BVwG W192 2197039-1

BVwGW192 2197039-12.10.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W192.2197039.1.00

 

Spruch:

W192 2197037-1/3E

 

W192 2197038-1/3E

 

W192 2197039-1/3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , 2.) XXXX , und 3.) XXXX , alle StA. Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.04.2018, Zahlen: 1.) 1075753902-150764356, 2.) 1181612302-180165187, und 3.) 1075753804-150764305 zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerden werden gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang

 

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sind Staatsangehörige der Ukraine, welche infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 30.06.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten, zu welchen sie am gleichen Datum vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurden.

 

Der Erstbeschwerdeführer gab an, er gehöre der ukrainischen Volkgruppe sowie den russisch-orthodoxen Glauben an und habe zuletzt im Raum Donezk gelebt, wo sich unverändert seine Eltern und ein Bruder aufhielten. Er habe seinen Herkunftsstaat zwei Tage zuvor gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin, mit welcher er kirchlich verheiratet sei, illegal verlassen und sei auf dem Landweg schlepperunterstützt über eine ihm unbekannte Route nach Österreich gereist. Zum Grund seiner Flucht gab er an, sie seien wegen des herrschenden Krieges im Keller versteckt gewesen; am 26.06.2015 sei ihr Haus bombardiert und beschädigt worden. Als der Erstbeschwerdeführer auf die Straße gegangen sei, um zu sehen, was passiert wäre, sei er von sieben russischen Militärangehörigen (Separatisten) angehalten und auf eine Militärbasis gebracht worden. Er habe eine Militäruniform erhalten und habe an einem Kontrollposten Wache halten müssen. Am nächsten Tag habe der Erstbeschwerdeführer seinem Vorgesetzten wahrheitswidrig mitgeteilt, dass er ein kleines Kind zu Hause hätte, woraufhin dieser ihm erlaubt hätte, bis 18 Uhr nach Hause zu gehen. Nachdem er zu Hause angekommen sei, hätte er Donezk gemeinsam mit seiner Frau Richtung Kiev verlassen. Da er nicht gegen seine eigene Bevölkerung habe kämpfen wollen, hätten sie sich entschlossen, die Ukraine zu verlassen.

 

Die Drittbeschwerdeführerin gab an, ebenfalls der ukrainischen Volksgruppe sowie dem russisch-orthodoxen Glauben anzugehören und beschrieb die schlepperunterstützte Reise nach Österreich in Übereinstimmung mit den Angaben des Erstbeschwerdeführers. Zum Grund ihrer Flucht führte sie aus, sie seien aufgrund des Krieges seit Februar 2015 im Keller versteckt gewesen, am 26.06.2015 sei ihr Haus bombardiert und beschädigt worden. Ihr Mann sei auf die Straße gegangen, um zu sehen, was passiert wäre und sei nicht mehr zurückgekommen. Am nächsten Tag sei er zurückgekommen und hätte ihr mitgeteilt, dass sie das Nötigste packen und das Land verlassen würden. Später habe sie erfahren, dass er zum Militär hätte müssen.

 

Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin legten jeweils ihre ukrainischen Personalausweise (Inlandspässe) im Original vor.

 

Am 21.11.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

 

Der Erstbeschwerdeführer gab an, er sei gesund und habe anlässlich der Erstbefragung wahrheitsgemäße Angaben erstattet. Er habe nie Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Religionsbekenntnisses erlebt, ebensowenig hätte er Probleme mit der Polizei oder sonstigen Behörden seines Herkunftslandes gehabt. Er habe seinen Militärposten verlassen und glaube, dass er im Falle einer Rückkehr dafür büßen müsste. Der Erstbeschwerdeführer sei mit der Drittbeschwerdeführerin kirchlich verheiratet, er spreche Ukrainisch und Russisch auf muttersprachlichem Niveau, habe den Beruf des Elektroschweißers erlernt und fast fünf Jahre lang als Möbeltischler gearbeitet. Sie hätten in der Eigentumswohnung seiner Frau in Donezk gewohnt. Zum Grund seiner Flucht schilderte der Erstbeschwerdeführer zunächst die Kriegssituation im Osten der Ukraine, welche ihn, seine Frau und drei weitere Familien dazu veranlasst hätte, unter prekären Bedingungen im Keller eines Nachbarhauses zu leben. Immer wieder seien Militärangehörige gekommen, welche Verräter gesucht hätten; manche hätten eine Belohnung für die Weitergabe von Informationen an das Militär erhalten. Am 26.06.2015 sei ihre Wohnung durch einen Raketenangriff zerstört worden. Als der Erstbeschwerdeführer hinausgegangen wäre, um nachzusehen, sei das Militär gekommen, hätte ihn festgenommen und zu einem militärischen Stützpunkt gebracht. Sie hätten ihn befragt, weshalb er nicht am Krieg teilnehme und sein Land schütze; als Strafe hätte er 15 Tage am Militärstützpunkt bleiben müssen. Er habe eine Uniform erhalten und sei beauftragt worden, mit drei weiteren jungen Männern an einem Militärposten jedes vorbeifahrende Auto nach Verrätern zu durchsuchen. Eine der drei anderen Personen habe ihm eine Genehmigung erteilt, bis zum Abend nach Hause zu gehen, nachdem er erklärt habe, er hätte einen Säugling daheim und seine Frau wäre über seinen Aufenthaltsort nicht informiert. Am 28.06.2015 sei der Erstbeschwerdeführer nach Hause gegangen, er hätte seine Frau informiert und wäre mit dieser unmittelbar nach Kiev gereist; dabei hätten sie mehrere Militärposten, zunächst der russischen Separatisten und später des ukrainischen Militärs, passieren müssen. Am Bahnhof in Kiev seien sie aufgrund ihrer Herkunft aus Donezk als Verräter beschimpft worden. Durch hinzugekommene Polizisten sei ihnen das Angebot gemacht worden, entweder Geld zu bezahlen oder ins Gefängnis zu gehen. Der Erstbeschwerdeführer hätte USD 300,- bezahlt und sei sodann mit seiner Frau in ein Taxi gestiegen, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollten. Der Taxifahrer hätte ihnen, nachdem sie ihm die Situation erklärt hätten, angeboten, ihnen zu helfen, ins Ausland zu kommen. Dieser habe daraufhin einen Schlepper organisiert, der ihnen die Pässe abgenommen und sie anschließend gegen eine Zahlung von USD 2.000,- in einem Lieferwagen nach Österreich gebracht hätte. Dies seien all seine Ausreisegründe gewesen, er habe nicht zum Militär gewollt. Mit Ausnahme der Festnahme für 15 Tage und des Umstands, dass die bedrohlich mit ihm geredet hätten, habe es niemals eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung respektive einen Übergriff auf seine Person gegeben. Der Erstbeschwerdeführer wolle nicht in den Krieg und keine Menschen töten. Die Möglichkeit, in einem anderen Teil der Ukraine zu leben, hätte er nicht, zumal sie nicht einmal in Kiev ein Zimmer bekommen hätten. Personen aus Donezk seien für die Ukrainer Verräter. Im Falle einer Rückkehr würde er zwangsweise einrücken und töten müssen. Er hätte Angst um sein Leben und jenes seiner Familie. Seine Frau habe bereits zwei Fehlgeburten erlitten und sei nun wieder schwanger geworden. Er wolle, dass sein Kind normal aufwachse. In Österreich lebe er von der Grundversorgung und besuche Deutschkurse. Auf die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu dem vorgelegten Länderinformationsblatt verzichtete der Erstbeschwerdeführer. Dieser legte (nochmals) seinen ukrainischen Inlandspass, einen Bericht der BBC über Militärdienstverweigerung in der Ukraine sowie Bestätigungen über den Besuch eines Deutschkurses auf dem Niveau A1 vor und reichte am 22.11.2017 eine Kopie seines ukrainischen Führerscheins nach.

 

Die Drittbeschwerdeführerin gab zusammengefasst zu Protokoll, sie habe bislang wahrheitsgemäße Angaben erstattet und befinde sich wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung. Sie sei aktuell schwanger. Die Drittbeschwerdeführerin sei nie von Problemen aufgrund ihrer Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit betroffen gewesen, ebensowenig habe sie Probleme mit der Polizei, den Behörden oder den Gerichten ihres Heimatlandes erlebt. Sie spreche Russisch und Ukrainisch auf muttersprachlichem Niveau, habe ein Universitätsstudium im Bereich der Wirtschaft abgeschlossen und beziehe sich hinsichtlich ihrer Fluchtgründe auf das Vorbringen ihres Mannes. Sie habe auch Angst wegen des Krieges und fürchte um ihr Leben sowie um jenes ihres Kindes. Weitere Gründe für das Verlassen ihres Heimatlandes weise sie nicht auf. Sie hätte die allgemeine Kriegssituation miterlebt. Ihr wäre es nicht möglich, in einem anderen Teil der Ukraine zu leben, für die Ukraine sei sie eine Verräterin. Es wäre nicht leicht, eine Arbeit und eine Wohnung zu finden. Im Westen der Ukraine sage man, dass jene, die in Donezk leben, auch Verantwortung für den Krieg tragen würden. In Österreich besuche sie einen Deutschkurs, nehme Arzttermine wahr und würde künftig gerne eine eigene Bäckerei eröffnen. Die Drittbeschwerdeführerin legte ein Konvolut an ärztlichen Unterlagen, eine Kopie ihres Mutter-Kind-Passes sowie Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen (zuletzt auf dem Niveau B2) vor.

 

Im Jänner 2018 wurde der nunmehrige Zweitbeschwerdeführer als Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren, für welchen die Drittbeschwerdeführerin als dessen gesetzliche Vertreterin am 13.02.2018 schriftlich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und dabei bekanntgab, dass ihr Sohn keine individuellen Fluchtgründe aufweise.

 

2. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine (Spruchpunkte II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte III.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte IV.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für deren freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte VI.).

 

Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit sowie die Identität der beschwerdeführenden Parteien fest. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien in der Ukraine einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen wären oder künftig sein würden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Erstbeschwerdeführer durch Privatpersonen auf dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine ausfindig gemacht und verfolgt werden würde. Der Erstbeschwerdeführer habe nicht glaubhaft vorgebracht, Militärangehöriger gewesen und desertiert zu sein. Ebensowenig habe festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien von allgemeinen Sicherheitsmängeln in der Ukraine individuell in einem höheren Maße betroffen sein würden, als andere dort aufhältige Personen. Im Verfahren des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin seien darüber hinaus keine individuellen Rückkehrbefürchtungen vorgebracht worden. Den beschwerdeführenden Parteien wäre es möglich, sich alternativ zu einer Rückkehr nach Donezk in einem anderen Teil der Ukraine, etwa in Kiev, niederzulassen.

 

Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin seien aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes in der Lage, am Erwerbsleben teilzunehmen. Diese würden Ukrainisch und Russisch beherrschen und über (Hoch‑)Schulbildung und Berufserfahrung verfügen. Zudem seien sie in die ukrainische Gesellschaft integriert, hätten familiäre Anknüpfungspunkte im Heimatland und es habe nicht festgestellt werden können, dass diesen die notdürftigste Lebensgrundlage im Falle einer Rückkehr entzogen sein würde. Die psychische Erkrankung der Drittbeschwerdeführerin stünde einer Rückkehr ebenfalls nicht entgegen, zumal kostenfreie medizinische Versorgung in der Ukraine flächendeckend verfügbar wäre.

 

Da keinem der Familienmitglieder der Status eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden wäre, sei die Ableitung eines entsprechenden Status im Wege des Familienverfahrens jeweils nicht in Betracht gekommen. Ebensowenig seien Gründe für die amtswegige Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 zu Tage getreten.

 

Die beschwerdeführenden Parteien würden außerhalb ihrer Kernfamilie über keine verwandtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet verfügen, sie seien lediglich vorübergehend im Rahmen des Asylverfahrens zum Aufenthalt berechtigt gewesen, hätten ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch den Bezug öffentlicher Leistungen bestritten und hätten keine nennenswerte Integrationsverfestigung im Bundesgebiet erlangt. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden daher gegenüber den privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weshalb sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung als verhältnismäßig erweise.

 

3. Gegen diese, den beschwerdeführenden Parteien am 08.05.2018 zugestellte, Bescheide brachte der nunmehr bevollmächtigte Vertreter der beschwerdeführenden Parteien mit Schriftsatz vom 23.05.2018 fristgerecht eine Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Mangelhaftigkeit des Verfahrens ein. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, die Behörde sei ihren Ermittlungspflichten nicht nachgekommen, zumal sie sämtliche Ermittlungen und Feststellungen zu einer innerstaatlichen Fluchtalternative bzw. Wiederansiedelungsmöglichkeit unterlassen hätte. Es sei völlig ungeklärt, wo die beschwerdeführenden Parteien mit einem Baby im Falle einer Rückkehr in die Ukraine leben könnten; in Donezk hätten sie keine Unterkunft mehr, im Rest der Ukraine würden sie wegen ihrer Herkunft aus Donezk als Verräter gedemütigt. Da der Erstbeschwerdeführer - wenn auch nicht freiwillig - dem Militär der selbsternannten Volksrepublik Donezk beigetreten wäre, habe er massiv gegen die ukrainischen Interessen verstoßen. Dieser würde im Falle einer Rückkehr vom SBU gesucht werden und liefe Gefahr, gefoltert und getötet zu werden. Der Erstbeschwerdeführer habe die Ukraine während aufrechter Mobilmachung verlassen. Die Länderfeststellungen würden ausführen, dass Desertion und Nichtbefolgung der Mobilisierung in der Ukraine verfolgt und zu Haftstrafen führen würden, wobei die Haftbedingungen in der Ukraine immer wieder Gegenstand von Klagen vor dem EGMR seien. Dem Erstbeschwerdeführer würde aufgrund des Sachverhaltes jedenfalls eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werden. Auch hätten die Folgen der Flucht/Desertion Asylrelevanz, da die Haftbedingungen die asylrelevante Schwelle der unmenschlichen Behandlung übertreffen würden. Auf ein faires Verfahren bezüglich Nichtbefolgung der Mobilmachung könnten die beschwerdeführenden Parteien laut den Länderfeststellungen nicht hoffen. Die Beweiswürdigung der Behörde erweise sich aufgrund näherer Ausführungen als völlig verfehlt. Da die beschwerdeführenden Parteien aufgrund ihres Dialekts sofort als Bewohner von Donezk erkannt werden und aus diesem Grund als Verräter angesehen würden, könnten sie sich nirgends in der Ukraine niederlassen. Im Falle einer Rückkehr würde der Erstbeschwerdeführer bei seiner Einreise sofort verhaftet und wegen Wehrdienstverweigerung angeklagt und bestraft werden. Im Verfahren des Erstbeschwerdeführers sei eine eigenständige rechtliche Würdigung unter Verweis auf die Bestimmungen des Familienverfahrens unterlassen worden. Der Erstbeschwerdeführer habe zusammengefasst vorgebracht, dass er gezwungen worden wäre, für die Volksrepublik Donezk zu kämpfen. Die Behörde hätte sich zum rechtlichen Status der Volksrepublik Donezk äußern müssen, da nur dann die weiteren Fragen bezüglich Desertion und Staatsgewalt hätten beurteilt werden können. Außerdem habe der Erstbeschwerdeführer, indem er für die Volksrepublik Donezk gekämpft hätte, gegen die Sicherheitskräfte der Ukraine gekämpft, weshalb ihm von der Ukraine eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werden würde. Auch ohne die Zwangsrekrutierung durch die Volksrepublik Donezk drohe dem Erstbeschwerdeführer asylrelevante Verfolgung wegen seiner Desertion, zumal die diesbezügliche Strafdrohung unverhältnismäßig hoch sei. Unter Berücksichtigung der aktuellen Länderfeststellungen, die mangelnde Versorgung von Binnenvertriebenen, Polizeigewalt und fehlendes Justizwesen konstatieren würden, wäre den beschwerdeführenden Parteien zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen. Im Zuge der Prüfung einer Rückkehrentscheidung hätte die Behörde sich näher mit der Situation von Rückkehrern aus Europa in der Ukraine auseinandersetzen müssen. Die Länderberichte würden festhalten, dass Rückkehrer momentan keine Chance hätten, sich eine neue Existenz aufzubauen, da ehemals in der Ostukraine ansässige Staatsangehörige in der Westukraine verdächtigt und diskriminiert würden. Auch hätte die Behörde sich mit dem Kindeswohl, der hervorragenden Integration, den Deutschkenntnissen, der Selbsterhaltungsfähigkeit und Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Parteien sowie dem Behördenverschulden an deren Aufenthaltsdauer befassen und den beschwerdeführenden Parteien zumindest einen humanitären Aufenthaltstitel zuerkennen müssen.

 

4. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 13.05.2019 wurden die gegenständlichen Rechtssachen der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung W196 abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Ukraine, Angehörige der ukrainischen Volksgruppe und bekennen sich zum russisch-orthodoxen Glauben. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin führen eine Lebensgemeinschaft, stellten am 30.06.2015 infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz und halten sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sind Eltern und gesetzliche Vertreter des im Bundesgebiet geborenen minderjährigen Zweitbeschwerdeführers, für welchen durch seine gesetzliche Vertreterin am 13.02.2018 der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin stammen ursprünglich aus Donezk, wo der Erstbeschwerdeführer die Schule absolvierte, den Beruf des Elektroschweißers erlernte und fünf Jahre lang als Tischler tätig gewesen ist. Die Drittbeschwerdeführerin hat ein Hochschulstudium im Bereich der Wirtschaft abgeschlossen und war in diesem Bereich berufstätig. Im Herkunftsstaat hielten sich zuletzt noch die Eltern und ein Bruder des Erstbeschwerdeführers sowie ein Bruder der Drittbeschwerdeführerin auf. Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Drittbeschwerdeführerin beherrschen Russisch und Ukrainisch auf muttersprachlichem Niveau.

 

Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin haben den Herkunftsstaat verlassen, um in Österreich bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer in der Ukraine Verfolgung durch im Osten der Ukraine agierende (pro)russische Separatisten respektive Soldaten zu befürchten hätte, da er im Juni 2015 infolge einer Festnahme und zwangsweise übernommenen Tätigkeit an einem militärischen Kontrollposten aus dem Zugriffsbereich der Separatisten geflohen sei. Ebensowenig kann festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer aufgrund dieser rund eintägigen erzwungenen Tätigkeit an einem Kontrollposten der prorussischen Separatisten eine Verfolgung durch die Behörden der Ukraine zu befürchten hätte. Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in die Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären. Die Drittbeschwerdeführerin hat in Bezug auf ihre eigene Person sowie im Hinblick auf den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer keine individuellen Rückkehrbefürchtungen geäußert.

 

Die Drittbeschwerdeführerin befand sich im Bundesgebiet aufgrund der Diagnose einer Depression sowie einer Posttraumatischen Belastungsstörung in psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung. Der Erstbeschwerdeführer und der minderjährige Zweitbeschwerdeführer sind gesund.

 

Es besteht für den Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin als körperlich gesunde leistungsfähige Personen im berufsfähigen Alter sowie mit einem familiären und sozialen Netz im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr in die Ukraine gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit; diesen steht die zumutbare Möglichkeit offen, sich alternativ zu einer Rückkehr in ihre Heimatregion Donezk in einem unter Kontrolle der ukrainischen Zentralverwaltung stehenden Landesteil niederzulassen, wo sie nach allfälligen anfänglichen Startschwierigkeiten zumutbare Lebensbedingungen vorfinden werden. Die beschwerdeführenden Parteien liefen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin konnten ihren Lebensunterhalt in der Ukraine in der Vergangenheit stets problemlos eigenständig bestreiten.

 

Die beschwerdeführenden Parteien leben in einem gemeinsamen Haushalt, sie haben außerhalb des Kreises ihrer Kernfamilie keine Verwandten oder sonst engen sozialen Bezugspunkte im Bundesgebiet und bestreiten ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Der unbescholtene Erstbeschwerdeführer und die unbescholtene Drittbeschwerdeführerin sind nicht selbsterhaltungsfähig, sie gingen zu keinem Zeitpunkt einer erlaubten Erwerbstätigkeit oder ehrenamtlichen Tätigkeit nach und sind in keinen Vereinen Mitglied. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin besuchten Deutschkurse (zuletzt auf dem Niveau A1 im Falle des Erstbeschwerdeführers sowie auf dem Niveau B2 im Falle der Zweitbeschwerdeführerin), legten jedoch keinen formellen Nachweis über bereits vorhandene Deutschkenntnisse vor. Die beschwerdeführenden Parteien haben keine besonderen Bemühungen hinsichtlich einer Integration im Bundesgebiet aufgezeigt und es kann nicht erkannt werden, dass diese zum Entscheidungszeitpunkt eine außergewöhnliche Integrationsverfestigung im Bundesgebiet erlangt haben. Der einjährige Zweitbeschwerdeführer befindet sich in Obhut seiner Eltern und hat darüber hinaus noch keine privaten oder familiären Bindungen begründet.

 

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

 

...

 

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

 

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

 

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

 

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

 

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

 

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

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Politische Lage

 

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

 

 

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

  

 

(AA 2 .2017a)

 

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

 

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

 

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

 

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2 .2017c).

 

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

 

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

 

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

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Ostukraine

 

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2 .2017b).

 

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

 

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

 

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

 

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

 

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

 

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

 

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

 

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

 

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

 

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).

 

Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).

 

Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).

 

Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Die Sicherheitsbehörden unterstehen effektiver ziviler Kontrolle. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch" eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Gelegentlich kam es zu Anklagen, oft aber blieb es bei Untersuchungen. Der Menschenrechtsombudsmann hat die rechtliche Möglichkeit, Ermittlungen innerhalb der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsverletzungen zu initiieren. Die Sicherheitsbehörden verhindern generell gesellschaftliche Gewalt oder reagieren darauf. In einigen Fällen kam es aber auch zu Fällen überschießender Gewaltanwendung gegen Demonstranten oder es wurde versäumt Personen vor Drangsale oder Gewalt zu schützen (USDOS 3.3.2017a).

 

Die Sicherheitsbehörden haben ihre sowjetische Tradition überwiegend noch nicht abgestreift. Reformen werden von Teilen des Staatsapparats abgelehnt. Staatsanwaltschaft und Sicherheitsdienst (SBU) waren jahrzehntelang Instrumente der Repression; im Bereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gibt es weiterhin überlappende Kompetenzen. Die 2015 mit großem Vertrauensvorschuss neu geschaffene und allseits für ihre Integrität gelobte Nationalpolizei muss sich auseinandersetzen mit einer das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und der Auseinandersetzung im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, einige wenige Personen in der Konfliktregion (Ostukraine) unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

 

Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen Geheimdienst SBU als auch durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Bezüglich der Polizeigewalt gegen Maidan-Demonstranten im Jahre 2014 wurden vier Berkut-Beamte wegen der Tötung von drei Demonstranten und Verletzung 35 weiterer angeklagt (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

 

Da die alte ukrainische Polizei, die sogenannte Militsiya, seit Ende der Sowjetunion mit einem sehr schlechten Ruf als zutiefst korrupt zu kämpfen hatte und sie nach den Ereignissen des sogenannten Euromaidan zu sehr mit - zum Teil tödliche r- Gewalt gegen Demonstranten gleichgesetzt wurde, reagierte die neue Regierung in der post-Janukowitsch-Ära sehr schnell und präsentierte bereits Ende 2014 eine Strategie zur Einführung einer neuen Polizeieinheit, welche korruptionsfrei, weniger militaristisch und serviceorientierter sein sollte. Die relevante Gesetzgebung konnte schließlich im November 2015 in Kraft treten. Die neue Nationalpolizei nahm ihre Tätigkeit aber bereits Anfang Juli 2015 auf, als die ersten 2.000 neuen Beamten nach nur drei Monaten Ausbildung ihren Eid ablegten. Diese kurze Ausbildungszeit erklärt sich auch aus der Notwendigkeit heraus, die neuen Beamten rasch auf die Straße zu bekommen, wo sie wohlgemerkt ohne Anleitung durch erfahrene (Militsiya‑)Beamte Dienst taten, sozusagen als Verkörperung des Wandels. Die etwa 12.000 Nationalpolizisten tun derzeit Dienst in den Großstädten, inklusive Odessa, Kharkiv, Kiew und Lemberg, sowie in 32 Oblast-Hauptstädten im ganzen Land, inklusive der ukrainisch kontrollierten Teile der Ostukraine. Es ist geplant, dass sie danach schrittweise auf den Autobahnen und im ganzen Land tätig werden sollen. Geplant und durchgeführt wurde die Polizeireform v.a. von georgischen Experten, die bereits in ihrer Heimat einschlägige und international beachtete Erfahrungen gesammelt hatten. Um die Trennung vom alten System zu verdeutlichen, wurde die Militsiya angewiesen nicht mehr auf den Straßen präsent zu sein. Dort patrouilliert nur noch die Nationalpolizei. In den Revieren jedoch wird Innendiensttätigkeit weiterhin von der Militsiya verrichtet, deren Ende praktisch besiegelt ist. Die Kooperation zwischen den beiden Wachkörpern ist folglich eher problembeladen. Die neuen Polizisten verrichten praktisch ausschließlich Patrouillentätigkeiit. Wenn sie jemanden festnehmen wird die weitere Ermittlungsarbeit - auch mangels Erfahrung der Nationalpolizisten - weiter von der Militsiya gemacht, bevor es zu einer Anklage kommen kann. Die Reform der Kriminalpolizei und weiterer Einheiten, mit ihren etwa 150.000 Beamten in der gesamten Ukraine, steht erst bevor und wird als der wahre Belastungstest für die Polizeireform gesehen. Mit dem Eintritt der ersten neuen Nationalpolizisten in den Kriminaldienst wird frühestens nach drei Jahren gerechnet. Bewerber für die Nationalpolizei müssen sich eingehender Fitness- und Persönlichkeitstest unterziehen. Angehörige der Militsiya können in den neuen Wachkörper wechseln, müssen aber die Vorgaben erfüllen und sich den Eignungstest unterziehen. Ende 2015 hatten sich 18.044 Milizionäre diesem Prozess gestellt und 62% davon haben die ersten zwei (von drei) Testrunden überstanden (General Skills Test, Professional Skills Test und kommissionelles Interview). An diesem Auswahlprozess sind Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt und die EU beobachtet diesen. Nationalpolizisten werden im Vergleich zur Militsiya sehr gut bezahlt, was Korruption vorbeugen soll. In den ersten zwei Monaten wurden 28 der neuen Beamten entlassen, zwei davon wegen Korruptionsvorwürfen. Trotz dem Mangel an Erfahrung der neuen Polizisten, der immer wieder kritisiert wurde, werden die ersten Monate in denen die neue Nationalpolizei Dienst tat, als Erfolg betrachtet. Im Vergleich zur Militsiya wurden die neuen Beamten öfter gerufen, reagierten aber trotzdem schneller. Die Zahl der Notrufe vervierfachte sich binnen kurzer Zeit, was als Beweis des Vertrauens der Bürger in die Polizei gewertet wird. 85% der Kiewer Bevölkerung halten die Polizei für glaubwürdig, aber nur 5% sagen dasselbe über die Militsiya. In anderen Großstädten sind die Werte ähnlich. Der Anstieg der Kriminalität (+20% in Kiew im Jahre 2015 gegenüber dem Jahr davor) wird von Kritikern in Zusammenhang mit der neuen Polizei gebracht. Jedoch werden auch der Konflikt im Osten des Landes, die allgemein schlechte ökonomische Lage, sowie die Anwesenheit zahlreicher Personen aus der Ostukraine, die aufgrund des Konflikts ihren Lebensmittelpunkt nach Kiew verlagert haben (IDPs und andere) als relevante Faktoren genannt. Auch angeführt wird, dass der Anstieg der Kriminalität eher damit zu tun haben könnte, dass in der Nationalpolizei die Statistiken nicht mehr frisiert und die neuen Polizisten aufgrund höheren Bürgervertrauens schlicht öfter zur Hilfe gerufen werden. Der Wandel der Polizei geht auch einher mit einem Wandel des Innenministeriums, das nach den Worten des Innenministers von einem "Milizministerium" zu einem zivilen Innenministerium europäischer Prägung wurde. Der Rücktritt von Vize-Innenministerin Ekaterina Zguladze-Glucksmann und von Polizeichefin Khatia Dekanoidze, zwei der zahlreichen georgischen Experten, die zur Durchsetzung von Reformen engagiert worden waren, im November 2016, gab bei einigen Beobachtern Anlass zur Sorge über die Zukunft der ukrainischen Polizeireform. Dekanoidze beklagte bei ihrem Abgang, dass, trotzdem es ihr gelungen sei die Grundlagen für einen Polizeikörper westlichen Zuschnitts zu legen, man ihr nicht genug Kompetenzen für eine noch radikalere Reform in die Hand gegeben hätte (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Das sichtbarste Ergebnis der Polizeireform der Ukraine, die am 2. Juli 2015 beschlossen wurde, ist sicherlich die (Neu‑)Gründung der Nationalen Polizei, die im selben Monat noch in drei ausgewählten Regionen und insgesamt 32 Städten (darunter auch Kiew, Lemberg, Kharkiv, Kramatorsk, Slaviansk und Mariupol) ihre Tätigkeit aufnahm. Als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, das anhand von europäischen Standards mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft aufgebaut wurde, stellt die neue Nationale Polizei jedenfalls einen wesentlichen Schritt vorwärts dar. Mit 7. November 2015 ersetzte die neue Nationale Polizei der Ukraine offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte Militsiya. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Struktur aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungs-Prozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritäts-Prüfungen durchlaufen. Mit 20 Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses. Im Zuge dessen wurden 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft. Allgemein wird der vorläufig große Erfolg dieser Reform oft als Aushängeschild der allgemeinen Reformvorhaben gesehen. Nach dem Rücktritt der ehemaligen georgischen Innenministerin Khatia Dekanoidze wurde, im Zuge eines offenen und transparenten Verfahrens, Serhii Knyazev als neuer Leiter der Nationalen Polizei ausgewählt und am 8. Februar 2017 ernannt. Eine gewisse Verlangsamung der Reformen im Polizeibereich ist zu bemerken (ÖB 4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

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Wehrdienst und Rekrutierungen

 

Am 1.5.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen (AA 7.2.2017).

 

Die Wehrpflichtigen in der Ukraine werden folgendermaßen unterteilt:

 

* Stellungspflichtige (Pre-conscripts)

 

* Wehrpflichtige (Conscripts)

 

* aktive Soldaten

 

* zum Wehrdienst verpflichtete Personen (persons liable for military service) - sie haben bereits den Grundwehrdienst geleitet und können nötigenfalls wieder temporär mobilisiert werden

 

* Reservisten - zum Wehrdienst verpflichtete Personen, die freiwillig regelmäßige Waffenübungen absolvieren.

 

(BFA/OFPRA 5.2017)

 

Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für physisch taugliche Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren. Der Grundwehrdienst dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, jedoch für Akademiker nur 12 Monate. Binnenvertriebene (IDPs) sind ebenso wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage). Das System der Wehrpflicht in der Ukraine funktioniert und ist gerecht, aber nur eine kleine Zahl der Wehrpflichtigen wird auf einmal einberufen (16.000 bis 20.000), denn viele Wehrpflichtige sind aus verschiedenen Gründen untauglich (gesundheitliche oder familiäre Gründe, Verurteilungen, usw.). Der Wehrdienst kann aus bestimmten familiären, beruflichen oder Gründen der Bildung verschoben werden (BFA/OFPRA 5.2017). Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt (AA 7.2.2017).

 

Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017). Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z. B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).

 

An den Wehrpflichtigen ergeht ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Im Dezember 2014 wurde vom ukrainischen Verteidigungsministerium verlautbart, dass die Streitkräfte von 130.000 auf einen Personalstand von 250.000 aufgestockt werden sollen. Um dies zu erreichen wurde der Sold für Zeitsoldaten attraktiviert. Ende 2014 lag er bei UAH 3.453 und wurde 2016 nochmals auf UAH 7.000 angehoben (BFA/OFPRA 5.2017). Zum Vergleich: der ukrainische Durchschnittslohn lag im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 €) (ÖB 4.2017). Diese Verträge sind derart beliebt (2016 bis September 53.000 Verpflichtungen), dass 2014-2016 40-60% der ukrainischen Soldaten Zeitsoldaten waren, 50% Mobilisierte und 10% Grundwehrdiener. Wehrdiener werden, ebenso wie kampferfahrene Mobilisierte ermutigt, sich als Zeitsoldaten weiter zu verpflichten. 2015 waren 4,4% derer, die Zeitverträge abschlossen Grundwehrdiener, 24,2% waren Mobilisierte und 71,4% waren Zivilisten. Gemäß Gesetz können sich Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren verpflichten (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Es gibt Berichte über Schikane im Militär. Es gab 2016 deswegen einen Selbstmord, der von der Polizei mittlerweile als Tötungsdelikt verfolgt wird (USDOS 3.3.2017a).

 

Frauen mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen und körperlicher Eignung (und geeigneter familiärer Situation) gelten ebenso als zum Wehrdienst verpflichtete Personen. Im Kriegsfalle, können sie einberufen werden. In Friedenszeiten können sie freiwillig aktiven oder Reservedienst leisten (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Wehrersatzdienst

 

Das Gesetz über den Ersatzdienst vom 12.12.1991 (Nr. 1975-XII) regelt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Möglichkeit, den Ersatzdienst unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abzuleisten. Die Wehrpflichtigen durchlaufen bei der Stellung sämtliche Untersuchungen im jeweils zuständigen Militärkommissariat. Spätestens zwei Monate vor dem Einberufungstermin muss der Wehrpflichtige bei der für den jeweiligen Wohnort zuständigen Behörde einen begründeten Antrag auf Wehrersatzdienst einreichen. Als Grund ist nur die religiöse Überzeugung bei entsprechender Zugehörigkeit zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft zulässig (AA 7.2.2017), und zwar

 

1. Adventists-Reformists

 

2. Seventh Day Adventists

 

3. Evangelical Christians

 

4. Evangelical Christians-Baptists

 

5. "The Penitents" - the Slavic Church of the Holy Ghost

 

6. Jehovah's Witnesses

 

7. Charismatic Christian Churches (and churches assimilated to them according to registered statutes)

 

8. Union of Christians of the Evangelical Faith - Pentecostals (and churches

 

assimilated to them according to registered statutes)

 

9. Christians of Evangelical Faith;

 

10. Society for Krishna Consciousness

 

(BFA/OFPRA 5.2017)

 

Im Kriegsfalle oder Ausnahmezustand kann das Recht auf den Ersatzdienst gesetzlich für bestimmte Zeit eingeschränkt werden. Der Ersatzdienst dauert 27 Monate, für Hochschulabsolventen 18 Monate. Er wird in staatlichen Sozial-, Gesundheits- und Kommunaleinrichtungen oder beim Roten Kreuz abgeleistet. Der Ersatzdienst hat in der Ukraine kaum Tradition und ist in der Gesellschaft noch wenig verankert. Über die Zahl der Ersatzdienstleister macht das ukrainische Verteidigungsministerium keine offiziellen Angaben. NGO-Vertreter gehen von bislang 7.500 Anträgen aus (AA 7.2.2017).

 

Es gibt Berichte, dass der Wehrersatzdienst auch in der Praxis zugänglich ist, wenn die nötigen Dokumente vorgelegt werden. Es gibt aber auch Berichte, dass Bestechungsgelder verlangt worden wären, um diesen Zugang zu erhalten. Rechtlich ist es auch möglich, wenn auch mit engen Zeitfenstern, dass nach der Einberufung konvertierte Wehrpflichtige noch in den Genuss des Ersatzdienstes kommen können (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Kleriker sind nicht grundsätzlich von der Wehrpflicht ausgenommen. Seit Anfang 2016 ist der militärseelsorgerische Dienst neue geregelt und genaue Auswahlkriterien, Rechte und Pflichten und die rechtliche Stellung der Militärkapläne festgelegt (USDOS 10.8.2016).

 

Das Recht auf religiöse Verweigerungsgründe im Mobilisierungsfalle ist aber nicht eindeutig geregelt. Trotzdem verständigte man sich darauf, die Friedensbestimmungen sinngemäß anzuwenden und informierte die Militärkommissariate entsprechend. Aber es gab dennoch Fälle, in denen dieses Recht verletzt wurde. Gerichtsurteile in solchen Fällen sind uneinheitlich - es gab zumindest einen Freispruch, aber auch mehrere Verurteilungen wegen Nichtbefolgung der Mobilisierung trotz Vorliegens religiöser Verweigerungsgründe. Es ist jedoch nicht ersichtlich, ob in diesen Fällen eine Bestätigung einer der in der Verfassung festgelegten Religionsgemeinschaft vorlag (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. IRF 22.6.2016).

 

Es gab Beschwerden von Religionsgemeinschaften an den Präsidenten und den Premier, dass die Armee versucht Verweigerer aus Gewissengründen trotzdem einzuziehen. Letzteres wird auf Gesetzeslücken zurückgeführt, die im Falle der Mobilisierung keinen Ersatzdienst vorsehen. Die Regierung wurde gebeten das zu reparieren. Im Juni 2016 bestätigte der High Specialized Court of Ukraine das Urteil eines Bezirksgerichts von 2014, dass Verweigerer aus Gewissensgründen auch im Falle der Mobilisierung das Recht auf einen Ersatzdienst haben. Es gab keine weiteren Strafverfolgungen bezüglich des Ersatzdienstes. Im September 2016 wurde vom selben Gerichtshof ein Urteil aufgehoben, mit dem ein Verweigerer aus Gewissensgründen wegen Flucht vor der Mobilisierung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Im Juni 2016 unterstütze der Kharkiv District Administrative Court die Beschwerde eines Verweigerers aus Gewissensgründen, der zum Wehrdienst einberufen werden sollte. (USDOS 10.8.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Mobilisierung

 

Gemäß Gesetz können zum Wehrdienst verpflichtete Männer (also solche, die den Grundwehrdienst bereits abgeleistet haben) im Alter von 18 bis 60 Jahren und zum Wehrdienst verpflichtete Frauen zwischen 20 und 50 Jahren dienen. Umfang und Ausgestaltung einer (Teil‑)Mobilisierung sind vom Staatspräsidenten festzulegen. Sie gelten für das gesamte Staatsgebiet mit Ausnahme der Krim. Grundsätzlich gibt es vier Stufen, abhängig von der Eskalation des Konflikts. In der ersten Stufe werden Freiwillige, Reserveoffiziere und -unteroffiziere aus besonders benötigten militärischen Bereichen einberufen. In der zweiten Stufe werden Reserveoffiziere und -unteroffiziere aller militärischen Bereiche einberufe. In der dritten Stufe werden auch Ungediente und Frauen (Ärztinnen, Krankenschwestern, Technikerinnen) einberufen. In der vierten und letzten Stufe muss alles diesen, was eine Waffe halten kann. Am 21. August 2014 beschränkte der Präsident die Mobilisierung auf Reservisten mit Spezialkenntnissen (Fallschirmjäger, Granatwerfertruppen, Artilleristen, Logistiker und andere Spezialisten (Ärzte, Elektriker, Mechaniker, Fahrer), sowie Personen mit Kampferfahrung. Für eine Mobilisierung infrage kamen nur Personen im Alter von 25 bis 46 Jahren. 8% der Mobilisierten waren Frauen, meist Medizinerinnen oder Funkerinnen (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Am 1.Mai.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen (Teilmobilisierungen), die hauptsächlich Reservisten betrafen. Aber auch Grundwehrdienstleistende wurden zur sechsmonatigen Grundausbildung einberufen. Richter, Vollzeitstudenten, Post-Graduate-Studenten, Priester, Väter mit drei und mehr minderjährigen Kindern, Parlamentsabgeordnete und Straftäter sind von der Mobilisierung ausgenommen. Ende Oktober 2016 wurde die 6. Mobilisierungswelle abgeschlossen. Weitere Mobilisierungswellen sind bislang nicht vorgesehen. Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017).

 

Hintergrund für die Mobilisierungswellen war die Notwendigkeit zusätzliches qualifiziertes Personal in die Armee zu holen und eine Rotation der Truppen zu ermöglichen. Von den sechs Mobilisierungswellen in der Ukraine zwischen 2014 und 2016, war die

4. mit ca. 150.000 Einberufenen die umfangreichste. Aber nach den medizinischen Tests wurde nur knapp die Hälfte tatsächlich mobilisiert. Mobilisierte wurden frühestens nach einem dreimonatigen Training in die ATO-Zone geschickt. Es gibt aber auch Berichte, dass die Dinge in der Praxis etwas anders gehandhabt wurden, etwa telefonische Einberufungen, nichterfolgte medizinische Untersuchungen was dazu führte, dass Kranke (Tuberkulose, Epilepsie) einberufen wurden. Einige sollen auch ohne die dreimonatige Vorbereitung in die ATO-Zone verlegt worden sein. Es gibt aber auch Berichte über bewusste Falschinformationen, die von Russland im Internet lanciert werden, um den Mobilisierungsprozess zu stören. Hatte es 2014 noch Beschwerden über die schlechte Ausrüstung gegeben, wurde dieses Problem 2015 gelöst. (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z.B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle (AA 7.2.2017). Binnenvertriebene (IDPs) sind nicht ausgenommen, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Wehrpflichtige haben einen Wohnortwechsel binnen einer Woche zu melden. Im Fall einer Vollmobilisierung, wäre ein Wohnortwechsel durch die Wehrüberwachungsbehörde vorab zu genehmigen. Bei den bisherigen Mobilisierungswellen war die Vorgehensweise folgendermaßen: An den Wehrpflichtigen ergeht per Post ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats. Bei Unzustellbarkeit wird der Bescheid persönlich zugestellt oder hinterlegt (etwa bei einem Concierge) (BFA/OFPRA 5.2017). Es gibt auch Berichte, dass die Einberufung an die Arbeitsstätte gesandt oder der Betreffende direkt an der Arbeitsstätte abgeholt wurde (AA 7.2.2017).

 

Der Betreffende muss zu einer Gesundheitsüberprüfung erscheinen und wird je nach Ergebnis für tauglich, teiltauglich oder untauglich befunden. Wer gesundheitlich untauglich ist, kann nach 6 Monaten zu einer erneuten Untersuchung geladen werden. Es ist ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Tauglichkeitskommission möglich. Nicht mobilisiert werden u.a. bestimmte Funktionsträger, Väter mit fünf oder mehr Kindern unter 16 Jahren und Personen, die sich um Pflegefälle kümmern, Studenten, Lehrer usw. Im Falle einer allgemeinen Mobilisierung ist auch kein Ersatzdienst mehr möglich. Die Bezahlung ist geregelt. Wird ein Mobilisierter verwundet, ist eine Kompensation vorgesehen, die sich am Grad der Behinderung orientiert. Wir ein Soldat getötet, erhält die Familie eine Einmalzahlung von UAH 609.000. Die soziale Absicherung der Soldaten und ihrer Familien wurde legislativ abgesichert, wenn auch der ukrainische Sozialminister Mitte 2016 verlautbarte kaum mehr Mittel für die Kompensationszahlungen für die Einkommen der Mobilisierten zu haben (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Durch die Attraktivierung des Dienstes als Zeitsoldat verpflichteten sich derart viele Personen, dass nach der 6. Mobilisierungswelle auf eine (bereits angekündigte) 7. Welle verzichtet werden konnte. Im November 2016 versicherte Präsident Poroschenko, dass es nach Abschluss der Demobilisierung der 6. Welle keine Mobilisierten mehr an der Front der ATO-Zone geben würde. Die Demobilisierten werden in die Reserve übernommen, wobei diejenigen mit einer guten Akte im Notfall auch als erste wieder mobilisiert würden (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Im Juli 2016 verabschiedete das ukrainische Parlament ein umstrittenes Amnestiegesetz, das die in der ATO-Zone in der Ostukraine eingesetzten Kämpfer für minderschwere Verbrechen der Strafverfolgung ausnehmen würde. Präsident Poroschenko legte aber sein Veto gegen das Gesetz ein. Im Juli verhafteten die Behörden den Chef des Freiwilligenbataillons Aidar wegen Entführungen, Raub und anderen Gewaltverbrechen gegen Zivilisten. Bei der Anklage blockierten Bataillonsangehörige das Gerichtsgebäude und mehrere Parlamentsabgeordnete forderten seine Freilassung. Das Gericht setzte ihn schließlich zur weiteren Untersuchung auf freien Fuß (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Wehrdienstverweigerung / Desertion

 

Die Entziehung vom Wehrdienst wird nach Art. 335 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Eine Mobilisierungsentziehung kann gemäß Art. 336 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Für Entziehung von der Wehrerfassung sieht Art. 337 eine Geldstrafe bis zu 50 Mindestmonatslöhnen oder Besserungsarbeit bis zu zwei Jahren oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vor. Für Entziehung von einer Wehrübung ist Geldstrafe bis zu 70 Mindestmonatslöhnen oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vorgesehen (AA 7.2.2017).

 

Desertion ist gemäß Art. 408 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren strafbar. Wenn sie organisiert in einer Gruppe oder mit Waffe erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zehn Jahren. Wenn die Desertion unter der Geltung von Kriegsrecht oder im Gefecht erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zwölf Jahren. Es gibt eigene Strafen für Soldaten im Falle von Selbstverstümmelung oder anderen Formen sich dem Dienst zu entziehen, die in Art. 409 beschrieben sind. Gemäß Art. 210 des Code of Ukraine ist Vermeidung der Mobilisierung durch Reservisten eine Straftat (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Aufgrund des Problems der Wehrdienstverweigerung regeln seit Jänner 2015 Gesetzesänderungen die Auslandreisen von Personen, die unter die Teilmobilisierungen fallen. Ukrainische Bürger im wehrfähigen Alter müssen demnach ein Dokument eines Militärkommissariats vorweisen, wenn sie ins Ausland reisen wollen (GS 9.2.2017). Demgegenüber besagt der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amts, dass derzeit keine Erkenntnisse vorliegen, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 7.2.2017).

 

Die Mobilisierungswellen waren in der Ukraine nicht sehr beliebt und die Ukrainer unternahmen einiges, um die Mobilisierung zu vermeiden. Viele Personen hatten legale Verweigerungsgründe, aber selbst wenn man diese nicht hatte, war/ist die Verweigerung auch innerhalb der Ukraine recht einfach. Das Ausmaß des Problems ist umstritten. Generell nennen offizielle Stellen eher geringere Zahlen, als andere Quellen. Im März und April 2014 wurde inoffiziellen Zahlen zufolge die Einberufung von 70 bis 95% der Reservisten in Kiew ignoriert. Hunderte ukrainische Männer sollen vor der Wehrpflicht ins Ausland geflohen sein. Es gibt sogar Berichte über Ukrainer die auf der Flucht vor der Mobilisierung in Sri Lanka gestrandet sind. Offiziellen Zahlen zufolge sind 2014 85.792 im Rahmen der Teilmobilisierung Einberufene, nicht erschienen und 9.969 haben erwiesenermaßen den Dienst verweigert. 2015 waren rund 40.000 Mobilisierungsbefehle nötig, um 1.000 Personen tatsächlich einzuziehen. Viele Verweigerer verstecken sich aktiv unter einer anderen als ihrer offiziellen Meldeadresse, während es Fälle geben mag, in denen die Betreffenden ohne Meldung unter einer anderen Adresse leben, verreist sind, etc. Um die Einberufung zu verweigern gibt es de facto viele Wege, zur Not Bestechung, welche in den Militärkommissariaten ein massives Problem darstellt. Es soll sogar Unternehmen möglich gewesen sein Mitarbeiter vom Dienst freizukaufen. Es gibt aber auch Berichte über Rigorose Kontrollen an Straßen, Grenzübergängen und Arbeitsplätzen bei der Suche nach Wehrdienstverweigerern (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Es gibt Berichte über einen korrupten Handel mit medizinischen Untauglichkeitsbescheinigungen in dessen Zusammenhang es zur Verhaftung eines Militärbeamten kam (Reuters 3.2.2015).

 

Darüber hinaus haben 2014 bis zu 30% der Soldaten ihre Posten verlassen, was auf mangelnde Vorbereitung/Ausbildung oder mangelnde geistige Stabilität zurückgeführt wurde. Gegen diese Probleme wurde aber etwas unternommen und später sank die Rate der Soldaten, die den Dienst in der ATO-Zone verweigerten, auf unter 1%. Die ukrainische Armee wird heute als besser geführt und disziplinierter wahrgenommen, als früher. Die Furcht vor der Mobilisierung hat auch dazu geführt, dass sich viele männliche Binnenflüchtlinge nicht aktiv als IDPs registrierten (BFA/OFPRA 5.2017).

 

8.490 Soldaten wurden 2014 Wehrvermeidung strafverfolgt, 2.287 gemäß Art. 407 des Strafgesetzbuches (unerlaubte Abwesenheit), 4.880 wegen Desertion, (Art. 408) und 1.323 wegen Art. 409 (Selbstverstümmelung etc.). 2015 wurden bis Mitte April 7.560 Ermittlungen gegen Soldaten begonnen, davon 1.964 wegen Art. 407, 948 wegen Art. 408 und 107 wegen Art. 409. 2015 wurde ein 40 Jahre alter Mann aus der Ostukraine wegen Nichtbefolgung zweier Mobilisierungsbefehle gemäß Art. 336 zu 3 Jahren Haft verurteilt. 2016 gab es weitere Ermittlungen wegen Wehrdienstverweigerung. Die Gerichte bewerten jeden Fall gesondert, um die individuelle Schwere der Schuld zu bewerten. Wenn der Betreffende mit den Behörden zusammenarbeitet, sind die Gerichte geneigt Strafen zu verhängen, die den Betreffenden nicht von der Gesellschaft isolieren (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Der 6. Mobilisierungswelle haben sich insgesamt 26.800 Personen entzogen, etwa 1.500 davon wurden strafverfolgt. Die Korruption im Militärapparat wird von Verweigerern immer wieder als Schlupfloch genützt. Menschenrechtsanwälte bezweifeln aufgrund der nie erfolgten Ausrufung des Kriegsrechtes generell die Legalität der Mobilisierungen. In Kiew liefen im August 2015 47 Verfahren gegen Wehrdienstverweigerer und ca. 400 Personen verbüßten deshalb Haftstrafen (KP 27.8.2015).

 

2015 hat die Regierung die Strafverfolgung bezüglich Wehrdienstverweigerung verstärkt, wobei sich das Strafmaß oft auf Bewährungsstrafen beschränkte (UNHCR 9.2015; VB 10.12.2015). Viel größer war aber das Problem der ukrainischen Behörden, die Verweigerer bzw. Deserteure aufzufinden. Es war für sie leicht, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Die Polizei verabsäumte es schlichtweg, Deserteure zu Hause aufzuspüren und festzunehmen (die Ukraine verfügt über keine Militärpolizei, Anm.). Bei den Personen, die sich der Einberufung entziehen, ist es meist so, dass diese nach unbekannt verzogen sind oder das Land überhaupt verlassen haben. Auch medizinische Untauglichkeit war ein zunehmendes Problem (IBT 5.10.2015). Da die Einberufungen an den Ort der aufrechten Meldung gesendet werden, genügt es bereits, sich nicht zu melden und/oder schwarz zu arbeiten, um sich der Zustellung zu entziehen. Aber auch die Korruption ist ein Problem. Zum Teil fordern korrupte Militärbeamte Bestechungsgelder aktiv ein (WP 25.4.2015).

 

Grundsätzlich ist es möglich, dass Ukrainer bei Rückkehr aus dem Ausland strafverfolgt werden, weil sie sich der Mobilisierung entzogen haben, da diese Personen in ein Einheitliches Staatsregister der Personen, die sich der Mobilisierung entziehen, eingetragen wurden. Zugriff auf dieses Register haben der Generalstab der Streitkräfte der Ukraine und auch das Innenministerium. In der Praxis gibt es trotz zahlreicher Fahndungen jedoch nur wenige Anklagen und kaum Verurteilungen (VB 21.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Der Grundrechtskatalog der Verfassung enthält neben den üblichen Abwehrrechten eine große Zahl von Zielbestimmungen (z. B. Wohnung, Arbeit, Erholung, Bildung). Die Ukraine ist Vertragsstaat der meisten Menschenrechtskonventionen. Extralegale Tötungen sind nach den Ereignissen auf dem Euromaidan zwischen November 2013 und Februar 2014 außerhalb der Konfliktgebiete im Osten des Landes nicht mehr bekannt geworden (AA 7.2.2017).

 

Die signifikantesten Menschenrechtsprobleme der Ukraine sind, neben konfliktbezogenen Missbrauchshandlungen in der Ostukraine, Korruption und damit verbundene Straflosigkeit, mangelnde Unterstützung von IDPs, Haftbedingungen, Diskriminierung und Missbrauchshandlungen durch Beamte des Staates und damit verbundene Straflosigkeit. Eine Reihe nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen arbeiten in der Regel ohne Beschränkungen durch die Regierung, untersuchen Menschenrechtsfälle und publizieren ihre Ergebnisse. Die Regierung ist kooperativ und lädt Menschenrechtsgruppen aktiv zu überwachenden Tätigkeiten, Mitarbeit bei Gesetzesentwürfen etc. ein. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiteten 2015 mit der Regierung beim Entwurf der Nationalen Menschenrechtsstrategie und dem diesbezüglichen Aktionsplan zusammen. Der Ombudsmann kritisierte aber die langsame Umsetzung der Strategie und den Widerstand bestimmter Ministerien dagegen, besonders wenn die Rechte von IDPs betroffen sind. Das wird auch von anderen Beobachtern bestätigt (USDOS 3.3.2017a).

 

Die Zivilgesellschaft ist weiterhin das stärkste Element in der ukrainischen demokratischen Transition. Sie spielt eine wichtige Rolle indem sie Reformen vorantreibt, durch die Phase der Gesetzwerdung begleitet, der Bevölkerung kommuniziert und ihre Umsetzung in der Praxis beobachtet. So geschehen im Falle der Antikorruptionsmaßnahmen oder durch Teilnahme an Kommissionen zur Auswahl neuer Beamter im Zuge der Reform des öffentlichen Dienstes usw. (FH 29.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Haftbedingungen

 

Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen sind immer wieder Gegenstand von Klagen gegen die Ukraine vor dem EGMR. Die Haftbedingungen in ukrainischen Gefängnissen werden weiterhin von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Als Teil der allgemeinen Reformbemühungen der Ukraine ist derzeit jedoch auch eine Reform des Strafvollzugs im Gange, die auch aktiv von der EU unterstützt wird. Dennoch bleiben die Bedingungen weit hinter europäischen Standards. Als Prioritäten für die anstehende Gefängnisreform nennt die Regierung eine bessere Bezahlung und Ausbildung des Gefängnispersonals, transparente Auswahlverfahren und eine "Demilitarisierung" der Personalstrukturen. Für eine tatsächliche und merkbare Verbesserung der Haftbedingungen in der Ukraine fehlen jedoch in erster Linie die budgetären Mittel. 2014 wurde ein Gesetz angenommen, dass NGOs, Medienvertretern, Parlamentariern etc. den Zugang zu Strafvollzugsanstalten sowie das Führen von vertraulichen Gesprächen mit Häftlingen erlaubt (ÖB 4.2017).

 

Die Haftbedingungen in ukrainischen Untersuchungshaftanstalten und Gefängnissen verbessern sich nur langsam und in den verschiedenen Anstalten nur sehr ungleichmäßig. Fortschritte in einigen Vollzugseinrichtungen kontrastieren mit weiterhin schlechten Zuständen in einigen U-Haftanstalten und unerträglichen Bedingungen in psychiatrischen Einrichtungen. Immerhin ist die Zahl der Insassen nach einer Reform der Strafprozessordnung deutlich rückläufig. Mit Stand 1.9.2016 gab es in der Ukraine ca. 60.000 Häftlinge bei rund 100.000 Haftplätzen. Das stellt einen erheblichen Rückgang im Vergleich zu 2002 (215.000 Häftlinge) dar. Trotz erheblicher Fortschritte sind schlecht bezahltes und unzureichend ausgebildetes Wachpersonal, überbelegte Großraumzellen, mangelhafte Ernährung, unzureichende medizinische Betreuung, unzulängliche hygienische Verhältnisse sowie unverhältnismäßig starke Beschränkungen von Kontakten zur Außenwelt weiterhin nicht völlig verschwunden (AA 7.2.2017).

 

Misshandlung Strafgefangener und Festgenommener durch Polizei und Gefängnispersonal ist weiterhin weit verbreitet. Die Haftbedingungen sind weiterhin schlecht, erreichen nicht internationale Standards und sind bisweilen eine ernste Gefahr für Gesundheit und Leben von Insassen. Misshandlung, Mangel an angemessener medizinischer Betreuung und Ernährung, schlechte hygienische Verhältnisse und Lichtmangel sind anhaltende Probleme. In Polizei- und Untersuchungsgefängnissen sind die Bedingungen schlechter als in Gefängnissen niedriger und mittlerer Sicherheitsstufe. Erwachsene und Jugendliche werden generell getrennt untergebracht, es gibt aber gegenteilige Berichte hierzu aus manchen Untersuchungsgefängnissen. Trotz Reduktion der Häftlingszahlen, ist Überbelegung in Untersuchungsgefängnissen weiterhin ein Problem. Es gibt Berichte von Häftlingen über unbezahlte (Zwangs‑) Arbeit und auch über Gewalt unter Häftlingen. Viele Gefängnisse am Rande der Konfliktzone im Donbas wurden nicht rechtzeitig evakuiert. Seite September 2016 wurden 17 Gefangene von den Separatisten wieder in regierungskontrolliertes Gebiet überstellt. In der Ukraine können Gefangene Beschwerden an den Ombudsmann richten. Dieser hat 2016 bis Oktober 1.114 Beschwerden von Gefangenen oder deren Angehörigen erhalten. Menschenrechtsorganisationen zufolge demotivieren oder zensurieren Gefängnisverwaltungen bisweilen Beschwerden von Insassen bzw. bestrafen diese. Es gibt Beschwerden, dass tuberkulosekranke Häftlinge nicht von anderen Häftlingen getrennt werden. Unabhängige Überwachung der Hafteinrichtung durch nationale und internationale Menschenrechtsgruppen ist erlaubt (USDOS 3.3.2017a).

 

Seit Annahme des Gesetzes über die Nationalpolizei wurden auch viele Substandard-Polizeigefangenenhäuser (temporary holding facilities) zeitweilig geschlossen und sollen renoviert werden. Die Abläufe bei der medizinischen Versorgung der Gefangenen wurden überarbeitet, und erste Schritte zur Einführung eines umfassenden Gefangenenüberwachungssystems gesetzt. Die Mehrheit der Personen, die kürzlich in Haft waren, wies darauf hin, dass die Polizei sie korrekt behandelt hat, und es gab keine weiteren Berichte über Misshandlung durch SBU-Beamte oder durch Polizeibeamte in Polizeigefangenenhäusern. Die grundlegenden Rechte (auf einen Arzt, auf einen Anwalt, auf Information) werden vor allem von der Polizei nicht immer gewährt. Es gibt weiterhin Berichte über Gewaltanwendung durch Beamte bei Verhören, um Geständnisse zu erhalten. Obwohl seit 2013 die Schwere der Vorfälle abgenommen hat, ist die Zahl der Vorwürfe immer noch bedenklich. Die Haftbedingungen in den Polizeigefangenenhäusern sind für die 72 Stunden, welche die Polizei Personen maximal festhalten darf, zufriedenstellend. Die Praxis Personen aber länger dort festzuhalten, anstatt sie in Untersuchungsgefängnisse zu überstellen, besteht aber weiterhin. Die Reform des Gefängnissystems, einschließlich Maßnahmen zur Reduzierung der Zahl der Häftlinge und Stärkung ihrer Rechte, geht weiter. Diese Reformen haben jedoch noch nicht auf die Untersuchungsgefängnisse durchgeschlagen. Sie sind immer noch stellenweise überbelegt und das Regelwerk veraltet. Dort ist auch Gewalt unter den Häftlingen präsenter als in den Justizanstalten. Die medizinische Versorgung wurde als Problem erkannt, und es gibt intensive Bemühungen zu ihrer Verbesserung, auch die Verbesserung der Koordinierung und Kooperation mit dem Gesundheitsministerium. Es gibt aber immer noch zu wenig Wachpersonal, die Gehälter sind niedrig und die Arbeitsbelastung hoch (CoE 19.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Todesstrafe

 

Die Todesstrafe wurde im Jahr 2000 abgeschafft und durch lebenslange Haft ersetzt. Die Ukraine ist Vertragsstaat des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK (AA 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

Religionsfreiheit

 

Gesellschaftliche Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten ist ein Problem (USDOS 3.3.2017a). Von den geschätzt 44,4 Millionen Ukrainern sind Umfragen zufolge etwa 73.7% orthodoxe Christen (37,9% gehören zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Partiartchats (UOC-KP), 19,6% zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Partiartchats (UOC-MP), 1,3% zur ukrainisch autokephalen orthodoxen Kirche (UAOC), 39,1% sind ungebundene Orthodoxe), 8,1% der Ukrainer sind griechisch-katholisch, 0,8% römisch-katholisch, 0,9% Protestanten und 0,7% gehören anderen religiösen Gruppen an (Pfingstbewegung, Siebten-Tags-Adventisten, Zeugen Jehovas, Mormonen usw.). Die Zahl der Muslime wird auf 500.000 geschätzt, die meisten davon (300.000) sind Krimtataren. Die Muslime selbst schätzen ihre Zahl auf 2 Millionen. Der Volkszählung von 2001 zufolge gibt es

103.600 Juden im Land. Die Juden selbst schätzen ihre Zahl auf 370.000. Es gibt auch Buddhisten, Hare Krishnas etc. Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung festgeschrieben. Religiöse Gruppen mit mindestens zehn Mitgliedern müssen sich beim Justizministerium und im Kulturministerium oder einer regionalen Regierungsbehörde registrieren lassen, um Rechtspersönlichkeit zu erlangen. Das ist nötig, damit sie Konten eröffnen, Besitz anhäufen und Informationsmaterial publizieren dürfen. Im Gegensatz zu solchen lokalen Gruppen können sich überregionale, landesweite Gruppen nicht eigens registrieren lassen. 2016 erhielten religiöse Gruppen einige Steuervorteile. Religiöse Gruppen dürfen eigene Schulen gründen, die staatlich anerkannt werden, sie dürfen aber nicht an öffentlichen Schulen tätig werden. Religiöse Gruppen mit Sitz im Ausland werden in ihren Aktivitäten in der Ukraine gesetzlich eingeschränkt. Religiöse Führer und Menschenrechtsaktivisten fordern weiterhin eine Vereinfachung des Registrierungsprozesses für religiöse Gruppen. Die Nationale Menschenrechtsstrategie enthält Vorhaben in diese Richtung. Die UOC-MP beschwerte sich, dass es in letzter Zeit zu Fällen komme, in den sich die UOC-KP ihrer Kirchen bemächtige, zum Teil unter Mithilfe von Vertretern des Rechten Sektors. Tatsächlich wechselten einige Gemeinden der UOC-MP unter die Hoheit der UOC-KP. Diese Wechsel erfolgen offiziellen Angaben zufolge auf den mehrheitlichen Wunsch der betreffenden Gemeinden, die UOC-MP spricht hingegen von Zwang. In bestimmten Teilen der Ukraine beschweren sich kleinere religiöse Gruppen weiterhin über diskriminierendes Verhalten durch lokale Behörden beim Kauf von Bauland. In der Zentral- und Südukraine betrifft das mitunter auch die UOC-KP, in der Westukraine auch die UOC-MP, im ganzen Land berichten Muslime u. a. ähnliches. Alle Religionsgemeinschaften beschweren sich über schleppende Verfahren zur Restitution von Besitz, der unter Sowjetherrschaft enteignet worden war. Zeugen Jehovas berichteten 2015 von etwa 31 Fällen von Gewalt gegen ihre Mitglieder. In manchen Fällen verweigerte die Polizei die Untersuchung der Fälle. In zumindest einem Fall gab es eine gerichtliche Verurteilung des Täters. 2015 gab es eine antisemitische Gewalttat, gegenüber vier Vorfällen im Jahr 2014. Vandalismus gegen Zeugen Jehovas und deren Einrichtungen (2015: 56) bzw. gegen Juden und deren Einrichtungen (2015: 22; 2014: 15) waren häufiger. In den letzten Jahren konnten nach antisemitischen Handlungen keine Täter ausfindig gemacht oder angeklagt werden. Krimtatarische IDPs konnten in Lemberg einen Gebetsraum im Islamischen Kulturzentrum einrichten; die Errichtung einer Moschee wurde von der Stadt nicht genehmigt (USDOS 10.8.2016).

 

Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert. Antisemitische Vorfälle sind seit Jahren rückläufig und bewegen sich auf einem stabil niedrigen Niveau. Zwar hat sich die allgemeine Sicherheitslage verschlechtert, jedoch sind davon alle Bürger insgesamt betroffen. Eine spezifische Bedrohungslage der jüdischen Gemeinden und ihrer Mitglieder besteht nicht. Es gibt rund 20 Vandalismusvorfälle pro Jahr gegen jüdische Einrichtungen (AA 7.2.2017).

 

Der Konflikt mit Russland hat die Spannungen zwischen rivalisierenden orthodoxen Kirchen erhöht. Kleinere religiöse Gemeinschaften berichten weiterhin von einem gewissen Maß an Diskriminierung (FH 1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Ethnische Minderheiten

 

Gesellschaftliche Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten ist ein Problem. Es gibt aber keine Gesetze, welche die Teilhabe von Minderheiten am politischen Prozess beschränken. Schikane gegen Fremde nicht-slawischen Äußeren ist weiterhin ein Problem. NGOs zufolge nahmen fremdenfeindliche Zwischenfälle während des Jahres leicht ab. Anstachelung zu Hass oder Diskriminierung aufgrund von Nationalität, Ethnie oder Religion, ist verboten. Die Gesetze sehen für Verbrechen mit einem solchen Hintergrund erhöhte Strafen vor. Der Nachweis, insbesondere des Vorsatzes, ist jedoch derart schwierig, dass in der Praxis solche Verbrechen als Hooliganismus strafverfolgt werden. Das Büro des Generalstaatsanwalts registrierte in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 58 Ermittlungen bezüglich Hassmotive, von denen 13 geschlossen und 15 an die Gerichte weitergeleitet wurden. IOM registrierte bis Oktober zehn Fälle (mit 17 Opfern) von Gewalt mit Hassmotiv. Die Opfer stammten aus Afghanistan, Afrika, Syrien und Tadschikistan oder waren jüdischer bzw. moslemischer Herkunft. Die meisten Vorfälle gab es in Dnipropetrowsk, Kiew, Kharkiv und Odessa. Die Zahl der Roma wird auf 200.000 bis 400.000 geschätzt, während ihre offizielle Zahl bei 47.600 liegt. Diese Diskrepanz wird zumeist darauf zurückgeführt, dass Roma oft keine Papiere besitzen. Roma sind weiterhin Diskriminierung durch Behörden und die Gesellschaft ausgesetzt. Es gibt über 100 Roma-NGOs, aber die meisten haben nicht die Kapazität, um effektiv als Garanten der Roma-Rechte oder Servicestellen zu agieren. Aufgrund diskriminierender Einstellungen haben Roma erhebliche Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung, sozialen Diensten und Arbeit. Es gibt Berichte über Fälle von Gewalt gegen Roma, in denen die Polizei nicht einschritt bzw. über Fälle, bei denen festgenommene Roma Opfer von Polizeigewalt wurden. Der 2013 angenommene Aktionsplan zur Integration der Roma in die Gesellschaft, hat gemäß European Roma Rights Center (ERRC) bislang zu keinen Verbesserungen für Roma geführt. Die Regierung hat zu seiner Umsetzung auch keine Mittel bereitgestellt. 24% der Roma besuchten nie eine Schule, nur 1% hat einen akademischen Grad erworben. Geschätzte 31% der Roma-Kinder besuchen keine Schule. Roma-NGOs zufolge werden Roma-Kinder von lokalen Behörden in eigene Schulen bzw. minderqualitative Klassenräume segregiert. Die Arbeitslosigkeit der Roma liegt bei über 60%. Aus den separatistischen Gebieten in der Ostukraine sind viele Roma geflohen und haben sich in anderen Teilen der Ukraine niedergelassen. Unter den vulnerabelsten IDPs sollen sich etwa 10.000 Roma befinden. Da sie oft keine Dokumente haben, ist für sie der Zugang zu einer IDP-Registrierung und der damit verbundenen Unterstützung besonders schwierig (USDOS 3.3.2017a).

 

Eine staatliche Diskriminierung von Minderheiten findet nicht statt. Roma stellen eine schwer quantifizierbare Minderheit dar. Nach offizieller Zählung umfasst sie 48.000 Personen, nach Schätzungen von Roma-NGOs sollen es 400.000 sein. Diese Diskrepanz ist zum Teil durch das Bedürfnis vieler sozial integrierter Roma erklärbar, sich nicht zu erkennen zu geben. Unstrittig ist, dass große Teile der Roma-Bevölkerung sozial marginalisiert und benachteiligt sind (z. B. führt wie andernorts fehlende Geburtsregistrierung zu Benachteiligungen bei der Gesundheitsversorgung und Schulbildung). Es liegen keine Erkenntnisse für eine staatliche Diskriminierung vor. In der Bevölkerung bestehen teilweise erhebliche Vorurteile gegen Roma. Ende August 2016 kam es im Dorf Loschtschyniwka (Gebiet Odessa) zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Angehörige der lokalen Roma-Minderheit und der Vertreibung von ca. 60 Roma aus dem Dorf (AA 7.2.2017).

 

Die Diskriminierung von Roma ist in der gesamten Ukraine verbreitet. Im August 2016 kam es in der Region Odessa zu einem Angriff auf Häuser von Roma. Im Westen des Landes kam es zur Segregation von Roma in Schulen und medizinischen Einrichtungen. Einerseits wurden sie in separaten Räumen behandelt (Mukatschewe und Svaliava) und in anderen Fällen wurde ihnen medizinische Versorgung verweigert, was einen Verstoß gegen ukrainisches Recht darstellt (ÖB 4.2017).

 

Ethnische Minderheiten können unbeschränkt am politischen Prozess in der Ukraine teilhaben. Ihre Repräsentation und die Ausübung ihres Wahlrechts sind jedoch eingeschränkt durch Faktoren wie den Konflikt im Donbas, Analphabetismus, Fehlen von Identitätsdokumenten bei vielen Roma usw. Obwohl die Regierung die Rechte der Minderheiten generell beschützt, werden die Roma weiterhin diskriminiert. Sie leben oft in Substandard-Häusern in marginalisierten Gebieten (FH 1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Bewegungsfreiheit

 

Die Verfassung und Gesetze garantieren die Freiheit sich innerhalb und außerhalb des Staates frei zu bewegen. Die Regierung schränkt diese Rechte in der Praxis jedoch ein, besonders nahe der Konfliktzone in der Ostukraine (USDOS 3.3.2017a).

 

Die Kontaktlinie zwischen den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Ostukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk (DNR und LNR), ist mittlerweile de facto zu einer Grenze geworden. Bis zu 700.000 Personen oder mehr überqueren diese Grenze im Monat in beide Richtungen, um Sozialleistungen zu konsumieren, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, Verwandte zu besuchen oder einzukaufen. Es gibt sogar einige Arbeitspendler. Seit Jänner 2015 ist zum Überqueren der Kontaktlinie an einem der fünf offiziellen Übertrittspunkte eine eigene Erlaubnis (propusk) nötig, um in die regierungskontrollierten Gebiete (government controlled areas, GCA) einzureisen. Diese werden vom ukrainischen Geheimdienst SBU ausgestellt. Seit im Juli 2015 ein elektronisches System eingeführt wurde, ist es aber leichter geworden. An den Übertrittspunkten sind auf ukrainischer Seite Vertreter verschiedener Behörden vertreten: Grenzwache, Armee, Polizei und Finanzbehörden. Freiwilligenbataillone sind dort nicht mehr vertreten. Es wird gegenüber der Krim und der DNR/LNR von der ukrainischen Grenzwache dasselbe Regime angewendet wie an einer Außengrenze. Papiere der selbsternannten "Behörden" der DNR/LNR werden zur Einreise in die Ukraine nicht anerkannt. Wer nur solche Dokumente besitzt, muss sich ukrainische Dokumente ausstellen lassen. Dazu sind ukrainische Notare an den Übertrittspunkten anwesend. Es besteht hierzu andauernder Kontakt zwischen der Grenzwache und dem staatlichen Migrationsdienst. Die Anwesenheit so vieler Behördenvertreter an den Übertrittspunkten garantiert generell die Einhaltung der Gesetze, es gibt aber Berichte über Korruption. Von den Checkpoints der Armee gibt es Beschwerden über rüdes Verhalten der dort eingesetzten Soldaten. Es gibt Beschwerdemechanismen, wie etwa die Anti-Terrorist Operation Hotline, aber diese sind nicht allen bekannt. Auf der NGCA-Seite gibt es Berichte über Beleidigungen. Außerdem sammeln die separatistischen Kräfte Berichten zufolge die International Mobile Station Equipment Identity (IMEI) von Zivilisten (das ist eine eindeutige 15-stellige Seriennummer, anhand derer jedes Mobiltelefon weltweit eindeutig identifiziert werden kann, Anm.) und prüfen Bilder und SMS auf deren Mobiltelefonen. Die Übertrittspunkte haben im Sommer in der Regel von 6-20 Uhr geöffnet; im Frühjahr/Herbst von 7-18:30 und im Winter von 8-17:00 Uhr. Aber sie werden immer wieder spontan geschlossen, oft wegen Sicherheitsbedenken. Im Sommer kann der Übertritt so bis zu 36 Stunden in Anspruch nehmen. Manchmal müssen Reisende über Nacht warten. Infrastruktur (Wasser, Toiletten) gibt es kaum. Ungeräumte Landminen abseits der Straßen sind ebenfalls eine Gefahr für Reisende. Zusätzlich erschwert wird der Reiseverkehr dadurch, dass öffentliche Transportmittel (Busse, Züge) nicht die Kontaktlinie überqueren dürfen, wodurch die Reisenden gezwungen den Übertritt zu Fuß hinter sich zu bringen und auf der anderen Seite mit einem anderen Verkehrsmittel weiterzufahren (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Am 4. April 2016 trat das Gesetz Nr. 888-19 "On Amendments to Several Legislative Acts of Ukraine on Extension of Authorities of Local Self-Government Agencies and Optimization of Administrative Services" vom 10. Dezember 2015 in Kraft Es enthebt den Staatlichen Migrationsdienst der Ukraine von seiner Kompetenz, die Wohnsitze der Bürger zu registrieren (Wohnsitzmeldung und -abmeldung) und legt diese Aufgabe in die Hände der lokalen Verwaltungskörper. Die Resolution des Ministerkabinetts Nr. 207 vom 2. März 2016 enthält nähere Bestimmungen zur Wohnsitzmeldung. Gemäß der neuen Rechtslage müssen Ukrainer einen Wohnsitzwechsel binnen 30 Tagen melden. Mit 1. Oktober 2016 trat das Gesetz "On the Uniform State Demographic Register and Documents Confirming Citizenship of Ukraine, ID or Personal Status" in Kraft. Auch dieses Gesetz brachte erhebliche Neuerungen. War es bis dahin verpflichtend, sich mit vollendetem 16. Lebensjahr einen Inlandspass ausstellen zu lassen, ist dies seither mit vollendetem 14. Lebensjahr zu tun. Der Inlandspass hat nunmehr die Form einer ID-Karte. Zuständig ist nach wie vor der Staatliche Migrationsdienst (NRC 2016). Auf der neuen ID-Karte ist ein Chip auf dem die Wohnsitzmeldung gespeichert wird. Wenn die lokale Behörde das nicht bewerkstelligen kann, erhält man stattdessen eine Meldebestätigung und muss auf die Bezirksbehörde gehen und den Wohnsitz dort im Chip speichern lassen (GP o.D.).

 

Als Wohnsitz gilt der Ort, an dem man für mehr als sechs Monate im Jahr lebt (SMS 31.5.2016). Ein Ukrainer oder legal aufhältiger Fremder muss sich binnen 30 Kalendertagen ab Abmeldung seines vorherigen Wohnsitzes am neuen Wohnort anmelden. Früher waren lediglich zehn Tage vorgesehen. Man kann dafür nur noch einen Wohnsitz anmelden. Die Information über Ab- und Anmeldung werden von den lokalen Behörden dem Staatlichen Migrationsdienst weitergegeben, welcher die in das Unified State Demographic Register einträgt (Lexology 19.4.2016).

 

Ein normaler ukrainischer Bürger kann die Meldeadresse einer anderen Person legal nicht in Erfahrung bringen, da es dem Gesetz über den Schutz der persönlichen Daten widersprechen würde. Das Gesetz schreibt vor welche Behörden in welchen Fällen (etwa die Polizei im Rahmen einer Ermittlung) die Meldeadresse einer Person abfragen darf. Ob es möglich ist diese Regelungen durch Korruption zu umgehen, kann nicht eingeschätzt werden (VB 21.7.2017). (Es sei dazu allgemein auf die Kapitel 7. Korruption und 5. Sicherheitsbehörden dieses LIB hingewiesen, Anm.)

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

IDPs und Flüchtlinge

 

Die Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons - IDPs) ist bis Januar 2017 auf 1.650.410 Personen gestiegen. Nach Angaben von UNHCR halten sich darüber hinaus

1.481.377 Ukrainer in Nachbarländern auf (Asyl und andere legale Formen des Aufenthalts) auf. Die Registrierung, Versorgung und Unterbringung von IDPs erfolgt auf Basis des 2014 in Kraft getretenen IDP-Gesetzes (AA 7.2.2017).

 

Zwar versucht die ukrainische Regierung die Situation der IDPs zu verbessern und hat seit Ausbruch des Konflikts auch einiges an Fortschritten erzielt, dennoch bleibt beispielsweise der Zugang zu Wohnmöglichkeiten und sozialen Leistungen oft schwierig. Die Integration der IDPs, die über die ganze Ukraine verteilt sind, wird mangels Budgetmittel hierfür oft nur unzureichend gefördert und in vielen Fällen nur dank intensiven Bemühungen der Zivilgesellschaft vorangetrieben (ÖB 4.2017).

 

Im Zuge der Entwicklungen um die Annexion der Krimhalbinsel durch Russland wurden schon geschätzte 50-60.000 Personen innerhalb der Ukraine vertrieben. Viele davon wollen oder können nicht auf die Krim zurückkehren, solange diese in russischer Hand ist. Der Konflikt um den Donbas hatte noch größere Auswirkungen. 1,7 Millionen Menschen sind in der Ukraine offiziell als Binnenvertriebene (Internally Displaced Persons, IDPs) registriert. Es wird angenommen, dass es viel mehr Betroffene gibt, da viele sich nicht registriert haben. Gründe für die Nichtregistrierung sind vielfältig: fehlende Papiere, Angst vor der Wehrpflicht, Angst vor Diskriminierung, Abneigung gegen die Behörden, etc. Jedenfalls können nur registrierte IDPs die entsprechende Unterstützung erhalten. Von diesen 1,7 Mio. leben aber nur 800.000 bis 1 Mio. dauerhaft in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten (government controlled areas, GCA, im Gegensatz non-government controlled areas, NGCA). Der Rest lebt (wieder in den NGCA bzw. pendelt regelmäßig hin und her. Von den IDPs in der Ukraine registrierten sich die meisten im Osten des Landes, in der Nähe ihrer Herkunftsorte. Die meisten sind privat untergebracht (Familie, Freunde, Freiwillige) oder eingemietet, obwohl leistbare private Unterbringung oft von schlechter Qualität ist. Viele suchen die offizielle Hilfe angeblich gar nicht. Nur die ärmsten oder schwächsten bleiben in den kollektiven Zentren (weniger als 5%), die eigentlich als kurzzeitige Unterbringung intendiert waren. Meist handelt es sich um Ferienanlagen, Sanatorien, etc. Meist sind sie eher abgelegen und daher unattraktiv. Eine übergreifende nationale Strategie zur Unterbringung oder Integration der IDPs gibt es nicht. Ende 2016 gab es 270 derartige Zentren für etwa 10.000 IDPs, die meist keine Mittel für eine alternative Unterbringung haben. Die Unterbringungsdauer ist zwar nicht begrenzt, wenn die Zentren aus Geldmangel schließen müssen, sind die Leute oft gezwungen in die NGCA zurückzukehren. NGOs beliefern die Zentren oft mit Nahrungsmitteln. In den Zentren ist in der Regel Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegeben. Grundsätzlich haben IDPs ein Recht auf medizinische und psychologische Behandlung in den kommunalen medizinischen Einrichtungen am Ort der Wohnsitzmeldung. Hier ist oft die Finanzierung ein Problem, welche die Kommunen stemmen müssen, da die Regierung keine zusätzlichen Gelder für die Krankenversorgung der IDPs an die Gemeinden ausgeschüttet hat. Ein weiteres Problem ist die im medizinischen Sektor weit verbreitete Korruption, wodurch vieles selbst zu bezahlen ist. Wenn IDPs arbeitsfähig sind, sind sie dazu angehalten sich Arbeit zu suchen.

Sie bekommen dann für sechs Monate Beihilfen: UAH 880 für die ersten zwei Monate, UAH 440 für die nächsten zwei Monate und UAH 220 für die letzten zwei Monate. (Familien erhalten so bis zu UAH 2.000 im Monat. Wer dies nicht erhält (aus welchen Gründen auch immer, lebt von Erspartem und/oder NGO-Hilfe. Auch die Integration in den Arbeitsmarkt ist problematisch. 38% der IDPs waren im September 2016 arbeitslos. In einigen Städten gibt es Pilotprojekte, um IDPs bei der Jobsuche und Integration zu unterstützen. Seit April 2016 ist ein eigenes Ministerium für die Belange der IDPs zuständig, das Ministry of Temporarily Occupied Territories and IDPs (MTOT&IDPs), aber in der Anfangsphase sind der Migrationsdienst und das Sozialministerium noch involviert. Die ukrainischen Gesetze sehen vor, dass jeder Bürger am Ort des Wohnsitzes gemeldet sein muss, um dort Zugang zu sozialen Leistungen zu haben. Üblicherweise wird dies mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. IDPs hingegen benötigen ein IDP-Zertifikat, um Zugang zum Sozialsystem zu erhalten (das beinhaltet auch Auszahlung von Pensionen, Beihilfen, Kindergeld, Zugang zu Schulen, Kindergärten, medizinischer Versorgung, etc.). Widersprüchliche und schlecht umgesetzte Gesetzesänderungen rund um IDPs und ihre Registrierung und Versorgung führten in der Vergangenheit dazu, dass diese uneinheitlich gehandhabt wurden (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Ende 2014 wurde beschlossen, Pensions- und Sozialgelder nur noch an Personen auszuzahlen, die in BCA leben. Die Auszahlung von Pensions- und Sozialgeldern an IDPs wurde folglich an die Verifizierung des Orts des Aufenthalts gekoppelt, um zu verhindern, dass sie diese Leistungen beziehen, tatsächlich aber in NGCA leben. 500.000-600.000 IDPs waren im Feber 2016 von vorübergehenden Suspendierungen ihrer Zahlungen betroffen. Wartezeiten betrugen bis zu zwei Monate. Das Sozialministerium muss nunmehr den Aufenthaltsort von IDPs halbjährlich verifizieren, was einen erheblichen Aufwand bedeutet und zum Teil mit Verzögerungen von bis zu vier Monaten verbunden ist, in denen keine Gelder ausbezahlt werden. Es gibt Fälle, in denen IDPs aufgrund dessen Mieten in GCA nicht mehr bezahlen konnten und in NGCA zurückkehrten. Viele IDPs, speziell Pensionisten, sind auf soziale Transferzahlungen als einzige Einnahmequelle angewiesen (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. PCU 3.2017).

 

Ein einheitliches Register für IDPs wurde erst im September 2016 gesetzlich vorgesehen und soll beim Sozialministerium angesiedelt sein. Andere Behörden müssen den Zugriff auf dieses Register schriftlich beantragen.

 

Weitere Probleme bezüglich IDPs sind, dass sie bislang an drei Wahlen nur eingeschränkt teilnehmen konnten. Es wird aber an einer Lösung dieses Problems gearbeitet. Während es relativ einfach ist, sich beim Staatlichen Migrationsdienst der Ukraine Duplikate verlorener Dokumente ausstellen zu lassen, auch um sich als IDP registrieren zu können, ist es komplizierter Änderungen eintragen zu lassen, die sich in NGCA zugetragen haben, z.B. Geburten, Todesfälle, etc. Diese müssen nämlich von einem Gericht bestätigt werden, was bis zu zwei Monate dauern kann. Schulbesuch für Kinder von IDPs ist kein Problem, es wurden sogar mehr Lehrer eingestellt, um den erhöhten Bedarf zu decken. Unterricht in den Kollektivzentren für IDPs findet eher sporadisch statt. Generell hängt bei diesem Thema viel vom Engagement der Eltern ab. Studenten hatten gewisse Probleme sich in neuen Universitäten zu immatrikulieren, hierzu wurden aber spezielle rechtliche Voraussetzungen geschaffen (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Die IDPs von der Krim ließen sich meist im Westen der Ukraine nieder. Da sie unter den ersten und aktivsten Gegnern der russischen Besetzung der Krim waren, haben sie gute und freundliche Beziehungen mit den Aufnahmegemeinden aufgebaut. Aber dennoch stoßen sie als IDPs auf gewisse Probleme, wie Schwierigkeiten eine Unterkunft zu finden (hier sind die hohen Kosten und mangelnde staatliche Unterstützung ein Problem), sowie das Fehlen eines klaren Verständnisses für die Bedürfnisse der Krimtataren (z.B. im kulturellen und sozialen Bereich). Es gab isolierte Zwischenfälle mit Krimtataren, aber sie stellen keinen allgemeinen Trend dar. IDPs aus dem Donbas blieben eher im Osten. Mehr als die Hälfte der IDPs lebt in der Ostukraine bei Familie oder Freunden. Die Solidarität der ukrainischen Zivilgesellschaft ist immer noch stark, aber mit zunehmender Dauer tendenziell abnehmend. Die Angaben zum Bild der IDPs in der Aufnahmegesellschaft sind abweichend. In manchen Fällen wird eine neutrale oder freundliche Haltung gegenüber den Binnenvertriebenen behauptet, Mitgefühl und Verständnis der schwierigen Situation wird ausgedrückt und Hilfsbereitschaft erklärt. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise auf Diskriminierung und Vorurteile gegen Binnenvertriebene sowie negative Stereotype und die Existenz versteckter und potenzieller sozialer Konflikte. Je näher Menschen in der Konfliktzone leben, desto höher ist ihr Verständnis für die Binnenvertriebenen. Im Westen der Ukraine gibt es mehr negative Stereotypen gegen IDPs, auf der andren Seite sind IDPs gerade im Westen sehr gut integriert. Negative Ansichten basieren meist nur auf Hörensagen, nicht jedoch auf persönlicher Erfahrung, und echte Konflikte zwischen Anwohnern und IDPs sind sehr selten. Es gibt aber regionale Unterschiede. Die meisten IDPs gibt es neben der Ostukraine in der Hauptstadt Kiew, und dort ist die Meinung über IDPs am schlechtesten. Besonders der Anstieg der Kriminalität wird ihnen angelastet und angesichts der allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation werden IDPs in Kiew besonders als Konkurrenz um immer teurer werdenden Wohnraum und um Arbeitsplätze wahrgenommen. Die Tatsache, dass IDPs meist Russisch sprechen, ist hingegen kein Grund für Diskriminierung. Generell hat die Diskriminierung von Binnenvertriebenen eher ökonomische Gründe. (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. UN 20.9.2016).

 

Die Binnenvertriebenen sind fortgesetzt mit Schwierigkeiten konfrontiert, juristische Dokumente sowie Zugang zu Bildung, Renten, sowie zu Finanzinstituten und zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. 2016 sperrte die Regierung alle Sozialzahlungen an Binnenvertriebene bis zur Überprüfung ihrer Anwesenheit in staatlich kontrollierten Gebieten, angeblich zur Bekämpfung von betrügerischen Zahlungen. Die Suspendierung der Zahlungen erfolgte oftmals ohne jegliche Vorankündigung und betraf ca. 85% der IDPs in den unter ukrainischer Kontrolle befindlichen Gebieten und 97% in den Separatistengebieten. Speziell ältere oder behinderte Menschen waren oft nicht in der Lage, den Weg auf sich zu nehmen, um ihren Status zu überprüfen. Diese Vorgangsweise der ukrainischen Regierung führte zu heftiger Kritik u.a. des Europarats. Bemühungen, die IDPs zu integrieren, werden durch das Fehlen einer entsprechenden staatlichen Strategie und einen Mangel finanzieller Ressourcen erschwert. Dies drängt die IDPs wirtschaftlich und sozial an den Rand der Gesellschaft. Die angespannte Arbeitsmarktsituation und die insgesamt schwache Wirtschaft zwingen viele IDPs dazu, in inadäquaten bzw. Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen. Finanziell leistbare Privatunterkünfte sind oft in schlechtem Zustand. Auch bei der Arbeitssuche kommt es zu Diskriminierung. Insbesondere Krimtataren wird darüber hinaus von Banken nur ein eingeschränkter Zugang zu Finanzdienstleistungen gewährt, obwohl der ukrainische Verwaltungsgerichtshof eine Entscheidung der Nationalbank aufgehoben hat, wonach Krimtataren non-residents wären. Die Regierung gewährt nur jenen Personen Unterstützung, die sich als Binnenvertriebene registrieren lassen. Der gesetzlich vorgesehenen Verpflichtung, Binnenvertriebenen Unterkünfte zuzuweisen, wird von den Behörden oftmals nicht nachgekommen (USDOS 3.3.2017a).

 

Mietkosten und Betriebskosten sind seit dem Ausbruch der Krise massiv gestiegen, was es sowohl den Binnenvertriebenen als auch den Ortsansässigen erschwert, geeignete Unterkünfte zu finden. Dies wiederum verstärkt die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen, zumal oftmals den IDPs die Schuld für die schwierige Situation zugeschrieben wird. Viele IDPs beklagen, dass man ihnen Wohnungen nicht vermieten möchte, oder dass die Vermieter hohe Kautionen verlangen, aus Angst, die Mieter könnten die Miete nicht regelmäßig begleichen. Es kommt auch immer wieder vor, dass sich Vermieter aus steuerlichen Gründen weigern, Verträge zu unterzeichnen. Ohne Vertrag und ohne offizielle Registrierung am Wohnsitz führen dazu, dass manche IDPs keine Wohnsubventionen in Anspruch nehmen können. Es sind aber keine Fälle von Obdachlosigkeit unter IDPs bekannt (OSZE 7.2016; vgl. BFA/OFPRA 5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Grundversorgung und Wirtschaft

 

Die Ukraine erbte aus dem Restbestand der ehemaligen Sowjetunion bedeutende eisen- und stahlproduzierende Industriekomplexe. Neben der Landwirtschaft spielt die Rüstungs-, Luft- und Raumfahrt- sowie die chemische Industrie eine große Rolle im ukrainischen Arbeitsmarkt. Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle. Für das erste Quartal 2016 lag die Arbeitslosenquote in der Ukraine bei 10,3%. 2016 waren 688.200 Arbeitsmigranten, 423.800 langzeitig und 264.400 kurzzeitig, im Ausland beschäftigt. Der ukrainische Arbeitsmigrant verdient mit durchschnittlich 930 US-Dollar pro Monat rund dreimal mehr als der Durchschnittsukrainer daheim. Der Durchschnittslohn lag in der Ukraine im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 €). Dies ist eine Steigerung von 50 Euro zum Jahr davor. Das Nettogehalt beträgt etwa 166 Euro. In der Hauptstadt Kyiv liegt der Durchschnittslohn bei ca. 223 Euro und in den nordöstlichen Regionen sowie in Czernowitz und Ternopil bei etwa 160 Euro. Der Mindestlohn wurde mit 2017 verdoppelt und beträgt nun brutto 110 Euro, netto 88 Euro. Das Wirtschaftsministerium schätzt den Schattensektor der Wirtschaft derzeit auf 35%, anderen Schätzungen zufolge dürfte dieser Anteil aber eher gegen 50% liegen. Das Existenzminimum für eine alleinstehende Person wurde im Jänner 2017 mit 1.544 Hrywnja (aktuell ca. 53 Euro), ab 1. Mai 2017 mit 1.624 Hrywnja (ca. 56 Euro) und ab 1. Dezember 2017 mit 1.700 Hrywnja (ca. 59 Euro) festgelegt (ÖB 4.2017).

 

Die Wirtschaftslage konnte - auf niedrigem Niveau - stabilisiert werden, die makroökonomischen Voraussetzungen für Wachstum wurden geschaffen. 2016 ist die Wirtschaft erstmals seit Jahren wieder gewachsen (gut 1 %). Die Jahresinflation sank 2016 auf gut 12 % (nach ca. 43 % im Vorjahr). Die Realeinkommen sind um einige Prozent gestiegen, nachdem sie zuvor zwei Jahre lang jeweils um zweistellige Prozentzahlen gefallen waren. Der (freie) Wechselkurs der Hrywnja ist etwa seit dem Frühjahr 2015 weitgehend stabil, Zahlungsbilanzungleichgewichte nahmen deutlich ab. Ohne internationale Finanzhilfen durch IWF und andere wäre die Ukraine aber vermutlich weiterhin mittelfristig zahlungsunfähig. Regierung und Nationalbank bemühen sich bislang erfolgreich, die harten Auflagen, die mit den IWF-Krediten einhergehen, zu erfüllen (u. a. Sparhaushalt auch für 2017 verabschiedet; Abbau der Verbraucherpreissubventionen für Energie; erhebliche, Konsolidierung des Bankensektors, marktwirtschaftliche Reformen, Deregulierung) (AA. 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Sozialsystem

 

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser z. T. nicht ganztägig zur Verfügung. Die Situation gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kinder bleibt daher karg. Ohne zusätzliche Einkommensquellen bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar in der Regel regelmäßig gezahlt, sind aber größtenteils sehr niedrig (AA 7.2.2017).

 

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Änderungen in den Anspruchsanforderungen, in der Finanzierung des Systems und der Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP 2013 auf 18,5% 2015 weiter auf 17,8% vor allem wegen der Reduktion von Sozialleistungen besonders im Bereich der Pensionen. Alleinstehende Personen mit Kindern können in Form einer Beihilfe für Alleinerziehende staatlich unterstützt werden. Gezahlt wird diese für Kinder, die jünger als 18 Jahre alt sind (bzw. Studenten unter 23 Jahren). Die Zulage orientiert sich am Existenzminimum für Kinder (entspricht 80% des Existenzminimums für alleinstehende Personen) und dem durchschnittlichen Familieneinkommen. Außerdem existiert eine Hinterbliebenenrente. Der monatlich ausgezahlte Betrag beträgt 50% der Rente des Verstorbenen für eine Person, bei zwei oder mehr Hinterbliebenen werden 100% ausgezahlt. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden. Hinzu kommt ein Zuschuss bei der Geburt oder bei der Adoption eines Kindes sowie die oben erwähnte Beihilfe für Alleinerziehende. Der Geburtszuschuss beträgt ab Mai 2017 46.680 Hrywnja (ca. 1.400 Euro). Der Adoptionszuschuss (der sich nicht nur auf Adoption, sondern auch auf Kinder unter Vormundschaft bezieht) beläuft sich ab Mai 2017 auf bei Kindern von 0-5 Jahren auf monatlich 1.167 Hrywnja (ca. 40€) und für Kinder von 6-18 Jahren auf 1.455 Hrywnja (ca. 50 Euro). Der Mutterschutz beginnt sieben Tage vor der Geburt und endet in der Regel 56 Tage danach. Arbeitende Frauen erhalten in dieser Periode 100% des Lohns. Bis das Kind 3 Jahre alt ist bekommt die Mutter zwischen 130 (ca. 4,5 Euro) und 1.450 Hrywnia (ca. 50 Euro). Eine Vaterschaftskarenz gibt es nicht. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 975 Hrywnja (ca. 39 Euro) und maximal 4.872 Hryvnja (169 Euro) Arbeitslosengeld pro Monat. Nicht versicherte arbeitslose erhalten mindestens 544 Hryvnja (ca. 19 Euro). Das Arbeitslosengeld setzt sich wie folgt zusammen: mit weniger als zwei Beschäftigungsjahren vor dem Verlust der Arbeit beträgt die Berechnungsgrundlage 50% des durchschnittlichen Verdienstes; bei zwei bis sechs Jahren sind es 55%; bei sieben bis zehn Jahren 60% und bei mehr als zehn Jahren 70% des durchschnittlichen Verdienstes. In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70%. Die gesetzlich verpflichtende Pensionsversicherung wird durch den Pensionsfonds der Ukraine verwaltet, der sich aus Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aus Budgetmitteln und diversen Sozialversicherungsfonds speist. Arbeitsmigranten können sich freiwillig an diesem Pensionsfonds beteiligen. Spezielle Pensionsschemata existieren u.a. für Öffentlich Bedienstete, Militärpersonal, Richter und verschiedene Berufsgruppen aus der Schwerindustrie. Neben der regulären Alterspension kommen Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten zur Auszahlung. Mit dem am 6. September 2011 im ukrainischen Parlament verabschiedeten "Gesetz zur Pensionsreform" wird sich das ursprüngliche Pensionsantrittsalter für Frauen von 55 Jahren in einem Übergangszeitraum auf das der Männer, welches bei 60 Jahren liegt, angleichen. Private Pensionsvereinbarungen sind seit 2004 gesetzlich möglich. Eine vor allem von internationalen Geldgebern geforderte neue Pensionsreform zur Reduzierung des großen strukturellen Defizits des staatlichen Pensionsfonds ist derzeit in Arbeit und wurde von der Regierung mehrmals versprochen, vorerst jedoch noch nicht angenommen. Im Jahr 2016 belief sich die Durchschnittspension auf 1699,5 Hrywnja (ca. 59 Euro), die Invaliditätsrente auf 1545,2 Hrywnja (ca. 53,5 Euro) und die Hinterbliebenenpension 1640,3 Hrywnja (ca. 57 Euro) . Die meisten Pensionisten sind daher gezwungen weiter zu arbeiten. Die Ukraine hat mit 12 Millionen Pensionisten (entspricht knapp einem Drittel der Gesamtbevölkerung) europaweit eine der höchsten Quoten in diesem Bevölkerungssegment, was sich auch im öffentlichen Haushalt wiederspiegelt: 2009 wurde mit 18% des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine, das für Pensionszahlungen aufgewendet wurde, ein Rekordwert erreicht. Zum Stand 2014 sank diese Zahl immerhin auf 17,2%, bleibt jedoch weiterhin exorbitant hoch (ÖB 4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgung ist der Regel nach kostenlos und flächendeckend. Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronische, auch innere und psychische Krankheiten behandelt werden können, existieren sowohl in der Hauptstadt Kiew als auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal. Dennoch ist gelegentlich der Beginn einer Behandlung korruptionsbedingt davon abhängig, dass der Patient einen Betrag im Voraus bezahlt oder Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft. Neben dem öffentlichen Gesundheitswesen sind in den letzten Jahren auch private Krankenhäuser beziehungsweise erwerbswirtschaftlich geführte Abteilungen staatlicher Krankenhäuser gegründet worden. Die Dienstleistungen der privaten Krankenhäuser sind jedoch für den größten Teil der ukrainischen Bevölkerung nicht bezahlbar. Fast alle gebräuchlichen Medikamente werden im Land selbst hergestellt. Die Apotheken führen teilweise auch importierte Arzneien. In den Gebieten Donezk und Lugansk (unter Kontrolle der ukrainischen Regierung) leidet die medizinische Versorgung jedoch unter kriegsbedingten Engpässen: so wurden einige Krankenhäuser beschädigt und/oder verloren wesentliche Teile der Ausrüstung; qualifizierte Ärzte sind nach Westen gezogen. Im Donezker Gebiet gibt es zurzeit keine psychiatrische Betreuung, da das entsprechende Gebietskrankenhaus vollständig zerstört ist. Das Gebietskrankenhaus des Lugansker Gebiets musste sämtliche Ausrüstung zurücklassen und konnte sich nur provisorisch in Rubeschne niederlassen. Eine qualifizierte Versorgung auf sekundärem Niveau (oberhalb der Versorgung in städtischen Krankenhäusern) ist dort zurzeit nicht gegeben (AA 7.2.2017).

 

Gemäß Verfassung haben ukrainische Bürger kostenlosen Zugang zu einem umfassenden Paket an Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen. Es gibt kein beitragsgestütztes staatliches Krankenversicherungsschema. Das System wird durch allgemeine Steuern finanziert, aber es herrscht chronischer Geldmangel (BDA 13.7.2015).

 

Die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen orientieren sich am Erhalt der Infrastruktur und der Belegschaft der Krankenhäuser, nicht aber an der notwendigen Behandlung. Da in der ukrainischen Verfassung zwar für alle Bürger der freie Zugang zur Gesundheitsfürsorge garantiert ist, jedoch keine spezifischen Verpflichtungen für den Staat und die Krankenhäuser genannt werden bzw. die Verteilung der zugewiesenen Budgetmittel den konkreten Gesundheitseinrichtungen obliegt, ist der Nährboden für Intransparenz und die Notwendigkeit für informelle Zuwendungen durch die Patienten gelegt. Die Patienten müssen somit in der Praxis die meisten Leistungen selbst bezahlen: Behandlungen, Medikamente, selbst das Essen und oft auch das Krankenbett. Patienten, die diese Kosten nicht aufbringen können, werden in der Regel schlecht oder gar nicht behandelt (ÖB 4.2017).

 

Aufgrund der wirtschaftlichen Lage hat die Regierung mehrere Versuche unternommen, den Umfang der garantierten medizinischen Leistungen einzuschränken. Hierzu wurde es staatlichen Gesundheitseinrichtungen erlaubt für bestimmte nicht lebensnotwendige Leistungen vom Patienten (oder dessen etwaiger privater Krankenversicherung) eine Gebühr zu verlangen. Die Entscheidung, welche Leistungen kostenlos erfolgen, obliegt dem Gesundheitsdienstleister. Dies führte zu mangelnder Transparenz des Systems und zu einer Erhöhung der bereits bestehenden informellen Zahlungen. Es gibt keine klare Linie zwischen kostenlosen und kostenpflichtigen medizinischen Leistungen. Zahlungen aus eigener Tasche machten 2012 42,3% der gesamten Gesundheitsausgaben aus, und sie nehmen in allen Bereichen zu: offizielle Servicegebühren, Medikamente und informelle Zahlungen. Schätzungen zufolge sind zumindest 10% aller Geldflüsse im ukrainischen Gesundheitswesen unter dem Begriff "informelle Zahlungen" zu subsumieren. In der Regel werden derartige Zuwendungen vor der entsprechenden Behandlung geleistet. Die Höhe der Zuwendung bestimmt in der Folge die Qualität und die Schnelligkeit der Behandlung (BDA 13.7.2015; vgl. ÖB 4.2017).

 

Während die medizinische Versorgung in Notsituationen in den Ballungsräumen als befriedigend bezeichnet werden kann, bietet sich auf dem Land ein differenziertes Bild: jeder zweite Haushalt am Land hat keinen Zugang zu medizinischen Notdiensten. Die hygienischen Bedingungen vor allem in den Gesundheitseinrichtungen am Land sind oftmals schlecht. Aufgrund der niedrigen Gehälter und der starken Motivation gutausgebildeter Mediziner, das Land für bessere Verdienst- und Karrieremöglichkeiten im Ausland zu verlassen, sieht sich das ukrainische Gesundheitssystem mit einer steigenden Überalterung seines Personals und mit einer beginnenden Ausdünnung der Personaldecke, vor allem auf dem Land und in Bereichen der medizinischen Grundversorgung, konfrontiert (ÖB 4.2017).

 

Medikamente sollten grundsätzlich kostenlos sein, mit der Ausnahme spezieller Verschreibungen im ambulanten Bereich - und selbst hier gibt es gesetzliche Ausnahmen, die Angehörige bestimmter Gruppen und Schwerkranke (Tbc, Krebs, etc.) offiziell von Kosten befreien. In der Realität müssen Patienten die Medikamente aber meist selbst bezahlen. Dies trifft vor allem auf Verschreibungen nach stationärer Aufnahme in Spitälern zu. Viele Ukrainer zögern aus finanziellen Gründen Behandlungen hinaus bzw. verzichten ganz darauf. Andere verkaufen Eigentum oder leihen sich Geld, um eine Behandlung bezahlen zu können (BDA 13.7.2015; vgl. ÖB 4.2017).

 

Das Budget für den staatlichen Gesundheitssektor deckt z.B. die Behandlungskosten nur für 30% der Patienten mit HIV, für 37% der Patienten mit Tuberkulose, für 9% der Patienten mit Hepatitis, für 66% der Kinder mit Krebserkrankung und für 27% der erwachsenen Patienten mit Hämophilie. Die Finanzierung ist kompliziert, was zu Unterbrechungen und damit zu ernsthaften Risiken für die Patienten führen kann (OHCHR 3.6.2016).

 

Eine umfangreiche Reform des Gesundheitssystems ist derzeit in Planung bzw. befindet sich in einem sehr frühen Stadium der Umsetzung, schreitet jedoch nur langsam voran. Geplant sind unter anderem Schritte in Richtung einer stärkeren Dezentralisierung, eine gesetzliche Krankenversicherung, stärkere Autonomie von Kliniken, Krankenhäusern und Ärzten usw. (ÖB 4.2017).

 

Private medizinische Behandlung und private Krankenversicherungen sind vorhanden, vor allem in den urbanen Zentren. Diese sind teuer, die Qualität ist dafür oft höher als in öffentlichen Krankenhäusern. Der Privatsektor ist klein und besteht überwiegend aus Apotheken, stationären und ambulanten Diagnoseeinrichtungen, und privat praktizierenden Ärzten. Beratungsgebühren variieren zwischen 180 UAH (Allgemeinmediziner) und 210 UAH (Spezialist). Private Krankenversicherungen werden üblicherweise von Personen mit gesundheitlichen Problemen abgeschlossen, um die Kosten der Behandlung in Bezug auf Direktzahlungen zu reduzieren, ein höheres Maß an Komfort zu erhalten, oder Wartelisten zu vermeiden. In der Regel sind ältere Menschen (60-70 Jahre) und Personen mit Krebs, Tuberkulose, Diabetes, HIV usw. aber ausgeschlossen. Es gibt auch Krankenfonds, eine Art nicht-kommerzielle private Krankenversicherung, die 2013 1,4% der ukrainischen Bevölkerung umfassten und für ihre Mitglieder die Direktzahlungen bzw. Kosten für Medikamente usw. ganz oder teilweise übernehmen (BDA 13.7.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rückkehr

 

Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurückgekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Um neue Dokumente zu beantragen, müssen sich Rückkehrer an den Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich - wie bei anderen Personengruppen auch - Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien und dem vorgebrachten Fluchtgrund:

 

Die Feststellungen zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien und ihren persönlichen und familiären Verhältnissen ergeben sich aus den dahingehenden Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin vor dem BFA in Zusammenschau mit den im Original in Vorlage gebrachten ukrainischen Inlandspässen des Erstbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin sowie der österreichischen Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers. Die Feststellungen zur Herkunft und Volksgruppenzugehörigkeit, zu den Sprachkenntnissen und zum Reiseweg der beschwerdeführenden Parteien gründen darüber hinaus auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zur Ukraine deckenden - Aussagen der beschwerdeführenden Parteien zu zweifeln.

 

Die Feststellung, dass die beschwerdeführenden Parteien jeweils an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leiden, ergibt sich aus deren Angaben im Rahmen ihrer Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Zusammenschau mit den durch die Drittbeschwerdeführerin in Vorlage gebrachten ärztlichen Unterlagen, welchen sich entnehmen lässt, dass die Drittbeschwerdeführerin im Bundesgebiet aufgrund der Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung respektive einer Depression in psychiatrischer/psychotherapeutischer Behandlung stand. Aus den vorliegenden Länderberichten ergibt sich, dass in der Ukraine eine flächendeckende medizinische Grundversorgung besteht, sodass der Drittbeschwerdeführerin auch nach einer Rückkehr und auch im Falle einer Niederlassung außerhalb ihrer Herkunftsregion die Möglichkeit offen stehen wird, die Behandlung ihrer psychischen Erkrankung - inklusive der Einnahme der ihr verschriebenen handelsüblichen Medikamente (Sertralin und Praxiten) - fortzusetzen. Entgegenstehende Befürchtungen hat die Drittbeschwerdeführerin im Verfahren nicht geäußert.

 

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Parteien ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

 

Die Feststellung, dass dem Erstbeschwerdeführer aufgrund des von ihm geschilderten Ausreisegrundes - insbesondere im Falle der Niederlassung in einem unter Kontrolle der ukrainischen Zentralverwaltung stehenden Landesteil - keine individuelle Verfolgung von staatlicher oder privater Seite droht, beruht auf dem Umstand, dass auch unter Zugrundelegung der geschilderten ausreisekausalen Vorfälle als wahr nicht erkannt werden kann, in wie fern der Genannte aufgrund der Festnahme durch (pro)russische Soldaten und der erzwungenen kurzfristigen Tätigkeit auf einem ihrer Kontrollposten im Juni 2015 im Falle einer Rückkehr in das unter ukrainischer Kontrolle stehende Staatsterritorium einer Gefährdung durch Behörden oder Privatpersonen ausgesetzt sein sollte.

 

Der Erstbeschwerdeführer schilderte ausdrücklich eine im Osten der Ukraine erlebte Entführung und Anhaltung durch prorussische Separatisten und nannte mit Bezug auf jenen Vorfall seine Furcht vor einer Zwangsrekrutierung respektive vor Repressalien aufgrund seiner Flucht aus dem Zugriffsbereich der Separatisten, hingegen äußerte er keine Probleme mit den Behörden des ukrainischen Staatsapparates. Die Begründung des angefochtenen Bescheides hat demnach - wenn auch dem Beschwerdevorbringen, wonach sich Teile der Beweiswürdigung als unklar erweisen (insbesondere soweit anhand jenes Vorfalls auf die Vorschriften über Desertion vom ukrainischen Militärdienst verwiesen und ein tatsächlich nicht vorhandener Widerspruch bezüglich der Festnahmedauer angeführt wurde), zu folgen ist - im Ergebnis zutreffend aufgezeigt, dass es den beschwerdeführenden Parteien möglich sein würde, sich den vom Erstbeschwerdeführer dargelegten Verfolgungsbefürchtungen, so diese als zutreffend respektive aktuell anzusehen wären, durch die Niederlassung in einem unter faktischer Kontrolle der Ukraine stehenden Landesteil, welcher dem Zugriff der prorussischen Militärangehörigen entzogen ist, zu entziehen. Es kann keinesfalls angenommen werden, dass die im faktisch von ihnen kontrollierten Gebiet Donezk agierenden Separatisten den Erstbeschwerdeführer aufgrund des von ihm geschilderten Umstandes, er wäre im Juni 2015 entgegen seiner Zusage nicht an deren Kontrollposten zurückgekehrt, an welchem er infolge einer willkürlich erfolgten Festnahme erzwungenermaßen tätig werden habe müssen, nunmehr auf dem gesamten Staatsgebiet suchen und aktiv verfolgen würden. Der Erstbeschwerdeführer, welcher keinerlei besondere Stellung innerhalb der ukrainischen Gesellschaft respektive der Kampfhandlungen im damaligen Zeitraum innegehabt hat, sondern seinen Angaben zufolge nie politisch tätig gewesen ist, sich an keinen Kampfhandlungen beteiligte und zufällig durch pro-russische Separatisten auf der Straße aufgegriffen wäre, hat nicht im Ansatz aufgezeigt, weshalb er für die Separatisten eine derartige Wichtigkeit besitzen würde, als dass diese ihn mehr als vier Jahre nach dem Vorfall und auch in außerhalb ihres Zugriffsbereichs gelegenen Landesteilen aktiv verfolgen bzw. neuerlich zwangsrekrutieren würden. Vor diesem Hintergrund kann kein Risiko erkannt werden, dass der Erstbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund seiner "Desertion" vom prorussischen Militär nunmehr Repressalien respektive der Gefahr einer zwangsweisen Heranziehung zu Kampfeinsätzen auf deren Seite ausgesetzt sein würde. Auch unter Zugrundelegung des vom Erstbeschwerdeführers geschilderten Ausreisegrundes als wahr, besteht für ihn demnach die Möglichkeit der Niederlassung in einem verfolgungssicheren Gebiet innerhalb seines Herkunftsstaates, welche diesem, wie sogleich aufzuzeigen sein wird, auch zumutbar ist.

 

Festzuhalten ist, dass der der Erstbeschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Rückkehrbefürchtungen ausschließlich auf den dargelegten Sachverhalt sowie die allgemeine Lage in seiner Herkunftsregion Donezk gestützt, jedoch trotz ausreichender diesbezüglicher Gelegenheit keine weiteren Befürchtungen für den Fall seiner Rückkehr geäußert hat.

 

Bereits anlässlich der Erstbefragung am 30.06.2015 beschränkte er die - vergleichsweise ausführliche Schilderung seines Fluchtgrundes - auf die im Raum Donezk erlebte Festnahme durch russische Militärangehörige/Separatisten. Gleichermaßen beschränkte er die Gründe seiner Flucht und seiner Befürchtungen im Falle einer Rückkehr im Rahmen seiner ausführlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 21.11.2017 auf jenen Vorfall im Juni 2015 und legte - auch auf mehrfache Nachfrage des Einvernahmeleiters hin - keine darüberhinausgehenden Rückkehrbefürchtungen dar. Insbesondere hat der Erstbeschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt eine befürchtete Verfolgung durch die ukrainischen Behörden angesprochen, sondern auf die Frage, nach den Gründen, die einer Niederlassung in einem zentralen oder westlichen Landesteil aus seiner Sicht entgegenstünden, lediglich auf die negative Einstellung der dortigen Bevölkerung gegenüber Personen aus dem Raum Donezk verwiesen, welche als "Verräter" angesehen würden.

 

Wenn demnach in der Beschwerde nun erstmals eine vom Erstbeschwerdeführer befürchtete Verfolgung durch ukrainische Sicherheitsbehörden aufgrund einer ihm angesichts der geschilderten erzwungenen kurzfristigen Tätigkeit auf einem Militärposten der prorussischen Separatisten unterstellten staatsfeindlichen politischen Gesinnung in den Raum gestellt wird, ist zunächst darauf zu verweisen, dass jenes Vorbringen unter das in § 20 Abs. 1 BFA-VG normierte Neuerungsverbot fällt. Gemäß der zitierten Bestimmung dürfen in einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden, wenn (1.) sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach der Entscheidung des Bundesamtes maßgeblich geändert hat; (2.) das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft war; (3.) diese dem Fremden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes nicht zugänglich waren oder (4.) der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen.

 

Die Beschwerde hat in keiner Weise aufgezeigt, weshalb der Erstbeschwerdeführer nicht in der Lage hätte sein sollen, entsprechende Rückkehrbefürchtungen - so sie tatsächlich vorliegen - bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzubringen, zumal sich aus dem Protokoll der Einvernahme vom 21.11.2017 ergibt, dass dieser jedenfalls ausreichend Gelegenheit zur Schilderung seiner Rückkehrbefürchtungen erhalten hat und ihm eine allfällige Furcht vor Verfolgung durch den ukrainischen Staatsapparat zudem schon zum damaligen Zeitpunkt hätte bekannt sein müssen. Die Beschwerde hat demnach nicht aufgezeigt, dass einer der in § 20 Abs. 1 Z 1 bis 4 BFA-VG normierten Ausnahmetatbestände vorliegt (vgl. etwa VwGH 5.9.2016, Ra 2015/01/0180).

 

Ungeachtet dessen ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass die Beschwerde die behauptete Furcht vor Verfolgung durch ukrainische Behörden lediglich überaus spekulativ in den Raum stellt und in keiner Weise substantiiert. Hierzu ist einerseits darauf zu verweisen, dass die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid in anderem Zusammenhang zutreffend ausgeführt hat, dass eine Verfolgung durch ukrainische Behörden bereits deshalb nicht glaubhaft ist, da es den beschwerdeführenden Parteien eigenen Angaben zufolge möglich gewesen ist, im Zuge ihrer Ausreise auf dem Weg von Donezk nach Kiev mehrere Kontrollposten der ukrainischen Armee problemlos zu passieren, was im Falle einer Verfolgung durch die ukrainischen Behörden aufgrund einer unterstellten separatistischen Tätigkeit keinesfalls der Fall gewesen wäre. Gleichermaßen blieb auch die auf dem Bahnhof in Kiev geschilderte Interaktion mit ukrainischen Polizisten, anlässlich derer er zur Abnahme ihrer Reisepässe gekommen wäre, ohne Konsequenzen, was ebenfalls gegen ein Interesse der ukrainischen Behörden an der Person des Erstbeschwerdeführers spricht. Es kann auch sonst keinesfalls angenommen werden, dass den ukrainischen Behörden die kurzfristige Festnahme des Erstbeschwerdeführers durch Separatisten und erzwungene rund eintägige Tätigkeit auf einem Kontrollposten überhaupt bekannt geworden wäre respektive dass diese, sollte ihnen dieser Sachverhalt tatsächlich zur Kenntnis gelangt sein, vor diesem Hintergrund ein Interesse an einer Verfolgung des Erstbeschwerdeführers aufweisen würden. Wie an anderer Stelle dargelegt, wurde dieser laut seinen Angaben gegen seinen Willen von russischen Militärangehörigen festgenommen und war in der Folge rund einen Tag lang auf einem ihrer Kontrollposten stationiert. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat der Erstbeschwerdeführer nicht vorgebracht, zu irgendeinem Zeitpunkt gegen die ukrainischen Behörden gekämpft zu haben. Weshalb dem Erstbeschwerdeführer aufgrund der Festnahme und erzwungenen sowie lediglich sehr kurzfristigen Tätigkeit für die pro-russischen Separatisten nun mehr als vier Jahre später Repressalien von Seiten der Behörden der Ukraine, eines sicheren Herkunftsstaates, drohen sollten, erschließt sich in keiner Weise und wurde auch von der Beschwerde nicht weiter konkretisiert.

 

In gleicher Weise ist bezüglich des ebenfalls erstmals in der Beschwerde geäußerten Vorbringens hinsichtlich einer Furcht des Erstbeschwerdeführers vor einer strafrechtlichen Verfolgung durch die ukrainischen Behörden wegen Nichtbefolgung einer Mobilisierung bzw. Desertion auf das in § 20 Abs. 1 BFA-VG statuierte Neuerungsverbot zu verweisen.

 

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sich aus den Angaben des Erstbeschwerdeführers kein Hinweis auf eine ihm tatsächlich drohende Einberufung respektive ein Strafverfahren wegen der Entziehung vom Wehrdienst ergibt, zumal dieser zu keinem Zeitpunkt vorgebracht hat, einen Einberufungsbefehl seitens des ukrainischen Militärs erhalten zu haben. Die Ausführungen in der Beschwerde erweisen sich demnach als bei weitem zu spekulativ, um anzunehmen, dass gegen den Erstbeschwerdeführer tatsächlich ein Strafverfahren wegen Entziehung vom Wehrdienst eingeleitet worden wäre, in dessen Rahmen allenfalls eine Gefängnisstrafe verhängt werden könnte. Zudem lässt sich den Länderberichten entnehmen, dass es in der Praxis nur in vergleichsweise wenigen Fällen von Wehrdienstentziehung tatsächlich zur Einleitung eines Strafverfahrens und Erhebung einer Anklage gekommen sei und es bislang kaum Verurteilungen gegeben hätte. In Zusammenschau lässt sich demnach kein Risiko erkennen, dass der Erstbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Ukraine tatsächlich von einer Haftstrafe bedroht wäre, sodass auf den Verweis in der Beschwerde auf die teils problematischen Haftbedingungen in ukrainischen Gefängnissen nicht näher einzugehen ist. Im Übrigen lässt sich den Angaben des Erstbeschwerdeführers kein Hinweis darauf entnehmen, dass eine allfällige Einberufung seiner Person durch die Behörden der Ukraine nicht in gesetzeskonformer Weise erfolgen würde und ein Sachverhalt vorliegt, aufgrund dessen er internationalen Schutzes bedürfte (siehe dazu Punkt 3.2.).

 

Aufgrund der, wie dargestellt, rein spekulativen Befürchtungen des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich einer Verfolgung in den von der Ukraine kontrollierten Landesteilen sowie dem unsubtantiierten Beschwerdevorbringen, in welchem ebenfalls kein Sachverhalt aufgezeigt wurde, welcher eine Gefährdung seiner Person in den von der Ukraine kontrollierten Landesteilen erklärbar erscheinen ließe, ist die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Erstbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Verfolgung von staatlicher oder privater Seite zu befürchten hat.

 

Da die Drittbeschwerdeführerin in ihrem eigenen Verfahren sowie im Hinblick auf den von ihr gesetzlich vertretenen minderjährigen Zweitbeschwerdeführer darüber hinaus keine individuellen Verfolgungsbefürchtungen geäußert hat, sondern sich ausschließlich auf die Gründe des Erstbeschwerdeführers sowie die allgemein prekäre Sicherheitslage in ihrer Heimatregion im Osten der Ukraine berufen hat, war die Feststellung zu treffen, dass auch der Drittbeschwerdeführerin und dem minderjährigen Zweitbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine individuelle Gefährdung von staatlicher oder privater Seite droht.

 

Den vorliegenden Länderberichten lassen sich zudem keine Hinweise auf eine etwaige Verfolgung oder maßgebliche Diskriminierung der beschwerdeführenden Parteien in zentralen oder westlichen Teilen der Ukraine aufgrund ihrer Herkunft aus dem Raum Donezk entnehmen.

 

Die Feststellungen zur Rückkehrsituation der beschwerdeführenden Parteien sowie der für sie zumutbaren Möglichkeit einer Niederlassung in einem außerhalb ihrer Herkunftsregion Donezk gelegenen Landesteil, etwa in der Hauptstadt Kiev, ergeben sich darüber hinaus aus den Ausführungen des Erstbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin zu ihren individuellen Umständen, zu ihren Lebensumständen im Vorfeld ihrer Ausreise, zu ihren familiären Anknüpfungspunkten in der Ukraine sowie aus den vorliegenden Länderberichten.

 

Die Beschwerde ist den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, demnach der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes zu einer uneingeschränkten Teilnahme am Erwerbsleben fähig sind und ihren Lebensunterhalt wie bereits vor ihrer Ausreise eigenständig bestreiten werden können, nicht entgegengetreten. Die Beschwerde hat nicht aufgezeigt, weshalb es der Familie nicht auch in außerhalb ihrer Herkunftsregion Donezk gelegenen Landesteilen möglich sein sollte - nach allfälligen Startschwierigkeiten - eine neue Existenz aufzubauen und ein Leben unter würdigen Bedingungen zu führen. Hierzu ist festzuhalten, dass sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Drittbeschwerdeführerin über eine fundierte Ausbildung (Berufsausbildung als Elektroschweißer respektive Hochschulabschluss im Bereich der Wirtschaft) sowie über Berufserfahrung (als Tischler respektive Ökonomin in einer Firma) verfügen und sich diese Kenntnisse auch am Arbeitsmarkt in anderen Landesteilen zu Nutze machen könnten. Zudem ist festzuhalten, dass sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Drittbeschwerdeführerin muttersprachliche Kenntnisse sowohl der russischen als auch der ukrainischen Sprache aufweisen und zudem über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in der Ukraine verfügen, welche ihnen im Bedarfsfall finanzielle Unterstützung zukommen lassen könnten. Zudem bestünde für sie die Möglichkeit, auf staatliche Leistungen des ukrainischen Sozialsystems bzw. für Binnenflüchtlinge zurückzugreifen und Rückkehrhilfe im Sinne des § 52a BFA-VG in Anspruch zu nehmen. Was die bei der Drittbeschwerdeführerin diagnostizierten psychischen Erkrankungen betrifft, ist festzuhalten, dass diese selbst zu keinem Zeitpunkt äußerte, dass sie vor diesem Hintergrund in ihrer Möglichkeit, am Erwerbsleben teilzunehmen, eingeschränkt sein würde, vielmehr gab sie an, dass sie im Falle eines Verbleibs im Bundesgebiet alle Arbeiten verrichten könnte und vorzugsweise eine eigene Bäckerei eröffnen würde. Wie an anderer Stelle dargelegt, wird es dieser möglich sein, auch nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat und Niederlassung in einem faktisch von der Ukraine kontrollierten Landesteil ihre Behandlung fortzusetzen. Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass IDPs grundsätzlich ein Recht auf medizinische und psychologische Behandlung in den kommunalen medizinischen Einrichtungen am Ort der Wohnsitzmeldung zukommt. Auch unter Berücksichtigung der Sorgepflichten der erst- und drittbeschwerdeführenden Parteien für den im Jahr 2018 im Bundesgebiet geborenen Zweitbeschwerdeführer ergibt sich keine Unzumutbarkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat und Ansiedelung in einem zentralen oder westlichen Landesteil, zumal diese, wie dargelegt, aufgrund ihrer individuellen Umstände dazu in der Lage sind, den Lebensunterhalt der Familie eigenständig zu erwirtschaften und im Bedarfsfall auf ein familiäres Netz zurückgreifen könnten, sodass es ihnen auch in anderen Landesteilen möglich sein wird, eine Unterkunft anzumieten.

 

Soweit die beschwerdeführenden Parteien vorbrachten, eine Niederlassung in der Zentral- oder Westukraine sei ihnen deshalb unmöglich, da sie dort aufgrund ihrer Herkunft als Verräter erachtet würden und in diesem Zusammenhang einen Vorfall schilderten, als ihnen nach ihrer Ankunft am Bahnhof in Kiev durch Privatpersonen die Vermittlung einer Unterkunft verweigert und seitens Polizisten die Zahlung eines Bestechungsgeldes eingefordert worden wäre, ist festzuhalten, dass sich den vorliegenden Länderberichten in Zusammenschau mit laufender Medienbeobachtung - ungeachtet der Frage, ob sich der geschilderte Vorfall im Juni 2015 tatsächlich zugetragen hat - keine generelle maßgebliche Diskriminierung ehemaliger Bewohner der Ostukraine durch die ukrainischen Behörden respektive die Gesellschaft in zentralen oder westlichen Landesteilen entnehmen lässt. Vielmehr führen die Länderberichte Maßnahmen der ukrainischen Regierung zur Unterstützung von Binnenflüchtlingen an. Zwar gebe es Hinweise auf regional unterschiedlich ausgeprägte Diskriminierung und Vorurteile gegen Binnenvertriebene, welchen jedoch eher ökonomische Motive zugrunde liegen würden und die jedenfalls kein Ausmaß erreichen, welches dazu führt, dass eine Niederlassung in anderen Landesteilen als unzumutbar zu erachten wäre. Sollten die beschwerdeführenden Parteien infolge ihrer Rückkehr tatsächlich maßgebliche Probleme in Zusammenhang mit ihrer Herkunft aus Donezk erleben, so stünde es ihnen zudem offen, ein allfälliges strafrechtsrelevantes Fehlverhalten bei den Behörden ihres Herkunftsstaates zur Anzeige zu bringen. Auch die Beschwerde hat lediglich pauschal in den Raum gestellt, dass den beschwerdeführenden Parteien eine Niederlassung in einem anderen Teil der Ukraine aufgrund ihrer Herkunft aus Donezk nicht möglich sein würde, jedoch kein Berichtsmaterial angeführt, welches ein solches Vorbringen objektiv untermauern würde. Der von den beschwerdeführenden Parteien ins Treffen geführte Umstand, dass sie aufgrund ihres Dialekts sofort als aus der Region Donezk stammend zu erkennen wären, steht einer Niederlassung in einem faktisch unter ukrainischer Kontrolle stehenden Landesteil außerhalb der Konfliktgebiete demnach nicht entgegen.

 

2.2. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Sie wurden in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegt und in der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen. Die beschwerdeführenden Parteien sind den Feststellungen, demzufolge in der Ukraine eine weitgehend unbedenkliche Sicherheitslage sowie eine ausreichende Grundversorgung besteht, nicht entgegengetreten. Insofern die herangezogenen Länderberichte Quellen älteren Datums enthalten, ist festzuhalten, dass sich die entscheidungsrelevante Lage infolge laufender Medienbeobachtung im Wesentlichen als unverändert darstellt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Ukraine um einen Staat handelt, der zwar etwa im Hinblick auf Korruption Defizite aufweist, darüber hinaus aber - mit Ausnahme der teils umkämpften Gebiete der Ostukraine - weder von bürgerkriegsähnlichen Zuständen noch Kampfhandlungen betroffen ist, und auch sonst nicht - etwa im Vergleich zu Krisenregionen wie Afghanistan, Irak, Somalia, Syrien, u.a. - als Staat mit sich rasch ändernder Sicherheitslage auffällig wurde (vgl. dazu etwa VfGH 21.09.2017, Zl. E 1323/2017-24, VwGH 13.12.2016, Zl. 2016/20/0098). Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass die Ukraine aufgrund der Ermächtigung nach § 19 Abs. 5 Z 2 BFA-VG laut § 1 Z 14 der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung - HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, als sicherer Herkunftsstaat gilt, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der ukrainischen Behörden spricht (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2017/01/0292-12, mwN).

 

Der nach den erfolgten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen eingetretene Regierungswechsel hat keine Auswirkungen aus die Situation der Beschwerdeführer.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

 

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

 

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

 

Die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

 

Der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften ist iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

 

3.2.2. Soweit sich der Erstbeschwerdeführer auf eine ihm drohende Zwangsrekrutierung durch im Raum Donezk agierende prorussische Militärangehörige respektive von deren Seite befürchtete Repressalien aufgrund seiner Flucht aus deren Zugriffsbereich im Juni 2015 berief, ist festzuhalten, dass unabhängig von einer abschließenden Beurteilung der Glaubwürdigkeit jenes Vorbringens auch im Falle einer Wahrunterstellung keine Asylrelevanz gegeben ist, zumal es dem Erstbeschwerdeführer jedenfalls möglich wäre, sich dem Zugriffsbereich der potentiellen Verfolger durch Umzug in einen von der ukrainischen Zentralverwaltung kontrollierten Landesteil zu entziehen:

 

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist gemäß Abs. 2 leg.cit. auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.

 

In Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates wesentliche Bedeutung hat. Es muss daher mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen (vgl. VwGH 23.1.2018; Ra 2018/18/0001, Rn. 12 und 20 und jüngst VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 122). Überdies hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Er hat dabei insbesondere hervorgehoben, dass es sich beim Kriterium der "Zumutbarkeit" um ein eigenständiges Kriterium handelt, dem neben Art. 3 EMRK Raum gelassen wird. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (vgl. wiederum etwa VwGH Ra 2019/14/0153, mwN). Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. zum Ganzen wiederum VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, und aus der jüngeren Rechtsprechung VwGH 21.5.2019, Ra 2019/19/0069, mwN; VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0546).

 

Wie an anderer Stelle dargelegt, berief sich der Erstbeschwerdeführer auf eine befürchtete Rekrutierung bzw. Verfolgung durch prorussische Separatisten, welche ihn im Jahr 2015 in Donezk festgenommen und zur Teilnahme an Kampfhandlungen auf deren Seite hätten bewegen wollen. Eine Verfolgung oder Bedrohung von Seiten der ukrainischen Behörden machte der Erstbeschwerdeführer in diesem Zusammenhang nicht geltend. Der Erstbeschwerdeführer, welcher seinen Angaben zufolge geflüchtet sei, nachdem er im Juni 2015 von prorussischen Militärangehörigen festgenommen und zur Arbeit an einem ihrer Kontrollposten herangezogen worden sei - wobei ihm bereits nach einem Tag die Flucht gelungen wäre - hat durch dieses Vorbringen keinesfalls einen nachvollziehbaren Grund für eine landesweite Verfolgung seiner Person durch die im Osten der Ukraine agierenden Separatisten aufgezeigt. Dieser wäre demnach in einem von der Ukraine kontrollierten Landesteil von einem Zugriff der pro-russischen Militärangehörigen sicher. Zudem erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass von Seiten der Separatisten mehr als vier Jahre nach der - offensichtlich willkürlich erfolgten - Festnahme und rund ein- bis zweitägigen Gefangenschaft des Erstbeschwerdeführers überhaupt ein Interesse bestehenden würde, diesen aufgrund seiner damaligen Flucht - insbesondere in außerhalb ihres Zugriffsbereichs gelegenen Landesteilen - ausfindig zu machen.

 

Auch sonst ist nicht ersichtlich, weshalb dem Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn eine Niederlassung in einem unter Kontrolle der ukrainischen Zentralverwaltung stehenden Landesteil und die eigenständige Bestreitung ihres Lebensunterhalts in diesem Gebiet nicht möglich sein sollte. Der Erstbeschwerdeführer, welcher an keinen Erkrankungen leidet, beherrscht Russisch und Ukrainisch auf muttersprachlichem Niveau, hat den Beruf des Elektroschweißers erlernt und war mehrjährig als Tischler tätig, sodass es ihm jedenfalls auch außerhalb seiner Herkunftsregion möglich sein wird, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet ebenfalls an keinen körperlichen Erkrankungen und ist zu einer Teilnahme am Erwerbsleben fähig. Sie beherrscht Russisch und Ukrainisch auf muttersprachlichem Niveau, verfügt über Hochschulbildung und Berufserfahrung als Ökonomin. Soweit die beschwerdeführenden Parteien vorgebracht haben, dass aufgrund des von ihnen gesprochenen Dialekts des Ukrainischen ihre Herkunft aus dem Osten der Ukraine zu erkennen wäre und sie demnach Gefahr liefen, von der westukrainischen Gesellschaft als Verräter bezeichnet zu werden, so finden deren Angaben, wonach ihnen eine Niederlassung in einem unter Kontrolle der ukrainischen Zentralverwaltung stehenden Landesteil bereits aufgrund ihrer Herkunft aus dem Raum Donezk nicht möglich bzw. zumutbar sein würde, wie beweiswürdigend dargelegt, im vorliegenden Länderberichtsmaterial keine Deckung. Auch werden diese - unter Berücksichtigung der fundierten Berufsausbildung und -erfahrung der volljährigen beschwerdeführenden Parteien sowie der vorhandenen verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte und des möglichen Bezugs sozialer Leistungen - in der Lage sein, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten, auch außerhalb ihrer Herkunftsregion ein Leben ohne unbillige Härten für sich und ihren minderjährigen Sohn aufzubauen.

 

Dem Erstbeschwerdeführer steht demnach die zumutbare Möglichkeit offen, sich einem allenfalls befürchteten neuerlichen Übergriff durch im Raum Donezk agierende prorussische Separatisten gemeinsam mit seiner Familie durch einen innerstaatlichen Umzug, etwa nach Kiev, zu entziehen.

 

3.2.3. Zur seitens des Erstbeschwerdeführers ferner - erstmals in der Beschwerde -vorgebrachten Furcht vor Ableistung des Militärdienstes in der Ukraine ist auf folgende maßgebliche Judikaturlinie hinzuweisen:

 

Die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling. Der VwGH geht von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung nur in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art 1 Abschn A Z 2 FlKonv angeführten Gründen erfolgt, in denen der Asylwerber damit rechnen müsste, dass er hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (VwGH 11.10.2000, 2000/01/0326).

 

Die Heranziehung zum Militärdienst durch die Behörden eines souveränen Staates erlangt dann Asylrelevanz, wenn eine Schlechterstellung, schlechtere Behandlung oder Unterwerfung unter ein strengeres Strafregime bestimmter, nach Religion oder sozialer Gruppe oder politischer Gesinnung abgegrenzter Personen der zum Wehrdienst herangezogenen Personen droht. Dieser Maßstab gilt aber nicht bei der Zwangsrekrutierung durch eine Rebellenarmee. Die Zwangsrekrutierung durch eine christliche Rebellenarmee, welche alle männlichen Christen ab einem bestimmten Lebensjahr umfasst, bildet allein für sich keinen Asylgrund (VwGH 8.9.1999, 99/01/0167).

 

Es kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (Hinweis E vom 27. April 2011, 2008/23/0124, mwN). Gemäß Art. 3 MRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unmenschliche oder erniedrigende Haftbedingungen wiederholt unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 MRK gewürdigt (vgl. dazu das den Iran betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Oktober 2006, 2005/20/0496, mwN) (VwGH 25.3.2015, Ra 2014/20/0085).

 

In seinem Urteil vom 26. Februar 2015 in der Rechtssache C- 472/13 , Shepherd, sprach der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aus, dass die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit der Strafverfolgung und Bestrafung, die einem Asylwerber in seinem Herkunftsland aufgrund seiner Verweigerung des Militärdienstes drohen würden, eine Prüfung voraussetzt, ob ein solches Vorgehen über das hinausgeht, was erforderlich ist, damit der betreffende Staat sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft ausüben kann (Rz 50). Zu den Gründen, die es rechtfertigen, den Wehrdienst zu verweigern, wird unter anderem gezählt, dass der Militärdienst in einem Konflikt Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie fallen, also etwa Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen werden. Eine Strafverfolgung oder Bestrafung kann in diesem Fall nach Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie als "Verfolgung" gelten. Der EuGH hat in dem zuvor bereits zitierten Urteil Shepherd klargestellt, dass sich auf den Flüchtlingsschutz nicht nur derjenige berufen kann, der den Wehrdienst verweigert, weil er persönlich solche Verbrechen begehen müsste. Es reicht vielmehr aus, dass der Betroffene an solchen Verbrechen nur indirekt beteiligt wäre, etwa weil er nicht zu den Kampftruppen gehört, sondern z.B. einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist. Allerdings ist nach den Darlegungen des EuGH erforderlich, dass es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass der Betroffene sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste (Rz 36 bis 38) (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0330).

 

3.2.4. Wie beweiswürdigend dargelegt, erweisen sich die erstmals in der Beschwerde getätigten Ausführungen hinsichtlich einer dem Erstbeschwerdeführer drohenden Verfolgung wegen Entziehung vom Wehrdienst durch ukrainische Behörden als überaus spekulativ und wurden in keiner Weise untermauert.

 

Selbst im Falle des Zutreffens seiner Befürchtung hinsichtlich einer drohenden Einberufung zum regulären Wehrdienst respektive einer strafrechtlichen Verfolgung wegen des Entzugs vor einer solchen, hat der Erstbeschwerdeführer keine daran anknüpfenden, die Gewährung internationalen Schutzes rechtfertigenden, Rückkehrbefürchtungen geltend gemacht:

 

Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers vermochte nicht den substantiierten Hinweis liefern, dass dieser aus asylrelevanten Gründen einberufen würde oder im Vergleich zu anderen zum Wehrdienst verpflichteten Staatsbürgern der Ukraine schlechter behandelt werden würde, sollte er einer erfolgenden Einberufung keine Folge leisten. Den vorliegenden Länderberichten lässt sich entnehmen, dass Einberufungen/Mobilisierungen in der Ukraine grundsätzlich in gesetzeskonformer Weise erfolgen und Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle spielen würden. Der Erstbeschwerdeführer selbst hat zu keinem Zeitpunkt vorgebracht, dass eine allfällige Einberufung in nicht gesetzeskonformer Weise erfolgen würde.

 

Im Falle des Erstbeschwerdeführers konnte kein Risiko erkannt werden, dass dieser sich im Falle einer Rückkehr zwangsweise an Kampfeinsätzen zu beteiligen hätte. Schwere Menschenrechtsverletzungen, die den Angehörigen der ukrainischen Streitkräfte abverlangt würden, lassen sich den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides davon unabhängig nicht entnehmen und werden auch von der Beschwerde nicht dargestellt. Es erscheint daher bei vernünftiger Betrachtung nicht plausibel, dass der Erstbeschwerdeführer - selbst unter der hypothetischen Annahme einer Einberufung - sich in hinreichend unmittelbarer Weise an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligen müsste (in diesem Sinne auch VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0330).

 

Vollständigkeitshalber festzuhalten ist zudem, dass auch das vorgesehene Strafausmaß für Wehrdienstentziehung laut den vorliegenden Länderberichten kein unverhältnismäßiges Ausmaß erreicht. Zudem wird im vorliegenden Berichtsmaterial auch hervorgehoben, dass bislang lediglich in wenigen Fällen eine tatsächliche Freiheitsstrafe verhängt worden sei, im Übrigen würden Bewährungsstrafen, nur geringfügige Verwaltungsstrafen bzw. Bußgelder auferlegt werden.

 

Im Hinblick auf Freiheitsstrafen in Zusammenhang mit Wehrdienstentziehung bleibt dessen ungeachtet grundsätzlich anzumerken, dass sich die Haftbedingungen in der Ukraine zufolge des vorliegenden Länderberichtsmaterials, wenn auch unter internationalen Standards liegend, nicht per se als Verletzung des Art. 3 EMRK erweisen, weshalb auch vor diesem Hintergrund - selbst im Falle der tatsächlichen Verhängung einer Freiheitsstrafe, wofür jedoch, wie dargelegt, keinerlei Anhaltspunkte bestehen - keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer menschenrechtswidrigen Behandlung des Erstbeschwerdeführers im Falle einer Rückkehr erkannt werden könnte (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0330). Im gegenständlichen Fall kann aufgrund des vorliegenden Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den persönlichen Umständen des Erstbeschwerdeführers sohin kein reales Risiko einer diesem im Falle einer Rückkehr drohenden menschenunwürdigen Behandlung erkannt werden.

 

3.2.5. Ferner vermochte der Erstbeschwerdeführer auch die - ebenfalls erstmals in der Beschwerde geäußerte - Furcht einer Verfolgung durch die ukrainischen Behörden aufgrund der im Juni 2015 kurzfristig und erzwungenermaßen erfolgten Tätigkeit an einem Kontrollposten der pro-russischen Separatisten und einer ihm damit einhergehend durch die Behörden der Ukraine unterstellten staatsfeindlichen politischen Gesinnung aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen in keiner Weise glaubhaft zu machen, sodass auch insofern keine dem Erstbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr drohende Verfolgung aus asylrelevanten Motiven erkannt werden kann.

 

3.2.6. Die Drittbeschwerdeführerin machte darüber hinaus weder in Bezug auf ihre eigene Person, noch im Hinblick auf den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer, individuelle Verfolgungsbefürchtungen geltend.

 

3.2.7. Es kann zudem nicht angenommen werden, dass die beschwerdeführenden Parteien, welche jeweils der Volksgruppe der Ukrainer und dem russisch-orthodoxen Glauben angehören, im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale einer Verfolgung aus in der GFK genannten Motiven ausgesetzt wären. Derartiges wurde auch weder im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens noch in der Beschwerde konkret vorgebracht.

 

3.2.8. Da auch sonst keine konkrete gegen die beschwerdeführenden Parteien gerichtete Verfolgung in ihrem Heimatstaat vorliegt, war im Ergebnis die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

 

3.2.9. Soweit die Beschwerde bemängelt, dass die rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt I. im Bescheid des Erstbeschwerdeführers lediglich einen Verweis auf die Bestimmungen des Familienverfahrens, nicht jedoch eine individuelle Begründung für die Abweisung seines Antrages im Hinblick auf die Gewährung des Status des Asylberechtigten enthalten würde, ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid neben dem Verweis auf die Bestimmungen des Familienverfahrens auch die im Falle des Erstbeschwerdeführers individuell nicht festzustellende Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Motive anführt (vgl. Bescheid, Seite 66), sodass eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auch vor diesem Hintergrund nicht aufgezeigt wird.

 

3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, 1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder 2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit.) offen steht.

 

Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

3.3.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 08.09.2016, Ra 2016/20/006).

 

In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des EGMR hinzuweisen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61 204/09; s. dazu zuletzt auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt mit Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006-3, mit Bezug auf das Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, in welchem näher ausgeführt worden war, dass zu den vom Unionsrecht vorgegebenen Rahmenbedingungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz allein die Rechtsprechung des EuGH maßgeblich sei, klargestellt, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen würde, wodurch der Statusrichtlinie eine ihr im gegebenen Zusammenhang nicht zukommende unmittelbare Wirkung zugeschrieben werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hielt demnach zuletzt an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - wenn auch diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes begründen kann (vgl. Rz 44 aaO.).

 

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

 

3.3.3. Vorweg ist festzuhalten, dass die Ukraine gemäß § 1 Z 14 der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung - HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, als sicherer Herkunftsstaat gilt.

 

Den vorliegenden Länderberichten lässt sich entnehmen, dass in den von der ukrainischen Zentralverwaltung kontrollierten Landesteilen keine derart exzeptionelle, prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, vor deren Hintergrund bereits die bloße Anwesenheit auf dem Staatsterritorium eine ernsthafte Bedrohung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte erwarten ließe. Wie bereits angesprochen, besteht für die aus dem Raum Donezk stammenden beschwerdeführenden Parteien die zumutbare Möglichkeit, sich in einem von der Ukraine kontrollierten Landesteil, etwa in der Hauptstadt Kiev, niederzulassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist ebenso wie medizinische Grundversorgung und die sichere Erreichbarkeit auf dem Land- und Luftweg gewährleistet. Beim Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin handelt es sich jeweils um arbeitsfähige Personen im erwerbsfähigen Alter mit (Hoch‑)Schulbildung und Berufserfahrung, bei denen die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin haben einen großen Teil ihres Lebens in der Ukraine verbracht, wodurch sie auch mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates und der Sprache vertraut sind, sie beherrschen beide sowohl die russische als auch die ukrainische Sprache auf muttersprachlichem Niveau. Zudem gehören die beschwerdeführenden Parteien, auch unter Berücksichtigung ihrer Sorgepflichten für den einjährigen Zweitbeschwerdeführer, keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Wie angesprochen, konnte nicht festgestellt werden, dass eine der beschwerdeführenden Parteien aktuell an schwerwiegenden Erkrankungen leidet. Der Drittbeschwerdeführerin wird es möglich sein, die im Bundesgebiet aufgrund der diagnostizierten psychischen Erkrankung in Anspruch genommene Therapie nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fortzusetzen. Dem Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin ist es aufgrund ihrer persönlichen Umstände unabhängig von vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten durch ein familiäres Netz zumutbar, durch eigene Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt für sich und den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer zu erwerben. Zusätzlich bestünde für diese im Falle einer Rückkehr in die Ukraine und Niederlassung in einem außerhalb ihrer Herkunftsregion gelegenen Landesteil die Möglichkeit, im Bedarfsfall finanzielle Unterstützung durch Angehörige zu erhalten, zumal sich die Eltern und ein Bruder des Erstbeschwerdeführers sowie ein Bruder der Zweitbeschwerdeführerin zuletzt unverändert in der Ukraine aufgehalten haben. Außerdem können die beschwerdeführenden Parteien durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in der Ukraine das Auslangen finden; deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass diese bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor sie in der Lage wären, neuerlich selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten. Es gibt somit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die beschwerdeführenden Parteien in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer ausweglosen bzw. existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wären. Diesen war es bereits in der Vergangenheit möglich, ihren Lebensunterhalt in der Ukraine selbständig zu sichern und sie haben im gegenständlichen Verfahren keinen Hinweis aufgezeigt, weshalb ihnen dies nach einer Rückkehr und auch im Falle der Niederlassung in einem anderen Landesteil nicht ebenfalls möglich sein sollte.

 

3.3.4. Nochmals festzuhalten ist, dass die Drittbeschwerdeführerin im Verfahren keine Rückkehrbefürchtungen in Zusammenhang mit den bei ihr diagnostizierten und im Bundesgebiet therapierten psychischen Erkrankungen (Depression, Posttraumatische Belastungsstörung) ins Treffen geführt hat. Überdies ist auszuführen, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung in den Herkunftsstaat dann nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohte.

 

Allerdings hat nach der ständigen Rechtsprechung im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).

 

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).

 

Eine akute lebensbedrohende Krankheit der Drittbeschwerdeführerin, welche eine Überstellung gemäß der dargestellten Judikatur des EGMR verbieten würde, lag zu keinem Zeitpunkt vor. Auch wurde nicht substantiiert dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand der Drittbeschwerdeführerin im Falle einer Überstellung maßgeblich verschlechtern würde und eine Rückkehr in den Herkunftsstaat mit einer signifikanten Verkürzung ihrer Lebenserwartung einhergehen würde. Im angefochtenen Bescheid wurde festgehalten, dass eine Behandlung der vorliegenden Erkrankungen im Herkunftsstaat verfügbar und eine Erhältlichkeit der benötigten Medikamente gegeben sei. Im Verfahren wurde auch nicht dargelegt, dass die Drittbeschwerdeführerin im Bundesgebiet eine bestimmte Behandlung durchlaufen hätte, welche im Herkunftsstaat nicht erhältlich sein würde. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die Drittbeschwerdeführerin zuletzt in dauernder stationärer Behandlung befunden hätte oder auf Dauer nicht reisefähig gewesen wäre. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.

 

Durch eine Abschiebung der Drittbeschwerdeführerin wird Art. 3 EMRK somit nicht verletzt. Es reicht jedenfalls aus, wenn medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Land der Abschiebung verfügbar sind, was in der Ukraine jedenfalls der Fall ist. Dass die Behandlung im Herkunftsstaat nicht den gleichen Standard wie in Österreich aufweist oder unter Umständen auch kostenintensiver ist, ist nicht relevant. Der Gesundheitszustand der Drittbeschwerdeführerin steht einer Rückkehr in den Herkunftsstaat daher nicht entgegen.

 

3.3.5. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der beschwerdeführenden Parteien ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass diese im Fall ihrer Abschiebung in die Ukraine in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würden, eine Verletzung ihrer durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass den beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehr in die Ukraine möglich und eine Niederlassung in einem außerhalb ihrer - unter Kontrolle der Separatisten stehenden - Herkunftsregion gelegenen Landesteilen möglich ist. Die beschwerdeführenden Parteien haben gegenüber der Behörde nicht detailliert und konkret dargelegt, dass exzeptionelle Umstände vorliegen, die ein reales Risiko einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten; auch die Beschwerde hat es nicht unternommen, ein derartiges Vorbringen zu erstatten, sondern trat dem im angefochtenen Bescheid dargelegten Verweis auf eine Rückkehrmöglichkeit in die Ukraine sowie der zumutbaren Möglichkeit einer Niederlassung in der Zentral- oder Westukraine nicht substantiiert entgegen.

 

Im Ergebnis waren daher die Beschwerden auch hinsichtlich der Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

 

3.3.6. Da die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus bei den beschwerdeführenden Parteien jeweils nicht vorliegen, kam auch die Zuerkennung eines Status im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005 jeweils nicht in Betracht.

 

3.4. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung stellen sich die maßgeblichen Rechtsgrundlagen wie folgt dar:

 

3.4.1.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Das AsylG 2005 regelt in seinem 7. Hauptstück die Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie das Verfahren zur Erteilung derselben. Die darin enthaltenen Bestimmungen lauten auszugsweise:

 

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

 

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen.

 

[...]

 

Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz

 

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

 

(3) - (4) [...]

 

Antragstellung und amtswegiges Verfahren

 

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. (3) -

(13) [...]"

 

Die maßgeblichen Bestimmungen des 7. und 8. Hauptstücks des FPG lauten:

 

"Abschiebung

 

§ 46. (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

(2) - (6) [...]

 

[...]

 

Verbot der Abschiebung

 

§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

[...]

 

Rückkehrentscheidung

 

§ 52. (1) (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

 

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

 

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

(3) - (8) [...]

 

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

(10) - (11) [...]

 

[...]

 

Frist für die freiwillige Ausreise

 

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

 

(4) - (5) [...]"

 

§ 9 BFA-VG lautet wie folgt:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(4) - (6) [...]"

 

3.4.2. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

3.4.3. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch die beschwerdeführenden Parteien ein Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurden. Weder haben die beschwerdeführenden Parteien das Vorliegen eines der Gründe des § 57 AsylG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.4.4. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

3.4.4.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

3.4.4.2. Die beschwerdeführenden Parteien führen im Bundesgebiet ein Familienleben untereinander, sind jedoch alle im gleichen Ausmaß von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedroht. Außerhalb des Kreises ihrer Kernfamilie verfügen die beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet über keine familiären Bezugspersonen, weshalb ein mit der Rückkehrentscheidung einhergehender Eingriff in das Familienleben der beschwerdeführenden Parteien jeweils nicht erkannt werden kann.

 

3.4.4.3.1 Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).

 

3.4.4.3.2. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin reisten im Juni 2015 illegal ins Bundesgebiet ein, stellten am 30.06.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz und halten sich seither im Bundesgebiet auf. Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer wurde Anfang des Jahres 2018 im Bundesgebiet geboren. Den beschwerdeführenden Parteien war ihr bisheriger Aufenthalt jeweils lediglich aufgrund des vorübergehenden Aufenthaltsrechts im Rahmen ihrer Verfahren auf internationalen Schutz möglich. Die Dauer des nunmehrigen Verfahrens übersteigt nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt gegen Norwegen, Appl. 47017/09).

 

Die Integration der unbescholtenen beschwerdeführenden Parteien in Österreich ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht im hohen Grad ausgeprägt: Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sind nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen, sie sind nicht selbsterhaltungsfähig, bestreiten ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung und haben außerhalb ihrer Kernfamilie keine Familienangehörigen oder engen sozialen Beziehungen im Bundesgebiet. Die Angehörigen ihrer Herkunftsfamilien halten sich unverändert in der Ukraine auf. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin haben Deutschkurse besucht, jedoch keinen formellen Nachweis über eine absolvierte Deutschprüfung in Vorlage gebracht. Diese sind keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen, sie waren in keinen Vereinen Mitglied und haben durch ihre Angaben insgesamt keine besonderen Bindungen zum Bundesgebiet respektive eine erlangte Integrationsverfestigung erkennen lassen. Die familiären und privaten Interessen des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers sind aufgrund seines sehr jungen Lebensalters noch auf den Kreis seiner Kernfamilie beschränkt, sodass eine Rückkehr in Obhut seiner Eltern auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls mit keinem unverhältnismäßigen Nachteil für ihn einhergeht.

 

Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin wuchsen in der Ukraine auf, wo sie die Schule absolvierten und Berufserfahrung gesammelt haben. Die Drittbeschwerdeführerin hat zudem ein Universitätsstudium abgeschlossen. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sprechen Ukrainisch und Russisch auf muttersprachlichem Niveau und verfügen durch die Eltern und den Bruder des Erstbeschwerdeführers sowie den Bruder der Drittbeschwerdeführerin und weitere Angehörige über ein verwandtschaftliches Netz in der Ukraine. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die beschwerdeführenden Parteien nach rund vierjähriger Ortsabwesenheit in die dortige Gesellschaft problemlos wieder eingliedern können werden. Dass die beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr unter der Schwelle des Art. 3 EMRK liegenden Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland begegnen wird, vermag in einem Fall wie dem hier vorliegenden das Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in maßgeblicher Weise zu verstärken, sondern ist vielmehr im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. zuletzt VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0185-4, mwN). Wie bereits an anderer Stelle aufgezeigt, haben sich im gegenständlichen Verfahren keine Hinweise darauf ergeben, dass den beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr und auch im Falle der Niederlassung außerhalb ihrer Herkunftsregion eine eigenständige Bestreitung ihres Lebensunterhaltes nicht möglich sein wird. Ebenso wird der Drittbeschwerdeführerin eine Fortsetzung ihrer psychotherapeutischen Behandlung auch nach ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat möglich sein, sodass auch vor diesem Hintergrund keine Verstärkung ihrer privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet erkannt werden kann.

 

3.4.4.4. Den privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der beschwerdeführenden Parteien am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes der beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

3.4.4.5. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

3.5. Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz abgewiesen wurden, sind die Rückkehrentscheidungen gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 leg.cit. von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Zusammenhang gegeben.

 

3.6. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234). Wird in einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz im Zusammenhang mit einer Rückkehrentscheidung eine amtswegige Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG getroffen (bzw. vom BVwG überprüft), so ist diese Feststellung, soweit sie sich auf den Herkunftsstaat bezieht, (wegen der inhaltlichen Übereinstimmung des Prüfungsmaßstabs) nur die Konsequenz der Nichtgewährung von Asyl und von subsidiärem Schutz. Dies gilt jedenfalls in einer Sache wie der vorliegenden, in der nach den Feststellungen und der Beurteilung zur Nichterteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf Grundlage von § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die entsprechenden Voraussetzungen als nicht vorliegend anzusehen waren. In dieser Konstellation komme ihr demnach nur die Funktion zu, den Zielstaat der Abschiebung festzulegen (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

 

Zur Beurteilung im Lichte des § 52 Abs. 9 FPG kann - zumal dazu auch nichts gesondert vorgebracht wurde und auch (iSd. § 50 Abs. 3 FPG) keine Empfehlung des EGMR vorliegt - auf die Ausführungen iZm. §§ 3, 8 AsylG verwiesen werden (vgl. auch VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Der auf § 52 Abs. 9 FPG 2005 gestützte Ausspruch der belangten Behörde erfolgte daher zu Recht.

 

3.7. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 leg.cit. zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 leg.cit. 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist zur freiwilligen Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden (§ 55 Abs. 3 leg.cit.).

 

Da derartige Umstände von den beschwerdeführenden Parteien nicht behauptet worden und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt.

 

4. Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich ausführlich in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, mit dem Verständnis dieser Bestimmung auseinandergesetzt und geht seitdem in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. dazu statt vieler die Erkenntnisse vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, vom 2. September 2015, Ra 2014/19/0127, vom 15. März 2016, Ra 2015/19/0180, vom 18. Mai 2017, Ra 2016/20/0258, und vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0039) davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

 

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

 

Im gegenständlichen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht keinerlei neue Beweismittel beigeschafft und sich für seine Feststellungen über die Personen der beschwerdeführenden Parteien und zur Lage in der Ukraine auf jene des angefochtenen Bescheids gestützt. Die Beschwerde ist der Richtigkeit dieser Feststellungen und der zutreffenden Beweiswürdigung der Behörde nicht substanziiert entgegengetreten (VwGH vom 20.12.2016, Ra 2016/01/0102) und hat keine neuen Tatsachen vorgebracht. Die Beschwerde hat die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zwar beantragt aber es nicht konkret aufzuzeigen unternommen, dass eine solche Notwendigkeit im vorliegenden Fall bestehen würde (vgl. zuletzt etwa VwGH 4.12.2017, Ra 2017/19/0316-14). Wie beweiswürdigend dargelegt, wurde den Argumenten im angefochtenen Bescheid zur fehlenden Glaubwürdigkeit respektive Asylrelevanz der seitens des Erstbeschwerdeführers dargelegten Verfolgungsbefürchtungen im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes nicht substantiiert entgegengetreten und es wurde auch in der Beschwerde kein konkretes Vorbringen hinsichtlich eines potentiell asylrelevanten Sachverhaltes erstattet. Wie an anderer Stelle dargelegt, verstößt das Vorbringen in der Beschwerde hinsichtlich einer dem Erstbeschwerdeführer drohenden Verfolgung durch die ukrainischen Sicherheitsbehörden wegen einer ihm unterstellten staatsfeindlichen Gesinnung respektive wegen Entziehung von einer Mobilisierung gegen das in § 20 Abs. 1 BFA-VG normierte Neuerungsverbot und begründet demnach nicht die Notwendigkeit zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Ebensowenig wurde den Ausführungen der belangten Behörde zum Nichtvorliegen eines auf den Herkunftsstaat bezogenen sonstigen Abschiebehindernisses, der für die beschwerdeführenden Parteien zumutbaren Möglichkeit einer Niederlassung in einem außerhalb ihrer Herkunftsregion Donezk liegenden Landesteil, sowie den Erwägungen zur Begründung der Rückkehrentscheidung konkret entgegengetreten.

 

Das Bundesverwaltungsgericht konnte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

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