BVwG W142 2129567-4

BVwGW142 2129567-46.7.2021

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W142.2129567.4.00

 

Spruch:

W142 2129567-3/13E

W142 2129567-4/5E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Somalia, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2020, Zl. 1053113800/180492277, zu Recht erkannt:

A)

 

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG mit der Maßgabe stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf fünf Jahre herabgesetzt wird.

 

II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Somalia, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.03.2021, Zl. 1053113800/150242180, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 27.04.2016 Zl. 1053113800/150242180, wurde der vom BF am 07.03.2015 gestellte Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 unter gleichzeitiger Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung (bis 27.04.2017) der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkte II. und III.). Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein.

Zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde im Bescheid ausgeführt, dass dem BF eine Rückkehr derzeit nicht zumutbar sei und sich diese Feststellung auf die Länderfeststellungen der Staatendokumentation zur allgemeinen Lage in Somalia, speziell auf seine Heimatregion Südsomalia, stütze. Eine reale Gefahr einer Bedrohung liege vor, da dem LIB eine aktuell instabile Sicherheitslage in Somalia, speziell in Bezug auf Südsomalia, zu entnehmen sei.

2. Mit Bescheid des BFA vom 09.05.2017 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 27.04.2019 verlängert.

3. Infolge der Erhebung einer strafrechtlichen Anklage gegen den BF leitete das BFA ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ein.

4. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 28.05.2018, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a, zweiter Fall, SMG, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 Monaten bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

5. Nachdem der BF vom BFA zur beabsichtigten Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten am 15.06.2018 einvernommen wurde, wurde dem BF mit Bescheid des BFA vom 24.08.2018, Zl.: 1053113800/180492277, der ihm mit Bescheid vom 27.04.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die mit Bescheid vom 09.05.2017 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde dem BF gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA zusammengefasst damit, dass eine grundlegende Veränderung und Verbesserung der Versorgungslage in Somalia eingetreten sei. Die damaligen maßgeblichen Gründe, insbesondere die instabile Sicherheitslage in Somalia, speziell in Bezug auf Südsomalia, sei zwischenzeitig nicht mehr in ganz Somalia gegeben und sei dem BF eine Rückkehr nach Mogadischu zumutbar. Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein.

6. Nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 16.11.2018 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.11.2018, GZ.: W183 2129567-1/18E und W183 2129567-2/9E, die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 27.04.2016, Zl.: 1053113800/150242180, gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 24.08.2018, Zl.: 1053113800/180492277, gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 Z 1 2.Fall AsylG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zugelassen.

Betreffend das Nichtvorliegen der Gründe für die Aberkennung des subsidiären Schutzes führte die erkennende Richterin begründend aus, dass sich weder die allgemeine Lage in Somalia wesentlich und nachhaltig gebessert habe, noch sich die persönliche Situation des BF wesentlich geändert hätte.

7. Mit Bescheid des BFA vom 25.04.2019 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 27.04.2021 verlängert.

8. Infolge des Verdachtes eine Vergewaltigung begangen zu haben, leitete das BFA erneut ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ein.

9. Am 09.11.2019 wurde der BF in Untersuchungshaft genommen.

10. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 20.12.2019, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 Monaten verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Nachsicht zu XXXX wurde abgesehen, die Probezeit wurde auf 5 Jahre verlängert.

11. Am 27.01.2020 führte das BFA in Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache eine niederschriftliche Einvernahme des BF durch.

Nachdem dem BF seine zwei strafrechtlichen Verurteilungen nach dem SMG vorgehalten wurden, gab dieser an keine echten Drogen, sondern legale Drogen aus dem Automaten (CBD) verkauft zu haben. Nach weiterem Vorhalt, dass im Strafurteil angeführt sei, dass er Cannabis (Wirkstoff THC) verkauft habe, gab der BF an: „Nein. Ich habe CBD verkauft.“ Er habe es mit seiner Bankomatkarte aus dem Automaten gekauft und nicht einmal einen Joint gehabt. Es sei legal erworbenes CBD gewesen. Er wisse nicht, warum das Gericht ihn verurteilt habe. Außerdem habe er erst das zweite Mal etwas verkauft.

Weiters gab der BF an, seine alte Wohnung sei ihm weggenommen worden, da das ganze Haus umgebaut werde. Er habe zuletzt nur eine Obdachlosenadresse gehabt. Wenn er aus dem Gefängnis entlassen werde, werde er schauen, dass er mindestens eine Postadresse habe. Er habe nicht gewusst, dass er wegen so etwas überhaupt verurteilt werde. Zu seinem Lebensunterhalt gab er an, er habe Teilzeit als Lagerarbeiter gearbeitet und eine Ergänzungsunterstützung vom Staat erhalten. Er sei in Österreich nicht Mitglied in einem Verein, einer religiösen Gruppe oder einer sonstigen Organisation und habe hier keine sozialen Bindungen. Er habe keine Ausbildung und habe A1 und A2 Deutschkurse zweimal besucht. Er wolle in Zukunft eine Ausbildung machen. Er spreche ein bisschen Deutsch, sei gesund, ledig und habe keine Kinder.

Zu seinen Verwandten in Somalia gab er an, dort nur eine Mutter zu haben, zu ihr habe er aber keinen Kontakt.

Befragt, weshalb er sich in Haft befinde, gab der BF an, ihm sei vorgeworfen worden Drogen verkauft zu haben. Er habe aber lediglich legales CDB aus dem Automaten gekauft und verkauft. Auf die Frage, warum er dies getan habe, gab der BF an, er habe es eigentlich selbst rauchen wollen. Ein anderer, der mit ihm zusammen Alkohol getrunken habe, habe einen Teil des CBDs haben wollen. Er habe ihm das Geld nicht gegeben, sondern ihm versprochen mit dem Geld Alkohol zu kaufen. Es handle sich gerade einmal um 0,2 CBD.

Nach Vorhalt, dass gegen ihn letztes Jahr Anklage wegen Vergewaltigung erhoben worden sei, gab der BF an, er habe davon nichts gehört. So etwas gebe es nicht. Dies stimme nicht. Wenn er jemanden vergewaltigt hätte oder es versucht hätte, dann wäre er kein freier Mann.

Auf die Frage, wie er sich sein weiteres Leben in Österreich vorstelle, gab der BF an, arbeiten zu gehen. Er habe bereits 6 Monate gearbeitet. Davor habe er Deutschkurse besucht. Er habe lange Zeit eine Arbeit gesucht. Kurz vor seiner Festnahme habe er sich bei mehreren Firmen beworben und überall seinen Lebenslauf abgegeben.

Nach Vorhalt, dass der Grund für die Aberkennung die zwei strafrechtlichen Verurteilungen nach dem SMG seien und er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle, gab der BF an, er sei zweimal zu Unrecht vom Gericht verurteilt worden. Beim ersten Mal sei es so gewesen, dass er zusammen mit einem Freund einen Joint geraucht habe. Plötzlich seien Polizisten gekommen und hätten gesagt, dass er etwas an ihn verkauft habe. Der Freund habe ihn in der Verhandlung entlastet. Er habe nie etwas Falsches gemacht. Er sei nie eine Gefahr für die Gesellschaft gewesen und werde auch nie eine sein. Er sei hier ein Flüchtling und ein Gast und wolle arbeiten gehen.

Nach Gründen befragt, die gegen eine Rückkehr nach Somalia sprechen würden, führte der BF aus, Somalia sei gefährlich. Er wisse, wie die Lage sei. In Kismayo sei die Lage ganz gefährlich, dort habe er nichts.

Nachdem dem BF vorgehalten wurde, dass gegen ihn wegen der strafrechtlichen Verurteilungen ein Einreiseverbot erlassen werden könne, gab der BF an, dass er Österreich nicht verlassen werde und verspreche, sogar mit dem Alkoholkonsum aufzuhören.

Abschließend entschuldigte sich der BF und gab an, er verspreche nie wieder etwas Falsches zu machen. Auch wenn er nicht den Grund für die Festnahme bzw. die Verurteilung sehe, entschuldige er sich.

12. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 12.02.2020 wurde dem BF der ihm mit Bescheid vom 27.04.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 25.04.2019 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Somalia unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.) und es wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF aufgrund der Verurteilungen nach dem SMG eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Da er innerhalb kurzer Zeit wiederholt fremden Personen Suchtgift gegen Entgelt überlassen habe, könne von keiner positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden. Im Falle des BF liege ein Abschiebehindernis aufgrund der instabilen Sicherheitslage in Somalia vor, weshalb ihm eine Rückkehr in seine Heimat derzeit nicht zumutbar sei. Eine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 komme daher nicht in Betracht. Der BF habe jedoch den Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 erfüllt, zumal seine zwei Verurteilungen wegen Suchtgiftdelikten deutlich zeigen würden, dass er ein hohes kriminelles Potenzial aufweise und von ihm eine Gefahr für die Allgemeinheut ausgehe. Durch sein wiederholtes, verwerfliches Verhalten gegen Leib und Leben anderer Personen, dem gezeigten mangelnden Respekt vor der österreichischen Rechtsordnung sowie der augenscheinlich hohen Rückfallgefahr, könne eine positive Prognose nicht gestellt werden. Der BF habe sich darüber hinaus in seiner Einvernahme auch äußerst uneinsichtig gezeigt. Eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erweise sich daher als geboten. Der BF halte sich seit März 2015 in Österreich auf und sei bereits zweimal rechtskräftig verurteilt worden. Er verfüge im Bundesgebiet über keine Familienangehörigen und habe auch sonst keine wesentlichen sozialen Bindungen in Österreich. Er spreche etwas Deutsch. Eine Bereitschaft zu einer nachhaltigen Integration habe nicht festgestellt werden können. Da auch keine Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen würden, erweise sich eine Rückkehrentscheidung als zulässig. Dessen Abschiebung erweise sich gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 als unzulässig. Aufgrund der wiederholten Verurteilungen des BF wegen Verstößen gegen das SMG sei von einer negativen Gefährdungsprognose und einer von ihm ausgehenden Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen, weshalb sich die Erlassung eines Einreiseverbotes in der ausgesprochenen Dauer als gerechtfertigt erweise.

13. Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht die (zu 1.) verfahrensgegenständliche Beschwerde im vollen Umfang ein. Begründend wurde ausgeführt, dass im Falle des BF zwei strafrechtliche Verurteilungen vorliegen würden, wobei es sich dabei um Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz handle. Zudem sei bei der ersten Verurteilung nur eine bedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen worden, bei der zweiten eine unbedingte Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Der BF verbüße seine Haftstrafe derzeit in der Justizanstalt und wolle nach seiner Haftentlassung wieder einen ordentlichen Lebenswandel führen und – wenn möglich, so wie vor seiner Inhaftierung – als Lagerarbeiter arbeiten. Im Sinne einer richtlinienkonformen Interpretation könne daher nicht von einer „Gefahr für die Allgemeinheit“ gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG bei Vorliegen von Delikten, wie sie der BF begangen habe, nicht gesprochen werden. Die Strafrichter hätten bei der Strafzumessung einen gewissen Handlungsspielraum, um auf die Besonderheiten des Einzelfalles einzugehen. Der VfGH gehe in seiner Judikatur davon aus, dass einschneidende Sanktionen nicht unabhängig vom Verschulden und den Umständen des Einzelfalles verhängt werden dürfen, da dies zu einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes führen könne. Die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG ziehe eine gravierende Rechtsfolge nach sich, zumal es sich bei der Duldung nicht um einen rechtmäßigen Aufenthalt handle. Dies führe dazu, dass mit der Aberkennung etwa das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt verloren gehe. Die betroffene Person werde letztlich auf einen geduldeten Aufenthalt ohne rechtlichen Status beschränkt. Das BFA hätte auch die Umstände des Einzelfalles (etwa, dass der BF ein junger Erwachsener sei) und vor allem die Strafzumessung (Verurteilungen wegen Vergehen, keine hohen Freiheitsstrafen) durch den Richter berücksichtigen müssen und hätte zum Ergebnis kommen müssen, dass die Sanktionen der Aberkennung und die damit verbundenen Konsequenzen nicht zu rechtfertigen seien und somit das Aberkennungsverfahren einzustellen gewesen wäre. Zur Rückkehrentscheidung bzw. dem Einreiseverbot wurde ausgeführt, dass der BF nunmehr seit 5 Jahren in Österreich lebe und sich mittlerweile gut integriert habe. Er spreche Deutsch auf A2-Niveau und habe vor seiner Inhaftierung Teilzeit als Lagerarbeiter gearbeitet. Der BF habe nach Verspüren des Haftübels eingesehen, dass er sich bessern müsse und wolle nach Haftentlassung wieder einen ordentlichen Lebenswandel führen. Das Einreiseverbot in der Höhe von 10 Jahren sei jedenfalls zu hoch angesetzt, weshalb um Aufhebung bzw. angemessene Herabsetzung angesucht werde. Auch beim Einreiseverbot habe die Behörde das jugendliche Alter des BF bei Begehung der Straftaten zu wenig berücksichtigt und einen strengen Maßstab angelegt. Es werde daher um neuerliche Beurteilung des Falles bzw. um Durchführung einer mündlichen Verhandlung ersucht.

14. Die Beschwerdevorlage des BFA sowie der bezughabende Verwaltungsakt langten am 02.03.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

15. Am 04.08.2020 legte der BF einen aktuellen Meldezettel, seinen damaligen Dienstvertrag als Hilfsarbeiter (als Dienstgeber wird die XXXX angeführt), abgeschlossen am 22.08.2019, Arbeitsbeginn 23.08.2019 sowie einen Auszug des elektronischen Datensammelsystems der Sozialversicherungsträger vor, wonach die Beschäftigung des BF bei der XXXX am 07.10.2019 durch einvernehmliche Lösung geendet habe.

16. Am 09.02.2021 legte der BF einen aktuellen Dienstvertrag der XXXX sowie eine Überlassungsmitteilung vor, wonach das Dienstverhältnis als Hilfsarbeiter am 09.11.2020 beginne, die wöchentliche Arbeitszeit 32,50 Stunden und der Bruttolohn 10,39/Stunde betrage.

17. Mit Eingabe vom 02.03.2021 stellte der BF beim BFA einen Antrag auf Verlängerung der ihm erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005. Zudem brachte er eine Lohn-/Gehaltsabrechnung von Dezember 2020/Jänner 2021 in Vorlage.

18. Mit dem nunmehr (zu 2.) angefochtenen Bescheid vom 25.03.2021 hat das BFA den Antrag des BF vom 02.03.2021 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen.

 

Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund des anhängigen Aberkennungsverfahrens die Voraussetzungen für eine Verlängerung nicht gegeben seien.

19. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht eine Beschwerde erhoben, wobei – nach Wiederholung des Verfahrensganges – darauf hingewiesen wurde, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG weiterhin vorliegen würden und das BFA dem Antrag des stattgeben müsse.

20. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 16.04.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF, dessen Identität und Clanzugehörigkeit nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnten, ist volljähriger Staatsangehöriger Somalias, welcher sich zum muslimischen Glauben bekennt.

Er spricht muttersprachlich die Sprache Somali.

Ein Kontakt des BF zu seiner Familie in Somalia kann nicht festgestellt werden.

Der BF ist gesund, leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und ist arbeitsfähig.

Infolge illegaler Einreise suchte der BF am 07.03.2015 um internationalen Schutz in Österreich an und hält sich seit diesem Zeitpunkt durchgehend im Bundesgebiet auf.

1.2. Mit Bescheid vom 27.04.2016 wies das BFA den Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte diesem gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides brachte der BF das Rechtsmittel der Beschwerde ein.

Mit Bescheid des BFA vom 24.08.2018 wurde der ihm mit Bescheid vom 27.04.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen aberkannt, ihm die mit Bescheid vom 09.05.2017 erteilte befristetet Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen. Zudem wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Auch gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht das Rechtmittel der Beschwerde ein.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 21.11.2018 wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 27.04.2016 gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 24.08.2018 gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 Z 1 2.Fall AsylG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde zuletzt mit Bescheid des BFA vom 25.04.2019 verlängert.

1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die allgemeine Lage in Somalia – seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw. seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wesentlich und nachhaltig gebessert hat. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass sich die persönliche Situation des BF wesentlich geändert hätte und er von der allgemein schlechten Lage im Falle einer Rückkehr weniger intensiv betroffen wäre. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass sich die Versorgungslage von Binnenflüchtlingen in Somalia wesentlich und nachhaltig gebessert hat. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass sich aus sonstigen Gründen die Lage in Somalia dahingehend wesentlich und nachhaltig verbessert hat, sodass der BF im Falle seiner Rückkehr mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein würde, sich einen notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen.

Eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts zur Frage der Gewährung subsidiären Schutzes ist somit weder im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des BF noch in Bezug auf die allgemeine Lage in Somalia eingetreten.

1.4. Der BF weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 28.05.2018, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a, zweiter Fall, SMG, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 Monaten bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 20.12.2019, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 Monaten verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Nachsicht zu XXXX wurde abgesehen, die Probezeit wurde auf 5 Jahre verlängert.

Ein weiterer Aufenthalt des BF im Bundesgebiet stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, zumal aufgrund seines bisherigen Verhaltens die Gefahr der neuerlichen Begehung von Straftaten insbesondere im Bereich der Suchtmittelkriminalität zu prognostizieren ist.

1.5. In Österreich hat der BF keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgeblichen privaten Beziehungen.

Der seit März 2015 in Österreich aufhältige BF kann sich auf Deutsch verständigen, legte aber keine Bestätigungen betreffend die Absolvierung von Deutschkursen oder Deutschprüfungen vor.

Auch sonst hat der BF in Österreich keine Ausbildung gemacht und keine ehrenamtlichen Tätigkeiten verrichtet. Er ist in keinem Verein oder sonstigen Organisationen Mitglied.

Im Zeitraum von Dezember 2018 bis Februar 2019 bezog der BF zeitweise Arbeitslosengeld.

Der BF war von 17.-19.04.2019, von 24.04.-10.05.2019, von 20.05.-22.07.2019 und von 23.08.-07.10.2019 als Arbeiter beschäftigt.

Mit 09.11.2019 wurde der BF in Untersuchungshaft genommen und befand sich anschließend (bis 07.04.2020) in Strafhaft.

Seit 09.11.2020 bis dato geht der BF wieder einer Beschäftigung als Arbeiter nach.

Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer tiefgreifenden Integration des BF in Österreich festgestellt werden.

1.6. Zur Lage in Somalia wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte Folgendes festgestellt:

 

Politische Lage

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).

Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).

Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).

Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).

Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).

Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).

Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).

Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).

Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).

Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).

Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).

Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).

Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).

Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).

Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).

Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

- AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019

- AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

- AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

- AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (26.8.2019): Briefing Notes 26. August 2019

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019

- FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019

- ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland: The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, URL, Zugriff 8.7.2019

- ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

- Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (27.12.2018): January 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

- UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (24.10.2017): Mohamed Abdi Waare inaugurated as the second President of HirShabelle state, URL, Zugriff 4.9.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

- VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (20.12.2018): Somalia's Parliament Drops Impeachment of President, URL, Zugriff 22.1.2019

 

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Süd-/Zentralsomalia

Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG 9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3).

Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels – durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019).

Dabei hat sich die Gruppe in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3) und kann sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele vorgehen (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, komplexe asymmetrische Angriffe durchzuführen (SEMG 9.11.2018, S.4). Neben Angriffen auf militärische Einrichtungen und strategischen Selbstmordanschlägen auf Regierungsgebäude und städtische Gebiete wendet al Shabaab auch Mörser- und Handgranatenangriffe an, legt Hinterhalte und führt gezielte Attentate durch (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab verfügt auch weiterhin über Kapazitäten, um konventionelle Angriffe und größere Attentate (u.a. Selbstmordanschläge, Mörserangriffe) durchzuführen (LWJ 15.10.2018). Al Shabaab ist auch in der Lage, fallweise konventionelle Angriffe gegen somalische Kräfte und AMISOM durchzuführen, z.B. am 1.4.2018 gegen sogenannte Forward Operational Bases der AMISOM in Buulo Mareer, Golweyn und Qoryooley (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.22). Nach anderen Angaben kann al Shabaab keine konventionellen Angriffe mehr durchführen. Die Gruppe hat sich v.a. auf Sprengstoffanschläge und gezielte Attentate verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3).

Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet – die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).

Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16; vgl. AA 17.9.2019). Die Gruppe führt täglich kleinere Angriffe auf AMISOM, Armee und Regierung durch, alle paar Wochen kommt es zu einem größeren Angriff (BS 2018, S.7). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle. Die Region Middle Juba steht in weiten Teilen unter Kontrolle von al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (ME 27.6.2019). In Süd-/Zentralsomalia bleibt al Shabaab auch für Stützpunkte von Armee und AMISOM eine Bedrohung. Sie behält die Fähigkeit, selbst in schwer befestigte Anlagen in Mogadischu einzudringen (LWJ 3.9.2018).

Ferner kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.9.2019). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten – v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 13.3.2019, S.11). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2018, S.8). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Sub-Clans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 4.3.2019, S.16; vgl. HRW 17.1.2019). Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 4.3.2019, S.16).

Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 17.1.2019).

Gebietskontrolle: Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 4.3.2019, S.5). Die Regierung war nicht immer in der Lage, gewonnene Gebiete abzusichern, manche wurden von al Shabaab wieder übernommen (BS 2018, S.7). Mittlerweile wird zumindest versucht, nach der Einnahme neuer Ortschaften rasch eine Zivilverwaltung einzusetzen, wie im Zuge der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle zu erkennen war. Trotzdem beherrschen die neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr als die größeren Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt meist auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert. Teils kommt es zu weiteren (militärischen) Exkursionen (ME 27.6.2019). Die meisten von Regierung/AMISOM gehaltenen Städte sind aber Inseln im Gebiet der al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.3; vgl. BFA 8.2017, S.26). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft oder über See versorgt werden, da Überlandrouten nur eingeschränkt nutzbar sind (UNSC 21.12.2018, S.9).

In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (ME 27.6.2019). Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände von al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017, S.26; vgl. BMLV 3.9.2019). Andererseits führen ausstehende Soldzahlungen zu Meutereien bzw. zur Aufgabe gewonnener Gebiete durch Teile der Armee (z.B. in Middle Shabelle im März 2019) (BAMF 1.4.2019).

Al Shabaab kontrolliert große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia und bedroht dort die Städte (LWJ 8.1.2019). Außerdem kontrolliert al Shabaab wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 17.1.2019).

AMISOM/Operationen: Die Truppensteller von AMISOM glauben nicht daran, dass Regierungskräfte über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um wichtige Sicherheitsaufgaben zu übernehmen (HRW 17.1.2019). Die Regierung ist selbst bei der Sicherheit von Schlüssel-Einrichtungen auf AMISOM angewiesen (BS 2018, S.7). Vor desaströsen Auswirkungen eines voreiligen Abzugs von AMISOM wird gewarnt (SRSG 13.9.2018, S.5). Bereits ein Teilabzug im Rahmen einer „Rekonfiguration“ könnte zur Aufgabe sogenannter Forward Operating Bases (FOBs) führen (UNSC 15.5.2019, Abs.72). Die Kräfte von AMISOM sind ohnehin überdehnt (ME 27.6.2019), und schon in den Jahren 2016 und 2017 fielen manche Städte aufgrund des Abzugs von AMISOM zurück an al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.1). Auch im Rahmen der Truppenreduzierung im Jahr 2019 hat AMISOM FOBs räumen müssen – etwa Faafax Dhuun (Gedo); andere wurden an die somalische Armee übergeben (ME 14.3.2019).

Nach 2015 hat AMISOM keine großen Offensiven gegen die al Shabaab mehr geführt (ISS 28.2.2019; vgl. SEMG 9.11.2018, S.22), der Konflikt befindet sich in einer Art „Warteschleife“ (ICG 27.6.2019, S.1). Im aktuellen Operationsplan von AMISOM sind ausschließlich kleinere offensive Operationen vorgesehen, welche insbesondere der Absicherung relevanter Versorgungsrouten dienen. Tatsächliche Vorstöße auf das Gebiet der al Shabaab sind so gut wie keine vorgesehen. Das heißt, dass AMISOM lediglich auf die Absicherung wesentlicher gesicherter Räume (v.a. Städte) und wichtiger Versorgungsrouten abzielt (ME 14.3.2019). In diesem Sinne ist auch die Operation Badbaado (Lower Shabelle) zu sehen, bei welcher v.a. somalische Truppen herangezogen wurden (ME 27.6.2019). Ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM kann auf dieser Grundlage nicht erwartet werden (ME 14.3.2019).

Islamischer Staat (IS): Neben al Shabaab existieren in Süd-/Zentralsomalia auch kleinere Zellen des sog. IS (LWJ 16.11.2018). Deren Aktivitäten haben sich ausgedehnt, der IS verübt Mordanschläge in – v.a. – Mogadischu, Afgooye und Baidoa (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. LWJ 4.1.2019; NLMBZ 3.2019, S.15). Dort verfügt der IS über ein Netzwerk. Unklar bleibt, ob dieses mit der IS-Fraktion in Puntland in Kontakt steht (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.16). Insgesamt hat sich der IS im Zeitraum Oktober 2017 bis August 2018 zu 50 Attentaten bekannt, tatsächlich konnten nur 13 verifiziert werden (SEMG 9.11.2018, S.4/28f). Die Fähigkeiten des IS in und um Mogadischu sind auf gezielte Attentate beschränkt (UNSC 21.12.2018, S.3).

Zivile Opfer: Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur durch al Shabaab führten 2018 zu hunderten zivilen Todesopfern und Verletzten (HRW 17.1.2019). Allerdings sind Zivilisten nicht das Primärziel (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LWJ 9.11.2018), wiewohl sie als Kollateralschaden in Kauf genommen werden (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LI 28.6.2019, S.8). So wurde z.B. als Grund für einen Angriff auf das Sahafi Hotel in Mogadischu am 9.11.2018 von al Shabaab angegeben, dass dort Offiziere und Regierungsvertreter wohnen würden (LWJ 9.11.2018). Der Umstand, dass bei al Shabaab willkürliche Angriffe gegen Zivilisten nicht vorgesehen sind, unterscheidet die Methoden der Gruppe von jenen anderer Terroristen (z.B. Boko Haram) (NLMBZ 3.2019, S.12).

Im Zeitraum Jänner-September 2018 sind in Somalia bei Sprengstoffanschlägen mindestens 280 Menschen ums Leben gekommen, 220 wurden verletzt. 43% der Opfer waren Zivilisten; hauptsächlich betroffen waren die Regionen Lower Shabelle und Benadir/Mogadischu (USDOS 13.3.2019, S.13).

Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2018 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Sub-Clans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2018 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle betroffen (USDOS 13.3.2019, S.2/11f). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer – generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter – Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8).

Insgesamt werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) wie folgt angegeben:

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 12,3 Millionen Einwohnern (UNFPA 1.2014, S.31f) – wobei andere Quellen von mindestens 14,7 Millionen ausgehen (USDOS 21.6.2019, S.2) – lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:8163.

Luftangriffe: Es kommt vermehrt zu US-Luftangriffen. Die Zahl stieg von 15 im Jahr 2016 auf 35 im Jahr 2017 und weiter auf 47 im Jahr 2018 (LWJ 8.1.2019). Dabei wurden 2018 von der US-Luftwaffe 326 Personen getötet. Alleine im Jänner und Feber 2019 meldete AFRICOM weitere 24 Luftschläge mit 225 Getöteten – nach Angaben von AFRICOM ausschließlich Kämpfer der al Shabaab (TNYT 10.3.2019). Danach ging die Frequenz zurück. Bis Ende April waren es 28 Luftschläge (UNSC 30.4.2019). Angriffe finden in mehreren Regionen statt, in jüngerer Zeit, z.B. am 23.2.2019 auf Stützpunkte von al Shabaab in der Ortschaft Qunyow Barrow (Middle Juba), nahe Aw Dheegle (Lower Shabelle) und in Janaale (Lower Shabelle); am 24.2.2019 nahe Belet Weyne (Hiiraan) und am 25.2.2019 nahe Shebeeley (Hiiraan) (BAMF 4.3.2019, S.6). Auch die äthiopische und die kenianische Luftwaffe führen Angriffe durch (LIFOS 3.7.2019, S.28).

Die Luftangriffe auf Ausbildungs- und Sammelpunkte von al Shabaab zielen darauf ab, Einsatzfähigkeit und Bewegungsfreiheit der Gruppe einzuschränken. Allerdings führten sie auch dazu, dass mehr al Shabaab-Kämpfer in Städte – und hier v.a. Mogadischu – drängen, wo sie kaum Luftschläge zu fürchten brauchen (UNSC 15.5.2019, Abs.16).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.4.2019): Briefing Notes 1. April 2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (4.3.2019): Briefing Notes 4. März 2019

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia, URL, Zugriff 10.4.2019

- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

- ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold på reise i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio (8.1.2019): Counterterrorism strikes in Somalia continue, despite reports of a drawdown, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (4.1.2019): Analysis: Islamic State expanded operations in Somalia in 2018, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss / Thomas Joscelyn (16.11.2018): Islamic State warns Shabaab of impending battle in Somalia, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (9.11.2018): Shabaab claims series of suicide bombings in Mogadishu, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio (15.10.2018): Shabaab attacks Somali force in southern Somalia, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio / Caleb Weiss (3.9.2018): Shabaab attacks focus on Somali military, African Union forces, URL, Zugriff 21.1.2019

- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

- ME - Militärstrategischer Experte (14.3.2019): Telefoninterview durch die Staatendokumentation

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- TNYT - The New York Times (10.3.2019): Trump Administration Steps Up Air War in Somalia, URL, Zugriff 12.3.2019

- UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 – Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (30.4.2019): May 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

- UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (11.2018): Monthly Briefs on Human Rights in Somalia – November 2018, URL, Zugriff 28.8.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom - Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019

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Bundesstaat Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba)

Nominell gehören zum Machtbereich von Jubaland die Regionen Lower und Middle Juba sowie Gedo. Die Regierung von Jubaland verfügt aber nicht über die entsprechenden Kapazitäten, um ganz Jubaland kontrollieren zu können (BFA 8.2017, S.57ff). Viele der ländlichen Teile von Jubaland werden von al Shabaab kontrolliert (NLMBZ 3.2019, S.22). Angriffe der al Shabaab richten sich vor allem gegen Regierungskräfte und deren Alliierte (LIFOS 3.7.2019, S.27).

Lower Juba: Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani und Kolbiyow werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert. Die Situation in Dif und Badhaade ist hingegen ungewiss (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2). Jamaame steht unter Kontrolle von al Shabaab; dies gilt auch für den nördlichen Teil Lower Jubas (PGN 8.2019). Dhobley ist relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017, S.64; vgl. PGN 8.2019) und wird als sicher erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.27). Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani und Tabta können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019).

Die Bevölkerung von Kismayo ist in kurzer Zeit um 30% auf ca. 300.000 gewachsen. Viele der Zuzügler stammen aus dem Umland oder kamen aus Kenia oder der weltweiten Diaspora nach Kismayo zurück (FIS 5.10.2018, S.20f). Der Aufbau von Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und anderen bewaffneten Kräften (BFA 8.2017, S.59). Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt, die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde (ME 27.6.2019). Folglich lässt sich sagen, dass die Polizei in Kismayo entsprechend gut funktioniert. Die al Shabaab ist in Kismayo nur eingeschränkt aktiv, es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen (BFA 8.2017, S.59; vgl. BMLV 3.9.2019). Die Stadt gilt als ruhig und sicher (ME 27.6.2019), auch wenn die Unsicherheit wächst (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Zivilisten können sich in Kismayo frei und relativ sicher bewegen. Aufgrund der gegebenen Sicherheit ist Kismayo das Hauptziel für Rückkehrer aus Kenia. Der Stadt Kismayo – und damit der Regierung von Jubaland – wird ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert. Der Regierung ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren (BFA 8.2017, S.58f; vgl. BMLV 3.9.2019). Regierungskräfte kontrollieren die Stadt, diese ist aber von al Shabaab umgeben (LIFOS 3.7.2019, S.27f); allerdings hat Jubaland die Front bis in das Vorfeld von Jamaame verschieben können. So ist al Shabaab zumindest nicht mehr in der Lage, entlang des Juba in Richtung Kismayo vorzustoßen. Trotzdem ist es der Gruppe möglich, punktuell auch in Kismayo Anschläge zu verüben (BMLV 3.9.2019).

Middle Juba: Die ganze Region und alle Bezirkshauptstädte (Buale, Jilib, Saakow) stehen unter Kontrolle der al Shabaab (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2; BS 2018, S.15). Die Region gilt als Bastion der Gruppe (BFA 8.2017, S.62).

Gedo: Die Städte Baardheere, Belet Xaawo, Doolow, Luuq und Garbahaarey sowie die Orte Ceel Waaq und Buurdhuubo werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert (PGN 8.2019). Faafax Dhuun und Buusaar wurden im März 2019 von kenianischen Truppen geräumt (BMLV 3.9.2019) und von al Shabaab übernommen (PGN 8.2019). Die Städte Luuq, Garbahaarey, Doolow und Baardheere können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019).

Die Grenzstadt Doolow sowie Luuq und das direkte Grenzgebiet zu Äthiopien sind relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017, S.64; vgl. PGN 8.2019). Die beiden genannten Städte werden als sicher erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Bilateral eingesetzte kenianische Truppen finden sich im Bereich zur Grenze, in Gherille und Bura Hacha (BMLV 3.9.2019). Trotzdem befinden sich weite Teile von Gedo im Bereich von al Shabaab. Dabei gilt Gedo als sicherer als Lower und Middle Juba. Dies kann mitunter auf die homogenere Bevölkerung und auf die starke Präsenz von Äthiopien und Kenia zurückgeführt werden (NLMBZ 3.2019, S.22). Der Konflikt in Gedo besteht v.a. zwischen jenen Marehan, die für oder gegen al Shabaab eingestellt sind. Klare Trennlinien lassen sich hier nicht erkennen – auch nicht entlang der Clans. Dies sorgt insbesondere entlang der Grenze zu Kenia für Probleme, wo die Sicherheitslage zusätzlich durch Schmuggler verschlechtert wird (ME 27.6.2019).

In Gedo verfügt die nominell für die Region zuständige Regierung Jubalands nur über schwachen Einfluss. Die dort stehenden Teile der somalischen Armee (teils ehemalige Kämpfer der Ahlu Sunna Wal Jama’a, teils von Marehan-Milizen rekrutiert) kooperieren aber zunehmend mit Jubaland. Luuq und Garbahaarey werden als stabil beschrieben, auch Doolow floriert. Neben Kismayo werden insbesondere Dhobley und Doolow als sicher bezeichnet (BFA 8.2017, S.63f; vgl. BMLV 3.9.2019). Die ASWJ ist in Gedo nicht mehr vorhanden (ME 27.6.2019). Im Dezember 2018 kam es im Grenzgebiet zu Kenia zu Kämpfen zwischen al Shabaab und IS (LWJ 14.1.2019).

Vorfälle: In den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 41 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 24 dieser 41 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 28 derartige Vorfälle (davon 20 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):

…(ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019)

Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „violence against civilians“ (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED zahlreiche Unschärfen aufweist):

…(ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019)

 

Quellen:

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), URL, Zugriff 10.1.2018

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), URL, Zugriff 21.12.2017

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (14.1.2019): Shabaab kills pro-Islamic State commander, URL, Zugriff 21.1.2019

- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

- ME - Militärstrategischer Experte (14.3.2019): Telefoninterview durch die Staatendokumentation

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- PGN - Political Geography Now (8.2019): Somalia Control Map & Timeline - August 2019, URL, Zugriff 28.8.2019

- UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 – Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019

 

Rechtsschutz/Justizwesen

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v.a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017, S.31; vgl. BS 2018, S.18; USDOS 13.3.2019, S.8; NLMBZ 3.2019, S.38). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 5.6.2019b, F1; NLMBZ 3.2019, S.38).

In Süd-/Zentralsomalia und in Puntland sind die Grundsätze der Gewaltenteilung in der Verfassung niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 4.3.2019, S.6; vgl. USDOS 13.3.2019, S.8). Eine landesweite Rechtsstaatlichkeit ist nicht festzustellen (BS 2018, S.18).

Formelle Justiz - Kapazität: In den vergangenen zehn Jahren haben unterschiedliche Regierungen in Mogadischu und anderen Städten Gerichte auf Bezirksebene errichtet. Sie sind für Straf- und Zivilrechtsfälle zuständig. In Mogadischu gibt es außerdem ein Berufungsgericht und ein Oberstes Gericht (Supreme Court) (BS 2018, S.18). Ein Verfassungsgericht ist noch nicht eingerichtet worden (UNSC 15.5.2019, Abs.88). Insgesamt befinden sich Polizei und Justiz noch im Aufbau, Integrität und Kapazitäten reichen nicht aus, um Einzelpersonen adäquat vor Gewalt schützen zu können (LI 15.5.2018, S.3). Vielen Richtern und Staatsanwälten mangelt es an Qualifikation (BS 2018, S.18). Rechtsstaatlichkeit ist nur schwach ausgeprägt (SRSG 13.9.2018, S.2). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes. Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht (AA 4.3.2019, S.12). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 5.6.2019b, F1), in vielen Landesteilen gar nicht vorhanden. Einige Regionen haben lokale Gerichte geschaffen, die vom lokal dominanten Clan abhängen (USDOS 13.3.2019, S.8).

Insgesamt haben Bundesbehörden und Behörden der Bundesstaaten aber bei der Kapazitätsbildung zur Strafverfolgung Krimineller Fortschritte gemacht (LIFOS 16.4.2019, S.10). Auch weiterhin unterstützt UNDP die Programme für sogenannte mobile Gerichte (mobile courts) (UNHRC 19.7.2018, Abs.28).

Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. USDOS 13.3.2019, S.8). Im August 2018 hat Präsident Farmaajo per Dekret fünf Richter des Supreme Court ausgewechselt; dies wurde als Unterminierung der Unabhängigkeit der Justiz kritisiert (UNSC 21.12.2018, S.11). Außerdem sind Urteile von Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2018, S.19; vgl. USDOS 13.3.2019, S.8f; FH 5.6.2019b, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 13.3.2019, S.9). Auch Korruption behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 13.3.2019, S.9; vgl. FH 5.6.2019b, F1). Außerdem halten sich Staatsbedienstete bzw. Behörden nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 13.3.2019, S.8; vgl. FH 5.6.2019b, F1; NLMBZ 3.2019, S.38). Soldaten und Polizisten, welche Verbrechen begehen, sind meist außer Reichweite gesetzlicher Sanktionen (NLMBZ 3.2019, S.34). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, parteiisch und manipulierbar wahrgenommen (BS 2018, S.18).

Formelle Justiz - Militärgerichte: Die von der Bundesregierung geschaffenen Militärgerichte füllen z.T. das Vakuum des schlecht funktionierenden formellen Rechtssystems (BS 2018, S.11). Sie verhandeln und urteilen weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 4.3.2019, S.8; vgl. FH 5.6.2019b, F2). Ein Grund dafür ist, dass zivile Richter oftmals Angst haben, bestimmte – zivile – Fälle zu verhandeln (USDOS 13.3.2019, S.8). Mittlerweile übergeben Ankläger der Armee Fälle von verdächtigten Angehörigen der Sicherheitskräfte, gegen welche ermittelt wird, teils an zivile Gerichte (HRW 17.1.2019). Militärgerichte missachten international anerkannte Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 4.3.2019, S.8; vgl. USDOS 13.3.2019, S.2; HRW 17.1.2019). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 13.3.2019, S.8).

Traditionelles Recht (Xeer): Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2018, S.18). Die traditionelle Justiz dient im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten. Sie wird oft herangezogen, da sie zu schnellen Entscheidungen führt (USDOS 13.3.2019, S.9). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung – z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern – angewendet (SEM 31.5.2017, S.34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, S.100; vgl. EASO 2.2016, S.27). Es kommt also auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz sogar auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, S.7). Ca. 90% aller Rechtsstreitigkeiten werden über traditionelle Konfliktlösungsmechanismen ausgetragen (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Ein Beispiel dafür ist etwa die Zahlung von Kompensationsgeld an Familien von bei Demonstrationen in Baidoa im Dezember 2018 durch Sicherheitskräfte getöteten Personen (UNSC 15.5.2019, Abs.4).

Clan-Schutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib – die sogenannte Diya/Mag/Blutgeld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet – je nach Region, Clan und Status – ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat – z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde – sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen. Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind – insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, S.8ff).

Der Ausdruck „Clan-Schutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen – oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, S.33). Der Clan-Schutz funktioniert generell – aber nicht immer – besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clan-Mechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, S.36). Denn in erster Linie wird ein Tod nicht durch einen Rachemord ausgeglichen, sondern durch die Zahlung von Blutgeld (diya, mag) kompensiert (GIGA 3.7.2018).

Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, S.8), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM 31.5.2017, S.35). Staatlicher Schutz ist im Falle von Clan-Konflikten von geringer Relevanz, die „Regelung“ wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen (ÖB 9.2016, S.11).

Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, S.3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, S.35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 13.3.2019, S.9), und dass die traditionellen Mechanismen nicht auf schriftlich festgelegten Regeln beruhen (UNHRC 6.9.2017, Abs.60).

Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, S.32).

Scharia: Familien- und Standesangelegenheiten (Heirat, Scheidung, Erbschaft) werden im Rahmen der Scharia abgehandelt. Allerdings sind Schariagerichte oftmals von Clans beeinflusst (BS 2016, S.13). Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia führte dazu, dass die Scharia auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, S.34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt (BS 2018, S.18).

Recht bei al Shabaab: In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe abgelehnt (AA 4.3.2019, S.23). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, S.33) bzw. ist letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2018, S.19). Außerdem gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 13.3.2019, S.10). Der Clan-Schutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, S.33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, S.3).

Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, S.4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2018, S.19). Angeklagte vor einem Schariagericht haben kein Recht auf Verteidigung, Zeugen oder einen Anwalt (USDOS 13.3.2019, S.10). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 4.3.2019, S.12; vgl. SEMG 9.11.2018, S.38; TIND 15.1.2019; BS 2018, S.19). Al Shabaab inhaftiert Personen für Vergehen wie Rauchen; unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Musikhören; Fußballschauen oder -spielen; das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 13.3.2019, S.5). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt (LI 20.12.2017, S.3) – was v.a. in Städten und größeren Dörfern der Fall ist (LI 21.5.2019a, S.3). In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, S.3).

Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv und schnell beschrieben (BFA 8.2017, S.29). Aufgrund der Schwäche staatlicher Gerichte werden sie von den Menschen auch in Anspruch genommen (Maruf 14.11.2018; vgl. SRSG 13.9.2018, S.2; NLMBZ 3.2019, S.35; BFA 8.2017, S.77). Mitunter reisen Streitparteien extra in die Gebiete von al Shabaab, um dort Klage einzureichen (ICG 27.6.2019, S.4; vgl. BFA 8.2017, S.77).

Al Shabaab ist grundsätzlich in der Lage, Gerichtsbeschlüsse auch durchzusetzen (NLMBZ 3.2019, S.35; vgl. ICG 27.6.2019, S.4f). Wer sich an eine Entscheidung eines solchen Gerichtes nicht hält, muss im schlimmsten Fall mit seiner Tötung rechnen (Maruf 14.11.2018). Al Shabaab versucht, von ihr verhängte Urteile auch z.B. in Afgooye oder Mogadischu durchzusetzen (BFA 8.2017, S.77).

Es gilt das Angebot einer Amnestie für Kämpfer der al Shabaab, welche ihre Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen (AA 4.3.2019, S.12). Diese Amnestiemöglichkeit ist aber nur mündlich ausgesprochen worden, es gibt keine rechtliche Grundlage dafür (Khalil 1.2019, S.17). Allerdings wird üblicherweise im Austausch für Informationen über die al Shabaab eine Amnestie gewährt (LIFOS 3.7.2019, S.24).

Puntland: Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der staatliche Schutz in Puntland besser darstellt als in Süd-/Zentralsomalia (ÖB 9.2016, S.19). Auch das Justizsystem in Puntland ist eine Mischung aus Xeer, Scharia und formellem Recht. Die meisten Fälle werden durch Clanälteste im Xeer abgehandelt (EASO 2.2016, S.27; vgl. USDOS 13.3.2019, S.10). Ins formelle Justizsystem gelangen vor allem jene Fälle, wo keine Clan-Repräsentation gegeben ist (USDOS 13.3.2019, S.9f).

Puntland hat ein unabhängiges und hierarchisch strukturiertes Gerichtswesen geschaffen (BS 2018, S.18), die Gerichte werden als funktionierend bezeichnet (USDOS 13.3.2019, S.9; vgl. EASO 2.2018, S.27). Es gilt die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein öffentliches Verfahren, auf einen Anwalt und auf Berufung. Die Gerichte können aber nicht gewährleisten, dass vor dem Recht alle gleich sind (USDOS 13.3.2019, S.9f).

Das puntländische Gerichtssystem wird unterstützt – etwa mit einem Programm für sogenannte mobile courts. Zusätzlich besteht ein Programm zum Aufbau subsidiärer Strukturen. Damit konnten Bezirksräte und -Verwaltungen eingerichtet werden (BFA 8.2017, S.113). Die mobile courts bieten in entlegenen Gebieten einen kostenlosen Zugang zur formellen Justiz, sie werden u.a. von der EU finanziert (UNDP 28.7.2017). Das UNDP unterstützt seit Jahren die universitäre Ausbildung von Juristen in Puntland, um dem Mangel an Personal – Richter, (Staats-)Anwälte – entgegenzutreten (UNDP 7.4.2019).

Zu den weder von der Regierung noch von al Shabaab kontrollierten Gebieten gibt es kaum Informationen. Es ist aber davon auszugehen, dass Rechtsetzung, -Sprechung und -Durchsetzung zumeist in den Händen von v.a. Clanältesten liegen. Von einer Gewaltenteilung ist dort nicht auszugehen (AA 4.3.2019, S.6f). Urteile werden hier häufig gemäß Xeer von Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur den relativ eng begrenzten Bereich eines bestimmten Clans. Sind mehrere Clans betroffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 4.3.2019, S.12).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 15.7.2019

- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019

- FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019

- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia, URL, Zugriff 10.4.2019

- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

- Khalil - Khalil, James/ / Brown Rory / et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019): Deradicalisation and Disengagement in Somalia. Evidence from a Rehabilitation Programme for Former Members of Al-Shabaab, URL, Zugriff 17.5.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (15.5.2018): Somalia: Security challenges in Mogadishu, URL, Zugriff 21.6.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (20.12.2017): Somalia: Al-Shabaab utenfor byene i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (16.4.2019): Somalia – Kvinnlig könsstympning (version 1.0), URL, Zugriff 30.4.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019

- Maruf - Harun Maruf / Westminster Institute (14.11.2018): Inside Al-Shabaab: The Secret History of Al-Qaeda’s Most Powerful Ally, URL, Zugriff 19.11.2018

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019

- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- TIND - The Independent / Joe Sommerlad (15.1.2019): Al-Shabaab: Who are the East African jihadi group and what are their goals?, URL, Zugriff 30.1.2019

- UNDP - UN Development Programme (7.4.2019): Sixth group of UNDP sponsored law students graduate from Puntland State University, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNDP - UN Development Programme (28.7.2017): Puntland mobile courts explained to judicial officials from emerging States, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNHRC - UN Human Rights Council (19.7.2018): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, URL, Zugriff 12.7.2019

- UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, URL, Zugriff 12.7.2019

- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Sicherheitsbehörden

Ausländische Kräfte

Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit zwölf Jahren in Somalia stationiert. Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Allerdings hängt die Bundesregierung in großem Maße von den Kräften der AMISOM ab (BS 2018, S.7).

AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (BMLV 3.9.2019). Nach einer Angabe gab es im Dezember 2018 an 78 Orten ca. 21.600 uniformiertes und 70 ziviles AMISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, S.9). Bis Mai 2019 wurde die Truppenstärke auf 20.626 Mann reduziert. Ob es zu einer weiteren Verringerung kommt, ist unklar. Eine solche steht zumindest im Raum (UNSC 31.5.2019). Nach anderen Angaben wurde eine weitere Reduzierung bereits vorgenommen, und so betrug die Truppenstärke ab Feber 2019 nur noch 19.586 Mann. Laut UN-Resolution ist eine weitere Reduzierung um 1.000 Mann bis Ende Feber 2020 geplant – allerdings unter der Voraussetzung, dass die somalische Armee in der Lage ist, zwölf Stützpunkte der AMISOM zu übernehmen (BMLV 3.9.2019).

Trotzdem soll die Präsenz auf Galmudug ausgedehnt werden (AMISOM 7.8.2019, S.7). Eigentlich soll die somalische Armee im Jahr 2020 die Aufgaben von AMISOM übernehmen (TIND 15.1.2019). Der Exit-Plan von AMISOM sieht vor, dass die Truppe mit Dezember 2021 das Land verlässt (ISS 28.2.2019). Der kenianische Präsident hat angekündigt, dass er seine Truppen aus Somalia erst abziehen wird, wenn dort Frieden und Stabilität herrscht (AMISOM 15.10.2018a).

Die Stärke betrug im Feber 2019:

 Äthiopien: 4.123

 Burundi: 3.922

 Dschibuti: 1.797

 Kenia: 3.860

 Uganda: 5.759

 Hauptquartier: 125 (BMLV 3.9.2019)

Rund 1.000 AMISOM-Soldaten erhielten eine Ausbildung durch Kräfte aus Großbritannien, dies hat u.a. zur Einsatzfähigkeit beigetragen (UNSC 9.5.2017). Eine derartige Ausbildung erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU (BMLV 3.9.2019). In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BFA 8.2017, S.16). AMISOM erhält von der UN-Agentur UNSOS an 77 Stützpunkten logistische Unterstützung (UNSC 15.8.2019, Abs.68). Die Schlagkraft von AMISOM wird u.a. dadurch gehemmt, dass eine Luftkomponente nicht bzw. kaum gegeben ist (ME 27.6.2019).

Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Dabei ist die im AMISOM-Auftrag vorgesehene Aufstockung auf 1.040 Mann noch nicht erreicht worden; insgesamt wären fünf sogenannte Formed Police Units vorgesehen (FPU; je 160 Mann) (BMLV 3.9.2019), allerdings sind nur drei vorhanden. Diese stammen aus Nigeria, Sierra Leone und Uganda (BMLV 3.9.2019; vgl. UNSC 21.12.2018, S.10). AMISOM unterstützt die somalische Polizei bei ihrer Arbeit in Mogadischu. Mehr als 300 AMISOM-Polizisten bilden die somalischen Polizisten in den Bereichen Polizeiarbeit; Menschenrechte; Verbrechensprävention; Gemeindepolizei und Fahndungsmethoden weiter (USDOS 13.3.2019, S.7). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).

Neben AMISOM operieren auch noch bilateral eingesetzte Truppen unterschiedlicher Staaten auf somalischem Territorium (BFA 8.2017, S.17). Äthiopien hat sein bilateral eingesetztes Kontingent reduziert. Derartige Truppen finden sich in Bakool, Gedo und Galgaduud (BMLV 7.6.2019). Die Stärke dieser Kräfte wird mit ca. 2.000 Mann beziffert. Zusätzlich kommt die Ethiopian Air Force vermehrt in Somalia zum Einsatz (BMLV 3.9.2019). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, S.17f). Die bilateral von Kenia eingesetzten Truppen wurden im März 2019 mehrheitlich in die Nähe der gemeinsamen Grenze zurückgezogen. Die Stärke dieser Kräfte beläuft sich derzeit vermutlich auf ca. 250-300 Mann (BMLV 3.9.2019). Die USA verfügen in Somalia über rund 500 Mann (TIND 15.1.2019).

Die Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State operierte – zumindest in der Vergangenheit – auch innerhalb Somalias, dort v.a. im grenznahen Gebiet (BFA 8.2017, S.18f; vgl. LWJ 3.9.2018). Nach August 2018 wurde der Einsatz der Liyu Police in Somalia weitgehend eingestellt. Anfang 2019 gab es keine ständige Stationierung mehr in Somalia. Trotzdem wird die Liyu Police auch weiterhin für Einsätze zur Unterstützung der äthiopischen Armee herangezogen. Diese werden allerdings von Standorten in Äthiopien aus mit einem Zeitrahmen von wenigen Tagen durchgeführt (BMLV 7.6.2019). Die Einsätze der Liyu werden aber offenbar wesentlich zurückhaltender als in den vergangenen Jahren geführt (BMLV 3.9.2019).

 

Quellen:

- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

- AMISOM (15.10.2018a): 15 October 2018 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (7.6.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio / Caleb Weiss (3.9.2018): Shabaab attacks focus on Somali military, African Union forces, URL, Zugriff 21.1.2019

- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

- TIND - The Independent / Joe Sommerlad (15.1.2019): Al-Shabaab: Who are the East African jihadi group and what are their goals?, URL, Zugriff 30.1.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (31.5.2019): June 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Somalische Kräfte

Zwar hat es auf Bundes- und Bundesstaatsebene etwas Fortschritt gegeben, um die Rollen und Verantwortlichkeiten im Sicherheits- und Justizsektor zu klären; allerdings haben politische Grabenkämpfe dringend nötige große Reformen verhindert (HRW 17.1.2019). Auch hinsichtlich der Nationalen Sicherheitsarchitektur gibt es weiterhin offene Fragen – etwa zur Integration oder Entwaffnung und Demobilisierung regionaler Kräfte und Clanmilizen. Der Status regionaler (Streit-)Kräfte (Darawish) bleibt damit weiterhin unklar (SEMG 9.11.2018, S.33).

Die somalischen Sicherheitskräfte befinden sich nach wie vor im Aufbau. Polizei und Armee sind nicht in der Lage, bei einem Rückzug der AMISOM deren Aufgaben zu übernehmen (BFA 8.2017, S.6/11). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2018, S.7), die Regierung ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2018, S.39). Zudem hat al Shabaab Polizei und Armee infiltriert und korrumpiert (LIFOS 3.7.2019, S.42).

Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019, S.1/6). Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte entziehen sich oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA), aber auch für die Polizeikräfte. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 4.3.2019, S.8/18). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 4.3.2019, S.7). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, herrscht eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 13.3.2019, S.6).

Polizei: Die Polizei untersteht einer Mischung von lokalen und regionalen Verwaltungen und der Bundesregierung (USDOS 13.3.2019. S.6; vgl. BFA 8.2017, S.12f). Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit. Die von regionalen Behörden geführten Polizeikräfte unterstehen den jeweiligen regionalen Innen- oder Sicherheitsministerien. Die Bundespolizei ist in allen 17 Bezirken Mogadischus präsent (USDOS 13.3.2019. S.6f). Generell ist die Polizei außerhalb von Mogadischu nur eingeschränkt präsent (NLMBZ 3.2019, S.34).

Aktuelle Mannstärke der Polizei:

 Benadir/Mogadischu: Stand August 2017 - 6.146 Mann (BFA 8.2017, S.12). Durch Neuausbildungen wurde die Stärke massiv erhöht, alleine im Feber 2019 wurden 1.400 neue Polizeirekruten in den Dienst übernommen. Außerdem wurden Angehörige der NISA der Polizei unterstellt. Nun verfügt die Polizei in Benadir über 8.000-9.000 Mann (BMLV 3.9.2019).

 Galmudug: Stand August 2017 - <500 Mann (BFA 8.2017, S.12). Seither hat sich die Stärke nur minimal durch die Übernahme von ASWJ-Angehörigen erhöht; vermutlich auf 500-550 Mann (BMLV 3.9.2019).

 HirShabelle: Stand August 2017 - >550 (BFA 8.2017, S.13). Im Feber 2019 wurden ca. 200 neue Polizeirekruten in Dienst gestellt, Ende August 2019 weitere rd. 200. Weitere 400 Neurekrutierungen sind geplant. Die Gesamtstärke der HirShabelle Police dürfte sich aktuell auf rd. 800 Mann belaufen (BMLV 3.9.2019).

 Jubaland: Zum Stand vom August 2017 - 500-600 Mann - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BFA 8.2017, S.12; vgl. BMLV 3.9.2019).

 South West State: Zum Stand vom August 2017 - 600-700 - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BFA 8.2017, S.12; vgl. BMLV 3.9.2019).

Die Kapazitäten werden mit Ausbildungsmaßnahmen verbessert. In einem international unterstützten Programm werden 700 Polizisten für Galmudug, 400 für den SWS, 600 für Jubaland und 800 für HirShabelle rekrutiert und ausgebildet (UNSC 15.5.2019, Abs.47; vgl. UNSC 21.12.2018, S.11). Z.B. wurden bereits von UNSOM gemeinsam mit somalischer Polizei und AMISOM mit EU-Finanzierung in Jowhar 200 Polizisten für HirShabelle ausgebildet (UNSOM 12.2018, S.2; vgl. UNSOM 3.2019, S.2). AMISOM betreut über 3.200 somalische Polizisten an 31 Polizeistationen (AMISOM 7.8.2019, S.4). Weitere internationale Unterstützung für die Polizei: Bau von Polizeistationen und Bezahlung von Gehältern (Jubaland); Schenkung von Fahrzeugen und Bezahlung von Gehältern (SWS); Bezahlung von Gehältern (Galmudug); Einrichtung elektronisch erfasster Gehaltslisten (Puntland); Bau des Hauptquartiers der Kriminalpolizei, Renovierung von Polizeistationen, Schenkung von Fahrzeugen und Kommunikationsausrüstung (Mogadischu) (UNSC 21.12.2018, S.11).

Die Polizei ist generell nicht effektiv, es mangelt an Ausrüstung und Ausbildung. Es gibt auch Berichte über Korruption (USDOS 13.3.2019, S.6; vgl. NLMBZ 3.2019, S.34) und Infiltration durch al Shabaab (LIFOS 3.7.2019. S.42). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten (AA 17.9.2019). Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Die Bezahlung von Polizisten erfolgt meist nur unregelmäßig, die Korruption ist hoch. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal – und die lokale Clandynamik berücksichtigend – rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BFA 8.2017, S.13; vgl. BMLV 3.9.2019).

Armee: Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der somalischen Armee verantwortlich. Dabei bleibt die ausgeübte Kontrolle dürftig, hat sich aber mit Hilfe internationaler Partner etwas verbessert. Letzteres gilt etwa für die Kräfte im Großraum Mogadischu, Lower Shabelle, in der Region Bay bis Baidoa und nördlich bis Jowhar (USDOS 13.3.2019, S.7). Die Armee gilt als chaotischer Zusammenschluss zahlreicher bewaffneter Gruppen, es mangelt an einheitlichen Führungsstrukturen. Fußtruppen sind oft eher gegenüber dem Clan loyal als gegenüber der Regierung. Die meisten Bataillone sind entlang von Clans organisiert, es kommt mitunter zu Rivalitäten zwischen einzelnen Bataillonen (Williams, S.18ff).

Der Armee kam und kommt beachtliche internationale Unterstützung zugute, damit sie AMISOM ersetzen kann (BS 2018, S.7). Trotzdem zeigen die Ergebnisse einer Studie zur Einsatzfähigkeit der somalischen Armee vom Dezember 2017 den schlechten Zustand der Streitkräfte (SEMG 9.11.2018, S.33). Trotz der mehr als zehn Jahre dauernden (internationalen) Bemühungen ist die somalische Armee nicht in der Lage, selbständige Operationen durchzuführen (ME 14.3.2019), ihr Zustand wird als „work in progress“ beschrieben (ICG 27.6.2019, S.4). Sie ist auf defensive und lokale Operationen beschränkt und in großem Maße vom Schutz und Versorgung durch AMISOM und UN abhängig (Williams, S.2). Immerhin wurden bei der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle schon mehrheitlich somalische Truppen herangezogen (ME 27.6.2019).

Das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Armee ist von einem hohen Maß an Misstrauen geprägt, das durch kontinuierliche Rückstände bei der Auszahlung des Soldes, Korruption, Missmanagement und Entwendung von Versorgungsgütern genährt wird. Zudem hat die Armee keine zentralen Kommandostrukturen etablieren können (BS 2018, S.7f). Sie gleicht einer Koalition unterschiedlicher Kontingente (AQ1 5.2019) bzw. Clanmilizen, deren Loyalität eher beim Clan als bei der Bundesregierung liegt (BS 2018, S.7; vgl. ICG 27.6.2019, S.4). Manchmal sucht sich die Armee lokale oder Clanmilizen als Alliierte und heizt dadurch bereits bestehende Konflikte weiter an (BS 2018, S.7).

Der Armee mangelt es an Ausbildung und Ausrüstung, Korruption ist verbreitet (LIFOS 3.7.2019, S.22). Das Operational Readiness Assessment über die somalische Armee vom Dezember 2017 hat ergeben, dass diese sich in einem schlimmen Zustand befindet. Die vorhandenen Bataillone sind durchschnittlich nur zu 63% aufgefüllt, Rekrutierungsmethoden sind inkonsistent, es mangelt selbst an grundlegender Ausrüstung (Williams, S.1). Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden (AA 4.3.2019, S.7). Es gibt mehrere Berichte, wonach unbezahlte Angehörige der Sicherheitskräfte ihre Waffen verkaufen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können (SEMG 9.11.2018, S.15). Korruption, Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee (AA 4.3.2019, S.8). Mitunter kam es 2019 in den Regionen Middle und Lower Shabelle zu Meutereien, weil der Staat bei der Auszahlung des Soldes schon fast chronisch versagt (AQ1 5.2019). Das hohe Maß an Korruption und Missmanagement bei den Sicherheitskräften und das damit verbundene Unterbleiben von Soldzahlungen hat wiederholt zu schweren Sicherheitsproblemen geführt (BS 2018, S.20). Die stockende oder ausbleibende Auszahlung des Soldes hat Soldaten immer wieder dazu verführt, ihr Einkommen auf andere Art zu sichern: durch Erpressung, Nebentätigkeiten, Betrug oder den Verkauf von Ausrüstung (Williams, S.11f). U.a. haben die USA Ende 2017 aufgrund der herrschenden Korruption die Soldzahlung an 12.000 somalische Soldaten eingestellt (Mohamed 17.8.2019). Die danach erfolgte Einführung der elektronischen Bezahlung des Soldes führte zu einer erheblichen Steigerung der Moral. Die Spezialeinheit Danaab wird und wurde regelmäßig bezahlt (ME 27.6.2019). Danaab – von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut – ist auch die einzige Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und Können eine Rolle spielen (Williams, S.2/9).

Im vergangenen Jahrzehnt hat die Armee von zahlreichen Akteuren Unterstützung bei Ausrüstung, Ausbildung und Logistik erhalten, namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN. Zigtausende Soldaten wurden ausgebildet. Diese Ausbildung erfolgte aber unkoordiniert und ohne Gesamtkonzept (Williams, S.2ff). Außerdem hat Somalia alleine in den Jahren 2013-2105 17.500 Waffen von außen erhalten. Trotzdem stellte sich im Jahr 2017 heraus, dass nur 70% der Soldaten überhaupt eine Waffe besitzen (Williams, S.22).

Die Türkei hat 2017 bei Mogadischu einen neuen Ausbildungsstützpunkt für die somalische Armee eröffnet (VOA 27.12.2017). Die UN-Agentur UNSOS unterstützt logistisch weiterhin 10.900 Soldaten der somalischen Armee (z.B. Rationen, Treibstoff, Wasser) – v.a. die im Tandem mit AMISOM operierenden Teile (UNSC 15.5.2019, Abs.43; vgl. UNSC 15.8.2019, Abs.72). AMISOM trägt zur Erweiterung der Kapazitäten von somalischer Armee und Polizei bei (BS 2018, S.39). Katar hat der somalischen Armee Dutzende gepanzerte Fahrzeuge geschenkt (AMISOM 17.1.2019c). Somalische Soldaten befinden sich u.a. in Eritrea und Ägypten zur Ausbildung (AQ1 5.2019). Im April 2018 haben die VAE ihre Soldaten aus dem Ausbildungslager in Mogadischu abgezogen. Dort befanden sich mehrere Hundert somalische Soldaten in Ausbildung, darunter Spezialkräfte. Die Basis wurde nach dem Abzug geplündert (SEMG 9.11.2018, S.31). In Galmudug wird mit Unterstützung der UN auch eine Küstenwache ausgebildet (SEMG 9.11.2018, S.38).

AMISOM führt für die somalischen Sicherheitskräfte auch Ausbildungen durch, z.B. zur Behandlung von Fällen konfliktbezogener sexueller Gewalt (AMISOM 4.3.2019b). Die Ausbildung im Menschenrechtsbereich wird international zunehmend unterstützt; es muss aber weiterhin davon ausgegangen werden, dass der Mehrzahl der regulären Kräfte die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für regierungsnahe Milizen (AA 4.3.2019, S.7).

Armee/Stärke: Die genaue Stärke ist unbekannt bzw. unklar. Angaben reichen von rund 15.000 Soldaten (USDOS 13.3.2019, S.7) über 16.000-18.000 Mann (BFA 8.2017, S.13) bis hin zu – nach eigenen Angaben der Armee – rund 23.200 Mann, darunter die Spezialeinheit Danaab mit zusätzlich 2.000 Mann in „unabhängigen Bataillonen“. Allerdings ist davon auszugehen, dass die letzten Zahlen übertrieben, und signifikante Teile der Truppe freiberuflich aktiv sind (SEMG 9.11.2018, S.14). AMISOM beziffert die Zahl der unterschiedlichen Pro-Regierungs-Gruppen (darunter Milizen von Bundesstaaten und Clans) mit mehr als 20.000 Mann (AMISOM 27.2.2019). Die Masse der Truppe befindet sich in Middle und Lower Shabelle, South-West-State und Jubaland. Kräfte der Armee und von pro-Regierungs-Milizen operieren manchmal Seite an Seite mit AMISOM (USDOS 13.3.2019, S.7).

Regionale Kräfte: Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden.

Regionale (Streit-)Kräfte (Darawish) stellen jedenfalls einen erheblichen Anteil verfügbarer Kräfte: Alleine in den Bundesstaaten Jubaland, Galmudug und Southwest finden sich 14.700 registrierte Angehörige regionaler Sicherheitskräfte; davon 1.300 Frauen. Ob diese in die somalische Armee oder in Polizeikräfte integriert werden, ist unklar (UNSOM 12.2018, S.3). Beim Operational Readiness Assessment wurden in Jubaland, Galmudug, SWS und Puntland sogar fast 20.000 Personen registriert, welche zu „Regionalkräften“ gezählt werden (UNSC 15.5.2019, Abs.45).

NISA (National Intelligence and Security Agency): Die Rolle des Staatsschutzes liegt in der Hand der NISA, die mit exekutiven Vollmachten ausgestattet ist (AA 4.3.2019, S.9). Das Mandat der NISA bleibt ungeklärt (HRW 17.1.2019). Sie wurde nie in einen Rechtsrahmen eingebettet und hat sich im Sicherheitsbereich weitreichende Befugnisse angeeignet (BS 2018. S.17). Die Bundesregierung greift regelmäßig auf die Kräfte der NISA zurück, um polizeiliche Arbeit zu erledigen (USDOS 13.3.2019, S.6; vgl. NLMBZ 3.2019, S.34). Hierbei werden Zivilisten ohne Haftbefehl festgehalten (USDOS 13.3.2019, S.6). Dabei verfügt die NISA über kein Mandat, um Festnahmen vorzunehmen (USDOS 13.3.2019, S.4). Ihre Arbeit leidet zudem unter Vorwürfen, wonach ihre Führung mit al Shabaab in Zusammenhang stehen soll. Die Fähigkeit der NISA, zur Sicherheit in Mogadischu beizutragen, wird unterminiert (SEMG 9.11.2018, S.5).

Allerdings ist es in den vergangenen Monaten zu diesbezüglichen Säuberungen in der NISA gekommen (ME 27.6.2019). Zusätzlich wurden im August 2019 rd. 1.700 Mann der NISA dem Kommando der Polizei unterstellt. Aktuell verfügt die NISA über ca. 1.000 Mann – einschließlich der Spezialeinheit Gashaan (BMLV 3.9.2019) (Alpha und Bravo Group), wobei letztere als hoch effizient bezeichnet wird (BFA 8.2017, S.15). Die NISA hat ein Kooperations- und Ausbildungsabkommen mit dem Nachrichtendienst Katars (BMLV 3.9.2019).

Puntland: Die Sicherheitskräfte in Puntland setzen sich wie folgt zusammen:

 Die Puntland Defense Forces (PDF; auch Darawish genannt): <3.000

 Puntland Maritim Police Force (PMPF): 1.200

 Präsidentengarde: 300-400

 Bossaso Port Police: 300

 Polizei: 3.600 (BFA 8.2017, S.87f; vgl. BMLV 3.9.2019)

Vor allem die Polizei ist für die relative Ruhe in Puntland verantwortlich. Es gibt so gut wie keine Berichte über Polizeiübergriffe oder Willkür in Puntland. Zusätzlich zu den offiziell ins staatliche System eingegliederten Kräften stützt sich Puntland maßgeblich auf lokale Milizen (BFA 8.2017, S.87f). Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist in Puntland etwas stärker ausgeprägt als in Süd-/Zentralsomalia, doch entzieht sich das Handeln der Sicherheitskräfte auch dort weitgehend Kontrolle der öffentlichen Kontrolle. Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden keine erhoben (AA 1.1.2017). Die früher beobachteten Schwierigkeiten mit ausständigen Soldzahlungen sind nicht mehr erkennbar, im Jahr 2019 kam es zu keinen diesbezüglichen Protesten der Sicherheitskräfte. Die Einsatzbereitschaft der verschiedenen Teilkräfte hat sich wieder verbessert (BMLV 3.9.2019).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

- AMISOM (4.3.2019b): 04 March 2019 - Morning Headlines [Quelle: AMISOM], Newsletter per E-Mail

- AMISOM (27.2.2019): 27 February 2019 - Morning Headlines [Quelle: AMISOM], Newsletter per E-Mail

- AMISOM (17.1.2019c): 17 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Goobjoog News], Newsletter per E-Mail

- AQ1 - Anonyme Quelle 1 (5.2019): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia, URL, Zugriff 10.4.2019

- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

- ME - Militärstrategischer Experte (14.3.2019): Telefoninterview durch die Staatendokumentation

- Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

- UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (3.2019): New Policing Model Newsletter, Edition 24, URL, Zugriff 7.5.2019

- UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (12.2018): New Policing Model Newsletter, Edition 21, URL, Zugriff 6.5.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

- VOA - Voice of America (27.12.2017): Somalia 2017: New President, Old Problems With Terrorism, Drought, URL, Zugriff 30.8.2019

- Williams, Paul D. (2019): Building the Somali National Army: Anatomy of a failure, 2008-2018, In: Journal of Strategic Studies, URL, Zugriff 12.9.2019

 

Minderheiten und Clans

Recht: Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 4.3.2019, S.9). Weder das traditionelle Recht (Xeer) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S.42). Im Xeer sind Minderheiten insofern benachteiligt, alsdass große Clans Kompensationszahlungen eher durchsetzen können (NLMBZ 3.2019, S.38). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S.11).

Politik: Regierung und Parlament sind entlang der sogenannten 4.5-Formel organisiert. Dies bedeutet, dass die Vertreter der vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zustehen, während kleineren Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze zustehen (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. FH 5.6.2019b, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 5.6.2019b, B4). Aktuell sind im Parlament 31 von 275 Sitze von Minderheitsangehörigen besetzt, elf davon durch Bantu (NLMBZ 3.2019, S.42). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Dementsprechend sind politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Sub-Clans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren (ÖB 9.2016, S.4f). In politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ist die Clanzugehörigkeit also weiterhin wichtig, was Minderheiten und IDPs marginalisieren kann (SEM 31.5.2017, S.35f).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 13.3.2019, S.34; vgl. AA 4.3.2019, S.12; FH 5.6.2019b, F4; NLMBZ 3.2019, S.41). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 4.3.2019, S.12).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans (USDOS 13.3.2019, S.34). Generell sind Angehörige von nicht dominanten Clans und Gruppen zwar potenziell gegenüber Verbrechen vulnerabler als andere; allerdings gibt es keine Hinweise darauf, dass sie etwa in Mogadischu systematisch Gewalt ausgesetzt wären (LI 15.5.2018, S.3).

Al Shabaab: Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben – sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO 8.2014, S.91). Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt und zwangsrekrutiert (BS 2018, S.10). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen“ Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, S.7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, S.11).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019

- EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, URL, Zugriff 26.6.2019

- FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019

- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

- LI - Landinfo (15.5.2018): Somalia: Security challenges in Mogadishu, URL, Zugriff 21.6.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Bevölkerungsstruktur

In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen (AA 4.3.2019, S.12). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85% der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 13.3.2019, S.33). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6% bis hin zu 33%. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 3.2019, S.42; vgl. SEM, 31.5.2017, S.12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 4.3.2019, S.12; vgl. SEM 31.5.2017, S.5). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S.5).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017, S.8). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 5.3.2019b). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S.9).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:

 Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

 Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

 Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

 Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

 Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen (SEM 31.5.2017, S.55; vgl. AA 5.3.2019b).

Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil-Mirifle stellen je ca. 20-25% der Bevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 5.3.2019b). Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S.25).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S.5).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

- LI - Landinfo (Norwegen) (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, URL, Zugriff 26.6.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v.a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S.14ff).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe auf oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S.43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S.3).

Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S.44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S.44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S.49).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, S.44ff). Mischehen kommen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, S.44ff; vgl. FIS 5.10.2018, S.26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im clanmäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, S.44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, S.26). Al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, S.7f).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, S.44ff). Hingegen kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem „noblen“ Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, S.44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, S.26).

 

Quellen:

- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, URL, Zugriff 15.7.2019

- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019

 

Relevante Bevölkerungsgruppen

 

Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und den IS

In von der Regierung kontrollierten Gebieten führt al Shabaab ihre Mordkampagne fort (NLMBZ 3.2019, S.11; vgl. SEMG 9.11.2018, S.5/38f). Folgende Personengruppen sind diesbezüglich einem erhöhten Risiko ausgesetzt:

 Angehörige der AMISOM (NLMBZ 3.2019, S.11; vgl. USDOS 21.6.2019, S.1; LIFOS 3.7.2019, S.23f);

 nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, S.1; SEMG 9.11.2018, S.38f; NLMBZ 3.2019, S.11);

 Angehörige der Sicherheitskräfte (USDOS 21.6.2019, S.1; vgl. HRW 17.1.2019; NLMBZ 3.2019, S.11; LIFOS 3.7.2019, S.23f);

 Regierungsangehörige, Parlamentarier und Offizielle (USDOS 21.6.2019, S.1; vgl. NLMBZ 3.2019, S.11; LIFOS 3.7.2019, S.23f); al Shabaab greift gezielt Örtlichkeiten an, wo sich die politische Elite trifft. Seit 2012 sind mindestens 18 Parlamentarier bei Anschlägen getötet worden oder aber einem gezielten Attentat zum Opfer gefallen. Viele dieser Morde werden al Shabaab zugerechnet. Al Shabaab ist auch außerhalb ihrer eigenen Gebiete eine große Bedrohung für politische Aktivisten und Politiker (BS 2018, S.16).

 mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 13.3.2019, S.12);

 Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 13.3.2019, S.12; vgl. NLMBZ 3.2019, S.11; LIFOS 3.7.2019, S.24);

 Wirtschaftstreibende (SEMG 9.11.2018, S.38f; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.23f) – zumal jene, die für die Regierung tätig sind. Selbst kleine und mittlere Unternehmen, die mit AMISOM oder der Regierung zusammenarbeiten, werden zum Ziel (LIFOS 3.7.2019, S.24). Jene, die nicht mit Feinden der al Shabaab kooperieren und welche Steuern an al Shabaab abführen, sind keinem Risiko ausgesetzt. Generell können nicht alle Morde an Wirtschaftstreibenden al Shabaab zugerechnet werden (NLMBZ 3.2019, S.11/14);

 Älteste und Gemeindeführer (SEMG 9.11.2018, S.38f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.11; USDOS 13.3.2019, S.3/12);

 Wahldelegierte und deren Angehörige bzw. Personen, die am letzten Wahlprozess mitgewirkt haben (USDOS 13.3.2019, S.3/12; vgl. HRW 17.1.2019); dabei hat al Shabaab die Delegierten vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich für ihr Verhalten zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen. Die große Mehrheit entschuldigte sich (Mohamed 17.8.2019). Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in Jubaland ist ebenfalls ein Delegierter ermordet worden (UNSC 15.8.2019, Abs.19).

 Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 13.3.2019, S.3/12);

 prominente Friedensaktivisten (USDOS 13.3.2019, S.3/12; vgl. NLMBZ 3.2019, S.11);

 religiöse Führer (SEMG 9.11.2018, S.38f);

 Journalisten (NLMBZ 3.2019, S.11);

 mutmaßliche Kollaborateure und Spione (USDOS 13.3.2019, S.3/12; vgl. SEMG 9.11.2018, S.38f; NLMBZ 3.2019, S.11);

 Deserteure (NLMBZ 3.2019, S.11);

 (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS (AA 4.3.2019, S.13); al Shabaab steht dem IS extrem feindlich gegenüber, es kommt zu brutalen Bestrafungen (NLMBZ 3.2019, S.16). Der Führer von al Shabaab hat die Anweisung gegeben, Anhänger des IS anzugreifen und zu eliminieren (VOA 21.12.2018); al Shabaab hat dem IS offiziell den Krieg erklärt. Seit Ende 2015 wurden Dutzende (ehemalige) Mitglieder der al Shabaab aufgespürt und getötet, da sie zum IS übergelaufen waren oder aber Sympathien für den IS bekundet haben (LWJ 14.1.2019). Diese Personen werden systematisch verfolgt (LWJ 16.11.2018).

Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie keine Steuern an al Shabaab abführen (BFA 8.2017, S.34). Gemäß einer Studie richteten sich Angriffe von al Shabaab im Zeitraum 2006-2017 zu 36,6% gegen Personen und Symbole des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), zu 24,5% gegen Symbole und Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter AMISOM) und zu 32,4% gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (NLMBZ 3.2019, S.12). Einige Beispiele seien angeführt: Ermordet wurden – vermutlich von al Shabaab – am 23.2.2019 in Karaan (Mogadischu) ein Abgeordneter des Parlaments; am 25.2.2019 in Afgooye (Lower Shabelle) neun Straßenreiniger (BAMF 4.3.2019, S.6); ein Koranlehrer in Mogadischu, der sich für Deradikalisierung einsetzte; ein Regierungsangestellter am 29.5.2018 in Mogadischu (BAMF 4.6.2018, S.3).

Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 4.3.2019, S.15). Dort werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel definiert und entsprechend zur Ermordung freigegeben (AA 4.3.2019, S.9). Al Shabaab exekutiert vor allem jene, welche der Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung bezichtigt werden (HRW 17.1.2019). Dabei ist die Schwelle dessen, was die al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, mitunter sehr niedrig angesetzt. Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt (BFA 8.2017, S.40ff). Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017, S.40ff).

Alleine Anfang Oktober 2018 wurden fünf Personen exekutiert, denen Spionage (für die USA, Großbritannien oder die somalische Regierung) vorgeworfen worden war (LWJ 11.10.2018). In einem anderen Beispiel wird berichtet, dass al Shabaab am 27.3.2019 fünf Personen im Gebiet Yaq Baraawe (Bay) und am 31.3.2019 vier Personen in Kamsuma (Lower Juba) wegen angeblicher Spionage hingerichtet hat (BAMF 1.4.2019).

Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23). Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clan-Dynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte die al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017, S.35f).

Insgesamt muss hinzugefügt werden, dass al Shabaab nicht für alle an diesen Personengruppen begangenen Morde die Verantwortung übernimmt oder trägt (HRW 17.1.2019). Es muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde politisch motiviert oder einfach Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (LIFOS 3.7.2019, S.26).

Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (NLMBZ 3.2019, S.23; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).

Der IS verübt vor allem in Mogadischu und Afgooye Mordanschläge auf Angehörige von Sicherheitskräften (52%), des Geheimdienstes (25%) und von (Finanz-)Behörden (19%) (LWJ 4.1.2019; vgl. SEMG 9.11.2018, S.28f).

Ausweichmöglichkeiten: Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] sind – vor allem prominente – Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet (BFA 8.2017, S.36).

Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde die al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BFA 8.2017, S.47f).

Steuern - al Shabaab: Al Shabaab hebt Steuern ein. Dabei werden Wirtschaftstreibende angerufen und bedroht. Diese zahlen Schutzgeld (Maruf 14.11.2018), denn weder die Bundesregierung noch Regionalregierungen sind in der Lage, sie vor Schutzgelderpressung zu schützen (VOA 3.12.2018; vgl. Maruf 14.11.2018). Dabei verlangt al Shabaab von Wirtschaftstreibenden zunehmend höhere Steuern (zakat), um ihren Krieg finanzieren zu können. Steuern werden auch auf landwirtschaftliche Produkte und Vieh eingehoben. Zusätzlich kommt es auch zu allgemeinen Geldforderungen (infaaq). Am meisten Geld verdient al Shabaab aber mit der Besteuerung von Fahrzeugen, die Güter durch das Gebiet der Gruppe transportieren. Auch am Bakara-Markt in Mogadischu hebt al Shabaab Steuern ein (VOA 3.12.2018). Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Steuern bzw. Schutzgeld an al Shabaab, um in Ruhe gelassen zu werden (BFA 8.2017, S.33). Steuern werden von unterschiedlichsten Personengruppen und Institutionen eingefordert: Von Taxifahrern in Mogadischu, von Regierungsbediensteten oder Angestellten internationaler Organisationen, von Deserteuren oder Angestellten von NGOs, von Hotelbesitzern und anderen Wirtschaftstreibenden. Generell richtet sich al Shabaab bei der Eintreibung von Steuern aber eher an Letztere. Zur Besteuerung jeder Einzelperson reichen ihre Kapazitäten nicht aus (BFA 8.2017, S.32ff).

Insgesamt scheinen Bedrohungen nichts Ungewöhnliches zu sein, in Einzelfällen erfolgt die Realisierung. Manche Personen, die der Steuerforderung nicht nachkommen, werden als Exempel für andere exekutiert (BFA 8.2017, S.39; vgl. VOA 3.12.2018). Überhaupt stützt sich das Steuersystem von al Shabaab auf systematische Einschüchterung und Gewalt. So wurde etwa im Juni 2018 bei Qura‘a Jome (Bakool) ein gesamter ziviler Konvoi von elf Fahrzeugen vernichtet, da keine Abgaben entrichtet worden waren. Sechs Zivilisten kamen dabei ums Leben (SEMG 9.11.2018, S.97).

Steuern - IS: Der sog. Islamische Staat fordert nunmehr Steuern (VOA 3.12.2018). V.a. Wirtschaftstreibende in städtischen Gebieten werden erpresst. Jene, die sich der Zahlung einer „Steuer“ widersetzen, müssen mit Gewalt rechnen (USDOS 13.3.2019, S.3). Dies gilt jedenfalls für Bossaso (Puntland) (LWJ 4.1.2019; LIFOS 3.7.2019, S.34) und Galkacyo (LIFOS 3.7.2019, S.34); aber auch in Mogadischu hat der IS Attentate gegen Steuerverweigerer verübt (VOA 3.12.2018).

Die Hauptziele des IS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, Polizisten und Angehörige von al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, S.35).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.4.2019): Briefing Notes 1. April 2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (4.3.2019): Briefing Notes 4. März 2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (4.6.2018): Briefing Notes 4. Juni 2018

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia, URL, Zugriff 10.4.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (14.1.2019): Shabaab kills pro-Islamic State commander, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (4.1.2019): Analysis: Islamic State expanded operations in Somalia in 2018, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss / Thomas Joscelyn (16.11.2018): Islamic State warns Shabaab of impending battle in Somalia, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Thomas Joscelyn (11.10.2018): Shabaab executes alleged spies in southern Somalia, URL, Zugriff 21.1.2019

- Maruf - Harun Maruf / Westminster Institute (14.11.2018): Inside Al-Shabaab: The Secret History of Al-Qaeda’s Most Powerful Ally, URL, Zugriff 19.11.2018

- Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom - Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019

- VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (21.12.2018): Somalia's Al-Shabab Declares War on Pro-Islamic State Group, URL, Zugriff 22.1.2019

- VOA - Voice of America / Harun Maruf (3.12.2018): In Somalia, Businesses Face ‚Taxation‘ by Militants, URL, Zugriff 22.1.2019

 

Bewegungsfreiheit und Relokation

Die Übergangsverfassung schützt das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt (USDOS 13.3.2019, S.21; vgl. NLMBZ 3.2019, S.37).

Überlandreisen: Reisende sind durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren einer Gefahr ausgesetzt (FH 5.6.2019b, G1; vgl. USDOS 13.3.2019, S.21). Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen (LI 28.6.2019, S.8). Generell werden Überlandreisen als riskant und teuer erachtet. Viele der Hauptstraßen werden nur teilweise von AMISOM und Armee kontrolliert (NLMBZ 3.2019, S.37). Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen (NLMBZ 3.2019, S.37; vgl. LI 28.6.2019, S.4/9). Dahingegen transportieren AMISOM und die Armee aufgrund des Risikos Truppen und Versorgungsgüter oft auf dem Luftweg (NLMBZ 3.2019, S.37). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch. Blockadebrecher werden angegriffen, Güter und Fahrzeuge zerstört (HRW 17.1.2019).

Bei Reisen von Gebieten der Regierung in jene von al Shabaab besteht das Risiko, von beiden Seiten der Kollaboration verdächtigt zu werden (NLMBZ 3.2019, S.37). Allerdings reisen die Menschen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren (LI 28.6.2019, S.4/9). Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden (LI 28.6.2019, S.7).

Die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne konnte wesentlich verbessert werden (BMLV 3.9.2019). Diese Hauptverbindung ist grundsätzlich für den Personenverkehr und Warentransport geöffnet. Die Straße unterliegt allerdings noch immer einer erheblichen Bedrohung durch al Shabaab, wenn auch die Frequenz der Überfälle entlang dieser Verbindungslinie merklich abgenommen hat (BMLV 16.9.2019). Der Verkehr entlang der Route Belet Weyne - Garoowe ist von al Shabaab unbeeinträchtigt (BMLV 16.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.82). An den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba kann es zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen (BMLV 16.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.61ff). In Bakool befinden sich die Verbindungsstraßen zwischen Xudur, Ceel Barde, Yeed und Waajid einigermaßen unter Kontrolle. In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren (BMLV 16.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.70ff).

Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll (LI 28.6.2019, S.8), wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clan-Milizen (LI 28.6.2019, S.8; vgl. FH 5.6.2019b, G1; USDOS 13.3.2019, S.21).

Straßensperren von al Shabaab: Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebiete besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen (LI 28.6.23019, S.4/10). Diese finden sich in ganz Süd-/Zentralsomalia flächendeckend, die Steuerhöhe variiert regional (SEMG 9.11.2018, S.26). Allerdings finden sich diese Straßensperren oft nicht an den Hauptversorgungsrouten, sondern an Nebenstraßen der ländlichen Gebiete (SEMG 9.11.2018, S.97). Doch auch an wichtigen Straßenverbindungen – z.B. nach Baidoa, Kismayo oder Jowhar – betreibt al Shabaab Checkpoints (NLMBZ 3.2019, S.11/37f).

Berufsfahrer bevorzugen Wege mit Checkpoints von al Shabaab, da dort – im Gegensatz zu von anderen Kräften kontrollierten Straßensperren – Regeln eingehalten werden (NLMBZ 3.2019, S.37), und weil dort das Risiko von Gewalt geringer und die vorgesehene Abgabe berechenbarer ist. Außerdem ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern ab und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Menschen können z.B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen (LI 28.6.2019, S.9f).

Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen (LI 28.6.2019, S.11). Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LI 28.6.2019, S.4). Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die tatsächlich Verbindungen zur Regierung haben, oder aber die diesbezüglich verdächtigt werden. Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden (LI 28.6.2019, S.9f). Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clan-Verbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt (LI 28.6.2019, S.4/11).

Frauen: Es ist nicht ungewöhnlich, alleine reisende ältere Frauen anzutreffen. Dahingegen wird vermieden, jüngere Frauen ohne Begleitung auf Reisen zu schicken – v.a. aufgrund der Gefahr sexueller Gewalt (LI 28.6.2019, S.11f). Für Frauen gibt es nämlich ein erhöhtes Risiko, an Straßensperren sexueller Gewalt ausgesetzt zu werden. Dabei spielt die Clanzugehörigkeit kaum eine Rolle, denn im Transit ist der Schutz des Clans oft wirkungslos (FIS 5.10.2018, S.32).

Ausweichmöglichkeiten: Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen für einen Teil der somalischen Bevölkerung mit Sicherheit. Üblicherweise genießen Somalis den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind (ÖB 9.2016, S.14). Im Fall einer nicht durch individuelle Verfolgung begründeten Flucht aus von al Shabaab kontrollierten Gebieten bieten urbane Zentren und ländliche Gebiete unter staatlicher Kontrolle relativ größere Sicherheit. Dabei ist es schwierig, relativ sichere Zufluchtsgebiete pauschal festzulegen, denn je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen ist eine Person möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen bedroht. Jedenfalls herrscht in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr Freiheit (AA 4.3.2019, S.16). Zudem gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. In Mogadischu und anderen großen Städten ist es nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016, S.9). Es sind keine Berichte bekannt, wonach aus Somaliland oder Puntland IDPs aus Süd-/Zentralsomalia deportiert worden wären (NLMBZ 10.2017, S.67). Die (Clan-)Zusammensetzung der Bevölkerung von Mogadischu ist sehr heterogen. Dort können sich Angehörige jedes Clans niederlassen (FIS 5.10.2018, S.22). Zudem gibt aus Mogadischu keine Meldungen hinsichtlich Problemen bei der Bewegungsfreiheit (BMLV 16.9.2019).

Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Mogadischu kann international (mit Ethiopian Airlines und Turkish Airlines) erreicht werden. In die Städte Kismayo, Dhobley, Baidoa, Doolow, Xudur, Belet Weyne, Guri Ceel, Cadaado und Galkacyo gelangt man mit kleineren Fluglinien, wie African Express Airways, Daallo Airlines oder Jubba Airways (LI 28.6.2019, S.6f). Von Mogadischu aus können auch Garoowe, Bossaso und Hargeysa auf dem Luftweg mit Linienflügen erreicht werden (NLMBZ 3.2019, S.38). Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar (LI 28.6.2019, S.6f).

Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Die „grüne Grenze“ sowie die Seegrenze sind weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (AA 4.3.2019, S.23).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (16.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia, URL, Zugriff 10.4.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold på reise i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, URL, Zugriff 26.6.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (10.2017): Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, URL, Zugriff 21.6.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Grundversorgung/Wirtschaft

Wirtschaft und Arbeit

Generell erholt sich die somalische Wirtschaft weiterhin von der Dürre der Jahre 2016 und 2017. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 2,3% (UNSC 21.12.2018, S.4), 2018 bei ca. 2,8% (UNSC 15.8.2019, Abs.22) und wird vom Internationalen Währungsfonds für 2019 und 2020 auf jeweils 3,5% prognostiziert. Das Wachstum hat sich also erholt, die Inflation wurde gebremst und das Handelsdefizit reduziert. Zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen haben gute Regenfälle und wachsende Remissen (BLO 27.2.2019), die Erstarkung des Agrarsektors, die Konsolidierung von Sicherheit und die Zunahme privater Investitionen und von Geldflüssen aus Geberländern (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist also die Diaspora, welche begonnen hat, in Somalia (v.a. Mogadischu und die Hauptstädte der Bundesstaaten) zu investieren (BS 2018, S.5). Auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei das Land wiederaufzubauen (ÖB 9.2016, S.23).

Allerdings hat sich das BIP pro Kopf seit 2013 von 316 US-Dollar auf 313 US-Dollar verringert, da die Bevölkerung schneller wächst als das BIP (UNSC 15.8.2019, Abs.22; vgl. UNSC 21.12.2018, S.4). Das Wirtschaftswachstum ist für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern würde (UNSC 21.12.2018, S.4). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 13.3.2019, S.21). Folglich gehört Somalia auch weiterhin zu den ärmsten Ländern der Erde. Bei den gängigen Indikatoren zur Messung der wirtschaftlichen Entwicklung (BSP, Lebenserwartung, Mütter- und Kindersterblichkeit) liegt Somalia zumeist auf den letzten Plätzen. In Puntland ist die Situation besser (AA 5.3.2019a). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 9.2016, S.2).

Staatshaushalt: Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium – aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten – war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen; ca. 46% der Staatsausgaben entfallen auf die nationale Sicherheit (BS 2018, S.36). Die staatlichen Steuereinnahmen nehmen zu, die Finanzverwaltung wird besser und das Vertrauen der Wirtschaft wächst (SRSG 13.9.2018, S.2; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5). Durch Verbesserungen bei der Finanzgebarung hat Somalia nunmehr das Potenzial, einen weiter positiven makroökonomischen Kurs einzuhalten und Raum für Investitionen über konzessionäre Darlehen zu schaffen (AA 5.3.2019a). Das Budget für 2019 wird mit 340 Mio. US-Dollar veranschlagt, im Jahr 2018 waren es ca. 277 Mio. 56% des Budgets stammen aus eigenen Einnahmen, 44% werden von Gebern beigesteuert (UNSC 21.12.2018, S.5).

Arbeit / Lebensunterhalt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen (USDOS 13.3.2019, S. 37). Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar (ÖB 9.2016, S.18), auch wenn in Puntland und Teilen Südsomalias – insbesondere Mogadischu – der tertiäre Bildungsbereich boomt (BS 2018, S.32). Der Wirtschaft ist es nicht gelungen, ausreichend Beschäftigung zu schaffen – v.a. für Frauen und Junge (UNSC 21.12.2018, S.47). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund ab (BS 2018, S.30). Aufgrund des Fehlens eines formellen Banksystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clan-Verbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greissler anschreiben lassen (RVI 9.2018, S.4).

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2018, S.26). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, S.2; vgl. OXFAM 6.2018, S.4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager (UNFPA 8.2016b).

Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: Auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2% der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30%). Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel – v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, S.10). NGOs und der Privatsektor bieten den Menschen grundlegende Dienste – vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, S.4).

Von in der Reintegrationsphase befindlichen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab wurden im September 2017 folgende Berufe genannt: Köhler; Hilfsarbeiter am Bau in Dayniile (10 Tage pro Monat; 10 US-Dollar pro Tag); Koranlehrer am Vormittag in Dayniile (120 US-Dollar pro Monat); Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre (10-12 US-Dollar pro Tag); Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, S.30). Ärzte verdienen im Banadir Hospital 1.500-2.000 US-Dollar, Krankenschwestern 400-600 US-Dollar (FIS 5.10.2018, S.36). Generell hat die verbesserte Sicherheitslage in den Städten zu einem Bau-Boom geführt (OXFAM 6.2018, S.4).

Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. So berichten Personen, die aus Kenia in Orte in Süd-/Zentralsomalia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 13.3.2019, S.22f). Eine Arbeit zu finden ist mitunter schwierig, verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben. Auch Unternehmensgründer sind auf den Clan angewiesen. Generell ist das Clan-Netzwerk vor allem außerhalb von Mogadischu von besonderer Relevanz (FIS 5.10.2018, S.22). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, S.22f; vgl. OXFAM 6.2018, S.10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, S.10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, S.22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, S.10).

Arbeitslose: Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose keinerlei Unterstützung (LI 1.4.2016, S.11). In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60%) und von Verwandten im Ausland (27%) versorgt zu werden (IOM 2.2016, S.42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, S.5/32f; vgl. GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z.B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.9/32ff).

Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 13.3.2019, S.23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58%, bei Frauen bei 37% (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58% der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016a, S.4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2016 mit 6,6% angeführt (BS 2018, S.25). Wieder eine andere Quelle nennt für 2012 eine Jugendarbeitslosigkeit von 67% bei 14-29jährigen (DI 6.2019, S.22). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24jährigen eine Quote von 48% (OXFAM 6.2018, S.22FN8). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3% der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6%, Kismayo 13%, Baidoa 24%) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist, als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).

In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schüler/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 8.2016b):

• Ländlich: 68,8% der Männer - 40,5% der Frauen

• Urban: 52,6% der Männer - 24,6% der Frauen

• IDP-Lager: 55,2% der Männer - 32,6% der Frauen

• Nomaden: 78,9% der Männer - 55,6% der Frauen (UNFPA 8.2016b)

Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4% der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4% gelten als Arbeitssuchende. 44,2% der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 8.2016, S.29):

…(UNFPA 8.2016, S.29)

In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen. Folglich sind in Puntland und Süd-/Zentralsomalia 13,8% der Männer und 9% der Frauen im Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche wohingegen 55,8% der Männer und 32,9% der Frauen einer Arbeit nachgehen (UNFPA 6.2016, S.31):

… (UNFPA 6.2016, S.31)

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (13,5%) (UNFPA 6.2016, S.36f):

… (UNFPA 6.2016, S.36f)

Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen – etwa bei Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, S.10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, S.22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43% der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, S.10).

Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z.B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80%-90% des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS 5.10.2018, S.24f). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018, S.10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, S.24f; vgl. OXFAM 6.2018, S.10). All diese Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, S.10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z.B. können sie nicht Taxifahrer werden (FIS 5.10.2018, S.24f).

Remissen: Für viele Haushalte sind Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 5.10.2018, S.22). Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr ca. 1,2 (DI 6.2019, S.5), nach anderen Angaben 1,3 (UNSC 15.5.2019, Abs.20) bzw. 1,4 Milliarden US-Dollar in die Heimat (RVI 9.2018, S.1). Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2018, S.30) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, S.5). Nach einer Angabe empfangen nur 15% der Haushalte Remissen (UNSC 15.5.2019, Abs.20), nach einer anderen Angabe erhalten 40% der Bevölkerung Überweisungen. Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72%. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, S.1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, S.28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v.a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, S.2).

Mindestens 65% der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise – etwa jener von 2017 – wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z.B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, S.2f).

UN-HABITAT führt ein Ausbildungsprogramm für Jugendliche in Somalia, namentlich in Kismayo, Garoowe und Mogadischu durch. 400 jungen Frauen und Männern der Altersgruppe 15-35 sollen Kenntnisse im Bauwesen, Wirtschaft, Gründertum und Soft Skills vermittelt werden (UNHABITAT 16.8.2018). Auch der Bürgermeister von Mogadischu hat im Feber 2019 ein Projekt gestartet, bei welchem 400 Jugendliche aus Mogadischu, Baidoa und Kismayo eine Berufsausbildung erhalten sollen. Das Projekt wird von UNDP finanziert (AMISOM 28.2.2019).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019a): Somalia – Wirtschaft, URL, Zugriff 10.4.2019

- AMISOM (28.2.2019): 28 February 2019 - Morning Headlines [Quelle: Goobjoog News], Newsletter per E-Mail

- BLO - Bloomberg (27.2.2019): IMF Sees Somalia's GDP Growth Accelerating to 3.5% in 2019, URL, Zugriff 13.3.2019

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

- IOM - Internationale Organisation für Migration (2.2016): Youth, Employment and Migration in Mogadishu, Kismayo and Baidoa, URL, Zugriff 9.9.2019

- Khalil - Khalil, James/ / Brown Rory / et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019): Deradicalisation and Disengagement in Somalia. Evidence from a Rehabilitation Programme for Former Members of Al-Shabaab, URL, Zugriff 17.5.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (1.4.2016): Somalia - Relevant social and economic conditions upon return to Mogadishu, URL, Zugriff 9.9.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

- OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, URL, Zugriff 24.7.2019

- RVI - Rift Valley Institute / Majid, Nisar / Abdirahman, Khalif / Hassan, Shamsa (9.2018): Remittances and Vulnerability in Somalia, URL, Zugriff 12.9.2019

- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- UNFPA (8.2016a): Somali youth in figures - better data, better lives, URL, Zugriff 12.9.2019

- UNFPA (8.2016b): Economic Characteristics of the Somali People, URL, Zugriff 24.7.2019

- UNHABITAT - UN Human Settlements Programme (16.8.2018): Providing Somali youth hope through job creation, URL, Zugriff 23.7.2019

- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Grundversorgung / Humanitäre Lage

Die humanitäre Krise in Somalia bleibt eine der komplexesten und am längsten dauernden weltweit (SRSG 3.1.2019, S.4f). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet (AA 5.3.2019a; vgl. AA 4.3.2019, S.20). Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 4.3.2019, S.4; vgl. AA 5.3.2019a). Auch der bewaffnete Konflikt trägt seinen Teil dazu bei (SRSG 3.1.2019, S.4f).

Armut: Große Teile der Bevölkerung sind hinsichtlich Armut und Nahrungsversorgung vulnerabel. Eine Schätzung besagt, dass rund 77% der Bevölkerung mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen müssen und daher als extrem arm gelten – insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP-Lagern (UNSC 15.5.2019, Abs.20). Nach anderen Angaben leben 69% der Bevölkerung in Armut (USDOS 13.3.2019, S.37), fast einer von drei Somalis lebt in extremer Armut. Dabei finden sich die höchsten Raten bei IDPs, in ländlichen Gemeinden und bei Nomaden (UNSC 21.12.2018, S.4). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 13.3.2019, S.32). Die ländliche Bevölkerung und IDPs befinden sich in der am meisten vulnerablen Position. Erstere verfügen kaum über Mittel, um die durch die Dürre entstandenen Verluste wieder wettzumachen. Dadurch sind sie hinsichtlich neuerlicher Katastrophen wehrlos (UNSC 21.12.2018, S.14).

Hintergrund: 60% der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23% sind Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, S.4). Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019). Zusätzlich verstärken Mangel an Bildung, übermäßige Abhängigkeit von einem Einkommen aus der Landwirtschaft, Arbeitslosigkeit, geringes Vermögen und eine große Personenzahl im Haushalt die Vulnerabilität im Fall eines Katastrophen (z.B. Naturkatastrophe) (UNSC 15.5.2019, Abs.20). Bereits 2016/17 wurden im Zuge der Dürre fast eine Millionen Somali vertrieben. Nur aufgrund großangelegter und erfolgreicher humanitärer Hilfe wurde eine Hungersnot verhindert (SLS 12.7.2019; vgl. SRSG 13.9.2018, S.1).

Zwischenzeitlich hatte sich die humanitäre Situation aufgrund guter Regenfälle im Jahr 2018 etwas entspannt (SRSG 3.1.2019, S.4f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.49). Die Sicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung hatte sich verbessert (UNSC 21.12.2018, S.14; vgl. USDOS 13.3.2019, S.22) – nicht zuletzt aufgrund fortgesetzter humanitärer Hilfe und aufgrund überdurchschnittlicher Regenfälle (USDOS 13.3.2019, S.22). Trotzdem blieb auch dann die Zahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen bei 4,2 Millionen (SRSG 3.1.2019, S.4f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.14).

Aktuelle Lage: Somalia steht wieder vor einem großen humanitären Notfall. Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen (SLS 12.7.2019; vgl. UNOCHA 31.7.2019, S.1). Das Land leidet unter den negativen Folgen unterdurchschnittlicher Regenfälle in der Gu-Regenzeit (April-Juni) 2019 (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Letztere hat sehr spät eingesetzt. Der gefallene Regen hat die Dürre-Bedingungen zwar etwas entspannt und den Zustand des Viehs etwas verbessert; trotzdem reichte er nicht aus, um die Landwirtschaft nachhaltig zu stärken (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Am Ende ist die Gu zwar normal oder fast normal ausgefallen; doch war der Niederschlag erratisch und schlecht verteilt. Außerdem kam er um ein Monat später als normal (FAO 19.7.2019, S.1). Bereits zuvor war die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) 2018 schlecht ausgefallen und Anfang 2019 war ungewöhnlich trocken. Mit Ausnahme der Gu im Jahr 2018 ist seit Ende 2015 jede Regenzeit unterdurchschnittlich ausgefallen (UNSC 15.8.2019, Abs 38ff).

Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Der humanitäre Bedarf ist nach wie vor hoch, Millionen von Menschen befinden sich in einer Situation akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (UNOCHA 31.7.2019, S.1). In Nord- und Zentralsomalia herrschen durchgehend moderate bis große Lücken in der Versorgung. Dort wird für August/September 2019 in einigen Teilen mit IPC 3 und IPC 4 gerechnet. Das gleiche gilt für den Süden, wo aufgrund einer unterdurchschnittlichen Ernte die Lebensmittelpreise steigen werden (FEWS 31.7.2019). Der Preis für Sorghum befindet sich bereits auf einer außergewöhnlichen Höhe (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Viele Menschen aus ländlichen Gebieten sind in Städte gezogen, um Zugang zu Hilfsgütern zu erhalten (BAMF 20.5.2019, S.5).

Verarmte Pastoralisten mit kleinen Herden stehen in den nächsten Monaten vor Lücken in der Nahrungsmittelversorgung. Davon sind landesweit auch viele Agropastoralisten und Bauern betroffen. Während der Viehbestand vorübergehend von besserer Weide profitiert, ist in der Landwirtschaft mit einem Ernteausfall von 50% zu rechnen (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff) – etwa bei Mais und Sorghum (DEVEX 9.7.2019). Nach neueren Angaben war die letzte Ernte in Südsomalia die schlechteste seit 1995 – 68% unter dem Durchschnitt; im Nordwesten lag sie mit 44% unter dem Durchschnitt (FEWS 2.9.2019a).

Die folgenden IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Juli 2018 bis September 2019 mit einer Prognose bis Dezember 2019; bemerkenswert ist, dass für die Stadtbevölkerung von Mogadischu auf beiden Karten IPC 1 vermerkt ist:

…(FSNAU o.D.)

IPC für den Zeitraum 1/2017-12/2019 in Zahlen gefasst [10-12/2019 ist ein Ausblick]:

…(FSNAU o.D.)

Dabei ist die Stadtbevölkerung von IPC 3 oder 4 anteilig weit weniger betroffen als die Menschen in ländlichen Gebieten oder IDPs:

(FEWS 2.9.2019b, S.20)

Schätzungen zufolge werden bis September 2019 5,4 Millionen Menschen von Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung betroffen sein; davon 3,2 Millionen in IPC-Phase 2 (UNOCHA 14.8.2019) und 2,2 Millionen in den Phasen 3 und 4 (UNOCHA 14.8.2019; vgl. UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Ca. eine Million Kinder unter fünf Jahren werden bis Mitte 2020 vor einer Situation der akuten Unterernährung stehen, 178.000 vor schwerer akuter Unterernährung. Bis zu 2,1 Millionen Menschen werden sich hinsichtlich Nahrungsmittelversorgung in einer Krisensituation finden (IPC >2), 6,3 Millionen werden von einer Versorgungsunsicherheit bedroht sein (UNOCHA 9.9.2019, S.1f; vgl. FEWS 2.9.2019a; STC 3.9.2019). Dieses Szenario gilt dann, wenn die gegenwärtig getätigten humanitären Interventionen nicht verstärkt werden (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Mit Stand September 2019 verhindert eine großangelegte humanitäre Hilfe schlimmere Zahlen. Geht die Hilfeleistung zurück, ist von einer Verschlechterung auszugehen. Und auch für den Fall, dass die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) besser ausfallen sollte, wird sich dies frühestens Ende Dezember auf die Versorgungslage auswirken (FEWS 2.9.2019a).

Die Daten unten zeigen, dass IDPs in manchen Städten besonders von Unterernährung betroffen sind, in anderen weniger stark. Anfang September 2019 wird die Situation bezüglich Unterernährung wie folgt dargestellt [GAM = akute Unterernährung; SAM = schwere akute Unterernährung]:

…(FSNAU 2.9.2019) (FSNAU 4.2015)

Bei gegebener humanitärer Hilfe gilt für die meisten ländlichen Gebiete im September 2019 IPC 2. In Agrargebieten von Guban (Somaliland), Bay und Bakool sowie in Teilen von Hiiraan, Galgaduud, Lower und Middle Juba gilt IPC 3. Dahingegen haben stabile Lebensmittelpreise und Arbeitsmöglichkeiten in den meisten städtischen Gebieten dazu beigetragen, dass IPC 2 nicht überschritten wurde oder auch nur IPC 1 gilt. Lediglich in Städten in Sool, Sanaag und Hiiraan wird mitunter auch IPC 3 verzeichnet – bedingt durch hohe Lebenskosten und begrenzte Einkommensmöglichkeiten (FEWS 2.9.2019a).

Humanitäre Hilfe: Die Bundesregierung und Hilfsorganisationen haben einen Drought Impact Response Plan (DIRP) auf die Beine gestellt, damit soll 4,5 Millionen Menschen kritisch notwendige lebenserhaltende Unterstützung zukommen (UNOCHA 31.7.2019, S.1; vgl. SLS 12.7.2019). Mit der Umsetzung wurde bereits begonnen. Die Kosten werden bis Dezember 2019 mit 686 Millionen US-Dollar beziffert. Insgesamt sind die Hilfsprogramme aber unterfinanziert, manche Agenturen müssen ihre Maßnahmen sogar zurückfahren (UNOCHA 31.7.2019, S.1f). Im September 2019 war der DIRP nur zu 50% ausfinanziert (UNOCHA 9.9.2019, S.2). So wurden z.B. im Juni 2019 nur 1,4 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe erreicht, angepeilt wurden hingegen 2,2 Millionen (UNSC 15.8.2019, Abs.43). Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen (AA 4.3.2019, S.20).

Organisationen wie Safe the Children versuchen der Krise mit Wasserversorgung, Behandlung unterernährter Kinder, Gesundheitsversorgung, Geld- und anderen Hilfen entgegenzutreten (STC 3.9.2019). Überhaupt wird Hilfe oft in Form von Geldhilfen mittels mobiler Überweisungen zur Verfügung gestellt. Bereits im Jahr 2017 erhielten ca. drei Millionen Menschen derartige Geldhilfen. 60% der Nahrungsmittelhilfe des WFP wurde schon 2017 über mobile Überweisungen ausgegeben (DEVEX 26.1.2018). Von den unterschiedlichen Programmen im Bereich Geldtransfers wurden schon damals mehr als drei Millionen Menschen erreicht (DI 6.2019, S.27).

Folgende Organisationen sind beispielsweise in folgenden Städten in einem oder mehreren der genannten Bereiche tätig:

 Baidoa (Kinderschutz, Gesundheit, Rückkehr/Unterkunft, Lokalverwaltung, Katastrophenmanagement, Kommunikation): World Vision, Save the Children International, Médecins Sans Frontières, International Organization for Migration (IOM), IMC Worldwide, Somalia’s Ministry of Resettlement, Disaster Management and Disability Affairs, Ministry of Humanitarian Affairs, Ministry of Planning, Baidoa District Administration, Bay Regional Administration, Gargaar Relief and Development Organization (GREDO), Social-life and Agricultural Development Organization (SADO), Radio Baidoa, Baidoa Specialist Hospital;

 Belet Weyne (Bildung, Schutz, Ernährung und Gesundheit, Nahrungsversorgungssicherheit, humanitäre Hilfe, Geldtransfer-Programme): UNICEF, Danish Refugee Council (DRC), the International Committee of the Red Cross (ICRC), Relief International, World Food Programme (WFP), Merci, World Health Organisation (WHO), UN OCHA, WARDI, Green Hope, Global Guardian Somalia Security Services, Beledweyne Private School;

 Kismayo (handwerkliche Ausbildung, Unterstützung beim Lebensunterhalt mit Lebensmittelgutscheinen und anderen Aktivitäten, Unterkunft, Bildung): Jubaland Chamber of Commerce & Industry (JCCI), American Refugee Committee (ARC), IOM, CARE, Norwegian Refugee Council (NRC), Daallo Airlines, Kismayo University (DI 6.2019, S.25f);

Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile – speziell in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 13.3.2019, S.15/21; vgl. SEMG 9.11.2018, S.5f/42; UNSC 15.5.2019, Abs.72). In den Gebieten unter Kontrolle der Gruppe wurden Aktivitäten humanitärer Organisationen gänzlich verboten. Eine Ausnahme davon gibt es für die der al Shabaab zugerechnete al Ihsaan (SEMG 9.11.2018, S.5f/42). Nach anderen Angaben erlaubt al Shabaab Hilfsorganisationen zunehmend, auf ihrem Gebiet tätig zu sein (ICG 27.6.2019, S.11).

Es kam außerdem zur Plünderung humanitärer Hilfsgüter durch al Shabaab (USDOS 13.3.2019, S.16). Im Jahr 2018 gab es mindestens 110 gewaltsame Zwischenfälle mit Auswirkungen auf humanitäre Organisationen. Dabei kamen neun Mitarbeiter ums Leben, 13 wurden verletzt, 18 entführt und 17 vorübergehend verhaftet (UNSC 21.12.2018, S.145).

Gesellschaftliche Unterstützung: Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2018, S.30), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 4.3.2019, S.20). In Mogadischu muss für jede Dienstleistung bezahlt werden, es gibt keine öffentlichen Leistungen (FIS 5.10.2018, S.22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2018, S.30). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, bilden (Sub-)Clan (OXFAM 6.2018, S.11f; vgl. BS 2018, S.30, AA 4.3.2019, S.20), erweiterte Familie (BS 2018, S.30; vgl. AA 4.3.2019, S.20) und Remissen aus dem Ausland (BS 2018, S.30). Während Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) helfen neben Familie und Clan auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, S.15).

Generell stellt in (persönlichen) Krisenzeiten die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meiste effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar (DI 6.2019, S.17). 22% der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28% bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7%) untergebracht. Weitere 28% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, S.11f). In der somalischen Gesellschaft – auch bei den Bantu – ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt – wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, S.20f).

Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clan-Heimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (DI 6.2019, S.12).

Andererseits liegen keine Informationen vor, wonach es gesunden jungen Männern im arbeitsfähigen Alter (15-29 Jahre; 14 % der Gesamtbevölkerung Somalias) an einer Existenzgrundlage mangeln würde, oder dass alle diese Männer keine Unterkunft haben würden (BFA 11.5.2018, S.18).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019a): Somalia – Wirtschaft, URL, Zugriff 10.4.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (20.5.2019): Briefing Notes 20. Mai 2019

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (11.5.2018): Anfragebeantwortung zu Humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- DEVEX / Sara Jerving (9.7.2019): Somali aid community faces up to a new reality of recurring drought, URL, Zugriff 23.7.2019

- DEVEX (26.1.2018): How cash transfers in Somalia could evolve into a national social safety net, URL, Zugriff 19.7.2019

- DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019

- FAO - UN Food and Agriculture Organization / SWALIM (19.7.2019): 2019 Gu (March to June) Rainfall Performance and Impacts - Issued 19 July 2019, URL, Zugriff 23.7.2019

- FEWS - Famine Early Warning System Network / FSNAU (2.9.2019a): Somalia 2019 Post Gu FSNAU FEWS-NET Technical Release, URL, Zugriff 16.9.2019

- FEWS - Famine Early Warning System Network / FSNAU / FAO (2.9.2019b): A Briefing on the Outcome of the 2019 Post Gu Seasonal Food Security and Nutrition Assessment, URL, Zugriff 16.9.2019

- FEWS - Famine Early Warning System Network (31.7.2019): Somalia Key Message Update, July 2019, URL, Zugriff 22.8.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

- FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit Somalia / FAO (o.D.): IPC Maps, URL, Zugriff 13.9.2019

- FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit Somalia / FAO (2.9.2019): FSNAU Nutrition Situation Summary for Somalia - Gu 2019, URL, Zugriff 6.9.2019

- FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit Somalia / FAO (4.2015): Somalia – Livelihood Zones, URL, Zugriff 6.9.2019

- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, URL, Zugriff 24.7.2019

- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

- SLS - Somaliland Standard (12.7.2019): Response plan for impact of poor Gu rains in place to avoid a major crisis in Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- STC - Safe the Children (3.9.2019): Dire warnings as Somalia teeters on edge of food crisis, URL, Zugriff 6.9.2019

- TG - The Guardian (8.7.2019): In Somalia, the climate emergency is already here. The world cannot ignore it, URL, Zugriff 23.7.2019

- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.9.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 August 2019, URL, Zugriff 16.9.2019

- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.8.2019): Somalia: Humanitarian Snapshot (as of 14 August 2019), URL, Zugriff 22.8.2019

- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Rückkehrspezifische Grundversorgung

Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.5/31f). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein (ÖB 9.2016, S.17; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.63). Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestaltet sich die Situation schwierig. Im herausfordernden Umfeld von Mogadischu sind entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk ist z.B. hinsichtlich Arbeitssuche wichtig [siehe Abschnitt 21.1] (FIS 5.10.2018, S.22). Eine andere Quelle gibt an, dass ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung sein wird, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist (NLMBZ 10.2017, S.73f).

Unterstützung extern: Außerdem haben Rückkehrer nach Mogadischu dort üblicherweise einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen (REDSS 3.2017, S.29). Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, S.63) und Kenia gibt es seitens UNHCR finanzielle Unterstützung. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt. Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNHCR 30.9.2018, S.6; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.63), die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können (LIFOS 3.7.2019, S.63). Rückkehrer aus Tansania erhielten Hilfe im Rahmen einer EU-IOM-Initiative (TC 7.10.2018). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 4.3.2019, S.20).

Unterkunft: Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2018, S.29). Die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Arbeit ist bei der Rückkehrunterstützung nicht inbegriffen und wird von den Rückkehrern selbst in die Hand genommen. Diesbezüglich auftretende Probleme können durch ein vorhandenes Netzwerk abgefedert werden (LIFOS 3.7.2019, S.63). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, S.63; vgl. AA 4.3.2019, S.20; USDOS 13.3.2019, S.22). Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden (AA 4.3.2019, S.20f).

Frauen: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, S.23).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (10.2017): Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, URL, Zugriff 21.6.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

- ReDSS - Regional Durable Solutions Secretariat / NRC / DRC (3.2017): Durable Solutions Framework, Local Integration Focus – Benadir Region, URL, Zugriff 24.7.2019

- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019

- TC - The Citizen (7.10.2018): 17 Somali migrants return home from Tanzania, URL, Zugriff 22.1.2019

- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.9.2018): Operational Update Somalia 1-30 September 2018, URL, Zugriff 21.6.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

 

Rückkehr

Rückkehr international: Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd-/Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Es gibt keine Statistiken, doch alleine die vollen Flüge nach Mogadischu und die sichtbaren Investments der Diaspora scheinen die Entwicklung zu bestätigen (EASO 12.2017, S.55). Schon in einer Studie aus dem Jahr 2016, bei welcher 130 Somali der Diaspora in London, Minneapolis, Toronto, Bern, Malmö, Amsterdam und Helsinki befragt wurden, gaben viele an, bereits nach Somalia zu reisen (UNHCR 1.2016). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA 3./4.2017). Repräsentanten der somalischen Gemeinde in London geben an, dass hunderte ihrer Kinder nach Somalia, Somaliland und Kenia ausgeflogen wurden. Grund dafür ist die wachsende Sorge der Eltern vor Drogenbanden und Gewalt in England (TG 9.3.2019).

Im Jahr 2017 sind 245 Personen aus der EU und anderen europäischen Staaten nach Somalia zurückgebracht worden. Im ersten Halbjahr 2018 waren es 208. Aus Europa führen folgende Länder Abschiebungen durch: Großbritannien, Schweiz (nur unterstützte freiwillige Rückkehr), Schweden, Norwegen, Finnland, Deutschland (AQ2 3.2019). Auch Dänemark und Belgien führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu und Hargeysa durch. Schweden unterstützt freiwillige Rückkehrer. Finnland kann in Ausnahmefällen verurteilte Straftäter nach Somaliland zurückführen, Schweden nach Somaliland und Puntland. Aus den USA wurden über 200 Somali nach Mogadischu abgeschoben. 2018 hat auch die Schweiz erstmals nach Mogadischu abgeschoben. Die Niederlande haben derzeit ihre Rückführungen nach Somalia ausgesetzt (AA 4.3.2019, S.22), allerdings kehrten im Jahr 2017 elf Personen und im Jahr 2018 mindestens sechs Personen freiwillig von dort nach Somalia zurück (NLMBZ 3.2019, S.55).

Rückkehr regional: Bis Juli 2019 sind insgesamt 90.058 Somalis über AVR-Programme des UNHCR zurückgeführt worden, mehrheitlich aus Kenia, aber auch aus Dschibuti, Libyen und dem Jemen (UNSC 15.8.2019, Abs.42). Aus dem Jemen sind dort als Flüchtlinge anerkannte Somali zurückgekehrt (AA 4.3.2019, S.19). Diese Rückkehrbewegung setzt sich weiterhin fort. Mehr als 75% der Rückkehrer aus dem Jemen gehen nach Mogadischu (UNHCR 30.6.2019a). Immer mehr Somalis im Jemen wenden sich an den UNHCR, um Unterstützung für ihre Rückkehr zu erhalten. Knapp 4.300 Flüchtlinge von ihnen wurden bis Mai 2019 nach Somalia zurückgebracht (MMC 18.7.2019, S.9).

Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR (AA 4.3.2019, S.20; vgl. NLMBZ 3.2019, S.54). Die Remigration von Kenia nach Somalia erfolgt hauptsächlich über Land, wobei die Fahrt bis an die Grenze organisiert wird, und die Rückkehrer dann innerhalb Somalias den Transport selbst arrangieren. Bislang gab es hierbei kaum sicherheitsrelevante Zwischenfälle. Al Shabaab richtet sich nicht gegen Rückkehrertransporte oder -Lager (NLMBZ 3.2019, S.54; vgl. BFA 3./4.2017). Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR (Stand Juni 2019) 84.227 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück (UNHCR 30.6.2019b). Diese gingen vor allem nach Kismayo (AA 4.3.2019, S.20; vgl. NLMBZ 3.2019, S.54) und das südliche Jubaland, wobei im vergangenen Jahr eine Ausweitung der Rückkehrgebiete zu verzeichnen war (AA 4.3.2019, S.20). Andere gingen nach Mogadischu, Baidoa und Luuq (BS 2018, S.29). Viele der nach Kismayo kommenden Rückkehrer stammen eigentlich aus Middle Juba, wohin sie aufgrund der Kontrolle durch al Shabaab aber nicht gehen möchten. Viele der Rückkehrer gehören zu den Rahanweyn/Digil-Mirifle oder sind Bantus (FIS 5.10.2018, S.21; vgl. NLMBZ 3.2019, S.54f).

Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert (AA 4.3.2019, S.21). 2018 wurde von der EU-IOM-Initiative aber auch 17 in Tansania gestrandeten somalischen Staatsangehörigen geholfen, indem Heimreise und Reintegrationsmaßnahmen finanziert wurden (TC 7.10.2018).

Behandlung: Es sind keine Fälle bekannt, wo somalische Behörden Rückkehrer misshandelt haben (NLMBZ 3.2019, S.52). Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer, nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 4.3.2019, S.21). Am Flughafen kann es zu einer Befragung von Rückkehrern kommen (NLMBZ 3.2019, S.52). Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige und andere Rückkehrer (AA 4.3.2019, S.20f).

Rückkehrern in Gebiete von al Shabaab könnte zwar vorgeworfen werden, als Spione zu dienen (BFA 8.2017, S.42); ob ein Rückkehrer tatsächlich zum Ziel von al Shabaab wird, hängt aber maßgeblich von seinem eigenen Verhalten ab. Alleine die Tatsache, dass eine Person aus dem Westen zurückgekehrt ist, spielt bei einer Rückkehr in das Gebiet der al Shabaab keine Rolle. Viel wichtiger sind die Zugehörigkeit zu Familie und Clan und die Beziehungen dieser beiden Entitäten zur al Shabaab (DIS 3.2017, S.24). [siehe auch Abschnitte 19, 18.4 und 3.1.6]

Erreichbarkeit: Einen regelmäßigen Direktflugverkehr nach Mogadischu nach westlichen Standards gibt es mit Turkish Airlines aus Istanbul und Ethiopian Airlines aus Addis Abeba. Darüber hinaus fliegen nur regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Für Rückführungen somalischer Staatsbürger werden die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgt meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer gewissen Gebühr um die Sicherheit kümmert (AA 4.3.2019, S.22).

 

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- AQ2 - Anonyme Quelle 2 (3.2019): Bei der Quelle handelt es sich um ein Protokoll einer Arbeitssitzung

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff

- DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017): South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016, URL, Zugriff 25.7.2019

- EASO - European Asylum Support Office (12.2017): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

- MMC - Mixed Migration Centre (18.7.2019): Quarterly Mixed Migration Update: East Africa & Yemen, Quarter 2 2019, URL, Zugriff 22.7.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- TC - The Citizen (7.10.2018): 17 Somali migrants return home from Tanzania, URL, Zugriff 22.1.2019

- TG - The Guardian (9.3.2019): Mothers send sons to Somalia to avoid knife crime, URL, Zugriff 13.3.2019

- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.6.2019a): UNHCR Somalia Factsheet - 1 - 30 June 2019, URL, Zugriff 17.7.2019

- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.6.2019b): Somalia: Somali Returnees from Kenya at 30 June 2019, URL, Zugriff 17.7.2019

- UNHCR / Shandy, Dianna / Das, Shobha (1.2016): Diaspora Engagement and the Global Initiative on Somali Refugees - Emerging Possibilities, URL, Zugriff 12.9.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, insbesondere in die niederschriftlichen Einvernahmen des BF, durch Einholung aktueller ZMR-, IZR- und AJ-WEB-Auszüge und die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Feststellungen zur aktuellen, im Hinblick auf das gegenständliche Verfahren relevanten Situation in Somalia. Diese Feststellungen beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen und bilden dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, sodass vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles und auch unter Bedachtnahme auf das Beschwerdevorbringen kein Anlass besteht, an der Richtigkeit der von der belangten Behörde getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

Der BF hat weder vor der belangten Behörde noch vor dem Bundesverwaltungsgericht Dokumente, die seine Identität zweifelsfrei belegen hätten können, vorgelegt.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Religionszugehörigkeit des BF ergeben sich aus den gleichlautenden und diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des BF in seinem Asylverfahren in Österreich sowie aus dem Umstand, dass er über entsprechende Sprachkenntnisse verfügt.

Die Volljährigkeit des BF ergibt sich aus dem Altersfeststellungsgutachten vom 19.06.2015.

Die Feststellung, dass der BF muttersprachlich die Sprache Somali spricht, stützt sich auf seine Angaben während des Verfahrens sowie die Tatsache, dass die Einvernahmen des BF vor dem BFA stets in dieser Sprache stattfanden.

Da der BF in der letzten Einvernahme vor dem BFA ausführte, dass er in Somalia nur eine Mutter habe, zu welcher er nicht in Kontakt stehe (vgl. AS 517), konnte ein Kontakt mit Verwandten in Somalia nicht festgestellt werden. Auch im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.11.2018 konnte ein Kontakt zu Verwandten in Somalia nicht festgestellt werden.

Die Feststellung, dass der BF gesund ist und an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet, ergibt sich aus seinen Angaben während des Verfahrens sowie den in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen. Der BF war laut der in Vorlage gebrachten Aufenthaltsbestätigung eines Universitätsklinikums von Mitte Mai bis Anfang Juni 2016 wegen einer akuten Lymphadenitis in stationärer Krankenhausbehandlung. Zudem war er laut den ebenso in Vorlage gebrachten Befundberichte und Aufenthaltsbestätigungen im Jänner 2018 aufgrund eines Fahrradunfalles und wegen eines weiteren Unfalles im Februar 2018 und der daraus resultierenden Verletzungen in stationärer Spitalsbehandlung. Ansonsten brachte der BF keine (aktuellen) medizinischen Befunde/Unterlagen mehr in Vorlage. Vielmehr gab er in der letzten Einvernahme des BFA explizit an, gesund zu sein (vgl. AS 516). Auch in der Beschwerde wurde nichts Gegenteiliges behauptet, weshalb letztlich festgestellt werden konnte, dass der BF gesund ist, an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet und daher auch arbeitsfähig ist.

Aufgrund der im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.11.2018 getroffenen Erwägungen (vgl. die Seite 5 der Entscheidung) zur fehlenden Glaubwürdigkeit der vom BF ins Treffen geführten Minderheitenzugehörigkeit, bezüglich derer sich auch im gegenständlichen Verfahren keine andere Einschätzung ergeben hat, steht dessen Clan- bzw. Volksgruppenzugehörigkeit unverändert nicht fest.

Die Feststellungen zum Antrag auf internationalen Schutz, zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw. zur Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie der Abweisung seines Antrages im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, der ersatzlosen Behebung des ersten Aberkennungsbescheides und der letzten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, ergeben sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensaktes der belangten Behörde sowie dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF und der auf diese abstellenden Gefährdungsprognose ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie die im Akt einliegenden Urteilausfertigungen.

Zu den Feststellungen über die Rückkehrsituation des BF wird zunächst auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.11.2018 verwiesen, worin zusammengefasst ausgeführt wurde, dass eine wesentliche und nachhaltige Änderung der allgemeinen Lage in Somalia nicht festgestellt werden konnte. Es sei weder eine wesentliche Verbesserung der Sicherheitslage in Süd- und Zentralsomalia, noch in Mogadischu eingetreten, zumal es kaum Schutz vor Übergriffen gebe und in den Länderberichten von Menschenrechtsverletzungen und gezielten Anschlägen gegen Zivilisten berichtet werde. Die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten sei seit 2013 zwar konstant, doch steige die Anzahl der Todesopfer. Auch in Mogadischu werde von zahlreichen Anschlägen mit zivilen Opfern berichtet. Zudem sei Somalia von einer großen, notorisch bekannten Dürreperiode betroffen, wobei es zwar zwischenzeitig zu Regenfällen gekommen sei, die allgemeine Versorgungslage sich aber nicht nachhaltig verbessert habe, sondern sei die Lage nach wie vor volatil. Einerseits erreiche die Prognose einer Verbesserung der Versorgungslage noch nicht das notwendige Ausmaß an Nachhaltigkeit, die für eine Veränderung der Lage gegeben sein müsse. Andererseits mögen die einsetzenden Regenfälle zwar dazu führen, dass die Dürre zurückgehe, andererseits würden sie vermehrt zu Überschwemmungen führen, was wiederum die Versorgungslage beinträchtigen könne. Jedenfalls könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich die Versorgungslage wesentlich und nachhaltig geändert habe. Auch eine Änderung der persönlichen Situation des BF sei nicht eingetreten, da er weiterhin über keinen Kontakt zu seiner Familie in Somalia verfüge.

Auch nunmehr (bzw. seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des BFA vom 25.04.2019) kann keine wesentliche und nachhaltige Änderung der allgemeinen Lage in Somalia festgestellt werden. Aus den vom BFA herangezogenen Länderberichten ist ersichtlich, dass die Sicherheitslage instabil und unvorhersehbar bleibt. Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia stehen unter der Kontrolle oder zumindest dem Einfluss von Al Shabaab, die Sicherheitslage bleibt volatil. Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Generell erholt sich die somalische Wirtschaft zwar weiterhin von der Dürren der Jahre 2016 und 2017, das Wirtschaftswachstum ist für die meisten Somalis aber zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern würde. Somalia gehört weiterhin zu den ärmsten Ländern der Welt, es gibt kein nationales Mindesteinkommen und ist es der Wirtschaft nicht gelungen, ausreichend Beschäftigung zu schaffen. Die Möglichkeiten des Einzelnen hängen sehr stark von seinem eigenen und den familiären Hintergrund ab. Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. Auch die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit. Somalia steht wieder vor einem großen humanitären Notfall, zumal die der Regen zwar die Dürre-Perioden zwar etwas entspannt und den Zustand des Viehs etwas verbessert habe, trotzdem reichte er nicht aus, um die Landwirtschaft nachhaltig zu stärken.

Die Behörde ist im angefochtenen Bescheid unter Zugrundlegung der Feststellungen des Erkenntnisses vom 21.11.2018 sowie der herangezogenen Länderberichte zutreffend davon ausgegangen, dass sich die allgemeine Lage in Somalia nicht wesentlich und nachhaltig verbessert hat und von einer möglichen Gefährdung der Person des BF im Heimatland auszugehen ist, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass der BF aufgrund der dortigen allgemeinen Lage bzw. Sicherheitslage einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre. Auch die persönliche Situation des BF hat sich letztlich nicht nachhaltig verbessert oder verändert, zumal der BF auch in der letzten Einvernahme vor dem BFA nicht vorbrachte Kontakt zu Verwandten in Somalia zu haben. (vgl. AS 516)

Die Feststellungen zum Fehlen familiärer Anknüpfungspunkte oder maßgeblicher privater Beziehungen in Österreich ergeben sich aus seinen eigenen Angaben in der Einvernahme vor dem BFA am 27.01.2020. Der Umstand, dass der BF in Österreich keine Ausbildung gemacht hat, keine ehrenamtlichen Tätigkeiten verrichtet hat und in keinem Verein oder sonstigen Organisation Mitglied ist, ergeben sich ebenso aus seinen eigenen Angaben in der Einvernahme des BFA vom 27.01.2020.

Der Umstand, dass sich der BF auf Deutsch verständigen kann, ergibt sich ebenso aus den Angaben des BF in der letzten Einvernahme vor dem BFA, wo er selbst angab, „ein bisschen“ Deutsch zu sprechen (vgl. AS 516). Bestätigungen betreffend die Absolvierung von Deutschkursen oder Deutschprüfungen legte er nicht vor.

Die Feststellungen zum Bezug von Arbeitslosengeld sowie der damaligen und aktuellen Beschäftigungen des BF als Arbeiter, ergeben sich aus einer vom erkennenden Gericht eingeholten und zum Akt genommenen AJ-WEB-Auskunft.

Die Feststellung zur Straf- und Untersuchungshaft des BF ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt sowie den Daten im ZMR.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Da sich die gegenständliche zulässige und rechtzeitige Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG zur Entscheidung zuständig.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Das Verwaltungsgericht hat, wenn es "in der Sache selbst" entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Dabei hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung in der Regel an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076; 18.2.2015, Ra 2015/04/0007; 25.7.2019, Ra 2018/22/0270).

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

 

3.2. Zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides vom 12.02.2020 (Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Entzug der befristeten Aufenthaltsberechtigung):

 

3.2.1. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn (1.) die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen; (2.) er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder (3.) er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn (1.) einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt; (2.) der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder (3.) der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht. In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 9 Abs. 3 AsylG 2005 ist bei Straffälligkeit des subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 (die auch im vorliegenden Fall gegeben ist) jedenfalls ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einzuleiten, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 9 Abs. 1 oder 2 AsylG 2005 wahrscheinlich ist.

 

Für dieses Verfahren legen § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 folgendes Prüfschema fest (vgl. VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005):

 

Nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ist vorrangig zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände vorliegt.

Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände gegeben ist. In diesen Fällen ist die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus - seit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, BGBl. I Nr. 145/2017 - mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, weil dies eine der in § 9 Abs. 2 letzter Satz AsylG 2005 angeführten Gefahren begründen würde.

3.2.2. Die Behörde hat im angefochtenen Bescheid zutreffend festgehalten, dass die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach der primär zu prüfenden Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 im gegenständlichen Fall nicht vorliegen.

3.2.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen zuletzt VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153; 26.6.2019, Ra 2019/20/0050, jeweils mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 5.9.2013, 61204/09, I gegen Schweden; siehe dazu auch VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255; 19.6.2017, Ra 2017/19/0095; 5.12.2017, Ra 2017/01/0236;).

3.2.2.2. Wie im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar dargelegt, liegt beim BF zum Entscheidungszeitpunkt aufgrund der in den vorliegenden Länderberichten dokumentierten prekären allgemeinen Lage bzw. Sicherheitslage unverändert eine Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG vor und kommt eine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 daher nicht in Betracht. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 2 oder 3 AsylG 2005 haben sich im Verfahren ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Eine Prüfung der COVID19 Situation in Somalia erübrigt sich deshalb, da die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF wie oben ersichtlich gem. § 8 Abs. 3a AsylG iVm § 9 Abs. 2 AsylG und § 52 Abs. 9 FPG für unzulässig erklärt wurde (siehe Spruchpunkt. V. des Bescheides der belangten Behörde).

3.2.3. Das Bundesamt hat die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zutreffend auf den Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gestützt und damit begründet, dass ein weiterer Aufenthalt des BF angesichts der von ihm mehrfach begangenen Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

3.2.3.1. Nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 hat eine Aberkennung stattzufinden, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose. Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0246). Abweichend von der in § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 geforderten formalen Grenze des „Verbrechens (§ 17 StGB)“, kann der Aberkennungstatbestand der Z 2 leg. cit. auch dann erfüllt sein, wenn mehrere minderschwere Straftaten vorliegen, welche für sich das Kriterium der Z 3 nicht erfüllen (vgl. EB RV 330 XXIV. GP ).

3.2.3.2. Aufgrund der festgestellten wiederholten Straffälligkeit des BF im Bereich der Suchtmittelkriminalität, wobei ihn die erste Verurteilung sowie die offene Probezeit nicht von der weiteren Begehung einer Straftat abhalten konnten, kam die Behörde zutreffend zum Ergebnis, dass ein weiterer Verbleib des BF im Bundesgebiet eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen würde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat (im Zusammenhang mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen) in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 20.8.2013, 2013/22/0082, mwN; 3.7.2018, Ra 2018/21/0050). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, festgehalten, dass ein Fremder jedenfalls dann eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 darstellt, wenn sich diese aufgrund besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstöße prognostizieren lässt. Als derartige Verstöße kämen insbesondere qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz (wie sie beispielsweise in § 28a SMG unter Strafe gestellt werden) in Betracht, zumal an der Verhinderung des Suchtgifthandels ein besonderes öffentliches Interesse besteht (vgl. dazu etwa VwGH vom 22. November 2012, 2011/23/0556, mwN).

Der BF wurde mit Urteil vom 28.05.2018 wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a, zweiter Fall, SMG, 15 StGB verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 06.05.2018 auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, nämlich von etwa 30 Personen wahrnehmbar, Suchtgift (Delta-9-THC und THCA-hältiges Cannabiskraut) in Form eines Baggys gegen Entgelt an einen Polizeiinspektor zu überlassen versuchte, wobei es nicht zur Übergabe kam, da dieser ablehnte und hat der BF einer anderen Person ein Baggy (0,7 Gramm brutto) gegen Entgelt überlassen. Mit Urteil vom 20.12.2019 wurde der BF abermals wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG verurteilt. Dabei hat der BF Cannabiskraut (darin enthalten der Wirkstoff Delta-9-THC und THCA) am 07.11.2019 auf einer öffentlichen Verkehrsfläche im Bereich einer U-Bahnstation und von 30 Personen wahrnehmbar, anderen Personen gegen Entgelt überlassen. Zudem hat der BF seit August 2019 bis zum 07.11.2019 Cannabiskraut wiederholt zum Eigenkonsum erworben und besessen.

Dem BF ist zwar zu Gute zu halten, dass er seit der letzten Verurteilung bzw. Entlassung aus der Strafhaft mit Anfang April 2020 nicht mehr straffällig geworden ist und seit November 2020 wieder einer Beschäftigung als Arbeiter nachgeht, allerdings befindet sich der BF nach wie vor in der Probezeit und vermochte der BF weder das BFA, noch das erkennende Gericht davon zu überzeugen, dass er seine Straftaten ernsthaft bereut. Wie das BFA in ihrem Bescheid zu Recht festgehalten hat, hat sich der BF in seinen Einvernahmen hinsichtlich seiner Verurteilungen sogar äußerst uneinsichtig gezeigt, die begangenen Straftaten zum Teil bestritten und sich dabei auch in Widersprüche verstrickt. So behauptete er in der Einvernahme am 15.06.2018 etwa, nie etwas Falsches gemacht zu haben, sondern er nur einmal einem Menschen etwas umsonst gegeben habe und dies am Boden bzw. auf der Straße gefunden habe. Als er dann mit der Polizei zusammen gewesen sei, habe er einen Afghanen gesehen, der ihn nach Marihuana gefragt habe und habe er das Baggy, welches er zuvor auf der Straße gefunden habe, dem Afghanen gegeben. Dieser habe ihm vier Stück Zigaretten gegeben (vgl. AS 42 und 43). Diese Aussagen des BF passen allerdings nicht mit den Feststellungen des ersten Strafurteiles (vom 28.05.2018) zusammen, wo eindeutig festgehalten wurde, dass der BF versucht hat, einem Polizisten ein Baggy mit Cannabiskraut (zum Preis von 5 €) zu verkaufen/überlassen, es aber nicht zur Übergabe kam, weil dieser ablehnte bzw. er einer weiteren Person ein Baggy mit Cannabiskraut zum Preis von 10 € und 4 Zigaretten verkaufte/überlassen hat. Der BF schreckte aber auch nicht davor zurück, vor der Richterin in der Verhandlung am 16.11.2018 falsche Angaben zu machen bzw. die in Österreich begangenen Straftat wegen des Suchtmitteldeliktes zu verschweigen. So wurde der BF von der Richterin befragt, ob er in Österreich oder einem anderen europäischen Land jemals strafrechtlich verurteilt wurde, wobei der BF darauf nur angab, eine Verwaltungsstrafe wegen Fahrens ohne Fahrschein bekommen zu haben (vgl. AS 344). Erst als dem BF von der Richterin dann die Verurteilung wegen des Suchtmitteldeliktes vorgehalten wurde, gestand dies der BF schließlich ein: „Ich habe acht Monate bekommen, wurde aber nicht inhaftiert.“ (vgl. AS 345). Als dem BF in der Einvernahme vor dem BFA am 27.01.2020 dann neuerlich seine Straftaten vorgehalten wurden, behauptete der BF dann schließlich gar keine echten Drogen, sondern legale Drogen aus dem Automaten (CBD) verkauft zu haben. Selbst als dem BF anschließend vorgehalten wurde, im Strafurteil sei festgehalten, dass er Cannabis mit dem Wirkstoff THC verkauft habe, beharrte der BF darauf CBD verkauft zu haben, welches er mit seiner Bankomatkarte aus dem Automaten gekauft habe (vgl. AS 514 und 516). Zudem gab er in der Einvernahme an, nicht zu wissen, warum das Gericht ihn verurteilt habe und habe er überhaupt erst beim zweiten Mal etwas verkauft (vgl. AS 514), bevor er an späterer Stelle der Einvernahme dann überhaupt angab, zweimal zur Unrecht vom Gericht verurteilt worden zu sein (vgl. AS 518). Im völligen Widerspruch zu den Ausführungen im ersten Strafurteil vom 28.05.2018, behauptete er dann, beim ersten Mal sei es so gewesen, dass er mit einem Freund zusammen einen Joint geraucht habe und plötzlich seien Kriminalpolizisten vorbeigekommen und hätten gesagt, dass er etwas verkauft habe. Der Freund habe ihm dann in der Verhandlung entlastet und habe er nie etwas Falsches gemacht. Er sei nie eine Gefahr für die Gesellschaft gewesen und werde auch nie eine sein. Er sei ein Flüchtling und ein Gast und wolle arbeiten gehen (vgl. AS 518). Abschließend entschuldigte sich der BF zwar und versprach, nie wieder etwas Falsches zu machen, er gab gleichzeitig aber auch an, den Grund für seine Festnahme bzw. eine Verurteilung nicht zu sehen, er sich aber dennoch entschuldige (vgl. AS 518).

Diese Antworten des BF zeigen deutlich, dass er keine Verantwortung für seine Taten übernimmt, das Unrecht seiner Straftaten tatsächlich nicht einsieht und auch keine ernsthafte Reue zu ersehen ist. Obwohl seit der Strafhaft des BF ein gewisser Zeitraum verstrichen ist und er mittlerweile wieder als Arbeiter tätig ist, ist es dem BF nicht gelungen, das gravierende Unrecht seiner Tat durch wohlwollendes Nachtatverhalten auszugleichen. Zudem ist die Probezeit noch offen und hat der BF in der Zwischenzeit auch keine weiteren Bemühungen hinsichtlich einer Integration in Österreich gezeigt. Vielmehr ist aus den Antworten des BF klar ersichtlich, dass er nicht gewillt ist, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten, sodass auch in Hinkunft die Begehung weiterer vergleichbarer Straftaten zu prognostizieren ist. Die Behörde hat demnach in nicht zu beanstandender Weise eine negative Zukunftsprognose und eine vom BF ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit festgestellt. Aufgrund der Art und Schwere der vom BF begangenen Straftaten und der sich aus seinem Lebenswandel abzuleitenden negativen Zukunftsprognose hat die belangte Behörde den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 zurecht als erfüllt angesehen.

3.2.4. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF war zuletzt im April 2019 verlängert worden; im Dezember 2019 wurde dieser (neuerlich) rechtskräftig wegen Delikten nach dem Suchtmittelgesetz verurteilt, sodass der Sachverhalt seit der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung durch das Hinzutreten von Sachverhaltselementen, die für die Gefährdungsprognose nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 von wesentlicher Bedeutung waren, eine Änderung erfahren hat (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155; 27.5.2019 Ra 2019/14/0153). Auch vor diesem Hintergrund ist die angefochtene Entscheidung demnach nicht zu beanstanden.

3.2.5. Da die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und in der Folge den Entzug der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 AsylG 2005 vorliegen, war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

3.2.6. Zur Abweisung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter vom 02.03.2021 (Spruchteil 2.):

Da die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, wie ausgeführt, zu Recht erfolgt ist, waren auch die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter nicht gegeben, sodass die Beschwerde gegen den Bescheid vom 25.03.2021, mit dem der zuletzt gestellte Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des BF abgewiesen worden war, ebenfalls als unbegründet abzuweisen war.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und der Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides vom 12.02.2020):

3.3.1. Gemäß § 9 Abs. 2 2. Satz AsylG 2005 ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dem ersten Satz dieser Bestimmung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Wie sich desweiterem aus § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG ergibt, ist eine Rückkehrentscheidung zu treffen, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird. Der Ausspruch in Bezug auf § 57 AsylG, wonach unter näheren Voraussetzungen im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen ist, hat seine Grundlage wiederum in § 58 Abs. 1 Z 4 AsylG, wonach das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen hat, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird.

Da der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet bis dato zu keinem Zeitpunkt geduldet war, dieser nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt geworden ist, liegen die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 idgF nicht vor, wobei dies weder im Verfahren vor dem BFA, noch in der Beschwerde, behauptet worden ist.

Die Beschwerde erweist sich sohin in Hinblick auf Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet.

3.3.2. Da der Status des Status des subsidiär Schutzberechtigten des BF abzuerkennen war, ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu erteilen ist und der BF weder begünstigter Drittstaatsangehöriger ist, noch aufgrund eines anderen Bundesgesetzes zum Aufenthalt berechtigt ist, liegen die Voraussetzungen für die Prüfung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG vor.

3.3.3. Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung steht unter dem Vorbehalt des § 9 Abs. 1 BFA-VG, wonach dann, wenn (insbesondere) durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, deren Erlassung (nur) zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dazu judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist (siehe zum Ganzen etwa VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0218, Rn. 20, mwN).

Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. grundlegend etwa VfGH 29.9.2007, B328/07, VfSlg 18223; sowie aus der jüngeren Rechtsprechung VwGH 7.9.2016, Ra 2016/19/0168; VwGH 5.9.2016, Ra 2016/19/0074, VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255; VwGH 15.3.2016, Ra 2016/19/0031; ebenso Ra 2016/19/0032 Ra 2016/19/0034 Ra 2016/19/0033 unter Hinweis auf Stammrechtssatz VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0265 sowie VwGH 28.4.2014, Ra 2014/18/0146-0149 und 22.7.2011, 2009/22/0183; siehe auch Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 9 BFA-VG, K15 bis K30.; Ecker/Ziegelbecker, Die Rückkehrentscheidung in Filzwieser/Taucher [Hrsg.], Jahrbuch Asyl- und Fremdenrecht 2017, 151 bis 215).

Im Rahmen der so gebotenen Interessenabwägung kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) auch der Frage Bedeutung zukommen, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; siehe darauf bezugnehmend etwa auch VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119, 21.12.2017, Ra 2017/21/0135). Ferner judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass eine in Österreich vorgenommene medizinische Behandlung im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet führen kann. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob diese medizinische Behandlung auch außerhalb Österreichs erfolgen bzw. fortgesetzt werden kann (vgl. dazu etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2017/21/0004, Rn. 12, mwN; 22.8.2019, Ra 2019/21/0026-8).

3.3.4. Der BF befindet sich seit seiner illegalen Einreise im März 2015, somit seit rund sechs Jahren und vier Monaten im Bundesgebiet und hat während dieses Zeitraums keine maßgeblichen Bindungen familiärer oder privater Natur im Bundesgebiet begründet. Der BF hat keine Familienangehörigen oder sonst engen sozialen Bindungen im Bundesgebiet, er hat sich keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet, hat keine sonstigen Ausbildungen absolviert, ist in keinem Verein oder einer sonstigen Organisation Mitglied und hat sich nicht ehrenamtlich engagiert. Er hat zwar einige Monate lang eine legale Erwerbstätigkeit als Arbeiter ausgeübt und geht auch derzeit wieder einer Beschäftigung als Arbeiter nach, er hat aber auch bereits Arbeitslosengeld und Leistungen aus der Grundversorgung des Staates bezogen. Allfälligen privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet steht zudem das wiederholte strafrechtswidrige Verhalten des BF im Bereich der Suchtmittelkriminalität entgegen, zumal die öffentlichen Interessen an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen jedenfalls höher zu gewichten sind, als die ohnedies nur sehr schwach ausgeprägten persönlichen Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet.

3.3.5. Die Interessen der Republik Österreich an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens als Teil der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, des wirtschaftlichen Wohls des Landes durch Vermeidung unkontrollierter Zuwanderung sowie der Verhinderung weiterer Straftaten wiegen im gegenständlichen Fall insgesamt höher als die persönlichen Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet. Daher sind auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach §§ 55 AslyG 2005 nicht gegeben (vgl. VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0035, Rz 11).

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides erweist sich daher ebenfalls als unbegründet.

3.4. Da die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten fallgegenständlich auf § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gestützt wurde, war die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, wie an anderer Stelle bereits dargelegt, gemäß § 9 Abs. 2 2. Satz AsylG 2005 mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (vgl. dazu die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage [1523 der Beilagen XXV. GP] zur mit BGBl. I Nr. 145/2017 erfolgten Novellierung von § 52 Abs. 9 FPG).

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides war daher ebenfalls als unbegründet abzuweisen.

3.5. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da solche Umstände im Verfahren nicht hervorgekommen sind, hat das Bundesamt zu Recht eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, weshalb sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides ebenfalls als unbegründet erweist.

3.6. Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides):

3.6.1 § 53 Abs. 1 FPG normiert, dass mit einer Rückkehrentscheidung vom BFA mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden kann. Die Voraussetzungen für ein höchstens mit zehn Jahren zu befristendes Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG, nämlich dass bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar, liegen im gegebenen Zusammenhang vor, da der BF im Sinne der Z 1 erster Fall von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

3.6.2. Bei der Bemessung eines Einreiseverbotes nach § 53 FPG ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FPG anzunehmen. Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet (vgl. etwa VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311, Rn. 12 und 19, mwN). Ein Fehlverhalten kann auch dann zur Beurteilung der Gefährdungsprognose herangezogen werden kann, wenn dieses nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat (vgl. etwa VwGH vom 22.1.2014, 2012/22/0246, VwGH vom 26.1.2010, 2008/22/0890, sowie schon zur Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 VwGH vom 12.1.2000, 99/21/0357). In Bezug auf die Vornahme einer Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (siehe dazu etwa VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, Rz 10, mwN, sowie darauf Bezug nehmend VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109, 0247, Rz 10).

3.6.3. Wie die belangte Behörde zutreffend festgehalten hat, hat der BF durch sein in Österreich gesetztes strafbares Verhalten im Bereich der Suchtmittelkriminalität (zweimalige Verurteilung wegen dem Verkauf von Suchtgiften in einem Zeitraum von nur etwa 1,5 Jahren) im hohen Maße den Unwillen zur Befolgung der österreichischen Gesetze zum Ausdruck gebracht. Der BF hat seit seiner letzten Verurteilung bzw. nach der Entlassung aus der Strafhaft zwar keine Straftat mehr begangen und geht seit November 2020 einer Beschäftigung als Arbeiter nach, ansonsten hat der BF aber keine Bemühungen hinsichtlich einer Integration in Österreich erkennen lassen und ist die Probezeit von fünf Jahren auch noch offen. Wie bereits oben festgehalten wurde, hat der BF die Begehung der Straftaten bzw. die Verurteilungen in seinen Einvernahmen auch stets versucht zu verschweigen bzw. sogar bestritten, weshalb keine maßgebliche Reue des BF erkennbar ist. Die Antworten des BF zeigen vielmehr deutlich, dass er keine Verantwortung für seine Taten übernimmt, das Unrecht seiner Straftaten tatsächlich nicht einsieht und auch keine ernsthafte Reue zu ersehen ist. Obwohl seit der Strafhaft des BF ein gewisser Zeitraum verstrichen ist und er mittlerweile wieder als Arbeiter tätig ist, ist es dem BF nicht gelungen, das gravierende Unrecht seiner Tat durch wohlwollendes Nachtatverhalten auszugleichen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der BF gewillt ist, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten, sodass auch in Hinkunft die Begehung weiterer vergleichbarer Straftaten zu prognostizieren ist. Zu betonen ist, dass der VwGH in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz wiederholt festgehalten hat, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 8.7.2020, Ra 2019/14/0272, mwN; vgl. auch die Rechtsprechung des EGMR, der Drogenhandel als Plage ["scourge"] bezeichnet und daher hartes Vorgehen nationaler Behörden dagegen billigt, jüngst EGMR 15.10.2020, Akbay u.a./Deutschland, 40495/15, Z 110).

Angesichts der dargestellten Verurteilungen ist auch auf Grund der Persönlichkeitsstruktur des BF weiterhin davon auszugehen, dass von diesem eine große Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeht. Es ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem BF angesichts der Negierung seiner Straftaten in sämtlichen Einvernahmen vor Behörden bzw. dem Bundesverwaltungsgericht das Unrecht seiner Taten gar nicht bewusst ist und daher zu prognostizieren ist, dass er weiterhin solche vergleichbaren Straftaten begehen wird. Wie bereits oben ausgeführt, ist der Beobachtungszeitraum seit der letzten Tatbegehung jedenfalls als zu kurz zu bewerten, um einen Wegfall der von seiner Person ausgehenden Gefährdung annehmen zu können, zumal auch die Probezeit von fünf Jahren noch offen ist.

Was die privaten und familiären Interessen des BF betrifft, bleibt auf die Ausführungen oben unter Punkt 3.3. zu verweisen. Die ohnedies nur sehr schwach ausgeprägten Bindungen im Bundesgebiet müssen fallgegenständlich gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung und der Verhinderung weiterer Straftaten zurücktreten. Der Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Einreiseverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten sei, steht nichts entgegen und wird das persönliche Interesse des BF durch sein strafrechtswidriges Verhalten im Hinblick auf seine wesentlichen sozialen Komponenten stark gemindert.

3.6.4. Im gegenständlichen Fall steht das von der belangten Behörde verhängte Einreiseverbot im Ausmaß von 10 Jahren unter Berücksichtigung des Fehlverhaltens und der sonstigen persönlichen Umstände des BF außer Relation, zumal zu berücksichtigen war, dass der BF die Straftaten als junger Erwachsener begangen hat, weshalb eine Reduktion der erstinstanzlichen Dauer des Einreiseverbotes von zehn auf fünf Jahre objektiv angemessen ist.

 

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Grundlegend sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und -0018, aus, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0391, mwN).

Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0316; 26.1.2017, Ra 2016/21/0233; 29.8.2019, Ra 2017/19/0532, jeweils mwN).

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, sind die genannten Kriterien im vorliegenden Fall erfüllt, da der Sachverhalt durch die belangte Behörde vollständig erhoben wurde und sich aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes keine Hinweise auf eine Änderung der entscheidungsmaßgeblichen Situation ergeben haben. Die Beweiswürdigung des BFA wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestätigt, wobei das Anführen weiterer das Gesamtbild lediglich abrundender, für die Beurteilung jedoch nicht ausschlaggebender Argumente in diesem Zusammenhang nicht schadet (vgl. VwGH 18.6.2014, 2014/20/0002-7). Im Übrigen findet sich in der Beschwerdeschrift ein lediglich unsubstantiiertes Vorbringen, welches im konkreten Fall nicht dazu geeignet ist, die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen. Da sich auch bei Zugrundelegung aller für den BF sprechenden familiären und privaten Aspekte aufgrund der begangenen schweren Straftaten im Bereich der Suchmittelkriminalität jedenfalls ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung zwecks Verhinderung weiterer gleichgelagerter Straftaten ergibt und die Beschwerde den Erwägungen im angefochtenen Bescheid, die zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes geführt haben, nicht konkret entgegengetreten ist, erwies sich die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks auch vor diesem Hintergrund nicht als erforderlich.

Im gegenständlichen Verfahren konnte somit die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht unterbleiben, da die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, entgegenstehen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

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