Normen
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 10. August 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und 5 sowie § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dieser Bescheid wurde auf Grund einer vom Beschwerdeführer erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juni 2010, Zl. 2006/18/0334, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufgehoben, weil es die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage unterlassen hatte, sich mit der vom Beschwerdeführer behaupteten medizinischen Behandlungsnotwendigkeit in Österreich und mit der Frage, ob im Fall des Unterbleibens der empfohlenen weiteren Behandlungen ein Risiko bestünde, unter qualvollen Umständen zu sterben, bzw. ob es eine Behandlungsmöglichkeit im Heimatstaat des Beschwerdeführers gäbe, näher zu befassen und diese Umstände in die gemäß § 66 FPG vorzunehmende Interessenabwägung einzubeziehen.
Mit dem nunmehr angefochtenen, im zweiten Rechtsgang ergangenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde neuerlich das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot.
Sie verwies wie schon im ersten Rechtsgang auf die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs. 1 StGB und des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs. 1 und 3 erster und zweiter Fall Fremdengesetz 1997 - FrG (begangen im Zeitraum Dezember 2002 bis Juni 2003) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten und bejahte darauf gestützt die Gefährdungsprognose gemäß § 60 Abs. 1 FPG (vgl. dazu näher das genannte Vorerkenntnis vom 8. Juni 2010).
Unter Berücksichtigung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juni 2010 sei, so die belangte Behörde weiter, zwecks Beurteilung von Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit des Beschwerdeführers in seinem Heimatland eine Staatendokumentation angefordert worden. In dieser sei ausgeführt worden, dass es grundsätzlich in Indien in öffentlichen Krankenhäusern die Möglichkeit der Behandlung von Herz- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen gebe. Diese Behandlung finde auch zum Teil in Privatspitälern statt, garantiert sei jedenfalls der Umstand, dass überlebensnotwendige Maßnahmen in allen größeren Städten durchgeführt würden. Konfrontiert mit dieser Staatendokumentation habe der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers einen Antrag auf eine länder- und fallspezifische Recherche gestellt und mehrere medizinische Bestätigungen aus den letzten Jahren vorgelegt.
In der Folge setzte sich die belangte Behörde mit den in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien auseinander und bejahte - ohne auf die Erkrankung des Beschwerdeführers und die Behandlungsmöglichkeiten in Indien weiter einzugehen - die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde hat sich mit der Frage der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsland insofern befasst, als sie beim Bundesasylamt eine Staatendokumentation betreffend die medizinische Versorgung bei Bauchspeicheldrüsen- und Herzerkrankungen in Indien angefordert hat. In der Beantwortung dieses Ersuchens wird ausgeführt, dass in Indien grundsätzlich für "beide Krankheiten" die Möglichkeit einer medizinischen Versorgung bestehe. Es seien Informationen über Behandlungsmöglichkeiten von Bauchspeicheldrüsen- und Herzerkrankungen, zumindest in Privatspitälern, gefunden worden. Wie weit solche Behandlungsmöglichkeiten auch in den staatlichen Krankenhäusern gegeben seien, habe mit den zur Verfügung stehenden Internetquellen im Zuge der zeitlich begrenzten Recherche nicht eruiert werden können. Zitiert werden in der Anfragebeantwortung ein Bericht der Österreichischen Botschaft New Delhi vom März 2010 und ein Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes vom Herbst 2009, aus denen hervorgeht, dass die gesundheitliche Grundversorgung vom Staat "im Prinzip kostenfrei" gewährt werde, aber "durchweg unzureichend" sei. Der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sei sehr groß. Die privaten Gesundheitseinrichtungen genössen wegen der fortschrittlicheren Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf. Im Bericht des Auswärtigen Amtes heißt es weiter, dass es in allen größeren Städten medizinische Einrichtungen gebe, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden könnten; dies gelte mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich.
Mit der Frage, inwieweit unter diesen Bedingungen die Behandlungsmöglichkeiten für den Beschwerdeführer - der nach seinem Vorbringen auf Grund seiner finanziellen Situation auf den öffentlichen Gesundheitssektor angewiesen ist - in Indien ausreichend gegeben wären, hat sich die belangte Behörde aber nicht auseinandergesetzt. Dazu wäre es, wie die Beschwerde zu Recht geltend macht, auch erforderlich gewesen, die vom Beschwerdeführer konkret benötigten Behandlungen festzustellen. Der Beschwerdeführer hat dazu schon im Verwaltungsverfahren zahlreiche ärztliche Befunde vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass u. a. regelmäßig (im Abstand von wenigen Monaten) Gallengangs- und Pankreasgangsstents gewechselt werden müssen. Es ist weder dem angefochtenen Bescheid noch den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen, ob für den Beschwerdeführer die demnach benötigte Therapie in seinem Herkunftsland zugänglich ist bzw. was die Folgen eines Abbruchs oder einer Einschränkung dieser Therapie wären. Dies hätte die belangte Behörde ermitteln müssen. Die bloß allgemeine Darstellung der Gesundheitsversorgung im Herkunftsland (sei es auch auf einem bestimmten medizinischen Fachgebiet), ohne sie zur individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen, wird fallbezogen den Erfordernissen einer mängelfreien Bescheidbegründung hingegen nicht gerecht (vgl. in diesem Sinn auch das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2009, Zl. 2008/21/0260).
In einem weiteren Schritt wären die festgestellten Umstände in die gemäß § 66 FPG vorzunehmende Interessenabwägung einzubeziehen gewesen, wobei auch eine wesentliche Erschwerung der Behandlungsmöglichkeiten, die noch keine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. März 2008, B 2400/07, mit einem Überblick über die einschlägige Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte) und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme somit nicht absolut unzulässig macht, unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK (vgl. dazu etwa das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 6. Mai 2001, 44599/98 - Bensaid gegen Vereinigtes Königreich, Z 46) das Interesse an einem Verbleib in Österreich maßgeblich verstärken kann.
Da nach dem Gesagten nicht ausgeschlossen ist, dass die belangte Behörde bei Durchführung eines mängelfreien Verfahrens zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 22. Juli 2011
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