VfGH G181/2022 ua

VfGHG181/2022 ua28.9.2022

Aufhebung einer Bestimmung des KinderbetreuungsgeldG betreffend die Verpflichtung zum Ersatz irrtümlich empfangener Leistungen; Rückforderung einer – nicht erkennbar – irrtümlich ausbezahlten Leistung sachlich nicht gerechtfertigt; Kinderbetreuungsgeld zielt auf Anerkennung und Abgeltung der Betreuungsleistung der Eltern ab, hinsichtlich deren Einschränkung der Berufstätigkeit und der – nicht nur kurzfristigen – Reduktion des Erwerbseinkommens; spätere Rückgängigmachung oder Nachholung von Dispositionen durch den Leistungsempfänger im Falle von Behördenfehlern nicht möglich; Rückzahlungsverpflichtung betrifft nicht bloß Härtefälle, sondern ist in der Regelung selbst angelegt

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StGG Art2
KinderbetreuungsgeldG §27, §31 Abs2
BundeshaushaltsG 2013 §72, §73, §74
VfGG §7 Abs1, §62 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2022:G181.2022

 

Spruch:

I. Die Wortfolge "oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte," in §31 Abs2 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I Nr 103/2001, idF BGBl I Nr 100/2018 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Oktober 2023 in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

1. Mit auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestütztem, zu G181/2022 protokolliertem Antrag begehrt der Oberste Gerichtshof, "in §31 Abs2 erster Satz Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 2001/103 idF BGBl I 2016/53, die Wortfolge 'oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte,' als verfassungswidrig aufzuheben".

2. Mit auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestütztem, zu G203/2021 protokolliertem Antrag begehrt die Antragstellerin, "der VfGH möge die Wortfolge 'oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte' in §31 Abs2 KBGG idF BGBl I 100/2018 als verfassungswidrig aufheben".

3. Mit auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestütztem, zu G232/2022 protokolliertem Antrag begehrt das Arbeits- und Sozialgericht Wien, "in §31 Abs2 erster Satz Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 2001/103 idF BGBl I 2016/53, die Wortfolge 'oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte' als verfassungswidrig aufzuheben".

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG), BGBl I 103/2001, idF BGBl I 61/2022 lauten auszugsweise wie folgt (§27 gilt idF BGBl I 53/2016; §31 Abs2 gilt idF BGBl I 100/2018; die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Entscheidung

§27. (1) Besteht Anspruch auf eine Leistung nach diesem Bundesgesetz, so ist dem Antragsteller eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, voraussichtliches Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehen. Die Mitteilung hat eine Aufschlüsselung der Leistungen zu enthalten.

(2) Der Mitteilung über den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld ist eine von der Bundesministerin für Familien und Jugend zu erstellende Information, aus der insbesondere Rechte und Pflichten der Bezugsberechtigten hervorgehen, anzuschließen.

(3) Ein Bescheid ist auszustellen,

1. wenn ein Anspruch auf eine Leistung gar nicht oder nur teilweise anerkannt wird oder

2. bei Rückforderung einer Leistung gemäß §31 oder

3. bei Widerruf oder rückwirkender Berichtigung einer Leistung gemäß §30 Abs2, wenn die Bescheiderstellung ausdrücklich verlangt wird.

[…]

 

Rückforderung

§31. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Leistungsbezieher zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigung von Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

(2) Die Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung besteht auch dann, wenn hervorkommt, dass eine oder mehrere Anspruchsvoraussetzungen bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen oder nachträglich weggefallen sind, oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte, oder die zur Ermittlung des Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte (§§8, 8b) erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wird. Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund des von der Abgabenbehörde an die Österreichische Gesundheitskasse übermittelten Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat.

[…]

(4) Rückforderungen, die gemäß den Abs1 bis 3 vorgeschrieben wurden, können auf die zu erbringenden Leistungen bis zur Hälfte derselben aufgerechnet werden; sie vermindern den Leistungsanspruch entsprechend. Zum Zwecke der Forderungssicherung kann eine vorläufige Aufrechnung bis zur Hälfte der zu erbringenden Leistungen erfolgen. Der Krankenversicherungsträger kann unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers

1. die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen,

2. die rechtskräftige Rückforderung stunden,

3. auf die rechtskräftige Rückforderung ganz oder teilweise verzichten.

Dabei sind die §§72 bis 74 des Bundeshaushaltsgesetzes 2013 (BHG 2013), BGBl I Nr 139/2009, anzuwenden, sofern in diesem Bundesgesetz keine abweichenden Regelungen vorgesehen sind. Abweichend von §89 Abs4 ASGG obliegt den Gerichten in Angelegenheiten der Leistungen nach diesem Bundesgesetz nicht das Recht, die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen anzuordnen und auch nicht das Recht, die Rückersatzpflicht zum Teil oder zur Gänze entfallen zu lassen, sondern ist dies ausschließlich dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten.

(5) Ratenzahlungen sind zu gewähren, wenn auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners die Hereinbringung der rechtskräftigen Forderung in einem Betrag nicht möglich ist. Die Höhe der Raten ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners festzusetzen.

(6) Werden Ratenzahlungen bewilligt oder Rückforderungen gestundet, so dürfen keine Zinsen ausbedungen werden.

(7) Die Ausstellung von Bescheiden über Rückforderungen von Leistungen nach diesem Bundesgesetz ist nur binnen 7 Jahren, gerechnet ab Ablauf des Kalenderjahres, in welchem diese Leistungen zu Unrecht bezogen wurden, zulässig. Ein Bescheid über eine Rückforderung tritt nach Ablauf von 3 Jahren ab dem Eintritt der Rechtskraft außer Kraft, wenn er bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollzogen wurde; §68 Abs2 ASVG zweiter und dritter Satz gelten sinngemäß. Das Recht auf Berichtigung (§30) der vorläufigen Auszahlung gemäß §33 Abs5 mangels Vorliegen eines erlassenen Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr sowie das Recht auf Berichtigung aufgrund Abänderungen und Aufhebungen des Einkommensteuerbescheides nach §24a Abs2 verjähren nach Ablauf von 3 Jahren ab Bezugsbeginn."

2. §§72, 73 und 74 des Bundesgesetzes über die Führung des Bundeshaushaltes (Bundeshaushaltsgesetz 2013 – BHG 2013), BGBl I 139/2009 lauten, wie folgt:

"Rückforderung nicht geschuldeter Leistungen des Bundes

§72. Eine Leistung des Bundes, die irrtümlich erbracht worden ist (§1431 ABGB), hat das zuständige Organ, sobald es davon Kenntnis erlangt, zurückzufordern oder dafür, sofern eine Rückerstattung nicht mehr möglich ist, eine dem gemeinen Wert (§305 ABGB) entsprechende Ersatzleistung von der Empfängerin oder von dem Empfänger zu verlangen. Von der Geltendmachung solcher Ansprüche, soweit sie sich nicht auf Dauerschuldverhältnisse beziehen, kann Abstand genommen werden, wenn der Wert der nicht geschuldeten Leistung unter 100 Euro liegt.

 

Stundung, Ratenbewilligung, Aussetzung und Einstellung der Einziehung bei Forderungen des Bundes

§73. (1) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf die Erfüllung einer Forderung des Bundes auf Grund eines im Wege des haushaltsleitenden Organs gestellten Ansuchens der Schuldnerin oder des Schuldners stunden oder deren oder dessen Zahlung in Raten bewilligen, wenn

1. die sofortige oder die sofortige vollständige Entrichtung des fälligen Forderungsbetrages für die Schuldnerin oder den Schuldner mit erheblichen Härten verbunden wäre und

2. die Einbringlichkeit der Forderung durch eine solche Zahlungserleichterung nicht gefährdet wird; andernfalls ist die Beibringung einer angemessenen Sicherstellung zu verlangen.

Außerdem hat sich die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen für den Fall des Ausbleibens einer Teilzahlung vorzubehalten, die bewilligte Ratenzahlung zu widerrufen und die sofortige Entrichtung aller aushaftenden Teilzahlungen zu verlangen.

(2) Wird die Erfüllung einer Forderung des Bundes gestundet oder deren Zahlung in Raten bewilligt, sind Stundungszinsen in der Höhe von 3 vH über dem jeweils geltenden und von der Oesterreichischen Nationalbank verlautbarten Basiszinssatz pro Jahr auszubedingen. Von der Ausbedingung von Stundungszinsen kann ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn deren Entrichtung

1. nach der Lage des Falles, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin oder des Schuldners, unbillig wäre oder

2. einen Verwaltungsaufwand verursachen würde, der in keinem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Stundungszinsen steht.

(3) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf die Einziehung einer Forderung aussetzen, wenn feststeht, dass Einziehungsmaßnahmen zunächst offenkundig aussichtslos erscheinen, aber auf Grund der Sachlage angenommen werden kann, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Erfolg führen können.

(4) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf die Einziehung einer Forderung von Amts wegen einstellen, wenn

1. der mit der Einziehung verbundene Verwaltungs- und Kostenaufwand in keinem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Forderung stehen würde oder

2. alle Möglichkeiten der Einziehung erfolglos versucht worden sind oder

3. Einziehungsmaßnahmen von vornherein offenkundig aussichtslos sind

und in den Fällen der Z2 und 3 auf Grund der Sachlage nicht angenommen werden kann, dass Einziehungsmaßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Erfolg führen werden. Unter Einziehung einer Forderung ist jede Form der Geltendmachung von der Zahlungsaufforderung bis zur Einbringung zu verstehen; die Einziehbarkeit einer Forderung ist nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen des Falles zu beurteilen.

(5) Wenn die Gründe, die zur Aussetzung oder Einstellung der Einziehung einer Forderung geführt haben (Abs3 und 4), innerhalb der Verjährungsfrist wegfallen, ist die Einziehung der Forderung wieder aufzunehmen.

(6) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen kann die Vornahme derartiger Verfügungen insoweit an das haushaltsleitende Organ, dessen Wirkungsbereich dadurch berührt wird, übertragen, als dies die Eigenart oder der Umfang der betreffenden Verfügung bei pflichtgemäßer Wahrnehmung ihrer oder seiner Verantwortlichkeit für die Führung des Gesamthaushaltes im Interesse der Verwaltungsvereinfachung gestattet.

 

Verzicht auf Forderungen des Bundes

§74. (1) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf auf eine Forderung von Amts wegen oder auf Grund eines im Wege des haushaltsleitenden Organs gestellten Ansuchens der Schuldnerin oder des Schuldners ganz oder teilweise verzichten, wenn

1. die Einziehung der Forderung nach der Lage des Falles, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse und des Ausmaßes des allfälligen Verschuldens der Schuldnerin oder des Schuldners an der Entstehung der Forderung, unbillig wäre oder der Verzicht auf die Forderungen im wirtschaftlichen Interesse des Bundes liegt und

2. der Forderungsbetrag, auf den verzichtet werden soll, den hiefür im Bundesfinanzgesetz oder in einem besonderen Bundesgesetz im Sinne des Art42 Abs5 B‑VG festgesetzten Höchstbetrag nicht überschreitet.

(2) Übersteigt die Forderung oder Teilforderung, auf die verzichtet werden soll, den im Abs1 Z2 genannten Höchstbetrag, so bedarf der Verzicht der Bewilligung durch ein Bundesgesetz im Sinne des Art42 Abs5 B‑VG.

(3) Bei dem Verzicht auf eine Forderung des Bundes ist jedenfalls auszubedingen, dass ein Widerruf zulässig ist, wenn der Verzicht durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung oder sonst wie erschlichen worden ist.

(4) §73 Abs6 ist sinngemäß anzuwenden."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Zum Antrag des Obersten Gerichtshofes (G 181/2022)

1.1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.2. Die Klägerin im Anlassfall war auf Grund ihrer Beschäftigung in der Zeit vom 21. Jänner 2016 bis 20. Dezember 2017 nach den österreichischen Rechtsvorschriften zur Sozialversicherung gemeldet. Anlässlich der Geburt ihres Kindes begehrte sie mit Antrag vom 9. Juli 2018 Kinderbetreuungsgeld. Zusammen mit dem Antrag legte sie eine Karenzvereinbarung und ein Schreiben mit der Bezeichnung "Kündigung des Arbeitsverhältnisses" vor. Auf Grund dieses Antrages stellte die zuständige Stelle (damals die Burgenländische Gebietskrankenkasse, nunmehr die Österreichische Gesundheitskasse) am 6. Mai 2019 eine Leistungsmitteilung gemäß §27 Abs1 KBGG aus, in der die Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld für den zu gewährenden Zeitraum mit € 23,99 pro Tag bemessen wurde.

1.3. Mit Bescheid vom 17. Juli 2020 widerrief die Beklagte (= Österreichische Gesundheitskasse) die Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung von € 6.309,37. Dabei stützte sie sich auf den Tatbestand der irrtümlich erfolgten Auszahlung einer Leistung gemäß §31 Abs2 KBGG. Die Klägerin begehrte daraufhin beim Erstgericht die Feststellung, dass der Rückforderungsanspruch nicht zu Recht bestehe. Die Beklagte wendete dagegen ein, dass auf Grund der Scheinkarenz der Klägerin kein grenzüberschreitendes Element zu Österreich vorliege, ausschließlich Ungarn für die Gewährung der Familienbeihilfe zuständig sei und in Österreich kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe, weil die Klägerin mit ihrer Familie nicht in Österreich lebe und auch keine Erwerbstätigkeit in Österreich vorliege. Anhand der vorgelegten Unterlagen sei ersichtlich, dass die Klägerin nach der Karenzzeit keine Rückkehr zu ihrem Arbeitsplatz geplant habe. Auch habe sie gewusst, dass das Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst worden sei. Die bloße Aufrechterhaltung eines Dienstverhältnisses durch die Vereinbarung einer Karenz, jedoch ohne die Absicht, die zuvor ausgeübte Beschäftigung wiederaufzunehmen, könne keinerlei Wirkung entfalten.

1.4. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit der Begründung statt, eine Überwälzung des Risikos selbst nicht erkennbarer Behördenfehler allein und einseitig auf den Leistungsempfänger sei sachlich nicht zu rechtfertigen. Verfassungskonform interpretiert sei der hier einschlägige Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 KBGG daher einzuschränken. Dementsprechend könne nicht jede beliebige Neubewertung der bereits ursprünglich bekannten Umstände eine Grundlage für eine Rückforderung bieten.

1.5. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte begründend aus, der Rückforderung ausschließlich wegen eines Behördenfehlers oder eines Irrtums der Behörde, ohne dass sich ein Sachverhaltselement nachträglich als nicht vorliegend herausgestellt hätte, und ohne dass der Klägerin deswegen ein Vorwurf zu machen sei, sei auf Grund dargelegter verfassungsrechtlicher Bedenken entgegenzutreten.

1.6. Gegen diese Entscheidung erhob die Beklagte Revision.

1.7. Aus Anlass dieses Revisionsverfahrens stellt der Oberste Gerichtshof den vorliegenden, zu G181/2022 protokollierten Gesetzesprüfungsantrag. Der Oberste Gerichtshof legt seine Bedenken wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…] Verfahrensgegenständlich ist ausschließlich der Rückforderungstatbestand der irrtümlichen Auszahlung von Leistungen nach §31 Abs2 Fall 2 KBGG.

 

[…] Dieser Tatbestand wurde mit der Novelle BGBl I 2016/53 eingefügt. Bis dahin war ein Rückforderungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Krankenversicherungsträger nachträglich die Unrichtigkeit der Gewährung des Kinderbetreuungsgelds bemerkte, ihm aber bei der Gewährung bereits alle dafür maßgebenden Umstände bekannt waren und er – etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – trotzdem das Kinderbetreuungsgeld auszahlte (RS0126122).

 

[…] Die Erweiterung der Rückforderungstatbestände durch die Novelle BGBl I 2016/53 diente der 'Optimierung' der Rückforderungsbestimmungen, wodurch verhindert werden sollte, dass auch in Zukunft einige Eltern durch Behördenfehler besser gestellt werden als andere Eltern. Die zu Unrecht bezogenen Leistungen sollten von den Eltern auch dann zurückgefordert werden können, wenn dem Krankenversicherungsträger bei der Gewährung von Leistungen zwar alle maßgebenden Umstände bekannt waren, er aber irrtümlich – etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – das Kinderbetreuungsgeld ausgezahlt hat (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 12).

 

[…] Das von den Vorinstanzen erzielte Auslegungsergebnis, wonach der Rückforderungstatbestand nicht greifen soll, wenn maßgebliche Umstände weder nachträglich bekannt werden (nova reperta) noch entstehen (nova producta), noch dem Leistungsempfänger ein Vorwurf zu machen ist, widerspricht der klaren Absicht des Gesetzgebers, der gerade die Fälle einer irrtümlichen Auszahlung bloß aufgrund unrichtiger Rechtsansicht oder unrichtiger Berechnung erfasst sehen wollte (Sonntag, Unions-, verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme bei der KBGG-Novelle 2016, ASoK 2017, 2 [8]). Bei der Interpretation darf dem Gesetzgeber überdies kein zweckloser und funktionsloser Regelungswille unterstellt werden (RS0111143). Der eigens geschaffene Rückforderungstatbestand wäre bei einem derart einschränkenden Verständnis inhaltsleer, weil der verbliebene Anwendungsbereich ohnedies von den anderen Rückforderungstatbeständen des §31 Abs2 S 1 KBGG erfasst wäre.

 

[…] Der Oberste Gerichtshof geht daher davon aus, dass der Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG eine Rückzahlung (nur dann) anordnet, wenn der Leistungsempfänger weder den Bezug durch unrichtige Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt hat (§31 Abs1 Fall 1 KBGG) noch erkennen konnte, dass die Leistung nicht (oder nicht in dieser Höhe) gebührt (§31 Abs1 Fall 2 KBGG), und überdies weder nachträglich hervorkommt, dass eine oder mehrere Anspruchsvoraussetzungen bereits ursprünglich nicht vorgelegen oder nachträglich weggefallen sind (§31 Abs 2 S 1 Fall 1 KBGG), noch der Leistungsempfänger eine Mitwirkungspflicht verletzt hat (§31 Abs2 Fall 3 KBGG). Eine irrtümliche Auszahlung setzt lediglich einen Irrtum im Zeitpunkt der Leistungsgewährung voraus. Darunter ist jede unrichtige Vorstellung des Krankenversicherungsträgers – aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme der Materialien auf eine unrichtige Rechtsansicht also nicht nur ein Tatsachen-, sondern auch ein Rechtsirrtum (aA Weißenböck in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz 216 [zu §31 KBGG]) – zu verstehen. Umgekehrt formuliert umfasst der Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG daher jene Fälle, in denen ein Anspruch nicht besteht, dem zuständigen Krankenversicherungsträger bei der Gewährung der Leistung alle dafür maßgebenden tatsächlichen Umstände bereits bekannt gegeben wurden und er – etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – trotzdem das Kinderbetreuungsgeld auszahlt. Ein gutgläubiger Verbrauch ist aufgrund der objektiven Rückzahlungsverpflichtung des §31 Abs2 KBGG ausgeschlossen (RS0124064 [T1]). Vorausgesetzt ist überdies das Vorliegen eines konkreten rechtlichen Leistungsverhältnisses, weil rechtsgrundlose Leistungsgewährungen außerhalb eines solchen, wie irrtümliche Anweisung an einen falschen Adressaten oder irrtümliche Mehranweisung, etwa aufgrund technischer Gebrechen, nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bereicherungsnormen und damit im ordentlichen Rechtsweg vor den allgemeinen Zivilgerichten abzuwickeln sind (Weißenböck in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz 216 [zu §31 KBGG]; vgl auch RS0109549; RS0109547 [T1]; Atria in Sonntag, ASVG12 §107 Rz 1 zur insofern vergleichbaren Rückforderung im Bereich des ASVG).

 

[…] Die Beklagte stützte ihr Rückzahlungsbegehren ausdrücklich auf die irrtümlich erfolgte Auszahlung, woran die Gerichte gebunden sind (RS0086067), sodass dem Obersten Gerichtshof eine Prüfung allfälliger anderer Rückforderungsgründe verwehrt ist. Insbesondere die Fragen, ob die Klägerin maßgebliche Umstände verschwieg oder sie erkennen konnte, dass die Leistung nicht gebührt, sind im vorliegenden Verfahren somit nicht zu prüfen. Der Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG ist daher im vorliegenden Fall präjudiziell.

[…] Es bestehen Gründe an der von Art7 B‑VG geforderten Sachlichkeit des Rückforderungstatbestands des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG zu zweifeln.

 

[…] Der zuständige Krankenversicherungsträger hat im Fall der Bejahung eines Anspruchs zwar keinen Bescheid, aber eine 'Mitteilung' auszustellen, aus der insbesondere Beginn, voraussichtliches Ende und Höhe des Leistungsanspruchs hervorgehen (§27 Abs1 KBGG; vgl auch die Bezeichnung als 'Mitteilung über den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld' in §27 Abs2 KBGG). Damit wird dem Empfänger gegenüber ausdrücklich das Bestehen eines Leistungsanspruchs zugestanden und er geht daher regelmäßig – jedenfalls im hier relevanten Rückforderungsfall – berechtigt davon aus, dass der zuständige Krankenversicherungsträger das Vorliegen der Voraussetzungen geprüft und bejaht hat und ihm das Kinderbetreuungsgeld während der Leistungsdauer zur Verfügung steht.

 

[…] Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass die Leistungen nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz nicht nur der kurzfristigen Unterstützung des Leistungsempfängers dienen. Das Gesetz stellt dafür vielmehr einen Rahmen von 61 bis 365 Tagen zur Verfügung (§§3 Abs1 und 5 sowie 24b Abs1 und 4 KBGG), in dem die Bezieher nach der gesetzgeberischen Zielsetzung ihre Berufstätigkeit zugunsten der Betreuungsleistung einschränken sollen (RS0124063 [T38]; VfGH G128/08 ua, VfSlg 18.705/2009; Konezny in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG3 §8 Rz 1). Sowohl das pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto (§§2 ff KBGG) als auch das Kinderbetreuungsgeld ... als Ersatz des Erwerbseinkommens (§§24 ff KBGG), soll die Betreuung und Erziehung des Kindes, für deren Vorsorge die Eltern nicht nur gesellschaftlich verantwortlich, sondern wozu sie auch zivilrechtlich verpflichtet sind (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 54), während der Kleinkindphase finanziell unterstützen. Aus diesem Grund haben Empfänger typischerweise nicht bloß kurzfristig kein (erhebliches, die Zuverdienstgrenze überschreitendes) Einkommen (im Anlassfall betrug der mitgeteilte Anspruchszeitraum mehr als acht Monate). Dieser Zustand muss während des Bezugs aufrecht erhalten werden, um die Leistung nicht (teilweise) wieder zu verlieren. Typischerweise disponieren Leistungsempfänger im Vertrauen auf die Gewährung also nicht bloß dadurch, dass sie die empfangenen Gelder verbrauchen, sondern auch dadurch, dass sie im Anspruchszeitraum kein (die Zuverdienstgrenze übersteigendes) Einkommen erwirtschaften und sich stattdessen auf die Kinderbetreuung konzentrieren. Dies unterscheidet die Rückforderung von Leistungen nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz auch von jener des Familienzeitbonus, der eine Unterstützung für die – vergleichsweise kurze – 'Familienzeit' von (maximal) 28, 29, 30 oder 31 Tagen darstellen soll und bezüglich derer der Oberste Gerichtshof entsprechende verfassungsrechtliche Bedenken nicht teilte (10 ObS 87/21y; RS0133743).

 

[…] Die erörterte Rechtslage verlagert das Risiko der unrichtigen Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen somit zur Gänze auf den Empfänger, obwohl dieser auf die Leistung nicht nur zur Überbrückung eines kurzen Zeitraums angewiesen war und darauf vertrauen durfte, dass die Leistung ihm in diesem Zeitraum zur Verfügung steht. Dieses Ergebnis ist nicht nur zufällige Folge einzelner Härtefälle, es wurde vom Gesetzgeber vielmehr bewusst als Regelfall vorgesehen.

 

[…] Dem Gesetzgeber steht bei Verfolgung familienpolitischer Ziele zwar grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der aber durch das Gleichheitsgebot (nur) insofern beschränkt wird, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (VfSlg 16.542/2002, 8.073/1977).

 

[…] Das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung nahm der Verfassungsgerichtshof bei der Verpflichtung zur (gänzlichen) Rückzahlung von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe bei Überschreiten der Zuverdienstgrenze an. Eine Rückzahlungsverpflichtung sei nur dann zulässig, wenn den Bezieher der Leistung ein Vorwurf trifft oder er den naheliegenden Verdacht eines solchen nicht widerlegen kann oder aber seine nunmehrige Leistungsfähigkeit aus der neu eröffneten Erwerbsquelle oder auf andere Weise feststeht. Ohne solche Einschränkung widerspreche die Pflicht zur Rückzahlung verbrauchter Gelder aus der Arbeitslosenversicherung dem aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot (VfSlg 14.095/1995).

 

[…] In einer vergleichbaren Situation befindet sich der Empfänger einer Leistung nach dem Kindesbetreuungsgesetz, der (bloß) aufgrund eines Behördenfehlers zur Rückzahlung der Leistungen verpflichtet wird, obwohl er infolge einer den Anspruch bestätigenden Mitteilung davon ausgehen durfte, die erhaltenen Gelder verbrauchen zu können. Diese Regelung wird daher in der Literatur als nicht sachlich gerechtfertigt angesehen (Sonntag in Sonntag, KBGG3 §31 Rz 10d; Sonntag, ASoK 2017, 8; Burger-Ehrnhofer, KBGG und FamZeitBG3 [2017] §31 KBGG Rz 22).

 

[…] Die Beklagte hält dem entgegen, dass der Verfassungsgerichtshof vergleichbare Bedenken am (objektiven) Rückforderungstatbestand nach §31 Abs2 S 2 KBGG (nachträgliche Feststellung des Überschreitens der Zuverdienstgrenze) nicht teilte (VfSlg 18.705/2009). Dieser Rückforderungstatbestand ist jedoch anders gelagert als der hier gegenständliche. Zwar handelt es sich bei beiden Tatbeständen um eine objektive, also vom Verschulden des Empfängers unabhängige Rückforderung, doch liegt die Erzielung eines Einkommens zumindest im Einflussbereich des Empfängers und nicht in jener des Krankenversicherungsträgers. Nach der Ausgestaltung der das Einkommen betreffenden Anspruchsvoraussetzungen, deren Vorliegen erst nach dem Verstreichen des Anspruchszeitraums und in der Regel auch nach Leistungsgewährung geprüft werden kann, besteht vielmehr kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass ausgezahlte Leistungen trotz Überschreitens der Zuverdienstgrenze (in voller Höhe) behalten werden. Ein Behördenfehler anlässlich der Gewährung, der ein Vertrauen auf einen gerechtfertigten Leistungsbezug schutzwürdig erscheinen ließe, kommt in solchen Fällen nachträglich zu prüfender Umstände schon grundsätzlich nicht in Betracht. Außerdem war es (nach der vom Verfassungsgerichtshof beurteilten Rechtslage) bei Überschreiten der Zuverdienstgrenze ausgeschlossen, dass ein das erzielte Einkommen übersteigender Betrag zurückzuzahlen war (vgl nunmehr §8a KBGG). Beim hier gegenständlichen Rückforderungstatbestand der irrtümlichen Auszahlung besteht demgegenüber kein Konnex zwischen dem Rückzahlungsbetrag und dem – bei Gewährung noch gar nicht prüfbaren – Einkommen im Anspruchszeitraum. Vielmehr geht es nur um bereits im Gewährungszeitpunkt vorhandene und der Behörde auch bekannte Umstände, die aufgrund einer unrichtigen Beurteilung oder Berechnung zur Leistungsgewährung führen. Aufgrund dieser Unterschiede zwischen den beiden Rückforderungstatbeständen sieht sich der erkennende Senat nicht daran gehindert, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des gegenständlichen Rückforderungstatbestands an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

 

[…] Die in den Gesetzesmaterialien für die Rückzahlungspflicht angeführte Begründung, dass einige Eltern durch Behördenfehler nicht besser gestellt sein sollen, als andere Eltern, vermag die Zweifel an der Sachlichkeit der Regelung ebenso wenig zu zerstreuen, weil den 'besser gestellten' Eltern gegenüber infolge des Behördenfehlers ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, und umgekehrt diejenigen Eltern, denen eine Leistung, auf die sie keinen Anspruch haben, zutreffend nicht gewährt wurde, keine Dispositionen im Vertrauen auf einen Leistungsbezug tätigten, die eines besonderen Schutzes bedürften. Ein schutzwürdiges Interesse dieser 'schlechter gestellten' Eltern an einer Gleichbehandlung mit den 'besser gestellten' Eltern besteht somit nicht. Das gleiche gilt in den anderen Rückforderungsfällen, weil dort entweder (insbesondere bei nachträglich hervorkommenden Anspruchshindernissen) kein der Sphäre der Behörde zuzurechnender Fehler oder zusätzlich ein in der Sphäre des Empfängers liegender Umstand vorliegt, was ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Leistung jeweils ausschließt.

 

[…] Möglichkeiten der Abfederung der Auswirkungen dieser Rückzahlungspflicht, die die angeführten Bedenken ausräumen, sind nicht ersichtlich. Leistungsempfänger können den Verbrauch der empfangenen Gelder und eine allfällige – im Fall der Rückforderung ja frustrierte – Einschränkung ihrer Erwerbstätigkeit nachträglich nicht mehr rückgängig machen. Zwar kann der Krankenversicherungsträger eine Zahlung in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen, die Rückforderung stunden oder darauf ganz oder teilweise verzichten (§32 Abs4 S 3 KBGG). Bei dieser Beurteilung sind allerdings die Umstände, die zur Rückforderung führten, irrelevant, sondern es sind lediglich – für alle Fälle der Rückforderung gleichermaßen – die Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers zu berücksichtigen. Insbesondere setzt ein Forderungsverzicht voraus, dass ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (Sonntag in Sonntag, KBGG3 §31 Rz 23; Lödl/Antl/Janik/Petridis-Pierre/Pfau, BHG 20134 §74 Anm 6). Die Rückforderung nach §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG ist allerdings gerade auf Bezüge infolge bloßer Behördenfehler, die dem Empfänger nicht erkennbar sind, zugeschnitten, sodass diese Umstände keine atypische Belastung bewirken, die einen Forderungsverzicht rechtfertigen würden. Zu einer Abfederung der Auswirkungen des Rückforderungstatbestands führen solche Zahlungserleichterungen damit nicht oder nur in Ausnahmefällen. Im Normalfall ist der Leistungsempfänger gezwungen, entsprechende Rückstellungen für den Fall einer nicht vorhersehbaren Rückforderung zu bilden und bereit zu halten, bis das Rückforderungsrecht verjährt ist (vgl §31 Abs7 KBGG).

 

[…] Aufgrund der dargestellten Bedenken gegen den im vorliegenden Verfahren anzuwendenden Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 S 1 Fall 2 KBGG sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Wortfolge mit dem vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag an den VfGH heranzutragen.

 

[…] Der Anfechungsumfang wurde so gewählt, dass – bei Bejahung der verfassungsrechtlichen Bedenken durch den Verfassungsgerichtshof – eine verfassungsrechtlich einwandfreie Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren hergestellt wird. Der verbleibende Gesetzesteil bekommt dadurch einerseits nicht einen völlig veränderten oder sprachlich unverständlichen bzw unanwendbaren Inhalt und es werden andererseits alle mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen erfasst (vgl VfGH G146/2019). Da in §31 Abs2 S 1 KBGG mehrere, voneinander trennbare Rückforderungstatbestände enthalten sind, war nur die im Spruch wiedergegebene Wortfolge in die Anfechtung aufzunehmen, weil sich die verfassungsrechtlichen Bedenken nur auf diesen Rückforderungstatbestand beziehen und ein allein unanwendbarer Torso bei Wegfall dieses Tatbestands nicht entsteht."

1.8. Die Bundesregierung hat zu diesem (als zulässig erachteten) Gesetzesprüfungsantrag des Obersten Gerichtshofes eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…] In der Sache:

 

Der antragstellende Gerichtshof zieht […] die von Art7 B‑VG geforderte Sachlichkeit des Rückforderungstatbestandes des §31 Abs2 erster Satz zweiter Fall KBGG in Zweifel.

 

Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

 

[…] Anwendungsbereich des antragsgegenständlichen Rückforderungstatbestandes

 

Dem antragstellenden Gerichtshof ist beizupflichten, wenn er entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht von einer zwecklosen und funktionslosen Bestimmung ausgeht. Es handelt sich hier vielmehr um eine Art von zusätzlichem Auffangtatbestand, der dann zur alleinigen Anwendung kommt, wenn unrichtige Berechnungen oder Rechtsansichten Grund der Auszahlung waren. Weiters dient er der Verhinderung unrechtmäßiger Bereicherung von Eltern, die versuchsweise einen Antrag auf Kinderbetreuungsgeld stellen und die irrtümliche Auszahlung zumeist zB durch missverständliche Angaben, widersprüchliche Bestätigungen, ausweichende Sachverhaltsschilderungen, schleppende Antworten usw (mit)veranlassen, wenn auch nicht konkret vorwerfbar und sohin außerhalb des Anwendungsbereiches des §31 Abs1 KBGG.

 

Nicht beigepflichtet wird den Ausführungen des Anfechtungsbeschlusses insofern, als danach die verschuldensabhängigen Rückforderungstatbestände des §31 Abs1 und 2 KBGG die verschuldensunabhängigen Rückforderungstatbestände des §31 Abs2 KBGG ausschließen und insbesondere der in der angefochtenen Wortfolge verkörperte Rückforderungstatbestand nur anwendbar sei, wenn kein anderer Rückforderungstatbestand erfüllt sei. In der Praxis werden in vielen Fällen mehrere Rückforderungstatbestände gleichzeitig erfüllt. Dies können mehrere verschuldensabhängige Tatbestände sein, zB wenn der Unrechtsbezug durch unrichtige Angaben herbeigeführt wurde und der Leistungsbezieher erkennen musste, dass ihm die Leistung nicht gebührt oder er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkam. Dies können auch mehrere verschuldensunabhängige Tatbestände sein, zB wenn eine Anspruchsvoraussetzung bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen hat und die Leistung irrtümlich von der Behörde ausgezahlt worden ist. Dies können aber auch – wie im vorliegenden Fall – mehrere verschuldensabhängige und verschuldensunabhängige Tatbestände sein, etwa, weil der Unrechtsbezug durch unrichtige Angaben herbeigeführt wurde, der Leistungsbezieher erkennen musste, dass ihm die Leistung nicht gebührt, die Mitwirkung im Sinne der Mitteilung verfahrenswesentlicher Sachverhalte nicht erfüllt wurde sowie eine Anspruchsvoraussetzung bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen hat und die Leistung irrtümlich von der Behörde ausgezahlt worden ist. Diese Frage erscheint aber für die Prüfung der erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht bedeutsam und kann daher hier auf sich beruhen.

 

[…] Vertrauen auf die Mitteilung nach §27 KBGG

 

[…] Angelpunkt […] der Bedenken ist die im Fall der Bejahung des Anspruchs auszustellende, nicht bescheidförmige Mitteilung über den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld (§27 KBGG). Damit werde dem Empfänger gegenüber ausdrücklich das Bestehen eines Leistungsanspruchs zugestanden und er gehe daher regelmäßig – jedenfalls im hier relevanten Rückforderungsfall – berechtigt davon aus, dass der zuständige Krankenversicherungsträger das Vorliegen der Voraussetzungen geprüft und bejaht habe und ihm (dem Empfänger) das Kinderbetreuungsgeld während der Leistungsdauer zur Verfügung stehe.

 

Diese Prämisse wird von der Bundesregierung nicht geteilt:

 

[…] Im Anwendungsbereich des Kinderbetreuungsgeldes ist der Gutglaubensempfang und -verbrauch ausgeschlossen.

 

Davon unabhängig judiziert der OGH in jenen Bereichen, in denen der gutgläubige Empfang und Verbrauchs möglich ist, dass irrtümlich angewiesene Beträge im Falle redlichen Verbrauches nicht zurückgefordert werden (SZ11/86 uva.). Jedoch – so der OGH – wird der gute Glaube nicht nur durch auffallende Sorglosigkeit des Empfängers ausgeschlossen, sondern schon dann verneint, wenn er bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit des ihm ausbezahlten Betrages auch nur zweifeln musste (4 Ob 108/81 = DRdA 1983, 178 [Wocker] = ZAS 1983, 101 [Geppert] = Arb 10.057; 9 ObA 197/92 = DRdA 1993, 214 [Wachter] = WBl. 1993, 20; 8 ObA 226/92 = DRdA 1993, 225 [Trost]). Grundlegende Bedeutung kommt vor allem dem Leitsatz zu, wonach für die Unredlichkeit und damit das Versagen des Gutgläubigkeitseinwandes schon ein bloßes Zweifeln-Müssen am Zustehen des Erhaltenen genügt. Eine Klägerin, die nicht kontrolliert, ob ihr tatsächlich doppelte Beträge (zB Gehalt und Wochengeld) zustehen, ist nicht redlich (siehe zB OGH 29.11.2002, 8 ObA 289/01k).

 

Die Ansicht, wonach Bezieherinnen im Falle des Erhaltes einer Kinderbetreuungsgeld-Leistungsmitteilung davon ausgehen dürfen, dass sie die empfangene Kinderbetreuungsgeld-Leistung behalten dürfen, weshalb man zu Unrecht ausgezahlte Leistungen nicht zurückfordern dürfe, stellt nichts Anderes als einen erweiterten Gutglaubensempfang und Gutglaubensverbrauch dar.

 

Die in Rede stehenden Ausführungen stehen in Widerspruch zur gleichzeitigen Darlegung, wonach im Sozialrecht und damit auch im Anwendungsbereich des KBGG ein gutgläubiger Empfang und Verbrauch von Leistungen ausgeschlossen ist. Darüber hinaus wird mit den zitierten Ausführungen übersehen, dass jede Mitteilung über den Leistungsbezug nach dem KBGG den Aufdruck zum 'voraussichtlichen' Ende enthält, woraus eindeutig nicht auf einen bis dahin jedenfalls bestehenden Anspruch geschlossen werden kann (siehe dazu auch den Wortlaut des §27 Abs1 KBGG).

 

Die Annahme, dass ein Empfänger einer Mitteilung über den Leistungsbezug (§27 Abs1 KBGG) grundsätzlich schutzwürdig sei, kann sich darüber hinaus wohl kaum auf die standardmäßig in dieser Mitteilung aufgezählten Leistungsbeendigungsgründe beziehen. Im Hinblick auf den Wohnort im Ausland und die Beendigung des österreichischen Dienstverhältnisses (wie im vorliegenden Fall) könnte demnach die Mitteilung niemals eine Schutzwürdigkeit entfalten; hier wäre ein gutgläubiger Empfang und Verbrauch daher – vor dem Hintergrund des Leitsatzes, wonach alleine bloßes Zweifeln-Müssen am Zustehen des Erhaltenen ausreicht, den guten Glauben auszuschließen – bereits durch die klar ersichtlichen aufgedruckten Informationen ausgeschlossen. Unberücksichtigt geblieben ist auch die jeweils die gemäß §27 Abs2 KBGG mit der Leistungsmitteilung nach §27 Abs1 KBGG mitversendete Information der Bundesministerin, in der die Bezieher nochmals neben den Rechten auch auf ihre Verpflichtungen hingewiesen werden. Überlegungen zur Schutzwürdigkeit können demnach auch im Hinblick auf diese zusätzlichen Informationen nicht angestellt werden.

 

[…] Die Ausführungen des Anfechtungsbeschlusses zur generellen Schutzwürdigkeit von Eltern mit kleinen Kindern unter Heranziehung eines Quasi-Vertrauensschutzes, aus dem ein Gutglaubensempfang und Gutglaubensverbrauch abzuleiten sei, vermögen nicht zu überzeugen:

 

Insbesondere im vorliegenden Fall lag nach Ansicht der Gerichte kein Dienstverhältnis in Österreich, kein Wohnort in Österreich, kein Rentenbezug und kein sonstiges grenzüberschreitendes Element zu Österreich vor, das ein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtsmäßigkeit des österreichischen Leistungsbezugs auslösen hätte können. Die Ausführungen zur Schutzwürdigkeit treffen gerade hier nicht zu, erhielt die Klägerin doch die ungarischen Familienleistungen (des ungarischen Kinderbetreuungsgeldes) und war demnach während der Kleinkindphase in Ungarn versorgt und geht es hier nur um Zusatzzahlungen Österreichs nach der Verordnung (EG) Nr 883/2004.

 

Soweit der Anfechtungsbeschluss […] nahelegt, dass (verkürzt ausgedrückt) Eltern, die Kinderbetreuungsgeld beantragen, (im Vertrauen auf die Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes) nicht arbeiten gehen, entspricht dies nicht den Gegebenheiten. Gerade das Kinderbetreuungsgeld-Konto sieht dazu eine großzügige individuelle Zuverdienstgrenze (60% der Letzteinkünfte) vor, die von den Eltern auch genutzt wird. Immer weniger Eltern steigen voll aus dem Berufsleben aus, sondern leben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In jenen vereinzelt vorkommenden Fällen, in denen ausschließlich eine irrtümliche Auszahlung der Behörde erfolgte und kein anderer Rückforderungsgrund vorliegt, somit die Behörde zum Zeitpunkt der Antragstellung aufgrund eines Irrtums (Rechtsirrtum, Rechenfehler usw) nicht erkannte, dass eine Anspruchsvoraussetzung nicht vorlag, kann jedoch kaum davon ausgegangen werden, dass die betroffenen Eltern auf das Behaltendürfen der Leistungen vertrauen durften:

 

Entgegen der aus dem Anfechtungsbeschluss erkennbaren Ansicht ist der Rückforderungstatbestand der irrtümlichen Auszahlung (als alleiniger Rückforderungsgrund) nicht der Regelfall, sondern der Ausnahmefall. Dies bestätigt ein Überblick über die Judikatur, wonach dieser Rückforderungstatbestand sehr selten zum Tragen kommt und dann auch nahezu ausschließlich als weiterer Rückforderungsgrund neben einem oder mehreren anderen Rückforderungstatbeständen.

 

Den Regelfall der irrtümlichen Auszahlung stellt sohin jener Fall dar, in dem die Eltern die irrtümliche Auszahlung (mit)veranlasst haben, den Irrtum zumindest vermuteten und nicht darauf vertrauten, dass sie das ausbezahlte Kinderbetreuungsgeld jedenfalls behalten dürfen. Diese Eltern sollen sohin nicht bessergestellt werden als jene Eltern, die in derselben Situation keinen Antrag auf Kinderbetreuungsgeld stellen.

 

Ein Fall, wonach Eltern keinerlei Anlass haben, daran zu zweifeln, dass sie alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, sie alle Meldungen und Mitteilungen korrekt vorgenommen haben, keine Umstände verschwiegen haben, alle Angaben korrekt und unzweifelhaft erfolgten, die Zuverdienstgrenze eingehalten worden ist usw und in der Folge gleichwohl festgestellt wird, dass ein Unrechtsbezug vorlag und die Auszahlung lediglich auf einem Irrtum der Behörde beruhte, ist als Ausnahme und Härtefall zu bezeichnen, der nach der Judikatur des VfGH eine Regelung nicht verfassungswidrig macht und vom Gesetzgeber in Kauf genommen werden darf.

 

Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, dass der Gesetzgeber – ohne mit dem Gleichbehandlungsgebot in Widerspruch zu geraten – bei der Normsetzung eine Durchschnittsbetrachtung anstellen, von Regelfällen ausgehen und pauschalierende Regelungen treffen bzw typisieren kann (zB VfSlg 10.455/1985 und 13.659/1993). Der hier gegenständliche Regelfall ist die Situation junger Eltern mit Kleinkindern in einer Zeit großer Veränderungen.

 

In diesem Sinne hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. September 2015 zu G402/2015 die Behandlung eines auf die Aufhebung des – damals verfahrensgegenständlichen – ersten Satzes des §2 Abs6 KBGG gerichteten Antrags abgelehnt, wobei er ua ausführte: 'Bei der Ausgestaltung ist es [dem Gesetzgeber] gestattet, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen und von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen.'

 

Nicht jede Unbilligkeit, die eine einheitliche Regelung mit sich bringt, ist im Übrigen nach der ständigen Rechtsprechung bereits als unsachlich zu werten; auch das Entstehen von Härtefällen macht für sich alleine eine Regelung noch nicht unsachlich (VfSlg 14.694/1996, 18.705/2009 und 19.411/2011).

 

Zu den Ausführungen des antragstellenden Gerichtshofes, wonach Eltern Nachteile erleiden, wenn sie auf die Rechtmäßigkeit des Bezuges vertrauen durften, weil sie im Hinblick darauf Dispositionen (vor allem eine Einschränkung der Erwerbstätigkeit) getroffen haben, darf darauf hingewiesen werden, dass Eltern ihre Säuglinge in der Regel auch dann selbst betreuen, wenn sie keine staatlichen Leistungen dafür erhalten. Das bedeutet: Eltern schränken ihre Erwerbstätigkeit für die Kindesbetreuung üblicherweise ein, und zwar auch dann, wenn ihnen kein Kinderbetreuungsgeld gewährt wird. Nur in den seltensten Fällen würden die Eltern vollerwerbstätig sein. Dazu kommen die Kosten für die Fremdbetreuung des Säuglings bzw Kleinkindes und weitere Kosten und Nachteile, die mit einer uneingeschränkten Erwerbstätigkeit zusammenhängen.

 

Die Ansicht, dass Eltern ihre Erwerbstätigkeit wegen des Leistungsbezuges einschränken und nicht wegen der notwendigen Betreuung des Kleinkindes, entspricht nach Auffassung der Bundesregierung nicht der Familienrealität in Österreich.

 

Das Bedenken des antragstellenden Gerichtshofes, wonach eine Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (unter anderem) deshalb unsachlich sei, weil die Eltern nur wegen des Bezuges der staatlichen Kinderbetreuungsgeld-Leistung ihre Erwerbstätigkeit einschränken und dadurch im Falle einer Rückforderung einen Nachteil erleiden, ist demnach nicht zutreffend.

 

[…] Unbilligkeit der Rückforderung – Verzicht nach §31 Abs4 KBGG

 

Nach Rechtskraft der Forderung besteht für Eltern die Möglichkeit, im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren um Zahlungserleichterungen (Ratenzahlungen, Stundung) oder überhaupt um einen Verzicht auf die Forderung anzusuchen.

 

Der Anfechtungsbeschluss […] erkennt hierin keine Möglichkeit der Abfederung der Auswirkungen der aus der angefochtenen Bestimmung resultierenden Rückzahlungspflicht. Denn die Umstände, die zur Rückforderung führten, seien irrelevant, vielmehr seien (verkürzt ausgedrückt) lediglich und für alle Fälle der Rückforderung gleichermaßen die Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers zu berücksichtigen. Dabei stützt sich der Anfechtungsbeschluss im Wesentlichen auf zwei Literaturstellen (Sonntag in Sonntag, KBGG3 §31 Rz 23, und [wobei Sonntag der nachstehend angeführten Literaturstelle folgt] Lödl/Antl/Janik/Petridis-Pierre/Pfau, Bundeshaushaltsrecht4 §74 Anm 6, mit Hinweis auf Ritz, Bundesabgabenordnung3 [2005] Rz 9 ff zu §236 mwN). Diesen zufolge soll 'Unbilligkeit' – im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Vorgängerregelung des §74 BHG 2013 (§62 BHG) – nur dann vorliegen, wenn ein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen Einziehung der Forderung und den im Bereich des Schuldners entstehenden Nachteilen bestehe (persönliche Unbilligkeit) oder wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintrete (sachliche Unbilligkeit). Diese Rechtsansicht lässt allerdings den klaren Gesetzeswortlaut (Abs1 Z1) unberücksichtigt, wonach das Vorliegen von Unbilligkeit nach der Lage des Falles, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Ausmaßes des allfälligen Verschuldens des Schuldners an der Entstehung der Forderung, zu beurteilen ist.

 

Liegt daher jener im Anfechtungsbeschluss angesprochene Härtefall vor, wonach jemand keinen Grund hatte, an der Rechtmäßigkeit der Auszahlung zu zweifeln, alle Angaben und Mitteilungen korrekt vorgenommen hat, seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist usw und dennoch festgestellt wurde, dass die Auszahlung zu Unrecht erfolgte, weshalb es zur Rückforderung kommt, so werden diese Umstände in die Billigkeitsprüfung anlässlich des Verzichtsansuchens aufgenommen. Dabei wird selbstverständlich auch berücksichtigt, ob diese schutzwürdigen Eltern im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Leistungszahlungen andere Dispositionen getroffen haben. Die vom antragstellenden Gerichtshof angesprochene Berücksichtigung der individuellen Situation der als schutzwürdig angesehenen Eltern kommt hier sehr wohl zum Tragen. Durch einen aus Billigkeitsgründen erfolgenden Verzicht auf die Rückforderung werden jene Eltern, die als schutzwürdig zu erachten sind, nicht durch eine Rückzahlung belastet.

 

[…] Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtene Wortfolge nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

2. Zum Parteiantrag (G 203/2021)

2.1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.2. Die Klägerin im zivilgerichtlichen Verfahren ist afghanische Staatsangehörige. In Österreich wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Aus Anlass der Geburt ihres Sohnes beantragte die Klägerin Kinderbetreuungsgeld und kreuzte im Antragformular wahrheitsgemäß an, weder unselbständig noch selbständig erwerbstätig zu sein. Die Klägerin erhielt eine Mitteilung von der beklagten Partei, dass ihr vom 7. Juni 2019 bis voraussichtlich 18. Jänner 2021 Kinderbetreuungsgeld iHv € 14,53 pro Tag gewährt wird. Mit Bescheid vom 26. Jänner 2021 widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung iHv € 8.340,22. Begründend führte die beklagte Partei aus, dass mangels kranken- und pensionsversicherungspflichtiger Beschäftigung der Klägerin als subsidiär schutzberechtigte Person gemäß §2 Abs1 Z5 litc KBGG kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld zustehe.

2.3. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage mit dem Feststellungsbegehren, dass keine Gründe für den Widerruf des Kinderbetreuungsgeldes bestehen und die Klägerin nicht zur Rückzahlung verpflichtet sei. Dazu führt die Klägerin aus, dass sie im Antrag wahrheitsgetreu angegeben habe, keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen, und die beklagte Partei auf Grundlage dieser Angaben Kinderbetreuungsgeld ausbezahlt habe. Die Klägerin habe zu keiner Zeit erkennen müssen, dass ihr die Leistung nicht gebühre. Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren im Wesentlichen damit, dass die Klägerin durch Aushändigung eines Informationsblattes sehr wohl darauf hingewiesen worden sei, dass subsidiär Schutzberechtigte nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hätten. §31 Abs2 KBGG normiere eine objektive (verschuldensunabhängige) Rückzahlungsverpflichtung, die nur davon abhängig sei, dass sich eine Tatsache herausstelle, bei deren Vorliegen kein Anspruch auf eine Leistung bestehe.

2.4. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. April 2021 wurde die Klage abgewiesen.

2.5. Gegen dieses Urteil erhob die Antragstellerin Berufung und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden, zu G203/2021 protokollierten Gesetzesprüfungsantrag. Darin legt die Antragstellerin ihre Bedenken wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Nach Ansicht der Berufungswerberin verstößt §31 Abs2, 2 Fall KBGG (…die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte…) gegen den Gleichheitsgrundsatz bzw das Sachlichkeitsprinzip.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entspricht ein Gesetz dann nicht dem Gleichheitssatz, wenn die in Betracht kommende Regelung sachlich nicht gerechtfertigt ist. Art7 Abs1 BVG verbietet unsachliche, also durch tatsächliche Unterschiede nicht begründete Differenzierungen. Der Gleichheitsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber daher, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen und wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich durch entsprechende rechtliche Regelungen zu berücksichtigen. Deshalb sind (nur) solche unterschiedliche Regelungen wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig, die nicht durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen begründet sind. Dabei ist unter Sachlichkeit einer Regelung nicht deren 'Zweckmäßigkeit' zu verstehen. Die zentrale Bedeutung der 'sachlichen Rechtfertigung' bei der Gleichheitsprüfung hat dazu geführt, dass der Gleichheitssatz heute aus als umfassendes Sachlichkeitsgebot verstanden wird. dabei wird die Gleichheitsprüfung vom Vergleich zwischen verschiedenen Sachverhalten völlig losgelöst und ausschließlich an der Überlegung orientiert, ob für eine bestimmte Norm 'sachliche Gründe' sprechen.

 

Wenn dem Krankenversicherungsträger (ÖGK) bei der Gewährung des KBG bereits alle für die Gewährung maßgebenden Umstände bekannt waren und er aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht bzw eines Behördenfehlers trotzdem das KBG ausbezahlt, bestand nach der Fassung des §31 Abs2 vor BGBL 2016/53 kein Rückforderungsanspruch, falls die beklagte Partei nachträglich die Unrichtigkeit der Gewährung bemerkte. Der Widerrufsgrund musste sich erst nachträglich herausgestellt haben. Nunmehr soll auch bei einer irrtümlichen Auszahlung eine Rückforderung zulässig sein. Die EB begründet dies damit, dass nicht einige Eltern durch Behördenfehler besser gestellt sein sollen als andere (1110 BlgNR 25. GP , 12).

 

Demgegenüber sieht das ASVG eine Rückforderung nur bei Verwirklichung subjektiver Tatbestände vor. Beim einzigen objektiven Rückforderungstatbestand des §107 Abs1 ASVG müssen sich relevante Tatsachen nachträglich herausgestellt haben (Atria in Sonntag, ASVG §107 Rz 31 ff). Nach §101 ASVG kommt eine rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustands zu Lasten des Versicherten nicht in Betracht. Auch das AlVG kennt keinen Rückforderungstatbestand aufgrund eines Behördenfehlers ohne Erkennenmüssen der Unrechtmäßigkeit durch den Leistungsempfänger (§25 Abs1 AlVG). Eine Wiederaufnahme nach §69 AVG kommt in verfassungskonformer Auslegung nicht in Betracht, wenn die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweise der Behörde mit deren Verschulden unbekannt geblieben sind (Hengstschläger/Leeb, AVG2 §69 Rz 39). Ein neuer Bescheid darf bei Gleichbleiben der tatsächlichen Verhältnisse und rechtlichen Grundlage in derselben Sache nicht erlassen werden, er würde das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzen (Hengstschläger/Leeb, AVG2 §68 Rz 20 mwN).

 

Auch wenn es sich in conreto nicht um eine Abänderung oder Aufhebung in Rechtskraft erwachsener Bescheide handelt, weil über den Antrag bei Stattgebung durch Mitteilung nach §27 KBGG entscheiden wird, zeigt obige Zusammenschau die verfassungsrechtlichen Grenzen von Rückersatzpflichten beim Irrtum der Behörde, ohne dass sich ein Sachverhaltselement nachträglich herausgestellt hätte bzw ohne Änderung des Sachverhalts. Für Fälle in denen der Leistungswerber den unberechtigten Bezug erkennen musste, besteht ohnedies ein subjektiver Rückforderungstatbestand.

 

Ohne Vorwerfbarkeit ist eine gänzliche Rückersatzpflicht verfassungsrechtlich bedenklich, weil der Leistungsempfänger davon ausgehen durfte, dass ihm das Geld zur Betreuung des Kindes zur Verfügung steht. Das der Leistungsempfänger trotz mangelnder Erkennbarkeit des Behördenfehlers das Risiko eines solchen trägt, ist nicht sachlich gerechtfertigt (vgl Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny KBGG2 §31 Rz 10bff).

 

Die mangelnde Erkennbarkeit des Behördenfehlers spielt auch insofern eine Rolle, als dass die Antragstellerin auch bei fahrlässigem Nichterkennen einen Rückforderungstatbestand des §31 Abs1 KGBB verwirklicht. Es ist zu prüfen, ob dem Leistungsempfänger bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Aufmerksamkeit die Ungebührlichkeit der Leistung auffallen musste. Die Rückforderung zu Unrecht bezogener Leistungen ist also grundsätzlich daran geknüpft, dass dem Leistungsbezieher ein schuldhaftes Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Dabei ist der Sorgfaltsmaßstab des §1297 ABGB anzuwenden. Gefordert ist also, dass bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit der Fehler ohne weiteres erkennbar ist (ASG Wien 17 Cgs 165/07 i mwN). Ein 'Erkennenmüssen' ist vor allem bei irrtümlicher Zahlung (zB durch Fehler in der Ausfertigung der Zahlungsanweisung, Doppelanweisung, Anweisung an eine falsche Adresse usw) anzunehmen. Keinesfalls sind bei der Beurteilung, ob ein Rückforderungstatbestand gegeben ist, die Worte 'erkennen müssen' extensiv auszulegen (OGH 10 ObS 97/88 = ARD 4054/7/88; insg vgl Weissenböck in Poperl/Trauner/Weißenböck (Hrsg), Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (68. Lfg 2019) §107 ASVG Rz 11 mwN).

 

Im vorliegenden Fall ist der Antragstellerin kein fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Bei lebensnaher Betrachtungsweise ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die Antragstellerin selbst über die Voraussetzungen für die Gewährung der Kinderbeihilfe geirrt hat. Das Informationsblatt auf welches im Antragsformular für das KBG ausdrücklich verwiesen wird, enthält nämlich hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung des KBG an subsidiär Schutzberechtigte nur sehr spärliche Informationen. Unter dem Punkt 'Anspruchsvoraussetzungen' wird mit keinem Wort erwähnt, dass subsidiär Schutzberechtigte nur dann einen Anspruch auf KBG haben, wenn sie einer selbstständigen oder unselbstständigen Arbeit nachgehen. Erwähnt wird lediglich, dass man eine bestimmte Zuverdienstgrenze nicht überschreiten darf und dass auch subsidiär Schutzberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf KBG haben. Dies erweckt selbst bei sorgfältigem Lesen den Eindruck, dass man nicht zu viel verdienen darf. Denklogisch ist dies nicht möglich, wenn man überhaupt kein Einkommen hat bzw keiner selbstständigen oder unselbstständigen Arbeit nachgeht. Indem das Informationsblatt lediglich über eine Zuverdienstgrenze, nicht jedoch über das Erfordernis einer selbstständigen oder unselbstständigen Arbeit nachzugehen, informiert, erweckt es den Eindruck, dass man lediglich nicht zu viel verdienen darf um Anspruch auf Kindergeld zu haben. Das vor diesem Hintergrund die Antragstellerin nicht erkannt hat, dass sie einer selbstständigen oder unselbstständigen Arbeit nachgehen muss um rechtmäßig Kinderbetreuungsgeld beziehen zu können, ist daher nicht fahrlässig.

 

[…] Verstoß gegen das Grundrecht auf Eigentum

 

Das Grundrecht auf Eigentum schützt nicht nur vor einem Entzug des Eigentums im engeren Sinne, sondern auch vor einer Beeinträchtigung der 'Benutzung' des Eigentums. Art5 StGG schützt nach ständiger Rechtsprechung des VfGH auch das Recht, Verträge abzuschließen, wodurch dem Grundsatz der Privatautonomie grundrechtliche Qualität verliehen worden ist (Korinek in Korinek/Holoubek Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art5 StGG Rz 1).

 

Überdies bezieht der VfGH den Schutz des Eigentums nach Art1 1. ZPEMRK auch auf Leistungen und Gegenleistungen im Rahmen eines Sozialversicherungssystems. Ein solcher Zusammenhang sei nach Ansicht des VfGH bereits dann anzunehmen, wenn sich die Kreise der beitragspflichtigen und leistungsberechtigten Versicherten weitgehend deckten. Hierzu stellte der VfGH fest, dass jedenfalls für jene Versicherten, die Beiträge geleistet haben, die Leistungsansprüche den Schutz des Art1 1. ZPEMRK genießen. Dabei könne es - so der VfGH - angesichts des für die Sozialversicherung wesentlichen Strukturmerkmals der Risikogemeinschaft nicht auf das Verhältnis der konkret von einem Leistungsberechtigten erbrachten Beitragsleistungen zu seinen Ansprüchen aus der Versicherung ankommen, sondern nur darauf, dass er der Risikogemeinschaft im umschriebenen Sinn überhaupt angehört (VfSlg 15.129/1998). Zugleich liege es allerdings im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken allgemeine Voraussetzungen für den Erwerb und Umfang des Leistungsanspruchs wie für dessen Änderungen vorzusehen.

 

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Personen wie die Antragstellerin als subsidiär schutzberechtigte Person und Kinderbetreuungsgeldbezieherin Angehörige der vom VfGH angesprochenen Risikogemeinschaft sind. Sohin genießen auch die Leistungsansprüche der Antragstellerin jedenfalls den Schutz des Eigentums nach Art1 1. ZPEMRK. Gleichwohl muss für jene Leistungsansprüche auch ein der Schutz des Art5 StGG greifen.

 

Insofern bedeutet §31 Abs2 KBGG einen Eingriff in das Eigentumsrecht der Antragstellerin, weil sie durch die gegenständliche Rückforderung einen Eingriff in eine durch guten Glauben erworbene Rechtsposition erfährt und daher einen Vermögensnachteil erleidet. Nach Ansicht der Antragstellerin erfolgte daher die Teilaufhebung des §89 Abs4 ASGG, da es in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip steht durch VfGH zu Recht.

 

[…] Zum Sitz der Verfassungswidrigkeit

 

Der Sitz der oben dargelegten Verfassungswidrigkeit lässt sich in §31 Abs.2 2 Fall KBGG lokalisieren. Dieser sieht durch seine Formulierung den Rückersatz auch bei irrtümlichen bzw aus.

 

Nach Ansicht des Antragstellers lässt sich die Verfassungswidrigkeit aber durch die Aufhebung der Wortfolge 'oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte' problemlos beseitigen. […]

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes müssen die Grenzen der Anfechtung sowie dann der Aufhebung in einem auf Antrag eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren so gezogen werden, dass der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten, dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbaren Inhalt annimmt. Dieses Prozesshindernis liegt insbesondere dann vor, wenn der im Fall der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlich Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre oder die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit gar nicht beseitigt wäre (Grabenwarter/Frank, B‑VG Art140 Rz 50 f […]). Im vorliegenden Fall würde die Aufhebung der oben bestimmten Stelle dazu führen, dass eine Rückforderung des KBG durch die Antragstellerin bei bloßem Irrtum bzw verkennen der Rechtslage, ohne dass sich Sachverhaltselemente nachträglich herausstellen bzw ohne Änderung des Sachverhalts nicht mehr möglich wäre. Positiv formuliert bleibt der objektive Rückforderungstatbestand, der das nachträgliche Herausstellen von Sachverhaltselementen bzw des Sachverhaltes fordert, von der Aufhebung unberührt. Ebenso unberührt bleiben die subjektiven Rückforderungstatbestände. Der verbleibende Gesetzesteil hätte demnach auch nach der Aufhebung einen sinnvollen und dem Gesetzgeber zusinnbaren Inhalt."

2.6. Die Bundesregierung hat zu diesem (als zulässig erachteten) Antrag eine Äußerung erstattet, in der den erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…] Der Bundesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Antrages und die Präjudizialität der angefochtenen Wortfolge sprächen. Zumal sich jedoch die inhaltlichen Ausführungen des Antrags, anders als (offenbar versehentlich) im Antrag einleitend angeführt […], auf Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz bzw das Sachlichkeitsgebot (Art7 B‑VG und Art2 StGG) sowie das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG und Art1 1. ZP-EMRK) beziehen und eine Darlegung der Bedenken im Hinblick auf Art18 B‑VG und Art14 EMRK gänzlich unterbleibt, beschränken sich auch die nachfolgenden Ausführungen auf die beiden erstgenannten Bedenken.

 

[…] In der Sache:

 

Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

 

[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz bzw das Sachlichkeitsgebot:

 

[…] Die Antragstellerin vertritt im Wesentlichen die Ansicht, dass die angefochtene Wortfolge gegen den Gleichheitssatz verstoße, weil eine verschuldensunabhängige Rückerstattungspflicht und die Tragung des Risikos eines nicht erkennbaren Behördenfehlers sachlich nicht gerechtfertigt sei.

 

Überdies trete die Gleichheitswidrigkeit der Bestimmung auch in Zusammenschau mit anderen Rechtsvorschriften zutage, kenne das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) sowie das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) doch keinen verschuldensunabhängigen Rückforderungstatbestand aufgrund eines Behördenfehlers und zeige §69 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) – wenngleich im gegenständlichen Fall nicht einschlägig –, dass den Rückersatzpflichten bei irrtümlicher Auszahlung einer Leistung durch eine Behörde verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind, lasse er doch eine Wiederaufnahme eines Verfahrens im Falle gleichbleibender tatsächlicher und rechtlicher Verhältnisse nicht zu, zumal dies eine Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bedeuten würde.

 

Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:

 

[…] Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber im Beihilfenrecht ein weiter – durch das Sachlichkeitsgebot begrenzter – rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt (vgl VfSlg 17.954/2006, 19.411/2011, 20.096/2016; VfGH 27.11.2018, G75/2018 ua). Dem Gesetzgeber steht es frei, ein Kinderbetreuungsgeld zu gewähren oder nicht (VfSlg 17.954/2006). Es ist ihm gestattet, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen und von einer Durchschnittbetrachtung auszugehen. Nicht jede Unbilligkeit, die eine einheitliche Regelung mit sich bringt, ist dabei bereits als unsachlich zu werten; auch das Entstehen von Härtefällen macht für sich alleine eine Regelung noch nicht unsachlich (VfSlg 14.694/1996, 18.705/2009, 19.411/2011).

 

Weiters hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 18.705/2009 mit Bezug auf §31 Abs2 zweiter Satz KBGG, BGBl I Nr 103/2001 (Stammfassung), festgestellt, dass Rückforderungsvorschriften, die lediglich auf den objektiven Umstand des Nichtvorliegens der Anspruchsvoraussetzungen abstellen, in der österreichischen Rechtsordnung nicht ungewöhnlich (vgl etwa §26 des Familienlastenausgleichgesetzes 1967) und verfassungsrechtliche Bedenken im Allgemeinen dagegen nicht entstanden sind und auch nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt wären.

 

Solche Umstände hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 14.095/1995 angenommen, mit dem jene Vorschrift des Arbeitslosenversicherungsgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben wurde, die eine Verpflichtung zur (gänzlichen) Rückzahlung von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe bereits dann vorsah, wenn der Bezieher in der Folge ein Einkommen (als selbständig Erwerbstätiger) erzielte, das über die Geringfügigkeitsgrenze des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes hinausging, dies auch dann, wenn die Ungebührlichkeit der Leistung nicht vorhersehbar war. Zu diesem Ergebnis kam der Verfassungsgerichtshof aber vor allem deswegen, weil die damals zu beurteilende Regelung eine volle, den Betrag der eigenen Einkünfte (unter Umständen weit) übersteigende Rückzahlungsverpflichtung beinhaltete (VfSlg 19.261/2010).

 

Dass der Verfassungsgerichtshof die in VfSlg 14.095/1995 etablierten Kriterien über den konkreten Anlassfall hinaus als Maßstab zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Rückforderungstatbeständen heranzieht und die erwähnten besonderen Umstände insbesondere dann nicht annimmt, wenn ein Rückforderungstatbestand daran anknüpft, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Leistung bereits ursprünglich, d.h. im Zeitpunkt der Antragsstellung, nicht erfüllt waren, kann dem Erkenntnis VfSlg 19.261/2010 […] explizit entnommen werden.

 

Gerade den Fall der ursprünglichen Nichterfüllung der Voraussetzungen für den Erhalt des Kinderbetreuungsgeldes (in einer gewissen Höhe) deckt auch der Rückforderungstatbestand gemäß §31 Abs2 zweiter Fall KBGG ab, reduziert sein Bestehen neben dem Rückerstattungstatbestand des späteren Hervorkommens anspruchsausschließender Tatsachen (§31 Abs2 erster Fall KBGG) seinen Gehalt doch im Wesentlichen auf jene Fälle, in denen die Behörde, trotz Bekanntseins aller maßgeblichen Umstände im Zeitpunkt der Antragsstellung, irrtümlicherweise Leistungen ausbezahlt hat.

 

Im Lichte der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes erweist sich der angefochtene Rückforderungstatbestand daher als sachlich gerechtfertigt.

 

[…] Soweit die Antragstellerin weiters von einer Verletzung des Gleichheitssatzes ausgeht, weil eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den Rückforderungstatbeständen des ASVG und des AlVG vorliege, zumal diesen Gesetzen verschuldensunabhängige Rückforderungstatbestände aufgrund eines Behördenfehlers unbekannt seien, ist dem zunächst zu entgegnen, dass Rückerstattungsverpflichtungen infolge irrtümlich erbrachter Leistungen der österreichischen Rechtsordnung nicht fremd sind. Nicht zuletzt sei hier auf die Bestimmung des §1431 ABGB hingewiesen.

 

Davon abgesehen sieht es der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung jedoch auch als sachlich gerechtfertigt an, in unterschiedlichen Verfahrensbereichen unterschiedliche Ordnungssysteme vorzusehen, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform gestaltet sind (vgl VfSlg 10.770/1986, 13.420/1993, 15.493/1999, 19.202/2010, 19.762/2013).

 

Vor diesem Hintergrund treffen die Bedenken der Antragstellerin nicht zu. Der Gesetzgebung ist es nicht verwehrt, Leistungen des Bundes, um die es sich beim Kinderbetreuungsgeld (anders als die Antragstellerin offensichtlich annimmt) handelt und die an keinerlei Gegenleistung geknüpft sind, einem anderen Regime zu unterwerfen als Versicherungsleistungen. Das gilt im Hinblick auf das ASVG ungeachtet des Umstandes, dass die Auszahlung der Leistungen jeweils durch den zuständigen Krankenversicherungsträger erfolgt.

 

Die Bundesregierung kann somit auch die diesbezüglichen Bedenken der Antragstellerin nicht teilen.

 

[…] Inwiefern der Umstand, dass §69 AVG die Wiederaufnahme eines Verfahrens im Falle gleichbleibender tatsächlicher und rechtlicher Verhältnisse nicht zulässt, bei der Antragstellerin Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz hervorruft, ist für die Bundesregierung zudem nicht ersichtlich.

 

[…] Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die Bundesregierung in der angefochtenen Wortfolge keine Verletzung des Gleichheitssatzes erkennen kann.

 

[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums:

 

[…] Die Antragstellerin bringt vor, der angefochtene Rückforderungstatbestand verletze die Eigentumsgarantie, weil er in eine im guten Glauben erworbene und vom Schutzgehalt des Grundrechtes umfasste Rechtsposition eingreife und so ein Vermögensnachteil entstehe.

 

[…] Auch diese Ansicht kann die Bundesregierung nicht teilen, verkennt die Antragstellerin hier doch offensichtlich, dass der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verfassungsrechtlich unbedenklich Eigentumsbeschränkungen verfügen kann, also in das Grundrecht eingreifen darf, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt (VfSlg 9189/1981, 10.981/1986 und 15.577/1999), soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt (VfSlg 9911/1983, 14.535/1996, 15.577/1999 und 17.071/2003) und nicht unverhältnismäßig ist (VfSlg 13.587/1993, 14.500/1996, 14.679/1996, 15.367/1998 und 15.753/2000).

 

Im gegenständlichen Fall kann daher überhaupt dahingestellt bleiben, ob die angefochtene Wortfolge in das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums eingreift. Selbst wenn man nämlich davon ausginge, dass ein Eingriff in dieses Grundrecht vorliegt, wäre dieser jedenfalls gerechtfertigt:

 

Der Gesetzgeber verfolgte mit der Einführung des angefochtenen Rückforderungstatbestandes das Ziel, eine Besserstellung von Eltern, die trotz Nichterfüllung der Anspruchsvoraussetzungen aufgrund eines Behördenfehlers Leistungen nach dem KBGG empfangen, gegenüber solchen Eltern, die in derselben Situation (berechtigterweise) keine Leistungen bekommen, zu verhindern.

 

Diese Zielsetzung ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund zu sehen, dass ohne einen entsprechenden Rückforderungstatbestand der Anreiz bestünde, Leistungen in Kenntnis über die Nichterfüllung der Anspruchsvoraussetzungen, in der Hoffnung zu beantragen, sie zu Unrecht ausgezahlt zu erhalten und sie letztlich behalten zu dürfen. Einen derartigen Anreiz zu gesetzesuntreuem Verhalten hintanzuhalten bzw eine Benachteiligung gesetzestreuer Eltern, die im Wissen darüber, dass sie die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen nach dem KBGG nicht erfüllen, keinen diesbezüglichen Antrag stellen, zu verhindern, stellt ein legitimes, im öffentlichen Interesse liegendes Ziel dar.

 

Die Bestimmung des §31 Abs2 zweiter Fall KBGG liegt ferner auch insofern im öffentlichen Interesse, als sich die Krankenversicherungsträger in Stoßzeiten gezwungen sehen, die Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem KBGG zunächst nur stichprobenartig durchzuführen und die konkreten Anspruchsprüfungen aufzuschieben, um lange Wartezeiten bei der Gewährung der Leistungen und des daran angeknüpften Krankenversicherungsschutzes zu verhindern. Diese den Kinderbetreuungsgeldwerbern entgegenkommende Vorgehensweise muss jedoch auch mit einer Möglichkeit einhergehen, rechtsgrundlos vorgenommene Auszahlungen richtigstellen zu können. Diese Richtigstellung ist mit der angefochtenen Bestimmung möglich.

 

Die Regelung des §31 Abs2 zweiter Fall KBGG stellt nach Ansicht der Bundesregierung jedenfalls auch eine geeignete sowie erforderliche Maßnahme zur Erreichung der eben geschilderten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele dar. Sie ist außerdem auch verhältnismäßig:

 

Härtefälle, in denen Personen gutgläubig einen Antrag stellen, obwohl sie keinen Anspruch haben, werden durch die angefochtene Bestimmung zwar in Kauf genommen, um wesentlich massivere Nachteile für wesentlich mehr Eltern abzuwenden, kommen in der Regel jedoch nicht vor.

 

Im Übrigen kann der Krankenversicherungsträger gemäß §31 Abs4 KBGG unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers im Rahmen eines nachgeschaltenen Verwaltungsverfahrens Zahlungserleichterungen gewähren oder ganz oder teilweise auf die Rückerstattung des irrtümlich ausgezahlten Betrages verzichten. Im Falle der Nichtberücksichtigung der vorgebrachten individuellen Unbilligkeitsgründe kann der darüber ergehende Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht bekämpft werden.

 

Etwaige negative Auswirkungen der angefochtenen Bestimmung federt der Gesetzgeber daher auf geeignete und genügende Weise ab, sodass an der Verhältnismäßigkeit der Regelung keine Zweifel mehr bestehen können.

 

[…] Aus den dargelegten Gründen kann die Bundesregierung in der Bestimmung des §31 Abs2 zweiter Fall KBGG keine Verletzung der Eigentumsgarantie erkennen.

 

[…] Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtene Wortfolge nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

 

3. Zum Antrag des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien (G 232/2022)

3.1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

3.2. Die Klägerin im Anlassfall ist Bedienstete bei einer Internationalen Organisation. Aus Anlass der Geburt ihres Kindes beantragte sie Kinderbetreuungsgeld. Im Zuge dessen übermittelte sie ua Unterlagen zu ihrer Beschäftigung bei der Internationalen Organisation sowie eine Bescheinigung über eine private Pensionsversicherung. Der Klägerin wurde antragsgemäß Kinderbetreuungsgeld zuerkannt und mit einem Tagessatz von € 66,– ausbezahlt. Mit Bescheid vom 22. September 2021 widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung von € 17.358,–. Der Rückforderungsanspruch stützt sich auf die irrtümliche Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes gemäß §31 Abs2 KBGG.

3.3. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage mit dem Feststellungsbegehren, dass der Bezug des Kinderbetreuungsgeldes zu Recht erfolgt und die Klägerin nicht zur Rückzahlung verpflichtet sei. Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren im Wesentlichen damit, dass die Klägerin zwar in Österreich kranken-, nicht aber pensionsversichert gewesen sei. Sie habe daher keine in Österreich pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt. Damit seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld nicht erfüllt.

3.4. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Arbeits- und Sozialgericht Wien den vorliegenden, zu G232/2022 protokollierten Gesetzesprüfungsantrag. Hinsichtlich seiner Bedenken zitiert es aus dem Antrag des Obersten Gerichtshofes (G 181/2022).

3.5. Da der Antrag zu G232/2022 dem Antrag des Obersten Gerichtshofes zu G181/2022 entspricht, hat der Verfassungsgerichtshof auf die Durchführung eines Vorverfahrens verzichtet.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Anträge

1.1. Zu den Anträgen des Obersten Gerichtshofes (G181/2022) und des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien (G232/2022)

1.1.1. Ein Antrag nach Art140 Abs1 B‑VG hat gemäß §62 Abs1 Satz 1 VfGG stets das Begehren zu enthalten, das – nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige – Gesetz seinem "ganzen Inhalte nach" oder in "bestimmte(n) Stellen" aufzuheben. Um die strengen Formerfordernisse des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG zu erfüllen, müssen – wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat – die bekämpften Stellen des Gesetzes genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschriften oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich der Aufhebung verfallen soll (vgl dazu mwN VfSlg 15.775/2000, 16.340/2001, 18.175/2007, 19.960/2015; VfGH 28.9.2021, G108/2021 ua).

1.1.2. Der Oberste Gerichtshof beantragt die Aufhebung der Wortfolge "oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte," in §31 Abs2 KBGG, BGBl I 103/2001, idF BGBl I 53/2016. Das Arbeits- und Sozialgericht Wien beantragt die Aufhebung der Wortfolge "oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte" in §31 Abs2 KBGG, BGBl I 103/2001, idF BGBl I 53/2016.

Dazu ist anzumerken, dass §31 Abs2 KBGG mit der Novelle BGBl I 100/2018 eine – allerdings nicht die angefochtene Wortfolge betreffende – Änderung erfahren hat. Da die antragstellenden Gerichte die angefochtene Wortfolge zitieren, geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, auf welches Gesetz und auf welche bestimmte gesetzliche Stelle Bezug genommen wird, womit dem für Anträge gemäß Art140 B‑VG geltenden strengen Formerfordernis des §62 Abs1 erster Satz VfGG Genüge getan ist (vgl mwN VfSlg 19.616/2012, 20.395/2020).

1.1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge insgesamt als zulässig.

1.2. Zum Parteiantrag (G 203/2021)

1.2.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. April 2021, 36 Cgs 14/21d, gestellt. Mit diesem Urteil wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG).

Als Klägerin ist die Antragstellerin Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit sie zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG berechtigt ist.

Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat die Antragstellerin jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. April 2021, 36 Cgs 14/21d, am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl VfSlg 20.074/2016).

Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.

Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).

Das Erstgericht hat jene Norm, deren Verfassungswidrigkeit die Antragstellerin behauptet, angewendet. Die angefochtene Bestimmung ist somit als präjudiziell anzusehen.

1.2.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich auch dieser Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Bis zur Novelle BGBl I 53/2016 bestand eine Rückersatzpflicht für zu Unrecht bezogenes Kinderbetreuungsgeld gemäß §31 Abs2 KBGG nur dann, wenn rückwirkend eine Tatsache festgestellt wurde, bei deren Vorliegen kein Anspruch bestand oder die zur Ermittlung des Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wurde. Zudem war der Empfänger einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund des von der Abgabenbehörde an den Krankenversicherungsträger übermittelten Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte ergab, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hatte.

Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes hatte diese Rechtslage zur Folge, dass kein Rückforderungsanspruch nach §31 Abs2 KBGG bestand, wenn dem Krankenversicherungsträger bei der Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes bereits alle für die Gewährung maßgebenden Umstände bekannt waren, er – etwa auf Grund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – trotzdem das Kinderbetreuungsgeld auszahlte und erst nachträglich die Unrichtigkeit der Gewährung bemerkte. Der Widerrufsgrund musste sich nach damaliger Rechtslage – so der Oberste Gerichtshof weiter – erst nachträglich herausgestellt haben, um die Grundlage für eine Rückforderung bilden zu können (vgl OGH 27.7.2010, 10 ObS 54/10d; 6.12.2011, 10 ObS 91/11x; 29.1.2013 10 ObS 4/13f; zuletzt OGH 25.11.2016, 10 ObS 151/16b).

Mit der Novelle BGBl I 53/2016 wurde – erkennbar als Reaktion auf diese Rechtsprechung – in §31 Abs2 KBGG ein zusätzlicher Rückforderungstatbestand eingeführt. Seither besteht eine Verpflichtung zum Ersatz von empfangenen Leistungen auch dann, wenn die Auszahlung der Leistung irrtümlich erfolgte. Den Gesetzesmaterialien ist als Begründung für die neue Regelung in §31 Abs2 KBGG idF BGBl I 53/2016 Folgendes zu entnehmen (Erläut RV 1110 BlgNR 25. GP , 12): "Einige Eltern würden […] durch Behördenfehler besser gestellt sein als andere Eltern, dies soll nun dezidiert verhindert werden. Wenn deshalb etwa dem Krankenversicherungsträger bei der Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz alle für die Gewährung maßgebenden Umstände bekannt waren, er aber irrtümlich – etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung etc. – das Kinderbetreuungsgeld auszahlt, sind die zu Unrecht bezogenen Leistungen von den Eltern zurückzufordern und zu zahlen".

2.3. In den zu G181/2022, G203/2021 und G232/2022 protokollierten Gesetzesprüfungsanträgen wird das Bedenken geäußert, der Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 2. Fall KBGG, wonach eine Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung besteht, wenn deren Auszahlung irrtümlich erfolgte, sei sachlich nicht gerechtfertigt. Es sei keine Rechtfertigung dafür ersichtlich, dass das Risiko einer irrtümlich ausbezahlten Leistung zur Gänze auf den Empfänger verlagert werde. Eine derartige Rückersatzpflicht sei bedenklich, weil der Leistungsempfänger auf Grund der ausgestellten Mitteilung davon ausgehen dürfe, dass ihm das Geld zur Kindesbetreuung zur Verfügung stehe. Zudem würden Leistungsempfänger typischerweise im Anspruchszeitraum kein (die Zuverdienstgrenze) übersteigendes Einkommen erwirtschaften und sich stattdessen auf die Kinderbetreuung konzentrieren. Möglichkeiten der Abfederung der Auswirkungen dieser Rückzahlungspflicht, die die angeführten Bedenken ausräumen würden, seien nicht ersichtlich.

2.4. Die Bundesregierung hält dem entgegen, dass §31 Abs2 KBGG mehrere verschuldensunabhängige Rückforderungstatbestände vorsehe. Diese würden oftmals auch gleichzeitig zur Anwendung kommen. Der durch die Novelle BGBl I 53/2016 neu eingefügte Rückforderungstatbestand bilde einen zusätzlichen Auffangtatbestand, der nur dann zur alleinigen Anwendung komme, wenn unrichtige Berechnungen oder Rechtsansichten Grund der Auszahlung gewesen seien.

Ziel der Einführung dieses Tatbestandes sei insbesondere gewesen, eine Besserstellung von Eltern zu verhindern, die trotz Nichterfüllung der Anspruchsvoraussetzungen auf Grund eines Behördenfehlers Leistungen nach dem KBGG empfingen, gegenüber solchen Eltern, die in derselben Situation (berechtigterweise) keine Leistung bekämen. Zudem bestünde ohne den in Frage stehenden Rückforderungstatbestand ein Anreiz, Leistungen in Kenntnis der Nichterfüllung der Anspruchsvoraussetzungen in der Hoffnung zu beantragen, sie zu Unrecht ausbezahlt zu erhalten und letztlich behalten zu dürfen. Die Gesetzesänderung diene zudem der Verfahrensbeschleunigung: Die Krankenversicherungsträger könnten zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht immer jede Anspruchsvoraussetzung im Detail prüfen, weil der damit einhergehende Verwaltungsaufwand in Stoßzeiten zu langen Wartezeiten führen würde.

Der Verfassungsgerichtshof habe wiederholt darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber im Beihilfenrecht ein weiter – durch das Sachlichkeitsgebot begrenzter – rechtspolitischer Gestaltungspielraum zukomme. In VfSlg 18.705/2009 habe er außerdem festgestellt, dass Rückforderungsvorschriften, die lediglich auf den objektiven Umstand des Nichtvorliegens der Anspruchsvoraussetzungen abstellten, in der österreichischen Rechtsordnung nicht ungewöhnlich und verfassungsrechtliche Bedenken im Allgemeinen dagegen nicht entstanden seien und solche auch nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt wären.

Aus der nicht bescheidförmigen Mitteilung über den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld gemäß §27 KBGG könne zudem kein Gutglaubensempfang oder -verbrauch abgeleitet werden. Ein solcher sei bei der Verwirklichung von im Gesetz vorgesehenen Rückforderungstatbeständen nicht möglich. Außerdem bestünden im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren sehr wohl Möglichkeiten, um Zahlungserleichterungen (Ratenzahlung, Stundung) zu begehren oder überhaupt um einen Verzicht auf die Forderungen anzusuchen.

2.5. Die Anträge sind begründet.

2.6. Der Verfassungsgerichtshof legt im Folgenden seiner Beurteilung – in Übereinstimmung mit der Auffassung des Obersten Gerichtshofes – folgendes Verständnis des §31 KBGG zugrunde:

Gemäß §31 Abs1 KBGG ist ein Leistungsbezieher des Kinderbetreuungsgeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigung von Tatsachen herbeigeführt hat (1. Fall) oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (2. Fall). Darüber hinaus sieht §31 Abs2 KBGG eine Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung auch dann vor, wenn hervorkommt, dass eine oder mehrere Anspruchsvoraussetzungen bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen oder nachträglich weggefallen sind (1. Fall), die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte (2. Fall), die Mitwirkung bei der Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte verweigert wird (3. Fall) oder die Zuverdienstgrenze überschritten wurde (4. Fall).

§31 Abs2 2. Fall KBGG ordnet daher eine Rückzahlung nur dann an, wenn der Leistungsempfänger weder den Bezug durch unrichtige Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt hat (§31 Abs1 1. Fall KBGG) noch erkennen konnte, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (§31 Abs1 2. Fall KBGG), noch der Leistungsempfänger eine Mitwirkungspflicht verletzt hat (§31 Abs2 3. Fall KBGG). Eine irrtümliche Auszahlung setzt lediglich einen Irrtum im Zeitpunkt der Leistungsgewährung voraus. Darunter ist jede unrichtige Vorstellung des Krankenversicherungsträgers (dh sowohl ein Tatsachen- als auch ein Rechtsirrtum, vgl Erläut RV 1110 BlgNR 25. GP , 12) zu verstehen. Umgekehrt formuliert umfasst der Rückforderungstatbestand des §31 Abs2 2. Fall KBGG daher jene Fälle, in denen ein Anspruch nicht besteht, dem zuständigen Krankenversicherungsträger bei der Gewährung der Leistung alle dafür maßgebenden tatsächlichen Umstände bereits bekannt gegeben wurden und er – etwa auf Grund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – trotzdem das Kinderbetreuungsgeld auszahlt.

2.7. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber im Beihilfenrecht ein weiter – durch das Sachlichkeitsgebot begrenzter – rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt (vgl VfSlg 17.954/2006, 19.411/2011, 20.096/2016; VfGH 27.11.2018, G75/2018 ua). Dem Gesetzgeber steht es frei, ein Kinderbetreuungsgeld zu gewähren oder nicht (VfSlg 17.954/2006). Es ist ihm gestattet, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen und von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen. Nicht jede Unbilligkeit, die eine einheitliche Regelung mit sich bringt, ist dabei bereits als unsachlich zu werten; auch das Entstehen von Härtefällen macht für sich alleine eine Regelung noch nicht unsachlich (VfSlg 14.694/1996, 18.705/2009, 19.411/2011).

2.8. Im Erkenntnis VfSlg 18.705/2009 hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass Rückforderungsvorschriften, die lediglich auf den objektiven Umstand des Nichtvorliegens der Anspruchsvoraussetzungen abstellen, in der österreichischen Rechtsordnung nicht ungewöhnlich (zB §26 Familienlastenausgleichsgesetz 1967) und verfassungsrechtliche Bedenken im Allgemeinen dagegen nicht entstanden sind und solche auch nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt wären (diese hat der Verfassungsgerichtshof etwa im Erkenntnis VfSlg 14.095/1995 angenommen). Solche besonderen Umstände liegen im vorliegenden Fall vor:

Mit dem Kinderbetreuungsgeld verfolgt der Gesetzgeber unter anderem das Ziel, die Betreuungsleistung der Eltern anzuerkennen und teilweise abzugelten (Erläut RV 620 BlgNR 21. GP , 549). Dies setzt voraus, dass Empfänger von Kinderbetreuungsgeld ihre Berufstätigkeit und damit einhergehend ihr Erwerbseinkommen zugunsten der Kinderbetreuung einschränken (vgl VfSlg 18.705/2009). Dies kommt insbesondere durch die in §2 Abs1 Z3 und §24 Abs1 Z3 iVm §8 KBGG normierte "Zuverdienstgrenze" sowie durch die Konzeption des Kinderbetreuungsgeldes als "Ersatz des Erwerbseinkommens" in §§24 ff leg cit zum Ausdruck.

Hinzu kommt, dass die erwähnten Einschränkungen im Erwerbsleben der Empfänger von Kinderbetreuungsgeld nicht nur kurzfristige Einbußen darstellen. Der Gesetzgeber sieht dafür in der Regel einen Zeitraum von 61 bis 365 Tagen vor (vgl §3 Abs1 und 5 sowie §24b Abs1 und 4 KBGG).

Der Bezug von Kinderbetreuungsgeld gebührt nur auf Antrag. Besteht Anspruch auf eine Leistung nach dem KBGG, ist gemäß §27 Abs1 leg cit eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, voraussichtliches Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehen. In Rückforderungsfällen gemäß §31 Abs2 2. Fall KBGG ist für den Leistungswerber bei Erhalt dieser Mitteilung ein Irrtum der Behörde nicht erkennbar. Er geht daher davon aus und darf davon ausgehen, dass ihm das Geld zur Bestreitung der Kinderbetreuung zur Verfügung steht (VfSlg 14.095/1995). Auf dieser Grundlage trifft der Leistungswerber Dispositionen im Hinblick auf die Einschränkung der Erwerbsarbeit, die bei späterer Rückforderung der Leistung auf Grund eines Behördenfehlers nicht mehr rückgängig gemacht oder nachgeholt werden können.

2.9. Vor diesem Hintergrund ist für den Verfassungsgerichtshof keine sachliche Rechtfertigung erkennbar, weshalb bei Bekanntsein aller für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld maßgebenden Umstände bei Gewährung dieser Leistung das Risiko einer unrichtigen Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen und folglich einer irrtümlich ausbezahlten Leistung vom Leistungsempfänger zu tragen sein soll, auch wenn er deren Unrechtmäßigkeit nicht erkennen musste:

Der Gesetzgeber begründet den einschlägigen Rückforderungstatbestand damit, verhindern zu wollen, dass einige Eltern durch Behördenfehler bessergestellt werden als andere Eltern. Diese Besserstellung tritt jedoch schon deshalb nicht ein, weil Eltern, die keinen Antrag stellen oder denen zu Recht kein Kinderbetreuungsgeld gewährt wird (worüber gemäß §27 Abs3 Z1 KBGG mit Bescheid abzusprechen ist), gerade nicht davon ausgehen durften, dass sie eine Leistung erhalten, und folglich auch keine Dispositionen in Erwartung dieser Leistung treffen.

Die Bundesregierung bringt ergänzend vor, der Rückforderungstatbestand sei aus verwaltungsökonomischen Gründen notwendig, weil der Krankenversicherungsträger zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht jede Anspruchsvoraussetzung im Detail prüfen könne. Dies stellt jedoch keine sachliche Rechtfertigung dafür dar, weshalb das Risiko einer irrtümlich gezahlten Leistung trotz fehlender Erkennbarkeit des Behördenfehlers vom Leistungsempfänger zu tragen sein soll (vgl Sonntag, Unions-, verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme der KBGG-Novelle 2016 und des Familienzeitbonusgesetzes, ASoK 2017, 2 [8]; Burger-Ehrnhofer, Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz, 2017, §31 KBGG Rz 22; Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG3, 2020, §31 KBGG Rz 10d), zumal eine Rückforderungsmöglichkeit nach den übrigen Tatbeständen gemäß §31 Abs1 und 2 KBGG, insbesondere, wenn der Leistungsempfänger den unrechtmäßigen Bezug erkennen musste (§31 Abs1 2. Fall KBGG), weiterhin besteht.

Vor dem Hintergrund des dargelegten Verständnisses von §31 KBGG handelt es sich – entgegen der Ansicht der Bundesregierung – bei der Gruppe von Leistungsempfängern, die von der einschlägigen Rückzahlungspflicht betroffen sind, auch nicht um bloße "Härtefälle". Die unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzunehmenden Härtefälle sind in der Regel Folgen einer (zulässigen) Durchschnittsbetrachtung und haben ihre Ursache darin, dass der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, alle Fallgestaltungen und daher auch nicht jene, die dann als Härtefall empfunden werden, vorherzusehen und bei seinen Regelungen im Voraus zu bedenken, mit anderen Worten, dass es sich um nicht vermeidbare "Systemfehler" handelt (VfSlg 19.763/2013; vgl dazu auch VfSlg 14.694/1996, 18.705/2009, 19.411/2011). Im vorliegenden Fall sind die beschriebenen Auswirkungen jedoch nicht nur zufällige Folge einer an sich sachlichen Regelung im Härtefall, sondern in der Regelung des §31 Abs2 2. Fall KBGG gerade angelegt (VfSlg 14.095/1995). Eine solche Regelung ist daher unter den vorliegenden Verhältnissen unsachlich.

Daran mag auch der Verweis der Bundesregierung auf die Zahlungserleichterungen bzw den teilweisen oder ganzen Verzicht auf die rechtskräftige Rückforderung gemäß §31 Abs4 KBGG nichts zu ändern: Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ist zwingende Voraussetzung jedenfalls die Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers. Sohin wäre selbst bei Berücksichtigung des Ausmaßes des Verschuldens des Leistungsempfängers an der Entstehung der Forderung gemäß §74 Abs1 Z1 BHG nicht in jedem Fall gewährleistet, dass im Falle eines Behördenfehlers von der (rechtskräftigen) Rückforderung Abstand genommen werden kann.

2.10. Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen ist die Wortfolge "oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte," in §31 Abs2 KBGG idF BGBl I 100/2018 als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weiteren im Antrag zu G203/2021 vorgebrachten Bedenken einzugehen.

2.11. Entscheidung über den Antrag zu G232/2022:

Da dieser Antrag des Arbeits- und Sozialgerichtes dem zu G181/2022 protokollierten Antrag gleicht, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG davon abgesehen, ein weiteres Verfahren in dieser Rechtssache zu führen. Dies erfolgt im Hinblick darauf, dass die in dem Verfahren über den Antrag zu G232/2022 aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Entscheidung über die sonstigen Anträge zu G181/2022 und G203/2021 bereits geklärt sind.

V. Ergebnis

1. Die Wortfolge "oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte," in §31 Abs2 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 103/2001, idF BGBl I 100/2018 ist daher wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz gemäß Art7 B‑VG als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Antrag zu G203/2021 dargelegten Bedenken.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte