VwGH Ra 2017/18/0330

VwGHRa 2017/18/033023.1.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des O K in G, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juli 2017, Zl. W226 2143260- 1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

32011L0095 Status-RL Art12 Abs2;
32011L0095 Status-RL Art9 Abs2 lite;
62013CJ0472 Shepherd VORAB;
AsylG 2005 §3 Abs1;
EURallg;
MRK Art3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017180330.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein ukrainischer Staatsangehöriger, reiste im Februar 2015 (gemeinsam mit seiner Familie) nach Österreich und suchte um internationalen Schutz an. Zusammengefasst machte er geltend, er sei zwar früher Berufsoffizier gewesen, wolle aber nun einer Einberufung zur ukrainischen Armee nicht Folge leisten, weil er es ablehne, gegen das eigene Volk zu kämpfen und sich an den auch von der Armee begangenen Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht diesen Antrag des Revisionswerbers - im Beschwerdeverfahren - ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 und erklärte die Rückkehrentscheidung (wegen einer akut behandlungsbedürftigen Erkrankung des Sohnes des Revisionswerbers) vorübergehend für unzulässig. Die Revision sei nicht zulässig.

3 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dem Revisionswerber drohe bei einer Rückkehr in die Ukraine keine asylrelevante Verfolgung und es lägen auch keine Gründe vor, um ihm subsidiären Schutz zu gewähren. Dass der Revisionswerber im Falle des Einrückens zur ukrainischen Armee für Handlungen eingesetzt würde, bei denen er gegen sein eigenes Volk kämpfen oder Menschenrechtsverletzungen begehen müsse, sei den Länderinformationen nicht zu entnehmen und es sei auch aufgrund folgender Umstände nicht davon auszugehen: Sofern sein Einsatz in der ukrainischen Armee überhaupt in Frage komme, wäre aufgrund seines Alters von 50 Jahren und seiner bisherigen militärischen Karriere (er sei zwar Offizier in der sowjetischen und später ukrainischen Armee gewesen, befinde sich aber seit mehr als 20 Jahren im Reservestand) nicht wahrscheinlich, dass ihm dabei - wie im Verfahren behauptet worden sei - eine verantwortungsvolle Aufgabe im Zusammenhang mit der Flugabwehr übertragen würde. Seine Kenntnisse im Bereich der Luftfahrt seien vollkommen veraltet. Gegen eine verantwortungsvolle Aufgabe spreche auch, dass seine Entlassung aus dem Militärdienst seinerzeit wegen Problemen mit Vorgesetzten erfolgt sei. Es sei auch nicht zu erwarten, dass der Revisionswerber an vorderster Front eingesetzt würde. Darum sei unverständlich, warum der Revisionswerber der Ladung der Militärbehörden nicht Folge geleistet habe, um sich einer Tauglichkeitsprüfung zu unterziehen. Ihm sei zumutbar, in den Herkunftsstaat zurückzukehren, um dies nachzuholen. Sollte er wegen seiner Wehrdienstverweigerung ein Strafverfahren zu erwarten haben, sei darin keine asylrelevante Verfolgung zu erblicken. Das vorgesehene Strafausmaß für Wehrdienstentziehung erreiche laut den vorliegenden Länderberichten kein unverhältnismäßiges Ausmaß. Zudem werde in den Berichten hervorgehoben, dass bislang überhaupt nur in wenigen Fällen Freiheitsstrafen (im Ausmaß von ein bis zwei Jahren) verhängt worden seien. Der Strafrahmen von zwei bis fünf Jahren sei meist nicht ausgeschöpft und die verhängten Strafen auf Bewährung ausgesetzt worden. Kein Verurteilter habe seine Strafe vollständig absitzen müssen. Eine allfällige Haftstrafe würde nicht zu einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte führen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit wird im Wesentlichen geltend gemacht, die rechtliche Beurteilung des BVwG stehe mit der höchstgerichtlichen Judikatur nicht im Einklang, weil der Revisionswerber den Wehrdienst aufgrund seiner politischen Überzeugung, nicht auf seine Landsleute schießen und an keinen Menschenrechtsverletzungen der Armee teilnehmen zu wollen, ablehne. Auch stehe ihm kein Wehrersatzdienst zur Verfügung. Die dem Revisionswerber drohende Haftstrafe wegen Wehrdienstverweigerung sei unverhältnismäßig, weil die Haftbedingungen in der Ukraine gegen Art. 3 EMRK verstießen. Ausgehend davon hätte ihm Asyl zuerkannt werden müssen. Auch fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wann von einer völkerrechtswidrigen Militäraktion ausgegangen werden könne, die eine Wehrdienstverweigerung rechtfertige. Im Übrigen weiche das BVwG mit der angefochtenen Entscheidung aus näher dargestellten Gründen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von Entscheidungen ab.

5 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargelegt:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

6 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Asylwerbers auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. etwa VwGH 25.3.2015, Ra 2014/20/0085, mwN, sowie VwGH 14.9.2016, Ra 2016/18/0085, und 21.2.2017, Ra 2016/18/0203).

7 In seinem Urteil vom 26. Februar 2015 in der Rechtssache C- 472/13 , Shepherd, sprach der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aus, dass die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit der Strafverfolgung und Bestrafung, die einem Asylwerber in seinem Herkunftsland aufgrund seiner Verweigerung des Militärdienstes drohen würden, eine Prüfung voraussetzt, ob ein solches Vorgehen über das hinausgeht, was erforderlich ist, damit der betreffende Staat sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft ausüben kann (Rz 50).

8 Zu den Gründen, die es rechtfertigen, den Wehrdienst zu verweigern, wird unter anderem gezählt, dass der Militärdienst in einem Konflikt Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der Statusrichtlinie fallen, also etwa Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen werden. Eine Strafverfolgung oder Bestrafung kann in diesem Fall nach Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie als "Verfolgung" gelten. Der EuGH hat in dem zuvor bereits zitierten Urteil Shepherd klargestellt, dass sich auf den Flüchtlingsschutz nicht nur derjenige berufen kann, der den Wehrdienst verweigert, weil er persönlich solche Verbrechen begehen müsste. Es reicht vielmehr aus, dass der Betroffene an solchen Verbrechen nur indirekt beteiligt wäre, etwa weil er nicht zu den Kampftruppen gehört, sondern z.B. einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist. Allerdings ist nach den Darlegungen des EuGH erforderlich, dass es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass der Betroffene sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste (Rz 36 bis 38).

9 Mit dieser in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des EuGH klargestellten Rechtslage kann auf der Grundlage der vom BVwG (zum Teil disloziert) getroffenen Sachverhaltsfeststellungen der vorliegende Fall gelöst werden und es bedarf keiner weiteren höchstgerichtlichen Leitlinien.

10 Der Revisionswerber führte als Gründe für seine Wehrdienstverweigerung ins Treffen, nicht gegen seine Landsleute kämpfen und sich an keinen menschenrechtswidrigen Aktionen beteiligen zu wollen. Es braucht hier nicht weiter untersucht zu werden, ob der Revisionswerber mit dieser sehr allgemein gehaltenen Behauptung unter sorgfältiger Prüfung seines persönlichen Hintergrundes überhaupt ernsthafte und echte Gewissensgründe, die in seiner politischen Überzeugung wurzeln, geltend gemacht hat, aufgrund derer er den Wehrdienst ablehnt (vgl. dazu etwa UNHCR Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (2011), Rz 167 ff). Das BVwG hielt ihm nämlich entgegen, dass er im Falle des Einrückens in die ukrainische Armee in die von ihm vorgebrachten Situationen gar nicht käme. Bei dieser Einschätzung stützte es sich einerseits auf das Lebensalter des Revisionswerbers (50 Jahre) und seine militärischen Vorerfahrungen, andererseits traf es Länderfeststellungen, die diese Beurteilung stützen. So ergibt sich daraus, dass Wehrpflichtige bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis in den Kampfgebieten der Ostukraine eingesetzt worden seien. Seit Ende Oktober 2016 fänden keine (weiteren) Mobilisierungen der ukrainischen Armee mehr statt und seien derzeit auch nicht vorgesehen. Schwere Menschenrechtsverletzungen, die den Angehörigen der ukrainischen Streitkräfte abverlangt würden, lassen sich den Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses nicht entnehmen und werden auch von der Revision nicht dargestellt. Es erscheint daher bei vernünftiger Betrachtung nicht plausibel, dass der Revisionswerber sich bei Ableistung des Militärdienstes in hinreichend unmittelbarer Weise an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligen müsste oder in die Lage käme, "auf seine Landsleute zu schießen".

11 Schon aus diesem Grund führt seine Weigerung, den Ladungen der Militärbehörden seines Herkunftsstaates Folge zu leisten, nicht dazu, ihm asylrechtlichen Schutz zu gewähren. Soweit er sich nun von den Folgen seiner Wehrdienstverweigerung bedroht sieht und darin eine asylrelevante Verfolgung erblickt, ist lediglich anzumerken, dass die Feststellungen des BVwG die Annahme einer - auf Konventionsgründen beruhenden - unverhältnismäßigen Bestrafung des Revisionswerbers nicht decken. Gegenteiliges vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen.

12 Soweit die Revision schließlich unmenschliche und erniedrigende Haftbedingungen (im Sinne des Art. 3 EMRK) in der Ukraine geltend macht, könnten diese - wenn überhaupt - nach dem bisher Gesagten im vorliegenden Fall nur dazu führen, dass dem Revisionswerber subsidiärer Schutz gewährt werden müsste. Allerdings lässt sich nach den Feststellungen des BVwG über die (geringe) Wahrscheinlichkeit einer Haftstrafe für den Revisionswerber einerseits und den vereinzelt schlechten Haftbedingungen in der Ukraine andererseits nicht erkennen, dass dem Revisionswerber bei Rücküberstellung in den Herkunftsstaat ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte droht.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. Jänner 2018

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