OGH 10ObS97/88

OGH10ObS97/8828.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux (Arbeitgeber) und Gerald Kopecky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Otto W***, Pensionist, 8020 Graz, Vinzenzgasse 12, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P***

DER A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Erich und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung eines Überbezuges an Kinderzuschuß zur Alterspension von S 1.160,40, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. August 1987, GZ 7 Rs 1091/87-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. März 1987, GZ 36 Cgs 1014/87-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die Rückforderung des dem Kläger für die Monate Juli bis September 1986 zu Unrecht erbrachten Kinderzuschusses zur vorzeitigen Alterspension von netto S 1.160,40 zu unterlassen, wird abgewiesen.

2. Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei den im Punkt 1. genannten Betrag (binnen 14 Tagen) rückzuersetzen."

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 30. Oktober 1985 anerkannte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1. November 1985 samt einem Kinderzuschuß von S 650,-- für die am 14. Februar 1966 geborene Tochter Martina für die Dauer ihrer die Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Ausbildung bis längstens Juli 1986.

Martina war im Schuljahr 1985/86 ordentliche Schülerin des 5. Jahrganges der Bundeshandelsakademie in Voitsberg. Im Gewährungsbescheid wurde der Kläger unter anderem darauf hingewiesen, daß der Studien- bzw. Ausbildungsnachweis unaufgefordert halbjährlich zu erbringen sei und daß die beklagte Partei von der Unterbrechung des Studiums bzw. der Ausbildung sowie von der Erlangung bzw. Erhöhung eines eigenen Einkommens des Kindes innerhalb von zwei Wochen in Kenntnis zu setzen sei. Am 27. Mai 1986 teilte der Kläger der beklagten Partei unter anderem mit, daß seine Tochter die Reifeprüfung ablege. Mit Schreiben vom 6. Juni 1986 ersuchte die beklagte Partei den Kläger um Übermittlung einer Schulbesuchsbestätigung für das Sommerhalbjahr. Falls seine Tochter nach der Reifeprüfung ein Studium absolvieren sollte, sollte er zwei beigelegte Formblätter ausfüllen.

Mit Schreiben vom 23. Juni 1986 teilte die beklagte Partei dem Kläger mit, daß die Zahlung des Kinderzuschusses für Martina wegen Nichtvorlage des Ausbildungsnachweises ab Juli 1986 vorläufig eingestellt werde und ersuchte den Kläger, diesen Nachweis vorzulegen, falls die Ausbildung aber bereits beendet sei, eine entsprechende Bestätigung einzusenden.

Am 23. Juni 1986 erklärte der Kläger der beklagten Partei, daß seine Tochter (die am 13. Juni 1986 die Reifeprüfung bestanden hatte) nach Ablauf der Sommerferien das Studium als ordentliche Hörerin an der Universität Graz (Philosophische Fakultät) aufnehmen werde. Den Nachweis hierüber werde er sobald wie möglich erbringen. Für den Fall, daß das Studium bis zu diesem Termin nicht ordnungsgemäß nachgewiesen werde, werde er die zu Unrecht empfangene Leistung zurückerstatten.

Der Kläger wurde darauf hingewiesen, daß die Zahlungsempfänger bzw. deren gesetzliche Vertreter verpflichtet seien, unter anderem jede Änderung in der Anspruchsberechtigung zu melden. Insbesondere seien unter anderem der Zeitpunkt, zu dem der Beschluß gefaßt wurde, das beabsichtigte Studium nicht zu beginnen, und die Aufnahme einer über das Ausmaß einer Ferialpraxis hinausgehenden Beschäftigung binnen zwei Wochen der beklagten Partei bekanntzugeben. Mit Schreiben vom 1. Juli 1986 teilte die beklagte Partei dem Kläger mit, daß die vorsorglich herabgesetzte bzw. eingestellte Leistung (nämlich der Kinderzuschuß für Martina) für Juli 1986 wieder angewiesen werde. Über den Antrag auf Wiedergewährung des Kinderzuschusses für diese Tochter (ab August 1986) werde gesondert entschieden.

Mit Bescheid vom 4. Juli 1986 gewährte die beklagte Partei den Kinderzuschuß für Martina ab 1. August 1986 für die Dauer ihrer die Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Ausbildung bis längstens Februar 1992 weiter. Auch dieser Bescheid enthält dem Pensionsgewährungsbescheid entsprechende Hinweise über zu erbringende Studien- bzw. Ausbildungsnachweise und über die Meldepflicht bezüglich einer Studienunterbrechung und eigenen Einkommens des Kindes.

In einem mit 12. September 1986 datierten, bei der beklagten Partei am 15. September 1986 eingelangten Schreiben teilte der Kläger mit, daß seine Tochter zur Finanzierung ihres Studiums voraussichtlich am 25. September 1986 ein vorläufig mit drei Monaten befristetes Dienstverhältnis antreten werde und ersuchte, den Kinderzuschuß und die (ab 1. Juli 1986 ausgezahlte) Familienbeihilfe einzustellen und die Familienbeihilfenkarte zu retournieren. Mit Schreiben vom 23. September 1986 stellte die beklagte Partei die Zahlung unter anderem des Kinderzuschusses ab 1. Oktober 1986 vorläufig ein und ersuchte um eine Dienstgeberbestätigung über die Höhe des Entgeltes sowie die Wochenstundenanzahl der Tochter. Dieses Ersuchen wurde mit Schreiben vom 31. Oktober 1986 betrieben. Am 7. November 1986 langte bei der beklagten Partei ein von der Bundespolizeidirektion Graz namens des Bundes mit Martina W*** (der Tochter des Klägers) aufgrund des VBG 1948 abgeschlossener Dienstvertrag über ein Dienstverhältnis des mittleren Dienstes in Vollbeschäftigung nach Entlohnungsschema I, Entlohnungsgruppe d, Vorrückungsstichtag 4. Juni 1985, für die Zeit vom 25. September 1986 bis 30. September 1987 ein.

Mit Bescheid vom 11. Dezember 1986 setzte die beklagte Partei die vorzeitige Alterspension des Klägers ab 1. Juli 1986 um den auf den Kinderzuschuß entfallenden Betrag herab, weil seither die Voraussetzungen des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG nicht mehr gegeben seien, stellte einen diesbezüglichen Nettoüberbezug von S 1.160,40 fest und schrieb diesen nach § 1007 Abs 1 ASVG zum Rückersatz vor, wobei sie aussprach, diesen Überbezug in monatlichen Raten von S 600,-- von der laufenden Leistung in Abzug zu bringen.

In der gegen diesen Bescheid rechtzeitig erhobenen Klage bestritt der Kläger nur die Voraussetzungen des § 107 Abs 1 ASVG. Martina habe die Absicht gehabt, zu Beginn des auf die im Juni 1986 bestandene Reifeprüfung folgenden Wintersemesters ein Architekturstudium aufzunehmen. Im September 1986 sei ihr durch Zufall ein vorerst auf drei Monate befristetes Dienstverhältnis bei der Bundespolizeidirektion Graz angeboten worden. Sie habe trotzdem inskribieren wollen, doch sei ihr bei Dienstantritt am 25. September 1986 ein auf 12 Monate befristeter Dienstvertrag übergeben worden. Der Kläger habe bereits am 12. September 1986, also schon bei der Zusage des befristeten Dienstverhältnisses, diesen Umstand der beklagten Partei gemeldet. Bis dahin sei von einer Arbeitsaufnahme keine Rede, sondern das Architekturstudium vorgesehen gewesen. Der Kläger begehrte daher die Verurteilung der beklagten Partei zur Unterlassung dieser Rückforderung und zur Auszahlung der bisher einbehaltenen Beträge (Rückforderungsraten). Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, der Kläger habe sie nicht davon in Kenntnis gesetzt, daß seine Tochter ein Studium nur für den Fall aufnehmen werde, daß sie keine Anstellung erhalte. Darin liege eine bewußte Verschweigung maßgebender Tatsachen.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, den vorgeschriebenen Rückersatz zu unterlassen und die bisher einbehaltenen Beträge wieder an den Kläger anzuweisen. Neben dem eingangs wiedergegebenen Inhalt des Pensionaktes stellte es im wesentlichen fest, daß die Tochter des Klägers im Wintersemester 1986 ein Studium beginnen wollte. Am 12. September 1986 wurde ihr von der Polizeidirektion Graz ein auf drei Monate befristetes Dienstverhältnis ab 25. September 1986 angeboten, was der Kläger der beklagten Partei mit dem vom 12. September 1986 datierten, am 15. September 1986 eingelangten Schreiben mitteilte. Am 25. September 1986 wurde der Tochter des Klägers völlig unverhofft ein auf 12 Monate befristeter Dienstvertrag übergeben und von ihr unterschrieben. Auch dies wurde der beklagten Partei vom Kläger mitgeteilt. Daß der Kläger bewußt eine maßgebliche Tatsache verschwiegen hätte, indem er die beklagte Partei nicht davon in Kenntnis gesetzt habe, daß seine Tochter nur für den Fall, daß sie keine Anstellung erhalten werde, studieren würde, konnte nicht erwiesen werden.

Daraus zog das Erstgericht den rechtlichen Schluß, daß der Kläger keinen Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 ASVG gesetzt habe.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge und ergänzte sein Urteil nachträglich, veranlaßt durch den hg. Beschluß vom 26. Jänner 1988, 10 Ob S 1/88 durch den Ausspruch, daß die Revision nach § 46 Abs 2 Z 1 ASGG zulässig sei. Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, aus der Feststellung, daß die Tochter des Klägers ursprünglich tatsächlich studieren wollte und ihr erst im September 1986 eine Tätigkeit angeboten wurde, gehe hervor, daß von einer bewußten Verschweigung maßgebender Umstände keine Rede sein könne. Auch die beiden anderen Rückforderungstatbestände des § 107 Abs 1 ASVG lägen nicht vor. Für die Annahme einer vorschußweisen Gewährung des Kinderzuschusses gegen spätere Verrechnung fehle eine gesetzliche Grundlage. § 103 Abs 1 Z 3 ASVG sehe diese Möglichkeit für laufende Geldzahlungen aus der Krankenversicherung nach § 104 Abs 1 letzter Satz ASVG und für den Fall des § 368 Abs 2 leg cit vor, doch könne die Gewährung des Kinderzuschusses keiner dieser Bestimmungen zugeordnet werden, weil es sich dabei um keine Geldleistung aus der Krankenversicherung handle und darüber bereits am 4. Juli 1986 bescheidmäßig abgesprochen worden sei.

Dagegen richtet sich die nach § 46 Abs 2 Z 1 ASGG zulässige Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, dem Kläger in Abänderung des Berufungsurteils den Rückersatz des Überbezuges an Kinderzuschuß von S 1.160,40 aufzuerlegen.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach § 107 Abs 1 ASVG hat der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen ... zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger (§ 106) bzw. der Leistungsempfänger den Bezug durch bewußt unwahre Angaben, bewußte Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften (§ 40) herbeigeführt hat oder wenn der Zahlungsempfänger (§ 106) bzw. der Leistungsempfänger erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Geldleistungen sind ferner zurückzufordern, wenn und soweit sich wegen eines nachträglich festgestellten Anspruches auf Weiterleistung der Geld- und Sachbezüge herausstellt, daß sie zu Unrecht erbracht wurden.

Die in MGA ASVG 46. ErgLfg 620 f zitierten Materialien zur

23. ASVGNov führten zu dem unterstrichenen Rückforderungstatbestand aus: "Wesentliche Interessen des Versicherten werden durch die Änderung nicht berührt, weil die Rückforderung nach der neuen Fassung ohnedies nur möglich sein wird, wenn der Empfänger erkennen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der angewiesenen Höhe gebührt. Aus der Verwendung des Wortes 'mußte' im Gegensatz zu dem Wörtchen 'konnte' geht schon hervor, daß die Rückforderung aus dem Titel des § 107 nur möglich sein soll, wenn die Anweisung so überhöht war, daß dies auch dem einfachen, mit den einschlägigen Vorschriften nicht vertrauten oder schon alten und gebrechlichen Pensionisten auffallen mußte."

Die Rechtsprechung hat diesen Rückforderungstatbestand mit Recht erst dann als erfüllt angesehen, wenn dem Zahlungs- bzw. Leistungsempfänger - unter Voraussetzung gewöhnlicher (durchschnittlicher) geistiger Fähigkeiten - bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (zB Oberlandesgericht Wien 11. Jänner 1977 SSV 17/5; Verwaltungsgerichtshof 3. Februar 1983 SVSlg 28.870). Diese Voraussetzungen treffen nach den Feststellungen im vorliegenden Fall zu.

Der Kläger mußte nicht nur erkennen, sondern wußte sogar, daß ihm zu seiner vorzeitigen Alterspension für seine Tochter Martina, die bereits mit 14. Februar 1984 das 18. Lebensjahr vollendet hatte, ein Kinderzuschuß nur unter der Voraussetzung gebührte, daß sich dieses Kind in einer seine Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung befindet (§ 252 Abs 2 Z 1 ASVG). Er wußte, daß diese Voraussetzung zunächst nur bis Ende Juni 1986 gegeben war, in welchem Monat seine Tochter die Reifeprüfung bestand, darüber hinaus jedoch nur unter der erwähnten Voraussetzung. Hätte Martina im Wintersemester 1986/87 ein ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchendes Hochschulstudium begonnen, dann wären die zwischen dem Monat der Reifeprüfung und dem Semesterbeginn gelegenen Monaten Juli bis September 1986 als Ferienmonate zu beurteilen gewesen, während deren die Kindeseigenschaft weiterbestanden hätte (vgl. die in MGA ASVG

44. ErgLfg 1272 erwähnte Praxis der P*** DER

A*** und Oberlandesgericht Wien 3. März 1982

SVSlg. 27.403 = JBl 1982, 609).

Der Kläger wußte daher schon zur Zeit der Auszahlung des Kinderzuschusses für die Monate Juli bis September 1986, daß ihm dieser Leistungsbestandteil nur unter der Bedingung gebührte, daß seine Tochter - wie ursprünglich vorgesehen - im Wintersemester 1986/87 ein ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchendes Studium beginnen werde. Diese Bedingung konnte frühestens mit Beginn dieses Wintersemesters, also im Oktober 1986 eintreten. Ebenso wußte der Kläger, daß ihm der für die genannten Monate ausgezahlte Kinderzuschuß bei Nichteintritt dieser Bedingung nicht gebührte. (Dies ergibt sich besonders deutlich aus seiner Erklärung vom 23. Juni 1986, in der er sich für den Fall, daß der Studienbeginn im Wintersemester 1986/87 nicht ordnungsgemäß nachgewiesen werde verpflichtete, die zu Unrecht empfangene Leistung zurückzuerstatten.)

Daraus folgt nicht nur, daß der beklagte Versicherungsträger dem Kläger für die Monate Juli bis September 1986 wegen Nichteintrittes der erwähnten Bedingung den Kinderzuschuß für Martina zu Unrecht erbracht hat, was in diesem Verfahren nicht strittig war, sondern auch, daß der Kläger zum Rückersatz dieser zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung verpflichtet ist, weil er als Zahlungsempfänger erkennen mußte, daß diese Leistung nicht gebühren würde, wenn seine Tochter im Wintersemester 1986/87 kein Hochschulstudium beginnen würde.

Der Revision war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil unter Bedachtnahme auf § 89 Abs 4 ASGG wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

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