AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W125.1432285.1.00
Spruch:
W125 1432285-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.01.2013, Zl. 1300.028-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.10.2015, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
III. In diesbezüglicher Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides aufgehoben und das Verfahren insoweit gemäß § 75 Abs. 20 Z 1 Asylgesetz 2005 idgF zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz idgF nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, der Volksgruppe XXXX und dem christlichen Glauben zugehörig, brachte am 01.01.2013 den diesem Verfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein, nachdem er zuvor irregulär in das Bundesgebiet gelangt war.
Anlässlich seiner am 03.01.2013 erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen / Erstaufnahmestelle Ost (des damaligen Bundesasylamtes) gab der Beschwerdeführer die im Spruch ersichtlichen Personalien zu Protokoll, er sei ledig, er habe neben seinen Eltern zwei Brüder und zwei Schwestern im Herkunftsstaat, er habe von XXXX bis XXXX in XXXX die Grundschule besucht und zuletzt als Straßenverkäufer gearbeitet, Dokumente besitze er keine.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, Ende 2009 mit einem Flugzeug von XXXX aus ausgereist zu sein. Auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland habe er seinen Reisepass verloren. Er habe drei Tage in der Türkei verbracht und sei dann mit einer Gruppe von zwölf Personen mit einem Boot nach Griechenland gereist. Dort habe er bis zum 30.12.2012 gelebt, bevor er über XXXX mit dem Schiff bis nach XXXX und von dort aus mit dem Zug weiter bis nach Österreich gereist wäre.
Zu den Gründen seiner Flucht aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass seitdem sein Vater, der in ihrer Gemeinschaft das Dorfoberhaupt wäre, krank (geworden) sei, darüber nachgedacht werde, wer als dessen Nachfolger das Erbe antrete. Die beiden älteren Brüder des Beschwerdeführers seien schon bedroht worden und wäre auch einer von ihnen verstorben. Weil er Angst um sein Leben und insbesondere vor den Dorfältesten, die seine Zukunft bestimmen würden, habe, sei er aus seinem Land geflohen. Sein Bruder XXXX sei vor zwei Jahren, als der Beschwerdeführer gerade in Griechenland gewesen sei, gestorben. Als der Beschwerdeführer geflüchtet sei, wäre dieser bereits im Krankenhaus gewesen und habe anschließend nicht überlebt.
Nach Zulassung seines Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 04.01.2013 von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des (damaligen) Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, sich physisch und psychisch zur Durchführung der Befragung im Stande zu fühlen, gesund zu sein und sich mit dem anwesenden Dolmetscher problemlos verständigen zu können.
Dazu aufgefordert, einen kurzen Lebenslauf anzugeben, brachte der Beschwerdeführer vor, am XXXX in XXXX geboren zu sein. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht, jedoch anschließend nicht gearbeitet, sondern hätten ihn seine Eltern versorgt. Nigeria habe er vor drei Jahren per Flugzeug in die Türkei verlassen. Von dort aus wäre er weiter nach Griechenland gereist und bis XXXX in XXXX aufhältig gewesen, wo er als Straßenverkäufer gearbeitet habe. Auf die Frage, wann er den letzten persönlichen Kontakt zu seiner Familie zu Hause, beziehungsweise zur Schwiegermutter gehabt habe, gab er an, an dem Tag, als er nach Österreich gekommen sei, mit seiner Mutter gesprochen zu haben; es gehe ihr gut.
Nachgefragt, was den Beschwerdeführer dazu veranlasst habe, seine Heimat zu verlassen und dazu aufgefordert, die Gründe dafür möglichst konkret und detailliert zu schildern, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater Häuptling gewesen wäre. Er sei erfolgreich gewesen bis er krank geworden sei. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers habe seine Stellung bekommen sollen. In jener Nacht, in welcher er offiziell die Stelle des Vaters hätte übernehmen sollen, sei sein Bruder ebenfalls krank geworden. Er habe nicht mehr sprechen können und sei fast gestorben. Der Vater des Beschwerdeführers habe zwei Frauen geheiratet gehabt, wobei die erste Frau kein männliches Kind bekommen habe, weshalb er eine andere Frau geheiratet habe.
Der Beschwerdeführer selbst sei ein Sohn der zweiten Frau und habe noch zwei Brüder. Sie würden die erste Frau ihres Vaters verdächtigen, sie vergiftet zu haben.
Der Bruder des Beschwerdeführers sei in ein Krankenhaus gebracht worden, jedoch hätten ihm die Ärzte nicht helfen können. Ein Naturheiler habe dann gemeint, dass sein Bruder nur noch eine Woche zum Leben habe, weil er "geistig schon gestorben sei". Die Mutter des Beschwerdeführers habe Angst gehabt und den Beschwerdeführer schützen wollen, weshalb sie ihn vorerst zu ihrer Familie in ein anderes Dorf geschickt habe. Die Mutter des Beschwerdeführers sei Angehörige der Ethnie der XXXX, aus dem Norden Nigerias, wo die XXXX diskriminiert würden.
Der Beschwerdeführer habe dort Probleme gehabt und dies seiner Mutter mitgeteilt, weshalb diese ihm über einen Freund seines Vaters, der bei der XXXX Botschaft gearbeitet hätte, ein Visum besorgt habe, sodass der Beschwerdeführer Nigeria in der Folge verlassen habe können.
Nachgefragt, welche Aufgaben sein Vater als "Häuptling" gehabt habe, brachte der Beschwerdeführer vor, dass dieser sehr viele Aufgaben verrichtet habe. Er sei von der Regierung bezahlt worden und habe sich um das ganze Gebiet von zwölf Dörfern gekümmert. Er habe offizielle Verwaltungsaufgaben erledigt; nichts Religiöses. Krank geworden sei er zwei Jahre vor der Ausreise des Beschwerdeführers.
Er sei noch am Leben, jedoch habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert, sodass er nicht mehr gehen und nicht mehr richtig sprechen könne. Wann genau sein Bruder erkrankt sei, könne er nicht angeben; dies sei ungefähr zwei Wochen vor seiner Ausreise gewesen.
Auf die Frage, ob die Stiefmutter und die Mutter des Beschwerdeführers in demselben Haus gelebt hätten, brachte der Beschwerdeführer vor, dass diese den gleichen Hof, jedoch nicht das gleiche Haus bewohnt hätten. Die Polizei habe hinsichtlich der Verdächtigung der ersten Frau des Vaters des Beschwerdeführers, wonach diese den Vater und Bruder des Beschwerdeführers vergiftet habe, gesagt, dass dies eine traditionelle, private Angelegenheit sei.
Damit konfrontiert, dass dies keine private Angelegenheit sei, wenn der eine sterbe und der andere schwer am Körper verletzt oder misshandelt werde, gab der Beschwerdeführer an, keinen Beweis gehabt zu haben. Der Beschwerdeführer wäre mit seinem Vater und seinem Bruder auch im Krankenhaus gewesen, jedoch habe man dort bei seinem Vater die Ursache nicht herausfinden können. Bei seinem Bruder habe man eindeutig Gift diagnostiziert.
Es sei versucht worden, ihn mit einigen Medikamenten zu heilen, was jedoch nichts genutzt habe. Mit diesem Beweis wären sie zur Polizei gegangen, jedoch hätten diese nichts gemacht. Auf diesbezügliche Nachfrage führte der Beschwerdeführer aus, ein einziges Mal bei der Polizei gewesen zu sein. Konkret seien sie nach dem Krankenhausbesuch zum Naturheiler und als dieser auch nicht habe helfen können, zur Polizei gegangen.
Der Beschwerdeführer habe die Stiefmutter auch zur Rede gestellt, jedoch sei sie nicht geständig gewesen. Nachgefragt, wie lange er noch zu Hause gewesen sei, bis er von der Mutter weggeschickt worden sei, führte der Beschwerdeführer aus, dass dies gewesen sei, nachdem er seiner Mutter erzählt habe, dass er die Stiefmutter wegen der Krankheit des Bruders angesprochen habe.
Befragt gab er an, dass er ein bis zwei Wochen nach der Konfrontation zu den Verwandten geschickt worden sei und dort zwei Tage verblieben sei. Auf die Frage, weshalb sein zweiter Bruder nicht weggeschickt worden sei, brachte der Beschwerdeführer vor, dass die Entscheidung von seiner Mutter getroffen worden sei. Der Beschwerdeführer sollte die nächste Person sein, welche die Stelle habe annehmen sollen. Die anderen Familienmitglieder hätten diese Probleme nicht gehabt.
Dazu befragt, ob er glaube, (auch) in einem anderen Teil seiner Heimat Probleme zu haben, gab er an, dass man überall in Nigeria in Gefahr sei, wenn man geistig verfolgt werde. In Österreich habe er seine wahre Identität angegeben und fühle er sich hier sicher. Im Falle einer Rückkehr könnte er getötet werden, zumal "die Person" bereits seinen Bruder getötet habe.
Auf Vorhalt der behördlichen Länderfeststellungen zu Nigeria gab der Beschwerdeführer dazu Stellung nehmend (nur) an, nicht zurück zu wollen.
2. Mit dem verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid vom 09.01.2013, Zl 13 00.028 - BAT, wies das (seinerzeitige) Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
In der Bescheidbegründung führte das Bundesasylamt zunächst aus, dass die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers mit Nigeria festgestellt werden hätte können. Die Identität des Beschwerdeführers stehe jedoch mangels Vorlage von identitätsbezeugenden Dokumenten nicht fest. Die Ausführungen zu den Gründen seiner Ausreise hätten sich als nicht glaubhaft erwiesen und habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr einer Gefährdungslage ausgesetzt wäre.
Zur Lage in Nigeria wurden im angefochtenen Bescheid nachfolgende Feststellungen getroffen:
"Allgemeine Lage
Politik und Wahlen
Nigeria ist eine föderale Republik, gegliedert in 36 Teilstaaten und das Federal Capital Territory (FTC, Abuja) im geographischen Zentrum des Landes. Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Armee ist der Präsident der Republik, welcher für vier Jahre gewählt wird; eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Der Staatspräsident führt den Vorsitz der von ihm ernannten Bundesregierung (Federal Executive Council).
Jeder der 36 Bundesstaaten verfügt über eine Regierung unter Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs mit vierjähriger Amtszeit und der Möglichkeit einer einmaligen Wiederwahl, sowie über ein Landesparlament.
Der legislative Apparat ist die National Assembly, welche den 109sitzigen Senat und das Repräsentantenhaus mit 360 Sitzen umfasst. Beide werden jeweils für eine Legislaturperiode von vier Jahren durch Direktwahlen bestimmt. Der Senat setzt sich aus je drei Senatoren pro Bundesstaat sowie einem Senator des Federal Capital Territory (FCT) zusammen.
Gouverneurs- und Senatswahlen fanden 2011 in 32 der 36 Provinzen sowie im FCT statt; die Regierungspartei PDP verlor in den überwiegend von Yoruba bewohnten Teilstaaten an den ACN. Von 83 neu gewählten Senatoren entfielen 54 auf PDP, 18 auf ACN, 6 auf CPC, 4 auf ANPP, 2 auf LP und 1 Senator auf APGA.
Die Parteienlandschaft wird auch nach den Wahlen vom 2.4.2011 von der People-s Democratic Party (PDP) beherrscht, andere politische Parteien wie Action Congress Nigeria (ACN), All Nigeria People?s Party (ANPP), Labour Party(LP), Congress for Progressive Change (CPC), Alliance for Democracy (AD), All Progressive Grand Alliance (APGA), National Democratic Party (NDP), ACCORD-Party sind nur von regionaler Bedeutung (vor allem ist der ACN traditionell eine Yoruba-Partei, die APGA eine Igbo-Sammelbewegung).
Darüber hinaus wurden für die National Assembly-Wahlen 2011 weitere 54 kleine Parteien von der unabhängigen Wahlkommission zugelassen, spielten im Wahlkampf und bei den Wahlergebnissen jedoch eine marginale Rolle. Die hohe Anzahl verschiedener Parteien ist auf die äußerst große Bevölkerungsvielfalt Nigerias zurück zu führen (rd. 400 zum Teil sehr kleine Ethnien, 434 Sprachen und Stammesdialekte).
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Seit Jahren gibt es eine breite Verfassungsreformdebatte, in Gang gehalten vor allem durch Schwächen des Grundgesetzes in der Praxis wie auch durch Kritik an den starken zentralistischen Elementen. Eine besondere Rolle spielt die Diskussion um die Verteilung der Öleinnahmen (sie bilden den Großteil der Staatseinnahmen); diese Gelder fließen zunächst der Föderation zu und werden dann nach einem festen Schlüssel verteilt. Ebenso wichtig im Vielvölkerstaat Nigeria ist die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass die verschiedenen Volksgruppen an der Macht in der Bundesregierung beteiligt werden können. Bisher ist das Projekt einer Verfassungsreform nicht vorangekommen. 2010 gelang zumindest erstmals eine Verfassungsänderung im Rahmen der Wahlreform.
Im Bundesparlament sind seit den Wahlen vom April 2011 neun Parteien vertreten. Die People's Democratic Party (PDP) verfügt in beiden Häusern über die absolute Mehrheit. Wichtigste Oppositionsparteien sind der Action Congress of Nigeria (ACN), der Congress for Progressive Change (CPC) und die All Nigeria People's Party (ANPP). Fünf weitere Parteien sind aufgrund des Mehrheitswahlsystems nur mit wenigen Abgeordneten vertreten. Auch nach den letzten Wahlen bleibt die Zahl weiblicher Abgeordneter gering: 7 von 109 Senatoren und 19 von 360 Mitgliedern des Repräsentantenhauses sind Frauen; ihr Anteil ging gegenüber den vorherigen Wahlen sogar leicht zurück.
Parteien in Nigeria sind vor allem Wahlplattformen für Politiker (laut Verfassung können nur Parteienvertreter bei Wahlen antreten, Unabhängige sind nicht zugelassen); eine Ausrichtung an bestimmten Interessenvertretungen oder gar Weltanschauungen gibt es bei den großen Parteien nicht, eine Orientierung an ethnischen Gruppen ist ausdrücklich verboten.
Sieger der Präsidentschaftswahlen vom 16.4.2011 wurde der Kandidat der PDP und bisherige Amtsinhaber Goodluck Jonathan mit 58,8 % der Stimmen vor dem CPC-Kandidaten Muhammadu Buhari mit 32 %. Jonathan hatte als Vizepräsident das Amt von dem im Mai 2010 verstorbenen Präsidenten Umaru Musa Yar'Adua übernommen.In den 36 Bundesstaaten stellt die PDP derzeit 23 Gouverneure, der ACN 6, die ANPP 3, die APGA 2, die LP und der CPC je einen Gouverneur. Wie bisher ist kein Gouverneur eine Frau.
Die Wahlen vom April 2011 wurden sowohl in Nigeria als auch von internationalen Wahlbeobachtern trotz festgestellter Mängel als "die besten Wahlen seit 1999" bezeichnet.
(Auswärtiges Amt: Nigeria - Innenpolitik, Stand 3.2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html , Zugriff 15.10.2012)
Die Situation spitze sich seit 2011 dramatisch zu, als mit Goodluck Jonathan wieder ein Christ aus dem Süden Präsident wurde. Norden und Süden stehen sich misstrauisch und letztlich inkompatibel gegenüber. Im besten Falle verachtet man sich gegenseitig. Das wird so natürlich nicht öffentlich gesagt. Um nicht völlig auseinanderbrechen zu lassen, was nicht zusammenpasst, hat man sich teils inoffiziell, teils offiziell auf ein System der Postenteilung und -rotation verständigt. Der Präsident, so die Übereinkunft innerhalb der herrschenden Partei PDP, sollte abwechselnd alle acht Jahre (also nach zwei Amtszeiten, dem Maximum) aus dem Norden bzw. dem Süden kommen. So soll einer einseitigen, dauerhaften Dominanz mit all ihren Konsequenzen vorgebeugt werden.
(Konrad Adenauer Stiftung: Nigeria ein Jahr nach der Wahl - Die Konflikte nehmen zu, 4.2012,
http://www.kas.de/wf/doc/kas_30778-1522-1-30.pdf?120420114559 , Zugriff 15.10.2012)
Die ersten Monate im Amt, gelang es Präsident Jonathan die angespannte Situation im Nigerdelta etwas zu beruhigen. Darüber hinaus engagierte er sich dafür die Wirtschaft anzukurbeln, in dem er u.a. den Kontakt mit den Regierungen der wirtschaftlich starken Länder Europas intensivierte.
Trotz des Engagements der Regierung Jonathans stellten die Konflikte mit der islamischen Bewegung "Boko Haram" sowie die Proteste gegen die Abschaffung der staatlichen Benzinpreissubventionen das Land vor eine innere Zerreißprobe. So übten die Anhänger der "Boko Haram" seit Juni 2011 vermehrt terroristische Anschläge in Nigeria aus, die mehrere hundert Tote und Verletzte hinterließen. Zudem protestierte die Bevölkerung massiv gegen die Abschaffung der Benzinpreissubventionen und legte durch Streiks in vielen Städten das Wirtschaftsleben des Landes lahm.
(Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit: Nigeria - Geschichte und Staat, 6.2012,
http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 15.10.2012)
Allgemeine Sicherheitslage
Gewarnt wird: vor Reisen in die nördlichen Bundesstaaten Borno, Yobe, in den südlichen Teil des Bundesstaates Bauchi, in den nördlichen Teil von Plateau State (Jos und Umgebung) sowie nach Kano, Kaduna und Sokoto, insbesondere in die gleichnamigen Hauptstädte, und in die Stadt Zaira angesichts von wiederholten Angriffen und Sprengstoffanschlägen militanter Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Kirchen und Moscheen.
Dringend abgeraten wird: von Aufenthalten im Gebiet Suleja im Bundesstaat Niger. Hier wurde wie in Teilen der Bundesstaaten Borno, Yobe und Bauchi vorübergehend ein Ausnahmezustand verhängt.
In der Hauptstadt Abuja kam es am 1. Oktober und 31. Dezember 2010, am 16. Juni und 26. August 2011 und am 26. April 2012 zu Bombenanschlägen. Am 25. Dezember 2011 erfolgte ein Anschlag auf eine Kirche in Madalla, einem Vorort der Hauptstadt.
In den Ölfördergebieten in der Region des Niger Deltas, das die nigerianischen Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers und Akwa Ibom umfasst, kam es über Jahre immer wieder zu Kämpfen zwischen paramilitärisch organisierten Banden und Sicherheitskräften, aber auch von bewaffneten Gruppen untereinander.
Darüber hinaus können in Nigeria, meist kaum vorhersehbar, in allen Regionen lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist sind diese Auseinandersetzungen von kurzer Dauer (wenige Tage) und örtlich begrenzt (meist nur einzelne Orte, in größeren Städten nur einzelne Stadtteile).
(Auswärtiges Amt: Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), Stand 15.10.2012 (unverändert gültig seit: 16.8.2012),
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/NigeriaSicherheit_node.html , Zugriff 15.10.2012)
Regionale Problemzonen [Geheimgesellschaften und Kulte siehe NIGR_F_2012_10_SOG]
Middle Belt (u.a. Jos - Plateau)
Ethnisch oder religiös motivierte Gewalt wird oft von Streitigkeiten zwischen Landwirten und Nomaden ausgelöst und resultierten auch [2011] im Verlust zahlreicher Menschenleben und signifikanter Vertreibungen. Die tödlichsten Beispiele derartiger Konflikte ereigneten sich in Jos und in der Umgebung der Stadt. Im Jänner 2011 kamen mehr als 100 Personen ums Leben. Human Rights Watch schätzt, dass die Zahl für das Gesamtjahr 2011 mehr als 200 Tote übersteigt.
Ende August kamen bei einem Konflikt zwischen Muslimen und Christen in und um Jos rund 100 Menschen ums Leben. Die Behörden haben keine Anklagen erhoben.
Präsident Jonathan hat Ende September 2011 rund 1.300 Soldaten in den Plateau State verlegen lassen, da die lokale Polizei die Gewalt nicht unter Kontrolle bringen konnte.
Ethnische Streitigkeiten über Land und politischen Einfluss haben entlang der Grenzen von Benue/Taraba/Nassarawa zu Gewalt, Zerstörung von Eigentum und der Vertreibung hunderter Personen geführt. Die Bundesregierung hat mobile Polizei in den betroffenen Gebieten stationiert, um weitere Gewalt zu verhindern.
(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2011 - Nigeria, 24.5.2012,
http://www.ecoi.net/local_link/217663/338426_de.html , Zugriff 15.10.2012)
Im religiös gemischten Bundesstaat Kaduna nahe des Middle Belt, kam es nach von Boko Haram getätigten Sprengstoffanschlägen auf Kirchen zu Racheakten jugendlicher Christen. Innerhalb von drei Tagen wurden mindestens 92 Personen bei diesen Ausschreitungen getötet.
(Reuters: Update 2-Sectarian violence kills more in Nigeria's Kaduna, 20.6.2012,
http://af.reuters.com/articlePrint?articleId=AFL5E8HK6TQ20120620 , Zugriff 18.10.2012)
Im gesamten Jahr 2011 kam es in Zentral-Nigeria zu Zusammenstößen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen. Das Versagen der Behörden, gewalttätige Ausschreitungen zu verhindern und das Recht der Menschen auf Leben zu schützen, führte zu einer Eskalation der Gewalt. Über 200 Personen starben allein bei Zusammenstößen im Bundesstaat Plateau, die im Zusammenhang mit bereits seit Langem bestehenden Spannungen und Landkonflikten zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen standen.
(Amnesty International: Amnesty Report 2012 - Nigeria, 24.5.2012, http://www.amnesty.de/jahresbericht/2012/nigeria , Zugriff 15.10.2012)
Nördliche Bundesstaaten/Boko Haram
Boko Haram, die vor allem in den nordnigerianischen Bundesstaaten Yobe, Kano, Bauchi, Borno und Kaduna vertreten ist, begann ca. im Jahr 2003 mit ihren Aktivitäten. Damals lehnte sie sich ideologisch an den Taliban in Afghanistan an. Die Bewegung erachtet all jene, die nicht ihrer strengen Ideologie folgen, als Ungläubige - egal, ob sie Christen oder Muslime sind. Die Anhänger von Boko Haram tragen lange Bärte und rote oder schwarze Kopftücher.
Die Gruppe kam im Juli 2009 erstmals in die internationalen Schlagzeilen, als ihre Angriffe in Städten Nordnigerias - darunter ihrer Bastion Maiduguri - zu Zusammenstößen mit Polizei und Armee führten. Innerhalb von fünf Tagen kamen damals 800 Menschen ums Leben.
Im selben Monat wurde der Sektenführer Mohammed Yusuf von der Polizei aufgegriffen und von Sicherheitskräften in Polizeigewahrsam erschossen. Überlebende Anhänger schworen damals Rache.
(Alertnet/Reuters: INSIGHT-Islamist attacks strain Nigeria's north-south divide, 29.12.2011, http://www.trust.org/alertnet/news/insight-islamist-attacks-strain-nigerias-north-south-divide/ , Zugriff 23.10.2012)
Es besteht aufgrund wiederholter Angriffe und Sprengstoffanschläge militanter Gruppen derzeit ein sehr hohes Anschlagsrisiko insbesondere für Nord- und Nordostnigeria, einschließlich für die Hauptstadt Abuja. In mehreren Städten Nord- und Nordostnigerias finden immer wieder Gefechte zwischen Sicherheitskräften und militanten Gruppen statt. Angehörige der Sicherheitskräfte, Regierungsstellen, christliche Einrichtungen und Wohnviertel sowie internationale Organisationen sind Anschlagsziele. Drohungen bestehen gegen moslemische Einrichtungen im Süden.
Vor Reisen in die nordöstlichen Bundesstaaten Borno, Yobe, Plateau sowie den südlichen Landesteil von Bauchi und Kano wird ausdrücklich gewarnt.
(BMeiA: Reiseinformationen Nigeria, Stand: 23.10.2012 (unverändert gültig seit: 3.7.2012),
http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/nigeria-de.html?dv_staat=125 , Zugriff 23.10.2012)
Die extremistische Boko Haram ist im Norden Nigerias für Angriffe verantwortlich, bei welchen hunderte Menschen ums Leben kamen.
Im Dezember 2011 hat der Präsident in 15 LGAs der Bundesstaaten Borno, Niger, Plateau und Yobe den Notstand ausgerufen. Dieser Ausnahmezustand gilt auch weiterhin. Gemäß der nigerianischen Regierung ist dies die Antwort auf die anhaltende Gewalt seitens der Extremisten.
Von Jänner bis Juni 2012 hat Boko Haram die Verantwortung für zahlreiche Angriffe, vor allem in Nordnigeria übernommen, bei welchen tausende Personen getötet oder verletzt worden sind. Mehrfach-Sprengstoffanschläge auf Kirchen, Regierungsgebäude, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen in Adamawa, Bauchi, Borno, Gombe, Kaduna, Kano, Plateau, Taraba und Yobe wurden verübt. Seit Jahresbeginn haben die Extremisten die Regierungskräfte auch in Feuergefechte in Bauchi, Kano, Kaduna und Yobe verwickelt und auf Menschen in Kirchen geschossen. Im April kam es zu Sprengstoffanschlägen auf die Zeitung "This Day" in Abuja und Kaduna.
(U.S. Department of State: Nigeria - Country Specific Information, 16.7.2012,
http://travel.state.gov/travel/cis_pa_tw/cis/cis_987.html , Zugriff 23.10.2012)
Insgesamt mehr Moslems als Christen hat Boko Haram bis jetzt getötet. Man kündigt zwar an, vor allem Christen und das Christentum in Nigeria vernichten zu wollen, aber auch solche Moslems zu töten, die etwa als Polizeibeamte oder Soldaten Boko Haram-Mitglieder behelligen oder verhaften.
Boko Haram forderte alle Moslems auf, in den Norden zurückzukehren und drohte vor allem den christlichen Igbos, die auch im Norden als Händler aktiv sind. Viele von ihnen haben ihre Familien ins Igbo-Land zurückgeschickt und bereiten sich auf harte Zeiten vor.
Das Oberziel, das Boko Haram offiziell herbeibomben will, ist die Einführung des islamischen Scharia-Rechts in ganz Nigeria.
(Konrad Adenauer Stiftung: Nigeria ein Jahr nach der Wahl - Die Konflikte nehmen zu, 4.2012,
http://www.kas.de/wf/doc/kas_30778-1522-1-30.pdf?120420114559 , Zugriff 15.10.2012)
Die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage in Nordnigeria ist auch der hauptsächliche Grund für den radikal-islamischen Terrorismus in der Region, der die nigerianischen Sicherheitskräfte vor große Herausforderungen stellt. Die unter dem Namen "Boko Haram" bekannt gewordene Gruppierung ist seit Mitte 2010 verantwortlich für zahlreiche schwere Anschläge mit mehreren hundert Todesopfern vor allem im Nordosten des Landes, aber auch an anderen Orten im Norden und auch in der Hauptstadt Abuja. Die nigerianische Regierung hat jede Form von Terrorismus scharf verurteilt und zeigt sich entschlossen, die Verantwortlichen für die Anschläge zur Rechenschaft zu ziehen. Vor allem in Nordnigeria wird aber auch die Möglichkeit eines Dialogs mit Boko Haram diskutiert, um zumindest gemäßigte Teile der Gruppierung zur Aufgabe zu bewegen. Die Regierung hat Dialogbereitschaft signalisiert, falls Boko Haram seine Aktionen einstellt.
(Auswärtiges Amt: Nigeria - Innenpolitik, Stand 3.2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html , Zugriff 15.10.2012)
Niger Delta/MEND
Es gelang 2009, den schweren Konflikt im ölreichen Nigerdelta mit einem Amnestieangebot zu beruhigen. Die dabei versprochenen Maßnahmen für die Rebellen wurden bis dato allerdings nur teilweise umgesetzt.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Größter Erfolg der Regierung Umaru Musa Yar'Aduas war eine Amnestie für die Militanten im Nigerdelta, die von diesen mit großer Mehrheit angenommen wurde (2009). Ob dies zu einer dauerhaften Beruhigung der Sicherheitslage in dieser Region führen wird, muss sich zeigen; bislang wird die Amnestievereinbarung weitgehend eingehalten.
(Auswärtiges Amt: Nigeria - Innenpolitik, Stand 3.2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html , Zugriff 15.10.2012)
Die nigerianische Regierung plant, 3.642 weitere ehemalige Rebellen des Nigerdelta in sein Amnestieprogramm aufzunehmen. Einige Ex-Kommandanten der Rebellen haben diesen Schritt zurückgewiesen und sagen, dass noch viele ausgeschlossen wären.
Der Plan wird die Gesamtzahl der Ex-Kämpfer der MEND [Movement for the Emancipation of the Niger Delta], welche an dem Programm partizipieren, auf 30.000 Mann bringen. Das Amnestieprogramm läuft seit dem Jahr 2009 und hat die Militanz, Kämpfe, Entführungen von Mitarbeitern von Erdölfirmen sowie die Unsicherheit im Nigerdelta drastisch reduziert.
(IRIN: Nigeria - Anger over amnesty programme, 27.9.2012, http://www.irinnews.org/Report/96403/NIGERIA-Anger-over-amnesty-programme , Zugriff 22.10.2012)
Mit dem im Juli 2009 vom damaligen Präsidenten Yar'Adua verkündeten Amnestieangebot für die Militanten im Niger-Delta hat seine Regierung bei der Lösung des Konflikts einen großen Schritt voran gemacht und einen überraschenden Erfolg erzielt: Alle bekannten Militantenführer nahmen das Amnestieangebot an. Ein Reintegrationsprogramm für 20.000 ehemalige Kämpfer hat Mitte 2010 begonnen. Präsident Jonathan, selbst aus dem Ölstaat Bayelsa stammend, setzt das Amnestieprogramm fort. Allerdings kündigten die Militantenführer Henry Okah und John Togo die Amnestie 2010 wieder auf. Der mutmaßliche MEND-Führer Henry Okah, der meistens vom Ausland aus agierte, sitzt derzeit in Südafrika in Haft; Nigeria beantragt seine Auslieferung als mutmaßlicher Drahtzieher eines MEND-Bombenanschlags in Abuja vom 01.10.2010.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Die Identität und Zusammensetzung der MEND hat sich seit ihrem Aufkommen im Jahr 2005 verändert. Mehrere militante Gruppen des Niger Deltas haben ihre Aktionen unter dem Namen der MEND durchgeführt. Analysten gehen davon aus, dass die MEND nunmehr ein Schirm mit dezentralisierter Struktur sei. Mehrere hochrangige Kommandanten, darunter Soboma George, Ateke Tom und Government Ektemupolo (alias Tompolo), von denen gesagt wird, dass sie zur Führungsgruppe der MEND gehören, akzeptierten im Jahr 2009 das Amnestieangebot und stellten damit den Zusammenhalt der Gruppe in Frage.
Ende des Jahres 2005 erschien eine neue Rebellengruppe, das Movement for the Emancipation of the Niger Delta (MEND). Sie brachte Entführungen zur Anwendung, um international Aufmerksamkeit zu erregen. Sie forderte die Freilassung diverser Personen, darunter Dokubu-Asari und Alamieyeseigha. Der Konflikt zwischen den Militanten des Deltas und der nigerianischen Armee eskalierte in der Folge und die Entführungen ausländischer Ölarbeiter nahmen exponentiell zu. Medien berichteten von der Entführung von über 300 Ausländern, darunter einige Amerikaner, zwischen 2006 und 2009.
Die Angriffe militanter Gruppen wie der MEND haben die nigerianische Ölproduktion regelmäßig um bis zu 25 Prozent schrumpfen lassen.
Von 2007 bis Mitte 2009 wurde die militärische Aktivität im Delta immer wieder durch Waffenstillstände und Verhandlungen unterbrochen. Sabotageakte der MEND und anderer militanter Gruppen nahmen zu Anfang 2009 zu, die Ölproduktion war stark betroffen. Im Mai 2009 führten nigerianische Sicherheitskräfte (Joint Task Force - JTF) eine neue Offensive durch. Bei den Kämpfen, die von Luftangriffen begleitet wurden, mussten Tausende fliehen.
Nach Einführung eines Amnestieprogramms ließ der bewaffnete Konflikt nach, auch wenn es noch zu vereinzelten Zwischenfällen kommt.
Bei diesem Amnestieprogramm für die Militanten des Deltas, angekündigt im Juni 2009, mussten die Kämpfer ihre Waffen abgeben und der Gewalt eine Absage erteilen. Danach erhielten sie die Amnestie, Zahlungen und Ausbildung. In nur wenigen Tagen hatten fünf militante Gruppen angekündigt, die Amnestie zu akzeptieren. Die MEND wies anfangs das Angebot zurück, doch im Juli 2009 sprach die Gruppe nach der Haftentlassung ihres Anführers Henry Okah einen Waffenstillstand aus. Auch wenn die MEND das Amnestieangebot nicht kollektiv akzeptiert hat, taten dies mehrere der mutmaßlichen Anführer.
Insgesamt wurden bis Ende 2011 an die 20.200 selbsternannte Kämpfer demobilisiert. In der zweiten Phase des Amnestieprogramms sollen im Delta Ausbildungseinrichtungen etabliert werden, die sich auf die Rehabilitation der Milizionäre konzentrieren. Die Fähigkeit der Regierung, diese versprochene Infrastruktur und die dazugehörigen Jobs zu kreieren, ist ein kritischer Punkt zur Beilegung der regionalen Missstimmung.
Die Sicherheit im Delta hat sich nach der Amnestie verbessert, die Ölproduktion hat sich gesteigert. Doch Beobachter warnen, dass die Region solange instabil bleiben werde, bis die Wurzeln der Gewalt endlich angegangen würden. Die MEND hat sich unter Berufung auf die noch herrschenden Missstände regelmäßig zu Angriffen bekannt, darunter auch Explosionen in Abuja im Oktober 2010, bei welchen zehn Menschen ums Leben kamen. Ein Sprecher der MEND gab an, dass die Gruppe zuvor die Behörden gewarnt hatten, damit es zu keinem Verlust an Menschenleben käme.
(U.S. Congressional Research Service: Nigeria: Elections and Issues for Congress, 19.1.2012,
http://www.unhcr.org/refworld/docid/4f39172d2.html , Zugriff 22.10.2012)
Südostnigeria/MASSOB
MASSOB - Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra, wurde in Anlehnung an die Separationsbewegung um den Biafra Krieg in den 1960er Jahren Ende 1990 gegründet. Ein profunder Zusammenhang mit dem Biafra Krieg und der darauf folgenden Unabhängigkeitserklärung Biafras ist definitiv nicht gegeben. MASSOB propagiert einen unbewaffneten und gewaltfreien Kampf. Die in den Medien behaupteten Waffenfunde im Rahmen von Razzien wurden wiederholt dementiert. Die Bewegung reklamiert eine größere Selbständigkeit für den Südosten des Landes und verfolgt auch sezessionistische Ziele, weshalb Teilnehmer an MASSOB-Veranstaltungen immer wieder wegen landesverräterischer Aktivitäten vor ordentlichen Gerichten angeklagt werden. Laut Medienberichten wurden viele Angeklagte vorzeitig gegen Zahlung einer Kaution bzw. einer Ehrenerklärung freigelassen, in anderen Fällen endeten Verfahren mit Freispruch.
Gegen aktive und prominente MASSOB-Mitglieder wurde zum Teil vehement vorgegangen; im Falle von Verhaftungen kann es zu Misshandlungen durch die Polizei kommen. Vor allen in Onitsha und Anambra State kam es wiederholt zu gewaltvollen Auseinandersetzungen mit der Regierung. Starken Zulauf fand die Organisation unter den Zugehörigen der Igbo. Die meisten der Anhänger sind junge, arbeitslose Igbos. Eine globale Abstempelung als MASSOB Mitglied allein auf Grund der Volkszugehörigkeit kann aber nicht festgestellt werden. Ebenso wenig sind jene Mitglieder polizeilicher Verfolgung ausgesetzt, die nur die Ziele und Ansichten von MASSOB unterstützen, aber nicht Separatismusbekundungen öffentlich zur Schau stellen.
Gegen den MASSOB-Führer, Chief Ralph Uwazurike (geb. 1962), wurde am 8. November 2005 ein Strafverfahren wegen Hochverrats eingeleitet. Im Oktober 2007 kam Uwazurike für drei Monate gegen Kaution frei und tauchte kurz unter. Im Jänner 2010 wurde er erneut verhaftet. Vorgeworfen wird ihm Inhaftierung des US-amerikanischen MASSOB-Mitglieds Pascal Okorie aufgrund dessen Aussagen in Radio Biafra. Zuletzt meldete sich Uwazurike in einem Interview der Sun, in dem er ankündigte sich mit der islamistischen Gruppe Boko Haram zu verbünden. Von Boko Haram kam bisher aber kein Statement und eine Verbindung scheint aus ideologischen und religiösen Gründen sehr unwahrscheinlich.
"Pro Biafran Groups" distanzierte sich im Jänner 2010 von MASSOB und "Chief Uwazuruike". Der Vorsitzende, Dozie Osondu, rief alle mit der Biafra-Sache involvierten Personen auf, sich von MASSOB und "Chief Uwazuruike" zu distanzieren. Darüber hinaus wurde die Biafra-Halbinsel im August 2008 endgültig an Kamerun abgetreten. Nigeria erfüllte somit eine langjährige Forderung der Internationalen Gemeinschaft. Im UK-Home Office Border Agency Bericht zu Nigeria April 2011 wird MASSOB nicht mehr erwähnt.
(Asylgerichtshof: Erkenntnis, Geschäftszahl A14 401807-1/2008 Spruch A14 401.807-1/2008/15E, Entscheidungsdatum 17.11.2011 / Asylgerichtshof: Erkenntnis, Geschäftszahl A3 312792-1/2008 Spruch A3 312.792-1/2008/14E, Entscheidungsdatum 20.12.2011)
IFA (Innerstaatliche Fluchtalternative)
Allgemeines
Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Die Polizei schränkte im Fall von ethnisch-religiöser Gewalt gelegentlich die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein und errichtete regelmäßig Straßensperren, um Reisenden Geld abzunehmen. Sicherheitsbeamte wenden weiterhin übermäßige Gewalt an Kontrollpunkten und Straßensperren an.
Alle Bürger haben das Recht, in jedem Landesteil zu leben, lokale Regierungen diskriminierten jedoch regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigte gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt.
(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2011 - Nigeria, 24.5.2012,
http://www.ecoi.net/local_link/217663/338426_de.html , Zugriff 15.10.2012)
Es ist festzustellen, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der "Kern"-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa, Yoruba, Ibo) durch Wanderungsbewegungen sowie aufgrund inter-ethnischer Heirat stattgefunden hat. So ist insbesondere eine starke Nord-Südwanderung - mit den sichtbaren Zeichen von vielen neuen Moscheen - feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind, wodurch innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen. Selbst in nördlichen Bundesstaaten stellen die Hausa zwar die größte Ethnie, aber mitunter weniger als 50 % der Bevölkerung. Igbos (Christen aller Denominationen) kontrollieren im Norden nahezu uneingeschränkt den Kleinhandel und haben Kirchen und Versammlungsräume errichtet.
Es kann allgemein festgestellt werden, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird.
Insgesamt kann ein weitgehendes Fehlen von Meldeämtern und gesamtnigerianischen polizeilichen Fahndungsbehörden festgehalten werden. Dies ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen".
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Grundsätzlich besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung oder Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Abschließend ist noch auszuführen, dass es nicht Aufgabe des Asylwesens ist, vor allgemeinen Phänomenen, wie regionalen Kampfhandlungen bzw. Krisen zu schützen. So steht es jedem Bewohner Nigerias frei, sich in anderen Landesteilen niederzulassen und besteht aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen im gesamten Land uneingeschränkte Bewegungsfreiheit.
Der Asylgerichtshof verkennt nicht, dass es in Nigeria immer wieder zu aufkeimenden Konflikten zwischen Moslems und Christen kommt, Es stünde einem Asylwerber jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, da die Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems meist nur für kurze Dauer und nicht auf dem gesamten Staatsgebiet, sondern nur lokal stattfinden.
(Asylgerichtshof: Erkenntnis, Geschäftszahl A14 401807-1/2008 Spruch A14 401.807-1/2008/15E, Entscheidungsdatum 17.11.2011)
Frauen
(..)
Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons, IDPs)
Ca. 1,3 Millionen Nigerianer sind im Jahr 2012 aufgrund der schwersten Überschwemmungen seit 40 Jahren vertrieben worden, 431 Personen kamen ums Leben. 30 der 36 Bundesstaaten sind seit Juli 2012 davon betroffen.
Schwere Niederschläge haben große Teile der Bundesstaaten Delta und Bayelsa überschwemmt. Betroffen waren 350 Gemeinden und rund 120.000 Menschen wurden heimatlos.
Die Überschwemmungen begannen im Bundesstaat Plateau im Juli und breiteten sich im August auf Borno, Cross River, Ebonyi, Nassarawa, Bauchi, Gombe, Katsina und Kebbi aus. Im September erreichten die Fluten Taraba, Benue, Niger, Kaduna und Kano, später auch noch Delta und Bayelsa.
Am 9. Oktober hat Präsident Goodluck Jonathan den Bundesstaaten und Agenturen 17,6 Milliarden Naira (111 Millionen US-Dollar) als Soforthilfe zur Verfügung gestellt und ein Komitee bezüglich Nahrungsmittelhilfe und Rehabilitation einberufen. Einige internationale NGOs, darunter Oxfam, haben mit Maßnahmen reagiert.
(IRIN: Nigeria - Worst flooding in decades, 10.10.2012, http://www.irinnews.org/Report/96504/NIGERIA-Worst-flooding-in-decades , Zugriff 22.10.2012)
Die NCFR (National Commission for Refugees) schätzt die Anzahl der IDPs in den Bundesstaaten Edo, Akwa-Ibom, Jigawa und Plateau auf jeweils ca. 200.000. Für Vertreibungen gibt es zahlreiche Ursachen:
Grenzstreitigkeiten, ethnische und kommunale Gewalt, lokale politische Gewalt, Gewalt im Zuge der Wahlen, Enteignungen, Konflikte im Nigerdelta und in Plateau, den Kampf der Regierung gegen Extremisten, die Verschiebung der nomadischen Weidegebiete im Zuge des Klimawandels, Überschwemmungen;
Die Reaktionen der Regierung sind ungleich und vom betroffenen Bundesstaat abhängig. Die Bundesorganisation NCFR hat nicht ausreichend Budget, um den Bedürfnissen nachzukommen. Auch die entsprechenden Ressourcen von Bundes- und Bundesstaatseinrichtungen sind unzureichend. Die NCFR schätzt, dass im Zuge der Wahlen im Jahr 2011 an die 33.000 Personen vertrieben worden sind, zum Beispiel 14.000 in Kaduna.
Die NEMA (National Emergency Management Agency) arbeitet mit Gruppen der Zivilgesellschaft und der Religionsgemeinschaften zusammen, um Nahrungsmittelhilfe und Unterkunft für IDPs bereit zu stellen. So geschah es auch zum Beispiel in Kaduna. Die meisten der betroffenen IDPs in Kaduna sind in ihre Dörfer zurückgekehrt oder leben bei Familienangehörigen in nahe gelegenen Dörfern. Die Regierung von Kaduna ist im Begriff, Unterkunftsmöglichkeiten für die Vertriebenen zu finden.
(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2011 - Nigeria, 24.5.2012,
http://www.ecoi.net/local_link/217663/338426_de.html , Zugriff 15.10.2012)
Religion
Zu Konflikten unter Einbezug religiöser Hintergründe siehe auch NIGR_F_2012_02_ALL
Religionsfreiheit
Freie Religionswahl und Religionsausübung sind in Kap. IV, Art 38 der Verfassung verankert. Die Regierung achtete Religionsfreiheit in der Praxis, obwohl von lokalen politischen Akteuren geschürte Gewalt straflos bleibt. Die Verfassung verbietet Gebietskörperschaften, ethnischen oder religiösen Gruppen Vorrechte einzuräumen, in der Praxis bevorzugen Bundesstaaten in der Regel die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion. Viele Christen behaupteten, dass die zwischen 1999 und 2001 erfolgte Wiedereinführung und Vollstreckung strafrechtlicher Aspekte des Scharia-Rechtssystems und die Verwendung von staatlichen Mitteln in zwölf nördlichen Staaten für die Errichtung von Moscheen, das Training von qädis (Scharia-Richter) und die Gewährung von Zuschüssen für Pilgerreisen nach Mekka die Einführung des Islam als Staatsreligion äußerlich erfüllen. Bürgerrechtsgruppen sehen dies durch die Einrichtung eines Ministeriums für religiöse Angelegenheiten und die Schaffung eines Predigerrates in Zamfara bestätigt. Gleichzeitig finanzieren mehrere Gliedstaaten - auch des Nordens - Pilgerreisen nach Jerusalem, den Sinai und nach Rom sowie die Errichtung von Kirchen.
Vier Staaten mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich (Zamfara, Niger, Kaduna, Kano) haben private Gruppen wie die Hisbah zur Rechtsdurchsetzung ermächtigt und gewähren hiefür staatliche Zuschüsse. In bestimmten Fällen sind diese Gruppen ermächtigt, Verhaftungen vorzunehmen. Bislang beschränkt sich ihre Zuständigkeit in erster Linie auf Verkehrsdelikte und die Marktaufsicht. Auch wenn der erweiterte Scharia-Geltungsbereich auf Nicht-Muslime keine Anwendung findet, sind diese durch bestimmte durch den Moralkodex inspirierte Sitten, wie die Geschlechtertrennung in öffentlichen Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Verkehrsmitteln betroffen.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Die Verfassung und andere Gesetzte gewährleisten die Religionsfreiheit, und in der Praxis respektierte die Regierung die Religionsfreiheit. Einzelne Bundesstaatsregierungen, Einzelpersonen und Gruppen außerhalb der Regierung begingen diesbezüglich manchmal Gesetzesbruch.
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Regierung die Lage hinsichtlich des Schutzes des Rechtes auf Religionsfreiheit verschlechtern oder verbessern würde. Insgesamt gelingt es der Regierung nicht, kommunale Gewalt einzudämmen, Vergehen zu untersuchen und Schuldige zu verurteilen. Insgesamt herrscht diesbezüglich ein Klima der Straffreiheit. Von derartiger Gewalt betroffen waren politische und ethnische Rivalen, Geschäfte, Wohnhäuser, Kirchen, Moscheen und ländliche Gemeinden.
Es gibt Berichte über gesellschaftliche Vergehen oder Diskriminierung aufgrund der religiösen Orientierung, des Glaubens oder aufgrund der Religionsausübung. Angriffe der extremistischen Boko Haram forderten das Leben von Christen und Muslimen.
Gewalt, Spannungen und Feindseligkeiten zwischen Christen und Muslimen nahmen zu, vor allem im "Middle Belt".
(U.S. Department of State: 2011 International Religious Freedom Report - Nigeria, 30.7.2012,
http://www.ecoi.net/local_link/223380/344998_de.html , Zugriff 15.10.2012)
Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung verankert und es gibt keine Berichte darüber, dass irgendjemand bei der Ausübung oder Wahl seiner Religion auf Probleme seitens der Bundesregierung stoßen würde.
Personen, die Angst vor der Scharia-Gerichtsbarkeit haben, haben auch das verfassungsmäßige Recht, dass ihre Fälle im formalen Rechtssystem behandelt werden.
Personen, die Angst vor Hisbah-Gruppen (lokale Scharia-Gruppen in Nordnigeria) haben, können eine innerstaatliche Fluchtalternative in Gebieten in Anspruch nehmen, wo diese Gruppen nicht tätig sind oder keinen Einfluss haben.
Jene Personen, die sich vor einer Verfolgung durch Boko Haram fürchten, sollten in der Lage sein, sich Schutz bei Behörden zu suchen oder eine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb Nordnigerias in Anspruch zu nehmen, wo Angriffe der Boko Haram weniger häufig vorkommen.
(U.K. Home Office: Operational Guidance Note - Nigeria, 4.10.2012, http://www.unhcr.org/refworld/docid/506d8e262.html , Zugriff 15.10.2012)
Von einem "Religionskrieg" oder von "Christenverfolgung" in Nigeria zu reden, wäre zwar nicht völlig falsch, griffe aber doch zu kurz. Die Probleme sind komplexer und bedürfen zu ihrer Lösung oder wenigstens doch Eindämmung einer differenzierteren Analyse als ein stereotypes religiöses Feindbild. Natürlich hat Boko Haram angekündigt, die Christen zu bekämpfen und tut dies auch in äußerst abstoßender und grausamer Weise. Gleichzeitig macht es sich aber auch viele moderate Moslems zu - überwiegend stillschweigenden - Feinden. Vielen Moslems ist es gleichgültig, was und woran die Christen glauben, solange sie sich bloß friedlich und tolerant verhalten. Umgekehrt gilt dasselbe.
Die ethnischen Gegensätze sind zudem noch tiefer als die religiösen. Dies erkennt man u.a. an der Geringschätzung, die Moslems aus dem Norden gewöhnlich für ihre Glaubensbrüder aus dem Süden, die islamischen Yoruba, zu erkennen geben. Sie seien keine "echten" Moslems, dürfen oft nicht einmal als Vorbeter fungieren. Der Differentiator ist Ethnizität, nicht Religiosität. Auch eine vollständige Bekehrung aller Nigerianer zum Islam würde daran nichts ändern. Sie wären Moslems zweiter Klasse.
(Konrad Adenauer Stiftung: Nigeria ein Jahr nach der Wahl - Die Konflikte nehmen zu, 4.2012,
http://www.kas.de/wf/doc/kas_30778-1522-1-30.pdf?120420114559 , Zugriff 15.10.2012)
Religiöse Gruppen
Viele Gruppen schätzen, dass rund 50% der 152,2 Millionen Einwohner Muslime sind, 45% Christen und 5% Anhänger von indigenen Glaubensrichtungen.
Der Großteil der Muslime sind Sunniten, es gibt eine kleine, aber wachsende Minderheiten von Schiiten und Izala (Salafisten). Unter den Christen finden sich Römisch-Katholische, Anglikaner, Baptisten, Methodisten, Presbyterianer und nicht-traditionelle evangelikale Christen und Pfingstkirchler sowie Mormonen.
Der Norden, dominiert von den ethnischen Gruppen der Hausa-Fulani und Kanuri, ist mehrheitlich muslimisch. Wesentliche christliche Gemeinschaften leben jedoch seit mehr als 50 Jahren auch im Norden und gingen Mischehen mit Muslimen ein. Im Middle Belt, darunter dem Federal Capital Territory, leben sowohl Christen als auch Muslime in gleicher Zahl. Dies gilt auch für den Südwesten, wo die ethnische Gruppe der Yoruba vorherrscht. Obwohl die meisten Yoruba dem Christentum oder Islam angehören, übt eine große Anzahl an Yoruba auch traditionelle religiöse Bräuche aus. Die ethnischen Gruppen des Südostens sind mehrheitlich Christen. Im Nigerdelta, wo die ethnischen Gruppen der Ogoni und Ijaw überwiegen, sind ebenfalls Christen in der Mehrheit. Muslime machen dort nur etwa 1% der Bevölkerung aus.
(U.S. Department of State: 2011 International Religious Freedom Report - Nigeria, 30.7.2012,
http://www.ecoi.net/local_link/223380/344998_de.html , Zugriff 15.10.2012)
Rechtsschutz
Justiz
Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Richter in Ausübung ihres richterlichen Amtes sind in der nigerianischen Verfassung verankert.
Die Justiz stützt sich auf drei Rechtsquellen: Federal Law, Sharia Law und Customary Law, die gleichberechtigt unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung gelangen können, sofern entsprechende Gerichtshöfe für Sharia bzw. Customary Law in den 36 einzelnen Bundesstaaten eingerichtet werden. Das Eherecht gestattet nach dem Federal Law nur die Einehe, Sharia Law vier und Customary Law eine unbegrenzte Anzahl von Ehefrauen.
Die Verfassung Nigerias schreibt auf Bundesebene folgende Instanzen in Zivil- und Strafrechtssachen vor: Supreme Court, Federal Court of Appeal, Federal High Court, sowie einen High Court für jeden Bundesstaat mit - diesem untergeordneten - District Courts für jede der 774 Local Government Areas (Bundesstaatsbezirke, in der Verfassung festgeschrieben) vor. Sharia bzw. Customary Courts sowie entsprechende Courts of Appeal können von den einzelnen Bundesstaaten bei Bedarf ("shall be for any State that requires it") eingerichtet werden. Customary und Sharia Courts können nur angerufen werden, wenn beide Parteien einwilligen, bei den Sharia Courts kommt die Bedingung hinzu, dass beide Parteien muslimisch sein müssen.
Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt im Hinblick auf die Entscheidung über das anzuwendende Rechtssystem "Common Law" oder des "Customary Court Law"-Systems. Einzelne Bundesstaaten haben "Sharia Courts" neben "Common Law" und "Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben Scharia- Berufungsgerichte eingerichtet.
Das Instrument der Rechtshilfe ist in Nigeria unterentwickelt, wodurch ein ungleicher Zugang für finanzschwache Personen besteht.
Ein nationales funktionierendes polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Damit ist es in der Praxis äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nach verdächtigen Personen national zu fahnden, wenn diese untergetaucht sind.
Im "Sheriffs and Civil Process Act" Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Die höheren Gerichte sind relativ kompetent und unabhängig. Allerdings sind sie politischer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt und leiden an einem Mangel an finanziellen Ressourcen, Ausrüstung und Ausbildung.
(Freedom House: Freedom in the World 2012 - Nigeria, 31.8.2012, http://www.unhcr.org/refworld/docid/504494e1c.html , Zugriff 15.10.2012)
Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor. In der Realität ist die Justiz allerdings, trotz persönlich hoher Unabhängigkeit einzelner Richterinnen und Richter und wiederholter Urteile gegen Entscheidungen der Administration, der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie von einzelnen politischen Führungspersonen ausgesetzt. Die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung behindert außerdem die Funktionsfähigkeit des Justizapparats. Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht.
Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o.ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte auf Grund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich. Auch der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren Nichtregierungsorganisationen, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Scharia-Gesetzgebung
Zwischen 1999 und 2001 wurden in zwölf nördlichen Bundesstaaten (Sokoto, Kebbi, Niger, Kano, Katsina, Kaduna, Jigawa, Yobe, Bauchi, Borno, Zamfara und Gombe) die strafrechtlichen Aspekte der Scharia-Rechtssystems nach hundertjähriger Pause wiedereingeführt. Bis 1999 stützten sich Gerichte nur in Zivilrechtssachen auf das Scharia-System. Die Unterwerfung unter Scharia-Strafrecht ist in mehreren Staaten für Moslems verpflichtend und erfolgt in anderen Staaten aufgrund einer freiwilligen persönlichen Entscheidung. Während die Bundesverfassung keine Anwendbarkeit des Scharia-Strafrechts auf Nicht-Muslime gestattet, können Nicht-Moslems freiwillig Gebrauch davon machen, wenn das Strafausmaß weniger streng als im Rahmen des Zivilrechts ist (z.B. Geldbuße anstatt Haftstrafe). Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden Gericht sind mündlich und öffentlich.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Mit der Wiedereinführung des Scharia-Strafrechts auf landesgesetzlicher Ebene in neun nördlichen Bundesstaaten sowie in den mehrheitlich muslimischen Gebieten dreier weiterer Bundesstaaten erhielten erstinstanzliche Scharia-Gerichte auch strafrechtliche Befugnisse (z.B. Verhängung von Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen wie Steinigung); dies gilt allerdings grundsätzlich nur für Muslime. Bestimmte, im Koran explizit genannte Vergehen (die sog. Hudud-Straftatbestände wie außerehelicher Geschlechtsverkehr, Verleumdung wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs, Diebstahl, Straßenraub, Alkoholgenuss), können nunmehr mit zum Teil drakonischen Strafen (Amputation, Prügelstrafe, Tod durch Steinigung etc.) belegt werden. Mord und Körperverletzung werden entweder mit Vergeltungsstrafen, bei denen Gleiches mit Gleichem geahndet wird, oder mit Blutgeld bestraft; dies liegt in der Entscheidung des Opfers bzw. dessen Hinterbliebenen. Entsprechend kann die Todesstrafe auf Verlangen von betroffenen Verwandten des Opfers als Akt zulässiger Vergeltung für vorsätzliche Tötungsdelikte ausgesprochen werden.
Alle übrigen Straftatbestände werden nach dem Ermessen des Richters geahndet.
Den rigorosen Strafandrohungen der Scharia stehen allerdings ebenso rigorose Beweisanforderungen gegenüber, so dass bei prozedural einwandfreien Scharia-Verfahren ein für eine Verurteilung ausreichender Zeugenbeweis oft nicht zu führen ist. In der Vergangenheit ist es aufgrund der Komplexität des auch für viele Richter zunächst noch neuen islamischen Beweisrechts insbesondere in der Eingangsinstanz oft zu unbefriedigenden und mit Rechtsfehlern behafteten Urteilen gekommen. Allerdings erregten Ermittlungen und Anklagen wegen so genannter Hudud-Straftatbestände zuletzt weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit als noch in den ersten Jahren nach der Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, da man mittlerweile davon ausgehen kann, dass entsprechende Verurteilungen im Rechtsmittelverfahren aufgehoben und korrigiert werden.
Der Scharia-Instanzenzug endet auf der Ebene eines Landesberufungsgerichts, gegen dessen Urteile Rechtsmittel zu dem (säkularen) Bundesberufungsgericht in Abuja statthaft sind. In verschiedenen Bundesstaaten überwacht die "Hisbah"-Polizei die Einhaltung der religiösen Vorschriften. In Kano wird sie direkt durch den Bundesstaat betrieben, während sie in anderen Bundesstaaten ähnlich den nichtstaatlichen Bürgerwehren organisiert ist. Die Hisbah wurde vom Obersten Gericht zwar als verfassungswidrig bezeichnet, da polizeiliche Aufgaben ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fallen, sie hat ihre Tätigkeit jedoch bisher nicht eingestellt, sondern wurde lediglich umorganisiert. Der Gouverneur von Kano State begründete dies damit, dass die "Hisbah" keine polizeilichen, sondern gesellschaftlichmoralische Aufgaben und Befugnisse wahrnehme. An sich sollte von der Hisbah keine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung ausgehen, da sie der regulären Polizei untergeordnet und in der Regel unbewaffnet ist. Allerdings kommt es immer wieder zu Kompetenzüberschreitungen sowie zur nicht zulässigen Anwendung islamischer Gesetze und Verhaltensregeln auf Nichtmuslime. In Kano ist die Hisbah beispielsweise bei Homosexuellen wegen ihrer gewaltsamen Übergriffe gefürchtet.
In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, die in den Jahren 2000/2001 die strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia wiedereingeführt haben, kann es zur Anwendung von Scharia-Vorschriften (Verbot des gemischten Schulunterrichts, Verbot des Alkoholgenusses, Geschlechtertrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln, etc.) auch auf Nicht- Muslime kommen. Der Bundesstaat Kano führte im Mai 2007 die Pflicht zum Tragen islamischer Schulkleidung für alle Schülerinnen und Schüler, also auch für Angehörige der christlichen Minderheit, ein. Grundsätzlich gilt allerdings das Scharia-Recht nur für Muslime.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Sicherheitsbehörden
Die Nigerian Police Force (NPF) und die Mobile Police (MOPOL) zeichnen sich durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, Willkür und geringen Diensteifer aus. Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat ist durch immer wieder gemeldete Fälle von widerrechtlichen Tötungen, Folter und unmenschlicher Behandlung in Polizeihaft unterentwickelt.
Aufgrund der schlechten Bezahlung der niedrigen Ränge besteht die Bereitschaft zur Annahme/Forderung von Bestechungsgeldern.
Der State Security Service (SSS), Inlandsgeheimdienst, wird ebenfalls kein hoher Standard an Professionalität und Integrität ausgestellt.
Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig. Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen Professionalität konstatiert. Unter diese Behörde fällt die Zuständigkeit für Dekret 33.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Die nigerianische Polizei (National Police Force/NPF) untersteht dem Generalinspektor der Polizei, der vom Präsidenten eingesetzt wird und für die Durchsetzung der Gesetze verantwortlich ist. Diesem unterstehen Assistenten zur Leitung der Polizeikräfte in jedem Bundesstaat. Bundesstaaten dürfen gemäß Verfassung über keine eigenen Sicherheitskräfte verfügen. In Notsituationen kann die Bundespolizei jedoch dem Gouverneur eines Staates unterstellt werden.
Die Innere Sicherheit ist Zuständigkeitsbereich des State Security Service (SSS) das dem Präsidenten via nationalen Sicherheitsberater unterstellt ist. Da die Polizei oft nicht in der Lage war, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verließ sich die Regierung gelegentlich auf Unterstützung durch die Armee. Zum Beispiel entsandte der Präsident im September 2011 1.300 Soldaten nach Jos.
(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2011 - Nigeria, 24.5.2012,
http://www.ecoi.net/local_link/217663/338426_de.html , Zugriff 15.10.2012)
Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz [State Security Service] sowie paramilitärische Verbrechensbekämpfungseinheiten, die so genannten RRS [Rapid Response Squads]) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt.
Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der (Bundes-) Polizei, die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht. Die Lage der ca. 360.000 Mann starken Polizeitruppe ist durch schlechte Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Korruption ist bei der Polizei weit verbreitet; Gelderpressungen an Straßensperren sind an der Tagesordnung. Ca. 100.000 Polizisten sollen zudem als Sicherheitskräfte bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen tätig sein.
Das Militär hat die Federführung bei der Joint Task Force inne, die gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta, im Kampf gegen Boko Haram im Nordosten und zur Sicherung der Lage im zentralnigerianischen Jos eingesetzt wird.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Polizeigewalt / Folter
Folter scheint in den nigerianischen Strafvollzugsanstalten ein geringeres Problem als in Polizeigewahrsam darzustellen. So gibt es zahlreiche Berichte über Folter- und Misshandlungspraktiken in den Polizeigefängnissen, sowie in den Zellen des State Security Service (SSS). Folter wird von den Sicherheitskräften vor allem dazu benützt, Geständnisse zu erpressen. Beweise für die zahlreichen Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen sind kaum möglich. Von den Sicherheitskräften begangene sexuelle Misshandlungen und Vergewaltigungen werden im Regelfall nicht geahndet bzw. die Täter bleiben straffrei.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Das Vorgehen der Polizei war nach wie vor geprägt von Menschenrechtsverletzungen. Hunderte Personen wurden rechtswidrig getötet, häufig im Zuge von Festnahmen auf der Straße. Andere starben in Polizeigewahrsam an den Folgen von Folterungen. Bei vielen dieser Tötungen handelte es sich vermutlich um außergerichtliche Hinrichtungen. Zahlreiche Personen "verschwanden" aus dem Polizeigewahrsam. Nur selten wurden Polizeibeamte zur Rechenschaft gezogen, so dass es für die Angehörigen getöteter oder "verschwundener" Personen keine Gerechtigkeit gab. Polizisten trugen immer häufiger Zivilkleidung oder Uniformen ohne eindeutige Kennzeichnung, was Beschwerden über bestimmte Beamte erschwerte.
In den meisten Fällen blieben Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgungen aus. Einige Familienangehörige wurden bei ihren Bemühungen um Gerechtigkeit bedroht.
Das ganze Berichtsjahr über wurden Fälle gemeldet, bei denen die Polizei Straftatverdächtige gefoltert hatte, um von ihnen Informationen zu erpressen. Entgegen nationalen Gesetzen und dem Völkerrecht wurden unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht als Beweismittel anerkannt.
(Amnesty International: Amnesty Report 2012 - Nigeria, 24.5.2012, http://www.amnesty.de/jahresbericht/2012/nigeria , Zugriff 15.10.2012)
Die Sicherheitskräfte sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu begehen: Allen Hinweisen zufolge gehören Folter, willkürliche Verhaftungen und extra-legale Tötungen nach wie vor zum Handlungsrepertoire staatlicher Sicherheitsorgane, unter denen insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten zu leiden haben. Zudem gehen Polizei und Militär bei Großeinsätzen wie der Bekämpfung der islamistischen Gruppe Boko Haram häufig mit unverhältnismäßiger Härte vor. Auch Amnesty International hat in einem ausführlichen Bericht von Dezember 2009 und erneut im aktuellen Jahresbericht namentlich der nigerianischen Polizei Folter, extra-legale Tötungen sowie das Verschwindenlassen von Untersuchungshäftlingen vorgeworfen. Glaubwürdige Menschenrechtsorganisationen im Land schätzen die Zahl der extra-legalen Tötungen auf mehrere tausend pro Jahr, selbst die staatliche Menschenrechtskommission schätzt die Zahl auf jährlich ca. 5.000. Dabei handelt die Polizei in der Gewissheit weitgehender Straflosigkeit. Ein Polizist, der während des Generalstreiks im Januar 2012 in Lagos bei einer Demonstration einen Jugendlichen erschossen haben soll, befindet sich in Untersuchungshaft.
Die Polizeiführung versucht in begrenztem Maße gegenzusteuern und veranstaltet zusammen mit Nichtregierungsorganisationen Menschenrechtskurse und Fortbildungsmaßnahmen. Die harsche Zurückweisung eines 2009 veröffentlichten Berichts Amnesty Internationals, der der Polizei ebenfalls Folter, extralegale Tötungen und Verschwindenlassen vorwarf, verdeutlichte jedoch einmal mehr, dass menschenrechtliche Fragen für die Polizeiführung keine besondere Priorität haben.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
"Vigilante Gruppen"
In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von "ethnischen Vigilantegruppen" gebildet ("Odua People's Congress" (OPC) im Südwesten; die "Bakassi Boys" im Südosten), bei denen man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes "Sicherheit" erkaufen kann. Die Behörden reagieren unterschiedlich auf die "Vigilantes": Im Bundesstaat Lagos ging die Polizei gegen den OPC vor, im Osten des Landes wurde die Existenz dieser Gruppen dagegen von einigen Gouverneuren begrüßt. Die Polizei arbeitet zum Teil mit ihnen zusammen. Generell scheint die Bedeutung der Vigilantes in Städten etwas abzunehmen, in einigen ländlichen Regionen haben sie aber weiterhin eine dominante Machtposition.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Korruption
Korruption ist im Erdölstaat Nigeria weit verbreitet. In den letzten Monaten sind keine wichtigen Gerichtsurteile in prominenten Korruptionsfällen ergangen, drei 2011 nicht mehr wieder gewählte Provinzgouverneure wurden im Oktober 2011 wegen Korruption angeklagt.
Bedingt durch die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme und aufgrund der schlechten Bezahlung, Überlastung und fehlender Infrastruktur ist Korruption im Justizbereich verbreitet. Damit auf der Führungsebene der Justizorgane ein hoher Standard an Professionalität und Integrität gewährleistet werden kann, sind weitere Reformen unerlässlich. Die Regierung hat sich verpflichtet, im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen überzeugende und greifbare Ergebnisse zu erzielen. Es wurde das politisches Bekenntnis bekräftigt, ein unabhängig funktionierendes, stabiles Justizwesen einzurichten, das in der Lage ist, Interessenkonflikte, Korruption und organisiertes Verbrechen aufzudecken und zu sanktionieren und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Die Regierung Nigerias hat den Kampf gegen Korruption zu einem Ziel ihrer Wirtschaftspolitik erklärt. Durch die Einführung eines geordneten Verfahrens bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Schaffung größerer Transparenz bei den Einnahmen im Öl- und Gasgeschäft hat sie wichtige Schritte zu diesem Ziel eingeleitet. Eine weitere wichtige Maßnahme war die Einrichtung einer Economic and Financial Crimes Commission (EFCC) zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftsverbrechen. Als Ergebnis der Bemühungen der EFCC wurde Nigeria 2006 aus der von der Financial Action Task Force der G8 geführten Liste der bei der Bekämpfung von Geldwäsche "nicht-kooperierenden Staaten" gestrichen.
(Auswärtiges Amt: Nigeria - Wirtschaft, Stand 3.2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaft_node.html , Zugriff 15.10.2012)
Das Gesetz sieht für Korruption Strafen vor. Allerdings setzt die Regierung dieses Gesetz nicht effektiv um und Beamte gehen bei korrupten Aktivitäten oft straffrei aus. Massive, weitverbreitete und tiefgreifende Korruption betrifft alle Behördenebenen und die Sicherheitskräfte.
Es gab die weitverbreitete Auffassung, dass Richter leicht zu bestechen seien und Prozessparteien sich daher nicht auf Gerichte verlassen sollten, um ein unparteiisches Urteil zu erhalten.
Bei der Polizei grassiert die Korruption, vor allem an Straßensperren. Die Police Monitoring Unit, die zu Kontrolle von Polizisten eingerichtet worden war, blieb ineffektiv und es kam während des Jahres zu keinen Verhaftungen. Zwar konnten Staatsbürger Korruptionsvorwürfe bei der NHRC (National Human Rights Commission) einbringen, doch wurde diese während des Jahres in keinem Fall aktiv.
Die Anti-Korruptions-Bemühungen des EFCC (Economic and Financial Crimes Commission) waren größtenteils ineffektiv. Die Personalumstellungen bei dieser Behörde warfen Fragen bezüglich der Ernsthaftigkeit der Regierung hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung auf. Seit dem Jahr 2005 hat die EFCC 26 Prominente öffentlich Bedienstete angeklagt und dabei 10,5 Milliarden US-Dollar zurückgeholt. Allerdings wurden nur vier der Angeklagten verurteilt, alle anderen gingen auf Kaution frei.
(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2011 - Nigeria, 24.5.2012,
http://www.ecoi.net/local_link/217663/338426_de.html , Zugriff 15.10.2012)
Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Rund 42.000 nationale und internationale NGOs sind in Nigeria registriert; sie sind keinen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen. Sie beobachten die Menschenrechtslage und veröffentlichen ihre Erkenntnisse. Regierungsvertreter reagieren vereinzelt auf Vorwürfe.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Neben der Nationalen Menschenrechtskommission gibt es eine Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen, die sich grundsätzlich frei betätigen können. Sie sind nach Art, Größe und Zielrichtung sehr unterschiedlich und reichen von landesweit verbreiteten Organisationen wie der CLO (Civil Liberties Organization), der CD (Campaign for Democracy) und LEDAP (Legal Defense Aid Project), die sich in erster Linie in der Aufklärungsarbeit betätigen, über Organisationen, die sich vorrangig für die Rechte bestimmter ethnischer Gruppen einsetzen, und Frauenrechtsgruppen bis hin zu Gruppen, die vor allem konkrete Entwicklungsanliegen bestimmter Gemeinden vertreten. Auch kirchliche und andere religiös motivierte Gruppierungen sind in der Menschenrechtsarbeit aktiv.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Ombudsmann
Die Aufgaben der Nationalen Menschenrechtskommission ("National Human Rights Commission" [NHRC]) sind Förderung und Schutz der Menschenrechte sowie Menschenrechtserziehung; derzeit konzentriert sie sich u.a. auf Polizeigewalt, Diskriminierung im Wirtschaftsleben, Gewalt gegen Frauen sowie Menschenrechtsbildung und -aufklärung. Soweit sich die Kommission Einzelschicksalen annimmt, hat ihre Arbeit lediglich empfehlenden Charakter.
Immerhin stärkt ein im Juni 2010 verabschiedetes Gesetz die personelle und finanzielle Unabhängigkeit der Kommission und gibt daher Anlass zur Hoffnung, dass die Kommission künftig weniger politischer Einflussnahme ausgesetzt ist. Ende 2011 wurde der ehemalige Menschenrechtsaktivist Chidi Odinkalu zum neuen Vorsitzenden der Kommission bestimmt. Die Kommission hat ihre Arbeit in den letzten Jahren verbessert und zuletzt etwa mit der öffentlichen Schätzung von jährlich ca. 5.000 extra-legalen Hinrichtungen wachsende Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein bewiesen.
Allerdings sah sich Chidi Odinkalu im April Einschüchterungsversuchen der Polizei und des Justiz-Ministers ausgesetzt.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Rückkehrfragen
Auf I-Ghost findet sich Eine Liste mit 203 vom "Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society" auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen.
Grundversorgung/Wirtschaft
Noch immer sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Nigeria ist dennoch in diesem Bereich nicht autark, sondern auf Import (vor allem Reis) angewiesen; im Oktober 2011 forderte der Staatspräsident eine Initiative der lokalen Reisproduzenten, um in der Reisversorgung bis 2013 autark zu werden und hunderttausende neue Arbeitsplätze im landwirtschaftlichen Sektor zu schaffen.
Aufgrund der schlechten Energieversorgung schlossen in den vergangenen 15 Jahren fast alle namhaften internationale Konzerne ihre Produktionsstätten in Nigeria bzw. verlagerten die Produktion in Nachbarstaaten. Ganze Regionen, insbesondere die nördlichen Industriezentren Kano und Kaduna, wurden de-industrialisiert; eine Umkehr dieses Trends wird angestrebt. Hoffnungsträger als Beschäftigungsmotor ist die seit den Erdölfunden in den 60er Jahren vernachlässigte Landwirtschaft.
Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige.
Die Chancen einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem Beziehungen.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Der gesetzlich garantierte monatliche Mindestlohn wurde im Zuge der Wahlversprechen 2011 für öffentlich Bedienstete von Naira 5.500.- ( EUR 27.-) auf Naira 18.000.- ( EUR 90.-) erhöht; bis dato allerdings noch nicht in allen 36 Bundesstaaten auch ausbezahlt. Nach starken Protesten der Gewerkschaften wurde diese Erhöhung auch für den Privatsektor "fiktiv" übernommen und soll zumindest für Firmen mit mehr als 50 Beschäftigten gelten.
Im landwirtschaftlichen sowie privaten Bereich(Haushaltshilfen) und im Kleingewerbe sind nach wie vor 1.000.- (Landwirtschaft) bzw. 4.000.- bis 6.000.- Naira monatlich der Regelfall. Im ländlichen Bereich arbeiten Dienstnehmer z.T. auch nur für Kost und Quartier bzw. werden für Erntearbeit in Naturalien entlohnt.
Das Durchschnittseinkommen von 70 % der Gesamtbevölkerung liegt unter einem US-Dollar pro Tag. Diese Zahl ist unter anderem auch dadurch bedingt, dass im ländlichen Raum der Tauschhandel noch üblich ist und Unterkunft und Verpflegung durch eigenen Grund und Boden häufig gewährleistet sind.
Man ist als "Arbeitssuchender" auf das soziale Netz der afrikanischen Großfamilie angewiesen und wandert in drei bis sechsmonatigen Abständen von Verwandten zu Verwandten und versucht, Beschäftigung zu finden.
Eine Lebensmittelknappheit war in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent, in vereinzelten Gebieten im äußersten Norden Nigerias (Grenzraum zur Republik Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation schwierig.
Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen nun erstmals auch für die nördlichen Bundesstaaten Hungerperioden nicht mehr aus.
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. So wird für eine rund 30 cm lange Yam-Wurzel, von der sich eine erwachsene Person zwei Tage lang ernähren kann, je nach Region und Saison ein Preis von Naira 50.- bis 200.- berechnet (EUR 0,25 bis 1.-).
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Die Gouverneure der Bundesstaaten schaffen laufend Arbeitsplätze für die Jugend. Exemplarisch hat die Regierung des Bundesstaates Ekiti (Yoruba) 2.500 Personen nach einer zehntägigen Schulung in "leadership and entrepreneurial skills" in verschiedenen staatlichen Institutionen eingestellt. Es ist geplant, 20.000 dieser "jobs" in den nächsten vier Jahren zu schaffen.
"YouWin" (Youth Enterprise with Innovation in Nigeria) ist die große - mit 50 Milliarden Naira - dotierte Jugendbeschäftigungsinitiative des Staatspräsidenten, die mit großem medialem Aufwand im Oktober 2011 gestartet wurde. Es sollen damit zwischen 80.000 und 110.000 neue (selbständige) Unternehmer/Arbeitsplätze geschaffen werden. Jugendliche (Altersgrenze 40) können Geschäftspläne einreichen und Startgelder für ihre Projekte aus diesem Fond erhalten. Zeitgleich plant der neu ernannte Energieminister eine Ausweitung der Stromversorgung mit Neuerrichtung sowie Rehabilitierung der nur teilweise funktionierenden Stromwerke.
Die Preise für ein Einzelzimmer mit gemeinsamer Küche und Waschmöglichkeit schwanken von monatlich Naira 500.- bis 10.000.- (EUR 2,50 bis 50.-) je nach Dorf bzw. Stadt in einem Nicht-Ballungsgebiet. In den Außenbezirken von Abuja werden pro Monat für ein Zimmer mit gemeinsamer Koch- und Waschgelegenheit rund NGN 3000.- (EUR 15.-) berechnet, so ferne die Miete für ein Jahr im Voraus entrichtet wird.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas, nach Südafrika mit Abstand die zweitgrößte Volkswirtschaft südlich der Sahara, verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen, und konnte in den letzten Jahren auch dank verschiedener Reformen durchweg ein hohes einstelliges Gesamtwirtschaftswachstum verzeichnen.
Weiterhin gelten allerdings folgende Herausforderungen:
* Die weitgehende Abhängigkeit von Öleinnahmen (über 90 Prozent der Exporterlöse; 80 Prozent der staatlichen Einnahmen und etwa 20 % des BIP) besteht fort.
* Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt weiterhin in extremer Armut (weniger als 1 US-Dollar pro Tag). Die Arbeitslosigkeit, vor allem in der jungen Bevölkerung, ist hoch.
* Die Lage im Nigerdelta ist derzeit relativ stabil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen bleibt aber ein Risiko.
* Die Infrastruktur, vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport, ist weiterhin mangelhaft und gilt als Haupthinderungsgrund für die wirtschaftliche Entwicklung.
Die Regierung legt Mehreinnahmen aus dem Ölexport auf ein Sonderkonto der Zentralbank fest, um damit eine stabilere Fiskalpolitik zu erzielen, einen Inflationsschub zu verhindern und Reserven für schlechtere Zeiten anzulegen. So konnten die Auswirkungen der globalen Finanzkrise erfolgreich abgefedert werden. Im Mai 2011 hat die Regierung für die Öleinnahmen einen "Sovereign Wealth Fund" geschaffen, der die Mittel transparent und effizient verwalten soll.
Im Januar 2006 erhielt Nigeria sein erstes Rating von Fitch und Standard and Poor's: BB-. Seit Ende 2011 ist das Rating von Standard & Poor's B+/B.
Der Reichtum Nigerias ist das Öl, doch über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. In ländlichen Gegenden ist der Anteil über 90 Prozent. Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft - mit Größen von einem bis 5 Hektar. Der Agrarsektor macht über 40 Prozent des BIP aus. Das Wachstum des Sektors war in den letzten Jahren mit 7-8 Prozent überdurchschnittlich.
(Auswärtiges Amt: Nigeria - Wirtschaft, Stand 3.2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaft_node.html , Zugriff 15.10.2012)
Verschiedene Studien des National Bureau of Statistics (NBS), der Central Bank of Nigeria (CBN), des National Directorate for Employment(NDE), des National Manpower Board und des Centre for Investment, Sustainable Development, Management and Environment haben ergeben, dass mehr als 80% der arbeitsfähigen Bevölkerung Nigerias arbeitslos ist und dass 60% der Arbeitslosen Abgänger der Haupt- oder Mittelschule ohne Berufsausbildung sind.
Es bestehen keine speziellen Reintegrations- und Wiederaufbauprogramme für Heimkehrer. Reintegrationshilfe kann durch Regierungsprogramme wie etwa NDE, NAPEP, UBE, SMEDAN, NACRDB erhalten werden und nichtstaatliche Organisationen wie etwa die Lift above Poverty-Organisation (LAPO) bieten allgemeine Reintegrationshilfe.
Kooperative Verbände, Finanzinstitutionen der Regierung (Mikrokredite der NACRDB, NAPEP etc.) und nichtstaatliche Organisationen sowie SME-freundliche Handels- und Gemeinschaftsbanken bieten finanzielle und administrative Unterstützung bei der Existenzgründung in Nigeria.
(IOM: Länderinformationsblatt Nigeria, 8.2012)
Medizinische Versorgung
Krankenhäuser sind bezüglich Ausstattung, qualifiziertem Personal und Hygiene mit europäischen Standard nur vereinzelt in städtischen Zentren vergleichbar. In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung.
Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/Aids können teils kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Vorbeugeimpfaktionen werden von Internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber (v.a. im moslemischen Norden) auf religiös und kulturell bedingten Widerstand.
Religiöse Wohltätigkeitsinstitute und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung; im ländlichen Bereich werden "herbalists" und traditionelle Heiler konsultiert.
Die Kosten von medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden; die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von Naira 20.- bis 50.-(EUR 0,1 bis 0,25) ein:
Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, so ferne vorhanden.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Das Hauptorgan der Regierung für das Gesundheitswesen ist das Bundesgesundheitsministerium. Das Gesundheitsministerium ist für die Koordination aller Aktivitäten im Bereich Gesundheitswesen im gesamten Land verantwortlich.
Medizinische und Gesundheitsdienste sind ebenfalls Aufgabe der Regierung, die Krankenhäuser in den großen Städten unterhält. Die meisten Landeshauptstädte haben öffentliche und private Krankenhäuser sowie Fachkliniken und jede Stadt hat darüber hinaus eine Universitätsklinik, die vom Bundesgesundheitsministerium finanziert wird.
Öffentliche (staatliche Krankenhäuser): Diese umfassen die allgemeinen Krankenhäuser, die
Universitätskliniken und die Fachkliniken. Die Gebühren sind moderat, doch einigen Krankenhäusern fehlt es an Ausrüstung und ausreichendem Komfort. Es treten oftmals Verzögerungen auf und vielfach werden Untersuchungen aufgrund der großen Anzahl an Patienten nicht sofort durchgeführt.
Private Krankenhäuser: Hierbei handelt es sich um Standard-Krankenhäuser. Diese Krankenhäuser verfügen nur teilweise über eine ausreichende Ausstattung und müssen Patienten für Labortests und Röntgenuntersuchungen oftmals an größere Krankenhäuser überweisen. Diese Krankenhäuser sind im Allgemeinen teurer.
Voraussetzungen für die Aufnahme in einem Krankenhaus: Vor Beginn der Behandlung muss generell eine Vorauszahlung hinterlegt werden. Die Restzahlung erfolgt nach Abschluss der Behandlung. Einige staatliche und private Unternehmen haben Aufnahmevereinbarungen mit Gesundheitsdienstleistern getroffen, um die medizinische Versorgung ihrer Belegschaft zu gewährleisten.
Es besteht keine umfassende Liste der Krankenhäuser und Ausstattungen, aber zahlreiche Krankenhäuser in Nigeria sind gut ausgestattet und in der Lage, zahlungsfähige Patienten medizinisch zu versorgen.
Medikamente sind verfügbar, können aber je nach Art teuer sein. Es gibt zahlreiche Apotheken in den verschiedenen Landesteilen Nigerias. Die National Agency for Food and Drug Administration and Control (NAFDAC) hat ebenfalls umfangreiche Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass diese Apotheken überwacht werden und der nigerianischen Bevölkerung unverfälschte Medikamente verkaufen.
Verschiedene Krankenhäuser in Nigeria haben sich auf unterschiedliche Krankheiten spezialisiert und Patienten suchen diese Krankenhäuser entsprechend ihrer Erkrankung auf. Allgemeine Krankenhäuser in Nigeria behandeln Patienten mit verschiedenen Krankheiten, verfügen jedoch üblicherweise über Fachärzte wie etwa Kinderärzte, Augenärzte, Zahnärzte, Gynäkologen zur Behandlung bestimmter Krankheiten. Zu den Fachkliniken zählen orthopädische Kliniken, psychiatrische Kliniken etc.
(IOM: Länderinformationsblatt Nigeria, 8.2012)
Rückkehrfragen
Die Botschaft unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations im Rahmen von FRONTEX als "lead nation". Die Erfahrungen seit dem Jahre 2005 lassen keine Probleme erkennen. Die Rückgeführten verlassen das Flughafengebäude und steigen meistens in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch, auf Grund von fehlenden verifizierenden Studien, nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit offiziellen Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist.
Probleme, Anhaltungen oder Verhaftungen von rückgeführten Personen bei ihrer Ankunft am Flughafen Lagos wurden im Rahmen des Monitoring der Ankunft und des ungehinderten Verlassens des Flughafengeländes durch Vertreter der Botschaft nicht beobachtet.
Seit der Rückkehr der Demokratie 1999 ist oppositionelle Tätigkeit gegenüber der Regierung Bestandteil des politischen Lebens in Nigeria und stellt keine Gefahr mehr für die Beteiligten dar.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Erkenntnisse darüber, dass abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor.
Verhaftung bei Rückkehr aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig ausgereisten Asylbewerbern aus Deutschland sind nicht bekannt. Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der Nigerianischen Immigrationsbehörde, manchmal auch der NDLEA befragt und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen. Im Ausland straf- oder polizeilich auffällig gewordene Personen, insbesondere Prostituierte, werden in ihren Herkunfts-Bundesstaat überstellt.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Rückkehrprogramm
Das Projekt zur Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration von Rückkehrenden nach Nigeria (AVRR Nigeria) wurde mit 1. Juli 2012 für ein weiteres Jahr verlängert. Teilnehmer an dem Projekt, die vor dem 30. Juni 2012 zurückgekehrt sind, haben bis Ende des Jahres Zeit, die von ihnen gewählten Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Rückkehrer, die ab dem 1. Juli 2012 zurückkehren, können als Teilnehmer der neuen Projektphase bis 30. Juni 2013 unterstützt werden.
Die Unterstützung der Projektteilnehmer durch IOM Lagos ist bei der Umsetzung der Reintegrationsunterstützungsmaßnahmen unerlässlich. Die Kollegen des IOM Lagos Teams assistieren nicht nur in der Praxis (z.B. beim Anmieten von Geschäftslokalen, dem Ankauf von Waren, etc.), sondern bieten vielen auch moralische Unterstützung, sich möglichst gut wieder in Nigeria zurechtzufinden.
Kontakt: Abteilung für Unterstützte Freiwillige Rückkehr und Reintegration, IOM Länderbüro Wien, Nibelungengasse 13/4, 1010 Wien, +43 (0) 1 585 3322 28
(IOM: AVRR Newsletter, 6.2012)
Dekret 33
Das insbesondere im Hinblick auf eine Verurteilung eines nigerianischen Staatsangehörigen wegen eines Drogendeliktes in einem Drittstaat erlassene "Dekret 33" ist rechtspolitisch problematisch.
Das Strafausmaß beträgt fünf Jahre Freiheitsentzug und Entzug des persönlichen Vermögens des Verurteilten. Durch Schaffung des neuen Delikts "den Namen Nigerias in Verruf bringen", umging man das in der nigerianischen Verfassung verankerte Verbot der Doppelbestrafung. Der Botschaft ist allerdings kein Fall bekannt, wo ein wegen eines Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz aus Österreich abgeschobener nigerianischer Staatsbürger von den Sicherheitsbehörden strafrechtlich verfolgt wurde. Es handelt sich nach übereinstimmender Einschätzung befreundeter EU-Botschaften um "totes" Recht.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die Drogenpolizei (NDLEA) überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im "Decree 33" nicht zu befürchten.
(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: April 2012, 6.5.2012)
Dokumente
Infolge des Fehlens eines geordneten staatlichen Personenstandswesens ist die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten durch nigerianische Behörden nicht möglich.
Angesichts der in Nigeria allgemein nicht gegebenen Dokumentensicherheit, bestätigt u.a. durch eine offizielle Erklärung des nigerianischen Außenministeriums vom Juli 2009 und erneut vom März 2010, wonach die Fälschungsrate bei nigerianischen Personenstandsdokumenten mindestens 80 % beträgt, ist somit die "formale Bestätigung" der Echtheit der Unterschrift oder eines Siegels eines ausländischen Ministeriums nicht geeignet, um eine Beglaubigung unter Einhaltung der gesetzlichen notariellen Sorgfaltspflicht und im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen vornehmen zu können. Analog zu §§ 36b und 55 der Notariatsverordnung ist zusammen mit der Urkundenüberprüfung sohin eine Identitätsüberprüfung vorzunehmen.
Geburtsurkunden, welche die Grundlage zur Erlangung anderer notwendiger Personaldokumente darstellen, werden wie folgt erstellt:
Geburten werden insbes. im ländlichen Raum, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, kaum registriert. Wird die Vorlage einer Geburtsurkunde verlangt, so leisten zwei Personen für den Antragsteller eine eidesstattliche Erklärung ("affidavit"), welche die Geburt bezeugt, wann auch immer diese stattgefunden hat. Lediglich darauf basierend wird eine Geburtsurkunde ausgestellt und in weiterer Folge sämtliche anderen Dokumente, auch der neue biometrische Reisepass.
(ÖB Abuja: Asylländerbericht Nigeria, 11.2011)
Eine tatsächliche Überprüfung der Identität ist nahezu unmöglich bzw. kann nur durch fallbezogene Recherche vor Ort versucht werden, diese zu ermitteln.
Von einer Feststellung der Identität nigerianischer Staatsbürger unter alleiniger Berücksichtigung von Schulzeugnissen, Dienstausweisen und ähnlichen untauglichen Vorlagen ist gänzlich abzuraten. Andererseits muss auch bei der Identitätsfestlegung anhand vorgelegter oben genannter offizieller Dokumente peinlich darauf Acht gegeben werden, dass selbige zumindest Originaldokumente sind. Und schlussendlich muss hinsichtlich der hier gewonnenen Erkenntnisse festgehalten werden, dass selbst im Falle der Verifikation eines biometrischen Reisepasses keineswegs die Identität der Person gewährleistet ist.
(BAA Staatendokumentation: Analyse Nigeria - Dokumente, 11.8.2011)".
Beweiswürdigend wurde durch das Bundesasylamt im Wesentlichen festgehalten, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, Nigeria verlassen zu haben, weil er, beziehungsweise seine Brüder nach der Erkrankung seines Vaters dessen Stellung als Dorfoberhaupt übernehmen sollten und einer seiner Brüder von einer unbekannten Person bereits vergiftet worden sei und der Beschwerdeführer nun befürchte, selbst Opfer zu werden.
So habe der Beschwerdeführer lediglich einen Sachverhalt in den Raum gestellt, ohne diesen auf konkrete Befragung hin, plausibel darlegen zu können. Die "extrem vage" Art und Weise, wie er den behaupteten Fluchtgrund vor dem Bundesasylamt am 04.01.2013 geschildert habe, sei völlig ungeeignet gewesen, um sein Vorbringen für glaubhaft befinden zu können. Seinen Angaben habe es an sämtlichen Hinweisen gefehlt, die annehmen ließen, dass er wahre Erlebnisse geschildert habe. Weder habe er von sich aus Details vorgebracht, noch seien aus seiner Schilderung Ausführungen hervorgegangen, die von einer Erzählung sprechen lassen würden, die sich auf wahre Begebenheiten beziehe. Bereits die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nicht habe konkret angeben können, wann die Vorfälle stattgefunden hätten, sei bereits Grund genug, ihm und seinem Vorbringen keinen Glauben zu schenken, zumal er aufgefordert worden sei, bei beiden Befragungen konkret und detailreich seine Fluchtgeschichte zu schildern. Hervorzuheben sei insbesondere, dass der Beschwerdeführer immer wieder, erst auf Nachfragen, eine "Rahmengeschichte" erzählt habe, was darauf schließen lasse, dass er diese noch während der Einvernahme vor dem Bundesasylamt konstruiert habe.
Weshalb er und nicht sein älterer Bruder, welcher nächster in der Erbfolge sei, weggeschickt worden sein solle, habe der Beschwerdeführer nicht plausibel erklären können. Auch habe er nicht erklären können, weshalb seine übrigen Familienmitglieder nicht gefährdet sein sollten. Abgesehen von den angeführten Ungereimtheiten habe er sein Vorbringen viel zu blass und wenig detailreich geschildert. Ein reales Erlebnis sei in der Regel in einen größeren Kontext eingebettet, es sei mit anderen bewiesenen Tatsachen verflochten bzw. stehe im räumlich-zeitlichen Zusammenhang mit anderen, quasi externen Gegebenheiten, wie zum Beispiel Alltäglichkeiten. Bei Personen ohne wahren Erlebnishintergrund bliebe das berichtete Ereignis - wie im gegenständlichen Fall - eigenständig, d.h. ohne Vor- und Nachgeschichte. Abgesehen davon könne sich der Beschwerdeführer von den dargelegten Bedrohungen, sollte es tatsächlich solche gegeben haben, dadurch entziehen, dass er sich in andere Teile seines Heimatlandes begebe. Da es sich beim Beschwerdeführer um keine "high profile" Person handle, könne nicht davon ausgegangen werden, dass ihm von den von ihm genannten Privatpersonen im gesamten Staatsgebiet von Nigeria Gefahr drohe.
Im Übrigen hätten sich auch vor dem Hintergrund der aus den herangezogenen Herkunftslandquellen ersichtlichen aktuellen Lage in Nigeria keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes ergeben, welcher eine Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz rechtfertigt und stelle die verfügte Ausweisung des Beschwerdeführers mangels Vorliegens nennenswerter integrativer Anknüpfungspunkte im Ergebnis keinen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar.
3. Gegen den dargestellten Bescheid des Bundesasylamtes richtete sich die beim (damaligen) Bundesasylamt am 24.01.2013 fristgerecht eingelangte Beschwerde. Im Beschwerdeschriftsatz wurden Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. So habe der Beschwerdeführer entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht bloß auf extrem vage Art und Weise einen Fluchtgrund behauptet; zwar sei es richtig, dass er vorerst keine Ergänzungen angegeben habe, jedoch sei er über die Notwendigkeit detaillierterer Angaben zunächst auch nicht aufgeklärt worden. Es entspreche jedenfalls nicht den Tatsachen, dass die Behörde nicht dazu verpflichtet sei, durch Nachfragen den Sachverhalt zu erheben. Die konkreten Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens, welche die Behörde in ihrer Beweiswürdigung ausgeführt habe, seien dem Beschwerdeführer im Rahmen der Befragung nicht vorgehalten worden, weshalb er keine Möglichkeit gehabt habe, dazu Stellung zu nehmen. Zunächst wolle er betonen, dass die Ereignisse nun schon einige Jahre zurücklägen, weshalb es ihm schwer falle, exakte chronologische Angaben zu machen.
Der Vorwurf, wonach nicht verständlich sei, dass sein älterer Bruder nicht weggeschickt worden sei, könne vom Beschwerdeführer nicht nachvollzogen werden. Sein älterer Bruder wäre vergiftet worden und sei daran später gestorben. Der in der Erbfolge nächste Bruder sei der Beschwerdeführer gewesen.
Zum Beweis, dass die Bedrohungslage angesichts der Bräuche in seiner Heimatregion objektiv glaubhaft und nachvollziehbar sei, beantrage er jedenfalls die Heranziehung eines "Sachverständigen zu Brauchtum und Sitten" in Nigeria.
Sofern die belangte Behörde davon ausgehe, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Nigeria offen stehe, sei zu betonen, dass die mangelnde Fähigkeit der Behörden nach Personen zu fahnden, nichts über die Fähigkeiten privater Verfolger aussage, zumal diesen oftmals andere Mittel offen stünden, um Personen zu finden, als staatlichen Behörden. Ein bloßer Hinweis auf die Bevölkerungsdichte und die Größe des Landes vermöge ebenfalls nicht zu überzeugen. Im Falle des Beschwerdeführers seien bestimmte Sachverhaltselemente, wie konkrete Verfolger, deren Netzwerk, sein eigenes soziales Netzwerk vor allem in anderen Landesteilen, seine Ausbildung und weitere persönliche Umstände nicht erhoben worden.
Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei ohne weitere Ermittlungsschritte somit nicht möglich. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hinzuweisen, dass der nigerianische Staat nicht schutzfähig sei.
Der Beschwerdeführer werde wegen der Rolle seines Vaters als Dorfoberhaupt und der ihm zukommenden Verpflichtungen nach dessen Ausscheiden aufgrund seiner Eigenschaft als dessen Sohn bedroht und drohe ihm somit Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie.
Er habe ein widerspruchsfreies und hinreichend detailliertes Vorbringen erstattet, zu dem er überdies auf Nachfrage noch weitere Details schildern könne. Er habe keineswegs bloß Dinge in den Raum gestellt, sondern objektiv nachvollziehbar geschildert, aus welchen Gründen ihm GFK-relevante Verfolgung drohe. Diese Verfolgung sei dem Staat mangels dessen Schutzfähigkeit zuzurechnen. Durch die Ermordung seines Bruders und das Attentat auf seinen Vater hätten die Verfolger bereits ihre Fähigkeiten und ihre Entschlossenheit unter Beweis gestellt.
Hinsichtlich der Frage, ob subsidiärer Schutz zu gewähren sei, habe es die belangte Behörde unterlassen, sich mit der aktuellen Lage in Nigeria und der individuellen Situation des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat ausreichend auseinander zu setzen. Ermittlungen zu diesem Punkt seien bislang kaum erfolgt. Die Feststellungen der belangten Behörde würden zeigen, dass sich die Lage in Nigeria gerade im Norden des Landes zugespitzt habe und die Bedrohungslage durch Boko Haram ernst zu nehmen sei.
Im "Middle Belt" komme es oft zu ethnischen oder religiös motivierten Streitigkeiten, im Süden des Landes würden weiterhin Konflikte aus vergangenen Jahren schwelen. Angesichts der komplexen Lage könne jedenfalls nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Nigeria keine Verletzung seiner durch Art 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte nach sich ziehe. Zu beachten wäre auch, dass momentan 1,3 Millionen Menschen in Nigeria wegen Hochwasser ein menschenunwürdiges Dasein fristen würden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass für den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria ein Leben ohne entsprechende Gefährdung möglich sei, sei somit zumindest nach derzeitiger Lage äußerst gering.
4. Die Beschwerdevorlage des Bundesasylamtes langte am 30.01.2013 beim damaligen Asylgerichtshof ein.
Mit 01.01.2014 ging die Rechtssache in die Zuständigkeit der Gerichtsabteilung W125 des Bundesverwaltungsgerichtes über.
4.1. Mit Urteil des Landesgerichtes für XXXX vom XXXX, Zl XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon acht Monate bedingt, Probezeit drei Jahre, verurteilt.
Am 18.03.2015 wurde eine Meldung der XXXX, datiert mit 10.03.2015, übermittelt, wonach der Beschwerdeführer wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels an einer bekannten Szeneörtlichkeit festgenommen worden sei.
Mit Urteil des Landesgerichtes für XXXX vom XXXX, Zl XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde die Probezeit zu Zl XXXX auf insgesamt fünf Jahre verlängert.
Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit in der Justizanstalt XXXX in Strafhaft.
5. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der Sache des Beschwerdeführers sodann am 08.10.2015 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher sich der Beschwerdeführer und seine rechtsfreundliche Vertreterin persönlich beteiligten. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde Beweis erhoben durch ergänzende Parteieneinvernahme des Beschwerdeführers (BF) und Erörterung der in das Verfahren (neu) eingeführten Länderberichte. Die Beschwerdeverhandlung nahm im Wesentlichen den folgenden Verlauf:
"(...)
VR befragt den BF, ob er den Dolmetscher gut verstehe; dies wird bejaht.
VR befragt die anwesende Partei, ob diese psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hindernisgründe vorliegen.
BF: Ja
(...)
Eröffnung des Beweisverfahrens gemäß § 25 Abs. 6 VwGVG
VR: Können Sie sich an Ihre im Verfahren vor dem Bundesasylamt (Erstbefragung am 3.1.2013, Einvernahme vor dem BAA am 4.1.2013), getätigten Angaben erinnern?
BF: Ja.
VR: Haben Sie bisher im Verfahren, vor dem BAA, immer die Wahrheit angegeben oder wollen Sie irgendetwas korrigieren?
BF: Es gab keine Probleme damals. Ich habe immer die Wahrheit gesagt.
VR: Sie wurden während Ihres Aufenthaltes in Österreich bereits zweimal wegen Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz strafgerichtlich verurteilt und verbüßen derzeit eine Freiheitsstrafe in diesem Zusammenhang.
BF: Ja, vielleicht gibt man mir die Chance, um zu erklären, wie ich in diese Drogensache verwickelt wurde. Wenn ich entlassen werde, werde ich nicht mehr Drogendelikte begehen.
VR: Wie gestaltete sich Ihr Leben in Österreich vor Ihrer Inhaftierung? Haben sie familiäre oder private Anknüpfungspunkte zu Österreich?
BF: Nein, ich habe keine Familie hier in Österreich. Im Zuge des Gerichtsverfahrens hat mich die Frau eines Freundes von mir besucht.
VR: Sind Sie gesund? Hatten Sie schwere chronische Krankheiten?
BF: Nein.
VR: Gingen Sie während Ihres Aufenthaltes einer regelmäßigen Beschäftigung nach?
BF: Nein. außer jetzt, wo ich im Gefängnis bin.
VR: Was wäre Ihre berufliche Perspektive, wenn Sie in Österreich bleiben könnten?
BF: Ich habe Kenntnisse in landwirtschaftlichen Arbeiten und ich weiß auch über die Arbeit in afrikanischen Kaffeehäusern Bescheid.
VR: Wo sind Sie in Nigeria geboren und wo lebten Sie die meiste Zeit Ihres Lebens in Nigeria?
BF: In XXXX, XXXX, Nigeria.
VR: Wie lange haben Sie in XXXX gelebt?
BF: Man kann sagen, den ganzen Rest meines Lebens habe ich dort gelebt.
VR: Wie lange dauert es, dass man von Ihrem Heimatort nach Port Harcourt gelangt?
BF: 2 Stunden oder ein paar Autofahrstunden.
VR: Welche Ihrer Angehörigen leben nach wie vor im Herkunftsstaat, im Imo-State und wo leben diese?
BF: Meine Mutter und meine 4 Geschwister leben in unserem Heimatdorf
XXXX.
VR: Wie heißen Ihre Geschwister und welches Geschlecht haben sie?
BF: 2 Schwestern und 2 Brüder. Die Schwestern heißen XXXX (Einheimischenname) XXXX, sowie XXXX. XXXX und XXXX sind meine Brüder.
VR: Die Mutter und die Geschwister leben im Familienhaus? Wovon leben diese? Haben diese Beschäftigungen bzw. eine Farm?
BF: Sie sind im gleichen Haus, wo ich mich zuvor aufgehalten habe. Die Familie lebt eigentlich von Posten in der Gemeindeverwaltung. Mein Vater war zu Lebzeiten König. Diese Posten haben sie quasi geerbt.
VR: Hatten Sie noch mehr Geschwister, die verstorben sind?
BF: Ja, 1 Bruder. Er ist mittlerweile verstorben. Er hieß XXXX.
VR: War er älter oder jünger als Sie?
BF: Er war älter als ich.
VR: Als Sie im Jänner 2013 befragt wurden, haben Sie erwähnt, dass XXXX älter als Sie sei. XXXX haben Sie gar nicht genannt. War das ein Missverständnis?
BF: Ja.
VR: Haben Sie mit Ihren Geschwistern und mit Ihrer Mutter Kontakt?
BF: Ja.
VR: Wie?
BF: Per Telefon.
VR: Wann hatten Sie den letzten telefonischen Kontakt?
BF: Bevor ich arrestiert wurde.
VR: Vor der 1. Verhaftung?
BF: Vor meiner 2. Inhaftierung.
VR: Seitdem haben Sie keinen Kontakt mehr (Briefe)?
BF: Nein.
VR: Wissen Ihre Familienangehörige, dass Sie in Österreich in einem Asylverfahren befindlich sind?
BF: Ja. Meine Mutter weiß das. Mit ihr habe ich darüber gesprochen.
VR: Haben Sie Ihrer Familie aus Österreich Geld oder sonstige finanzielle Mittel zukommen lassen?
BF: Ja, aber nicht ständig. Manchmal.
VR: Wie geht es Ihrer Familie, was hat Ihre Mutter erzählt?
BF: Es geht ihnen nicht gut.
VR: Bitte führen Sie das näher aus.
BF: Sie hat gesagt, dass mein Vater verstorben ist und dass seit seinem Tod das Leben für sie eine große Belastung sei. Ich habe sie dann gefragt, ob ich irgend etwas tun kann. Sie meinte, dass es für mich nicht ratsam wäre, etwas zu unternehmen, oder gar nach Hause zu kommen. Sie erzählte mir, dass auch Franklin (jüngerer Bruder) einmal überfallen worden ist. Er ist derjenige, der die Position meines Vaters eingenommen hat. Meine Mutter sagte, sie möchte nicht noch jemanden aus der Familie verlieren. Das ist alles eine große Belastung für ihr Leben.
VR: Welcher Religion und Volksgruppe gehören Sie an?
BF: Christ. Ich bin XXXX.
VR: Glauben Sie, hätten Sie dadurch auch in Nigeria Probleme?
BF: schweigt.
BF: Das könnte sein, wenn ich in meiner Ortschaft bin.
VR: Christen sind im Süden Nigerias dominierend, auch die Volksgruppe der Ibo sind die dominante Volksgruppe. Im Norden gibt es andere Stämme und eine andere Religion.
BF: Ja, das stimmt.
VR: Aus dem Akteninhalt geht hervor, dass Sie Nigeria Ende 2009 verlassen hätten. Seit Jänner 2013 halten Sie sich in Österreich auf. Ist dies richtig?
BF: Ja. Das ist korrekt.
VR: Ist Ihr älterer Bruder vor oder nach Ihrer Ausreise aus Nigeria verstorben?
BF: Bevor ich Nigeria verließ.
VR: Sie haben eben gesagt, dass Ihr Vater verstorben. Wann und unter welchen Umständen ist Ihr Vater ums Leben gekommen?
BF: Ich kann mich an das Sterbedatum nicht erinnern. Von heute zurückgerechnet war es vor ca. 10 Monaten. Er war schon alt. Er ist eines natürlichen Todes gestorben.
VR: Hat es nach dem Tod Ihres älteren Bruders polizeiliche Ermittlungen gegeben?
BF: Nein. Es gab keinerlei ernst zu nehmende Maßnahmen. Meine Stiefmutter hatte offenbar alles unter Kontrolle.
VR: Welchen Grund hätte Ihre Stiefmutter haben können, Ihren Vater und Ihren älteren Bruder zu vergiften?
BF: Weil sie wollte, dass ihr eigener Sohn den Thron meines Vaters erbt. Sie wusste, dass sie diesbezüglich keinerlei Chancen haben würde. Denn bevor sie ihren Sohn geboren hat, hatte meine Mutter schon mehrere Söhne auf die Welt gebracht.
VR: Wie hat sich dieses Vergiften abgespielt?
BF: Im Grunde genommen kann ich nicht sagen, wie das Vergiften durch sie passiert ist. Sie war der Urheber all dessen. Es könnte sein, dass mein Bruder etwas gegessen hat, oder auf etwas getreten ist. Er hat plötzlich Blut erbrochen und er ist gestorben, bevor wir ihn in das Spital bringen konnten. Dort wurde festgestellt, dass er an Gift gestorben ist. Alle Ermittlungen haben dann in Richtung meiner Stiefmutter gewiesen. Als sie wir damit konfrontierten, drohte sie, dass noch mehr passieren würde, wenn wir so weiter machen. Sie war die Ursache von all dem. Es gab eigentlichen niemandem, der etwas dagegen unternehmen konnte bzw. der sie zu etwas zwingen oder verhaften konnte. Als Erstfrau des Dorfkönigs hatte sie auch die Kontrolle über die örtliche Polizei in unserem Dorf. Die ganze Macht war eigentlich bei ihr.
VR: Wann haben sich die Geschehnisse rund um den Giftanschlag zugetragen, XXXX oder XXXX (unterschiedliche Angaben im Verfahren)?
BF: Nein, das weiß ich nicht wirklich. Das ist schon zu lange her. Ich hätte mich erinnern können, wenn es in der unmittelbaren Vergangenheit wäre. Das ist zu lange her.
VR: Ihr Vater war der Dorfhäuptling. Ihre Stiefmutter war seine 1. Frau. Warum hat die Stiefmutter mehr Macht gehabt, als Ihr Vater, der eigentlich der Dorfoberste war?
BF: Er war schon alt. Er hatte dann nicht mehr viel mit den eigenen Angelegenheiten zu tun. Sie war wie die Königin in diesem Königreich. Sie hatte dieselben Rechte wie der König.
VR: Was ist aus Ihrer Stiefmutter geworden, ist sie weiter tätig?
BF: Sie ist als Königin nach wie vor tätig.
VR: Ihre Stiefmutter bedroht nun auch Ihre in Nigeria verbliebenen 2 Brüder?
BF: Ja. Speziell den älteren der beiden in Nigeria verbliebenen Bruder.
VR: Wer ist der ältere Ihrer beiden in Nigeria verbliebenen Brüder?
BF: XXXX.
VR: Wer ist momentan der Dorfkönig, nachdem Ihr Vater verstorben ist?
BF: Im Moment gibt es nur einen Stellvertreter. Nach der Kultur bzw. unserem Stammesgesetz wäre ich der Thronerbe. Da man nicht weiß, wo ich bin und meine Mutter meinen Aufenthaltsort niemandem gesagt hat, kann so lange kein neuer König den Thron besteigen, als mein Tod nicht nachgewiesen wird und meine Leiche nicht gesehen wurde. Es ist so, dass mein nächstälterer Bruder stellvertretend tätig ist. Solange ich nicht tot bin, kann er den Thron auch nicht offiziell besteigen.
VR: Wenn alles von Ihrem Tod abhängt, warum bedroht Ihre Stiefmutter XXXX? Das scheint auf den 1. Blick nicht nachvollziehbar. Gibt es andere Gründe?
BF: Das ist fürchterlich. Ich kann nicht nachvollziehen, was in ihrem Kopf vorgeht. Vielleicht glaubt sie auch, ich sei tot.
VR: Wen will Ihre Stiefmutter als den König sehen?
BF: Ihren eigenen Sohn.
VR: Sie haben in Ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt gesagt, dass Ihr Vater deshalb eine 2. Frau geheiratet habe, weil seine 1. Frau kein männliches Kind bekommen hatte. Wie passt das jetzt zusammen?
BF: Ja. Das ist auch richtig. Nachdem meine Mutter dann Söhne geboren hatte, brachte auch meine Stiefmutter nachher einen Sohn zur Welt.
VR: Wer ist der Vater dieses Sohnes?
BF: Ich nehme an mein Vater. Schließlich ist sie seine Frau.
VR: Von welcher Seite befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr konkret Gefahr? (EB: Angst vor den Dorfältesten).
BF: Ich fürchte mich vor allen, die mich kennen und die wissen, wer ich bin.
VR: Glauben Sie nicht, wenn Sie Stammeshäuptling wären Sie, von anderen Unterstützung bekommen würden bezüglich Ihrer Stiefmutter, wenn Sie vor Ort wären?
BF: Ja, aber nicht, wenn ich tot bin.
VR: Warum hat die Stiefmutter so viel Macht, dass Sie die Polizei an ihrer Seite hätte?
BF: Meine Mutter ist jünger als die Erstfrau meines Vaters. Dazu kommt noch, dass meine Mutter aus dem Nordteil Nigerias stammt. Bei uns in Nigeria gibt es den Begriff "Freigeborene" (Free-Born), was so viel heißt, dass man von jemandem aus dem eigenen Dorf geboren wurde. Normalerweise dürfen nur Freigeborene ein Königreich regieren, aber in diesem Fall war es so, dass meine Mutter noch vor meiner Stiefmutter Söhne zur Welt gebracht hat. Genau darum geht es. Wie es im Moment aussieht, haben die anderen Häuptlinge meine Stiefmutter wohl auch deshalb akzeptiert, weil sie aus dem Osten Nigerias kommt und nicht wie meine Mutter aus dem Norden. Dadurch bekam sie dann die Unterstützung der anderen Häuptlinge - und dies auch auf Grund der Macht, sie sie von meinem Vater, dem König, quasi geerbt hat. Auf Grund dieser Macht wird sie von der Polizei respektiert. Sie kommen jeder ihrer Wünsche und Aufforderungen nach, weil diese eben von der Königin kommen. Das ist etwas ganz Normales in Nigeria. Wer die höchste Position inne hat, kontrolliert auch sämtliche Kräfte.
VR: Weshalb haben Sie sich entschlossen, nicht bei Ihren Verwandten zu bleiben, zu denen Sie von Ihrer Mutter geschickt worden sind?
BF: Sie hätten mich bestimmt gefunden. Sie hätten sich ausrechnen können, dass der nächste Ort, in den ich gehen würde, der Ort meiner Verwandten mütterlicherseits wäre, sie hätten mich mit Sicherheit dort gefunden.
VR: In welchem Bundesstaat war das?
BF: Kano.
VR: Vorhalt: Es ist nicht davon auszugehen, dass Ihnen aufgrund der geschilderten Probleme auf dem gesamten Staatsgebiet Gefahr drohen würde - was spräche aus Ihrer Sicht konkret gegen einen Umzug in einen anderen Teil Nigerias, zum Beispiel auch nach Lagos?
BF: Sie hat bestimmt ihre Mittel und Wege. Ich bin Nigerianer. Ich weiß, wie das ist. Wenn ich nicht aus Nigeria weggegangen wäre, hätte sie sicherlich irgendjemanden getroffen, der mich gesehen hätte und wusste, wo ich bin. Als Erbe kann man sich nicht auf Dauerverstecken. Irgendwann hätte mich jemand gesehen, der gewusst hätte, dass ich der Erbe des Königreichs bin. Sie wären sicher zu mir gekommen oder sie hätten jemanden auf mich angesetzt. Es ist das Beste weg von Nigeria zu bleiben, bis alle verstorben sind, die mir nach dem Leben trachten.
VR: Hatten Sie jemals Probleme mit den staatlichen Behörden in Ihrem Herkunftsstaat?
BF: Niemals.
VR an BFV: Haben Sie Fragen zum Sachverhalt?
BFV: Wie viele Halbgeschwister haben Sie seitens der Stiefmutter, sind diese jünger?
BF: Ich habe 2 Halbgeschwister. Beide sind jünger als ich. Meine Stiefmutter hat neben einem Sohn auch eine Tochter geboren.
Folgende Berichte werden in das Verfahren eingeführt und erörtert. Diese führen zu den unten gemachten Schlussfolgerungen.
*) USDOS 2014 Human Rights Report http://www.state.gov/documents/organization/236604.pdf ; International Religious Freedom Report, August 2014
*) UK Home Office, Country Information and Guidance, Nigeria:
Background information, including actors of protection, and internal relocation (9.6.2015)
*) Amnesty International Report 2014/15: The State of the World's Human Rights, 27-30 (25.02.2015) https://www.amnesty.org/en/documents/pol10/0001/2015/en/
*) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Nigeria (Stand 14.07.2015)
*) ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Boko Haram (18.8.2015)
http://www.ecoi.net/local_link/310207/448143_de.html
*) Neue Züricher Zeitung, Präsidentenwahl in Nigeria - Historischer Machtwechsel in Nigeria (31.03.2015) http://www.nzz.ch/international/afrika/regierungspartei-wiegelt-anhaenger-zu-protesten-auf-1.18514293 ;
NZZ, Nigerias neuer Präsident Buhari - Der geläuterte Diktator (2.4.2015)
http://www.nzz.ch/international/afrika/der-gelaeuterte-diktator-1.18515177 ;
NZZ, Boko Haram verübt mehrere Massaker (2.7.2015) http://www.nzz.ch/international/afrika/nigeria-boko-haram-veruebt-massaker-1.18573552
;
The Guardian, Nigeria's staunch belief in new president Muhammadu Buhari being sorely tested (7.9.2015) http://www.theguardian.com/global-development/2015/sep/07/nigerias-staunch-belief-in-new-president-muhammadu-buhari-being-sorely-tested ; der Standard, Boko-Haram-Anführer in Nigeria verhaftet (23.9.2015) http://derstandard.at/2000022695764/Boko-Haram-Anfuehrer-verhaftet ;
*) Konvolut von Medieninformationen und Reisewarnungen von Behörden z. B. Deutsches Auswärtiges Amt und österr. BMEiA zu Boku Harum, zu Konflikten Christen/Moslems und zu Ebola.
Aus Sicht des VR folgt daraus im Wesentlichen Folgendes:
In Nigeria herrscht nach wie vor keine landesweite Bürgerkriegssituation. Verschiedenste Konflikte sind in der Regel lokal begrenzt und treffen nicht unterschiedslos den Großteil der Bevölkerung.
Die zuletzt stattgefundenen Präsidentschaftswahlen, in welchen sich erstmals ein Oppositionskandidat gegen den amtierenden Präsidenten durchgesetzt hat, haben zu keinen landesweiten Unruhen geführt.
Konflikte zwischen Christen und Moslems, damit zum Teil in Zusammenhang stehend, die terroristischen Aktivitäten der Boku Harum konzentrieren sich auf den Nordosten des Landes, bzw. auf den Raum Jos bzw. Bauchi.
Die Situation in Niger Delta ist nach wie vor angespannt. Durch Amnestien ist es aber verglichen mit der Situation von vor 5 Jahren, zu einer Beruhigung gekommen.
Die Rückkehr von abgeschobenen Asylwerbern ist in der Regel problemlos möglich; insbesondere gibt es auch keine Hinweise auf Doppelbestrafung.
Die Grundversorgung in Nigeria einschl. einer med. Basisversorgung ist in der Regel gewährleistet. Die WHO hat Nigeria am 20.10.2014 für Ebola-frei erklärt. Der Ausbruch von Ebolainfektionen ist in Nigeria unter Kontrolle. Ein relevantes Infektionsrisiko hinsichtlich Ebola besteht nicht mehr.
VR fragt den BF um seine Stellungnahme zu dieser Beurteilung.
BF: So wie es jetzt aussieht, glaube ich, dass alles beim Alten bleiben wird und sich nicht viel verändern wird. Es ist nicht das erste Mal, dass wir eine neue Regierung im Land haben. Ich persönlich erwarte mir keine großartigen Änderungen. Es ist richtig, dass ein neuer Präsidentgewählt worden ist, das war lange Zeit vorher auch schon so. Es gab keinerlei Änderung. Das Land hat unter solchen Verhältnissen schon lange zugebracht und es kam nie zu Änderungen. Buhari hat jetzt auch schon einige Zeit regiert und es gab keine Änderungen. Warum sollte man jetzt große gesellschaftliche Änderungenerwarten. Es ist immer dasselbe. Er wird versuchen, sich einen guten Namen als Präsident zu machen, alle anderen Dinge werden unverändert bleiben. Was die Boku Haram betrifft glaube ich nicht, dass Nigeria die Macht und Kraft besitzt diese zu kontrollieren. Ich glaube, dass diese sogar von manchen Politikern unterstützt wird, denn wie sonst ist es möglich, dass der Staat eine so kleine Gruppe von Leuten nicht unter Kontrolle bringt. Woher haben sie ihre Telefone und Waffen und all die Unterstützung. Ich glaube, dass die Boku Haram auch politische Zwecke verfolgt und dass es sie auch deswegen gibt.
Was die Krankheit Ebola betrifft, so können wir Gott danken, dass die Leben vieler Menschen gerettet werden konnten und dass das Virus unter Kontrolle ist.
BFV verzichtet auf eine Stellungnahme zur Ländersituation.
VR fragt den BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will.
BF: Das Einzige, was ich noch hinzufügen möchte ist, dass ich bitte einfach ein Leben haben möchte. Ich bin dieses Lebens überdrüssig. Ich brauche Unterstützung von diesem Land, dass man mir hilft, eine bessere Person zu werden. Bitte machen Sie aus mir eine bessere Person, ich möchte das auch selbst, auch wegen meiner Familie. Bitte, ich möchte eine bessere Person sein.
BFV: Keine Anträge.
VR fragt den BF, ob er den Dolmetscher gut verstanden habe; dies wird bejaht.
(...)"
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen
1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
1.3. Prüfungsumfang, Übergangsbestimmungen
Gemäß § 75 Absatz 19 AsylG 2005 idF BGBl I 144/2013 sind alle mit Ablauf des 31. Dezember beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.
Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz
1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,
2. jeden weiteren einer abweisenden Entscheidung folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,
3. den zurückweisenden Bescheid gemäß § 4 des Bundesasylamtes,
4. jeden weiteren einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 4 folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,
5. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, oder
6. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 aberkannt wird,
so hat das Bundesverwaltungsgericht gem. § 75 Ab. 20 AsylG in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegen.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gegenständlich lagen die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vor; der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist zuletzt mit der Durchführung der Beschwerdeverhandlung am 08.10.2015 vollständig erhoben worden.
2. Feststellungen:
2.1. Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und dessen vorgebrachten Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias und gehört dem christlichen Glauben und der Volksgruppe der Ibo an. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer verbrachte zumindest den überwiegenden Teil seines Lebens in XXXX, XXXX im christlich dominierten Süden des Landes.
Der Beschwerdeführer stellte am 01.01.2013 den diesem Verfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz und hielt sich (längstens) seit diesem Zeitpunkt nach irregulärer Einreise im österreichischen Bundesgebiet auf.
Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe werden der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde gelegt. Es kann demnach nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland aufgrund einer ihm drohenden Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten verlassen hat, beziehungsweise eine solche im Falle der Rückkehr zu befürchten hätte.
Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Zudem besteht in Nigeria eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen der Beschwerdeführer hinsichtlich allfälliger psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnte.
Mit Urteil des Landesgerichtes für XXXX vom XXXX, Zl XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon acht Monate bedingt, Probezeit drei Jahre, verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für XXXX vom XXXX, Zl XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde die Probezeit zu Zl XXXX auf insgesamt fünf Jahre verlängert.
Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit in der Justizanstalt XXXX in Strafhaft.
Der Beschwerdeführer hat keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.
Eine fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers in Österreich kann nicht erkannt werden.
Im Heimatdorf des Beschwerdeführers leben (seinen Angaben folgend) nach wie vor seine Mutter und Geschwister, dies ohne existentielle wirtschaftliche Probleme.
2.2. Zum Herkunftsstaat Nigeria:
Zur Lage in Nigeria wird die in der Beschwerdeverhandlung erörterte und unter Punkt I.5. wiedergegebene Zusammenfassung der vom Bundesverwaltungsgericht eingeführten ergänzenden / aktualisierten Quellen zur Lage in Nigeria zum Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben, die mit den Verfahrensergebnissen des (seinerzeitigen) Bundesasylamtes in ihren entscheidungsrelevanten Aspekten in Einklang steht und deren Inhalt vom Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten wurde.
In Nigeria herrscht nach wie vor keine landesweite Bürgerkriegssituation. Verschiedenste Konflikte sind in der Regel lokal begrenzt und treffen nicht unterschiedslos den Großteil der Bevölkerung.
Die zuletzt stattgefundenen Präsidentschaftswahlen, in welchen sich erstmals ein Oppositionskandidat gegen den amtierenden Präsidenten durchgesetzt hat, haben zu keinen landesweiten Unruhen geführt.
Konflikte zwischen Christen und Moslems, damit zum Teil in Zusammenhang stehend, die terroristischen Aktivitäten der Boku Harum konzentrieren sich auf den Nordosten des Landes, bzw. auf den Raum Jos bzw. Bauchi.
Die Situation in Niger Delta (zu dem Imo-State zählt) ist zwar nach wie vor angespannt; durch Amnestien ist es aber verglichen mit der Situation von vor 5 Jahren, zu einer Beruhigung gekommen.
Die Rückkehr von abgeschobenen Asylwerbern ist in der Regel problemlos möglich; insbesondere gibt es auch keine Hinweise auf Doppelbestrafung.
Die Grundversorgung in Nigeria einschließlich einer medizinischen Basisversorgung ist in der Regel gewährleistet. Die WHO hat Nigeria am 20.10.2014 für Ebola-frei erklärt. Der Ausbruch von Ebolainfektionen ist in Nigeria unter Kontrolle. Ein relevantes Infektionsrisiko hinsichtlich Ebola besteht nicht mehr.
3. Beweiswürdigung:
3.1. Zum Verfahrensgang:
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungs-, und Gerichtsakt, sowie insbesondere durch die am 08.10.2015 durchgeführte mündliche Verhandlung, einschließlich ständiger Beobachtung der aktuellen Berichterstattung zum Herkunftsstaat Nigeria Beweis erhoben.
3.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage von Identitätsdokumenten mit Lichtbild nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden.
Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Glauben und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine insofern nicht zu bezweifelnde (da kohärente) Aussage.
Dass der Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines Lebens in XXXX, XXXX, verbracht hat, geht aus seinen eigenen Angaben im Verfahren hervor.
Die Feststellungen zu seinem Leben in Österreich sowie hinsichtlich der Existenz von Familienangehörigen im Herkunftsstaat beruhen auf dem insofern nicht zu bezweifelnden Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren. Dabei ist freilich relativierend festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sich zu den Daten seiner eigenen Geschwister im Verfahren uneinheitlich äußerte (siehe Verhandlungsschrift vom 8.10.2015 zu XXXX und XXXX), sodass präzisere Feststellungen nicht möglich waren; lediglich dass der Beschwerdeführer über nahe Familienangehörig in Imo State verfügt, die dort ohne existentielle Probleme leben, wurde konsistent vorgebracht und war daher so den Feststellungen zu Grunde zu legen.
Die strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus dem im Akt befindlichen Auszug aus dem Strafregister vom XXXX.
Mangels Vorlage von Befunden konnte nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer an schwerwiegenden Erkrankungen leidet, darüber hinaus gab er in den mündlichen Verhandlungen selbst an, aktuell an keinen gesundheitlichen Problemen zu leiden.
3.3. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen:
Die Aussage eines Asylwerbers stellt im Verfahren wegen internationalen Schutzes zweifellos das Kernstück dar. Hierbei ist es nach Ansicht des VwGH Sache des Antragstellers, entsprechende, seinen Antrag untermauernde Tatsachenbehauptungen aufzustellen und diese glaubhaft zu machen.
Die entscheidungsbefugte Instanz kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im Wesentlichen gleich bleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubwürdig könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 6.3.1996, Zl. 95/20/0650).
Im vorliegenden Verfahren hatte der Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit, seine Ausreisegründe darzulegen. Der zur Entscheidung berufene Richter des Bundesverwaltungsgerichtes geht, nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung 08.10.2015 (in Gegenwart der rechtsfreundlichen Vertreterin des Beschwerdeführers abgehalten) und aufgrund einer Gesamtschau des Akteninhaltes davon aus, dass der vom Beschwerdeführer angegebene Fluchtgrund nicht den Tatsachen entspricht; dies aus folgenden näheren Erwägungen:
3.3.1. Die - mangels weiterer Beweismittel für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung besonders entscheidungsrelevanten - Angaben des Beschwerdeführers zu einer allfälligen Verfolgung in seiner Heimat erwiesen sich als insgesamt vage und qualifiziert widersprüchlich, sodass seinen Angaben insofern keine Glaubwürdigkeit zuerkannt werden konnte.
Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen kurz zusammengefasst vor, von seiner Stiefmutter verfolgt zu werden, weil diese nicht den Beschwerdeführer, sondern ihren eigenen Sohn als König habe sehen wollen. Ein Bruder des Beschwerdeführers, der die Stellung seines Vaters habe übernehmen sollen, sei bereits von der Stiefmutter vergiftet worden.
Insgesamt war zu bemerken, dass der Beschwerdeführer auf das erkennende Gericht anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 08.10.2015 in wesentlichen Teilen seiner Ausführungen zu seinen Fluchtgründen einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck erweckte; die Wichtigkeit eines persönlichen Eindrucks von der Person des Antragstellers im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes wurde sowohl von Asylgerichtshof als auch vom Verwaltungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben (vgl. etwa AsylGH 1.8.2012, D9 409106-2/2010; 17.6.2013, D7 424783-2/2012; VwGH 24. 6. 1999, 98/20/0453; 20. 5. 1999, 98/20/0505; vgl. auch VfGH 27.2.2014, G86/2013).
3.3.1.1. Widersprüchlich gestalteten sich zunächst die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Todeszeitpunkt seines älteren Bruders, der durch die Stiefmutter vergiftet worden sei: In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab er auf die Frage, wann sein älterer Bruder verstorben sei, an, dass dies gewesen wäre, bevor der Beschwerdeführer Nigeria verlassen habe. Konkret hätte er plötzlich Blut erbrochen und sei gestorben, bevor sie ihn in das Krankenhaus hätten bringen können. Damit unvereinbar hatte er jedoch in der Erstbefragung und im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesasylamt behauptet, sein Bruder sei vor zwei Jahren gestorben, als der Beschwerdeführer gerade in Griechenland gewesen sei. Als der Beschwerdeführer aus Nigeria geflüchtet sei, habe sich dieser im Krankenhaus befunden.
Wenn auch die Angaben in der Erstbefragung, die sich gemäß § 19 Abs 1 AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen haben, nicht überbewertet werden sollten (vgl idS schon VfGH 27.06.2012, U 98/12), so ist im vorliegenden Fall dennoch unübersehbar, dass es sich hier um einen zentralen Punkt des Vorbringens handelt. Auch ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Divergenzen im vorliegenden Fall in keiner Weise auf eine allfällige Kürze der Erstbefragung zurückzuführen sind. Weiters ist auf die in §§ 14 und 15 AVG normierten Formerfordernisse zu verweisen, wonach auch das Erstbefragungsprotokoll zur Gänze den in § 14 statuierten Voraussetzungen entspricht und daher grundsätzlich vollen Beweis über das Niedergelegte liefert, insbesondere auch deshalb, da der Beschwerdeführer die Niederschrift unterfertigte und keinerlei Einwendungen erhob. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in der nachfolgenden Einvernahme vom 04.01.2013 inhaltlich dieselben Angaben tätigte.
3.3.1.2. Auch traten hinsichtlich des Zeitpunktes des Giftanschlages Divergenzen auf: Sprach der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt noch davon, dass sein Bruder ungefähr zwei Wochen vor seiner Ausreise erkrankt sei, führte er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf die Frage, wann sich die Geschehnisse rund um den Giftanschlag auf seinen Bruder zugetragen hätten, divergierend zu seinen zuvor getätigten Angaben aus, dies nicht zu wissen, weil dies schon zu lange her sei ("BF: Nein, das weiß ich nicht wirklich. Das ist schon zu lange her. Ich hätte mich erinnern können, wenn es in der unmittelbaren Vergangenheit wäre. Das ist zu lange her.").
3.3.1.3. Unplausibilitäten ergaben sich dahingehend, als der Beschwerdeführer im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesasylamt vom 04.01.2013 die Frage verneinte, ob auch andere Familienmitglieder Probleme mit der Stiefmutter gehabt hätten, in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 08.10.2015 hingegen angab, dass nunmehr auch seine beiden in Nigeria verbliebenen Brüder, insbesondere der ältere, durch die Schwiegermutter bedroht würden. Für das erkennende Gericht ist diesfalls kaum verständlich, weshalb die angeblichen Bedrohungen seiner Brüder durch die Schwiegermutter erst jetzt, also fünfeinhalb Jahre nach der Ausreise des Beschwerdeführers, erstmalig stattfinden sollten.
Zur derzeitigen Situation in seinem Heimatdorf befragt, gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, dass seine Stiefmutter nach wie vor (de facto) als Königin tätig sei und es momentan, nachdem sein Vater verstorben sei, nur einen Stellvertreter des Dorfkönigs, nämlich seinen Bruder XXXX, gebe und dieser den Thron nicht offiziell besteigen könne, solange der Beschwerdeführer nicht tot sei. Damit konfrontiert, dass es nicht nachvollziehbar erscheine, dass derzeit XXXX von der Stiefmutter bedroht werde, wenn doch alles von dem Tod des Beschwerdeführers abhänge, vermochte er diese Unstimmigkeit nicht aufzuklären, sondern antwortete ausweichend: "Das ist fürchterlich. Ich kann nicht nachvollziehen, was in ihrem Kopf vorgeht. Vielleicht glaubt sie auch, ich sei tot."
Trotz entsprechender Befragung vermochte der Beschwerdeführer auch zu keinem Zeitpunkt zu erklären, warum der Stiefmutter eine derart große Machtposition (lokal, wenn nicht sogar überregional) zukommen sollte; selbst wenn sie ihre Herkunft aus dem Osten des Landes gegenüber der - seinen Angaben nach aus dem Norden stammenden - Mutter des Beschwerdeführers (gegenüber anderen Häuptlingen) privilegieren sollte, klärt das doch nicht eine über den engen örtlichen Bereich hinausgehende Unterstützung durch die Polizei oder andere Kräfte landesweit. Sofern der Beschwerdeführer schließlich eine "geistige" Verfolgung in den Raum stellte, entzieht sich dies einer objektivierbaren Beurteilung.
3.3.1.4. Festzuhalten ist überdies, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit nicht glaubhaft zu machen vermochte. So brachte er im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesasylamt lediglich vor, dass er, als ihn seine Mutter zu ihrer Familie in den Norden Nigerias geschickt habe, dort Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt habe. Dass er diesbezüglich auch Schwierigkeiten in seinem Heimatdorf gehabt haben soll, erwähnte er in seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt hingegen in keinem Wort. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung schwieg er zunächst auf die Frage, ob er glaube, durch seine Volksgruppenzugehörigkeit Probleme in Nigeria zu haben und gab dann, ohne nähere Ausführungen dazu zu treffen, lapidar an: "Das könnte sein, wenn ich in meiner Ortschaft bin." Dieses vage gebliebene Vorbringen, welches mit den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt in keiner Weise in Einklang zu bringen ist, vermochte das erkennende Gericht ebenfalls nicht zu überzeugen. Auch aus Feststellungen zur Situation in Nigeria wäre im Übrigen nicht nachvollziehbar, warum ein Angehöriger der (im Süden dominanten Volksgruppe) Ibo gerade in Imo State deshalb Verfolgung zu gewärtigen hätte.
3.3.2. Insgesamt gelang es dem Beschwerdeführer somit nicht, individuelle und konkrete Verfolgungsgründe glaubhaft zu machen, zumal sich in seinem Vorbringen, wie soeben aufgezeigt, beträchtliche Widersprüche ergaben, die in ihrer Summe jedenfalls zur Annahme der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens zwingen. Das Vorbringen erwies sich im Lichte der obigen Erwägungen sowohl aus sich heraus (Widersprüche, unschlüssige Schilderung), als auch unter Heranziehung der durch die Judikatur herausgebildeten Grundsätze zur Beurteilung eines Vorbringens als nicht glaubhaft (keine bloß vereinzelten Unstimmigkeiten im Aussageverhalten, beziehungsweise keine sich bloß auf Nebenumstände des Vorbringens gestützte Beweiswürdigung; vgl VfGH U 1285/2012 vom 13.9.2013 und VfGH 152/2013 vom 21.9.2014); die Beschwerdeverhandlung brachte somit diesbezüglich dasselbe Ergebnis, wie das verwaltungsbehördliche Verfahren.
Angesichts des im Asylverfahren/Verfahren wegen internationalen Schutzes gültigen Maßstabs für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit, vgl nur EGMR 24.6.2014 Rs 17200/11 S.B. against Finland: "The Court acknowledges that, owing to the special situation in which asylum seekers often find themselves, it is frequently necessary to give them the benefit of the doubt when it comes to assessing the credibility of their statements and the documents submitted in support thereof. However, when information is presented which gives strong reasons to question the veracity of an asylum seeker's submissions, the individual must provide a satisfactory explanation for the alleged discrepancies (see, among other authorities, Collins and Akasiebie v. Sweden (dec.), no. 23944/05, 8 March 2007, and Matsiukhina and Matsiukhin v. Sweden (dec.), no. 31260/04, 21 June 2005), ist also zusammenfassend festzuhalten, dass die dargestellten Umstände die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers so massiv in Zweifel ziehen, dass sein Vorbringen zu den Fluchtgründen den Feststellungen nicht zugrunde gelegt werden konnte. Der Sachverhalt konnte nach Durchführung der Beschwerdeverhandlung als geklärt gelten. Es bestand demzufolge auch keine Veranlassung der Durchführung weiterer Erhebungen, insbesondere konnte aufgrund von Entscheidungsreife die Beiziehung eines landeskundigen Sachverständigen, wie vom Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerdeausführungen, freilich gänzlich unbestimmt im Sinne eines unzulässigen Erkundungsbeweises, beantragt, unterbleiben. Dem Beschwerdeführer wurden in der mündlichen Beschwerdeverhandlung aktuelle Länderberichte zur Situation in Nigeria erörtert, welche vom Beschwerdeführer nicht substantiiert in Zweifel gezogen wurden. Auf eine nähere Stellungnahme zu den Länderinformationen wurde von ihm überdies verzichtet.
3.4. Zur Lage in Nigeria und damit zusammenhängende Aspekte des Beschwerdevorbringens
Die Feststellungen zu entscheidungsrelevanten Aspekten der Situation in Nigeria, welche diesem Erkenntnis zu Grunde liegen, ergeben sich aus den jeweils unter I.2. und 5. genannten/verwiesenen Quellen.
3.4.1. Wenn der Beschwerdeführer in der Beschwerde bemängelt, dass sich die belangte Behörde nur unzureichend mit der aktuellen Lage in Nigeria und der individuellen Situation auseinandergesetzt habe und daher nicht abschließend geklärt sei, ob dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zu gewähren wäre, so ist diesbezüglich auf die mündliche Beschwerdeverhandlung zu verweisen, in welcher der Beschwerdeführer detailliert zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt wurde. Auch ergibt sich aus dem Verhandlungsprotokoll vom 08.10.2015, dass zahlreiche aktuelle Berichte in das Verfahren eingeführt und erörtert wurden und der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung die Richtigkeit der entsprechenden Feststellungen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen nicht substantiell bestritten hat. Die in der Beschwerde genannte Hochwassersituation besteht aktuell jedenfalls nicht.
3.4.2. Insofern der Beschwerdeführer in der Beschwerde darauf verweist, dass sich die Lage in Nigeria gerade im Norden des Landes zugespitzt habe, die Bedrohungslage durch Boko Haram ernst zu nehmen sei und es im "Middle Belt" oft zu ethnischen oder religiös motivierten Streitigkeiten komme und im Süden des Landes weiter Konflikte aus den vergangenen Jahren schwelen würden, so ist dem entgegenzuhalten, dass kein Zustand erkennbar ist, wonach einem nigerianischen Staatsbürger eine Rückkehr aus dem Ausland generell nicht mehr zumutbar wäre. Besondere Gefährdungsfaktoren sind im Falle des aus dem Süden des Landes stammenden Beschwerdeführers nicht gegeben (siehe auch die Feststellungen zur verbesserten Situation im Niger-Delta allgemein; eine Involvierung in dortige Konflikte hat der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt behauptet). Der von ihm angegebene - unbelegte - Bezug zum Norden infolge der Herkunft der Mutter vermag ebenso wenig zu einem anderen Ergebnis zu führen.
3.5. Sofern der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde rügt, die belangte Behörde sei im Ermittlungsverfahren ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung der für die Entscheidung erheblichen Angaben und Beweismittel im Sinne des § 18 Abs 1 AsylG nicht vollständig nachgekommen, so ist dazu festzuhalten, dass bereits die belangte Behörde durch explizite Befragung die vagen Angaben des Beschwerdeführers aufzuklären versucht hat, dieser jedoch keine glaubwürdigen Argumente vorgebracht hat, die dazu geeignet gewesen wären, die Unplausibilitäten aufzuklären. Auch ist in diesem Zusammenhang auf die mündliche Beschwerdeverhandlung zu verweisen, im Zuge derer dem Beschwerdeführer nunmehr ausreichend Zeit und Gelegenheit gegeben wurde, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen.
3.6. Selbst wenn eine "lokale objektivierbare" Gefahr für den Beschwerdeführer in Imo State aber tatsächlich (entgegen all der bisher gemachten beweiswürdigenden Erwägungen) existierte, so zeichnen die Quellen diesbezüglich dennoch ein eindeutiges Bild, wonach grundsätzlich wegen des fehlenden Registrierungswesens in Nigeria örtlich begrenzten Konflikten, respektive Verfolgungsmaßnahmen, durch Übersiedlung in einen anderen Landesteil ausgewichen werden kann. Alle nigerianischen Großstädte sind multi-ethnisch. Jeder, der fremd in eine Stadt kommt, wird sich in die Gegend begeben, wo Personen wohnen, mit denen er Verbindungen im Sinne eines "sozialen Netzes" ("ties") hat. Dabei kann es sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts (hier im Einklang mit der Sichtweise der Verwaltungsbehörde) um Personen derselben Ethnie, Abstammung, desselben Religionsbekenntnisses, Absolventen derselben Schule oder Universität, Bewohner desselben Dorfes oder derselben Region handeln. Von diesen Personengruppen kann der Betreffende Unterstützung erwarten. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wird dem Beschwerdeführer so die Bestreitung des Lebensunterhaltes ermöglicht werden, auch wenn er nicht in einem formellen Beschäftigungsverhältnis stünde.
Auch im gegenwärtigen Fall bestätigt sich daraus jedenfalls grundsätzlich die festgestellte Möglichkeit einer Relokation in andere Landesteile, insbesondere in die südlichen oder anderen Gliedstaaten außerhalb der unmittelbaren Heimatregion des Beschwerdeführers, in denen die Ethnie des Beschwerdeführers und dessen christliche Religion vertreten ist. Wie ersichtlich hat sich die Sicherheitslage im Nigerdelta allgemein in den letzten Jahren verbessert; unbeschadet einer Gefährlichkeit insbesondere für ausländische Personen (wie aus der zitierten Reisewarnung hervorgeht) ergibt sich dazu kein spezielles Niederlassungshindernis für den dort aufgewachsenen Beschwerdeführer.
Eine wie immer geartete polizeiliche/staatliche Verfolgung des Beschwerdeführers wurde nicht behauptet, ebenso erscheint eine effektive Zusammenarbeit der behaupteten Verfolger (der Stiefmutter und ihrer Unterstützer) mit landesweit agierenden staatlichen oder nichtstaatlichen Machtstrukturen/Organen nicht plausibel, wie oben unter 3.3.1.3. erwogen.
Zusammenfassend folgert der Schluss des Verweises auf eine Schutzalternative in eventu aus den Bezug habenden länderkundlichen Quellen, hinzu tritt, dass auch gerichtsnotorisch keine Umstände hervorgekommen sind, die für einen Ausschluss einer solchen Möglichkeit aus besonderen individuellen Umstanden (eg Krankheit, zu geringes oder zu hohes Alter) sprächen. Dem entsprechenden Vorhalt in der Beschwerdeverhandlung ist der Beschwerdeführer nicht substantiiert begegnet, wenn er nur (sinngemäß) ausführte, jemand würde ihn überall finden, es gäbe überall Mittel und Wege.
4. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Spruchpunkt I
4.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).
Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH vom 26.2.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH vom 9.4.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH vom 16.2.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 9.3.1999, Zl. 98/01/0318).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH E vom 9.9.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH E vom 15.3.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH vom 16.6.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH E vom 18.2.1999, Zl. 98/20/0468).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
4.1.1. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund, nicht gegeben.
Erachtet nämlich die zur Entscheidung über einen Asylantrag zuständige Instanz - wie im gegenständlichen Fall ? im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Antragstellers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl. 95/20/0380). Wie in der Beweiswürdigung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses dargetan, ergibt sich der Schluss auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Fluchtgründe aus einer Gesamtschau der Einlassungen des Beschwerdeführers im Verfahren, insbesondere aber auch aufgrund des Verlaufs und des Eindrucks in den mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.10.2015.
4.1.2. Festzuhalten ist der Vollständigkeit halber, dass der Beschwerdeführer im zu beurteilenden Fall selbst bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens, wonach der Beschwerdeführer durch seine Stiefmutter, weil diese nicht den Beschwerdeführer, sondern ihren eigenen Sohn als König habe sehen wollen, verfolgt werde, kein Bedrohungsszenario ins Treffen geführt hat, das einen Konnex zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Motiven erkennen lässt und sich die Furcht im Falle des allenfalls tatsächlichen subjektiven Bestehens somit nicht als wohlbegründet im Sinne der Rechtsprechung erweist:
Diesfalls wäre zum einen bereits die Intensität der behaupteten Verfolgungshandlungen nicht hinreichend dargetan worden; hat doch der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung vom 8.10.2015 angegeben, über die Umstände des Giftanschlags nichts Genaues zu wissen, sodass auch andere Todesursachen denkbar wären und hat der Beschwerdeführer bei gleicher Gelegenheit auch seine Befürchtungen im Fall der Rückkehr nur völlig unbestimmt geäußert.
Zum anderen könnte die behauptete Verfolgung durch Dritte nicht als eine solche (quasi-politische) infolge Ablehnung traditioneller Strukturen (Dorfkönigstum), gegen die kein hinreichender Schutz des Staates bestünde, konstruiert werden, als, dem Vorbringen des Beschwerdeführers hier hypothetisch folgend, private Motive der Stiefmutter (ihren leiblichen Sohn zu befördern), den sonst gerechtfertigten Übergang der Königswürde auf den Beschwerdeführer zu verhindern, primär gefährdungsauslösend wären; auch eine Verfolgung infolge Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie scheidet aus, als ja aus den eben genannten Motiven nur ganz bestimmte Familienangehörige gefährdet erscheinen.
Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit der aus den Länderfeststellungen ersichtlichen aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ergaben sich, entgegen dem Beschwerdevorbringen, auch sonst keine Hinweise auf das etwaige Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhaltes. Asyl war daher nicht zu gewähren.
Spruchpunkt II
4.2. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
4.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 AsylG von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.
Die nationale Rechtsgrundlage des § 8 AsylG 2005 stellt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes die Umsetzung der die europarechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes festlegenden Bestimmungen der Statusrichtlinie dar. Die genannte Richtlinie normiert demgemäß als "Voraussetzungen für den Anspruch auf subsidiären Schutz", dass der Drittstaatsangehörige (der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt), bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland (...) tatsächlich Gefahr liefe, einen "ernsthaften Schaden" im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden (Art. 2 lit. e RL 2004/83/EG ).
Unter "ernsthaftem Schaden" versteht die RL 2004/83/EG die folgenden drei Fälle: a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
In Hinblick auf die Auslegung der genannten Richtlinienbestimmung ist auf die hierzu ergangenen Judikatur des EuGH, insbesondere die Urteile Elgafaji, 30.1.2014, C-285/12, und M'Bodj, 18.12.2014, C-542/13, hinzuweisen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, 17.7.1997, Zl. 97/18/0336).
4.2.2. Bei der Entscheidungsfindung ist ? neben oben angeführter EuGH-Judikatur ? die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der EMRK, auch unter dem Aspekt eines durch die EMRK zu garantierenden einheitlichen europäischen Rechtsschutzsystems als relevanter Vergleichsmaßstab zu beachten. Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl EGMR, Urteil vom 6.2.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.6.2003, Beschwerde Nr. 13669/03).
4.2.3. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Beweisverfahrens kann bei einer Gesamtschau nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland einer existentiellen Gefährdung oder einer sonstigen Bedrohung ausgesetzt sein könnte, sodass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK bedeuten würde. Der Beschwerdeführer hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Nigeria verbracht, ist mit den dort herrschenden Gepflogenheiten vertraut und verfügt über Kenntnisse der Landessprache(n) (Englisch und Ibo). Die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse kann aus den Feststellungen als gesichert angenommen werden. Da der Beschwerdeführer ein gesunder Erwachsener ist, kann auch die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt auch nicht, dass die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat wahrscheinlich schlechter sein wird, als in Österreich, aus den getroffenen Ausführungen ergibt sich aber eindeutig, dass der Schutzbereich des Art. 3 EMRK nicht tangiert ist. Wie aus den Feststellungen und der Würdigung unter 3.4. ersichtlich, besteht ferner weder eine landesweite Bürgerkriegssituation, noch für die Herkunftsregion des Beschwerdeführers und auch sonst weite Landesteile, gerade im Süden, eine allgemein in diesem Sinn für eine Rückkehr eines Staatsbürgers unzumutbare Situation.
Der Beschwerdeführer hat zumindest bis zum Jahr 2009 in XXXX, XXXX, gelebt, dort also den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht und kann daher davon ausgegangen werden, dass er dort in einem sozialen Netz Aufnahme finden könnte; dies insbesondere, weil der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung angab, dass seine Mutter und seine Geschwister nach wie vor in seinem Heimatdorf XXXX leben und er den Kontakt zu diesen bis zu seiner zweiten Inhaftierung aufrechterhalten habe. Seinen Angehörigen sei die Bestreitung des Lebensunterhaltes durch Posten der Gemeindeverwaltung, welche diese vom Vater des Beschwerdeführers geerbt hätten, möglich. Es ist also grundsätzlich davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer offen stünde, im Falle einer Rückkehr bei den genannten Angehörigen, welche nach wie vor in demselben Haus im früheren Heimatdorf des Beschwerdeführers ansässig sind, Wohnsitz zu nehmen, was in der Folge auch seine Reintegration in die nigerianische Gesellschaft erheblich erleichtern würde. Unabhängig davon wäre es aber, unter sinngemäßer Heranziehung der unter 3.6. getroffenen Erwägungen, für den Beschwerdeführer auch möglich, in anderen Landesteilen, insbesondere im Süden des Landes, eine neue Existenz aufzubauen; dies selbst ohne sofortigen familiären Rückhalt.
4.2.4. Der Beschwerdeführer hat im Ergebnis weder eine lebensbedrohende Erkrankung, noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte.
Vollständigkeitshalber ist darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer nicht an schweren Krankheitszuständen leidet, die seine Abschiebung aus dem Bundesgebiet an sich im Lichte des Art. 3 EMRK dauernd verunmöglichten.
Hinsichtlich der Ebola-Epidemie in Nigeria ist schließlich auf die Feststellungen unter 2.2. zu verweisen, wonach die WHO Nigeria am 20.10.2014 für Ebola-frei erklärt hat. Der Ausbruch von Ebola-Infektionen ist in Nigeria unter Kontrolle. Ein relevantes Infektionsrisiko hinsichtlich Ebola besteht nicht mehr.
Eine daraus resultierende individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers ist sohin nicht erkennbar. Ebenso wenig besteht eine reale Gefährdung der Doppelbestrafung infolge der in Österreich begangenen Delikte im Kontext des Suchtmittelgesetzes.
4.2.5. Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.
Spruchpunkt III
4.3. Zurückverweisung von Spruchpunkt III.
4.3.1. § 75 Abs. 20 AsylG lautet:
"Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz
1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,
2. jeden weiteren einer abweisenden Entscheidung folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß§ 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,
3. den zurückweisenden Bescheid gemäß § 4 des Bundesasylamtes,
4. jeden weiteren einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 4 folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,
5. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, oder
6. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 aberkannt wird,
so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegen."
Im gegenständlichen Fall wurden weder der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG noch der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG zuerkannt; insofern wurde der abweisende Bescheid des seinerzeitigen Bundesasylamtes, im Sinne des Gesetzeswortlautes "bestätigt."
4.3.2. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Z. 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z. 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
"Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art. und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Gemäß § 14 BFA-VG haben das Bundesamt, die Landespolizeidirektionen und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Art. 2, 3 und 8 EMRK bei der Ausübung ihrer Aufgaben nach diesem Bundesgesetz, dem AsylG 2005 und dem 7., 8. und 11. Hauptstück des FPG besonders zu beachten.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.
Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).
4.3.3. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine im Sinne des Art 8 EMRK relevanten Beziehungen zu einer dauernd aufenthaltsberechtigten Person. Unter Punkt 3.2. wurde bereits beweiswürdigend dargelegt, dass der Beschwerdeführer in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte hat und somit jedenfalls kein Familienleben erkennbar ist. Eine ihn betreffende Rückkehrentscheidung würde daher keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Familienleben des Beschwerdeführers bewirken.
4.3.4. Es ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist
Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).
In seinem Erkenntnis vom 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479, hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf das Erkenntnis des VfGH vom 17.3.2005, VfSlg. 17.516, und die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Fremdensachen - darauf hingewiesen, dass auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen ist, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (VwGH 17. 2. 2007. 2006/01/0216). Eine lange Dauer des Asylverfahrens macht für sich allein keinesfalls von vornherein eine Ausweisung unzulässig (VwGH 2010/22/0094).
Dem öffentlichen Interesse, eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern, kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 17. 12.2007, 2006/01/0216; siehe die weitere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum hohen Stellenwert der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften: VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/0479; VwGH 16. 1. 2007, 2006/18/0453; jeweils VwGH 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; VwGH 22. 6. 2006, 2006/21/0109; VwGH 20. 9. 2006, 2005/01/0699).
Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29. 9. 2007, B 1150/07; 12. 6. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, S. 282ff).
Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.
Darüber hinaus sind Aspekte einer allenfalls vorliegenden besonderen Vulnerabilität der beschwerdeführenden Partei, sofern diese die Schwelle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes nicht erreichen, im Zuge der Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens entsprechend zu berücksichtigen. Insofern kann etwa auch das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich höheres Gewicht verleihen (in diesem Sinne vgl. bereits VwGH 22.7.2011, 2010/22/0171); in diesem Sinn können auch hier Aspekte des Art. 3 EMRK relevant sein; siehe zuletzt VwGH 15.10.2015, Ra 2015/20/0218-0221).
4.3.4.1. Geht man im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zum Entscheidungszeitpunkt im Ergebnis zu Lasten des Beschwerdeführers aus und würde der Erlass einer Rückkehrentscheidung derzeit keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK darstellen:
Weder im Verfahren noch in der Beschwerdeverhandlung vom 08.10.2015 wurde geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer besonders herausragende Anstrengungen seine Integration in Österreich betreffend getätigt hätte.
Der Beschwerdeführer hält sich seit Jänner 2013, sohin nunmehr seit etwa zwei Jahren und zehn Monaten im österreichischen Bundesgebiet auf und war dieser Aufenthalt nur durch ein vorübergehendes asylrechtliches Aufenthaltsrecht legitimiert, von welchem der Beschwerdeführer wusste, dass es im Falle der Abweisung des Antrages enden wird und das aufgrund eines unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz gewährt wurde; der Beschwerdeführer musste zudem davon ausgehen, dass sein Antrag - die Fluchtgründe wurden als nicht asylrelevant festgestellt - mit nicht zutreffenden Behauptungen begründet war und sohin nicht zum Erfolg führen konnte. Auch liegt hier keine insgesamt besonders lange Verfahrensdauer vor (vgl. insofern AsylGH 24.01.2013, Zl C18 420673-1/2011/30E).
4.3.4.2. Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit zudem aufgrund einer Verurteilung zu einer unbedingten achtzehnmonatigen Freiheitsstrafe im April 2015 in der Justizanstalt Klagenfurt in Strafhaft. Wie festgestellt, befand sich der Beschwerdeführer auch im Jahr 2014 für vier Monate in Strafhaft. Eine solche Folgeverurteilung weist auf einen qualifizierten Unrechtsgehalt; Einsicht darin wurde auch in der Beschwerdeverhandlung vom 8.10.2014 nicht unmittelbar geäußert.
Den privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich sind somit insbesondere seine wiederholten Verurteilungen wegen Suchtmitteldelikten, welche nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung im Allgemeinen einen hohen Unrechtsgehalt aufweisen, entgegenzuhalten. Der Beschwerdeführer ging bislang im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nach und hat sich auch keine besonderen Deutschkenntnisse angeeignet. Es haben sich im Verfahrensverlauf keinerlei Hinweise auf das Bestehen besonderer Integrationsaspekte in sozialer oder wirtschaftlicher Hinsicht ergeben.
4.3.4.3. Da somit nach Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichtes derzeit die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung auf Dauer nicht ausgesprochen werden kann, ist das Verfahren an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen. Die oben getroffenen Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung sind für das Bundesamt jedoch nicht bindend. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher nach der nunmehr geltenden Rechtslage die Erlassung einer Rückkehrentscheidung neu und insofern umfassend zu prüfen haben.
Zu B) Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich stets auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR/EuGH stützen; diesbezügliche Zitate finden sich in der rechtlichen Beurteilung. Sofern die oben angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und der Verfassungsgerichtshofes zu (zum Teil) alten Rechtslagen erging, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Im konkreten Fall ging das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab und ist diese auch nicht uneinheitlich. Die Revision ist im konkreten Fall zudem deshalb nicht zulässig, weil der Kern dieser Entscheidung (zu Asyl und subsidiärem Schutz) die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers betraf und daher in wesentlichen Punkten Tatfragen im Vordergrund standen; die Entscheidung hinsichtlich § 75/20 1-Variante AsylG warf als solche ebenso keine neuen Rechtsfragen auf (vgl VwGH 23.9.2014, Zl. Ra 2014/01/0058-6).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
