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against Extremism in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 6.4.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 6.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 6.4.2021
MELDEWESEN
Letzte Änderung: 16.11.2021
Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 8.2018; vgl. AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde, wo eine Person wohnt, und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015; vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen Gosuslugi oder per E-Mail (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung, etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren, braucht man einen Pass, einen Antrag auf Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse aus beantragt werden. Auch die Beendigung einer Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).
Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung vorgenommen werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tage dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag auf temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).
Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe (Arbeitslosengeld, Pension, etc.) und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12.2011; vgl. ÖB Moskau 6.2021).
Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung aber auch für Tschetschenen kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015; vgl. EASO 8.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 6.4.2021
ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against Extremism in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 6.4.2021
BAA Staatendokumentation [Österreich] (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation – Republik Tschetschenien
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 6.4.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 6.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 6.4.2021
Grundversorgung
Letzte Änderung: 10.06.2021
2019 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49% (WKO 4.2021). Die Arbeitslosigkeit befindet sich im Landesdurchschnitt auf einem moderaten Niveau (GIZ 1.2021b) und wird für das Jahr 2021 auf 5,2% prognostiziert (Statista 19.10.2020). Sie kann regional jedoch stark abweichen. Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2019). Das BIP lag 2020 bei ca. 1.474 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht einem Rückgang um ca. 3%(WKO 4.2021).
Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der weltweiten Gasreserven (25,2%), circa 6,3% der weltweiten Ölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 70% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2020 den 94. Platz [2019 Platz 98] unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen. Die Erhöhung des allgemeinen Satzes der Mehrwertsteuer von 18% auf 20% am Jahresanfang 2019 belastete die Verbrauchernachfrage. Das Wirtschaftsministerium prognostiziert für das Wirtschaftswachstum 2021 nur ein Plus von 2,8%. Langfristig befürchten Ökonomen und Behörden ein Erlahmen der Konjunktur, wenn strukturelle Reformen ausbleiben. Diese seien wegen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung und der starken Abhängigkeit Russlands vom Öl- und Gasexport erforderlich (GIZ 1.2021b).
Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen. Staatliche Hilfe können Menschen mit Beeinträchtigungen, Senioren und Kinder unter drei Jahren erwarten. Fast 14% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum von derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €] entspricht. Die russische Akademie der Wissenschaften veranschlagt das tatsächliche erforderliche Existenzminimum dagegen bei 33.000 Rubel [ca. 366 €]. Vollbeschäftigte erhalten den Mindestlohn (derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €]), der jährlich zum 1.1. auf die Höhe des Existenzminimums im 2. Quartal des Vorjahres angehoben wird. Für Einkommen unter dem Existenzminimum besteht die Möglichkeit der Aufstockung bis zur Höhe des Existenzminimums. Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit sechs Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20% für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21,6%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Auch Migranten verdienen oft nur den Mindestlohn (AA 2.2.2021).
Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern, vor allem Großfamilien, Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren, wie beispielsweise Moskau oder St. Petersburg, ist die offizielle Armutsquote nur halb so hoch wie im Landesdurchschnitt (knapp 14%), wohingegen beispielsweise in Regionen des Nordkaukasus jeder fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen muss. Auch ist prinzipiell die Armutsgefährdung am Land höher als in den Städten. Die soziale Absicherung ist über Pensionen, monatliche Geldleistungen für bestimmte Personengruppen (beispielsweise Kriegsveteranen, Menschen mit Beeinträchtigungen, Veteranen der Arbeit) und Mutterschaftsbeihilfen organisiert [bitte vergleichen Sie hierzu Kapitel Sozialbeihilfen] (Russland Analysen 21.2.2020a).
Die EU hat die Verlängerung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes bis Ende Juli 2021 beschlossen (Presse.com 10.12.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 18.2.2021
IOM – International Organisation for Migration (2019): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_%2D_Country_Fact_Sheet_2019%2C_deutsch.pdf?nodeid=21860150&vernum=-2 , Zugriff 18.2.2021
Presse.com (10.12.2020): EU verlängerte Wirtschaftssanktionen gegen Russland, https://www.diepresse.com/5909916/eu-verlangerte-wirtschaftssanktionen-gegen-russland , Zugriff 18.2.2021
Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020
Statista (19.10.2020): Russland: Arbeitslosenquote von 1992 bis 2019 und Prognosen bis 2025, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/17339/umfrage/arbeitslosenquote-in-russland/ , Zugriff 21.4.2021
WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (4.2021): Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf?_gl=1 *2opol5*_ga*MTMwODMzNzE3OC4xNjE4OTg5NzU3*_ga_4YHGVSN5S4*MTYxODk4OTc1Ni4xLjEuMTYxODk4OTc1OS41Nw.., Zugriff 21.4.2021
NORDKAUKASUS
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 1.2021a). Die Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus ist laut Experten unter den höchsten in Russland. Bei einer Sitzung zur Entwicklung des Nordkaukasus im Juni 2021 bezeichnete Ministerpräsident Mischustin die Situation als nicht einfach (ÖB Moskau 6.2021). Trotzdem ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben (AA 2.2.2021).
Der monatliche Durchschnittslohn lag in Tschetschenien mit September 2020 bei 23.783 Rubel [ca. 264 €], landesweit bei 49.516 Rubel [ca. 550 €] (Rosstat 19.11.2020). Die durchschnittliche Pensionshöhe lag in Tschetschenien im Februar 2021 bei 13.484 Rubel [ca. 150 €] (Chechenstat 2021), landesweit im ersten Quartal 2020 bei 14.924 Rubel [ca. 166 €] (GKS.ru 7.5.2020). Das durchschnittliche Existenzminimum für das vierte Quartal 2020 lag in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 11.572 Rubel [ca. 129 €], für Pensionisten bei 9.196 Rubel [ca. 102 €] und für Kinder bei 11.294 Rubel [ca. 125 €] (Chechenstat 2021). Landesweit liegt das durchschnittliche Existenzminimum für das Jahr 2021 für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 12.702 Rubel [ca. 141 €], für Pensionisten bei 10.022 Rubel [ca. 111 €] und für Kinder bei 11.303 Rubel [ca. 126 €] (RIA Nowosti 9.1.2021).Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 6.4.2021
Chechenstat [Tschetschenien] (2021): Оперативные показатели (Operative Indikatoren), https://chechenstat.gks.ru/ , Zugriff 6.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 6.4.2021
GKS.ru [Russische Föderation] (7.5.2020): Динамика среднего размера назначенных пенсий (Dynamik der durchschnittlichen Größe der zugewiesenen Pensionen), https://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/urov/doc3-1-1.htm , Zugriff 6.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 12.10.2021
RIA Nowosti (9.1.2021): Прожиточный минимум в России в 2021 году составит 11 653 рубля (Existenzminimum in Russland im Jahr 2021 wird 11 653 Rubel betragen), https://ria.ru/20210109/minimum-1592375522.html , Zugriff 6.4.2021
Rosstat [Russische Föderation] (19.11.2020): Квартальная оценка среднемесячной начисленной заработной платы наёмных работников в организациях, у индивидуальных предпринимателей и физических лиц (Vierteljährliche Schätzung des durchschnittlichen Monatslohns), https://rosstat.gov.ru/storage/mediabank/jI7yx5Pa/ozenka-zar.htm , Zugriff 6.4.2021
SOZIALBEIHILFEN
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Dieses bietet bedürftigen Personen Hilfe an (IOM 2020). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 1.2021c).
Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 1.2021c).
Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 2.2.2021).
Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht notwendig. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2020). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 2.2.2021).
Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie ältere Menschen (IOM 2020). Das von EASO betriebene europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:
Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);
Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);
Familien mit geringem Einkommen;
Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).
Familienbeihilfe
Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2020). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.2.2020a).
Mutterschaft
Mutterschaftsurlaub kann für bis zu 140 Tage bei vollem Gehaltsbezug beantragt werden (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann der Urlaub auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns - bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden-Vollzeitjob. Der Mindestbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei 9.489 Rubel (ca. 130 €) und der Maximalbetrag bei 61.327 Rubel (ca. 840 €) (IOM 2020). Weiters gibt es landesweite Pauschalzahlungen für die Geburt und die medizinische Registrierung vor der 12. Schwangerschaftswoche und seit 2020 Lohnersatzzahlungen von 40% in den ersten drei Jahren der Elternzeit. Mütter haben auch Anspruch auf zwei zusätzliche bezahlte Urlaubstage bis zum 14. Lebensjahr des Kindes. Bezüglich Betreuungseinrichtungen von Kindern ist zu sagen, dass die Gebühren dafür niedrig sind und hohe Vergünstigungen bei zunehmender Kinderanzahl bieten. Obwohl das Angebot von Betreuungseinrichtungen regional variiert, gibt es im Allgemeinen ein breites Versorgungsnetz (Russland Analysen 21.2.2020b).
Mutterschaftskapital
Zu den wichtigen sozialen Unterstützungsleistungen zählt das Mutterschaftskapital (ÖB Moskau 6.2021). Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich (RBTH 22.4.2017). Es wurde eingeführt, um Eltern finanziell zu unterstützen und dadurch die Geburtenrate in Russland zu erhöhen. Die Einmalzahlung wird Familien (grundsätzlich der Mutter) für jedes (seit 2020 auch das erste) zur Welt gebrachte oder adoptierte Kind gewährt (2021: 483.881,83 Rubel (über 5.000 Euro) für das erste Kind, 639.431,83 Rubel (ca. 7.000 Euro) für das zweite und jedes weitere Kind) (ÖB Moskau 6.2021). Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt, und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil dies zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Die Höhe des Mutterschaftskapitals entspricht etwa einem durchschnittlichen Jahresgehalt, und bisher profitierten über fünf Millionen Familien davon. Das Mutterschaftskapital soll laut Putin bis Ende 2026 fortgeführt werden (Russland Analysen 21.2.2020a). Das Mutterschaftskapital muss nicht versteuert werden und ist status- und einkommensunabhängig (Russland Analysen 21.2.2020b).
Behinderung
Arbeitnehmer mit einem Invalidenstatus haben das Recht auf eine Invaliditätspension. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Die Invaliditätspension wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters (IOM 2020). Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension beeinträchtigter Menschen bei 9.823 Rubel [ca. 109 €]. Menschen mit Beeinträchtigungen können eine Pension in Höhe von bis zu 14.093 Rubel [ca. 156 €] monatlich erhalten (AA 2.2.2021). Die Höhe der monatlichen Invaliditätspension ist abhängig vom Invaliditätsgrad. Es gibt staatliche Einrichtungen für ältere und behinderte Menschen (Erwachsene und Kinder), innerhalb derer sie leben können und kostenlose medizinische Behandlung erhalten. Die staatlichen Sozialzentren und Unterkünfte des Ministeriums für Arbeit und Sozialen Schutz gibt es für Erwachsene und für Kinder (ÖB Moskau 6.2021).
Arbeitslosenunterstützung
Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollte dies nicht möglich sein, wird der Person ein Arbeitlosenstatus zuerkannt. Mit diesem erhält die Person monatlich eine Unterstützung. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert (IOM 2020). Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 11.280 Rubel (ca. 141 €) (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Außerdem darf die Person nicht in eine andere Region ziehen. Sollte die Person Fortbildungen zur Selbstständigkeit besuchen oder eine Rente beziehen, ist die Person von diesen Vorteilen ausgeschlossen. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2020).
Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen
Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Personen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca. 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 18.2.2021
IOM – International Organisation for Migration (2020): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/-/Russische_F%C3%B6deration_%2D_Country_Fact_Sheets_2020%2C_Deutsch.pdf?nodeid=22619450&vernum=-2 , Zugriff 14.10.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 14.10.2021
RBTH – Russia beyond the Headlines (22.4.2017): Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-steuerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff 18.3.2020
Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020
Russland Analysen/ Hornke, Theresa (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 16.11.2021
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert (GIZ 1.2021c; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land [bitte vergleichen Sie hierzu die Kapitel zu Bewegungsfreiheit, insbesondere Meldewesen]. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß dem 'Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung' garantierten Umfang (ÖB Moskau 6.2021). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der 'Nationalen Projekte', die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 1.2021c).
Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Alle russischen Staatsbürger, egal ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht, sind von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 6.2021). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese muss bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden (IOM 2020). An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung – Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2020). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt. Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden (ÖB Moskau 6.2021).
Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Vorsorge, Diagnose und ambulante sowie stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018; vgl. Ostexperte 22.9.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 1.2021c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 1.2021c; vgl. AA 2.2.2021). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 6.2021).
Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Einrichtung und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken geleistet wird, haben Personen das Recht, die medizinische Einrichtung nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Dies bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem 'zuständigen' Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem 'zuständigen' Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Einrichtung durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 6.2021).
Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 6.2021). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Auch Leistungen, die vom Staat für eine bestimmte Personengruppe, wie z.B. Personen mit Beeinträchtigungen, bestimmt wurden, sind gedeckt. Eine kostenfreie 24-Stunden-Versorgung steht allen Patienten im OMS-System zu (IOM 2020). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann. Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben, weshalb die Zustände in manchen Krankenhäusern schlecht sind, medizinische Ausrüstungen veraltet und die Ärzte überlastet und unterbezahlt. Probleme gibt es deshalb mitunter bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten in der Russischen Föderation, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 6.2021). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Die Wege zu einer medizinischen Einrichtung auf dem Land können mehrere Hundert Kilometer betragen. Hauptprobleme stellen jedoch die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und die damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen dar. Sie führen zu einem großen Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können sogar mehrere Monate betragen. In vielen Regionen wie bspw. Tschetschenien wurden moderne Krankenhäuser und Behandlungszentren aufgebaut. Ihr Betrieb ist jedoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal oft erschwert (AA 2.2.2021).
Durch jüngste Reformen und Gesetze erfolgte eine Minderung der Dominanz staatlicher Anbieter sozialer Dienstleistungen. Die Anzahl nicht-staatlicher Träger, wie z.B. NGOs, nimmt tendenziell zu, wobei in den einzelnen Regionen unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen sind. So werden in einigen Regionen Sozialleistungen fast ausschließlich von staatlichen Trägern übernommen, in anderen agieren vermehrt auch nicht-staatliche Einrichtungen in diesem Bereich (ÖB Moskau 6.2021).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen) (DIS 1.2015).
Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung im Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
GTAI – German Trade and Invest (27.11.2018): Russlands Privatkliniken glänzen mit hohem Wachstum, https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche ,t=russlands-privatkliniken-glaenzen-mit-hohem-wachstum,did=2183416.html, Zugriff 17.2.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 17.2.2021
IOM – International Organisation of Migration (2020): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/-/Russische_F%C3%B6deration_%2D_Country_Fact_Sheets_2020%2C_Deutsch.pdf?nodeid=22619450&vernum=-2 , Zugriff 14.10.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 14.10.2021
Ostexperte.de (22.9.2017): Privatkliniken in Russland immer beliebter, https://ostexperte.de/russland-privatkliniken/ , Zugriff 17.2.2021
TSCHETSCHENIEN
Letzte Änderung: 10.06.2021
Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung, inklusive Notfall- und spezialisierter Gesundheitsversorgung, zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird die multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele vor nicht allzu langer Zeit erbaut wurden (DIS 1.2015).
Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, Schwangere und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos abgegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung), sind:
infektiöse und parasitäre Krankheiten
Tumore
endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
Krankheiten des Nervensystems
Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde
Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes
Krankheiten des Kreislaufsystems
Krankheiten des Atmungssystems
Krankheiten des Verdauungssystems
Krankheiten des Urogenitalsystems
Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett
Krankheiten der Haut und der Unterhaut
Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes
Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen
Geburtsfehler und Chromosomenfehler
bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).
Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen, wie Minderjährigen, Studierenden, Arbeitern usw., und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenpflegern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015; vgl. GIZ 1.2021c, AA 2.2.2021). Es gibt dennoch medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes [von hier stammt Ramsan Kadyrow]. In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen günstiger (BDA CFS 31.3.2015).
In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Fachärzten arbeiten, welche aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges höher als in öffentlichen Institutionen, und zwar aufgrund von komfortableren Aufenthalten, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).
Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
BDA – Belgium Desk on Accessibility [EU] (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 18.3.2020
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
GESUNDHEITSEINRICHTUNGEN IN TSCHETSCHENIEN
Letzte Änderung: 10.06.2021
Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:
'Achkhoy-Martan RCH' (regional central hospital), 'Vedenskaya RCH', 'Grozny RCH', 'Staro-Yurt RH' (regional hospital), 'Gudermessky RCH', 'Itum-Kalynskaya RCH', 'Kurchaloevskaja RCH', 'Nadterechnaye RCH', 'Znamenskaya RH', 'Goragorsky RH', 'Naurskaya RCH', 'Nozhai-Yurt RCH', 'Sunzhensk RCH', Urus-Martan RCH', 'Sharoy RH', 'Shatoïski RCH', 'Shali RCH', 'Chiri-Yurt RCH', 'Shelkovskaya RCH', 'Argun municipal hospital N° 1' und 'Gvardeyskaya RH' (BDA CFS 31.3.2015).
Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:
'The Republican hospital of emergency care' (former Regional Central Clinic No. 9), 'Republican Centre of prevention and fight against AIDS', 'The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova', 'Republican Oncological Dispensary', 'Republican Centre of blood transfusion', 'National Centre for medical and psychological rehabilitation of children', 'The Republican Hospital', 'Republican Psychiatric Hospital', 'National Drug Dispensary', 'The Republican Hospital of War Veterans', 'Republican TB Dispensary', 'Clinic of pedodontics', 'National Centre for Preventive Medicine', 'Republican Centre for Infectious Diseases', 'Republican Endocrinology Dispensary', 'National Centre of purulent-septic surgery', 'The Republican dental clinic', 'Republican Dispensary of skin and venereal diseases', 'Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation', 'Psychiatric Hospital ‘Samashki’, 'Psychiatric Hospital ‘Darbanhi’', 'Regional Paediatric Clinic', 'National Centre for Emergency Medicine', 'The Republican Scientific Medical Centre', 'Republican Office for forensic examination', 'National Rehabilitation Centre', 'Medical Centre of Research and Information', 'National Centre for Family Planning', 'Medical Commission for driving licenses' und 'National Paediatric Sanatorium ‘Chishki’' (BDA CFS 31.3.2015).
Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind:
'Clinical Hospital N° 1 Grozny', 'Clinical Hospital for children N° 2 Grozny', 'Clinical Hospital N° 3 Grozny', 'Clinical Hospital N° 4 Grozny', 'Hospital N° 5 Grozny', 'Hospital N° 6 Grozny', 'Hospital N° 7 Grozny', 'Clinical Hospital N° 10 in Grozny', 'Maternity N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 1 in Grozny', 'Polyclinic N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 3 in Grozny', 'Polyclinic N° 4 in Grozny', 'Polyclinic N° 5 in Grozny', 'Polyclinic N° 6 in Grozny', 'Polyclinic N° 7 in Grozny', 'Polyclinic N° 8 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 1', 'Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 5', 'Dental complex in Grozny', 'Dental Clinic N° 1 in Grozny', 'Paediatric Psycho-Neurological Centre', 'Dental Clinic N° 2 in Grozny' und 'Paediatric Dental Clinic of Grozny' (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
DAGESTAN
Letzte Änderung: 10.06.2021
Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Dagestan eine eigene Gesundheitsverwaltung, welche die regionalen Gesundheitseinrichtungen (spezialisierte und zentrale Krankenhäuser, Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfallambulanzen, etc.) umfasst. Auch in Dagestan gibt es sowohl öffentliche als auch private Gesundheitseinrichtungen. Öffentliche Einrichtungen haben keine offiziellen Preislisten ihrer Behandlungen, da prinzipiell Untersuchungen, Behandlungen und Konsultationen kostenfrei sind. Jedoch muss auf die informelle Zuzahlung hingewiesen werden (beispielsweise, um die Wartezeit zu verkürzen). Die Zahlungen sind jedoch geringer als in privaten Institutionen. Die Qualität der Behandlung ist in öffentlichen Einrichtungen nicht schlechter – viele Fachärzte arbeiten sowohl in öffentlichen als auch privaten Einrichtungen. Die Ausstattung und die Geräte sind meist in privaten Einrichtungen besser (BDA CFS 25.3.2016).
Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
BDA – Belgium Desk on Accessibility [EU] (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
BDA – Belgium Desk on Accessibility [EU] (25.3.2016): Accessibility of healthcare: Dagestan, Country Fact Sheet via MedCOI
BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN VON PSYCHISCHEN KRANKHEITEN, Z.B. POSTTRAUMATISCHES BELASTUNGSSYNDROM PTBS/PTSD, DEPRESSIONEN, ETC.
Letzte Änderung: 10.06.2021
Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten (BMA 12248).
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar (BMA 12248). Dies gilt auch für Tschetschenien (BMA 14483). Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (Kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen [EMDR] und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 14271), gibt es in Tschetschenien eine begrenzte Anzahl von Psychiatern, die Psychotherapien wie kognitive Verhaltenstherapie und Narrative Expositionstherapie anbieten (BMA 14483). Diverse Antidepressiva sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 12132, BMA 14483).
Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien psychische Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebenden Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischer Probleme zwischen 700-2.000 Rubel (ca. 8-24€). In diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).
Folgende häufig angefragte Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (v.a. auch in Tschetschenien):
Sertralin (BMA 12132, BMA 14483)
Escitalopran (BMA 12248, BMA 12977)
Paroxetin (BMA 12863, BMA 14483)
Citalopram (BMA 12977)
Fluoxetin (BMA 14483)
Quellen:
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
International SOS via MedCOI (3.4.2019): BMA 12248
International SOS via MedCOI (18.11.2019): BMA 12977
International SOS via MedCOI (12.2.2021): BMA 14483
International SOS via MedCOI (10.3.2020): BMA 12863
International SOS via MedCOI (25.2.2019): BMA 12132
International SOS via MedCOI (14.12.2020): BMA 14271
BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN HIV/AIDS/HEPATITIS/TUBERKULOSE
Letzte Änderung: 16.11.2021
Ein ernstes Problem bleibt die Bekämpfung von HIV/AIDS. Der Anteil der AIDS-Kranken an der Bevölkerung wächst in Russland schneller als im Rest der Welt. Bis zu 1,7% der Bevölkerung sind mit HIV infiziert. Bei den 35–39-Jährigen sind es sogar 3,2%. Die Zahl der Neuinfizierten steigt jährlich um mehr als 100.000. Die Krankheit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine 'Nationale Strategie der AIDS-Bekämpfung' soll die Verbreitung eindämmen. Da jedoch ein korrespondierender Umsetzungsplan fehlt, bleibt die Lage weiterhin außer Kontrolle. Die Kosten der Behandlung werden nur für russische Bürger übernommen. Infizierte Migranten werden nicht behandelt (AA 2.2.2021). HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels bestimmter antiretroviraler Medikamente generell behandelbar (BMA 13876). Dies gilt auch für Tschetschenien (BDA 6757).
Hepatitis ist in der Russischen Föderation generell behandelbar (BMA 12364).
Tuberkulose ist beispielsweise im Central Scientific Research Institute of Tuberculosis in Moskau behandelbar (BMA 13699). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik generell behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Tuberkulose-Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015). In Moskau beispielsweise werden auch die Kosten für die Behandlung der häufig vorkommenden Krankheit Tuberkulose vom Moskauer Forschungs- und Klinikzentrum für Tuberkulosebekämpfung übernommen. Jeder, auch Migranten oder Obdachlose, haben Zugang zu diesen kostenlosen Gesundheitsleistungen (ÖB Moskau 6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 25.2.2021
International SOS via MedCOI (7.8.2020): BMA 13876
International SOS via MedCOI (13.5.2019): BMA 12364
International SOS via MedCOI (19.6.2020): BMA 13699
Belgian Immigration Office (29.6.2018): Question & Answer, BDA 6757
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.10.2021
BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN NIERENERKRANKUNGEN, DIALYSE, LEBERTRANSPLANTATIONEN, DIABETES
Letzte Änderung: 10.06.2021
Nierenerkrankungen und (Hämo-)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation als auch in Tschetschenien behandelbar bzw. verfügbar (BMA 12506, BDA 31.3.2015). Auch Diabetes ist in der Russischen Föderation behandelbar (BMA 12353). Es werden in Russland auch prinzipiell Transplantationen durchgeführt, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberfunktionstests sind in der RF generell verfügbar, Lebertransplantationen sind in Moskau grundsätzlich verfügbar (AVA 14382). Krankenhäuser haben bestimmte Quoten bezüglich der Behandlungen von Personen (z.B. Lebertransplantation) aus anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (BDA 31.3.2015).
Quellen:
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
International SOS via MedCOI (12.7.2019): BMA 12506
International SOS via MedCOI (8.5.2019): BMA 12353
International SOS via MedCOI (7.1.2021): AVA 14382
Rückkehr
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer am Ort ihres beabsichtigten Wohnsitzes registrieren [vgl. Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen]. Dies gilt generell für alle russischen Staatsangehörigen, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert, und diese Person kann, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 6.2021).
Rückkehrende haben wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen [vgl. Kapitel Sozialbeihilfen] (IOM 2020). Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mithilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB Moskau 6.2021).
Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 6.2021).
Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten noch immer von willkürlichem Vorgehen der Polizei. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (auch ohne Durchsuchungsbefehle) finden bei diesen Personen häufiger statt (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 25.2.2021
IOM – International Organisation for Migration (2020): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/-/Russische_F%C3%B6deration_%2D_Country_Fact_Sheets_2020%2C_Deutsch.pdf?nodeid=22619450&vernum=-2 , Zugriff 21.10.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
Dokumente
Letzte Änderung: 10.06.2021
Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden (AA 13.2.2019). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, wobei die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einen zeitaufwändigen Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte 'Vorladungen' zur Polizei geben (DIS 1.2015).
Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 4.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 1.3.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 10.3.2020
VB - Verbindungsbeamter für die Russische Föderation [Österreich] (4.3.2021): Auskunft per E-Mail
2. Beweiswürdigung:
a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer:
Die Identität von P1 steht fest, nachdem dieser bereits beim Bundesamt für Fremdenwesen seinen russischen Führerschein im Original in Vorlage brachte. Die Identitäten von P2 bis P5 können jedoch, mangels Vorlage von russischen Identitätsdokumenten mit Lichtbild im Original, nicht festgestellt werden. Eheschließungsurkunden oder Geburtsurkunden stellen mangels Foto keine Identitätsnachweise dar. Die Vorlag der Kopien der russischer Inlandspässe bzw. einzelner Seiten der russischen Auslandsreisepässe von P2 und P3 können – da Kopien nicht auf die Echtheit überprüfbar sind - die Vorlage von Originaldokumenten nicht ersetzen, weshalb auf Grund von Kopien keine Identitätsfeststellungen getroffen werden können.
Dass P1 und P2 die Eltern von P3 bis P5, alle Beschwerdeführer Staatsangehörige der Russischen Föderation sind, der Volksgruppe der Kumyken angehören, moslemischen Glaubens sind und Kumykisch sowie Russisch beherrschen wurde auf Grund der diesbezüglich gleichbleibenden Angaben im Lauf der Verfahren glaubhaft gemacht. Die mangelhaften Deutschkenntnisse von P1 und P2 zeigten sich ebenso in der Beschwerdeverhandlung am 23.08.2021, wie die sehr guten von P3 (ausführlicher dazu: 2. Beweiswürdigung e zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat sowie 3. Rechtliche Beurteilung zu A zu den Spruchpunkten III. 2. Satz der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4 sowie Spruchpunkt IV. des Bescheides von P5).
b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:
Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensverlauf ergeben sich aus den Akten des Bundesasylamtes, des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Bundesverwaltungsgerichts; für eine detailliertere Darstellung siehe I. Verfahrensgang.
c) Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von P1 bis P4:
Die Gründe für die Unglaubwürdigkeit der behaupteten Asylgründe und die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen von P1 bis P4 ergeben sich aus den Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahlen XXXX Begründet wurden der Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der damaligen Lage in Dagestan in Verbindung mit XXXX „…Insgesamt betrachtet zeigen sich derart gravierende Widersprüche und Ungereimtheiten im Vorbringen des Asylwerbers, sodass keinesfalls hier von einem tatsächlich erlebten Sachverhalt auszugehen ist. Vielmehr zeigte sich in eindeutiger Weise, dass das Vorbringen des Asylwerbers zu einer konkreten Bedrohungssituation nicht den Tatsachen entspricht. […] Umstände, die individuell und konkret den Asylwerber betreffen und auf eine konkrete Verfolgung des Asylwerbers hindeuten könnten, konnten nicht festgestellt werden. Demzufolge ergibt sich aus dem Vorbringen des Asylwerbers keine asylrelevante Verfolgungsgefahr. […] Wie bereits oben ausgeführt, gelang es dem Asylwerber nicht, eine Verfolgung im Sinne der GFK darzutun, sodass die Anwendbarkeit des § 50 Abs. 2 FPG von vornherein ausscheidet. Zu prüfen bleibt, ob es im vorliegenden Fall begründete Anhaltspunkte dafür gibt, der Berufungswerber liefe Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. […] Derartige Anhaltspunkte sind in der allgemeinen Lage in Dagestan zu sehen, insbesondere was die XXXX von Personen betrifft. Insbesondere ergibt sich aus den Feststellungen zur allgemeinen Situation in Dagestan, dass die Grundversorgung weiterhin äußerst mangelhaft ist, sodass unter Berücksichtigung der Umstände, dass der Berufungswerber für zwei minderjährige Kinder sorgepflichtig ist und er XXXX XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Berufungswerber im Falle einer Rückkehr in eine aussichtslose Lage geriete. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers in die Russische Föderation ist daher nicht zulässig.“
Bereits in den rechtskräftigen Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates wurde festgestellt, dass die Angaben von P1 zu einer angeblichen Bedrohungssituation in Dagestan frei erfunden waren. Dazu passt auch zu dem Umstand, dass P1 bis P4, von sich, aus XXXX freiwillig nach Dagestan zurückkehrten, jahrelang dort lebten, bis Mai 2016 die kranke Mutter von P1 pflegten und P3 bis P5 problemlos Kindergarten und Schule besuchen konnten; was bei einer tatsächlich bestehenden Gefährdungslage wohl nicht der Fall gewesen wäre.
Dass nicht festgestellt werden kann, dass im August 2016 vier unbekannte Männer ins Haus von P1 und P2 kamen, P1 aus unbekannten Gründen zusammenschlugen und P2 drohten in Zukunft zurückzukehren um sie zu vergewaltigen, ergibt sich aus den extrem vagen Angaben von P1 und P2. Dazu kommt, dass P1 nichts dabei fand, bereits in seinen ersten beiden Asylverfahren bewusst unwahre Angaben zu angeblichen Problemen in Dagestan machen, was gegen seine persönliche Glaubwürdigkeit spricht. Würde dieses Vorbringen der Wahrheit entsprechen, hätte P1 wohl bereits beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und nicht erst in der Beschwerdeverhandlung angegeben, dass die vier Unbekannten auch noch maskiert waren und in Uniformen trugen. Diese Steigerung im Vorbringen passt auch nicht zur Behauptung von P1, er habe den Vorfall bei der Polizei angezeigt und sei deswegen zehn Tage danach bedroht worden bzw. hätten ihn dieselben Männer deswegen später auch noch mit telefonischen Drohungen in Tschetschenien sowie Inguschetien verfolgt. Vielmehr stellt sich die Frage, welches Interesse vier unbekannte, Maskierte daran haben sollten, P1 zu drohen bzw. mit Drohungen auch noch in Tschetschenien und Inguschetien zu verfolgen, wenn dieser doch in einer Anzeige keinerlei verfolgungsrelevanten Angaben zum Aussehen oder der Motivation der verhüllten Unbekannten machen kann. Da P1 und P2 ihr Vorbringen auch in der Beschwerdeverhandlung nicht plausibel erklären konnten, ist das Bundesverwaltungsgericht davon überzeugt, dass dieses frei erfunden ist.
Weiters hat sich die Sicherheitslage im gesamten Nordkaukasus, somit auch in Dagestan, in den letzten Jahren bzw. seit der Rückkehr der Familie XXXX verbessert hat. Aus den Länderfeststellungen geht zusammengefasst hervor, dass Dagestan mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig ist. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus und hinsichtlich persönlicher Freiheiten bessergestellt als Tschetschenien. Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Auch die Menschenrechtslage in Dagestan ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien, obwohl auch dort – allerdings wegen der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds - zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen. Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich jedenfalls verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist. In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben. Ein Risikomoment für die volatile Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Trotzdem wird sowohl in Tschetschenien als auch in Dagestan immer wieder von bewaffneten Übergriffen berichtet. Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden. Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter. Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehörten bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen (siehe Feststellungen g zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer, politische Lage, Dagestan; Sicherheitslage, Nordkaukasus). P1 ist und war nie Islamist oder Widerstandskämpfer und gehöre keine Terrorgruppe an, weshalb er keine gegen ihn gerichteten staatlichen Verfolgung zu erwarten hat. Dafür spricht auch der Umstand, dass nicht nur er im Jahr XXXX bewusst an die russischen Behörden herantraten, um sich ihre russischen Auslandsreisepässe ausstellen zu lassen. Als einfacher Zivilist hat P1, im Gegensatz zu Exekutivangehörigen, zudem auch keine Angriffe bewaffneter Gruppierungen zu erwarten.
Dass in Bezug auf die zum Zeitpunkt der Zuerkennung subsidiären Schutzes am XXXX vorgelegenen Krankheitssituationen und die damals prognostizierten Versorgungsengpässe im Gesundheitsbereich in Dagestan mittlerweile festzustellen ist, dass P1 und P3 nach eigenen Angaben gesund sind bzw. P2, bis auf Probleme mit der XXXX , ebenfalls sowie, dass XXXX ergibt sich aus den Angaben von P1 bis P3 im Lauf der Verfahren und den vorgelegten medizinischen Unterlagen:
ad P1:
P1 wurde 06.04.2017 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt und gab an, er habe XXXX . Er sei seinerzeit in Österreich behandelt worden, auch in Dagestan habe er eine Kontrolle gehabt. Nur im Falle einer Verschlechterung müsste er Medikamente einnehmen. Er leide nicht an psychischen Beeinträchtigungen.
Aus dem am 20.08.2021 zum Gesundheitszustand von P1 vorgelegt Unterlagen (siehe weiter oben I. Verfahrensgang Seite 12) geht hervor, dass laut Kurzbrief der Krankenanstalt XXXX vom XXXX ist. Zwar wurde auch ein psychiatrisch-neurologischem Befund vom XXXX für P1 vorgelegt, mit den Diagnosen: XXXX Allerdings gab P1 XXXX Jahre nach Befunderstellung in der Beschwerdeverhandlung am 23.08.2021 an, gesund zu sein (Verhandlungsschrift Seite 10) und brachte zum Zeichen seiner uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit einen Dienstvertrag vom XXXX sowie einen Arbeitsvorvertrag XXXX in Vorlage.
ad P2:
P2 wurde 06.04.2017 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt und gab an, gesund zu sein. Aus dem am 20.08.2021 zum Gesundheitszustand von P2 und vorgelegten Unterlagen (siehe weiter oben I. Verfahrensgang Seite 12) geht zwar hervor, dass diese laut psychiatrischem Befund vom XXXX , XXXX , allerdings gab P2 XXXX Jahre nach Befunderstellung in der Beschwerdeverhandlung am 23.08.2021, keinerlei psychischen Erkrankung an, sondern nur Probleme mit der XXXX zu haben. P2 konnte jedenfalls sowohl in XXXX als auch in Österreich ( XXXX arbeiten.
ad P3:
P2 wurde 06.04.2017 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt und gab an, dass P3 gesund sei. Der mittlerweile volljährige P3 bestätigte in der Beschwerdeverhandlung am 23.08.2021, dass er gesund und arbeitsfähig ist.
ad P4:
P2 wurde 06.04.2017 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt und gab an, XXXX muss deswegen aber keinerlei Medikamente einnehmen, seine letzte Gesprächstherapie war im XXXX :„…R: Sind Sie und Ihre Kinder gesund?
P2: Die Kinder sind gesund, bis auf den zweiten Sohn (P4), der XXXX . Wenn man die XXXX außeracht lässt, bin ich gesund.
R: Ich bin kein Arzt. Mich interessiert daher nicht, welche Krankheiten Sie hatten und bereits geheilt wurden, sondern ausschließlich Krankheiten, an denen Sie oder Ihr Kind derzeit leiden. Bei wem sind Sie oder Ihr Sohn aktuell weswegen konkret in Behandlung und welche Medikamente nehmen Sie derzeit ein?
P2: Es gibt medizinische Unterlagen von meinem Sohn, dass er zum Arzt geht. Am 09.09. gibt es einen Termin, wegen Corona gibt es diesen Termin erst jetzt. Der Arzt wird sich das anschauen. Wir sind auf der Warteliste wegen einer Therapie.
R: Welche Therapie, zumal Sie da nichts vorgelegt haben?
P2: Ich bin kein Arzt und kann das deswegen nicht erklären XXXX .
R: Laut Bestätigung des Ambulatoriums vom XXXX auf der Warteliste. Welche Therapien hatte er bis dato?
P2: Ich weiß nicht wie das heißt, XXXX Jetzt wegen Corona nicht mehr.
R: Seit wann nicht mehr?
P2: Wie das mit Corona begonnen hat.
R: Seit eineinhalb Jahre?
P2: Als die Coronapandemie begonnen hat, hat er aufgehört.
R: XXXX ?
P2: Ja. Voriges Jahr.
R: Welche Therapien hatte er in Dagestan?
P2: In Dagestan XXXX XXXX …“ (Verhandlungsschrift Seite 23f)
Dass die primäre Versorgung der Russischen Bevölkerung durch ihr eigenes Einkommen erfolgt, Menschen mit Behinderungen jedoch mit staatlichen Hilfen rechnen können ergibt sich aus den aktuellen Länderfeststellungen (siehe 1. Feststellungen g zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer, Sozialbeihilfen), aus denen zusammengefasst hervorgeht, dass XXXX
„…BFA: Hatten Sie in Russland einen XXXX
XXXX
XXXX
XXXX …“ (Verhandlungsschrift Seite 19). XXXX
XXXX Nur der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht von Gesetzes wegen den Grundsätzen der sogenannten „Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit“ verpflichtet ist. Eine derartige Untersuchung hätte weiter Kosten verursacht und es wurde nicht nachvollziehbar begründet, wozu diese im Verfahren benötigt bzw. was konkret damit bewiesen werden sollte, weshalb diesem Antrag nicht stattgegeben wurde.
Dass P1 als XXXX und P2 bis zur Ausreise aus der Russischen Föderation in einer XXXX arbeiteten und damit den Unterhalt für die ganze Familie erwirtschaften konnten, ergibt sich aus ihren Angaben im Lauf der Verfahren. Ebenso, dass P1 bis P3 nie behauptet haben, wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnissen erneut am XXXX nach Österreich gereist zu sein oder in Dagestan an Hunger gelitten zu haben. Dass alle Sozialleistungen der Russischen Föderation (Sozialversicherung, Wohlfahrts- und Rentensystem) allen Bürgern, auch Rückkehrern, offen stehen ergibt sich aus den aktuellen Länderfeststellungen (siehe 1. Feststellungen g zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer, Sozialbeihilfen; Rückkehr).
Zusammengefasst gaben P1 und P3 in der Beschwerdeverhandlung am 23.08.2021 selbst an, gesund und arbeitsfähig zu sein; P2 gab an, bis auf XXXX ebenfalls gesund und arbeitsfähig zu sein; sodass bei P1 bis P3 keine relevanten XXXX vorliegen. XXXX P1 und P2 bezeichnen sich selbst als arbeitsfähig und –willig (siehe Verhandlungsschrift vom 23.08.2021). Der mittlerweile volljährige P3 konnte seine Schulbildung erfolgreich absolvieren und auch die erworbenen Kenntnisse aus seiner Lehre in Österreich werden ihm bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von Nutzen sein. Es besteht nach wie vor ein ausreichendes, unbehelligt in Dagestan lebendes, familiäres Netzwerk, welches nicht nur bereits bei dem Aufenthalt der Familie seit XXXX sondern auch künftig unterstützend und fördernd bei einer weiteren Eingliederung der Familie in den ohnehin bekannten Lebensbereich in Dagestan tägig werden kann, um ein selbständiges Leben aller Familienmitglieder zu ermöglichen. Durch die bereits bis zur Ausreise ausgeübten Tätigkeiten von P1 und P2 ist davon auszugehen, dass diese auch in Zukunft erwerbsmäßig sein können um damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie werden damit wieder ihre Bedürfnisse des täglichen Lebens durch Einkommen aus eigener Erwerbsarbeit stillen können, die Existenzgrundlage der Familie ist somit gesichert. Auch P3 wäre es als gesundem jungen Erwachsenen möglich und zumutbar, ein eigenständiges (Erwerbs-)leben in der Russischen Föderation zu führen.
P1 und P2 konnten in den Jahren vor ihrer Ausreise Einkommen aus eigenem Erwerb erwirtschaften, welches ihnen ein eigen- und selbständiges Leben auf dem gesamten Staatsgebiet der Russischen Föderation ermöglicht; ein entsprechendes Engagement wäre auch dem mittlerweile volljährigen P3 zumutbar. Auch besteht nach den Länderberichten eine grundlegende soziale Absicherung in der Russischen Föderation; das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass diese nicht mit den Leistungen des Österreichischen Sozialstaates zu vergleichen ist. Von einer als unmenschlich oder erniedrigend zu bezeichnenden Lebenssituation im Herkunftsstaat ist jedenfalls nicht auszugehen.
d) Zu den Fluchtgründen von P5:
Die Feststellungen zur problemlosen legalen Ausreise, gemeinsam mit P1 bis P4, aus dem Herkunftsstaat sowie, dass P5 keine Asylgründe hat bzw. nie aus der Russischen Föderation ausreisen hätte müssen, ergeben sich aus den Angaben von P2, als gesetzliche Vertreterin von P5, in der niederschriftlichen Befragung beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 03.12.2018. Dass P5 vor ihrer Ausreise von den russischen Behörden problemlos ein Auslandsreisepass ausgestellt wurde, ergibt sich aus den Angaben von P1 in der Beschwerdeverhandlung am 23.08.2021:
„…P1: Ok. Eine Kopie habe ich im Computer. Mein russischer Auslandsreisepass wurde mir nach meiner Rückkehr ungefähr 2015 oder 2016 in der Russischen Föderation ausgestellt. Meine ganze Familie hat die russischen Auslandsreisepässe bekommen und keiner kann einen vorlegen.… (Verhandlungsschrift Seite 10).
e) Zu einer möglichen Rückkehr von P5 in ihren Herkunftsstaat:
Die Ausführungen der weiter oben getroffenen Beweiswürdigung c zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von P1 bis P4 gelten – soweit sie sich auf die Rückkehr der Familie in die Russische Föderation beziehen - auch für die minderjährige P5, zumal diese gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder P4 nach Dagestan zurückkehren wird. Dass P5 im Herkunftsstaat von Obdachlosigkeit oder existentieller Gefahr betroffen ist, muss nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht befürchtet werden. P1 und P2 konnten auch schon in den Jahren vor ihrer zweiten Ausreise Einkommen aus eigenem Erwerb erwirtschaften, welches ihnen ein eigen- und selbständiges Leben auf dem gesamten Staatsgebiet der Russischen Föderation ermöglicht. Auch besteht nach den unbedenklichen Länderberichten eine grundlegende soziale Absicherung in der Russischen Föderation; das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nach wie vor nicht, dass diese nicht mit den Leistungen des Österreichischen Sozialstaates zu vergleichen ist. Von einer für P5 als unmenschlich oder erniedrigend zu bezeichnenden Lebenssituation in der Russischen Föderation ist jedenfalls nicht auszugehen.
f) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich beruhen auf den Vorbringen in ihren Verfahren, den vorgelegten Unterlagen sowie auf Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Zentrales Fremdenregister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregister) und schriftlichen Stellungnahmen, samt vorgelegten Unterlagen.
Die bei P1 und P2 immer noch mangelhaften Deutschkenntnisse zeigten sich in der Beschwerdeverhandlung am 23.08.2021 :
„…R an D: Bitte ab sofort bitte nicht übersetzten.
R: Sind Sie seit Ihrer Asylantragstellung im Jahr XXXX Jahren aus Österreich ausgereist oder durchgehend in Österreich?
P1 XXXX erste Mal wir kommen nach Österreich. Im Mai Monat und hoffen Asyl.
R: Wann sind Sie nach Österreich zurückgekehrt?
P1: Zurück, im XXXX .
R: In Ihrem rechtskräftigen Asylbescheid vom XXXX ging der Unabhängige Bundesasylsenat, nach Durchführung einer Verhandlung, davon aus, dass Sie aus XXXX stammen, wo Ihre Eltern damals immer noch lebten. Ihre Schwiegermutter und die Geschwister Ihrer Ehegattin P2 lebten damals ebenfalls in Dagestan. Hat sich daran etwas geändert?
P1: Ich verstehe nicht was.
PV: Die Frage war extrem lange.
R: Haben Sie, außer Ihrem aktuellen Titel als subsidiär Schutzberechtigter, noch einen Aufenthaltstitel?
P1: Nein.
R: Geht Ihr jüngerer Sohn zur Schule und falls ja, in welche Klasse?
P1: Sohn jetzt macht Lehre und arbeiten in XXXX . Zweite Sohn jetzt suchen Lehre.
R: Mit wem leben Sie im gemeinsamen Haushalt?
P1: Wie bitte?
R wiederholt die Frage: Mit wem leben Sie im gemeinsamen Haushalt?
P1: Leben Frau, zweiter Sohn und Tochter.
R: Sind Sie von irgendjemandem in Österreich abhängig?
P1: Ich verstehe nicht.
R: Welche Deutschprüfung haben Sie zuletzt bestanden?
P1: Ich mache A2 Prüfung.
R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs und falls ja, welchen?
P1: Ich besuche Deutschkurs. XXXX zu wenig. Pro Woch ein Mal.
R: Sind Sie Mitglied in einem Verein?
P1: Verstehen nicht.
R: Wie bestreiten Sie den Lebensunterhalt für sich und Ihre Familie?
Anmerkung: P1 schüttelt den Kopf.
R: Gehe Sie derzeit einer legalen Arbeit nach?
P1: Arbeiten legal in Firma für Sale 7 Monat.
R: Wie viel verdienen Sie?
Anmerkung: P1 versteht die Frage nicht.
R: Sind Sie in Österreich integriert und falls ja, warum?
Anmerkung: P1 schweigt.
R an D: Bitte ab sofort wieder übersetzten.
Anmerkung: P1 spricht etwas Deutsch und versteht nicht alles.
[…]
R: Welche Deutschprüfung haben Sie zuletzt bestanden?
P1: Die letzte Prüfung war 2010.
R: Welche haben Sie da bestanden?
P1: A2. Die Unterlagen habe ich vorgelegt.
[…]
R an D: Bitte ab sofort bitte nicht übersetzten.
R: Wann konkret sind Sie nach Österreich zurückgekehrt?
P2: Konkret, in XXXX , in XXXX .
R: In Ihrem rechtskräftigen Asylbescheid vom XXXX ging der Unabhängige Bundesasylsenat, nach Durchführung einer Verhandlung, davon aus, dass Sie aus XXXX stammen, wo Ihre Schwiegereltern damals immer noch lebten. Ihre Mutter und Ihre Geschwister lebten damals ebenfalls in Dagestan. Hat sich daran etwas geändert?
P2: Ja.
R: Haben Sie, außer Ihrem aktuellen Titel als subsidiär Schutzberechtigter, noch einen Aufenthaltstitel für Österreich oder die EU?
P2: Nur dieses subsidiär.
R: Welche Schule besucht Ihre Tochter?
P2: Normales Schule.
R: Leben Sie mit XXXX im gemeinsamen Haushalt?
P2: Nein. Er ist umgezogen.
R: Was arbeitet XXXX ?
P2: XXXX jetzt macht Lehre. Er arbeitet in XXXX .
R: Welche Deutschprüfung haben Sie zuletzt bestanden?
P2: Ich? A2.
R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs und falls ja, welchen?
P2: Momentan, das ist keinen Deutschkurs, das ist XXXX , ein Mal pro Woche.
R: Sind Sie Mitglied in einem Verein?
Anmerkung: P2 versteht die Frage nicht.
R: Wovon leben Sie?
P2: In XXXX .
R: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?
P2: Ja, ich möchte zuerst möchte ich normale Deutschkurs besuchen und gut Deutsch lernen. Dann wegen Arbeit finden.
R an D: Bitte ab sofort wieder übersetzten.
Anmerkung: P spricht verständlich, versteht aber noch nicht alles.
[…]
R: In Ihrem rechtskräftigen Asylbescheid vom XXXX ging der Unabhängige Bundesasylsenat, nach Durchführung einer Verhandlung, davon aus, dass Sie aus XXXX stammen, wo Ihre Schwiegereltern damals immer noch lebten. Ihre Mutter und Ihre Geschwister lebten damals ebenfalls in Dagestan. Hat sich daran etwas geändert?
P2: Ja, meine Mutter lebt weiterhin dort und meine Geschwister auch. Meine Schwiegereltern sind bereits verstorben.
[…]
R: Welche Deutschprüfung haben Sie zuletzt bestanden?
P2: A2.
Anmerkung: Bestätigung wurde vorgelegt.
R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs und falls ja, welchen?
P2: Wie bereits gesagt, keinen Deutschkurs, aber ein Mal die Woche XXXX . Ich habe mich ans AMS gewandt, aber ich bekam zweimal eine Ablehnung…“ (Anmerkung: Verhandlungsschrift Seiten 14 bis 17 und 25 bis 28)
Dazu kommt, dass P1 bis dato lediglich eine Anmeldebestätigung vom XXXX über einen Deutschkurs auf A2 Niveau (seit dem Jahr XXXX !) vorweisen konnte, auch P2 konnte (erst nach der mit 24.06.2021 datierten Ladung für die Beschwerdeverhandlung 23.08.2021) nur eine mit XXXX datierte Bestätigung über den Besuch einer Deutsch-Konversationsrunde seit XXXX vorlegen; seitdem wurden von P1 und P2 keine ergänzenden Unterlagen vorgelegt; vor allem konnten seit den aktuellen Antragstellungen am XXXX immer noch keine Deutschprüfungszeugnisse vorgelegt werden
In der Beschwerdeverhandlung zeigten sich auch die sehr guten Deutschkenntnisse von P3:
„…R: Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in Ihrem Bescheid vom XXXX und festgestellt, dass Sie der Volksgruppe der Kumyken angehören und moslemischen Glaubens sind. Hat sich seither daran etwas bei Ihnen geändert?
P3: Es hat sich nichts geändert.
Anmerkung: P3 antwortet in Deutsch bevor D die Frage übersetzt.
R: Sind Sie gesund?
P3: Ja, ich bin gesund.
Anmerkung: P3 antwortet in Deutsch bevor D die Frage übersetzt.
R: Wann wurden Sie COVID-19 geimpft?
P3: Nein, noch nicht.
Anmerkung: P3 antwortet in Deutsch bevor D die Frage übersetzt…“ (Anmerkung: Verhandlungsschrift Seite 33ff)
P3 konnte nach seiner neuerlichen Einreise eine Lehrstelle finden, befindet sich aktuell im dritten Lehrjahr, wobei seine Ausbildung am XXXX abgeschlossen sein wird.
Zur Interessenabwägung zwischen den privaten und den öffentlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich siehe weiter unten 3. Rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt III. 2 Satz der Bescheide von P1 bis P4 sowie Spruchpunkt IV. des Bescheids von P5 verwiesen.
g) Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer:
Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer stammen von der Staatendokumentation und beruhen auf dem in der Beschwerdeverhandlung dargetanen Dokumentationsmaterial und etwas aktuelleren Berichten derselben Quellen. Die Parteien des Beschwerdeverfahrens haben keinen Einwand gegen die Heranziehung dieser Informationsquellen (deren Inhalt sich seit Erlassung der Bescheide und der Beschwerdeverhandlung nicht entscheidungswesentlich geändert hat) erhoben. Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen hauptsächlich von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit aufkommen zu lassen. Die inhaltlich übereinstimmenden Länderberichte befassen sich mit der aktuellen Lage in der Russischen Föderation. Soweit Berichte älteren Datums herangezogen wurden, ergibt sich hinsichtlich deren Aktualität aus laufender Medienbeobachtung in Zusammenschau mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer, kein Hinweis auf eine potentiell entscheidungsmaßgebliche Verschlechterung der Lage, sodass sich die dargestellte Informationslage unter Berücksichtigung aktueller medialer Berichtserstattung in ihren entscheidungsmaßgeblichen Aspekten im Wesentlichen unverändert darstellt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Spruchpunkte I. und III. Abweisung der Beschwerden von P1, P2, P4 und P5 sowie Spruchpunkt II. a teilweise Abweisung der Beschwerde von P3 und Spruchpunkt II. b teilweise Stattgabe der Beschwerde von P3 und Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“
Zu den Spruchpunkten I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4
In den Spruchpunkten I. der Bescheide wurde der mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG vom Amts wegen aberkannt.
Gemäß § 9 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (§ 9 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017).
Nach § 9 Abs. 1 AsylG ist vorrangig zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG vorgesehenen Aberkennungstatbestände vorliegt. Korrespondierend damit sieht § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG für den Fall der Aberkennung des subsidiären Schutzstatus die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor, wenn auch kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt wird. An die Erlassung der Rückkehrentscheidung knüpft das FrPolG 2005 wiederum die dort näher geregelten weiteren Aussprüche, insbesondere jenen nach § 52 Abs. 9 FrPolG 2005. Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG abzuerkennen, so hat eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG vorgesehenen Aberkennungstatbestände gegeben ist (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/005).
§ 9 Abs. 1 Z 1 AsylG enthält zwei unterschiedliche Aberkennungstatbestände: Dem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) nicht oder nicht mehr vorliegen. Der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG erfasst die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat. § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG betrifft hingegen jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 77; 14.08.2019, Ra 2016/20/0038, Rn 32).
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung (im dort entschiedenen Fall: gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG) auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, Rz 25). Diese Überlegungen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, auch auf Fälle übertragen, in denen die Aberkennung auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG gestützt wird (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Wie bereits ausgeführt, stellte bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass die Beschwerdeführer mehr als XXXX Jahre (Zeitraum XXXX ) nicht im Bundesgebiet aufhältig waren. Nachdem den Beschwerdeführern P1 bis P4 am XXXX in Österreich subsidiärer Schutz gewährt worden war, ließen sich P1 im Jahr XXXX , P2 im Jahr XXXX und P3 im Jahr XXXX von den Behörden im Herkunftsstaat russische Auslandsreisepässe ausstellen.
Wie bereits weiter oben 2. Beweiswürdigung c zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von P1 bis P4 ausführlich beweiswürdigend dargelegt, geht das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst davon aus, dass sowohl die Angaben zu angeblichen Bedrohungen in den ersten beiden Asylverfahren sowie im gegenständlichen Verfahren frei erfunden sind. Aus 2. Beweiswürdigung d zu den Fluchtgründen von P5 geht hervor, dass für P5 keine Asylgründe vorgebracht wurden.
Weites wird weiter oben zu 2. Beweiswürdigung c zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von P1 bis P4 ausführlich dargelegt, dass sich die Sicherheitslage im gesamten Nordkaukasus, somit auch in Dagestan, seit Erlassung der Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenats am XXXX erheblich verbessert hat, P1 nie Islamist oder Widerstandskämpfer war und P1 bis P5 nie Probleme mit den Behörden der Russischen Föderation hatten. Zudem hat sich die am XXXX vorliegende Krankheitssituationen bei P1 verbessert, dieser ist mittlerweile gesund und voll arbeitsfähig; auch P2 und P3 sind voll arbeitsfähig. XXXX
Es reicht die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht aus. Da es sich bei P1 und P2 um gesunde und arbeitsfähige Eltern handelt, die den bei weitem überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht und in den gegenständlichen Verfahren nicht glaubhaft gemacht haben, wegen der Sicherheitslage ausgereist zu sein bzw. die Situation in der Russischen Föderation jedenfalls nicht derartig ist, dass jeder Mensch automatisch einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre, ist eine Rückkehr für P1 bis P5 als zumutbar zu bewerten.
P1 bis P5 sind problemlos legal mit ihren russischen Auslandsreisepässen aus ihrem Herkunftsstaat ausgereist. Wie aus den Feststellungen g zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer, CVOID-19 Situation, zusammengefasst hervorgeht, wird für die Rückkehr nach Russland grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei den Grenzkontrollen keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, welche nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Russische Staatsbürger, welche mit einem in Russland zugelassenen Impfstoff geimpft sind, und genesene russische Staatsbürger dürfen ohne PCR-Test und Quarantäne nach Russland einreisen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden mehrmals wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Auch mit anderen Ländern bestehen reguläre Flugverbindungen. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Dauer der Pandemie aufrechterhalten. In Moskau herrscht Maskenpflicht (plus Handschuhpflicht im Moskauer Gebiet). Im öffentlichen Verkehr gelten Maskenpflicht und Distanzregelungen. Konzert-, Sport-, Unterhaltungsveranstaltungen u.Ä. mit mehr als 500 Personen sind nur mit QR-Codes erlaubt. Strafen werden auferlegt wegen Verletzungen der Maskenpflicht, Nichteinhaltung von Distanzregelungen sowie Quarantäne-Verstößen. Impfungen erfolgen kostenlos. In Dagestan herrscht Masken- und Handschuhpflicht. Veranstaltungssäle dürfen mit maximal 50% der Plätze belegt sein. Es gilt eine Impfpflicht für Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen und für Mitarbeiter in den Bereichen Bildung, Handel, Gastronomie, Finanzwesen, öffentlicher Verkehr etc. Insgesamt wurden in Dagestan bislang 606.297 Personen (33,7%) geimpft. In der Beschwerdeverhandlung am 21.08.2021 gaben P1 bis P3 an, dass sie sich in Österreich – nicht etwa aus medizinischen, sondern aus persönlichen Gründen – nicht impfen lassen. Sollten sie ihre Meinung ändern, kann das jederzeit, auch in der Russischen Föderation kostenlos, nachgeholt werden. P1 bis P4 habe, wie alle anderen russischen Staatsbürger, Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen. Es gibt auch finanzielle und administrative Unterstützung bei Existenzgründungen. Beispielsweise können Mikrokredite für Kleinunternehmen bei Banken beantragt werden.
P1 bis P3 haben in den Verfahren nicht detailliert und konkret dargelegt, dass P1 bis P5 im Fall ihrer Rückkehr keine Lebensgrundlage vorfinden bzw. dass ihre Grundbedürfnisse nicht gedeckt werden können. Auch unter Berücksichtigung der COVID-19 Pandemie ergibt sich hierzu keine andere Beurteilung. In jedem Fall setzt eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Eine Epidemie im Herkunftsstaat eines Fremden ist zwar grundsätzlich unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK zu prüfen, da es sich aber nicht um eine Epidemie der Russischen Föderation, sondern um eine weltweite Pandemie handelt, ist das allgemeine Lebensrisiko am Erreger COVID-19 zu erkranken, sowohl in der Russischen Föderation, als auch in der Republik Österreich, das sich aktuell im vierten Lockdown befindet, ebenso wie in jedem anderen Land der Welt, gegeben. Dazu kommt, dass auch in der Republik Österreich die Infektionszahlen täglich steigen und die Intensivstationen und Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenzen geraten. Dass die körperlich gesunden Beschwerdeführer aktuell an einer COVID-19 Infektion leiden würden, wurde nicht vorgebracht. Es kann insgesamt zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Beschwerdeführer mit COVID-19 in der Russischen Föderation infizieren könnten, was aber jedenfalls auch für ihren Verbleib in Österreich gilt; zumal sich P1 bis P3 nicht impfen lassen wollen. Nach der derzeitigen Faktenlage ist eine Ansteckung der Beschwerdeführer in der Republik Österreich mit COVID-19 zumindest genauso wahrscheinlich, wie im Herkunftsstaat; jedoch wäre ein diesbezüglich außergewöhnlicher Krankheitsverlauf bei den nicht alten und nicht immungeschwächten P1 bis P4 allenfalls nur spekulativ. Eine konkrete bzw. nicht auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK im Herkunftsstaat ist jedenfalls nicht feststellbar.
Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die im Herkunftsstaat – im Gegensatz zu Österreich - berufstätigen und selbsterhaltungsfähigen P1 und P2 bzw. der auch in Österreich selbsterhaltungsfähige P3, in der Russischen Föderation von einer extrem schlechten wirtschaftlichen Lage oder „außergewöhnlichen Umständen“ wie etwa Hungertod, unzureichender medizinischer Versorgung, eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar dem Verlust des Lebens betroffen sind. Für die Russische Föderation kann auch unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen nicht festgestellt werden, dass in diesem Staat eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine politische Situation herrschen würde, die für sich genommen die Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat als unrechtmäßig erscheinen hätten lassen.
Irgendein besonderes „real risk“, dass es nach der Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen wird, kann nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen würden, sind nicht erkennbar.
Zusammengefasst ist davon auszugehen, dass bei P1 bis P4 die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 2. Fall AsylG vorliegen, da die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, welche bei Erlassung der Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenats am XXXX vorlagen, mittlerweile weggefallen sind, weshalb die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide von P1 bis P4 abzuweisen sind (Anmerkung: Spruchpunkte A I. und II. a).
Zu Spruchpunk I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P5
In Spruchpunkt I. wurde der Antrag von P5 auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs. 1 AsylG).
Da für P5, wie bereits unter 2. Beweiswürdigung d zu den Fluchtgründen von P5 dargelegt, keiner wohlbegründeten Furcht vor asylrelevanter Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat ausgesetzt war und nicht glaubhaft gemacht wurde, dass sie einer derartigen Gefahr in Zukunft ausgesetzt sein wird, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides von P5 abzuweisen (Anmerkung: Spruchpunkt A III.).
Zu den Spruchpunkten II. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4
Darin wurden die, mit Bescheiden des Bundesasylamtes erteilten, befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen.
Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen (§ 9 Abs. 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009).
Wie weiter oben ausgeführt, sind die Beschwerden gegen die Spruchpunkt I. der erstinstanzlichen Bescheide von P1 bis P4 abzuweisen und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist zutreffender Weise davon ausgegangen, dass bei P1 bis P4 die Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, vorliegen, weshalb auch die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der Bescheide von P1 bis P4 abzuweisen sind (Anmerkung: Spruchpunkte A I. und II. a).
Zu Spruchpunk II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P5
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigen einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden (§ 8 Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).
Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, 2019/19/0006-3, unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 06.11.2018, 2018/01/0106, zusammengefasst klargestellt, dass § 8 Abs. 1 AsylG, auch wenn er nicht der Statusrichtlinie entspricht, nach wie vor anzuwenden ist.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die aktuelle Sicherheitslage im Herkunftsstaat geprüft und stellt fest, dass sich die Lage für P5, die seit ihrer Geburt problemlos mit ihrer Familie im Haus ihrer Großmutter in Dagestan lebte, nach ihrer Ankunft in Österreich am XXXX sowie seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides nicht verschlechtert hat (siehe 1. Feststellungen g zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer).
Es reicht die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht aus. Da es sich bei P5 um ein gesundes Kind, gesunder und arbeitsfähiger Eltern handelt, P5 den überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat und auch gemeinsam mit ihren Eltern und P4 dorthin, zu ihren zahlreichen Verwandten, zurückkehren wird, ihre Eltern nicht glaubhaft gemacht haben zuletzt wegen der Sicherheitslage ausgereist zu sein oder behauptet haben, dass P5 an Hunger gelitten hätte bzw. die Situation in der Russischen Föderation jedenfalls nicht derartig ist, dass jeder Mensch automatisch einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre, ist eine Rückkehr für P5 als zumutbar zu bewerten.
Die Eltern von P5 haben im Verfahren nicht detailliert und konkret dargelegt im Fall ihrer Rückkehr keine Lebensgrundlage vorzufinden bzw. dass die Grundbedürfnisse nicht gedeckt werden können. Wie bereits weiter oben 1. Feststellungen e zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat festgestellt, konnten die Eltern kraft eigener Arbeit immer den Lebensunterhalt für P5 erwirtschaften, die Familie lebte in einem Haus und hatte keine finanziellen Probleme. Die Eltern der Beschwerdeführerin haben nie behauptet, wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnissen ausgereist zu sein oder an Hunger gelitten zu haben. P5 lebte bis zu ihrer legalen Ausreise gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern im Haus ihrer pflegebedürftigen Großmutter und ihre Eltern waren immer in der Lage, den Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten. Auch drohende Obdachlosigkeit ist aufgrund des Hauses, in dem derzeit ein Neffe wohnt, nicht gegeben. Er konnten immer die Bedürfnisse des täglichen Lebens von P5 gestillt werden, die Existenzgrundlage ist nach wie vor gesichert (siehe dazu 1. Feststellungen g zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer, Grundversorgung, Sozialbeihilfen), weshalb sich in diesem konkreten Fall nicht ersehen lässt, dass es P5 in der Russischen Föderation an der notdürftigsten Lebensgrundlage fehlen würde. Aufgrund ihrer individuellen Umstände in Zusammenschau mit dem im Herkunftsstaat unverändert vorhandenen verwandtschaftlichen Netz (Onkel, Tanten, Cousins und Rückkehr gemeinsam mit Eltern und dem Bruder P4), kann nach nur XXXX in Österreich keine mit einer Rückkehr verbundene unzumutbare Härte erkannt werden.
P5 ist problemlos legal mit ihrem russischen Auslandsreisepass aus ihrem Herkunftsstaat ausgereist und hatte dort nie Probleme. Wie aus den Feststellungen g zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer, CVOID-19 Situation, zusammengefasst hervorgeht, wird für die Rückkehr nach Russland grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei den Grenzkontrollen keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, welche nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Russische Staatsbürger, welche mit einem in Russland zugelassenen Impfstoff geimpft sind, und genesene russische Staatsbürger dürfen ohne PCR-Test und Quarantäne nach Russland einreisen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden mehrmals wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Auch mit anderen Ländern bestehen reguläre Flugverbindungen. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Dauer der Pandemie aufrechterhalten. In Moskau herrscht Maskenpflicht (plus Handschuhpflicht im Moskauer Gebiet). Im öffentlichen Verkehr gelten Maskenpflicht und Distanzregelungen. In Dagestan herrscht Masken- und Handschuhpflicht. Veranstaltungssäle dürfen mit maximal 50% der Plätze belegt sein.
Auch unter Berücksichtigung der COVID-19 Pandemie ergibt sich keine andere Beurteilung. In jedem Fall setzt eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Eine Epidemie im Herkunftsstaat eines Fremden ist zwar grundsätzlich unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK zu prüfen, da es sich aber nicht um eine Epidemie der Russischen Föderation, sondern um eine weltweite Pandemie handelt, ist das allgemeine Lebensrisiko am Erreger COVID-19 zu erkranken, sowohl in der Russischen Föderation, als auch in der Republik Österreich (aktuell bereits im vierter Lockdown!), ebenso wie in jedem anderen Land der Welt, gegeben. Dazu kommt, dass auch in der Republik Österreich, die Infektionszahlen täglich steigen und die Intensivstationen bzw. Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenzen geraten. Dass die körperlich gesunde P5 aktuell an einer COVID-19 Infektion leiden würde, wurde nicht vorgebracht. Es kann insgesamt zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sich P5 mit COVID-19 in der Russischen Föderation infizieren könnte, was aber jedenfalls auch für ihren Verbleib in Österreich gilt; zumal ihre Eltern in der Beschwerdeverhandlung am 23.08.2021 angegeben haben, nicht aus medizinischen sondern aus persönlichen Gründen, nicht gegen COVID-19 geimpft zu sein. Nach der derzeitigen Faktenlage ist eine Ansteckung der gesunden P5 in der Republik Österreich mit COVID-19 zumindest genauso wahrscheinlich, wie im Herkunftsstaat; jedoch wäre ein diesbezüglich außergewöhnlicher Krankheitsverlauf bei den jungen und gesunden P5 allenfalls nur spekulativ. Eine konkrete bzw. nicht auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK im Herkunftsstaat ist jedenfalls nicht feststellbar.
Es ist daher zusammengefasst nicht davon auszugehen, dass die im Herkunftsstaat geborene P5 in der Russischen Föderation von einer extrem schlechten wirtschaftlichen Lage oder „außergewöhnlichen Umständen“ wie etwa Hungertod, unzureichender medizinischer Versorgung, eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar dem Verlust des Lebens betroffen ist. Für die Russische Föderation kann auch unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen nicht festgestellt werden, dass in diesem Staat eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine politische Situation herrschen würde, die für sich genommen die Rückkehr in den Herkunftsstaat als unrechtmäßig erscheinen hätten lassen.
Irgendein besonderes „real risk“, dass es nach der Rückkehr von P5 in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen wird, kann nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen würden, sind nicht erkennbar, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides von P5 abzuweisen ist (Anmerkung: Spruchpunkt A III.).
Zu den Spruchpunkten III. 1. Satz der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4 sowie Spruchpunkt III. des Bescheides von P5
Darin wurden den Beschwerdeführern Aufenthaltsberechtigungen aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.
Das Bundesamt hat gemäß § 58 Abs. 1 Z 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird (Anmerkung: P1 bis P4) sowie gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Anmerkung: P5).
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2021, ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382c EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Diese Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2021, liegen bei P1 bis P5 nicht vor und wurden auch zu keinem Zeitpunkt vorgebracht, weshalb sich die Beschwerden gegen die Spruchpunkten III. 1. Satz der Bescheide von P1 bis P4 (Anmerkung: Spruchpunkte A I. und II. a) sowie Spruchpunkt III. des Bescheides von P5 (Anmerkung: Spruchpunkt A III.) als unbegründet erweisen.
Zu den Spruchpunkten III. 2. Satz der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4 sowie Spruchpunkt IV. des Bescheides von P5
Darin wurden gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG, in der Fassung BGBl. Nr. 145/2017, ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird (Anmerkung: P1 bis P4) sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. Nr. 145/2017, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Anmerkung: P5) und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird (Anmerkung: P1 bis P4) sowie gemäß § 52 Abs. 2 Z 2FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Anmerkung: P5) und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ist der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,4. der Grad der Integration,5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 verfügen, unzulässig wäre. (§ 9 Abs. 3 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015).
Betreffend Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer ist Folgendes zu erwägen:
ad P1, P2, P4 und P5
P1 ist der Ehegatte von P2 und beide sind die Eltern des, mittlerweile volljährigen und in Österreich nicht mehr im Familienverband bzw. selbstständig lebenden und arbeitenden, P3 sowie der beiden minderjährigen Kinder P4 und P5. Alle anderen, zahlreichen Verwandten leben nach wie vor in der Russischen Föderation.
Vom Prüfungsumfang des Begriffs des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
P1, P2, P4 und P5 bilden eine Kernfamilie und es bestehen keinerlei Abhängigkeiten zum volljährigen P3. P1, P2, P4 und P5 sind im gleichen Maße von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen, sodass im Fall der gemeinsamen Rückkehr kein Eingriff in das zwischen ihnen bestehende Familienleben erkannt werden kann.
Geht man im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben von P1, P2, P4 und P5 in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Lasten von P1, P2, P4 und P5 aus und die Ausweisung stellt jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 u.a. mwH).
P1 bis P4 hielten sich seit der illegalen (Erst-)Einreise in das österreichische Bundesgebiet im XXXX zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz, ab XXXX XXXX aufgrund der ihnen erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen aufgrund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtmäßig in Österreich auf. Bis zur (Zweit-)Einreise am XXXX (diesmal auch mit P5) waren alle Beschwerdeführer in der Russischen Föderation aufhältig, wohnten und lebten in Dagestan, P1 und P2 gingen in der Heimat Erwerbstätigkeiten nach bzw. besuchten P3 bis P5 Kindergarten und Schule.
Die Beschwerdeführer sind – nach ihrem jahrelangen Aufenthalt im Herkunftsstaat – seit XXXX in Österreich. P1 und P2 machten sowohl in den ersten beiden Asylverfahren als auch im gegenständlichen Verfahren bewusst unwahre Angaben, zu angeblichen Vorfällen im Herkunftsstaat, was gegen ihre persönliche Glaubwürdigkeit spricht. Bewusst unwahre Angaben vor einer österreichischen Behörde und bis zuletzt in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bilden keine solide Basis für eine Integration.
P1 und P2 verfügen nach wie vor über sehr starke Bindungen zum Herkunftsstaat, haben sie doch bis zum Alter von XXXX bzw. XXXX Jahren in Dagestan gelebt und dort ihre Familie gegründet. Zudem kehrten sie im Alter von XXXX bzw. XXXX Jahren freiwillig nach Hause zurück um dort P5 zur Welt zu bringen und ab XXXX jahrelang den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie kraft eigener Arbeit als XXXX bzw. in einer XXXX zu erwirtschaften. Sie haben sich somit im Herkunftsstaat – im Gegensatz zu Österreich – ausreichend Berufserfahrung aneignen können und waren erfolgreich am russischen Arbeitsmarkt integriert. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Kumykisch, zudem sprechen sie sehr gut Russisch. Alle Beschwerdeführer sind mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftslandes vertraut und verfügen dort über familiäre Anknüpfungspunkte, zumal sämtliche Verwandte im Herkunftsstaat zurückgeblieben sind. Nach alledem besteht kein Grund zu zweifeln, dass sich die Beschwerdeführer in die dortige Gesellschaft rasch wieder eingliedern können.
Demgegenüber ist die Integration von P1 und P2 in Österreich kaum ausgeprägt. In Österreich bestritten P1, P2 und P4 ab XXXX P1, P2, P4 und P5 ihren Lebensunterhalt aus Leistungen der Grundversorgung. P1 war nach der Gewährung von subsidiären Schutz nur kurzfristig berufstätig ( XXXX ), ebenso P2 ( XXXX ).
Sowohl P1 als auch P2 verfügen, trotz ihres früheren Aufenthaltes, XXXX nur über mangelhafte Deutschkenntnisse (siehe dazu ausführlich 2. Beweiswürdigung f zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich). Bestätigung über aktuelle Deutschkurse bzw. Deutschprüfungszeugnisse konnten P1 und P2 nicht vorlegen; sie haben bis dato immer noch keine einzige Deutschprüfung bestanden. P1 und P2 gaben an, im Zuge des langjährigen Aufenthalts Freundschaften im Bundesgebiet geschlossen zu haben, über enge soziale Bindungen verfügten sie jedoch nicht.
Eine wirtschaftliche Integration von P1 und P2 ist nicht ersichtlich und mangels Deutschkenntnissen auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Es liegen keine besonderen Abhängigkeitsverhältnisse zu Personen in Österreich vor und allfällige freundschaftliche Beziehungen sind zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich P1 und P2 ihrer unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung bewusst sein mussten. Eine Integrationsverfestigung in Österreich kann nicht festgestellt werden und aus dem Privatleben sind keine objektiven Gründe ersichtlich, die einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würden.
Soweit, wie im vorliegenden Fall, Kinder von der Rückkehrentscheidung betroffen ist, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 18.10.2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Rz 58, und vom 06.07.2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Rz 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie seine Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter („adaptable age“; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31.07.2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Rz 66, vom 17.02.2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Rz 60, und vom 24.11.2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Rz 46) befinden (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).
P4 und P5 wurden in der Russischen Föderation geboren. XXXX (siehe dazu ausführliche 2. Beweiswürdigung c zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bei P1 bis P4) und kehrte mit seinen Eltern im Alter von XXXX Jahren nach Dagestan zurück, wo er jahrelang XXXX P4 wurde erst wieder im Alter von XXXX Jahren nach Österreich gebracht und ist mittlerweile XXXX Jahre alt. P5 wurde XXXX in der Russischen Föderation geboren, hält sich erst seit XXXX in Österreich auf, ist XXXX Jahre alt und lebt bei den Eltern P1 und P2. XXXX Kumykisch erzogen und sprechen zudem Russisch. XXXX konnten in der jeweiligen Klassengemeinschaft soziale Bindungen aufbauen und es ist davon auszugehen, dass beide Deutsch sprechen, jedoch sind diese Beziehung nicht als so umfassend zu werten, als dass enge Bindungen und/oder Abhängigkeitsverhältnisse bestünden. P4 geht in Österreich mittlerweile nicht mehr zur Schule, macht keine Lehre und arbeitet nicht. Wegen des XXXX von P4 und des noch jungen, mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters von P5 kann davon ausgegangen werden, dass für P4 und P5 die Rückkehr zum Leben im Herkunftsstaat, wo nach wie vor zahlreiche Verwandte leben – nach der Rechtsprechung des EGMR – nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. etwa EGMR 26.01.1999, 43279/98, Sarumi gegen Vereinigtes Königreich, in welcher der EGMR Kindern im Alter von sieben und elf Jahren eine Anpassungsfähigkeit attestierte, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria, als keine unbillige Härte erschienen ließ; VwGH 25.03.2010, 2009/21/0216; 31.03.2008, 2008/21/0081; 17.12.2007, 2006/01/0216). Zudem bedürfen die minderjährigen P4 und P5, aufgrund des XXXX von P4 und des Alters von P5, weiterhin der Unterstützung ihrer Eltern, welche von einer Rückkehr in die Russische Föderation betroffen sind.
Es ist insgesamt nicht davon auszugehen, dass P4 und P5 im Fall ihrer Rückkehr mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert wären, zumal beide dort geboren sind, mehrere Lebensjahre im Herkunftsland verbrachten und vor diesem sprachlichen und kulturellen Hintergrund aufwuchsen; die dortigen Gepflogenheiten sind ihnen sohin nicht fremd. Die Existenz der minderjährigen P4 und P5 ist durch ihre Eltern gesichert; eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat steht in Anbetracht der aufgezeigten Umstände, insbesondere des weiteren Zusammenlebens im Familienverband mit den Eltern, nicht ihrem Kindeswohl entscheidungsmaßgeblich entgegen.
Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes von P1, P2, P4 und P5 im Bundesgebiet ihre persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordneten Rückkehrentscheidungen eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass in den gegenständlichen Fällen Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig wären, weshalb auch die Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. 2. Satz der Bescheide von P1, P2, P4 und P5. abzuweisen sind (Anmerkung: Spruchpunkte A I. und III.).
ad P3
Der damals minderjährige P3 hielt sich seit der illegalen (Erst-)Einreise in das österreichische Bundesgebiet im XXXX (zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und ab XXXX aufgrund der ihm erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen aufgrund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten) rechtmäßig in Österreich auf. Bis zur (Zweit-)Einreise am XXXX , des damals immer noch minderjährigen P3, war er mit seiner Familie in der Russischen Föderation aufhältig, wohnte und lebten in Dagestan und ging dort zur Schule.
In Österreich bestritt der damals minderjährige P3 zunächst ab XXXX seinen Lebensunterhalt aus Leistungen der Grundversorgung. Der mittlerweile volljährige P3 absolviert jedoch bereits seit XXXX eine Lehre, welche voraussichtlich mit XXXX abgeschlossen wird. P3 ist erwerbstätig, in Berufsausbildung und bezieht laut Auszug aus dem Grundversorgungssystem seit XXXX keinerlei Leistungen aus der Grundversorgung. P3 bezieht eine Lehrlingsentschädigung, damit ist die Selbsterhaltungsfähigkeit zwar (noch) nicht ganz gegeben, jedoch ist davon auszugehen, dass P3 hinsichtlich seines angestrebten Berufes in Verbindung mit seinem bisher gezeigten Engagement und Fleiß bzw. der im Lauf der Ausbildung steigenden Lehrlingsentschädigung, vor allem aber nach Abschluss seiner Ausbildung, in naher Zukunft jedenfalls für seinen Lebensunterhalt wird aufkommen können.
Selbstverständlich übersieht das Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall nicht, dass sich P3 seit seiner letzten Einreise erst XXXX in Österreich aufhält. In diesem konkreten Fall, ist jedoch nicht nur zu bedenken, dass dieser Aufenthalt im Alter von XXXX begonnen wurde und der Beschwerdeführer die sehr prägende Phase des Übergangs vom Teenager zum jungen Erwachsenen in Österreich erlebte; allerdings würde auch das, für sich alleine, noch nicht ausreichen. Dazu kommt, dass P3 bereits zuvor XXXX Jahre lang legal von XXXX in Österreich gelebt hat.
Zusammengefasst geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Einzelumstände gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs für sich allein jedenfalls nicht ausgereichen würden, aber in ihrer Kombination bzw. Summe – seit XXXX als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich + davor XXXX Jahre lang legal von XXXX in Österreich + aktueller Aufenthalt im Alter von XXXX begonnen bzw. die sehr prägende Phase des Übergangs vom Teenager zum jungen Erwachsenen in Österreich erlebt + eigenständige Unterkunft + letztes Lehrjahr + nicht länger in Grundversorgung + in naher Zukunft komplett selbsterhaltungsfähig – im diesem konkreten Fall ein sehr positives Bild abgeben.
Dem öffentlichen Interesse, eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu. P3 lebte in den letzten Jahren als subsidiär Schutzberechtigter im Bundesgebiet und das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib überwiegt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, in diesem speziellen Fall unter Berücksichtigung der Summer aller Sachverhaltselemente, mittlerweile die öffentlichen Interessen an einer Beendigung des Aufenthaltes. Der Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Fortführung seines Privatlebens in Österreich erscheint mittlerweile unverhältnismäßig. Da somit bei einer Rückkehrentscheidungen, auf Grund der sehr positiven Entwicklung bzw. auch der besonderen Integration, eine Verletzung des Privatlebens des Beschwerdeführers drohen würde, die auf Umständen beruht, die nicht länger vorübergehender Natur sind, ist die Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russisch Föderation gemäß § 52 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, auf Dauer für unzulässig zu erklären.
Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, werden Drittstaatsangehörigen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt als:
1. „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,
2. „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,
3. „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.
Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar (§ 54 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012).
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen (§ 55 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87 /2012).
Gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017 (IntG), in der Fassung BGBl. I Nr. 41/2019, ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.
Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltete das Modul 1.
Ein Beschäftigungsverhältnis gilt als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als (Anmerkung.: gemäß BGBl. II Nr. 576/2020 für 2021: 475,86 €) gebührt. An die Stelle dieses Betrages tritt ab Beginn jedes Beitragsjahres (§ 242 Abs. 10) der unter Bedachtnahme auf § 108 Abs. 6 mit der jeweiligen Aufwertungszahl (§ 108a Abs. 1) vervielfachte Betrag (§ 5 Abs. 2 ASVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 20/2019).
Der Beschwerdeführer übt als Lehrling eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, mit dessen Lehrlingsentschädigung im dritten Lehrjahr jedenfalls die monatliche Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 20/2019, erreicht wird.
Es liegen sohin bei P3 die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, vor und P3 ist daher der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, auszufolgen, welcher gemäß § 54 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen ist; der Beschwerdeführer hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, mitzuwirken.
Im Verfahren von P3 ist daher der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. 2. Satz des Bescheides stattzugeben bzw. spruchgemäß zu entscheiden (Anmerkung: Spruchpunkt A II. b).
Zu den Spruchpunkten III. 3. Satz der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4 sowie Spruchpunkt V. des Bescheides von P5
Darin wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist
Gemäß § 50 Abs. 1 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, ist die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde bereits verneint (siehe 3. rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4 sowie zu Spruchpunkt II. des Bescheides von P5).
Gemäß § 50 Abs. 2 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG). Das Vorbringen von P1 und P2 zu sämtlichen angeblichen Vorfällen im Herkunftssaat ist als nicht glaubwürdig zu werten (siehe 2. Beweiswürdigung c zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von P1 bis P4), für P5 wurden keine Asylgründe vorgebracht (siehe 2. Beweiswürdigung d zu den Fluchtgründen von P5) und es bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit der Beschwerdeführer aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre, weshalb kein Fall des § 50 Abs. 2 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, vorliegt (siehe 3. rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4 sowie zu Spruchpunkt I. des Bescheides von P5).
Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, unzulässig, solange dieser die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.
Insgesamt sind daher die Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. 3. Satz der Bescheide von P1, P2, und P4 sowie Spruchpunkt V. des Bescheides von P5 abzuweisen (Anmerkung: Spruchpunkte A I. und III.).
Da im Verfahren von P3 die Rückkehrentscheidung behoben wird, ist Spruchpunkt III. 3. Satz dieses Bescheides die Grundlage entzogen, weshalb dieser zu beheben ist (Anmerkung: Spruchpunkt A II. b).
Zu den Spruchpunkten IV. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl von P1 bis P4 sowie Spruchpunkt VI. des Bescheides von P5
Darin wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Da derartige besondere Umstände für P1, P2, P4 und P5 nicht vorgebracht wurden, ist die Frist vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden und die Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV. der Bescheide von P1, P2, P4 sowie Spruchpunkt VI. des Bescheides von P5 sind abzuweisen (Anmerkung: Spruchpunkte A I. und III.).
Im Verfahren von P3 wird die Rückkehrentscheidung behoben, weshalb Spruchpunkt IV. des erstinstanzlichen Bescheides die Grundlage entzogen und dieser zu beheben ist (Anmerkung: Spruchpunkt A II. b).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
In den konkreten Fällen sind Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig, weil die Entscheidungen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Wie aus den Erkenntnissen hervorgeht, geht es bei P1 bis P4 um die Aberkennung von subsidiärem Schutz, nachdem P1 bis P4 XXXX freiwillig in ihren Herkunftsstaat zurückgekehrt waren und erst am XXXX neuerlich nach Österreich kamen bzw. jahrelang in den Heimat keinen subsidiären Schutz benötigen. Für P5 wurden in deren Asylverfahren keine Asylgründe vorgebracht und P3 hat seinen zweiten Aufenthalt im Bundesgebiet für umfassenden Integration genützt. Diese Erkenntnisse beschäftigen sich vor allem mit der Erforschung und Feststellung von Tatsachen und es ergaben sich im Lauf der Verfahren keine Hinweise auf das Vorliegen von ungeklärten Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung.
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