BVwG W226 2013486-2

BVwGW226 2013486-23.10.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W226.2013486.2.00

 

Spruch:

W226 2013486-2/10E

 

W226 2013487-2/10E

 

W226 2108497-2/8E

 

W226 2173548-1/7E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX , 2.) XXXX (BF2), geb. XXXX , 3. XXXX (BF3), geb. XXXX und 4.); XXXX (BF4), geb. XXXX , StA: Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.09.2017, Zlen. 1.) 831887504-1773733, 2.) 831887602-1773825, 3.) 1060212705-150362029,

4.) 1153631302-170618966 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) sind die Eltern von BF3 und BF4. Das Vorbringen der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist untrennbar miteinander verknüpft bzw. beziehen sich die BF auf dieselben Verfolgungsgründe, weshalb die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller Beschwerdeführer abzuhandeln war.

 

Die beiden erwachsenen BF1 und BF2 stellten am 22.12.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. BF1 schilderte im Zuge der Erstbefragung vom 24.12.2013, dass er ebenso wie seine Gattin aus Dagestan stamme. In der Heimat würden sich noch seine Mutter und seine Schwester aufhalten, er habe am 12.12.2013 von XXXX aus die Ausreise in einem Reisebus in Richtung Ukraine angetreten. Er habe nur seinen russischen Inlandspass vorzulegen, der Reisepass befinde sich in der Ukraine, er sei in einem Reisebus bis XXXX in der Ukraine gelangt, von dort seien sie in einem Kleinbus über unbekannte Länder und auf einer unbekannten Fahrtroute bis XXXX gekommen. Der Busfahrer habe ihn und die BF2 aus Mitleid mitgenommen, er habe nichts dafür zahlen müssen. Am 22.12.2013 seien sie in den Abendstunden in XXXX angekommen und seien sie mit einem Taxi zur Asylbehörde gefahren.

 

Der Fluchtgrund wurde vom BF1 dahingehend geschildert, dass er bereits im Jahr 2007 von maskierten bewaffneten Leuten festgenommen und zu einer Polizeistation gebracht worden sei. Ihm sei vorgeworfen worden, dass er illegale Waffen in seinem Haus aufbewahre. Es seien auch Waffen gefunden worden, diese hätten die Männer aber selbst mitgebracht. Über Initiative seines Onkels sei er freigelassen worden. Am XXXX habe ihn dieser namentlich genannte Onkel dann angerufen und habe ihm mitgeteilt, dass es besser wäre, das Land zu verlassen.

 

In Vorlage gebracht wurde ein russischer Führerschein.

 

Die BF2 schilderte die Ausreise aus der Russischen Föderation beinahe wortgleich, sie selbst habe noch die Eltern und zwei Geschwister, welche ebenfalls an einem näher genannten Ort in Dagestan leben würden. Sie wisse nur, dass BF1 Probleme habe, welche Probleme BF1 aber genau habe, das wisse sie nicht. Sie selbst habe keine Gründe, wolle aber beim Ehegatten bleiben.

 

BF1 wurde in weiterer Folge im Bundesgebiet kurze Zeit nach Einreise straffällig, er wurde bereits in der ersten Jänner-Woche bei einem Einbruchsdiebstahl betreten. Das Strafregister von BF1 weist in Summe folgende Eintragungen auf:

 

1. LG XXXX vom XXXX wegen §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB, Freiheitsstrafe acht Monate bedingt

 

2. LG XXXX vom XXXX wegen §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB, Freiheitsstrafe 12 Monate bedingt

 

3. BG XXXX vom XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe 3 Monate bedingt

 

4. BG XXXX vom XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe 2 Monate.

 

Am 16.09.2014 wurde BF1 durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen.

 

BF1 schilderte erneut, dass im Jahr 2007 sein Haus von maskierten Menschen gestürmt worden sei, er sei grob behandelt worden, er sei weiters über seinen Cousin befragt worden. In der Einvernahme sei er zu seinem Cousin befragt worden, auch, dass bei ihm im Haus Waffen gefunden worden wären, die Waffen hätten die Männer aber vorher hineinschmuggeln müssen.

 

Ein Onkel von ihm sei in der Hauptstadt von Dagestan Staatsanwalt gewesen. Dieser Onkel habe seine Freilassung erwirkt. Bei der Freilassung sei ihm gesagt worden, dass er Probleme bekommen würde, sollte er jemandem über das alles berichten. In der Folge sei er manchmal mitgenommen worden, wenn in der Stadt irgendein Ereignis gewesen sei.

 

Der genannte Onkel sei im April 2013 verhaftet worden, auch der Onkel - der Staatsanwalt - sei beschuldigt worden, mit Waffen gehandelt zu haben und sei dieser immer noch in Haft. Der Onkel habe dann die Mutter aus der Haft heraus angerufen.

 

Der Cousin wiederum habe Probleme mit dem Gesetz gehabt, sei drei Jahre in Haft gewesen.

 

Der genannte Onkel, der Staatsanwalt, sei von 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt in Haft.

 

Der BF1 wurde weiters gefragt, wie oft er konkret festgenommen worden sei, er führte aus, dass es fünfzehn Mal gewesen sein könne. Auf Vorhalt, dass er vorher angegeben habe, nur ca. zwei Mal im Jahr mitgenommen worden zu sein, führte der BF1 aus, es nicht gezählt zu haben. Zum Vorhalt, dass der genannte Cousin, mit dem die Verfolgung zusammenhänge, angeblich bereits 2007 verstorben sei, BF1 aber erst Ende 2013 ausgereist sei, vermeinte dieser, dass er schon einmal aufgefallen sei, deshalb habe ein Verdacht gegen ihn bestanden. Der Onkel sei der Cousin der Mutter gewesen.

 

Auf die konkrete Frage, ob er jemals einen Auslandspass besessen habe, führte der BF1 aus wie folgt: "Nein." Er habe auch nur einen Inlandspass besessen, wisse aber nicht, wo die Dokumente seien.

 

BF2 führte in ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde am 16.09.2014 aus, dass es ihren Verwandten in der Heimat gut gehe. Sie sei am 18.11.2013 ausgereist. Sie selbst habe keine eigenen Fluchtgründe, habe auch beim BF1 nur bemerkt, dass dieser nervös gewesen sei, er habe aber nie gesagt, warum dies so sei. Er habe auch den Grund für die Ausreise nie erklärt, er habe mit seiner Mutter in der Sprache Lesginisch gesprochen, dabei habe sie nichts verstanden. Er sei immer normal von der Arbeit nach Hause gekommen, dies während des ganzen Familienlebens, sei seien dann mit einem Bus aus Dagestan ausgereist.

 

Im weiteren Verfahrenslauf wurde BF3 und in weiterer Folge auch BF4 im Bundesgebiet geboren.

 

In weiterer Folge wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 03.10.2014 und mit Bescheiden vom 22.05.2015 die Anträge von BF1 bis BF3 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab und erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung. Mit Beschluss des BVwG vom 31.03.2016, Zahl W112 2013486-1/13E u.a. wurde die Beschwerde der BF2 zurückgewiesen, da die bekämpfte Erledigung weder eine Unterschrift noch eine Amtssignatur aufwies und somit einen "Nichtbescheid" darstellte. Zugleich wurden Beschwerden vom BF1 und BF3 gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG iVm § 34 Abs. 4 AsylG zur Erlassung von neuen Bescheiden im Familienverfahren zurückverwiesen.

 

In weiterer Folge wurden BF1 und BF2 am 13.06.2017 erneut durch die belangte Behörde einvernommen. BF1 führte aus, dass er von seiner Mutter erfahren habe, dass komische Leute immer bei Freunden nach ihm nachfragen würden, das würden die Freunde der Mutter erzählen, er wisse aber nicht, welche Leute sich nach ihm erkundigen würden, diese würden ohne Uniform kommen.

 

BF1 führte aus, dass seine Mutter auch Brüder habe, einer sei verstorben, der andere lebe "in Russland".

 

Der BF1 führte aus, dass er Berichte über den Tod eines Cousins vorgelegt habe, die Mutter des getöteten Cousins und seine eigene Mutter seien Schwestern. Er könne das aber nicht mit einer Todesurkunde beweisen, denn die Leichen von Menschen, die gegen die Polizei gekämpft hätten, würden verbrannt werden. Sie hätten den Cousin zwar begraben können, hätten aber keine Dokumente erhalten.

 

Auf die Frage nach dem Onkel, der als Staatsanwalt tätig sein soll, führte der BF1 bei dieser Gelegenheit aus wie folgt: "Mit ihm ist alles okay. Er hat keine Probleme mehr. Es waren damals falsche Beschuldigungen. Er arbeitet wieder. Ich habe derzeit keinen Kontakt, er wisse das aber alles von seiner Mutter." Dieser Staatsanwalt sei der Cousin seiner Mutter. Er arbeite wieder als Staatsanwalt im selben Bezirk wie vorher. Er wisse auch nicht, wie lange der inhaftierte Onkel überhaupt in Haft gewesen sei, er "glaube aber nicht, dass sie einen Staatsanwalt lange einsperren könnten".

 

BF2 führte im Zuge der neuerlichen Einvernahme aus, dass sie zur Schwiegermutter in Dagestan Kontakt habe, dieser gehe es gut. Was sonst im Verfahren vorgebracht worden sei, davon habe sie keine Kenntnisse. In Österreich sei sie immer nur zuhause gewesen, habe einen Deutschkurs besucht, aber nach dem zweiten Kind gehe das nicht mehr. Sie sei kein Mitglied in einem Verein, gehe auch keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach.

 

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurde jeweils der Antrag auf internationalen Schutz ebenso wie der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF nicht erteilt und wurde jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen.

 

Die belangte Behörde verwies auf widersprüchliche Angaben des BF1, dieser habe ursprünglich nur von einer Festnahme für drei Tage gesprochen, aber dann in gesteigerter Form von mehreren Mitnahmen gesprochen und habe er auch die Verhaftung des genannten Onkels (Staatsanwalt) erst später erwähnt.

 

Das Vorbringen vom BF1 wurde somit als nicht glaubhaft gewertet, besondere integrative Aspekte wurden von der belangten Behörde nicht festgestellt und deshalb auch die Rückkehrentscheidung erlassen.

 

3. Gegen diese Bescheide haben BF1 bis BF4 fristgerecht Beschwerde erhoben und dabei erneut das Vorbringen wiederholt, dass ein Cousin des BF1 in illegalen Waffenhandel involviert gewesen sei, dieser habe sich schwere Straftaten zu Schulden kommen lassen, von welchem BF1 jedoch nichts gewusst habe. Diesbezüglich sei BF1 in weiterer Folge der Vorwurf gemacht worden, selbst illegal Waffen in seinem Haus aufbehalten zu haben. Sie seien ausgereist zu einem Zeitpunkt, als der Onkel des BF1, welcher als Staatsanwalt gewisse Kontakte gehabt habe, selbst wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen worden sei und dem BF1 nicht mehr unterstützend zur Seite stehen konnte.

 

4. Die beiden erwachsenen BF wurden am 24.09.2019 durch das erkennende Gericht im Zuge einer Beschwerdeverhandlung nochmals zu den angeblichen Ereignissen in der Russischen Föderation, der gesundheitlichen Verfassung sowie zu integrativen Aspekten einvernommen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:

 

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA, die Beschwerden, die Stellungnahmen, durch Einsichtnahme bzw. Übersetzung der vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, Einsicht in Auszüge aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat.

 

1. Feststellungen:

 

Feststellungen zu den BF:

 

Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und stammen aus Dagestan. Die Identität der BF steht infolge der Vorlage unbedenklicher Dokumente fest.

 

Zahlreiche nahe Angehörige leben unverändert im Herkunftsstaat.

 

Die BF konnten nicht glaubwürdig dartun, dass ihnen in der Russischen Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - gedroht hat oder ihnen aktuell droht.

 

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

 

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

 

Die BF waren in der Russischen Föderation in der Lage, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern.

 

Die BF leiden an keinen dermaßen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Russischen Föderation besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung.

 

Die BF1 und BF2 halten sich beinahe 6 Jahren im Bundesgebiet auf, die beiden mj. BF befinden sich im Kleinkindalter.

 

Eine tiefergehende Integration im Bundesgebiet liegt nicht vor. BF1 weist 4 strafgerichtliche Verurteilungen auf.

 

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:

 

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

 

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 18.4 Homosexuelle).

 

Ende 2018 kam es in Tschetschenien wieder zur Verhaftung von Homosexuellen. Laut Angaben des russischen LGBT-Netzwerkes wurden mindestens 40 Frauen und Männer inhaftiert, mindestens zwei sollen im Zuge von Folter getötet worden sein (LGBT Netzwerk 14.1.2019, vgl. Nowaja Gaseta 18.1.2019). Laut dem Leiter des LGBT-Netzwerkes, Igor Kotschetkow, kam es nicht nur zur physischen Bedrohung bis zur Inkaufnahme des Todes der Festgehaltenen, sondern die Sicherheitskräfte sollen auch versucht haben, die Frauen und Männer daran zu hindern, aus der Teilrepublik auszureisen oder vor Gericht zu ziehen (NZZ 18.1.2019, vgl. UN News 13.2.2019). Die Kampagne, deren Muster und auch der Ort der Inhaftierung, eine Anlage in der Stadt Argun, erinnern an eine erste Welle an Verhaftungen von tschetschenischen Homosexuellen vor zwei Jahren. Nach Einschätzung von Menschenrechtsaktivisten gingen die Einschüchterungen, Festnahmen und Gewalttaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender weiter. Im Frühsommer 2017 hatte das Ermittlungskomitee von höchster Stelle in Moskau aus wegen starken internationalen Drucks eine Untersuchung der schwerwiegenden Vorwürfe angeordnet. Diese brachte allerdings nie konkrete Resultate (NZZ 18.1.2019, vgl. Nowaja Gaseta 18.1.2019).

 

Quellen:

 

 

 

 

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 16.3. Zeugen Jehovas).

 

Änderungen seit Mai 2018:

 

Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF

(http://minjust.ru/ru/extremistmaterials?field_extremist_content_value ) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 5.7.2018 bzw. am 31.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der

 

Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.6.2011 am 20.9.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20. April 2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig.

 

Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.4.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.8.2017 bis zum 29.9.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen.

 

Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden.

 

Art. 282.3 des russ. StGB

(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845

 

bc43ee6f3eadfa69f65119c941fa/) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet:

 

"Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit

 

1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.

 

2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren.

 

Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."

 

Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt.

 

Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.

 

Quellen:

 

 

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

 

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

 

Quellen:

 

 

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).

 

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

 

Quellen:

 

 

2. Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

 

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5 .2018b).

 

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5 .2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

 

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.1. Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

2.2. Dagestan

 

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 16.5.2018, vgl. IOM 6.2014). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann (IOM 6.2014).

 

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. War die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern bei Auseinandersetzungen zwischen "Aufständischen" und Sicherheitskräften in den Jahren 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen, hat die Gewalt in den letzten Jahren abgenommen (AA 21.5.2018). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2017).

 

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. Im Jahr 2006 wurde Muchu Alijew vom Kreml als Präsident an die Spitze der Republik gesetzt. 2013 wurde er von Magomedsalam Magomedow ersetzt. Magomedow war vor allem mit Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert, die auch sein Vorgänger nicht lösen konnte. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramzan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagierte Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew schreckte der Kreml die lokalen Eliten auf. Wassiljew ist keiner von ihnen, er war mit Blick auf das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien wie eine Faust aufs Auge. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Immerhin dürfte Wassiljew für ethnische Fragen ein gewisses Gespür mitbringen. Er ist selbst halb Kasache, halb Russe. Wassiljew ist das Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Er ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen. Dafür allerdings benötigt er genauso die Akzeptanz der Einheimischen (NZZ 12.2.2018). Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet zur Ausbeutung der wirtschaftlich abgeschlagenen und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängenden Nordkaukasus-Republik. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

3. Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

3.1. Nordkaukasus

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des ISKalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

 

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

3.2. Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

3.3. Dagestan

 

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden Dagestans Anfang 2017 kämpften etwa 1.200 Männer aus Dagestan in den Reihen der Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Irak. Mittlerweile werden Radikale, die sich terroristischen Organisationen im Ausland anschließen wollen, von den russischen Behörden an der Ausreise gehindert und festgenommen, was die Terrorgefahr in Dagestan erhöht (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar. Relativ häufig kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Letztere gehörten bis vor kurzem primär zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekundeten jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem sog. IS. Die Anhänger des Emirats beanspruchen, den "wahren Islam" in der Region zu vertreten, während die Vertreter des sog. "traditionellen" Islams als korrupt angesehen werden und im Verdacht stehen, der Regierung in Moskau bzw. ihren Repräsentanten in der Region Untertan zu sein. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der sog. IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Inwieweit der IS nach der territorialen Niederlage im Nahen Osten entsprechende Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus weitere terroristische Umtriebe zu entfalten oder die regionale Zweigstelle weiterhin zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen, wird von den russischen Sicherheitskräften genau verfolgt werden (ÖB Moskau 12,2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Dagestan 55 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 47 Todesopfer (38 Aufständische, vier Zivilisten, fünf Exekutivkräfte) und acht Verwundete (ein Militanter, fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Regelmäßig kommt es auch im Jahr 2018 in Dagestan zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen (ACCORD 16.8.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Dagestan 17 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon elf Todesopfer (vier Aufständische, eine Exekutivkraft, sechs Zivilisten) und sechs Verwundeter (vier Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

4. Rechtsschutz / Justizwesen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

 

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

 

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

 

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

 

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

 

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

4.1. Tschetschenien

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013):

Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). SchariaGerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 21.5.2018). Der Konflikt im Nordkaukasus zwischen Regierungskräften, Aufständischen, Islamisten und Kriminellen führt zu vielen Menschenrechtsverletzungen, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen und daher auch zu einem generellen Abbau der Rechtsstaatlichkeit. In Tschetschenien werden Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitsbehörden mit Straffreiheit begangen (US DOS 20.4.2018, vgl. HRW 7.2018, AI 22.2.2018).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

5. Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB, das Untersuchungskomittee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 20.4.2018).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 20.4.2018).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 21.5.2018).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnenderweise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramzan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramzan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018). Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Von Seiten des tschetschenischen MVD [Innenministerium] sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Einrichtung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hatte angeblich 9.000 Angehörige. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramzan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ersuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch "ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden "unantastbaren Polizeieinheiten" zu tun haben" (EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

6. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CATOP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. EASO 3.2017).

 

Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und

 

Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen (AI 22.2.2018). Laut Amnesty International und dem russischen "Komitee gegen Folter" kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig. Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 21.5.2018).

 

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher

 

Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 20.4.2018).

 

Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 1.2018). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden die Inhaftierungen und Folterungen von Homosexuellen in Tschetschenien publik (HRW 18.1.2018). Der Umfang der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen [vgl. hierzu Kapitel19.4 Homosexuelle] (Standard.at 3.11.2017).

 

Ein zehnminütiges Video der Körperkamera eines Wächters in der Strafkolonie Nr. 1 in Jaroslawl, zeigt einen Insassen, wie er von Wächtern gefoltert wird. Das Video vom Juni 2017 wurde am 20.07.18 von der unabhängigen russischen Zeitung "Novaya Gazeta" veröffentlicht. Das Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch mit Gewaltanwendung ein. Verschiedenen Medienberichten zufolge sollen fünf bis sieben an der Folter beteiligte Personen festgenommen und 17 Mitarbeiter der Strafkolonie suspendiert worden sein. Das Video hatte in der russischen Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Misshandlungen und Folter im russischen Strafvollzug (NZZ 23.7.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

7. Korruption

 

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen sowie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).

 

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert, um sich selbst zu bereichern (FH 1.2018).

 

Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, die Regierung bestätigt aber, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind. Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 20.4.2018, vgl. EASO 3.2017). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (US DOS 20.4.2018).

 

Korruptionsbekämpfung gilt seit 2008 als prioritäres Ziel der Zentralregierung. Bis 2012 wurde die dafür notwendige Gesetzesgrundlage geschaffen. Beispielsweise wurden die Sanktionen festgelegt. Aufsichtsbehörden erhielten mehr Befugnisse, darunter die Finanzkontrolle, die Generalstaatsanwaltschaft und der Geheimdienst (FSB). Es wurden vermehrt Überprüfungen eingeleitet. In der Folge stieg die Anzahl der Strafverfahren. Zu Beginn richteten sie sich hauptsächlich gegen untere Chargen, seit 2013 jedoch auch gegen hochrangige Beamte und Politiker, wie einzelne Gouverneure, regionale Minister und stellvertretende föderale Minister und einen früheren Verteidigungsminister. Positiv bewertete die russische Zivilgesellschaft die 2009 geschaffenen Gesetze, welche die staatlichen Behörden und die Justiz verpflichteten, über ihre Aktivitäten zu informieren. Im Zusammenhang mit der Korruptions-Bekämpfung entstanden zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die ab 2011 einen gewissen Einfluss auf die Arbeit der Behörden ausüben konnten und erreichten, dass das Handeln von Dienststellen und Gerichten teils transparenter wurde. In einzelnen Bereichen der Verwaltung wurde die Korruption reduziert, oft abhängig von einzelnen integren und innovativen Führungsfiguren. Beobachter sind sich jedoch einig, dass sich die Situation nicht substantiell verbessert hat. Am endemischen Charakter der Korruption in der Verwaltung hat sich bisher nichts geändert. Das gilt auch für das Justizsystem und für die Polizei, die 2011 reformiert wurde. Die Gründe für den Misserfolg sind vielschichtig. Auf höchster Ebene scheint die russische Führung kein echtes Interesse an der KorruptionsBekämpfung zu haben, da sie selber vom korrupten System profitiert. Externe Beobachter kritisieren, der Kreml nutze Anti-Korruptions-Maßnahmen, um Gegner zu schwächen und die Elite zu kontrollieren. Aufsehenerregende Fälle dienten dazu, die Popularität des Präsidenten in der Bevölkerung zu stärken. Im Verwaltungsapparat sind die konkreten Regeln zur Korruptionsbekämpfung unterentwickelt, es fehlen zum Beispiel Mechanismen zur Integritätsprüfung der Mitarbeiter/innen. Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind laut BTI zwar oft mit kompetenten Personen besetzt, es fehlen ihnen jedoch die Kompetenz und die Ressourcen, um effektiv zu handeln. Laut Elena Panfilova, ehemalige Direktorin von Transparency International Russland, herrscht unter russischen Beamten und dem Justizpersonal kein Verständnis für die Problematik von Interessenskonflikten, vielmehr scheinen verwandtschaftliche und freundschaftliche Gefälligkeiten wichtiger als die berufliche Integrität. Durch korrupte Praktiken sind Abhängigkeiten zwischen Mitarbeiter/innen, zwischen Personen in verschiedenen Hierarchiestufen und zwischen Institutionen entstanden. Solche "verfilzten Strukturen" blieben völlig unkontrolliert und weil jeder jeden deckt, ist eine systematische Aufarbeitung kaum möglich. In der Verwaltung werden deshalb im Vergleich zur Anzahl der Staatsangestellten relativ wenige Strafverfahren wegen Korruption eingeleitet, auch weil die Gerichte selber korruptionsanfällig sind. Zu Schuldsprüchen kommt es selten, wenn doch, ist das Strafmaß vielfach gering oder wird insbesondere bei hohen Geldbußen nicht vollstreckt. Auf weitere Institutionen, die zur Korruptionsbekämpfung notwendig sind - unabhängige Gerichte, freie Medien und die Zivilgesellschaft - wird vermehrt Druck ausgeübt. Auch im Nordkaukasus beschränken sich Anti-Korruptionskampagnen vor allem auf einzelne aufsehenerregende Festnahmen von Beamten. Es ist davon auszugehen, dass Ramzan Kadyrow Korruptionsbekämpfung dazu nutzt, um gegen unliebsame Personen vorzugehen. Die tschetschenische Staatsanwaltschaft bestätigt 2014, dass es in Anbetracht des Ausmaßes des Problems zu vergleichsweise wenigen Strafverfahren kommt. Und diese endeten oft ohne Schuldspruch. Häufig betreffen sie Alltagskorruption, das heißt, die unteren Chargen der Verwaltung. Laut Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, befragt durch ICG, sind die Polizisten, die in Korruptionsfällen ermitteln, selber korrupt. Um gegen Korruption innerhalb der Polizei vorzugehen, wurden die Löhne erhöht. Die erforderliche Summe, um eine Stelle bei der Polizei zu erhalten, blieb jedoch derart hoch, dass die Abhängigkeit von informellen Zahlungen weiterhin bestand. Die Lohnerhöhungen brachten deshalb keine substantiellen Verbesserungen. Eine Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ist in Tschetschenien noch weniger gegeben als im übrigen Russland, da Nichtregierungsorganisationen seit Jahren stark unter Druck stehen und die Bevölkerung tendenziell versucht, jeglichen Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (SEM 15.7.2016).

 

Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 7.2018a).

 

Korruption ist vor allem in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete der "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland. In der Folge wird der Rechtsstaat unterlaufen und der Zugang zum Gesundheitswesen - außer der Notfallversorgung - hängt zu einem großen Teil von den finanziellen Mitteln der Patienten und ihres sozialen Umfeldes ab (SEM 15.7.2016).

 

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

 

Inländische und ausländische NGOs geraten zunehmend unter Druck. Auf Basis des sog. NGOGesetzes aus 2012 werden russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register ausländischer Agenten eingetragen. Die davon betroffenen NGOs haben verstärkte Berichtspflichten gegenüber dem Justizministerium und müssen alle Publikationen mit der Kennzeichnung "ausländischer Agent" markieren. Organisationen, die sich gegen eine Eintragung wehren, haben mit hohen Geldstrafen zu rechnen bzw. können aufgelöst werden (ÖB Moskau 12.2017, vgl. GIZ 7.2018a, AA 21.5.2018,

 

FH 1.2018). 2016 wurde die NGO Agora, eine Vereinigung von Menschenrechtsanwälten, als erste Organisation aufgrund von Nichtbefolgung des NGO-Gesetzes aufgelöst. Von einer strafrechtlichen Verfolgung der Leiterin einer NGO für die Belange von Frauen in Südrussland wurde im Juli 2017 abgesehen. Bereits im März 2015 wurde durch eine gesetzliche Änderung die Möglichkeit geschaffen, Organisationen aus dem Register zu streichen, wenn sie nachweisen können, keine ausländischen Finanzmittel mehr zu erhalten. Nach langen Protesten wurde das NGO-Gesetz im Mai 2016 erneut von der Duma überarbeitet, um den Begriff "politische Aktivität" genauer zu definieren. Hiesigen Experten zufolge ist die Definition jedoch nach wie vor unzulänglich. Weiters wurden im Zuge der Gesetzesanpassung wohltätige Organisationen vom NGO-Gesetz ausgenommen. Im Dezember 2016 erklärte Präsident Putin anlässlich der Veröffentlichung der Liste des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts "Lewada-Zentrum", dass die Anwendung des NGO-Gesetzes einer Prüfung unterzogen werden solle (ÖB Moskau 12.2017). In der Folge wurden zahlreiche Organisationen aus dem Register der ausländischen Agenten gestrichen. Der präsidiale Menschenrechtsrat verlangt die Streichung weiterer Organisationen. Gegen Jahresende 2017 waren beim Justizministerium 85 NGOs als ausländische Agenten registriert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018). Der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Zeid Ra'ad Al Hussein, rief im Juni 2016 die russischen Behörden vor dem Menschenrechtsrat in Genf dazu auf, das NGO-Gesetz abzuändern (ÖB Moskau 12.2017, vgl. HRW 18.1.2018). Auch die Venedig-Kommission des Europarats rief im Juni 2016 zu Abänderungen des NGO-Gesetzes sowie des Gesetzes über unerwünschte ausländische Organisationen auf. Um der ausländischen Finanzierung russischer NGOs entgegenzuwirken, werden seit einigen Jahren sogenannte präsidentielle Subventionen vergeben. 2017 wurden auf diesem Weg rund 2,25 Mrd. Rubel (ca. 31,5 Mio. Euro) an Organisationen verteilt, größtenteils an jene mit patriotischer bzw. sozialer Ausrichtung, in einigen Fällen erhielten auch als ausländische Agenten deklarierte Einrichtungen staatliche Zuwendungen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, um die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen der RF, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation als unerwünscht zu erklären. Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten. Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn ein Kunde als unerwünschte NGO eingestuft wurde. Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen. Hiesige Menschenrechtler gehen daher davon aus, dass das Gesetz indirekt auch gegen die russische Zivilgesellschaft gerichtet ist. Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung auch Freiheitsstrafen von mehreren Jahren vor. Zum Jahresende 2017 waren ein knappes Dutzend ausländische Einrichtungen vom

 

Justizministerium als unerwünscht gelistet (ÖB Moskau 12.2017). Dieses Gesetz schränkt auch die Arbeitsfähigkeit von russischen Nichtregierungsorganisationen insbesondere dadurch ein, dass sie von den betroffenen Stiftungen aus den USA keine Mittel mehr annehmen können. Verstöße dagegen können mit bis zu sechs Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, solche Fälle kamen jedoch bisher nicht vor (AA 21.5.2018). Die Bezeichnung gibt den Behörden die Möglichkeit, eine Bandbreite an Sanktionen gegen diese Gruppierungen zu verhängen (FH 1.2018).

 

Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, "Strategie 31" setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 7.2018a). Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt oder schikaniert zu werden, auch im Nordkaukasus (FH 1.2018, vgl. AI 22.2.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

9. Ombudsmann

 

Nachfolgerin der Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) Ella Pamfilowa ist Tatjana N. Moskalkowa. Sie war hochrangige Polizeibeamtin und seit 2007 Duma Abgeordnete. Da sie keine Erfahrung als Menschenrechtsaktivistin hat, wurde sie von mehreren Seiten kritisiert (NY Times 22.4.2016, vgl. Standard.at 3.11.2017). Sie versucht die Aufklärung der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien voranzutreiben (Standard.at 3.11.2017). Russland hat in 83 von 85 Regionen regionale Ombudspersonen. Ihre Effektivität variiert erheblich, und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit (US DOS 20.4.2018).

 

Moskalkowa (seit 2016) tritt nicht mit Kritik an der Lage bei klassischen Bürgerrechten in Erscheinung, sondern setzt ihren Schwerpunkt auf die "Rechte der dritten Generation", d.h. soziale Rechte (u.a. Lohnzahlung, Mietsachen) (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

10. Wehrdienst und Rekrutierungen

 

Alle männlichen russischen Staatsangehörigen zwischen 18 und 27 Jahre werden zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Es gibt auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden, sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte. Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren oder die einen nahen Verwandten pflegen müssen, bzw. durch Väter mehrerer Kinder. Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden, in der

 

Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten. Versuche, sich dem Wehrdienst zu entziehen, sind weit verbreitet. So sollen 2016 rund 3.800 Personen nicht den Ladungen der Militärkommissariate gefolgt sein. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert. Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien überhaupt keine Wehrpflichtigen eingezogen. Die Anzahl der aus dem Nordkaukasus rekrutierten Soldaten bleibt weiterhin niedrig. So wurden im Herbst 2017 aus der gesamten nordkaukasischen Region nur rund 6.000 Personen rekrutiert. In einigen Nordkaukasus-Republiken werden überdies nur Männer rekrutiert, für welche mehrere respektierte Persönlichkeiten als Bürgen auftreten. Die Regel zielt darauf ab, dass in die Armee nur disziplinierte Personen einberufen werden, um Konflikte zu vermeiden (ÖB Moskau 12.2017). Im Allgemeinen sinken die Zahlen der Einberufenen. Im Frühling 2018 wurden nur noch 128.000 Personen einberufen. Die geringe Zahl hat damit zu tun, dass die derzeitigen Kohorten extrem niedrige Geburtenraten aufweisen (Jamestown 10.4.2018).

 

Wehrpflichtige erhalten zurzeit 2.000 Rubel Monatssold plus Gefahrenzulagen sowie einen Zuschuss für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Die im Jahr 2013 eingeleiteten Maßnahmen zur "Humanisierung" und Attraktivitätssteigerung des Wehrdienstes wurden 2017 weiter umgesetzt. Diese Maßnahmen umfassen u. a. die Möglichkeit der heimatnahen Einberufung für Verheiratete, Wehrpflichtige mit Kindern oder Eltern im Rentenalter. Verbesserungen bei der Verpflegung, längere Ruhezeiten sowie die Erlaubnis zur Benutzung privater Mobiltelefone wurden ebenfalls eingeführt. 2017 gab es keine offiziellen Verlautbarungen zu Menschenrechtsverletzungen in den Streitkräften der Russischen Föderation. Die NGOs "Komitee der Soldatenmütter" und "Armee-Bürger-Recht" berichten jedoch von Soldaten, die sich aus ganz Russland mit der Bitte um Unterstützung beim Schutz ihrer Rechte an die beiden Organisationen wenden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften weiterhin problematisch ist. Das "Komitee der Soldatenmütter" äußerte zudem die Befürchtung, dass das 2016 erlassene Gesetz zur Verlängerung für Auslandseinsätze missbraucht und Wehrpflichtige zur Unterschrift genötigt werden könnten. Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, dass die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ("Dedowschtschina") sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu "Dedowschtschina" kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit. Eine Gesamtzahl von Todesfällen in den russischen Streitkräften wird nicht veröffentlicht. Mit einem Dekret des Präsidenten vom Mai 2015 wird die Zahl der in Friedenszeiten getöteten Angehörigen des Verteidigungsministeriums zum Staatsgeheimnis erklärt. Bei Verstößen drohen bis zu sieben Jahre Haft (AA 21.5.2018).

 

Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 21.5.2018).

 

Insgesamt sind jedoch zunehmend einzelne Verbesserungen zu erkennen, da (teilweise auf Initiative der Soldatenmütter) vor drei bis vier Jahren ein Beschwerderecht für Soldaten eingeführt wurde, seit Kurzem jeder Soldat ein Gehaltskonto haben muss, um Korruption und Erpressung durch Vorgesetzte zu verhindern und sich die soziale Lage durch den Neubau von Kasernen und die damit einhergehende Abnahme der Überbelegung verbessert hat, wodurch auch die Misshandlungen jüngerer durch ältere Soldaten zurückgegangen sind (AA 21.5.2018).

 

Das Verteidigungsministerium kooperiert mit der Ombudsstelle für Menschenrechte und mit relevanten NGOs, um regelmäßige Vorwürfe der Misshandlung von Rekruten zu verbessern. In den vergangenen Jahren konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. Im April 2017 erklärte Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dass die Anzahl der gemeldeten Übergriffe von Armeeangehörigen gegenüber Untergebenen um 37,6% gesunken sei. NGOs wie das "Komitee der Soldatenmütter" betonen, dass trotz gewisser Fortschritte mehr Anstrengungen, insbesondere bei der Verurteilung von Schuldigen sowie bei der Prävention, notwendig seien (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die russische Armee hat mit Stand 2017 850.000 Soldaten, davon 250.000 Wehrdienstleistende, 354.000 Kontraktniki [Vertragssoldaten], 220.000 Offiziere und 30.000 Kadetten von Militärakademien (Jamestown 8.11.2017).

 

In Tschetschenien wurden bei der Stellung im Herbst 2017 500 Wehrpflichtige eingezogen. 400 von ihnen werden ihren Militärdienst in den Einheiten des russischen Verteidigungsministeriums im südlichen Militärdistrikt, die restlichen 100 werden ihren Dienst in den Einheiten der Nationalgarde ableisten. Laut Militärangehörigen wird die Anzahl an jungen Tschetschenen, die in der Armee dienen möchten, von Jahr zu Jahr mehr. Grund hierfür sind die schlechten Berufsaussichten in Tschetschenien. Momentan würden auf eine freie Stelle 50 Kandidaten kommen. Das Rekrutierungspotential in Tschetschenien liegt bei ca. 80.000 jungen Männern (Caucasian Knot 1.12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

10.1. Wehrersatzdienst

 

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird durch Art. 59 Abs. 3 der Verfassung garantiert (AA 21.5.2018). Dieser alternative Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht. Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate in den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen. In der Regel soll der Zivildienst außerhalb der Region absolviert werden, in der der Staatsangehörige lebt. Die Möglichkeit zum alternativen Zivildienst wird in der Praxis auch genutzt. So absolvierten mit Stand vom August 2017 laut Angaben der Föderalen Agentur für Arbeit und Beschäftigung über 1.000 Personen alternativen Zivildienst. Vereinzelt kommt es zu gerichtlichen Verfahren, etwa wenn die pazifistische Gesinnung eines Wehrpflichtigen in Zweifel steht. Insgesamt blickt der Zivildienst in Russland bereits auf eine lange historische Tradition zurück (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

10.2. Wehrdienstverweigerung / Desertion

 

Es gibt in Russland verschiedene Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Ein Großteil der Wehrpflichtigen macht von den Regelungen zur Aufschiebung des Wehrdienstes Gebrauch, die in der Praxis oftmals zu einer Annullierung der Wehrpflicht führen. Wehrpflichtige machen häufig von illegalen Praktiken (meist in Form von Zahlung von Bestechungsgeldern an Ärzte) Gebrauch, um sich von der Wehrpflicht zu befreien. Es kommt auch vor, dass sich Wehrpflichtige auf ihr Hochschulstudium berufen, um eine Aufschiebung des Wehrdienstes zu erlangen. Es ist auch möglich, mittels Zahlung von Bestechungsgeldern an gefälschte Dokumente zu kommen, aus denen hervorgeht, dass der Wehrpflichtige die Voraussetzungen für einen Aufschub oder eine Befreiung vom Wehrdienst erfüllt (ACCORD 12.11.2014).

 

Für Wehrdienstverweigerer sind folgende Strafen vorgesehen:

Geldstrafen von bis zu 200.000 Rubel oder iHv. 18 Monatslöhnen des Verurteilten sowie Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. Für die Weigerung, den alternativen Zivildienst zu absolvieren, ist eine Geldstrafe von bis zu 80.000 Rubel oder iHv. sechs Monatslöhnen vorgesehen bzw. bis zu sechs Monate Haft. Laut offizieller Statistik des russischen Obersten Gerichtshofs wurden 314 Personen in der ersten Jahreshälfte 2017 wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt, zwei weitere Personen wegen der Verweigerung des alternativen Zivildienstes (ÖB Moskau 12.2017). Seit einer gesetzlichen Neuregelung im Juli 2017 ist Wehrdienstverweigerern der Eintritt in den Staatsdienst für eine Dauer von zehn Jahren verboten (ÖB Moskau 12.2017, vgl. Jamestown 8.11.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

11. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VNÜbereinkommen gebunden:

 

 

 

 

 

 

 

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten

 

Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMREntscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018).

 

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018). Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland ist derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt. Laut einer Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%). Der Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Unter Druck steht auch die Freiheit der Kunst, wie etwa die jüngsten Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und KabardinoBalkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. (AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und KabardinoBalkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

11.1. Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Die unabhängige Novaya Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien herausgebracht werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ende 2015 wurden nach Angaben von Memorial mehrere hundert Menschen aufgrund oberflächlicher "Verdachtsmerkmale" wie zu kurzer Bärte tagelang in Behördengewahrsam genommen, ohne dass den Angehörigen hierzu Auskunft erteilt wurde (AA 21.5.2018). 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 21.5.2018, vgl. HRW 18.1.2018), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (HRW 18.1.2018).

 

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Novaya Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Novaya Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht. Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018).

 

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax behauptete Kadyrow am 21. November 2017, dass der Terrorismus in Tschetschenien komplett besiegt sei, es gebe aber Versuche zur Rekrutierung junger Menschen, für welche er die subversive Arbeit westlicher Geheimdienste im Internet verantwortlich machte (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter Memorial und Human Rights Watch, prangern die seitens der regionalen Behörden praktizierte Sippenhaft von Familienangehörigen in Tschetschenien an. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

11.2. Dagestan

 

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. Mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds gehen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einher, darunter Entführungen und spurloses Verschwinden. Von dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden wegen Verdachts auf Extremismus sind nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch NGOs im sozialen/humanitären Bereich betroffen.

 

Die Menschenrechtslage gilt in Dagestan jedoch grundsätzlich als besser als im benachbarten Tschetschenien. Im Gegensatz zu Tschetschenien können NGOs in Dagestan tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO "Komitee zur Verhinderung von Folter" arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan i.S. Strafvollzug zusammen (AA 21.5.2018).

 

Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Diese reichen von der internen Vertreibung von Personen, der Zerstörung von Häusern von Zivilisten, über exzessive Gewaltanwendung bis hin zu Folter und dem Verschwindenlassen von Personen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar (ÖB Moskau 12.2017). Während der Vorjahresbericht von Human Rights Watch in Bezug auf Salafisten festhielt, dass die Polizei Salafisten auf spezielle Beobachtungslisten setzte, sie wiederholt einsperrte und sie ohne speziellen Grund befragte (HRW 12.1.2017), wird im aktuellen HRWBericht erwähnt, dass die Behörden verlautbart haben, dass keine Salafisten mehr auf polizeiliche Beobachtungslisten gesetzt werden. Die Verfolgung von salafistischen Muslimen, einschließlich willkürlicher Verhaftungen und Einschüchterungen, dauern jedoch an (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

11.3. Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2017). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows de-facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet werden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützer/innen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen im Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018). Demnach wollte die tschetschenische Führung damit den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard.at 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramzan Kadyrow bei einem Auftritt in Grozny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden (SFH 25.7.2014). Angehörigen von Aufständischen bleiben, laut Tanja Lokshina von Human Rights Watch in Russland, nicht viele Möglichkeiten um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine ist die Republik Tschetschenien zu verlassen, aber das kann sich nicht jeder leisten, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen haben zugenommen (Meduza 31.10.2017).

 

Nach der Terrorattacke auf Grozny am 4.12.2014 hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramzan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter", dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard.at 14.12.2014, vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 Häuser, die niedergebrannt wurden (The Telegraph 17.1.2015, vgl. Meduza 31.10.2017).

 

Ein weiterer Fall, wo ein Haus niedergebrannt wurde, ist jener von Ramazan Dschalaldinow aus dem Jahr 2016. Er hat sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über die behördliche Korruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RFL 18.5.2016). Ebenso im Jahr 2016 wurden nach einer Attacke von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grozny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten

 

Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US DOS, Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern, als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grozny vom Dezember 2014. In allen rezenten Jahresberichten dieser Organisationen (AI, US DOS, HRW und FH) mit Berichtszeitraum 2017 kamen keine Informationen zum Niederbrennen von Häusern vor (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der Konsularabteilung der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.4.2014 veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes dran sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe, und die Anfragen seien zur Identifizierung der Militärangehörigen gestellt worden, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt wurden, konnten nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden. Es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Ein zunehmendes Sicherheitsrisiko stellt für Russland die mögliche Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut INTERFAX warnte FSBLeiter Bortnikov bei einem Treffen des Nationalen Anti-Terrorismus-Komitees am 12. Dezember 2017 vor der Rückkehr militanter Kämpfer nach der territorialen Niederlage des sog. IS in Syrien, der bei dieser Gelegenheit auch konkrete Zahlen zur Terrorismusbekämpfung in Russland nannte: Im Jahresverlauf 2017 seien über 60 terroristische Verbrechen, darunter 18 Terroranschläge, verhindert worden, die Sicherheitskräfte hätten über 1.000 militante Kämpfer festgenommen, knapp 80 Personen seien neutralisiert worden. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasste. Eine aktuelle Studie des renommierten Soufan-Instituts nennt Russland noch vor Saudi-Arabien als das wichtigste Herkunftsland ausländischer Kämpfer: So sollen rund 3.500 aus Russland stammen, wobei die Anzahl der Rückkehrer mit 400 beziffert wird. Anderen Analysen zufolge sollen bis zu 10% der ISKämpfer aus dem Kaukasus stammen, deren Radikalisierung teilweise auch in russischen Großstädten außerhalb ihrer Herkunftsregion erfolgte. Laut Präsident Putin sollen rund 9.000 Kämpfer aus dem postsowjetischen Raum stammen. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2. Dezember 2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27. Juli 2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB kommuniziert, dass 220 zurückgekehrte Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen stünden. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet. In Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein. Nachdem der sog. IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen werden konnte, ist zu vermuten, dass überlebenden IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus könnte sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben. Prominentestes Beispiel für die terroristischen Umtriebe zwischen dem Nordkaukasus, der Diaspora in Mitteleuropa und den Kampfgebieten des sog. IS im Nahen Osten war wohl der Austro-Dschihadist tschetschenischer Provenienz namens Akhmed Chatayev, der vom Al-Qaida-Sanktionskomitee des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wegen der Rekrutierung russischsprachiger IS-Kämpfer gelistet wurde, als Drahtzieher hinter dem verheerenden Anschlag auf den Istanbuler Flughafen vom Juni 2016 gilt und bei einer Anti-Terror-Operation in Tiflis in Georgien getötet worden ist. Deutsche Medien berichteten im Jahr 2017 über Verdachtsmomente, dass Russland die Migration von Tschetschenen nach Mitteleuropa fördern könnte, unter denen auch radikale Islamisten zu befürchten seien, um so die durch die Migrationskrise angespannte Lage weiter zu destabilisieren. Anderen Berichten zufolge könnte der russische Geheimdienst FSB mitunter als Migranten getarnte Agenten nach Mitteleuropa schleusen. Trotz des insignifikanten touristischen bzw. ökonomischen Potentials Tschetscheniens bietet die Fluglinie UTair seit Mitte 2017 wöchentliche Linienflüge zwischen München und Grozny an. Auch in der tschetschenischen Diaspora in Österreich scheint mitunter ein gewisses Naheverhältnis zum Kadyrow-Regime fortzubestehen, wie sich etwa in der Kampfsportszene zeigt (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

12. Meinungs- und Pressefreiheit, Internet

 

Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch die Exekutive jedoch in der Praxis häufig eingeschränkt oder nur selektiv gewährt. Opposition und kritische Vertreter der Zivilgesellschaft müssen bei Versammlungen mit erheblichen Restriktionen rechnen, während linientreue Gruppen Unterstützung erhalten. Die Meinungs- und Pressefreiheit wird auch durch die im August 2012 erfolgte Überarbeitung des Straftatbestandes der Verleumdung (etwa: wissentliche Verbreitung falscher Tatsachen gegen die Ehre oder das Ansehen einer anderen Person) eingeschränkt. Journalisten müssen z.B. fürchten, dass Enthüllungen oder auch nur Berichte über öffentliche russische Persönlichkeiten zu Klagen und Verurteilungen führen können. Das Strafmaß kann sich auf Geldstrafen von bis zu 5 Mio. Rubel oder bis zu 480 Stunden Pflichtarbeit belaufen (AA 21.5.2018).

 

Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle (ÖB Moskau 12.2017, vgl. GIZ 7.2018a), und sie werden von den Behörden genutzt, um Menschenrechtsverteidiger, Oppositionelle und andere kritische Stimmen zu verleumden. Überall im Land werden Initiatoren von Protestbewegungen und politische Aktivisten, die kritischen Stimmen Gehör verschafften, von Regierungsanhängern und "unbekannten" Personen, die vermutlich den Sicherheitsbehörden angehören oder mit ihnen zusammenarbeiten, schikaniert und körperlich attackiert (AI 22.2.2018). Die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV Sender Dozhd, Radiosender Echo Moskvy, Zeitung Novaya Gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt. Kritische Journalisten müssen in Russland weiterhin mit Drohungen und physischer Gewalt rechnen. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. GIZ 7.2018a), wie etwa die Ermordungen von Natalia Estemirova, Hajimurad Kamalov oder Akhmednabi Akhmednabiev im Nordkaukasus im Laufe der letzten Jahre. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtsaktivisten an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert und ihre Fahrzeuge in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2017). 2017 kamen zwei investigative Journalisten gewaltsam ums Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018).

 

Im Lichte der einschlägigen US-amerikanischen Gesetzgebung wurde im Herbst 2017 auch in Russland eine gesetzliche Grundlage zur Listung gewisser ausländischer Medien als ausländische Agenten geschaffen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018). Nach Änderungen im Gesetz über die Massenmedien ist es ausländischen Personen bzw. Unternehmen verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist die 2012 verabschiedete Gesetzgebung zum Extremismus. Es sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund seiner vagen Formulierung häufig missbräuchlich angewendet (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018). Zahlreiche Internetseiten sind bislang aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt worden. In den vergangenen Jahren sind überdies mehrere Personen, von denen die meisten politisch nicht aktiv waren, unter dieser verschärften Gesetzgebung wegen Extremismus verurteilt worden, beispielsweise weil sie in sozialen Medien Kommentare anderer Nutzer befürwortet hatten (darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim). Zwischen 2014 und 2016 standen etwa 85% der Verurteilungen wegen extremistischer Äußerungen wegen im Internet veröffentlichter Aussagen (ÖB Moskau 12.2017). Die Strafen reichten von Bußgeldern über gemeinnützige Arbeiten bis zu Haftstrafen (HRW 7.2017). Allgemein ist eine Ausweitung der staatlichen Kontrolle über das Internet festzustellen, die durch eine gezielte Verschärfung der zugrundeliegenden rechtlichen Regeln zur Cyber-Sicherheit erfolgt. Im April 2016 rief der Leiter des einflussreichen Ermittlungskomitees der Russischen Föderation (vgl. FBI in den USA) Alexander Bastrykin zu umfangreichen Gesetzesverschärfungen und Maßnahmen nach dem Vorbild Chinas auf, um das Internet besser kontrollieren zu können. Im Juni 2016 hat die Staatsduma Änderungen zum Informationsgesetz angenommen, wonach Suchmaschinen mit mehr als einer Million Nutzern pro Tag für die Korrektheit der von ihnen angezeigten Inhalte verantwortlich sein sollen, außer wenn diese von registrierten Massenmedien publizierte Nachrichten wiedergeben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). Weitere Einschränkungen folgten durch das Verbot virtueller privater Netzwerke (VPN) und Anonymisierungsprogramme im Sommer 2017, welche anonyme Internet-Nutzung sowie den Zugang zu von russischer Seite blockierten Internetseiten ermöglichen. Weitere Gesetzesänderungen schufen neue Verpflichtungen für Telekommunikationsanbieter zur örtlichen und zeitlichen Speicherung von Daten, auf welche unter bestimmten Voraussetzungen auch die Sicherheitsbehörden zugreifen können (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018, HRW 7.2017, AA 21.5.2018). In den Internetmedien, die weiterhin beträchtliche Wachstumsraten aufweisen, hat sich eine erhebliche Dynamik entfaltet. 76,4% der erwachsenen russischen Bevölkerung nutzt das Internet. Die IT-Versorgung des Landes ist einer der Prioritäten der Regierung. Dennoch bleibt es vorerst ein großstädtisches Phänomen. Der Einfluss der Internetmedien und der der Blogger-Szene (wie z.B. Projekt Snob; Blogger Navalny), als Ventil für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen, wachsen (GIZ 7.2018a). Da die meisten Massenmedien vom Staat kontrolliert werden, finden unabhängige Diskussionen vor allem Online statt, im Besonderen in den Sozialen Medien (HRW 7.2017). Dem Inlandsgeheimdienst ist die Möglichkeit gegeben, bei Verdacht, auf z. B. "terroristische Handlungen", "prophylaktisch" gegen Internetaktivisten vorzugehen. Seit 2012 können mit dem (vorgeblichen) Argument des Kinder- und Jugendschutzes Webinhalte oder sogar ganze Webseiten auf einfache behördliche Anordnung hin beanstandet oder gesperrt werden. Seit 2014 unterliegen Blogger und Twitter-Seiten mit jeweils mehr als 3.000 "followern" u.a. Registrierungspflichten. Seit dem 1.1.2017 sind Nachrichtenportale (wie z.B. yandex.news, rambler.news, google.news, mail.ru) mit Medien gleichgesetzt. Die "online news aggregators" mit mehr als 1 Mio. Besuchern pro Tag sind für den "Wahrheitsgehalt" ihrer Veröffentlichungen verantwortlich (AA 21.5.2018).

 

In einem weltweiten Ranking zur Pressefreiheit nimmt die Russische Föderation derzeit den 148. Platz von 180 ein (ÖB Moskau 12.2017, vgl. RoG 2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

13. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch die Exekutive jedoch in der Praxis häufig eingeschränkt oder nur selektiv gewährt (AA 21.5.2018, vgl. AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018). Opposition und kritische Vertreter der Zivilgesellschaft müssen bei Versammlungen mit erheblichen Restriktionen rechnen, während linientreue Gruppen Unterstützung erhalten (AA 21.5.2018).

 

Auf Basis der Verschärfung des Versammlungsrechts 2012 werden öffentliche Kundgebungen bzw. Proteste von oppositionellen Gruppen häufig verboten. Im August 2014 wurden die im Versammlungsgesetz vorgesehenen Geldstrafen weiter erhöht und wiederholte Verletzungen des Gesetzes als strafrechtliches Vergehen eingestuft, mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Haft. Wenn es den Organisatoren von regierungskritischen Kundgebungen dennoch gelingt, eine Genehmigung für die Veranstaltungen zu erlangen, so müssen sie diese mitunter in den Randbezirken bzw. in Vorstädten von Moskau durchführen. Mit derartigen Problemen war beispielsweise der Oppositionsaktivist Alexej Nawalny konfrontiert, der im Jahresverlauf 2017 mehrere landesweite Proteste gegen die grassierende Korruption im Land orchestrierte (ÖB Moskau 12.2017).

 

2017 gab es im ganzen Land so viele Protestkundgebungen wie seit Jahren nicht mehr. Hunderte friedlich Demonstrierende, Passanten und Journalisten wurden festgenommen. Viele von ihnen erfuhren grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Sie wurden über lange Zeiträume willkürlich in Haft gehalten und in unfairen Verfahren zu hohen Geldstrafen oder mehrtägiger Verwaltungshaft verurteilt. Im März 2017 kam es in mindestens 97 Städten zu Protesten gegen Korruption. Vielerorts löste die Polizei friedliche Kundgebungen mit exzessiver und unnötiger Gewalt auf. Mehr als 1.600 Personen wurden festgenommen, unter ihnen mindestens 14 Journalisten, die über die Proteste berichtet hatten (AI 22.2.2018, vgl. FH 1.2018). An den größten Protestkundgebungen nahmen viele Schüler und Studierende teil. Um sie unter Druck zu setzen, sprachen Lehrkräfte an Schulen und Universitäten auf Anweisung der Behörden informell Warnungen aus und drohten ihnen mit Ausschluss vom Unterricht (AI 22.2.2018, vgl. HRW 18.1.2018). In einigen Fällen, in denen die Protestierenden minderjährig waren, drohten die Behörden damit, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen (AI 22.2.2018).

 

In Bezug auf die Vereinigungsfreiheit ist zu sagen, dass öffentliche Organisationen ihre Statuten und die Namen der Leiter beim Justizministerium registrieren müssen. Die Finanzen der registrierten Organisationen werden von den Steuerbehörden überprüft und ausländische Gelder müssen registriert werden [bez. Organisationen siehe auch Kapitel 8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten] (US DOS 20.4.2018).

 

Oppositionelle Politiker und Aktivisten waren weiter Ziel von fabrizierten Kriminalfällen und anderen Formen von behördlichen Schikanen, die offensichtlich dazu dienten, die Teilnahme am politischen Prozess zu verhindern. Der Oppositionelle Alexej Nawalny wurde im Jahr 2017 mehrmals aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert und von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen. Behörden schikanierten seine Unterstützer, indem sie verhaftet wurden (FH 1.2018) oder seine Kampagnen-Büros, die er im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in ganz Russland eröffnet hatte, durchsuchten und Materialien konfiszierten (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

14. Haftbedingungen

 

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 90er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. In dem Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall Ananyev und andere v. Russland hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen, und das Problem systemischer Natur ist (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). 2012 legte Russland einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Probleme im Strafvollzug vor, der vom Ministerkomitee des Europarates positiv aufgenommen wurde. Konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation, insbesondere in den Untersuchungsgefängnissen, werden jedoch nur schleppend umgesetzt. Im März 2017 veröffentlichte die Föderale Strafvollzugsbehörde (FSIN) einen Bericht, laut welchem die Zahl der Selbstmorde und der Erkrankungen mit direkter Todesfolge auf Grund verbesserter Bedingungen im Jahr 2016 um 12 bzw. 13% gesunken ist, Menschenrechtsverteidiger äußerten jedoch Zweifel an diesen Zahlen (ÖB Moskau 12.2017). Die häufigsten Vorwürfe betrafen die schlechten hygienischen Zustände, den Mangel an medizinischer Betreuung, den akuten Platzmangel (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018) und Misshandlungen durch Aufsichtspersonen (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018). Amnesty International übte Kritik an der häufig vorkommenden Verbringung von Häftlingen in weit entfernte Strafkolonien unter dürftigen Transportbedingungen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018). Zum Jahresende 2017 waren laut offiziellen Daten etwas über 600.000 Personen in Haft. Die Anzahl an inhaftierten Personen erreichte bereits im Jänner 2017 einen historischen Tiefstand. Derzeit nimmt Russland weltweit den vierten Platz der größten Häftlingspopulationen ein (nach den USA, China und Brasilien). Dies entspricht einer Quote von 420 pro 100.000 Einwohner (Platz 15 weltweit) (ÖB Moskau 12.2017). Die Regierung ist bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen noch weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich; sie reicht von Strafkolonien mit annehmbaren

 

Haftbedingungen bis zu solchen, die laut NGOs als "Folterkolonien" berüchtigt seien. Hauptprobleme sind Überbelegung (in Moskau, weniger in den Regionen), qualitativ schlechtes Essen und veraltete Anlagen mit den einhergehenden hygienischen Problemen. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist in der Regel nur einmal wöchentlich möglich. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling am ehesten vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge sind in dieser Isolationshaft oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Todesfälle wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung sollen vorkommen. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs deutlich besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Hauptproblem ist u.a. die Überbelegung. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer stellten die Gerichte Notwendigkeit und Dauer der U-Haft nicht in Frage und verlängerten die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 21.5.2018).

 

Im Allgemeinen sind die Haftbedingungen von Frauengefängnissen besser als in Männergefängnissen, aber auch diese sind unzulänglich. Es gibt 13 Einrichtungen, in denen auch Kleinkinder von Insassinnen leben können (US DOS 20.4.2018).

 

Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" - in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet - und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben - vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard.at 10.1.2017).

 

Laut Berichten einzelner NGOs müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. In den Fällen, in denen die Strafverfolgung nicht sachfremd motiviert ist, oder die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, d.h. im Bereich "normaler" Kriminalität, kann davon ausgegangen werden, dass Strafverfahren in nordkaukasischen Regionen mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan) ähnlich wie im Rest der Republik verlaufen. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen besser als im Durchschnitt Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien i. d. R. als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten.

 

Für tschetschenische Straftäter, an denen die Sicherheitsbehörden kein besonderes "sachfremdes" Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien i.d.R. eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 21.5.2018).

 

Die öffentlichen Aufsichtskommissionen, die der unabhängigen Überwachung der Haftanstalten dienten, verloren weiter an Bedeutung und erzielten kaum Wirkung, nicht zuletzt wegen ihrer chronischen Unterfinanzierung. Die Mitglieder der Kommissionen wurden von öffentlichen Kammern ernannt, bei denen es sich um beratende Gremien handelte, die sich aus staatlich ausgewählten Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammensetzten. Eine Änderung der Ernennungsregeln führte dazu, dass einige Aufsichtskommissionen weniger Mitglieder umfassten. Dies wirkte sich zum Teil auf die Unabhängigkeit der Kommissionen aus, weil bestimmte Menschenrechtsverteidiger faktisch von einer Mitwirkung ausgeschlossen waren. Es gab Berichte, wonach Mitgliedern der öffentlichen Aufsichtskommissionen und des Menschenrechtsrats des Präsidenten sowie anderen unabhängigen Beobachtern der Zugang zu Strafkolonien von der jeweiligen Gefängnisverwaltung willkürlich verweigert wurde (AI 22.2.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

15. Todesstrafe

 

Das Strafgesetzbuch sieht seit 1997 für schwere Kapitalverbrechen die Todesstrafe vor. Seit 1996 gilt jedoch ein Moratorium des Staatspräsidenten gegen die Verhängung der Todesstrafe. Der Verpflichtung, bis spätestens 1999 dem 6. Protokoll zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe beizutreten, ist Russland bisher nicht nachgekommen. Die Bevölkerung ist Befragungen zufolge mehrheitlich für die Beibehaltung der Todesstrafe. Im Hinblick auf die Europaratsmitgliedschaft hat das russische Verfassungsgericht trotz des de-iure-Fortbestehens der Todesstrafe bereits 1999 entschieden und 2009 bestätigt, dass die Todesstrafe in Russland auch weiterhin nicht verhängt werden darf; man kann somit von einer de facto-Abschaffung der Todesstrafe sprechen. Die letzte Hinrichtung fand am 2. September 1996 statt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

16. Religionsfreiheit

 

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 21.5.2018). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht, und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2018c, vgl. SWP 4.2013).

 

Bestimmte religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Auch hier stützt man sich vor allem auf das Extremismusgesetz [das sogenannte Yarovaya-Gesetz] (ÖB Moskau 12.2017). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden unter anderem auch private religiöse Reden kriminalisierten (USCIRF 4.2018) und es wird benutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen (FH 1.2018). Die NGO Sova sieht als Hauptgründe der exzessiven Implementierung des Gesetzes einerseits die schlechte Schulung von Polizeibeamten, andererseits den Missbrauch der Rechtsvorschrift zum Vorgehen gegen oppositionelle bzw. unabhängige Aktivisten (ÖB Moskau 12.2017). Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namen des Vertreibers verteilten (HRW 18.1.2018).

 

Besonders Muslime, die in Verdacht stehen, extremistisch zu sein, sind von strengen Strafen betroffen (USCIRF 4.2018), aber auch moderate muslimische Organisationen sehen sich stärkeren Kontrollen ausgesetzt. Im Jahr 2015 wurde in der Staatsduma ein Gesetz angenommen, der die Kontrolle des Justizministeriums über die Finanzflüsse religiöser Organisationen erhöhen soll. Gruppen, die aus dem Ausland Gelder oder sonstige Vermögenswerte erhalten, werden in Zukunft den Behörden mehr Informationen vorlegen müssen. Im Zuge der Verschärfung der antiextremistischen Gesetzgebung im Juni 2016 wurden auch die Auflagen für Missionstätigkeiten außerhalb religiöser Institutionen präzisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 21.5.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

16.1. Tschetschenien

 

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islams. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013).

 

In Tschetschenien setzt Ramzan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islams durch. Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden. Anhänger eines "nicht traditionellen" Islams, oder Personen mit Verbindungen zu Aufständischen können Opfer von Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte werden (USCIRF 4.2018).

 

Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Kämpfern propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Instrumentalisierung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Befürwortung der Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

 

Mutmaßliche Dschihadisten werden in Tschetschenien inhaftiert, und es kann zu Folterungen und außergerichtlichen Tötungen kommen (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

16.2. Dagestan

 

Die meisten Muslime Dagestans gehören dem Sufismus an, einer gemäßigt-mystischen Richtung im Islam. Sie hören auf Scheichs, religiöse Führer, die zwischen Gott und den Menschen vermitteln. Die Scheichs treten auch als Fürsprecher der Gläubigen vor Politikern auf. Der Sufismus ist seit vielen Jahrhunderten in Dagestan zuhause. Die zweitgrößte Gruppe der Muslime in Dagestan sind die Salafisten. Diese ultrakonservative Strömung breitet sich seit den 1990erJahren in der Region aus. Zunächst wurden sie als Wahabiten bezeichnet. In Dagestan gibt es Schätzungen zufolge zehntausende Salafisten und sie haben ihre eigenen Moscheen. Die Salafisten wollen ein Kalifat errichten, einen Gottesstaat. Die Sufis hingegen haben sich mit dem russischen Staat arrangiert. Die Radikalen unter den Salafisten wollen das Kalifat mit Gewalt durchsetzen und kämpfen dafür. In Dagestan gibt es einen bewaffneten islamistischen Untergrund. Seit Jahren verüben die Terroristen Anschläge gegen russische Sicherheitskräfte, es gab Hunderte Todesopfer. Sie ermordeten auch mehrere geistliche Führer der Sufis, die sich offen gegen die Ideologie der Salafisten aussprachen. Viele Salafisten in Dagestan fühlen sich zu Unrecht von den Behörden verdächtigt. Sie werden immer wieder von der Polizei festgehalten, müssen stundenlang Fragen beantworten, Speichel- und Blutproben abgeben. Salafisten werden oft mit den TerrorKämpfern des sogenannten Islamischen Staates gleichgesetzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

 

In Republiken wie Inguschetien und Dagestan wurde versucht, einen Dialog zwischen Regierung und offizieller Geistlichkeit auf der einen Seite und islamistischer Opposition auf der Gegenseite zu führen. Derzeit befindet sich die Regierung in Dagestan aber wieder in Konfrontation mit salafistischen Gemeinden. Der "Krieg gegen Wahhabiten", der dort schon 1999 ausgerufen worden war, hat allerdings dazu geführt, dass immer mehr junge Leute sich zu einem puristischen, streng konservativen Islam bekennen. Im Jahr 2011 ordneten sich bei Umfragen 20% der jungen Dagestaner einem moderaten Salafismus zu (SWP 4.2017). Während in der Vergangenheit sehr viele junge Männer auf eine "Wahabiten-Liste" gesetzt wurden (SWP 4.2017), haben die Behörden im Juni 2017 verlautbart, dass keine Anhänger vom "nicht-traditionellen Islam" auf Polizeilisten gesetzt werden. Trotzdem geht die Verfolgung von salafistischen Muslimen weiter (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

16.3. Zeugen Jehovas

 

Am 20.4.2017 verbot das Oberste Gericht die Moskauer Zentrale und die 395 Regionalverbände der Zeugen Jehovas in Russland. Zur Begründung hieß es, die Religionsgemeinschaft mit ihren mehr als 170.000 Anhängern sei "extremistisch" (AI 22.2.2018, vgl. ÖB Moskau 12.2017, HRW 18.1.2018). Zeugen Jehovas, die sich weiter zu ihren Überzeugungen bekannten, mussten mit Strafverfolgung und Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren rechnen (AI 22.2.2018). Laufende Gerichtsverfahren beziehen sich etwa auf die staatliche Beschlagnahmung von Eigentum der Religionsgemeinschaft oder die Diskreditierung ihrer Schriften als extremistische Literatur (ÖB Moskau 12.2017). Mit Ende des Jahres 2017 waren einige Einrichtungen der Zeugen Jehovas konfisziert (FH 1.2018). Gläubige sollen sich laut Medienberichten bei der Ausübung ihrer Religion nunmehr in die Verborgenheit zurückziehen. Gewisses Aufsehen erregte in den vergangenen Monaten die Festnahme sowie das Verfahren gegen einen Zeugen Jehovas, der allerdings dänischer Staatsangehöriger ist (ÖB Moskau 12.2017). Die Zeugen Jehovas, Medien und NGOs berichten von diversen Festnahmen und Geldstrafen in Höhe von bis zu 100.000 Rubel (ca. 14.000 €). Zudem kam es zu einer Vielzahl von Gewalttaten durch Unbekannte gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus). Viele Gläubige haben Russland bereits verlassen (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

17. Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0%), die Ukrainer (2,2%), die Armenier (1,9%), die Tschuwaschen (1,5%), die Baschkiren (1,4%), die Tschetschenen (0,9%), die Deutschen (0,8%), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch gemischte Ehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2018c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation Sova verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 21.5.2018).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

18. Relevante Bevölkerungsgruppen

 

18.1. Frauen

 

Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau. Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von Frauen. Im Rahmen der 62. Sitzung der CEDAW von Oktober-November 2015 wurde der rezente Staatenreport der Russischen Föderation diskutiert. In seinen Schlussbemerkungen begrüßte das Komitee die Fortschritte im russischen Rechtssystem zum Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen, insbesondere in den Bereichen Arbeitsrecht und Schutz für Schwangere. Folgende Empfehlungen wurden an die russische Regierung gerichtet: Verabschiedung eines umfassenden AntiDiskriminierungsgesetzes, Verbesserungen beim Zugang von Frauen zu rechtlichen Beschwerdemechanismen, die Ausarbeitung eines nationalen Aktionsplans gegen Menschenschmuggel, die Stärkung der Teilnahme von Frauen am politischen und öffentlichen Leben (z.B. durch Einführung von Quotenregelungen für Frauen in der Staatsduma, dem Föderationsrat, den Ministerien oder dem diplomatischen Dienst), die Einführung eines alters- und genderspezifischen Sexualkundeunterrichts in Grund- und Mittelschulen, die Bekämpfung von Diskriminierung am Arbeitsplatz (z.B. durch Überarbeitung der Liste von Berufsverboten für Frauen in rund 450 Berufen) und die Verbesserung des Zugangs zu qualitativer Gesundheitsversorgung für Frauen in ländlichen Gebieten (ÖB Moskau 12.2017).

 

Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt die häusliche Gewalt dar (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018). Ein Großteil der Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt wird durch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen übernommen. Im Nationalen Netzwerk gegen Gewalt sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Laut dem Nationalen Zentrum zur Vorbeugung von Gewalt ANNA wird jede dritte russische Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von physischen Übergriffen von Seiten eines Mannes (ÖB Moskau 12.2017). Jährlich sterben in Russland ca. 14.000 Frauen aufgrund von Gewaltanwendung von Seiten ihrer Ehemänner oder Lebenspartner (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018), fast zwei Drittel aller Morde sind auf häusliche Motive zurückzuführen (ÖB Moskau 12.2017). Das Innenministerium spricht von 10.000 solchen Fällen im Jahr 2016. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuweilen gar nicht nach (AA 21.5.2018). Laut Statistiken der Organisation ANNA wenden sich 60% der Frauen, die die nationale Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt anrufen, nicht an die Polizei. 76% jener Frauen, die bei der Polizei um Unterstützung suchen, sind damit unzufrieden. Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. Auch das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zeigte sich bei der letzten Diskussion zur Russischen Föderation im Herbst 2015 besorgt über die weite Verbreitung von Gewalt gegen Frauen sowie die unverlässlichen offiziellen Daten dazu. Ein vom Arbeits- und Sozialministerium gemeinsam mit Frauenrechtsorganisationen ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur Vorbeugung häuslicher Gewalt, der insbesondere der Polizei mehr Verpflichtungen zum Kampf gegen häusliche Gewalt auferlegt und einen besseren Opferschutz vorschreibt, wurde von der Duma Ende 2016 abgelehnt (ÖB Moskau 12.2017). Mit einer Gesetzesnovelle wurde häusliche Gewalt im Juli 2016 unter Strafe gestellt. Allerdings wurden diese Änderungen von der Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für Familie, Frauen und Kinder kritisiert. Sie seien übertrieben und richteten sich gegen die familiären Werte. Die orthodoxe Kirche erklärte, dass körperliche Züchtigung ein gottgegebenes Recht sei, sofern sie im vernünftigen Maße und mit Liebe durchgeführt werde (AA 21.5.2018). Im Februar 2017 unterzeichnete Präsident Putin ein Gesetz, das Gewalttätigkeiten entkriminalisierte, die nur Schmerzen und keine bleibenden physischen Schäden verursachen (FH 1.2018, vgl. HRW 18.1.2018, AI 22.2.2018), oder die nicht öfter als einmal im Jahr vorkommen (HRW 18.1.2018). Die Neuregelung führte dazu, dass in einigen Regionen die Zahl gewaltsamer Übergriffe gegen Frauen zunahm (AI 22.2.2018).

 

Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 7.2018c). Frauen sind in Politik und Regierung unterrepräsentiert. Sie halten weniger als ein Fünftel der Sitze in der Duma und im Föderationsrat. Nur drei von 32 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 1.2018).

 

Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter mit zusätzlicher Haft bei erschwerenden Umständen. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung durch Ehemänner bzw. durch Bekannte keine Priorität einräumen (US DOS 20.4.2018). NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht (US DOS 20.4.2018, vgl. EASO 3.2017).

 

In einem Bericht der kanadischen COI-Abteilung findet sich der Hinweis, dass Amnesty International und ANNA [National Centre for the Prevention of Violence] 2013 von 23 Unterkünften für Opfer von häuslicher Gewalt in Russland berichten. RFE/RL berichtet sogar über 40 solcher Unterkünfte. Diese 23 Unterkünfte sind kleine Abteilungen der über 3.000 kleinen, staatlich unterstützten Sozialzentren in ganz Russland. Einige dieser Sozialzentren bieten Unterstützung in Notsituationen für Opfer von häuslicher Gewalt, wie z.B. temporäre Unterkunft. Frauen können dort bis zu sechs Monate bleiben, aber nicht alle Unterkünfte erlauben Kinder über 14 Jahre. Eine Registrierung in der Region scheint notwendig. Es gibt in vielen Regionen in ganz Russland ca. 140 staatliche Unterkünfte, einige nehmen Opfer von häuslicher Gewalt auf, auch wenn nur ein geringer Anteil des Personals dafür ausgebildet ist. Diese Unterkünfte dürften höchstens jeweils zwölf Betten haben. Dies sind Kurzzeitunterkünfte für ein bis sechs Monate. Diese staatlichen Unterkünfte sind für Frauen, die eine Krise erleben oder sich in einer schwierigen Lebenslage befinden. Frauen können für einige Zeit dorthin, damit ihnen geholfen wird, z.B. um gewalttätigen Beziehungen oder Obdachlosigkeit zu entkommen. Normalerweise ist das Ziel der Sozialarbeiter aber die Familie wieder zu vereinen. Keine dieser Unterkünfte ist speziell für Opfer von häuslicher Gewalt, aber manche erkennen häusliche Gewalt als Krisensituation an, andere nicht. In Moskau gibt es eine Unterkunft für Opfer von häuslicher Gewalt - laut Amnesty International - mit Platz für ca. zwölf Frauen. Reuters gibt an, dass es dreißig Betten gibt. Die Moskauer Unterkunft heißt "Nadeschda" und unterstützte im Jahr 2012 500 Personen, unter anderem mit Psychotherapie.

 

Hier dürfen Frauen bis zu zwei Monate bleiben. Eine Registrierung in Moskau ist notwendig. Es gibt auch eine öffentliche Unterkunft in Khimki, einem Vorort von Moskau. Auch hier ist eine Registrierung in Khimki notwendig. St. Petersburg hat ein regionales und sechs kommunale Unterkünfte mit insgesamt 85 Betten. Häusliche Gewalt ist hier als schwierige Lebenssituation anerkannt, jedoch ist es möglich, dass einige Mitarbeiter auf Aussöhnung fokussieren und/oder die Frauen für die Gewalt verantwortlich machen. Laut ANNA gibt es drei Unterkünfte für Opfer von häuslicher Gewalt in St. Petersburg. Andere kommunale oder staatliche Unterkünfte für Frauen in Krisen befinden sich in Murmansk (7 Betten), Petrozavodsk (7 Betten); Syvtyvkar, in Komi (9 Betten) und Sorgvala (5 Betten). Es ist aber unklar, wie diese Unterkünfte häusliche Gewalt einstufen. Zusätzlich zu den Unterkünften in Moskau, St. Petersburg und Khimki gibt es Unterkünfte für häusliche Gewalt in Izhevsk, Yekaterinburg, Tomsk, Tyumen, Perm, Petrozavodsk, Murmansk, Saratov, Tula, Krasnodar, Arkhangelsk, Vologda, Chelyabinsk, Vladivostok, Khabarovsk, und zwei Unterkünfte in Barnaul (IRB 15.11.2013) [es konnten keine aktuelleren Informationen gefunden werden].

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

18.2. Frauen im Nordkaukasus insbesondere in Tschetschenien

 

Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018) aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu gibt es kaum. Die Gewalt gegen Frauen bleibt in der Region ein Thema, dem von Seiten der Regional- und Zentralbehörden zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Erschwert wird die Situation durch die Ko-Existenz dreier Rechtssysteme in der Region - dem russischen Recht, Gewohnheitsrecht ("Adat") und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach "Traditionen" als nach den russischen Rechtsvorschriften. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, die in der Republik Tschetschenien unter Ramzan Kadyrow propagiert werden, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer "Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit" (ÖB Moskau 12.2017). Die Heirat einer 17-Jährigen Tschetschenin mit einem 47-jährigen örtlichen Polizeichef im Frühjahr 2015 gilt als Beispiel für die verbreitete Praxis von Zwangsehen. Außerdem weist sie auf eine Form der Polygamie hin, die zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich ist (AA 21.5.2018).

 

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf, und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, soll aber nie eine Tradition in Tschetschenien gewesen sein. Frauen sind sowohl unter islamischem Recht als auch im Adat hoch geschätzt. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in eine den Männern untergeordnete Position. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren. Es ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft sind. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird, und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014). Gleichberechtigung ist in den islamisch geprägten Republiken ein kaum diskutiertes Thema. Frauenrechtsorganisationen engagieren sich, um dies zu ändern. Doch es fehlt die Unterstützung durch Behörden. Die traditionellen kaukasischen Werte und Normen würden dennoch dazu führen, dass Frauenrechte im Nordkaukasus öfter verletzt würden als in anderen Regionen Russlands. Für Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien sind starke Traditionen durchaus charakteristisch. Weitaus weniger ausgeprägt sind sie in Nordossetien, Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien. Andererseits übt auch die Religion ihren Einfluss aus, denn die Rechte der Frau im Islam sind anders definiert als die Frauenrechte in der russischen Verfassung. Frauen in Tschetschenien wird beispielsweise vorgeschrieben, wie sie sich zu kleiden haben. Seit 2008 dürfen sie Ämter und Bildungseinrichtungen nur betreten, wenn sie einen langen Rock tragen und Arme und Haar bedeckt sind.

Nichtregierungsorganisationen versuchen die Lage zu verbessern. 2015 sollen in Tschetschenien sechs oder sieben Frauenrechtsorganisationen tätig gewesen sein - so viele wie noch nie. Sie helfen dabei, Probleme zu lösen, oftmals ohne öffentliche Aufmerksamkeit, da sie nicht offen vorgehen können. Wie Umfragen zeigen, wollen tschetschenische Frauen einerseits mehr über ihre Rechte erfahren, andererseits würden sie sich aber niemals öffentlich positionieren (RBTH 22.6.2015).

 

Vergewaltigung:

 

Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Vergewaltigung ist in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an, und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden, und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014).

 

Muslimische Hochzeit:

 

Es ist in Tschetschenien üblich, auf muslimische Art - durch einen Imam - die Ehe zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Staatsbeamten geschlossen, noch registriert ist (EASO 9.2014). Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. (EASO 9.2014). Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

18.3. Scheidung und Obsorge

 

Fragen der Obsorge für minderjährige Kinder sind in der Russischen Föderation grundsätzlich im Familienkodex 1995 geregelt. Gemäß Art 61 haben die Eltern eines Kindes die gleichen Rechte und Pflichten in Bezug auf ihre Kinder. Die elterlichen Rechte erlöschen mit der Volljährigkeit des Kindes, also mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Gemäß Art 18 sind grundsätzlich die russischen Personenstandsbehörden (ZAGS) zur Durchführung von Scheidungsverfahren zuständig, in den Fällen der Art 21 bis 23 die Gerichte. Gemäß Art 21 hat eine Scheidung gerichtlich zu erfolgen, falls gemeinsame minderjährige Kinder vorhanden sind, es sei denn, der andere Ehepartner ist verschollen, geschäftsunfähig oder zu einer drei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt worden. Gemäß Art. 24 Z 1 können die Ehegatten dem Gericht im Scheidungsverfahren eine Vereinbarung vorlegen, in der sie unter anderem regeln, bei welchem Elternteil die Kinder leben werden und wie hoch die Alimentationszahlungen für die Kinder sein sollen. Fehlt eine solche Vereinbarung der Eltern oder verletzt sie die Interessen der Kinder oder eines Elternteils, so ist das Gericht verpflichtet, diese Fragen zu entscheiden. Gemäß Art 66 Z 1 hat ein Elternteil, der nicht beim Kind lebt, das Recht auf Kontakt mit diesem, auf Teilnahme an der Erziehung und bei Entscheidung von Ausbildungsfragen. Gemäß Z 3 sind bei Nichterfüllung der Gerichtsentscheidung die Maßnahmen des Kodex über Verwaltungsübertretungen zu setzen. Bei böswilliger Nichterfüllung der Gerichtsentscheidung kann das Gericht auf Antrag des nicht beim Kind lebenden Elternteils die Entscheidung fällen, diesem das Kind zuzusprechen, falls das im Interesse des Kindes liegt. Dabei ist dessen Meinung zu beachten. Art. 57 bestimmt generell, dass ein Kind das Recht hat, seine Meinung zu beliebigen familienrechtlichen Fragen, die seine Interessen berühren, auszudrücken und im Zuge von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren angehört zu werden. Die Berücksichtigung der Meinung des Kindes ist verpflichtend, wenn es älter als zehn Jahre ist, es sei denn, sie widerspräche seinen Interessen. Die Nichterfüllung einer Gerichtsentscheidung über die Ausübung elterlicher Rechte (z.B. Besuchsrechte) kann eine Verwaltungsübertretung gemäß Art. 5.35 des Kodex über Verwaltungsübertretungen darstellen und

 

Geldstrafen von 2.000.- bis 3.000.- Rubel nach sich ziehen, im Wiederholungsfall 4.000.- bis 5.000.- Rubel oder bis zu 5 Tage Verwaltungshaft. Theoretisch möglich ist auch die Durchsetzung der elterlichen Rechte mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers. Prinzipiell wird der Gerichtsvollzieher in der Praxis zunächst das Gespräch mit beiden Elternteilen suchen, um die Gründe der Nichterfüllung des Gerichtsurteils zu ergründen. Gelingt es im Rahmen des Gesprächs nicht, die Erfüllung der Gerichtsentscheidung herbeizuführen, müsste der Gerichtsvollzieher diese theoretisch zwangsweise durchsetzen. Dies geschieht in der Praxis aber äußerst selten, weil offensichtlich ist, dass sich eine Zwangsabnahme des Kindes äußerst negativ auf dessen psychischen Zustand auswirken würde und somit nicht im Interesse des Kindes läge (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Die Praxis in der Russischen Föderation sieht so aus, dass bei Scheidungen minderjährige Kinder zu 99% bei der Mutter bleiben (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Obsorge in der Republik Tschetschenien

 

Da die Republik Tschetschenien Teil der Russischen Föderation ist, gelten die russischen Gesetze auch dort und sind anzuwenden. In der Praxis spielen neben dem positiven Recht traditionell aber auch das islamische Recht und das Adat (arab. "Gewohnheiten, Bräuche", also das ungeschriebene Recht (Gewohnheitsrecht) eine Rolle. Ein Artikel vom 04.08.2017 mit dem Titel: "Kampf gegen Scheidungen in Tschetschenien: was die Statistik sagt", besagt, dass im Sommer 2017 eine Kampagne zur Stärkung der Familie begonnen hat. In Tschetschenien sei es traditionell üblich, dass die Kinder nach einer Scheidung in der Familie des Vaters blieben. Nach den islamischen Traditionen müsse ein Kind in den ersten Lebensjahren von einer islamischen Mutter erzogen werden, aber diese Tradition werde in Tschetschenien derzeit nicht befolgt. Laut Statistik für 2016 gab es beispielsweise in Tschetschenien:

 

a) 0,9 Scheidungen pro 1.000 EW (Russland: 4,1), womit Tschetschenien in der RF an 84. und vorletzter Stelle unter den 85 russischen Föderationssubjekten lag;

 

b) 149 Scheidungen pro 1.000 Eheschließungen (Russland: 617), damit an 85. und letzter Stelle in der RF. 2016 wurden in Tschetschenien

1.231 Scheidungen registriert (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Ein Artikel vom 11.12.2013 zum Problemkreis "Tschetschenische Frauen - Scheidung - Kinder" besagt, dass man tschetschenischen Frauen nach der Scheidung den Kontakt mit den Kindern verbietet. Oft bleiben in Tschetschenien die Kinder nach der Scheidung der Eltern beim Vater. Der Ex-Mann und seine Verwandten beschränken, ungeachtet ihrer gesetzlichen Rechte, den Umgang der Mutter mit dem Kind. (...) Nach missglückten Versuchen (Anm: der Vermittlung durch einen islamischen Theologen) reichte sie eine Klage bei Gericht ein, als dessen Folge der Vater die Kinder am Vorabend der 1. Tagsatzung aus Tschetschenien wegbrachte. (...) Gemäß dem Islam werden die Kinder nach der Scheidung der Eltern bis zu einem bestimmten Alter von der Mutter erzogen, falls sie nicht nochmals geheiratet hat: Buben bis sieben Jahre, Mädchen bis zum

 

Erreichen der Volljährigkeit. Erst danach werden die Kinder dem Vater übergeben. Der Apparat des Bevollmächtigten für Menschenrechtsfragen in Tschetschenien versuche Hilfestellungen in diversen Fragen zu geben, insbesondere in Familienfragen, wenn geschiedenen Frauen der Kontakt mit ihren Kindern verwehrt wird. Die Möglichkeiten zur Hilfeleistung seien aber begrenzt und würden sich darauf beschränken, einen Anwalt zu organisieren und eine Klage einzubringen. Außerdem gebe es bei der geistlichen Führung der Muslime der tschetschenischen Republik noch die "Kommission zur Regulierung familiärer Konflikte", deren Mitarbeiter sich bemühen würden, Konflikte friedlich zu regeln und es nicht zu Gerichtsverfahren kommen zu lassen. Das Arbeitsspektrum umfasse die ganze Bandbreite familienrechtlicher Probleme, insb. Konfliktsituationen zwischen den Eltern, die mit den Kindern zusammenhängen. Seit der Gründung im März 2012 seien 3.164 Ansuchen um Hilfeleistung an die Kommission gerichtet worden, von denen zu

2.963 Anträgen eine Entscheidung ergangen sei (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Ein Artikel vom 10.01.2012 über die Erziehung der Kinder nach der Scheidung besagt, wenn die Eltern des Kindes zusammenleben, werden die materiellen Aufwendungen vom Vater getragen und die Kinder von der Mutter erzogen. Falls sich die Eltern scheiden lassen und die Kinder das Alter von 7-8 Jahren noch nicht erreicht haben, wird es vorgezogen, die Kinder an Frauen zu geben, vorzugsweise an die Mutter. Damit die Mutter das Recht hat, die Kinder zu erziehen, muss sie a) islamischen Glaubens, b) vernünftig (im Sinne von nicht psychisch erkrankt), c) Vertrauen erweckend (nicht sündhaft im Sinne des Islam) und darf d) nicht verheiratet sein. Falls die Mutter stirbt oder geisteskrank wird, geht das Recht der Erziehung auf die Großmutter mütterlicherseits über, danach auf die Großmutter väterlicherseits, danach auf die Schwester, schließlich auf nahe männliche Verwandte. Falls das Kind das Alter von 7-8 Jahren erreicht hat und sich die Eltern scheiden lassen, lässt man das Kind bei dem Elternteil, den das Kind wählt. Dieses Wahlrecht steht Mädchen wie Buben gleichermaßen zu. Falls das Kind keinen Vater hat, wählt es zwischen der Mutter und dem Großvater väterlicherseits. Falls ein Sohn die Mutter wählt, bleibt er nachts bei der Mutter und tagsüber beim Vater. Falls der Sohn den Vater wählt, hat dieser nicht das Recht, jenem Besuche bei der Mutter zu verbieten. Falls die Mutter den Sohn besuchen will, hat der Vater nicht das Recht, ihr das zu verbieten. Falls die Tochter den Vater wählt, hat er das Recht, ihr Besuche bei der Mutter zu verbieten, nicht jedoch, der Mutter Besuche bei der Tochter. Falls die Tochter die Mutter wählt, bleibt sie Tag und Nacht bei ihr und der Vater hat das Recht, sie zu besuchen. Falls das Kind beide wählt, entscheidet das Los. Falls das Kind keinen Elternteil wählt, kommt es zur Mutter. Wenn ein Sohn volljährig wird, trägt er für sich selbst die Verantwortung. Wenn die Tochter volljährig und verheiratet ist, muss sie beim Ehemann leben. Falls sie nicht verheiratet ist und nie verheiratet war, wählt sie, bei wem sie leben möchte. Falls sie ohne Eltern leben möchte und man ihr das nicht gestattet, muss sie einen der Beiden wählen. Falls sie keine Eltern mehr hat, geht das Recht, sich um sie zu kümmern, auf den Bruder über, danach auf den Onkel väterlicherseits. Falls sie verheiratet war, soll sie mit den Eltern leben. Falls diese geschieden sind, wählt sie einen Elternteil, aber man verpflichtet sie nicht dazu. All das ist möglich, falls es keine Befürchtung gibt, dass sie sich unsittlich benehmen könnte. Falls eine solche Befürchtung besteht, haben der Vater, Großvater, Bruder oder Onkel das Recht, ihr zu verbieten, dass sie selbständig lebt (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

Ein Artikel vom 21.04.2016 besagt, dass im Nordkaukasus Kinder nach der Scheidung immer in der Familie des Vaters blieben - selbst nach dessen Tod - und ein Gerichtsurteil nichts bedeute. Nach Meinung russischer Beamter würden die örtlichen Gerichte auch die örtlichen Traditionen bei ihren Entscheidungen beachten. Sie würden zwar oft im Sinne der Mutter entscheiden, die Entscheidung würde von den Verwandten des Vaters aber ignoriert. Nach Erfahrung tschetschenischer Gerichtsvollzieher lebten die Kinder oft bei den Verwandten des Vaters, die das Kind dem behördlichen Zugriff entziehen würden, indem der Wohnort des (nicht gemeldeten) Kindes oft gewechselt würde. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass tschetschenische Gerichte offenbar nur selten mit Familienrechts- und Obsorgefragen befasst werden und außergerichtliche Lösungswege in der Praxis eine bedeutendere Rolle spielen. Selbst wenn Frauen vor Gericht Recht bekommen, ist eine Umsetzung des Urteils oft nicht möglich (KA der ÖB Moskau 12.7.2018).

 

In Tschetschenien wurde im Juni 2017 ein Rat von Beamten und religiösen Autoritäten eingerichtet, die geschiedene Ehepaare wieder zusammenbringen soll. Personen, die zögerten zu kooperieren, einschließlich Frauen aus gewalttätigen Ehen, wurden angeblich unter Druck gesetzt (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

18.4. Homosexuelle

 

Homosexualität ist in Russland nicht strafbar (AA 21.5.2018). Seit Juni 2013 gilt in Russland das Gesetz zum Verbot der Propaganda von nicht traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen. Als Sanktionen sieht das Gesetz Geldstrafen sowie die Schließung von Medien, die diese Propaganda verbreiten, vor (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). Im September 2014 entschied der russische Verfassungsgerichtshof, dass das Gesetz nicht gegen die russische Verfassung verstößt. In einem Bericht von HRW vom Dezember 2014 stellt die Organisation fest, dass das Gesetz zu einem Ansteigen der Gewalt und Belästigung von LGBTI geführt hat. AntiLGBTI Gruppierungen haben das Gesetz u.a. als Rechtfertigung für Kampagnen gegen einzelne

 

Personen in öffentlichen Positionen (z.B. Lehrer) benutzt. Die russischen Behörden kommen ihrer Verpflichtung, gegen homophobe Gewalt vorzugehen und diese zu ahnden, nicht nach. Im September 2014 wurde das Sankt Petersburger LGBTI Festival "Queer-Fest" durch Proteste und Bombendrohungen gestört. 2015 wurde die Durchführung einer Gay Pride-Parade in Moskau zum wiederholten Male verboten. Schon 2011 wurde Russland deswegen im Fall Alekseyev vs. Russland vom EGMR verurteilt. Mehrere LGBTI-Organisationen befinden sich derzeit im Register der sog. ausländischen Agenten des Justizministeriums. Der EGMR beurteilte das oben genannte Gesetz in einem Urteil vom 20. Juni 2017 als willkürlich und diskriminierend (ÖB Moskau 12.2017).

 

In der Bevölkerung nehmen starke Vorbehalte gegenüber Homosexualität zu, seitdem sie durch die orthodoxe Kirche und islamische Prediger, zunehmend auch durch staatliche Medien und durch in den sozialen Netzen aktive homophobe russische Bürger gefördert werden. Bei der Zahl von Gewaltverbrechen gegen Homosexuelle verzeichnet die Menschenrechtsorganisation SOVA für das Jahr 2016 einen Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Von einer hohen Dunkelziffer ist jedoch auszugehen (AA 21.5.2018).

 

Als besonders gravierend gilt die Lage sexueller Minderheiten im Nordkaukasus. Im April 2017 berichtete die Novaya Gazeta über die massive Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien, die von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wurde (ÖB Moskau 12.2017). Über 100 Männer, die man für schwul hielt, sollen in Tschetschenien verschleppt und in Geheimgefängnissen gefoltert und anderweitig misshandelt worden seien. Einige der Männer seien getötet worden. Überlebende berichteten, es habe sich um eine von den Behörden koordinierte Gewaltkampagne gehandelt. Augenzeugen sagten aus, einige der gefangen genommenen Männer seien getötet worden, andere habe man ihren Familien übergeben, damit diese sie gemäß lokalen "Traditionen" töteten, um die "Familienehre" zu wahren (AI 22.2.2018, vgl. AA 21.5.2018, HRW 18.1.2018). Nach Angaben der Autorin der Artikel [in der Novaya Gazeta] und der NGO "LGBT-Netzwerk" gab es Anfang 2017 zwei Verfolgungswellen gegenüber Homosexuellen. In mindestens sechs Fällen seien die Opfer ermordet worden. Andere konnten nach Freilassung aus Tschetschenien fliehen. Menschenrechtsorganisationen (z.B. das LGBTNetzwerk, Amnesty International, Human Rights Watch), Regionalexperten und ausländische Beobachter sehen für diese Menschen auch in anderen Teilen Russlands akute Lebensgefahr durch Angehörige tschetschenischer Sicherheitsorgane oder durch ihre eigene Verwandtschaft ("Ehrenmorde"). Konkrete Vorfälle dieser Art sind bisher - vermutlich auch aufgrund des mit Homosexualität verbundenen schweren Tabus in der Region, sowie Furcht vor Repressionen nach Zeugenaussagen - allerdings nicht bekannt geworden (AA 21.5.2018). Aufgrund der internationalen Berichterstattung und Kritik wurde die Problematik rasch von politischer Seite aufgegriffen, wobei Präsident Putin gegenüber der Ombudsfrau für Menschenrechte, Tatjana Moskalkova, entsprechende Unterstützung zur Aufklärung der Vorwürfe zusicherte. Der Ombudsmann für Menschenrechte in Tschetschenien behauptete hingegen, bislang keine Beschwerden zur Lage von LGBTI-Personen erhalten zu haben (ÖB Moskau 12.2017). Im Sommer 2017 hatte das tschetschenische Oberhaupt Ramzan Kadyrow behauptet, dass es überhaupt keine Homosexuellen in Tschetschenien gäbe (ÖB Moskau 12.2017, vgl. HRW 18.1.2018), und andernfalls deren Deportation ins Ausland vorgeschlagen. Die Einleitung der Untersuchungen verliefen zunächst schleppend, zumal bislang nur wenige der Betroffenen aus Furcht vor Drangsalierungen Bereitschaft zeigten, sich den Behörden anzuvertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Staatspräsident Putin hat eine Untersuchung der Vorfälle angeordnet, die bisher zu keinen Ergebnissen geführt hat (AA 21.5.2018).

 

Die russische NGO "LGBT-Netzwerk" eröffnete eine Hotline für Homosexuelle in unmittelbarer Gefahr und leistete Hilfe bei der Evakuierung von 79 Personen. Die meisten dieser Personen haben im Ausland Zuflucht gefunden. Angeblich hat die tschetschenische Polizei Angehörige von jenen, die geflohen sind, unter Druck gesetzt, die Aufenthaltsorte der Geflohenen preiszugeben und zwangen sie, Dokumente zu unterschreiben, die besagten, dass die geflohenen Männer während der "Säuberung" außerhalb von Tschetschenien gereist sind (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

19. Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

19.1. Meldewesen

 

Gegen Jahresmitte 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst (FMS), der für die Registrierung verantwortlich war, aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanentem und temporärem Wohnort registrieren (EASO 8.2018). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde wo eine Person wohnt und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen "Gosuslugi" oder per Email (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren braucht man einen Pass, einen Antrag für die Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse beantragt werden. Auch die Beendigung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

 

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung gemacht werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tagen dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag für temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf CampingPlätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

 

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011, vgl. US DOS 20.4.2018).

 

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung für Tschetschenen aber kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korrupten Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens

 

Die Bevölkerung Tschetscheniens schrumpft seit einigen Jahren, vor allem durch Abwanderung. Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie ziehen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation. Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen) in der Rostow Region (über 11.000 Personen), in Stawropol Krai (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 9.000 Personen), in der Wolgograd Region (knapp 10.000 Personen) und in der Astrachan Region (über 7.000 Personen). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung nicht ihre Nationalität angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Wolgograd Region um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten, da es in Tschetschenien einen Mangel an Arbeitsplätzen gibt. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Unter den Tschetschenen in St. Petersburg gibt es Geschäftsmänner, Sicherheitsbeamte, Rechtsanwälte, McDonald's Franchisenehmer, aber auch Ärzte, Universitätsprofessoren und Maler. Viele arbeiten im Baugewerbe und im Ölgeschäft, zumeist in mittleren Betrieben, oder besitzen ein eigenes Geschäft oder eine Firma. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten "VaynakhKongress" (eine Organisation, die oft auch als "tschetschenische Diaspora" bezeichnet wird) veranstaltet wird, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Zahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel 19. Bewegungsfreiheit, bzw. 19.1. Meldewesen] (EASO 8.2018). Außerdem ist es schwieriger eine Registrierung in Moskau oder beispielsweise in St. Petersburg zu erlangen, als in anderen Regionen. Dies gilt aber nicht nur für Tschetschenen (DIS 8.2012). Tschetschenen in Moskau arbeiten oft in der Automobil-, Hotel-, und Restaurantbranche. Viele besitzen auch Tankstellen, oder arbeiten im Baugewerbe und im Taxigeschäft (EASO 8.2018).

 

Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen die oppositionellen Strömungen in Inland sowie die Diaspora im Ausland. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften (ÖB Moskau 12.2017). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen. Es wird berichtet, dass Kadyrow in Moskau jederzeit auf 1.000 bis 2.000 bewaffnete Männer zurückgreifen und weitere 20.000 relativ einfach hinzuziehen können soll (Telegraph 24.2.2016). Auch soll es einige hundert tschetschenische Sicherheitsbeamte in Moskau geben, die illegale Aktivitäten ausüben (New York Times 17.8.2017). In Moskau soll es außerdem einen bewaffneten Trupp von ca. 30 tschetschenischen Bodyguards geben. Gegen den Anführer dieses Trupps soll es Strafverfahren wegen eines bewaffneten Vorfalls, Kidnapping und Folter gegeben haben, es wurden jedoch alle Ermittlungen eingestellt, da er Beziehungen zur Regierung haben soll (EASO 8.2018). Es scheint, als hätten die föderalen Exekutivkräfte wenig Handhabe gegen Kadyrow bzw. seine Leute (EASO 8.2018).

 

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen (AA 21.5.2018). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Kanäle zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall muss auch schlüssig begründet sein (DIS 1.2015). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor Ramzan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent (AA 21.5.2018).

 

Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in der Russischen Föderation trotz der vergangenen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

20. Grundversorgung

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,5 Millionen, somit ungefähr 64% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3% (WKO 4.2017), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region (IOM 2017).

 

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2018 den 107. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wurde für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 2% prognostiziert (GIZ 6.2018b).

 

Nach zwei Jahren in der Rezession ist die russische Konjunktur auf einem Pfad der langsamen Erholung. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen (38.040 Rubel im August 2017) und die Durchschnittsrente (12.934 RUB im August 2017). Bedingt durch die hohe Inflationsrate und die Erhöhung der kommunalen Abgaben sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen (6% im 2016) und die Armutsrate bleibt hoch. Die soziale Lage in Russland ist weiterhin angespannt. Mehr als 15% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Das per Verordnung bestimmte monatliche Existenzminimum liegt mit 10.329 Rubel (2. Quartal 2017) weit unter dem Wert, der faktisch zum Überleben notwendig ist. Auffällig ist, dass der Mindestlohn mit 7.800 Rubel sogar die Grenze des Existenzminimums unterschreitet. Lediglich 7% der Bevölkerung verfügen über ein monatliches Einkommen von mehr als 60.000 Rubel. 39% des russischen BIP entstehen in der Schattenwirtschaft. Im 1. Quartal 2017 waren bis zu 63% der Bevölkerung armutsgefährdet. Dies kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. Diese Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Ungünstig ist die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören. Nur 26% aller Beschäftigten arbeiten in privaten Unternehmen. Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen von Arbeitgebern aufgrund fehlender Fortbildung als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen öfters nur den Mindestlohn (AA 21.5.2018).

 

Die Lage der Rentner (29,5 % der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär (Rentenniveau: 30% des letzten Einkommens). In den ersten fünf Monaten 2017 waren die Altersrenten zwar um 7,6% höher als 2016, dies war aber die kumulierte Auswirkung von inflationsausgleichenden Indexierungen und einer einmaligen Sonderzahlung von 5.000 Rubel im Jänner 2017. Durch letztere stiegen die Renten einmalig um 37,3% und das Vermögen der Rentner um 33%. Die Stärke dieses Effekts zeigt letztlich vor allem, wie niedrig das Ausgangsniveau der Renten und Ersparnisse war. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Niveau der Rente zwischen 2012 und Ende 2016 um 19% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Die spezifischen Interessen der Rentner übertragen sich damit auch auf die Familien, die sie mitfinanzieren. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2016 um 54% (AA 21.5.2018).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2018/964 bis zum 31.1.2019 verlängert (WKO 22.8.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

20.1. Nordkaukasus

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden noch immer zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 7.2018a, vgl. ÖB Moskau 12.2017), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Aufgrund der Transferzahlungen aus dem föderalen Budget hat sich die wirtschaftliche Situation Tschetscheniens in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Trotz der Versuche Moskaus, die sozio-ökonomische Situation im gesamten Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen abhängig. Die Wirtschaftskrise während der vergangenen Jahre und damit einhergehenden budgetären Einsparungen stellen eine potentielle Gefahr für die Nachhaltigkeit der Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt, und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen, und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grozny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die volatile Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus, und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

 

Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei

10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die russische Tageszeitung "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grozny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

20.2. Sozialbeihilfen

 

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem.

 

Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2017). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem

 

Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und

 

Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Am Tag der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft [14. Juni 2018] hat die Regierung einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten finden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt (GIZ 7.2018c).

 

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt.

 

Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2018c).

 

Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2017).

 

Zu dem Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017).

 

Familienhilfe:

 

Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.120 Rubel (ca. 44 Euro). Bei einem zweiten Kind sowie weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.131 Rubel (ca. 87 Euro). Der maximale Betrag liegt bei 22.120 Rubel (ca. 313 Euro) (IOM 2017).

 

Mutterschaft:

 

Mutterschaftsurlaub kann man bis zu 140 Tage beantragen und erhält weiterin 100% Lohn (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann dieser auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden Vollzeitjob. Der Maximalbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei

35.901 Rubel (ca. 513 Euro) (IOM 2017).

 

Mutterschaftskapital:

 

Zu den bedeutendsten Positionen der staatlichen Beihilfe zählt das Mutterschaftskapital, in dessen Genuss Mütter mit der Geburt ihres zweiten Kindes kommen. Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich - innerhalb von zehn Jahren stiegen sie inflationsbereinigt von 250.000 auf 453.026 Rubel, also von 4.152 auf mehr als 7.500 Euro. Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil das zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Das Programm wurde nun für weitere zwei Jahre verlängert, wobei eine weitere inflationsbedingte Anpassung nicht vorgesehen ist. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017).

 

Behinderung:

 

ArbeitnehmerInnen mit einem Behindertenstatus haben das Recht auf eine Behindertenrente. Dies gilt unabhängig von der Schwere der Behinderung, der Beitragsdauer und Arbeitsstatus. Diese wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 2017).

 

Arbeitslosenunterstützung:

 

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Ebenfalls wird dieses durch eine maximale und minimale festgelegte Höhe der russischen Rechtslage determiniert. Seit 2009 beträgt die Mindestlohnhöhe pro Monat 850 Rubel (12 Euro) und der Maximallohn

4.900 Rubel (71 Euro). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden (IOM 2017).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen:

 

BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können bundesstaatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2017 lag dieser Zuschuss bei 453.026 Rubel (ca 6.618 Euro) (IOM 2017).

 

Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

Rückerstattung von Nebenkosten (Wasser, Gas, Elektrizität, etc.);

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

21. Medizinische Versorgung

 

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung. Vorausgesetzt für OMS sind Unterlagen wie ein gültiger Pass und die Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren. Diese müssen bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden. An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung - Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2017).

 

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, Stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Medizinische Leistungen stehen im allgemeinen kostenfrei zur Verfügung. Es gibt jedoch auch private Anbieter (IOM 2017), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 5.1.2016). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 5.1.2016, vgl. Ostexperte 22.9.2017) Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 7.2018c, vgl. IOM 2017, AA 21.5.2018, ÖB Moskau 12.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt jedoch ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 7.2018c).

 

Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Das Hauptproblem ist weniger die fehlende technische Ausstattung als vielmehr ein gravierender Ärztemangel und eine unzureichende Aus- und Fortbildung. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf klinische Behandlung ausgerichtet ist und gleichzeitig Allgemeinmediziner und Chirurgen fehlen. Das Problem wurde vom Staat erkannt. Die Zahl der Ärzte ist 2016 leicht gestiegen. Dank großangelegter ProphylaxeProgramme hat sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen vervierfacht (AA 21.5.2018).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 12.2017). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann (ÖB Moskau 12.2017). Die Palliativmedizin muss erheblich ausgebaut werden, es fehlen vor allem stark wirkende Schmerzmedikamente. Im Zuge der Lokalisierungspolitik der Russischen Föderation sinkt der Anteil an hochwertigen ausländischen Medikamenten. Es wurde über Fälle von Medikamenten ohne oder mit schädlichen Wirkstoffen berichtet. Im starken Kontrast zum Erleben der Bevölkerung sieht die Regierung ihre Reformen im Gesundheitswesen pauschal als Erfolg und führt als Beleg die gestiegene Lebenserwartung an (AA 21.5.2018).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 7.2018c).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel 19. Bewegungsfreiheit und 19.1 Meldewesen) (DIS 1.2015, vgl. AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

21.1. Tschetschenien

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung - inklusive Notfall- und spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind (DIS 1.2015).

 

Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos weitergegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung):

 

 

 

 

 

 

Beteiligung des Immunsystems

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen wie Minderjährige, Studenten, Arbeiter usw. und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenschwestern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015, vgl. GIZ 7.2018c, AA 21.5.2018). Trotzdem gibt es medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes (von hier stammt Ramzan Kadyrow). In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen auch günstiger (BDA CFS 31.3.2015).

 

In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Spezialisten arbeiten, die aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges teurer als in öffentlichen Institutionen aufgrund von komfortableren Aufenthalt, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

21.2. Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind: "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "ChiriYurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

- BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

21.3. Dagestan

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Dagestan eine eigene Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen (spezialisierte und zentrale Krankenhäuser, Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfallambulanzen, etc.) managt. Auch in Dagestan gibt es sowohl öffentliche als auch private Gesundheitseinrichtungen. Öffentliche Einrichtungen haben keine offiziellen Preislisten ihrer Behandlungen, da prinzipiell Untersuchungen, Behandlungen und Konsultationen gratis sind. Jedoch muss auf die informelle Zuzahlung hingewiesen werden (beispielsweise, um die Wartezeit zu verkürzen). Die Zahlungen sind jedoch geringer als in privaten Institutionen. Die Qualität der Behandlung ist aber in öffentlichen Einrichtungen nicht schlechter - viele Spezialisten arbeiten sowohl in öffentlichen als auch privaten Einrichtungen. Die Ausstattung und die Geräte sind meist in privaten Einrichtungen besser (BDA CFS 25.3.2016).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

21.4. Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten (z.B. Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS/PTSD, Depressionen, etc.)

 

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

 

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).

 

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen.

 

Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 7002000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

 

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

 

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (auch in Tschetschenien!):

 

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

21.5. Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose

 

HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels antiretroviraler Medikamente behandelbar, beispielsweise im Moscow HIV Center (BMA 7828) oder auch im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment in St. Petersburg (BMA 5411). Dies gilt auch für Tschetschenien, z.B. im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

 

Hepatitis C ist sowohl in der Russischen Föderation (BMA 7828) als auch in Tschetschenien behandelbar (BMA 7927), z.B. im European Medical Center in Moskau (BMA 7828) oder im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

 

(Multiresistente) Tuberkulose ist beispielsweise im European Medical Center in Moskau behandelbar (BMA 6591). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

21.6. Behandlungsmöglichkeiten Drogensucht

 

Es gibt in der Russischen Föderation ein Drogenersatzprogramm, das zwar nicht mit Methadon erfolgt, sondern durch Alternativen, wie z. B. Buprenorphin, Naloxon, Naltrexon Hydrochlorid und weitere (BMA 7750).

 

Quellen:

 

- International SOS via MedCOI (29.2.2016): BMA 7750

 

21.7. Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Leberzirrhosen und -transplantationen, Diabetes

 

Nierenerkrankungen und (Hämo‑)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation als auch in Tschetschenien verfügbar (BMA 7878, BDA 31.3.2015). Es werden in Russland auch Transplantationen gemacht, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberzirrhosen und Lebertransplantationen sind z.B. in Moskau im European Medical Center behandelbar (BMA 7788). In Tschetschenien kann keine Lebertransplantation durchgeführt werden (BMA 7789). Krankenhäuser und Spitäler haben bestimmte Quoten bezüglich Behandlungen für Personen (z.B. Lebertransplantation) aus anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (DIS 10.2011, vgl. BDA 31.3.2015). Auch Diabetes ist in der Russischen Föderation behandelbar (BMA 8906).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

22. Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Stellung eines Asylantrags im Ausland führt nicht prinzipiell zu einer Verfolgung. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 21.5.2018).

 

Rückkehrende zählen nicht automatisch zu den schutzbedürftigen Personenkreisen. Wie alle russischen Staatsangehörige können sie ebenfalls durch das Wohlfahrtssystem Leistungen erhalten. Mikrokredite für Kleinunternehmen können bei Banken beantragt werden (der Zinsatz liegt bei mindestens 10,6%). Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründung an (IOM 2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

22.1. Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

 

Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können in einem Kinderheim untergebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen (AA 21.5.2018).

 

Waisenhäuser in Tschetschenien:

 

Wenn Kinder sich selbst überlassen bleiben, nachdem beide Eltern verstorben sind, sorgt der Tradition zufolge die Familie ihres Vaters für sie. Wenn die Großeltern nicht für die Kinder sorgen können, werden sie in die Obhut der Familie ihrer Mutter übergeben. Wenn es niemanden gibt, der sich um die Kinder kümmern kann, kommen sie in ein Waisenhaus. In Tschetschenien und dem übrigen Nordkaukasus setzen Familien alles daran, um zu vermeiden, dass Kinder in ein Waisenhaus kommen. Es ist nicht üblich, Kinder in Waisenhäuser zu bringen, und normalerweise leben in Waisenhäusern nur Kinder, die ihre gesamte Familie verloren haben. Im Allgemeinen vertreten Behörden die Auffassung, dass es in Tschetschenien keine Waisenhäuser geben sollte, da es Aufgabe der Familie ist, für die Kinder zu sorgen. 2009 ordnete Präsident Kadyrow an, dass alle Waisenhäuser in Tschetschenien geschlossen werden und die Kinder wieder zu ihren Verwandten zurückkehren sollten. Nach Auskunft eines Vertreters einer internationalen Organisation im Nordkaukasus lag dieser Initiative von Kadyrow der Wunsch zugrunde, deutlich zu machen, dass Familien einen starken Verbund darstellen und sie für sich selbst sorgen können. Nur wenige wollten jedoch entfernte Verwandte zu sich nehmen, zu denen sie kaum Kontakt hatten. Aufgrund des Wohnungsmangels und finanzieller Zwänge waren die Menschen nicht bereit, noch ein weiteres Mitglied in ihren Haushalt aufzunehmen und zu unterstützen. Kadyrow möchte den Eindruck vermitteln, dass die familiären Bande noch genauso stark sind wie früher, doch ist dies nach Angaben der Organisation nicht der Fall. Laut einer NGO in Moskau gibt es in Tschetschenien fünf oder sechs Waisenhäuser. In dem größten sind 200-300 Kinder untergebracht. Waisenhäuser sind öffentliche Einrichtungen (EASO 9.2014).

 

Quellen:

 

 

 

23. Dokumente

 

In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden (AA 21.5.2018). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnyafact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 22.8.2018

 

2. Beweiswürdigung:

 

Betreffend BF1 und BF2 wurden im Verfahren unbedenkliche Dokumente zu ihrer Identität aufgefunden, weshalb diese festzustellen war.

 

Die Staatsangehörigkeit und Herkunft der BF erscheinen auch aufgrund ihrer Sprach- und Ortskenntnisse glaubhaft. An ihrer Volksgruppenzugehörigkeit haben sich aufgrund ihrer gleichbleibenden Angaben ebenfalls keine Zweifel ergeben.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF gründen sich auf die Angaben der BF im Verfahren (insbesondere der mündlichen Beschwerdeverhandlung).

 

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung von BF1 gründen sich auf den Akteninhalt sowie einen aktuellen Auszug aus dem Strafregister. Die Feststellung, dass zahlreiche Angehörige von BF1 und BF2 unverändert in der Russischen Föderation leben, großteils in Dagestan, ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben von BF1 und BF2.

 

Das Vorbringen von BF1, welches dem gesamten Verfahren zugrunde liegt, kann nicht geglaubt werden, das gesamte diesbezügliche Vorbringen erweist sich angesichts der zahlreichen Widersprüche und offensichtlichen Unwahrheiten als vollkommen konstruiert, kann daher der rechtlichen Beurteilung auch nicht zugrunde gelegt werden.

 

Diesbezüglich ist vor allem darauf hinzuweisen, dass sich im Verwaltungsakt des BF1 ein Bericht der Polizeiinspektion XXXX vom 11.04.2015 befindet, wonach im Zuge einer Kontrolle in der Unterkunft der BF mehrere russische Dokumente von BF1 und BF2 aufgefunden wurden. Dabei handelte es sich - und darauf hat die belangte Behörde im gesamten Verfahren überhaupt noch keinen Bezug genommen - unter anderem um Auslandspässe von BF1 und BF2, welche belegen, dass diese am XXXX , ausgestattet mit Schengen-Visa, legal die Russische Föderation auf dem Luftweg verlassen haben. Ca. ein Jahr davor wurde BF1 und BF2 jeweils ein gültiger Auslandspass ausgestellt (vgl. im Verfahren des BF1 die Farbkopien auf AS 241 ff).

 

BF1 und BF2 bestätigten im Zuge der Beschwerdeverhandlung zu Beginn ihre Aussagen vor der Behörde, dass sie nach einem Anruf des angeblich inhaftierten Onkels (Staatsanwalt) nach dessen Aufforderung rasch die Heimat verlassen hätten, sie seien mit dem Bus nach Kiew gefahren, wo sie ein LKW-Fahrer aus Mitleid mitgenommen hätte.

 

Sowohl BF1 als auch BF2 wurde im Rahmen der Beschwerdeverhandlung nunmehr erstmals vorgehalten, dass das gesamte Vorbringen völlig unglaubwürdig sein muss, da sich aus den aufgefundenen Auslandspässen ergibt, dass diese legal mit Schengenvisum und auf dem Luftweg die Russische Föderation, noch dazu zu einem anderen Datum verlassen haben.

 

BF2 blieb sogar bei der Behauptung, niemals eigene Dokumente besessen zu haben, auf weiteren Vorhalt vermeinte sie, dass sie keine Ahnung habe, wo ihre Dokumente, die sie besessen habe, geblieben seien.

 

Auf Vorhalt der offensichtlich unwahren Angaben schildert der BF1 nunmehr, dass sie von Moskau nach Litauen geflogen seien, BF2 vermeinte, sie seien direkt von Dagestan ( XXXX ) direkt nach Litauen geflogen. Zu den nunmehr vorliegenden Auslandspässen vermeint der BF1, er hätte diesen verloren, deshalb habe er das so gesagt (und offensichtlich den Reisepass später wiedererhalten). In weiterer Folge führt der BF1 aus, dass er eigentlich seit relativ langer Zeit, nämlich ca. 1,5 Jahre auf ein Visum gewartet habe, er könne sich aber nicht mehr genau erinnern, wann er die Dokumente bei der litauischen Botschaft eingereicht habe.

 

Für das erkennende Gericht scheint es nunmehr völlig unnachvollziehbar, dass genau zu einem Zeitpunkt, an dem nach jahrelangem Warten ein Visum von der litauischen Botschaft in Moskau für Besuchszwecke ausgesellt wird, ein angeblich inhaftierter Onkel warnende Worte über Telefon übermittelt, dass BF1 mit seiner Familie umgehend ausreisen soll. Das gesamte Vorbringen erweist sich als unglaubwürdig und ist offensichtlich, dass dem gegenständlichen Asylverfahren der Wunsch nach Migration wegen besserer wirtschaftlicher Verhältnisse zugrunde liegt, da die BF offensichtlich zielgerichtet ein Schengenvisum beantragt haben, dann nach eigenen Angaben aus Litauen das Schengengebiet wieder verlassen haben, in die Ukraine gereist sind, um von dort dann nach Österreich zu gelangen. Für das erkennende Gericht ist evident, dass die BF mit diesem Vorgehen versucht haben, eine Zuständigkeit von Litauen für das Asylverfahren zu umgehen, andernfalls eine neuerliche Ausreise aus Litauen in die Ukraine nicht erklärbar wäre, wäre doch eine direkte Durchfahrt bis Österreich auch möglich gewesen.

 

BF1 wurde im Zuge der Beschwerdeverhandlung zu diesen seltsamen Entwicklungen näher befragt, insbesonders auch, was denn aus dem angeblichen Onkel geworden sein könnte, der ihn angeblich Ende Dezember 2013 zur Ausreise aufgefordert haben soll.

 

Völlig überraschend schildert BF1 nunmehr im Gegensatz zu seinen bisherigen Angaben, dass dieser Onkel seit 2013 unter Arrest gewesen sei, er sei auch drei Jahre nachher in einer Strafkolonie gewesen, von XXXX sei er in Haft gewesen, erst XXXX sei er freigelassen worden, aber er sei nicht rehabilitiert und sei er zudem ungefähr im Februar XXXX gestorben.

 

Dieses Vorbringen ist nunmehr in einem offensichtlichen Widerspruch zu den bisherigen Angaben des BF1, schildert dieser doch wie dargestellt im Zuge seiner Einvernahmen vor der belangten Behörde am 13.06.2017, dass mit dem gleichen Onkel wieder alles "okay" sei, es seien "damals falsche Beschuldigungen" gewesen, der "Onkel arbeite wieder als Staatsanwalt und habe keine Probleme mehr".

 

Dem BF1 wurde somit vorgehalten, dass er sich in wesentlichen Aspekten seines Vorbringens offensichtlich einer konstruierten Geschichte bedient und konnte der BF1 einzig dazu ausführen, dass er es damals nicht so genau gewusst habe, woher solle er denn solche Details wissen.

 

Auch dieses Vorbringen ist evidentermaßen unwahr und völlig unnachvollziehbar, schildert der BF1 doch ebenso wie seine Gattin einen durchaus vorhandenen Kontakt zu Angehörigen in Dagestan. Dass also über all die Jahre nichts zutage getreten sein sollte, ob dieser genannte Onkel, der in den Jahren vor der Ausreise schützend seine Hand über den BF1 gehalten haben soll, seit 2013 durchgehend in Haft bzw. in Strafkolonien gewesen sein soll, bis zu seinem natürlichen Tod nicht rehabilitiert wurde oder aber nach anderer Version von BF1 bereits nach relativ kurzer Zeit wieder freigelassen und rehabilitiert als Staatsanwalt wieder tätig gewesen sein soll, dies ist im Ergebnis völlig unnachvollziehbar.

 

Für das erkennende Gericht ist offensichtlich, dass der BF1 irgendeinen Bericht im Internet hergenommen hat, und eine behauptete Verwandtschaft zu einem möglicherweise laut Medienberichten wirklich inhaftierten Staatsanwalt in Dagestan dazu benutzt, um eine angebliche, aber niemals existierende verwandtschaftliche Beziehung zu behaupten. Gleiches gilt offensichtlich auch für den angeblichen Cousin, auch diesbezüglich gibt es keinerlei Namensgleichheit und ist es ein relativ leichtes Unterfangen, einen beliebigen Bericht im Internet herzunehmen und die Behauptung aufzustellen, dass diese Person ein enger Verwandter sei.

 

BF1 hat auch zu den angeblichen Vorwürfen gegen den Staatsanwalt überhaupt keine konkreten Angaben tätigen können, außer dass es "interne Kriege" gegeben haben könnte, irgendein anderer habe die Position des Onkels übernehmen wollen.

 

Auch vor dem erkennenden Gericht konnte der BF1 nach Aufforderung nicht einmal ansatzweise schildern, wie oft er insgesamt in Dagestan in Haft gewesen wäre, sodass im Ergebnis übrig bleibt, dass er bei der Erstbefragung von einer Festnahme spricht, die weiteren Angaben zwischen zwei Festnahmen und fünfzehn Festnahmen hin- und herschwanken.

 

Auffallend ist auch, dass erstmals in der nunmehrigen Beschwerde behauptet wird, dass BF1 auch als Spion der Polizei hätte eingesetzt werden sollen, doch kann BF1 im Zuge der Beschwerdeverhandlung nicht erklären, warum er dieses Vorbringen bei der belangten Behörde bei mehreren Einvernahmen nicht erwähnt hat, wobei der BF1 von sich aus auch im Zuge der Beschwerdeverhandlung auf dieses Detail gar nicht zu sprechen gekommen ist.

 

Zum vorgelegten Bericht über einen angeblichen Staatsanwalt in Dagestan, von dem das erkennende Gericht ausgeht, dass es keinen Verwandten des BF1 betrifft, sondern eine völlig unbekannte Person, ist festzuhalten, dass dieser Bericht ein äußerst seltsames Schriftbild aufweist, auch BF1 muss zugeben, dass keine Abstände zwischen den einzelnen Wörtern gegeben sind, was eigentlich ein Hinweis darauf ist, dass diverse Texte zusammenkopiert wurden.

 

Zum Onkel ist letztlich festzuhalten, dass BF1 nicht einmal schildern kann, wie der angebliche Staatsanwalt mit der eigenen Mutter verwandt sein soll.

 

Zum angeblich 2007 getöteten Cousin führt BF1 aus, dass dessen Mutter die leibliche Schwester seiner eigenen Mutter sein soll.

 

In diesem Zusammenhang ist auffallend, dass BF2 auf die Frage, ob die eigenen Schwiegermutter noch Geschwister habe, ausführt, dass dies nicht der Fall sei, ihre Schwiegermutter (also die Mutter von BF1) sei ein "Einzelkind", woraus das erkennende Gericht ableiten muss, dass die Mutter von BF1 keine Schwester haben kann, welche einen Sohn hat, der wegen Terrorismus im Jahr 2007 getötet wurde.

 

Gesundheitliche Probleme haben weder BF1 noch BF2 im Verfahren vorgetragen, nach Angaben in der Beschwerdeverhandlung gibt es keinerlei Notwendigkeit einer fachärztlichen Behandlung.

 

Zu integrativen Aspekten konnte nicht besonderes vorgetragen werden, BF1 muss eingestehen, dass er im Bundesgebiet die genannten vier strafrechtlichen Verurteilungen aufweist.

 

BF1 behauptet, dass er selbst zuhause Deutsch sich beibringe und legte er eine Unterlage vor, wonach er bei einer Deutschprüfung angetreten ist, diese aber nicht bestanden hat. Ansonsten bezieht sich das Vorbringen des BF1 darauf, dass er Sport betreibt und in der Pension, in der er untergebracht ist, dem "Chef" bei diversen Tätigkeiten behilflich ist. BF2 führt zu integrativen Aspekten einzig aus, dass BF3 den Kindergarten besucht, sie kümmere sich um die Kinder zuhause und habe sonst Kontakt zu Tschetschenen und anderen Dagestanern. BF2 führt aus, sich in deutscher Sprache nicht verständigen zu können, sodass im Ergebnis bei den beiden erwachsenen BF überhaupt keine integrativen Aspekte vorliegen, BF1 ist vielmehr mehrfach vorbestraft.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zuständigkeit, Entscheidung durch Einzelrichter:

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Anzuwendendes Verfahrensrecht:

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

 

Gemäß §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

Zu A)

 

Asyl:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH v. 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH v. 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; VwGH v. 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH v. 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vgl. auch VwGH v. 16.02.2000, Zl. 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH v. 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH v. 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH v. 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; VwGH v. 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; VwGH v. 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

Eine Verfolgung, dh. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH vom 27.01.2000, 99/20/0519, VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH vom 04.05.2000, 99/20/0177, VwGH vom 08.06.2000, 99/20/0203, VwGH vom 21.09.2000, 2000/20/0291, VwGH vom 07.09.2000, 2000/01/0153, u.a.).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Eine Bürgerkriegssituation (bzw. die eines sonstigen bewaffneten Konfliktes) in der Heimat des Antragstellers schließt eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung zwar nicht generell aus. Der Antragsteller muss in diesem Zusammenhang jedoch behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben, als eine individuell gegen seine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität etc. gerichtete Verfolgung zu werten wären und nicht als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen (VwGH 8.7.2000, 99/20/0203).

 

Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Aus den Gesamtangaben der BF ist nicht ableitbar, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in Zukunft im Herkunftsstaat konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätten. Eine an asylrelevanten Merkmalen anknüpfende Verfolgung haben die BF nicht glaubhaft vorgetragen und kann eine individuelle Verfolgung aus ihren Angaben nicht abgeleitet werden, erweist sich das Vorbringen doch als völlig unglaubwürdig.

 

Es haben sich auch keine Probleme im Zusammenhang mit der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit der BF ergeben und wurde diese auch nicht behauptet.

 

Den BF ist es sohin nicht gelungen, eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, darzulegen. Für die BF war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, fassbar.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

Subsidiärer Schutz:

 

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 Abs. 1 und Abs. 3 sowie des § 11 AsylG lauten:

 

"§ 8 (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

[...]

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

[...]

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

[...]

 

§ 11 (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen."

 

Nach der früheren ständigen Rechtsprechung des VwGH war bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen waren, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 21.02.2017, Ro 2017/18/005). Der VwGH stellte daher für die Gewährung von subsidiärem Schutz insbesondere auf den Maßstab des Art 3 EMRK ab (vgl. etwa VwGH, 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).

 

Allerdings hatte der EuGH in seinem Urteil vom 18.12.2014, M¿Bodj/Belgien, C-542/13 , klargestellt, dass eine Verletzung des Art 3 EMRK nicht automatisch zur Gewährung des Status von subsidiärem Schutz nach Art 15 der Status-Richtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) führt. Subsidiärer Schutz nach Art 15 lit a und b der Statusrichtlinie verlangt nach dieser Auslegung durch den EuGH, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten verursacht werden muss und nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland ist. Zugleich hielt der EuGH in dieser Entscheidung auch fest, dass es unionsrechtlich unzulässig sei, den in der Statusrichtlinie vorgesehenen Schutz Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck dieses internationalen Schutzes aufweisen, etwa aus familiären oder humanitären Ermessensgründen.

 

Die in dem Urteil vom 18.12.2014, M¿Bodj/Belgien vom EuGH entwickelten Grundsätze wurden im Erkenntnis des VwGH vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 aufgenommen und festgestellt, dass der österreichische Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben der Statusrichtlinie zur Gewährung des Status subsidiär Schutzberechtigter in § 8 Abs. 1 AsylG entgegen der oben angeführten Rechtsprechung des EuGHs umgesetzt habe.

 

In seiner Entscheidung vom 21.11.2018, Ra 2018/01/0461 (zu Dürre und Lebensmittelknappheit) wiederholt der VwGH, dass es der Statusrichtlinie widerspreche, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen. Diese Judikatur erfuhr zuletzt eine weitreichende Korrektur (VwGH vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0153-8 sowie vom 21.05.2019, Ra 2019/19/0006-3).

 

Zur Frage der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts hat der EuGH zuletzt in der Rechtssache C-384/17 vom 04.10.2018 (Dooel Uvoz-Izvoz Skopje Link Logistic M&N gegen Budapest Rendorfokapitanya) festgelegt, dass von Gerichten alles zu tun sei, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, wobei dies seine Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen finde und nicht als Grundlage einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen dürfe. Wenn eine konforme Auslegung nicht möglich sei, sei das nationale Gericht verpflichtet, das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewendet lasse, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem unionsrechtswidrigen Ergebnis führe.

 

Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ist auch nach den Kriterien des Art 15 der Statusrichtlinie zu prüfen.

Artikel 15 der Statusrichtlinie lautet:

 

"Als ernsthafter Schaden gilt

 

a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder

 

b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

 

c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts."

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind.

 

Aus dem Gesamtvorbringen ist nicht ableitbar, dass die BF im Bundesgebiet eine Behandlung in Anspruch nehmen würden, die ausschließlich und exklusiv in Österreich verfügbar wäre.

 

Der Vollständigkeit halber ist noch darauf zu verweisen, dass im Allgemeinen ein Fremder kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (vgl. Fall Ndangoya; VfGH vom 07.11.2008, U 48/08).

 

Eine solchermaßen drohende unwiederbringliche Verschlechterung des Gesundheitsstandes, die zu intensivem Leiden und/oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt, ist auch dahingehend zu prüfen, ob der Betroffene Zugang zur notwendigen Behandlung hat (VwGH vom 21.03.2018, Ra 2018/18/0021 und vom 21.05.2019, Ra 2019/19/0006-1).

 

Der Europäische Gerichtshof stellte in seinem Urteil vom 24.04.2018 in der Rs C-353/16 , MP darüber hinaus fest, dass die Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen, die auf das Fehlen angemessener Behandlungsmöglichkeiten in seinem Herkunftsland zurückzuführen ist, ohne dass diesem Drittstaatsangehörigen die Versorgung absichtlich verweigert würde, keine ausreichende Rechtfertigung dafür sein könne, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verweist zur weiterhin gültigen eigenen Rsp. darauf, dass nur bei lebensbedrohlichen Krankheitsbildern, bei der Gefahr eines Risikos, unter qualvollen Umständen zu sterben, subsidiärer Schutz zu gewähren ist.

 

Wie bereits erwähnt, konnte nicht festgestellt werden, dass im gesamten Gebiet der Russischen Föderation derzeit eine "extreme Gefahrenlage" (vgl. etwa VwGH 16. 4. 2002, 2000/20/0131) im Sinne einer dermaßen schlechten wirtschaftlichen oder allgemeinen (politischen) Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Abschiebung als unrechtmäßig erscheinen ließe.

 

Eine völlige Perspektivenlosigkeit für die BF kann somit schlichtweg nicht erkannt werden. Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr in die Russische Föderation sein wird, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Nur exzeptionelle Umstände rechtfertigen die Annahme einer Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK (VwGH vom 27.05.2019, Ra 2019/14/1353-8, Rz 120).

 

Den BF war daher angesichts der Rechtsprechung des VwGH der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen und die Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

 

Rückkehrentscheidung:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag sowohl hinsichtlich des Status von Asylberechtigten als auch von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Die BF sind als Staatsangehörige der Russischen Föderation keine begünstigte Drittstaatsangehörigen und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

 

Sowohl eheliche als auch uneheliche Kinder aus einer Familienbeziehung, die unter Art 8 EMRK fällt, werden von ihrer Geburt an ipso iure Teil der Familie (Peter Chvosta: "Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK", ÖJZ 2007/74; VfSlg 16.777/2003; ferner Gül gg Schweiz, ÖJZ 1996, 593; 5. 2 2004, 60457/00, Kosmopoulou gg Griechenland; 18. 1. 2007, 73819/01, Estrikh gg Litauen). Umgekehrt werden Kinder erst vom Moment ihrer Geburt an rechtlich Teil der Familie. Zu noch ungeborenen Kindern liegt somit bis dahin (noch) kein schützenswertes Familienleben iSd. Art. 8 EMRK vor (vgl. zB VfGH 24.02.2003, B 1670/01; EGMR 19.02.1996, GÜL vs Switzerland).

 

Unter Volljährigen reicht das rechtliche Band der Blutsverwandtschaft allein nicht, um ein Familienleben iSd. Art 8 MRK zu begründen. Hier wird auf das tatsächliche Bestehen eines effektiven Familienlebens abgestellt, darüber hinaus müssen zusätzliche Merkmale einer Abhängigkeit gegeben sein, die über die sonst üblichen Beziehungen hinausgehen. Vgl. ua. EGMR 30.11.1999 (Baghli gegen Frankreich) Ziff 35; EGMR Ezzouhdi (FN 9) Ziff 34; EGMR 10.07.2003 (Benhebba gegen Frankreich); EGMR 17.01.2006 (Aoulmi gegen Frankreich).

 

Zudem verfügen die BF in Österreich über keine intensiven familiären Beziehungen zu einer zum dauernden Aufenthalt berechtigten Person. Die BF leben unverändert in einer Betreuungseinrichtung für Asylsuchende.

 

Die BF, die unzweifelhaft ein Familienleben miteinander führen, sind daher allesamt im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen, weswegen im Falle einer gemeinsamen Rückkehr in den Herkunftsstaat diesbezüglich kein Eingriff in das Familienleben vorliegt. Die Eltern und Geschwister von BF1 und BF2 leben unverändert in der Russischen Föderation.

 

Ist im gegenständlichen Fall ein Eingriff in das Familienleben iSd. Art. 8 EMRK zu verneinen, bleibt noch zu prüfen, ob mit der Rückkehrentscheidung in das Privatleben der BF eingriffen wird und ob ein derartiger Eingriff gerechtfertigt ist.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts auf Familienleben und Privatleben statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

 

Zweifellos handelt es sich sowohl beim Bundesamt als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff aufgrund der bereits zitierten gesetzlichen Bestimmungen gesetzlich vorgesehen.

 

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens der BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privatlebens iSd. Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Die BF sind gleichzeitig von der Rückkehrentscheidung betroffen, andere familiäre Bindungen zu Österreich bestehen nicht.

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

 

Allerdings ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, 2006/01/0126, mit weiterem Nachweis).

 

Die erwachsenen BF halten sich seit etwa 6 Jahren im Bundesgebiet auf.

 

Im Fall Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich erachtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ausweisung einer ugandischen Asylwerberin aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als zulässig, obwohl die Beschwerdeführerin, die erfolglos Asyl begehrt hatte, in der Zwischenzeit bereits fast 10 Jahre in Großbritannien aufhältig gewesen war: Ihrem Hinweis auf ihr zwischenzeitlich begründetes Privatleben, nämlich dass sie sich mittlerweile an einer Kirchengemeinschaft beteiligt habe, berufstätig geworden und eine Beziehung zu einem Mann entstanden sei, hielt der Gerichtshof entgegen, dass die Beschwerdeführerin keine niedergelassene Einwanderin und ihr vom belangten Staat nie ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei. Ihr Aufenthalt im Vereinigten Königreich während der Anhängigkeit ihrer verschiedenen Asylanträge und Menschenrechtsbeschwerden sei immer prekär gewesen, weshalb ihre Abschiebung nach Abweisung dieser Anträge durch eine behauptete Verzögerung ihrer Erledigung durch die Behörden nicht unverhältnismäßig werde (EGMR 8.4.2008, 21.878/06, NL 2008, 86, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich).

 

Im Fall Omoregie u.a. gegen Norwegen, der die Ausweisung eines ehemaligen (nigerianischen) Asylwerbers betraf, erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls keine Verletzung von Art. 8 EMRK, obwohl der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens eine Lebensgemeinschaft mit einer norwegischen Staatsangehörigen gegründet hatte und Vater einer gemeinsamen Tochter geworden war, da sich der Beschwerdeführer, der seine Lebensgefährtin (nach Abweisung des Asylantrages) geehelicht hatte, über die Unsicherheit seines fremdenrechtlichen Aufenthaltsstatus in Norwegen bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren sein habe müssen (EGMR 31.7.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen). In derartigen Fällen könne die Ausweisung eines Fremden nach Ansicht des Gerichtshofes (wie er im Fall da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande hervorhob) nur unter außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen (EGMR 31.1.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande mwN).

 

Unter Berufung auf diese Judikatur hatte der Verfassungsgerichtshof etwa in VfSlg. 18.224/2007 keine Bedenken gegen die Ausweisung eines kosovarischen Staatsangehörigen trotz seines 11-jährigen Aufenthaltes, da sich der Aufenthalt (zunächst) auf ein für Studienzwecke beschränktes Aufenthaltsrecht gegründet hatte und vom Beschwerdeführer nach zwei Scheinehen schließlich durch offenkundig aussichtslose bzw. unzulässige Asylanträge verlängert wurde.

 

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK erblickte auch der Verwaltungsgerichtshof in der Ausweisung eines ukrainischen (ehemaligen) Asylwerbers, der im Laufe seines rund sechseinhalbjährigen Aufenthaltes durch den Erwerb der deutschen Sprache, eines großen Freundeskreises sowie der Ausübung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen (sowie mit seiner Unbescholtenheit) seine Integration unter Beweis gestellt hatte, da - wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. ausführte - die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der "auf einem (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag" gegründet gewesen sei (VwGH 8.7.2009, 2008/21/0533; vgl. auch VwGH 22.1.2009, 2008/21/0654). Auch die Ausweisung eines unbescholtenen nigerianischen (ehemaligen) Asylwerbers, der beinahe während seines gesamten und mehr als 9-jährigen Aufenthaltes in Österreich einer legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen war, über sehr gute Deutschkenntnisse verfügte und nie öffentliche Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen hatte, beanstandete der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK nicht, wobei er auch dem Argument des Beschwerdeführers, dass über seine Berufung in seinem Asylverfahren ohne sein Verschulden erst nach 7 Jahren entschieden worden war, keine entscheidende Bedeutung zugestand: Vielmehr vertrat er die Ansicht, dass der Fremde spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende gehabt haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen habe müssen (VwGH 29.4.2010, 2010/21/0085). Keine außergewöhnlichen Umstände iSd Art. 8 EMRK, die es unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen, erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Ausweisung eines (ehemaligen) chinesischen Asylwerbers, der in den letzten sieben Jahren seines rund achteinhalb Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen war und über eine österreichische Lebensgefährtin verfügte (VwGH 29.6.2010, 2010/18/0209; vgl. ähnlich auch VwGH 13.4.2010, 2010/18/0087). Zum selben Ergebnis gelangte der Verwaltungsgerichtshof bei der Ausweisung eines georgischen (ehemaligen) Asylwerbers, der sich schon fast 8 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte, über gute Deutsch-Kenntnisse verfügte und selbständig erwerbstätig war: Der Verwaltungsgerichtshof wies darauf hin, dass eine Reintegration des Beschwerdeführers (nicht zuletzt auch aufgrund seines Schulbesuchs in seiner Heimat) trotz behaupteter Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche in Georgien weder unmöglich noch unzumutbar erscheine (VwGH 6.7.2010, 2010/22/0081).

 

Unter Berücksichtigung der Angaben von BF1 ergibt sich Folgendes:

 

Zu integrativen Aspekten wurde im Beschwerdeverfahren einzig vorgebracht, dass BF1 sich selbst Deutsch beizubringen versucht, ansonsten in der Pension dem "Chef" hilft. Ansonsten können keine besonderen integrativen Aspekte erkannt werden, außer dass BF1 Sport betreibt. Die Familie lebt im privaten erkennbar in einem sozialen Umfeld, der vor allem von Kontakt zu tschetschenischen und dagestanischen Asylwerbern geprägt ist.

 

Aus dem Vorbringen von BF1 im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gibt es keinerlei Hinweise darauf, wie diese jemals in der Lage sein sollte, den Unterhalt für sich und die Familie zu finanzieren, im Wesentlichen verbringen die BF seit nunmehr vielen Jahren ihre Zeit in einer Wohnungseinrichtung der Grundversorgung. Sonstige maßgebliche Integrationsbemühungen hat BF1 nicht aufgezeigt. BF3 und BF4 befinden sich im Kleinkindalter, auch der Besuch des Kindergartens von BF3 stellt keinerlei integrative Besonderheit dar. Die gesamte Kernfamilie der mj. BF3 und BF4 (Großeltern, Onkeln, Tanten, etc.) lebt im Herkunftsstaat.

 

Nach dem gewonnenen Gesamteindruck ist auch unbestreitbar, dass zu den in Dagestan lebenden Verwandten weiterhin regelmäßiger Kontakt besteht und ist deshalb auch von einer Wohnmöglichkeit und einer finanziellen Unterstützung durch die Angehörigen in der Russischen Föderation auszugehen.

 

Im Vergleich zum Bundesgebiet haben es die BF im Herkunftsstaat geschafft, das wirtschaftliche Auslangen zu finden. Im Bundesgebiet ist dies offenbar nicht möglich, sondern leben sie von Leistungen aus der Grundversorgung. Die BF verfügen auch über entsprechende Sprachkenntnisse im Herkunftsstaat. Auch im Lichte der Ortsabwesenheit von 6 Jahren kann auch nicht gesagt werden, dass die BF ihrem Kulturkreis völlig entrückt wären und sich in ihrer Heimat überhaupt nicht mehr zu Recht finden würden. Trotz der etwa sechsjährigen Abwesenheit der BF ist darauf hinzuweisen, dass BF1 und BF2den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Russischen Föderation verbracht haben und dort sozialisiert wurden, weshalb bei ihnen nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie sich in ihrem Heimatland überhaupt nicht mehr zurechtfinden würden. BF3 und BF4 sprechen die Muttersprache, da BF2 selbst angibt, sich in Deutsch nicht verständigen zu können.

 

Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. EGMR 18.10.2006, Üner, Appl. 46.410/99, Z 58; 6.7.2010, Neulinger ua., Appl. 1615/07, Z 146). Maßgebliche Bedeutung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31.07.2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Rz 66, vom 17.02.2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Rz 60, und vom 24.11.2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Rz 46) befinden (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).

 

Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass den minderjährigen BF der objektiv unrechtmäßige Aufenthalt subjektiv nicht im gleichen Ausmaß wie ihren Eltern zugerechnet werden kann (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua.).

 

BF3 und BF4 befinden sich in einem anpassungsfähigen Alter, es kann somit insgesamt zugemutet werden, sich wieder in der Russischen Föderation zu integrieren.

 

Das Bundesverwaltungsgericht vermag insgesamt keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat zu erkennen. Insbesondere führt der oben angestellte Vergleich zwischen den Lebensverhältnissen der BF in Österreich mit jenen in der Russischen Föderation zu dem Schluss, dass die BF in ihrem Herkunftsstaat nach wie vor über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfügen. Die Existenz der minderjährigen BF3 und BF4 ist durch ihre Familie gesichert.

 

Die Unbescholtenheit von BF2 fällt bei der vorzunehmenden Abwägung nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ins Gewicht. Laut Judikatur bewirkt die strafrechtliche Unbescholtenheit weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen. (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten von BF1 ins Gewicht fallen jedoch sehr wohl rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht (vgl. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).

 

Besonders schwerwiegend ist im vorliegenden Fall, dass die BF einen offensichtlich unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, und die BF darüber hinaus auch vorsätzlich falsche Angaben vor den Behörden bzw. dem Gericht tätigten.

 

Unter Hinweis auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs - zuletzt etwa VwGH 15.12.2015, Zl. Ra 2015/19/0247 - sind die BF darauf zu verweisen, dass ihnen immer bewusst sein musste, dass ihr Aufenthaltsstatus als unsicher anzusehen war, da sie einzig wegen des Asylverfahrens über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht verfügten. Es konnte für sie daher kein ausreichender Grund zur Annahme bestehen, sie werden dauerhaft in Österreich bleiben dürfen.

 

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiären Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055).

 

Bei einer Zusammenschau all dieser Umstände überwiegen im vorliegenden Fall jene Umstände, die für eine Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat sprechen.

 

Den Interessen der BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH v. 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, u.v.a.).

 

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwiegen daher derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes des österreichischen Arbeitsmarktes die privaten Interessen der BF am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.9.2007, B 1150/07), wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der BF am Verbleib in Österreich.

 

Zusammengefasst ist deshalb in Übereinstimmung mit dem BFA davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, jedenfalls in den Hintergrund treten.

 

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

 

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrages unterlassen, bzw. nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ihrer Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes entsprechen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

 

Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Verhängung seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.

 

Nach Maßgabe der Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist der belangten Behörde letztlich im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorkam, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe dass die angefochtenen Bescheide einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben der BF darstellt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des BF in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist ebenfalls nicht geboten.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG liegen vor: Da die Anträge auf internationalen Schutz abgewiesen wurden, sind die Rückkehrentscheidungen gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es sind auch - wie bereits ausgeführt - keine Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass den BF kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Die BF haben weder behauptet über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen, noch sind solche im Ermittlungsverfahren hervorgekommen.

 

Die Erlassung der Rückkehrentscheidungen war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.

 

§ 50 FPG lautet:

 

"(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre."

 

Das Vorliegen eines entsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG verneint.

 

Abs. 2 lautet:

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG verneint und angenommen, dass die BF in die Westukraine zurückkehren können.

 

Abs. 3 lautet:

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

 

Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg Vereinigtes Königreich, Zl 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl 44599/98). Der EGMR geht allgemein davon aus, dass aus Art 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art 3 EMRK führen (vgl. für mehrere. z. B. Urteil vom 02.05.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

 

So hat der EGMR im Fall Paposhvili v. Belgium (no. 41738/10) vom 20.04.2015 weitere grundsätzliche Ausführungen zu diesem Thema getätigt:

 

"(183) Die ‚anderen sehr außergewöhnlichen Fälle' im Sinne des Urteils N./GB, die eine Angelegenheit unter Art. 3 EMRK aufwerfen können, sollten nach Ansicht des GH so verstanden werden, dass sie sich auf die Ausweisung einer schwer kranken Person betreffende Situationen beziehen, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt wurden, dass sie, obwohl sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist, mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Empfangsstaat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Der GH betont, dass diese Situationen einer hohen Schwelle für die Anwendung von Art. 3 EMRK in Fällen entsprechen, welche die Ausweisung von an einer schweren Erkrankung leidenden Fremden betreffen. Gemäß Art. 1 EMRK liegt die primäre Verantwortung für die Umsetzung der garantierten Rechte und Freiheiten bei den nationalen Behörden, die daher vom Standpunkt des Art. 3 EMRK die Ängste der Bf. beurteilen und die Risiken einschätzen müssen, denen diese im Fall der Abschiebung in den Empfangsstaat ausgesetzt wären."

 

Der VwGH hat festgestellt, dass die Außerlandesbringung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung des Art 3 EMRK bedeutet, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Auch eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Dazu ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass es der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines drohenden realen Risikos für die Annahme einer Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung dazulegen (VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf EGMR vom 05.09.2013, I gg Schweden, Appl 61.204/09 mwH).

 

Im gegenständlich Fall liegen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend vor, dass ihre Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF ein derartiges Risiko nach Art 3 EMRK darstellen würde.

 

Die Grundversorgung (Unterkunft, Nahrungsmittel und Trinkwasser) sowie Arbeitsmöglichkeiten sind in der Russischen Föderation vorhanden. Zudem sind auch zahlreiche Familienangehörige der BF nach wie vor in der Russischen Föderation aufhältig. Wie bereits ausgeführt wurde, ist eine grundlegende medizinische Versorgung vorhanden, wurde auch im Fall des BF2 vor der Ausreise in Anspruch genommen.

 

Die BF würden nicht in eine aussichtlose Lage geraten, sodass eine Rückführung nicht nur keinen Verstoß gegen Art 3 EMRK darstellt, sondern ihnen auch zumutbar ist.

 

Im gegenständlichen Fall liegen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend vor, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF ein derartiges Risiko nach Art 3 EMRK darstellen würde.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist mit 14 Tagen bzw. 2 Wochen festzulegen und die Beschwerde abzuweisen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

 

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu

A) wiedergegeben.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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