VwGH 2008/22/0890

VwGH2008/22/089026.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 26. Juni 2008, Zl. Fr-4250a-29/03, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art6;
StGB §73;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art6;
StGB §73;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem rechtskräftigen Bescheid der belangten Behörde vom 17. Juni 2003 wurde über den Beschwerdeführer - laut eigenen Angaben staatenlos, laut der belangten Behörde ein bosnischer Staatsangehöriger - gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 3 des Fremdengesetzes 1997 ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt.

Am 7. Juni 2005 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes. Dieser Antrag wurde mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid abgewiesen.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde auf die dem Aufenthaltsverbot zu Grunde liegende rechtskräftige Verurteilung durch das Bezirksgericht Zürich vom 13. September 2002 betreffend Widerhandlung gegen das Betäubungsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten. Gemäß dieser Verurteilung habe der Beschwerdeführer bei der unbefugten Beförderung, Einfuhr, Durchfuhr, Abgabe und Inverkehrbringung von Betäubungsmitteln Hilfe geleistet, wobei ein schwerer Fall vorgelegen sei, weil sich die Hilfeleistung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezogen habe, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr habe bringen können. In der Folge listete die belangte Behörde die dieser Verurteilung zu Grunde liegenden konkreten Tathandlungen aus den Jahren 2000 und 2001 auf.

Weiters verwies die belangte Behörde auf eine rechtskräftige Verurteilung durch den Gerichtshof in Mailand wegen Drogenhandels zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe; aus diesem Grund habe sich der Beschwerdeführer ab November 1998 ca. eineinhalb Jahre in Italien in Strafhaft befunden. "Auch diese Straftat kann als maßgebliche Verurteilung gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG angesehen werden."

Auf Grund der Ehe mit einer ihr Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch nehmenden Österreicherin könne gemäß § 87 FPG ein Aufenthaltsverbot nur unter den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 leg. cit. verhängt werden.

Auf Grund der gerichtlichen Verurteilungen "in der Schweiz und Italien" habe der Beschwerdeführer den als Orientierungsmaßstab heranzuziehenden Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Der Verurteilung durch das Bezirksgericht Zürich liege u.a. zu Grunde, dass der Beschwerdeführer sieben Kilogramm Kokain und 25.000 Ecstasy-Tabletten geschmuggelt habe.

Wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtmittelkriminalität könne kein Zweifel daran bestehen, dass das Fehlverhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Von der Möglichkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes würde auch zum jetzigen Zeitpunkt Gebrauch gemacht.

Der Beschwerdeführer habe sich von 1989 bis 1998 in Österreich aufgehalten und lebe seit 17. Mai 2000 wieder in Österreich. Er sei verheiratet und Vater dreier 1988, 1991 und 1997 geborener Kinder. Die Ehefrau und die Kinder seien österreichische Staatsbürger. Die maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Erlassung bzw. Aufrechterhaltung der fremdenpolizeilichen Maßnahme seien nach wie vor gegeben und höher zu veranschlagen als die vorhandenen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers.

Letztlich führte die belangte Behörde aus, dass sich der Beschwerdeführer nicht auf Gemeinschaftsrecht, insbesondere auch nicht auf die Richtlinie 2004/38/EG berufen könne, weil er staatenlos, nicht assoziationsrechtlich begünstigt und auch kein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung von deren Behandlung mit weiterem Beschluss vom 12. November 2008, B 1448/08-5, dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist das Aufenthaltsverbot oder das Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

Zu Recht hat die belangte Behörde für die Frage der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes gegen den mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten Beschwerdeführer die Bestimmung des § 86 Abs. 1 FPG angewendet. Demnach ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Im Blick auf die Verurteilung in Italien spricht die Beschwerde zutreffend an, dass gemäß § 60 Abs. 3 FPG eine für ein Aufenthaltsverbot maßgebliche Verurteilung nur dann vorliegt, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht. Demzufolge stehen ausländische Verurteilungen inländischen gleich, wenn die Tat auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist und das Urteil in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen ist.

Die letztgenannte Voraussetzung bestreitet der Beschwerdeführer und verweist auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 21. Jänner 2008 zur Zl. 15 Os 117/07f. Diesem Beschluss ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer vorerst am 15. Dezember 2001 in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt wurde. Nach Aufhebung des den Strafausspruch dieses Urteils bestätigenden Urteils des Berufungsgerichtes Mailand vom 6. März 2003 mit Urteil des Kassationsgerichtes vom 4. Juni 2004 und Zurückverweisung der Strafsache an dieses Gericht zur neuerlichen Entscheidung wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Berufungsgerichtes Mailand vom 12. Jänner 2005 neuerlich in Abwesenheit schuldig erkannt und wiederum zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Diese Entscheidung ist in Rechtskraft erwachsen. Der OGH gelangte im zitierten Beschluss zum Ergebnis, dass die Tatsachenannahmen der Vorinstanzen eine Beurteilung nicht zuließen, ob das ausländische Abwesenheitsverfahren den Anforderungen des Art. 6 EMRK entsprochen hat.

Der belangten Behörde ist zwar vorzuwerfen, dass sie Feststellungen zu diesem Problemkreis im vorliegenden Fall zur Gänze unterlassen hat. Diesem Verfahrensmangel kommt jedoch keine Relevanz zu. Es darf nämlich auch ein Fehlverhalten eines Fremden berücksichtigt werden, wenn dieses nicht zu einer entsprechenden Verurteilung geführt hat (so schon das zur vergleichbaren Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 ergangene hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2002, 2002/21/0163). In diesem Zusammenhang hat die belangte Behörde festgestellt (S. 15 des angefochtenen Bescheides), dass der Beschwerdeführer vor seiner Festnahme am 11. November 1998 in Italien am 22. Oktober 1998 1,1 kg Kokain an eine namentlich genannte Person in Marokko übergeben hat. Diese Tatsache wird vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt. Auch dieses Fehlverhalten lag dem Aufenthaltsverbot zu Grunde, dessen Aufhebung nunmehr beantragt wird.

Somit ist unter Berücksichtigung des letztgenannten Fehlverhaltens und desjenigen, das zu der - unbestritten § 73 StGB entsprechenden - Verurteilung in der Schweiz geführt hat, davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in massiver Weise im Bereich der Suchtmittelkriminalität straffällig wurde. Nach dem Akteninhalt befand sich der Beschwerdeführer bis zum Jahr 2003 in Haft. Der daran bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides anschließende Zeitraum ist noch zu kurz, um die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers - selbst unter den hier als Prüfungsmaßstab heranzuziehenden Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG - bereits als maßgeblich gemindert beurteilen zu können. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen ist. Es kann daher nicht als rechtswidrig gesehen werden, dass die belangte Behörde insgesamt die Gefährlichkeitsprognose als noch andauernd beurteilt und die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes versagt hat.

Eine wesentliche Änderung in den familiären Umständen des Beschwerdeführers wurde nicht behauptet, weshalb auch die Interessenabwägung nach § 66 iVm § 60 Abs. 6 FPG nicht zu einer Aufhebung des Aufenthaltsverbotes führt.

Letztlich kann dem Beschwerdevorbringen nicht gefolgt werden, dass der Aufenthaltsverbotsbescheid vom 17. Juni 2003 wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht rechtsunwirksam sei. Dieser Hinweis geht schon deswegen ins Leere, weil kein Fall einer unmittelbaren Anwendung von Gemeinschaftsrecht vorgelegen ist. Da die Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen hat und dem Beschwerdeführer somit nicht die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen zukommt, hat die belangte Behörde anhand der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG ihre Zuständigkeit zu Recht in Anspruch genommen.

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 26. Jänner 2010

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