VfGH G108/2021 ua

VfGHG108/2021 ua28.9.2021

Abweisung von Anträgen auf Aufhebung einer Bestimmung des KinderbetreuungsgeldG mangels Möglichkeit des Arbeits- und Sozialgerichts, die Höhe der Rückersatzpflicht von empfangenen Versicherungsleistungen zu mindern; kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip; die Ratenzahlungen von Rückzahlungen zu Unrecht bezogener Leistungen setzen rechtskräftige Entscheidung über das Bestehen des Rückforderungsanspruchs voraus

Normen

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
KinderbetreuungsgeldG §3, §7, §25a, §27, §31 Abs4
ASVG §352, §353, §354, §355, §414
ASGG §65, §69, §71, §89
BundeshaushaltsG §72, §73, §74
Statusrichtlinie 2011/95/EU Art29
VfGG §7 Abs1, §62 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:G108.2021

 

Spruch:

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

Mit den zu G108/2021, G109/2021, G110/2021, G111/2021, G112/2021, G113/2021, G114/2021, G115/2021, G116/2021, G117/2021, G124/2021, G125/2021, G126/2021, G127/2021, G128/2021, G129/2021, G131/2021, G132/2021, G133/2021, G134/2021, G135/2021, G136/2021 und G137/2021 protokollierten, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Anträgen begehrt das Arbeits- und Sozialgericht Wien "den letzten Satz im Absatz 4 des §31 Kinderbetreuungsgeld idF BGBl I 2016/53 als verfassungswidrig aufzuheben."

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §§3, 7, 25a, 27 und 31 des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG), BGBl I 103/2001, idF BGBl I 100/2018 lauten auszugsweise wie folgt (die angefochtene Wortfolge, die in der Fassung BGBl I 53/2016 in Geltung steht, ist hervorgehoben):

"Höhe und Anspruchsdauer

§3. […]

(4) Werden die im §7 Abs2 vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht bis zu den vorgesehenen Zeitpunkten nachgewiesen, so reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil um 1 300 Euro.

[…]

Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen

§7.

(1) Im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes sowie der Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes hat die Bundesministerin für Gesundheit im Einvernehmen mit der Bundesministerin für Familien und Jugend ein Mutter-Kind-Pass-Untersuchungsprogramm für die Schwangere und das Kind mittels Verordnung festzulegen und einen Mutter-Kind-Pass aufzulegen. Die Verordnung hat den Umfang, die Art und den Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchungen sowie der Hebammenberatung zu bestimmen, wobei auf den jeweiligen Stand der medizinischen Erkenntnisse zur Sicherung der Gesundheit der Schwangeren und des Kindes Bedacht zu nehmen ist. In der Verordnung sind die Untersuchungen der Schwangeren und weitere Untersuchungen des Kindes bis zur Vollendung des 62. Lebensmonats sowie eine einstündige Beratung durch eine Hebamme innerhalb der 18. bis 22. Schwangerschaftswoche vorzusehen. Für den Nachweis der ärztlichen Untersuchungen sowie der Hebammenberatung hat der Mutter-Kind-Pass einen entsprechenden Vordruck zu enthalten.

(2) Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe besteht nur, sofern

1. die fünf Untersuchungen während der Schwangerschaft sowie die erste Untersuchung des Kindes nach der in Abs1 genannten Verordnung vorgenommen und bei der Beantragung des Kinderbetreuungsgeldes durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigungen nachgewiesen werden und

2. die zweite bis fünfte Untersuchung des Kindes bis zur Vollendung des 14. Lebensmonates nach der in Abs1 genannten Verordnung vorgenommen und spätestens bis zur Vollendung des 15. Lebensmonates des Kindes durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigungen nachgewiesen werden.

(3) Ungeachtet des Abs2 besteht Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn

1. die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt oder

2. die jeweiligen Nachweise bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonates des Kindes nachgebracht werden.

Verfahren

§25a. Soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, sind die für Leistungssachen in der Krankenversicherung geltenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen des ASVG, GSVG, BSVG und Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (B-KUVG), BGBl Nr 200/1967, anzuwenden.

Entscheidung

§27. (1) Besteht Anspruch auf eine Leistung nach diesem Bundesgesetz, so ist dem Antragsteller eine Mitteilung auszustellen, aus der insbesondere Beginn, voraussichtliches Ende und Höhe des Leistungsanspruches hervorgehen. Die Mitteilung hat eine Aufschlüsselung der Leistungen zu enthalten.

(2) Der Mitteilung über den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld ist eine von der Bundesministerin für Familien und Jugend zu erstellende Information, aus der insbesondere Rechte und Pflichten der Bezugsberechtigten hervorgehen, anzuschließen.

(3) Ein Bescheid ist auszustellen,

1. wenn ein Anspruch auf eine Leistung gar nicht oder nur teilweise anerkannt wird oder

2. bei Rückforderung einer Leistung gemäß §31 oder

3. bei Widerruf oder rückwirkender Berichtigung einer Leistung gemäß §30 Abs2, wenn die Bescheiderstellung ausdrücklich verlangt wird.

(4) Abweichend von §67 Abs1 Z2 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG), BGBl Nr 104/1985, liegt eine Säumnis des Krankenversicherungsträgers nur dann vor, wenn die Sache entscheidungsreif ist, also insbesondere wesentliche Vorfragen rechtskräftig geklärt sind und Mitwirkungspflichten erfüllt wurden.

Rückforderung

§31. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Leistungsbezieher zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigung von Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

(2) Die Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung besteht auch dann, wenn hervorkommt, dass eine oder mehrere Anspruchsvoraussetzungen bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen oder nachträglich weggefallen sind, oder die Auszahlung von Leistungen irrtümlich erfolgte, oder die zur Ermittlung des Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte (§§8, 8b) erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wird. Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund des von der Abgabenbehörde an die Österreichische Gesundheitskasse übermittelten Gesamtbetrages der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat. […]

(4) Rückforderungen, die gemäß den Abs1 bis 3 vorgeschrieben wurden, können auf die zu erbringenden Leistungen bis zur Hälfte derselben aufgerechnet werden; sie vermindern den Leistungsanspruch entsprechend. Zum Zwecke der Forderungssicherung kann eine vorläufige Aufrechnung bis zur Hälfte der zu erbringenden Leistungen erfolgen. Der Krankenversicherungsträger kann unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers

1. die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen,

2. die rechtskräftige Rückforderung stunden,

3. auf die rechtskräftige Rückforderung ganz oder teilweise verzichten.

Dabei sind die §§72 bis 74 des Bundeshaushaltsgesetzes 2013 (BHG 2013), BGBl I Nr 139/2009, anzuwenden, sofern in diesem Bundesgesetz keine abweichenden Regelungen vorgesehen sind. Abweichend von §89 Abs4 letzter Satz ASGG obliegt den Gerichten in Angelegenheiten der Leistungen nach diesem Bundesgesetz nicht das Recht, Ratenzahlungen anzuordnen, sondern ist dies ausschließlich dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten.

(5) Ratenzahlungen sind zu gewähren, wenn auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners die Hereinbringung der rechtskräftigen Forderung in einem Betrag nicht möglich ist. Die Höhe der Raten ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners festzusetzen.

(6) Werden Ratenzahlungen bewilligt oder Rückforderungen gestundet, so dürfen keine Zinsen ausbedungen werden.

(7) Die Ausstellung von Bescheiden über Rückforderungen von Leistungen nach diesem Bundesgesetz ist nur binnen 7 Jahren, gerechnet ab Ablauf des Kalenderjahres, in welchem diese Leistungen zu Unrecht bezogen wurden, zulässig. Ein Bescheid über eine Rückforderung tritt nach Ablauf von 3 Jahren ab dem Eintritt der Rechtskraft außer Kraft, wenn er bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollzogen wurde; §68 Abs2 ASVG zweiter und dritter Satz gelten sinngemäß. Das Recht auf Berichtigung (§30) der vorläufigen Auszahlung gemäß §33 Abs5 mangels Vorliegen eines erlassenen Einkommensteuerbescheides für das betreffende Kalenderjahr sowie das Recht auf Berichtigung aufgrund Abänderungen und Aufhebungen des Einkommensteuerbescheides nach §24a Abs2 verjähren nach Ablauf von 3 Jahren ab Bezugsbeginn."

2. §§352, 353, 354, 355 und 414 des Bundesgesetzes vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG.), BGBl 189, idF BGBl I 100/2018 lauten wie folgt:

"SIEBENTER TEIL

Verfahren

ABSCHNITT I

Allgemeine Bestimmungen

1. UNTERABSCHNITT

Arten des Verfahrens

 

Geltungsbereich der Regelung

§352. Die Bestimmungen dieses Teiles gelten für das Verfahren zur Durchführung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sowie der Bestimmungen über die zusätzliche Pensionsversicherung (§479), soweit nicht

1. die Durchführung durch privatrechtliche Verträge zu erfolgen hat oder die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben ist oder

2. für die Durchführung in anderen Teilen dieses Bundesgesetzes besondere verfahrensrechtliche Bestimmungen getroffen sind oder

3. Angelegenheiten der Beiträge des Bundes zu den in diesem Bundesgesetze geregelten Versicherungen oder Kostenersätze des Bundes für erbrachte Versicherungsleistungen zu behandeln sind oder

4. in anderen Teilen dieses Bundesgesetzes vorgesehene Straf-, Aufsichts-, Entscheidungs- oder Genehmigungs(Zustimmungs)befugnisse von den hiezu berufenen Behörden ausgeübt werden.

Verfahrensarten

§353. Das in diesem Teil geregelte Verfahren gliedert sich in das Verfahren in Leistungssachen (§354) und das Verfahren in Verwaltungssachen (§355).

Leistungssachen

§354. Leistungssachen sind die Angelegenheiten, in denen es sich handelt um

1. die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach §367 Abs1, soweit nicht hiebei die Versicherungszugehörigkeit (§§13 bis 15), die Versicherungszuständigkeit (§§26 bis 29a), die Leistungszugehörigkeit (§245) oder die Leistungszuständigkeit (§246) in Frage steht;

2. Feststellung der Verpflichtung zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung,

3. Streitigkeiten über Ersatzansprüche der Träger der Sozialhilfe gemäß Abschnitt II des Fünften Teiles;

4. Feststellung von Versicherungs- und Schwerarbeitszeiten außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens auf Antrag des Versicherten (§247),

4a. die Feststellung der Invalidität (§§255a, 280a) oder der Berufsunfähigkeit (§273a),

5. die Feststellung der Kontoerstgutschrift sowie einer Ergänzungsgutschrift oder eines Nachtragsabzuges (§15 APG),

6. die Feststellung des Rechtsanspruches auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nach §253e (§270a, §276e).

Verwaltungssachen

§355. Alle nicht gemäß §354 als Leistungssachen geltenden Angelegenheiten, für die nach §352 die Bestimmungen dieses Teiles gelten, sind Verwaltungssachen. Insbesondere gehören zu den Verwaltungssachen die

1. Feststellung der Versicherungspflicht, der Versicherungsberechtigung sowie des Beginnes und Endes der Versicherung,

2. Feststellung der Versicherungszugehörigkeit und -zuständigkeit, in der Pensionsversicherung auch der Leistungszugehörigkeit und -zuständigkeit,

3. Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber, einschließlich der Beitragszuschläge nach §113,

4. Angelegenheiten der Überweisungen in der Pensionsversicherung bei der Aufnahme in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis oder beim Ausscheiden aus einem solchen,

5. Streitigkeiten zwischen den Versicherungsträgern bzw den Versicherungsträgern und dem Dachverband aus der Durchführung dieses Bundesgesetzes, insbesondere solche gemäß Abschnitt I des Fünften Teiles.

Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht

§414. (1) Gegen Bescheide der Versicherungsträger oder des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz oder des Bundesministers für Gesundheit in Verwaltungssachen und wegen Verletzung ihrer (seiner) Entscheidungspflicht in Verwaltungssachen kann Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.

[…]"

3. §§65, 69, 71 und 89 des Bundesgesetzes vom 7. März 1985 über die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit (Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz – ASGG), BGBl 104, idF BGBl I 35/2012 lauten wie folgt:

"Gegenstand der Sozialrechtssachen

§65. (1) Sozialrechtssachen sind Rechtsstreitigkeiten über

1. den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit hiebei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen (§354 Z1 ASVG, §194 GSVG, §182 BSVG, §65 NVG 1972, §129 B-KUVG, §84 StVG beziehungsweise §§4 Abs2, 43 und 44 BPGG);

2. die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung oder eines zu Unrecht empfangenen Pflegegeldes (§354 Z2 ASVG, §194 GSVG, §182 BSVG, §65 NVG 1972, §129 B-KUVG, §84 StVG beziehungsweise §11 Abs3 zweiter Halbsatz und Abs4 BPGG sowie Z6 bis 8 und §§89 und 91);

3. Ersatzansprüche der Träger der Sozialhilfe (§354 Z3 ASVG, §194 GSVG, §182 BSVG, §65 NVG 1972, §129 B-KUVG, §§13 und 14 BPGG);

4. den Bestand von Versicherungszeiten der Pensionsversicherung (§§247, 247a ASVG, §§117a, 117b GSVG, §§108a, 108b BSVG, §§46a, 46b NVG 1972), soweit diese Rechtsstreitigkeiten nicht Teil einer Rechtsstreitigkeit nach Z1 sind (§354 Z4 ASVG, §194 GSVG, §182 BSVG, §65 NVG 1972, §129 B-KUVG), sowie über Bestand und Umfang einer Kontoerstgutschrift sowie einer Ergänzungsgutschrift (§15 APG);

5. die Kostenersatzpflicht eines Versicherungsträgers beziehungsweise eines Versicherten in einem Verfahren in Leistungssachen (§359 Abs2, 4 und 5 ASVG, §194 GSVG, §182 BSVG, §65 NVG 1972, §129 B-KUVG, §84 StVG, §30 BPGG, Z6 bis 8);

6. Ansprüche auf Sonderunterstützung nach dem Sonderunterstützungsgesetz, BGBl Nr 642/1973;

7. Ansprüche auf Insolvenz-Entgelt oder einen Vorschuß auf dieses nach dem Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, BGBl Nr 324/1977;

8. Ansprüche auf Sonderruhegeld nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG), BGBl Nr 473/1992, auf Kinderbetreuungsgeld und auf Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl I Nr 103/2001.

(2) Unter den Abs1 fallen auch Klagen auf Feststellung. Als Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechts gilt auch diejenige, daß eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits(Dienst)unfalls oder einer Berufskrankheit ist (§367 Abs1 ASVG).

§69. In einer Leistungssache nach §65 Abs1 Z2 und über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach §65 Abs1 Z5 darf vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger hierüber bereits mit Bescheid entschieden hat. Der §67 Abs2 ist sinngemäß anzuwenden.

Wirkungen der Klage

§71. (1) Wird in einer Leistungssache nach §65 Abs1 Z1, 2 oder 4 bis 8 die Klage rechtzeitig erhoben, so tritt der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft; Bescheide, die durch den außer Kraft getretenen Bescheid abgeändert worden sind, werden insoweit aber nicht wieder wirksam.

(2) Nach der Einbringung der Klage in einer Sozialrechtssache nach §65 Abs1 Z1, 6 oder 8 ist die Leistungsverpflichtung, die dem außer Kraft getretenen Bescheid entspricht, als vom Versicherungsträger unwiderruflich anerkannt anzusehen; der Versicherungsträger hat gegenüber dem Kläger – trotz des Außerkrafttretens des Bescheides – seine als unwiderruflich anerkannt anzusehende Leistungsverpflichtung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens vorläufig weiter zu erfüllen. Als unwiderruflich anerkannt sind auch das Vorliegen eines Arbeits(Dienst)unfalls oder einer Berufskrankheit anzusehen, soweit dies dem durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheid entspricht.

(3) Erläßt der Versicherungsträger wegen einer Änderung der Verhältnisse während des Verfahrens einen neuen Bescheid, so gilt insoweit der Abs2 erster Satz nicht.

(4) In Rechtsstreitigkeiten über die Wiederaufnahme der Heilbehandlung Unfallverletzter hat der Versicherungsträger die dem außer Kraft getretenen Bescheid entsprechende Heilbehandlung vorläufig nicht zu erbringen.

(5) Tritt durch die Klage ein Bescheid, mit dem der Versicherungsträger wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Leistung neu festgestellt hat, außer Kraft, so ist in dem über die Klage eingeleiteten Verfahren die Rechtskraft einer den selben Anspruch betreffenden früher gefällten gerichtlichen Entscheidung nicht zu berücksichtigen.

Urteile

§89. (1) Urteile in Rechtsstreitigkeiten nach §65 Abs1 Z1 und 6 bis 8 können auch Leistungen auferlegen, die erst nach Erlassung des Urteils fällig werden.

(2) Ergibt sich in einer Rechtsstreitigkeit nach §65 Abs1 Z1, 6 oder 8, in der das Klagebegehren auf eine Geldleistung gerichtet und dem Grunde und der Höhe nach bestritten ist, daß das Klagebegehren in einer zahlenmäßig noch nicht bestimmten Höhe gerechtfertigt ist, so kann das Gericht die Rechtsstreitigkeit dadurch erledigen, daß es das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkennt und dem Versicherungsträger aufträgt, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung zu erbringen; deren Ausmaß hat das Gericht unter sinngemäßer Anwendung des §273 Abs1 ZPO festzusetzen; bei Fehlen eines solchen Auftrags ist insoweit das Urteil jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen zu ergänzen. Wird danach die dem Kläger zustehende Leistung rechtskräftig in einer geringeren Höhe festgesetzt, als die vorläufig festgesetzte, so gilt für seine Pflicht zur Rückzahlung des Mehrbetrages der §91 Abs2 bis 5 sinngemäß.

(3) Wird in einer Rechtsstreitigkeit nach §65 Abs1 Z1 der Klage stattgegeben, so hat das Gericht für die vom Beklagten zu erbringenden Leistungen aus der Krankenversicherung eine kürzere als die im §409 ZPO angeordnete Leistungsfrist nach Billigkeit zu bestimmen.

(4) Wird in einer Rechtsstreitigkeit nach §65 Abs1 Z2 oder über die Kostenersatzpflicht des Versicherten nach §65 Abs1 Z5 die Klage abgewiesen, weil eine Rückersatz- oder Kostenersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm unter einem der Rück(Kosten)ersatz an den Beklagten aufzuerlegen. Hiebei ist die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen."

4. §§72, 73 und 74 des Bundesgesetzes über die Führung des Bundeshaushaltes (Bundeshaushaltsgesetz 2013 – BHG 2013), BGBl I 139/2009, lauten auszugsweise:

"Rückforderung nicht geschuldeter Leistungen des Bundes

§72. Eine Leistung des Bundes, die irrtümlich erbracht worden ist (§1431 ABGB), hat das zuständige Organ, sobald es davon Kenntnis erlangt, zurückzufordern oder dafür, sofern eine Rückerstattung nicht mehr möglich ist, eine dem gemeinen Wert (§305 ABGB) entsprechende Ersatzleistung von der Empfängerin oder von dem Empfänger zu verlangen. Von der Geltendmachung solcher Ansprüche, soweit sie sich nicht auf Dauerschuldverhältnisse beziehen, kann Abstand genommen werden, wenn der Wert der nicht geschuldeten Leistung unter 100 Euro liegt.

Stundung, Ratenbewilligung, Aussetzung und Einstellung der Einziehung bei Forderungen des Bundes

§73. (1) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf die Erfüllung einer Forderung des Bundes auf Grund eines im Wege des haushaltsleitenden Organs gestellten Ansuchens der Schuldnerin oder des Schuldners stunden oder deren oder dessen Zahlung in Raten bewilligen, wenn

1. die sofortige oder die sofortige vollständige Entrichtung des fälligen Forderungsbetrages für die Schuldnerin oder den Schuldner mit erheblichen Härten verbunden wäre und

2. die Einbringlichkeit der Forderung durch eine solche Zahlungserleichterung nicht gefährdet wird; andernfalls ist die Beibringung einer angemessenen Sicherstellung zu verlangen.

Außerdem hat sich die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen für den Fall des Ausbleibens einer Teilzahlung vorzubehalten, die bewilligte Ratenzahlung zu widerrufen und die sofortige Entrichtung aller aushaftenden Teilzahlungen zu verlangen.

(2) Wird die Erfüllung einer Forderung des Bundes gestundet oder deren Zahlung in Raten bewilligt, sind Stundungszinsen in der Höhe von 3 vH über dem jeweils geltenden und von der Oesterreichischen Nationalbank verlautbarten Basiszinssatz pro Jahr auszubedingen. Von der Ausbedingung von Stundungszinsen kann ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn deren Entrichtung

1. nach der Lage des Falles, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin oder des Schuldners, unbillig wäre oder

2. einen Verwaltungsaufwand verursachen würde, der in keinem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Stundungszinsen steht. […]

Verzicht auf Forderungen des Bundes

§74. (1) Die Bundesministerin für Finanzen oder der Bundesminister für Finanzen darf auf eine Forderung von Amts wegen oder auf Grund eines im Wege des haushaltsleitenden Organs gestellten Ansuchens der Schuldnerin oder des Schuldners ganz oder teilweise verzichten, wenn

1. die Einziehung der Forderung nach der Lage des Falles, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse und des Ausmaßes des allfälligen Verschuldens der Schuldnerin oder des Schuldners an der Entstehung der Forderung, unbillig wäre oder der Verzicht auf die Forderungen im wirtschaftlichen Interesse des Bundes liegt und

2. der Forderungsbetrag, auf den verzichtet werden soll, den hiefür im Bundesfinanzgesetz oder in einem besonderen Bundesgesetz im Sinne des Art42 Abs5 B‑VG festgesetzten Höchstbetrag nicht überschreitet.

(2) Übersteigt die Forderung oder Teilforderung, auf die verzichtet werden soll, den im Abs1 Z2 genannten Höchstbetrag, so bedarf der Verzicht der Bewilligung durch ein Bundesgesetz im Sinne des Art42 Abs5 B‑VG.

[…]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Den Anträgen liegen mehrere Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien zugrunde:

Die Kläger sind bzw waren Leistungsbezieher von Kinderbetreuungsgeld. Mittels Bescheid hat die Österreichische Gesundheitskasse (als Rechtsnachfolgerin der früheren Gebietskrankenkassen) jeweils die – ihrer Ansicht nach – zu Unrecht ausgezahlten Beträge an Kinderbetreuungsgeld von den leistungsempfangenden Elternteilen zurückgefordert. Die Rückforderung gründet sich auf §31 KBGG.

Aus Anlass der gegen diese Bescheide der Österreichischen Gesundheitskasse erhobenen Klagen stellt das Arbeits- und Sozialgericht Wien die vorliegenden gleichlautenden Gesetzesprüfungsanträge.

2. Das Arbeits- und Sozialgericht Wien legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"Der VfGH hat in seinem Erkenntnis vom 11.12.2020 ausgeführt, dass [§89 Abs4] […] ASGG jenes Verständnis nach ständiger Rechtsprechung des OGH zu unterstellen ist, dass den Arbeits- und Sozialgerichten nur die Möglichkeit der Ratengewährung eingeräumt wird, während es der Gesetzgeber unterlassen hat, den Gerichten auch die Kompetenz für eine gänzliche oder teilweise Nachsicht der Rückzahlungspflicht (nach §107 Abs3 Z1 ASVG bzw der entsprechenden Bestimmung des GSVG und anderer Gesetze) zu übertragen. Der VfGH führte auch aus, dass §354 Z2 ASVG die Feststellung der Verpflichtung zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung zu den Leistungssachen zählt, ohne den Verzicht auf die Rückforderung hievon auszunehmen. Angesichts der inneren Verbundenheit dieser Angelegenheiten kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass der Verzicht auf die Rückforderung zu Unrecht empfangener Leistungen nicht unter §354 Z2 ASVG fällt, sondern den Verwaltungssachen im Sinne des §355 ASVG zuzurechnen ist. Hier ist zwar keine Versicherungsleistung nach dem ASVG oder einem vergleichbaren Sozialversicherungsgesetz gegenständlich, nach der Entscheidung des OGH 10 ObS 43/09k zählen zu den in §65 Abs1 Z2 ASGG genannten Rechtsstreitigkeiten auch Streitigkeiten über den Anspruch auf Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, welche (im Verwaltungsverfahren) nach den für die Leistungssachen nach §354 Z2 ASVG vorgesehenen Verfahrensbestimmungen zu entscheiden sind. Der antragsstellende Senat schließt sich der im Erkenntnis vom 11.12.2020, G264/2019-16, zum Ausdruck gekommenen Rechtsmeinung an, dass der Verzicht auf die Rückforderung zu Unrecht empfangener Leistungen eine Leistungssache darstellt, die unter §354 Z2 ASVG fällt und für die grundsätzlich die sukzessive Kompetenz der ordentlichen Gerichte vorgesehen ist. Dies muss auch für Rückforderungen von Leistungen nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz gelten; nur dass in §31 Abs4 KBGG von einem 'nachgeschalteten Verwaltungsverfahren' die Rede ist, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass es sich um eine sinngemäße 'Verwaltungssache' handelt, für die ein Rechtszug an die Verwaltungsgerichte vorgesehen wäre. Insofern wird der Rechtsmeinung von Sonntag in Sonntag/Schober/Konecny Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz Kommentar, 3. Aufl., Rz 19a zu §31 KBGG, nicht gefolgt. Völlig verfehlt ist diesbezüglich die in der Regierungsvorlage zur Novelle 2016 (1.110 der Beilagen zum Nationalrat, XXV. GP, 13), geäußerte Rechtsansicht, dass im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zustünde.

 

Es ergibt sich somit bezüglich des Ausschlusses eines Rechtszuges in Rückforderungsangelegenheiten nach §65 Abs1 Z2 ASGG im Hinblick auf die gänzliche oder teilweise Nachsicht der Rückzahlungspflicht an die ordentliche Gerichtsbarkeit die gleiche Problematik, wie vom VfGH im Erkenntnis G264/2019‑16 erörtert. Wenn der VfGH in diesem Erkenntnis von der Verfassungswidrigkeit einer derartigen Regelung in §89 Abs4 ASGG ausgeht und die entsprechenden Passagen mit Wirksamkeit des Ablaufes des 31.12.2021 aufhebt, ist der bekämpfte letzte Satz in Abs4 des §31 KBGG, der die Problematik noch weiter im Sinne eines Ausschlusses sogar von Ratenzahlungen verschärft, ebenso wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip verfassungswidrig.

 

Bis zum Ablauf des 31.12.20[2]1 ist §89 Abs4 ASGG noch (mit Ausnahme des Anlassfalles) vor den Gerichten anzuwenden, weshalb zum jetzigen Zeitpunkt die Anwendbarkeit der bekämpften Gesetzesstelle in §31 Abs4 KBGG auf das hier anhängige Verfahren durch das antragsstellende Gericht gegeben ist.

 

Erst mit Ablauf des 31.12.2021 würde sich die Frage stellen, ob mit dem Wegfall der Anwendbarkeit von §89 Abs4 ASGG auf Rückersatzsachen nach §65 Abs1 Z2 [leg cit] die angefochtene Gesetzesbestimmung in §31 Abs4 KBGG, der von der Geltung der aufgehobenen Bestimmungen abhängig ist, noch überhaupt in Kraft wäre oder als materiell derogiert anzusehen wäre. Das antragsstellende Gericht stützt seinen Aufhebungsantrag aus Vorsichtsgründen auch darauf, dass mit lnkrafttreten der [A]ufhebung durch G264/2019-16 die von der Existenz dieser Gesetzespassagen in §89 Abs4 ASGG abhängige angefochtene Gesetzesbestimmung in §31 Abs4 KBGG ihren Sinngehalt verliert und dadurch verfassungswidrig wird, sodass diese angefochtene Gesetzesstelle auch mit Ablauf des 31. Dezember 2021 aufgehoben werden möge. Zu den Bedenken hinsichtlich der Gleichheitswidrigkeit wird auf Sonntag, AsoK 2017, 2 (9f) verwiesen.

 

Nachdem in jedem Verfahren auf Rückforderung von zu Unrecht ausbezahltem Kinderbetreuungsgeld die angefochtene Gesetzesstelle für das Gericht dahingehend anzuwenden ist, als dem Gericht nicht einmal die Befugnis zur Gewährung von Ratenzahlungen gegeben ist und die angefochtene Gesetzesstelle aus den angeführten Erwägungen nach Ansicht des antragsstellenden Gerichtes verfassungswidrig ist, muss die Verfassungswidrigkeit dahingehend beseitigt werden, dass der gesamte letzte Satz von Absatz 4 in §31 KBGG aufgehoben wird."

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit der Anträge bestreitet und den in den Anträgen erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…] Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

 

[…] Die Anlassfälle haben unter anderem gemeinsam, dass in keinem einzigen seitens der Kläger ein Antrag auf Ratenzahlungen gestellt oder das Thema Ratenzahlungen in anderer Form angesprochen wurde.

[…]

Das Arbeits- und Sozialgericht Wien hat jeweils den Antrag gestellt, 'den letzten Satz im Absatz 4 des §31 Kinderbetreuungsgeld idF BGBI I 2016/53 als verfassungswidrig aufzuheben.' Damit wird das strenge Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG nicht erfüllt, wird doch überhaupt kein bekämpftes Gesetz angegeben (arg: 'Kinderbetreuungsgeld').

 

[…] Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 (VfGG), BGBl Nr 85/1953, hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art – präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die jeweils bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014).

 

Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des antragstellenden Gerichtes nicht. Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip werden pauschal unter Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes G264/2019-16 vom 11. Dezember 2020 formuliert, ohne eingehend die Übertragbarkeit auf die angefochtene Bestimmung zu prüfen. Wäre das erfolgt, hätte dem antragstellenden Gericht auffallen müssen, dass das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes sich auf eine Regelung über die eingeschränkte Überprüfbarkeit eines im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren erlassenen Bescheides bezieht, während die angefochtene Bestimmung die umfassende verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit eines im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren erlassenen Bescheides (mit dem eine Ratenzahlung angeordnet oder abgelehnt wird) geradezu voraussetzt.

 

Dass Bedenken, die in der Form 'Zu den Bedenken hinsichtlich der Gleichheitswidrigkeit wird auf Sonntag, AsoK 2017, 2 (9f) verwiesen.' vorgebracht werden, den Anforderungen des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG nicht genügen, hat der Verfassungsgerichtshof bereits in der Vergangenheit dargetan (vgl VfSlg 12.947/1991).

 

[…] Die Bundesregierung verweist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag auf Aufhebung einer generellen Norm nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl zB VfSlg 19.824/2013 und 19.833/2013).

 

Dies ist hier der Fall, und zwar aus folgenden Gründen: Das antragstellende Gericht hat jene Vorschriften, deren Verfassungswidrigkeit der Antragsteller behauptet, nicht angewendet. Der Krankenversicherungsträger hat in seinen Bescheiden nicht über Ratenzahlungen abgesprochen, womit Ratenzahlungen nicht Gegenstand der Verfahren waren. Zudem liegt in keinem der den Anträgen zugrundeliegenden Fälle ein Antrag auf Ratenzahlungen vor oder findet sich auch nur der geringste Hinweis, dass Ratenzahlungen gewünscht seien.

 

Demzufolge wurde auch von keiner klagenden Partei der Wunsch geäußert, das Gericht solle (anstelle des Krankenversicherungsträgers) über eine (künftige) Ratenzahlung dem Grunde sowie der Höhe nach und damit endgültig und unabänderlich entscheiden. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis G264/2019-16 vom 11. Dezember 2020 ausgesprochen hat, ist für das Vorliegen der Präjudizialität erforderlich, dass vom Versicherungsträger über den Gegenstand abgesprochen worden ist. Dazu führt der Verfassungsgerichtshof aus, dass ein Bescheid über die Rückzahlung von Versicherungsleistungen implizit eine Ablehnung eines Verzichtes auf diese Rückforderung enthält, weshalb die Frage der Verzichtbarkeit auch Gegenstand des Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien sei.

 

Im Gegensatz zu einem Verzicht (der nach dem KBGG ebenfalls erst im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren möglich ist) beinhaltet jedoch ein erlassener Rückforderungsbescheid niemals implizit eine Ablehnung der Gewährung von Ratenzahlungen, womit Ratenzahlungen nach derzeitiger Rechtslage somit niemals Gegenstand eines Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien sein können (vgl OGH 22.1.2019, 10 ObS 133/18h).

 

Die angefochtene Bestimmung ist dementsprechend in den Anlassverfahren nicht präjudiziell (§62 Abs2 VfGG).

 

[…] Gemäß §62 Abs2 zweiter Satz VfGG hat der Antrag darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte. Dieser Darlegungspflicht ist das antragstellende Gericht nicht nachgekommen. Einerseits wurde nicht hinreichend deutlich dargelegt, inwiefern das Arbeits- und Sozialgericht Wien die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätte; dass eine solche Darlegung nach Ansicht der Bundesregierung darüber hinaus nicht gelingen könnte, wurde gerade vorhin vorgetragen. Andererseits ist den Anträgen auch nicht schlüssig zu entnehmen, welche Auswirkungen die Aufhebung der angefochtenen Bestimmung auf die Ausgangsverfahren hätte, zumal der auch nach einer allfälligen Aufhebung weiterhin bestehende verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz vollkommen ignoriert wird.

 

[…] Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung zu den Prozessvoraussetzungen von Normenkontrollverfahren zudem stets von dem Grundgedanken aus, dass ein solches Verfahren dazu führen soll, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen, dass aber der nach Aufhebung verbleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl zB VfSlg 8461/1979, 11.737/1988, 18.412/2008). Unzulässig ist ein Antrag daher auch dann, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 13.299/1992, 14.740/1997, 16.191/2001, 19.496/2011, 19.824/2013).

 

Ein solcher Fall liegt hier ebenfalls vor: Eine Aufhebung von §31 Abs4 letzter Satz KBGG würde nicht zu dem vom antragstellenden Gericht angestrebten Ergebnis führen, nämlich, dass das ordentliche Gericht in Zukunft bei nicht rechtskräftigen Rückforderungen die Ratenzahlungen festlegen dürfe. Zahlungserleichterungen nach §31 Abs4 zweiter Satz und Z1 iVm Abs5 KBGG setzen einen rechtskräftigen Abspruch über den Rückersatzanspruch voraus. Dementsprechend ist die Anordnung von Ratenzahlungen erst zulässig, wenn die Rechtskraft der Forderung vorliegt. Ratenanordnungen vor Rechtskraft der Forderung sind unzulässig. Das ordentliche Gericht hat keine Möglichkeit, im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren tätig zu werden, damit sind Ratenanordnungen ausgeschlossen.

 

[…] Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Antrag zur Gänze unzulässig ist.

 

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesregierung im Folgenden in der Sache Stellung:

 

[…] In der Sache:

[…]

[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip:

 

[…] Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis G264/2019-16 vom 11. Dezember 2020 Wortfolgen des §89 Abs4 ASGG mit der Begründung aufgehoben, sie stünden in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip.

 

Der Verfassungsgerichtshof führte dazu wie folgt aus:

 

'[…] Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum rechtsstaatlichen Prinzip gipfelt dessen Sinn darin, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen Gewähr dafür bietet, dass nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden (vgl etwa VfSlg 11.196/1986, 12.409/1990). Letzten Endes verlangt das Rechtsstaatsprinzip damit, dass dem Staat zurechenbare Akte in rechtsstaatlicher Weise überprüfbar sind (vgl etwa VfSlg 18.747/2009, 19.009/2010).

 

[…] Diesen Anforderungen trägt insbesondere Art130 Abs1 Z1 B‑VG Rechnung, indem er gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden die Beschwerde an die Verwaltungsgerichte eröffnet, sofern keine Ausnahme nach Art130 Abs5 B‑VG vorliegt, etwa weil eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte vorgesehen ist. Zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zählen auch Angelegenheiten, die der einfache Gesetzgeber der sukzessiven Kompetenz der ordentlichen Gerichte überantwortet.'

 

Das antragstellende Gericht geht offenkundig davon aus, die angefochtene Bestimmung verwehre den ordentlichen Gerichten eine Überprüfung des Bescheides eines Krankenversicherungsträgers, mit dem im Zusammenhang mit einer Rückforderung von Leistungen nach dem KBGG über eine allfällige Ratenzahlung abgesprochen werde. Wörtlich wird im Antrag ausgeführt:

 

'Es ergibt sich somit bezüglich des Ausschlusses eines Rechtszuges in Rückforderungsangelegenheiten nach §65 Abs1 Z2 ASGG im Hinblick auf die gänzliche oder teilweise Nachsicht der Rückzahlungspflicht an die ordentliche Gerichtsbarkeit die gleiche Problematik, wie vom VfGH im Erkenntnis G264/2019-16 erörtert.'

 

[…] Unbeachtet lässt das antragstellende Gericht dabei allerdings, dass nach dem Regelungssystem des §31 Abs4 KBGG der Krankenversicherungsträger allein auf Grundlage einer rechtskräftigen Rückforderung Zahlungserleichterungen (eine Ratenzahlung, aber auch eine Stundung oder einen [nur teilweisen] Verzicht) mit Bescheid gewähren kann. Dieser dem (in diesem Sinne vorgeschalteten) Rückforderungsverfahren, welches letztlich vor den ordentlichen Gerichten auszutragen ist, nachgeschaltete Bescheid unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Denn: Angelegenheiten betreffend Zahlungserleichterungen hinsichtlich rechtskräftiger Bundesforderungen nach dem KBGG sind keine Leistungssachen nach §354 ASVG. Auf Grund des Auffangtatbestandes des §355 ASVG gehören diese Angelegenheiten zu den Verwaltungssachen. Das Verfahren in Verwaltungssachen ist in den §§409 ff ASVG geregelt. Gemäß §414 ASVG kann gegen Bescheide der Krankenversicherungsträger über Zahlungserleichterungen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden. Gegen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig (vgl Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG, 3. Aufl. [2020], §31 Rz 19a). Ein Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte ist nicht eingerichtet; insbesondere liegt keine Sozialrechtssache iSd. §65 ASGG vor.

 

Diese verwaltungsgerichtliche Kontrolle hätte der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis G264/2019-16 vom 11. Dezember 2020 als ausreichend angesehen. Dementsprechend kann keine Rede davon sein, die Rechtsstaatlichkeit und der Rechtschutz seien davon beeinträchtigt, dass die bescheidmäßigen Entscheidungen der Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren somit nicht von den ordentlichen Gerichten, sondern vom Bundesverwaltungsgericht (und in weiterer Folge vom Verwaltungsgerichtshof) überprüft werden. Dass dabei die Kontrolle aus dem, wie angeführt wird, bewährten Rechtsschutzsystem des ASGG herausgelöst werde, [ist] für die Annahme einer Verfassungswidrigkeit nicht ausreichend und zudem überhaupt nicht nachvollziehbar, wird damit doch der Verwaltungsgerichtsbarkeit implizit unterstellt, 'geringeren' Rechtsschutz als die ordentlichen Gerichte zu gewähren.

 

Mit der (klargestellten) Verlagerung der Ratenzahlungen in das nachgeschaltete Verwaltungsverfahren wurde im Bereich des KBGG massiven rechtsstaatlichen Bedenken gegen die unbekämpfbaren erstinstanzlichen Entscheidungen der ordentlichen Gerichte betreffend Ratenzahlungen begegnet. Das Rechtsschutzdefizit, dem Eltern von Kleinkindern, die in der Familiengründungsphase besonderen Herausforderungen gegenüberstehen und besonders häufig von schwankenden Einkommens- und Vermögens- sowie Lebenssituationen betroffen sind, ausgesetzt waren, konnte damit behoben werden (vgl OGH 3.5.2012, 10 ObS 67/12v). Für diesen besonderen Personenkreis war und ist es notwendig, individuell jederzeit auf eine Verschlechterung ihrer Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse seitens der Krankenversicherungsträger einzugehen, Stundungen zu gewähren, Raten anzupassen oder in außergewöhnlichen Härtefällen auch auf die Forderung verzichten zu können und schließlich auch die Entscheidung über beantragte Zahlungserleichterungen überprüfen lassen zu können.

 

[…] Soweit das antragstellende Gericht seinen 'Aufhebungsantrag aus Vorsichts-gründen auch darauf [stützt], dass mit lnkrafttreten der aufhebung (sic) durch G264/2019-16 die von der Existenz dieser Gesetzespassagen in §89 Abs4 ASGG abhängige angefochtene Gesetzesbestimmung in§31 Abs4 KBGG ihren Sinngehalt verliert und dadurch verfassungswidrig wird, sodass diese angefochtene Gesetzesstelle auch mit Ablauf des 31. Dezember 2021 aufgehoben werden möge' ist zu entgegnen, dass zum jetzigen Zeitpunkt nicht geklärt ist und nicht geklärt sein kann, ob die Gesetzgebung auf das genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes reagiert oder sonst in einer Form bis zum 31. Dezember 2021 tätig wird. Zudem kann nicht davon gesprochen werden, eine Regelung werde verfassungswidrig, weil sie ihren Sinngehalt zu verlieren scheint; im äußersten Fall bliebe die Regelung unangewendet. Darüber hinaus hat das antragstellende Gericht nicht dargetan, inwiefern das genannte Erkenntnis überhaupt eine solche Wirkung auf §31 Abs4 letzter Satz KBGG entfalten könnte.

 

[…] Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz:

 

Auf Grund, wie weiter oben dargelegt, nicht hinreichender Ausführung lässt der Antrag nicht klar erkennen, welche Bedenken das antragstellende Gericht im Hinblick auf den Gleichheitssatz hegt. Unter Zugrundelegung der angegebenen Literaturstelle (korrektes Zitat wohl: Sonntag, Unions-, verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme der KBGG-Novelle 2016 und des Familienzeitbonusgesetzes, ASoK 2017, 2 [9]) könnte es sich um folgende Bedenken handeln: 'Die Beschneidung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Fra[]gen der Ratengewährung nur beim Kinderbetreuungsgeld und Familienzeitbonus ist auch unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes bedenklich, weil das Rechtfertigungselement nicht erkennbar ist, gerade diese Leistungen aus dem wohldurchdachten und bewährten Rechtsschutzsystem des ASGG partiell herauszulösen, das sich etwa bei häufig vorkommenden Rückforderungen von Ausgleichszulagen und Hinterbliebenenpensionen ausgezeichnet bewährt hat.'

 

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Art der Darlegung der Bedenken im Verweisungswege (zudem ohne exakte Abgrenzung) jene Anforderungen nicht erfüllt, die der Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung an einen zulässigen Antrag stellt. Zudem steht der Verweis auf Sonntag in Widerspruch zum sonstigen Vorbringen, scheint doch dieser Autor von einem weiteren Verfahren vor den Verwaltungsgerichten auszugehen. Dessen ungeachtet soll den Bedenken entgegengetreten werden.

 

Bei der Entscheidung, welche Ziele die Gesetzgebung mit ihren Regelungen verfolgt, ist ihr innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum eingeräumt (VfSlg 11.483/1987, 12.481/1990). Dem Verfassungsgerichtshof kommt daher grundsätzlich nicht die Beurteilung zu, ob die Verfolgung eines bestimmten Zieles zweckmäßig ist. Er kann der Gesetzgebung nur entgegentreten, wenn diese Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (VfSlg 9911/1983, 11.483/1987, 11.652/1988, 12.082/1989).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Gesetzgebung im Bereich der Familienpolitik im Allgemeinen sowie im Beihilfenrecht im Besonderen generell ein weiter rechtspolitischer Spielraum zuzubilligen (vgl VfSlg 19.411/2011). Die Gesetzgebung ist bei Verfolgung familienpolitischer Ziele grundsätzlich frei (VfSlg 8541/1979). Sie ist insbesondere nicht gehalten, Beihilfen in unbeschränkter Weise zu gewähren (VfSlg 5972/1969; VfSlg 14.694/1996). Der der Gesetzgebung grundsätzlich zustehende Gestaltungsspielraum wird durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihr verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (VfSlg 8073/1977).

 

Das antragstellende Gericht sieht somit offenbar eine Ungleichbehandlung zwischen dem besonderen Rechtsschutzsystem nach dem KBGG hinsichtlich Zahlungserleichterungen und dem 'wohldurchdachten und bewährten Rechtsschutzsystem des ASGG'.

 

Der Verfassungsgerichtshof sieht es in ständiger Rechtsprechung als sachlich gerechtfertigt an, in unterschiedlichen Verfahrensbereichen unterschiedliche Ordnungssysteme vorzusehen, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform gestaltet sind (vgl VfSlg 10.770/1986, 13.420/1993, 15.493/1999, 19.202/2010, 19.762/2013).

 

Vor diesem Hintergrund lassen sich die Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz nicht aufrechterhalten. Der Gesetzgebung ist es nicht verwehrt, Entscheidungen über Zahlungserleichterungen bezüglich rechtskräftiger Forderungen des Bundes einem anderen Rechtsschutzregime zu unterwerfen als Entscheidungen, die Versicherungsleistungen betreffen, die Versicherten gegenüber einem Versicherungsträger zustehen. Das gilt ungeachtet des Umstandes, dass beide Entscheidungen vom zuständigen Versicherungsträger getroffen werden, lässt sich doch der angeschlossene, divergierende Rechtsschutzweg auch dadurch rechtfertigen, dass Leistungen nach dem KBGG – anders als die genannten Versicherungsleistungen – im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundeskanzlers zu vergeben oder zurückzufordern sind (§25 Abs2 KBGG).

 

Wenn zudem die Gesetzgebung die besondere Situation einer Personengruppe, der Eltern von Kleinkindern, würdigt, indem ein erhöhter Rechtsschutzstandard […] festgelegt wird, kann daran nach Ansicht der Bundesregierung vor dem Hintergrund des Art7 B‑VG nicht Anstoß genommen werden.

 

[…] Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtene Bestimmung nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

4. Die Partei des Anlassverfahrens des zu G124/2021 (Z 32 Cgs 109/20h) protokollierten Antrages hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie der Zulässigkeit des Antrages im Wesentlichen mit der Begründung entgegentritt, die Anwendung des §31 Abs4 letzter Satz KBGG verstoße offenkundig gegen Unionsrecht (konkret gegen Art29 Abs1 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [im Folgenden: Statusrichtlinie]), weil die Rückforderung offenkundig nicht zu Recht bestehe. Eine Rückforderung wäre unionsrechtswidrig, weil der Bestimmung des §7 Abs2 Z2 KBGG (die zweite bis fünfte Mutter-Kind-Pass-Untersuchung muss bis zur Vollendung des 15. Lebensmonates nachgewiesen werden) im vorliegenden Fall ein unionsrechtswidriger Inhalt unterstellt werde. Im Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sei das Kind der Klägerin bereits 21 Monate alt. Eine Vorlage der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen bis zur Vollendung des 15. Lebensmonates sei denkunmöglich. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld sei erst nach Vollendung des 15. Lebensmonates des Kindes entstanden. Vor diesem Hintergrund unterlaufe die Nachweispflicht das Gleichstellungsgebot zwischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern und Personen, denen der Status der Asylberechtigten zukomme, in Bezug auf das Kinderbetreuungsgeld als "notwendige Sozialhilfe" nach Art29 Abs1 der Statusrichtlinie. Es sei offenkundig unrichtig davon auszugehen, die Klägerin habe das Kinderbetreuungsgeld in Form einer Ratenzahlung nach §31 Abs4 letzter Satz KBGG zurückzuerstatten. Daher sei diese Bestimmung im zugrunde liegenden Verfahren nicht präjudiziell.

5. Die Partei der Anlassverfahren der zu G109/2021 (Z 32 Cgs 29/21w) und G110/2021 (Z 32 Cgs 28/21y) protokollierten Anträge hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich im Wesentlichen den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Mit seinen (gleichlautenden) Anträgen begehrt das Arbeits- und Sozialgericht Wien die Aufhebung des letzten Satzes "im Absatz 4 des §31 Kinderbetreuungsgeld idF BGBl I 2016/53".

Zur Zulässigkeit führt das antragstellende Gericht aus, es habe in den vorliegenden Fällen die bekämpfte Gesetzesstelle in §31 Abs4 KBGG anzuwenden, wobei bis zum Ablauf des "31.12.2001" (offensichtlich gemeint ist der 31. Dezember 2021) auch die Anwendbarkeit des §89 Abs4 ASGG auf Rückersatzsachen iSd §65 Abs1 Z2 leg cit gegeben sei.

1.3. Die Bundesregierung vertitt in ihrer Äußerung die Ansicht, das antragstellende Gericht habe weder die entsprechenden Bedenken im Einzelnen gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG dargelegt noch eine angefochtene Gesetzesstelle iSd §62 Abs1 erster Satz leg cit bezeichnet. Ebenso sei das Arbeits- und Sozialgericht Wien seiner Darlegungspflicht gemäß §62 Abs2 zweiter Satz VfGG nicht nachgekommen.

1.4. Mit diesem Vorbringen ist die Bundesregierung nicht im Recht:

1.4.1. Ein Antrag nach Art140 Abs1 B‑VG hat gemäß §62 Abs1 Satz 1 VfGG stets das Begehren zu enthalten, das – nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige – Gesetz seinem "ganzen Inhalte nach" oder in "bestimmte[n] Stellen" aufzuheben. Um die strengen Formerfordernisse des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG zu erfüllen, müssen – wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat – die bekämpften Stellen des Gesetzes genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschriften oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich der Aufhebung verfallen soll (vgl dazu mwN VfSlg 15.775/2000, 16.340/2001, 18.175/2007, 19.960/2015).

Das Arbeits- und Sozialgericht Wien begehrt zwar in seinen Anträgen "den letzten Satz im Absatz 4 des §31 Kinderbetreuungsgeld idF BGBl I 2016/53 als verfassungswidrig aufzuheben." Sowohl auf Grund der Angabe der Fassung als auch aus der Zitierung des §31 Abs4 letzter Satz KBGG, BGBl I 103/2001, idF BGBl I 53/2016 in den Anträgen geht jedoch mit hinreichender Deutlichkeit hervor, auf welches Gesetz und auf welche bestimmte gesetzliche Stelle Bezug genommen wird, womit dem für Anträge gemäß Art140 B‑VG geltenden strengen Formerfordernis des §62 Abs1 erster Satz VfGG Genüge getan ist (VfSlg 14.040/1995, 16.993/2003; VfGH 23.11.2012, G81/2012).

1.4.2. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl zB VfSlg 11.150/1986, 11.888/1988, 13.710/1994, 13.851/1994 und 14.802/1997). Es genügt dabei nicht, dass im Antrag behauptet wird, dass die bekämpften Gesetzesstellen gegen eine oder mehrere – wenn auch näher bezeichnete – Verfassungsbestimmung(en) verstoßen; vielmehr muss konkret dargelegt werden, aus welchen Gründen den bekämpften Normen die behauptete Verfassungswidrigkeit anzulasten ist. Begnügt sich ein Antrag damit, den Verstoß gegen Verfassungsgebote zu behaupten, unterlässt er aber konkrete Darlegungen, warum die bekämpften Regelungen im Einzelnen gegen die genannten Verfassungsbestimmungen verstoßen, so ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (idS VfSlg 13.123/1992, 16.507/2002; VfGH 26.6.2020, G22/2020).

Insoweit die Bundesregierung in ihrer Äußerung die Ansicht vertritt, das antragstellende Gericht habe seine Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip lediglich pauschal unter Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2020, G264/2019, dargelegt, ohne eingehend die Übertragbarkeit auf die angefochtene Bestimmung zu prüfen, so ist sie damit nicht im Recht:

Das antragstellende Gericht verweist zwar umfassend auf das oben angeführte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, führt jedoch auch aus, warum im Anwendungsbereich des KBGG das Problem des Ausschlusses eines Rechtszuges in Rückforderungsangelegenheiten im Hinblick auf die Nachsicht der Rückzahlungspflicht an die ordentliche Gerichtsbarkeit durch den Ausschluss von Ratenzahlungen noch verschärft werde. Vor diesem Hintergrund wird das Arbeits- und Sozialgericht Wien dem Erfordernis des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG (Darlegung der Bedenken im Einzelnen) gerecht.

1.4.3. Des Weiteren ist in Gerichtsanträgen darzulegen, "inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte" (§62 Abs2 Satz 2 VfGG). Dieser Darlegungspflicht sei – nach Ansicht der Bundesregierung – das antragstellende Gericht nicht nachgekommen.

Unstrittig hat das antragstellende Gericht in den vorliegenden Fällen §31 Abs4 letzter Satz KBGG anzuwenden (vgl Rz 28 f.). Da die angefochtene Bestimmung somit als präjudiziell anzusehen ist, erfüllen die Anträge die Anforderungen des §62 Abs2 zweiter Satz VfGG.

1.5. Die Bundesregierung zieht in ihrer Äußerung die Präjudizialität des §31 Abs4 KBGG in Zweifel. Der Krankenversicherungsträger habe in seinen Bescheiden nicht über Ratenzahlungen abgesprochen, weshalb diese Frage auch nicht Gegenstand der Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien sei. Zudem liege in keinem der den Anträgen zugrunde liegenden Fällen ein Antrag auf Ratenzahlung vor oder finde sich auch nur der geringste Hinweis, dass Ratenzahlungen gewünscht seien.

Damit übersieht die Bundesregierung jedoch, dass §89 Abs4 ASGG (in seiner bis zum 31. Dezember 2021 bestehenden Fassung) bei Rechtsstreitigkeiten über die Rückforderung einer zu Unrecht empfangenen Leistung nach §65 Abs1 Z2 iVm Z8 ASGG anzuwenden ist und nach dieser Bestimmung die Arbeits- und Sozialgerichte die Anordnung von Raten bei Rückforderungen von Amts wegen prüfen, und zwar unabhängig davon, ob über Ratenzahlungen im Bescheid des Krankenversicherungsträgers abgesprochen wurde (vgl OGH 21.4.2009, 10 ObS 58/09s; 22.1.2019, 10 ObS 133/18h). Der angefochtene §31 Abs4 letzter Satz KBGG bestimmt, dass – abweichend von dieser Bestimmung – die Arbeits- und Sozialgerichte keine Ratenzahlung anordnen dürfen.

Das antragstellende Gericht hat somit bei den Entscheidungen über die negativen Feststellungsklagen, die Rückforderungen des Krankenversicherungsträgers bestünden nicht zu Recht, §31 Abs4 KBGG, der es dem Arbeits- und Sozialgericht Wien – entgegen §89 Abs4 ASGG – verbietet, eine Ratenzahlung zu gewähren, anzuwenden. Entgegen der Ansicht der Bundesregierung ist die angefochtene Bestimmung in den vorliegenden Fällen daher präjudiziell.

1.6. In der Äußerung der beteiligten Partei des zu G124/2021 protokollierten Antrages wird die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung bestritten, weil diese offenkundig gegen Art29 der Statusrichtlinie verstoße, indem §7 Abs2 Z2 KBGG (über die Nachweispflicht von Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen) ein unionrechtswidriger Inhalt unterstellt werde. Beim Kinderbetreuungsgeld handle es sich um eine "notwendige Sozialhilfeleistung". Im Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sei das Kind der Klägerin bereits 21 Monate alt. Eine Vorlage der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen bis zur Vollendung des 15. Lebensmonates sei denkunmöglich. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld sei erst nach Vollendung des 15. Lebensmonates des Kindes entstanden. Vor diesem Hintergrund unterlaufe die Nachweispflicht das Gleichstellungsgebot zwischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern und Personen, denen der Status der Asylberechtigten zukomme, in Bezug auf das Kinderbetreuungsgeld als "notwendige Sozialhilfe" nach Art29 Abs1 der Statusrichtlinie. Es sei offenkundig unrichtig davon auszugehen, die Klägerin habe das Kinderbetreuungsgeld in Form einer Ratenzahlung nach §31 Abs4 letzter Satz KBGG zurückzuerstatten.

1.6.1. Wie bereits bei Punkt 1.1. ausgeführt, ist der Verfassungsgerichtshof nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde.

In den Fällen der konkreten Normenkontrolle steht ein möglicher Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht der Prüfung einer Rechtsvorschrift daher nicht entgegen, wenn die Vorschrift im Anlassfall zumindest "denkmöglich" anzuwenden wäre (zB VfSlg 16.293/2001). Steht die Vorschrift hingegen in offenkundigem Widerspruch mit unmittelbar anwendbarem Unionsrecht, so ist der Vorrang des Unionsrechts auch im Normenprüfungsverfahren zu beachten (VfSlg 15.215/1998, 15.368/1998, 16.293/2001; VfGH 12.12.2018, G104/2018 ua). Mit anderen Worten ist ein Antrag iSd des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG bei offenkundigem Widerspruch wegen mangelnder Präjudizialität zurückzuweisen.

Ein Verstoß gegen Unionsrecht ist dann als offenkundig anzusehen, wenn er derart offen zutage liegt, dass für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bleibt ("acte-clair-Doktrin"; vgl EuGH 6.10.1982, Rs 283/81 , CILFIT, Slg. 1982, I-3415, Rz 16; VfGH 12.12.2018, G104/2018 ua).

1.6.2. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes trifft dies im vorliegenden Fall nicht zu:

1.6.2.1. Nach Art29 der Statusrichtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Nach Erwägungsgrund 45 der Statusrichtlinie ist auch die Unterstützung bei Elternschaft umfasst.

1.6.2.2. Die Nachweispflicht von Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen gemäß §7 KBGG trifft Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde und Staatsbürger gleichermaßen. Eine Rückforderung der Reduktion auf Grund der fehlenden Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen oder deren Nachweis und damit eine Anwendung des §31 Abs4 KBGG im zugrunde liegenden Fall steht zumindest nicht offenkundig im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht.

1.7. Es ist somit nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der mit den Anträgen angefochtenen Bestimmung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge auf Aufhebung des §31 Abs4 letzter Satz KBGG insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Das antragstellende Gericht äußerst zunächst das Bedenken, der Ausschluss des Rechtes der ordentlichen Gerichte gemäß §31 Abs4 letzter Satz KBGG – abweichend von §89 Abs4 ASGG – bei Rückforderungen von Kinderbetreuungsgeldbeträgen Ratenzahlungen anzuordnen, verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip. Begründend stützt es sich im Wesentlichen auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2020, G264/2019.

In dieser Entscheidung führt der Verfassungsgerichtshof aus, dass §89 Abs4 ASGG gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt, weil den ordentlichen Gerichten im Rahmen der sukzessiven Kompetenz und ihrer Entscheidung über Rückforderungsansprüche – anders als dem Versicherungsträger – keine Kognition über eine gänzliche oder teilweise Nachsicht der Rückersatzpflicht offensteht. Bestimmte Wortfolgen des §89 Abs4 ASGG wurden daher als verfassungswidrig aufgehoben, wobei die Aufhebung mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft tritt.

Das Arbeits- und Sozialgericht Wien führt in seinen Anträgen aus, dass die der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2020, G264/2019, zugrunde liegende Erwägung, wonach der Verzicht auf die Rückforderung zu Unrecht empfangener Leistungen eine Leistungssache darstelle, auch für Rückforderungen von Leistungen nach dem KBGG gelte. Insofern ergebe sich in den vorliegenden Fällen die gleiche Problematik. Diese werde durch den in §31 Abs4 letzter Satz KBGG für die ordentlichen Gerichte angeordneten Ausschluss der Möglichkeit, Ratenzahlungen anzuordnen, sogar verschärft. Daher sei §31 Abs4 letzter Satz KBGG ebenso – wie §89 Abs4 ASGG (VfGH 11.12.2020, G264/2019) – wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip aufzuheben.

2.3. Die Anträge sind nicht begründet.

2.3.1. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

2.3.1.1. Gemäß §31 Abs1 KBGG sind Leistungsbezieher des Kinderbetreuungsgeldes unter bestimmten Voraussetzungen zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten. Die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen erfolgt in Bescheidform (§27 Abs3 Z2 leg cit). Der Krankenversicherungsträger kann bei Rückforderungen unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers, die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Ratenzahlungen zulassen, die rechtskräftige Rückforderung stunden oder auf die rechtskräftige Rückforderung ganz oder teilweise verzichten (§31 Abs4 KBGG). Dabei sind grundsätzlich die §§72 bis 74 BHG 2013 anzuwenden.

2.3.1.2. Gemäß §65 Abs1 Z2 ASGG zählen Rechtsstreitigkeiten über die Verpflichtung zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung zu den Sozialrechtssachen (VfSlg 19.812/2013; VfGH 11.12.2020, G264/2019). Aus dem Klammerzitat "Z6 bis 8" in §65 Abs1 Z2 ASGG ist abzuleiten, dass ua auch strittige Rückforderungen hinsichtlich Leistungen nach dem KBGG Sozialrechtssachen sind (vgl OGH 21.4.2009, 10 ObS 43/09k; 10 ObS 58/09s). Bei Rechtsstreitigkeiten über die Rückforderung von – nach Ansicht des Krankenversicherungsträgers – zu Unrecht gezahlten Beträgen kann vom Kinderbetreuungsgeldbezieher – innerhalb von vier Wochen – eine Klage erhoben werden. Wird in einer Sozialrechtssache nach §65 Abs1 Z2 iVm Z8 ASGG eine Klage erhoben, so tritt der Bescheid des Krankenversicherungsträgers außer Kraft (§71 Abs1 ASGG). Das Arbeits- und Sozialgericht hat diesbezüglich eine neue Entscheidung zu treffen (vgl Wiederin, In allen Instanzen getrennt. Zum Verhältnis von Justiz und Verwaltung am Beispiel des strafprozessualen Vorverfahrens, ÖJZ 2011, 351 [355]).

2.3.1.3. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Arbeits- und Sozialrechtssachen hinsichtlich Zahlungserleichterungen (vgl OGH 15.12.1992, 10 ObS 156/92; OGH 21.4.2009, 10 ObS 43/09k; 10 ObS 58/09s; s. auch VfGH 11.12.2020, G264/2019 mwN; ferner hinsichtlich Stundungen OGH 22.1.2019, 10 ObS 133/18h) haben die Arbeits- und Sozialgerichte – unabhängig davon, ob der Bescheid über Zahlungserleichterungen abgesprochen hat – durch die Bestimmung des §89 Abs4 ASGG von Amts wegen die Möglichkeit, eine längere Leistungsfrist oder eine Ratenzahlung anzuordnen.

2.3.1.4. Aus §31 Abs4 letzter Satz KBGG ergibt sich eindeutig, dass es dem Krankenversicherungsträger verwehrt ist, bereits im Bescheid über die Rückforderung Ratenzahlungen anzuordnen. Auf Grund des systematischen Zusammenhanges von §31 Abs4 und Abs5 KBGG (vgl auch die Erläut RV 340 BlgNR 24. GP , 20; ferner bereits Erläut RV 229 BlgNR 23. GP , 7) setzt ein Bescheid, der über die Ratenzahlung abspricht, vielmehr einen rechtskräftigen Abspruch über das Bestehen eines Rückforderungsanspruches voraus, worauf auch die Bundesregierung in ihrer Äußerung zu Recht hinweist.

2.3.2. Daher enthalten Bescheide, mit denen die zu Unrecht gezahlten Kinderbetreuungsgeldbeträge zurückgefordert werden, keinen impliziten Abspruch darüber, dass der Krankenversicherungsträger von seinem Ermessen, Ratenzahlungen in den vorliegenden Fällen zu gewähren, nicht Gebrauch gemacht hat, weil er insofern – vor dem Hintergrund der Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse – keinen Anlass zur Anordnung von Ratenzahlungen gesehen hat (vgl VfGH 11.12.2020, G264/2019, e contrario). Vielmehr ist ein rechtskräftiger Abspruch über das Bestehen des Rückforderungsanspruches von zu Unrecht empfangener Kinderbetreuungsgeldbeträge erst Voraussetzung, um in weiterer Folge Zahlungserleichterungen anordnen zu können.

Vor diesem Hintergrund unterscheidet sich die vorliegende zu beurteilende Rechtslage maßgeblich von jener, die zur mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft tretenden Aufhebung bestimmter Wortfolgen des §89 Abs4 ASGG geführt hat, weshalb die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2020, G264/2019, nicht übertragbar ist. Die angefochtene Bestimmung des §31 Abs4 letzter Satz KBGG steht somit nicht im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip.

2.4. Die gleichheitsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes, die sich im Übrigen in einem Verweis erschöpfen, beziehen sich auf eine Rechtslage, die das Arbeits- und Sozialgericht Wien derzeit nicht anzuwenden hat, sodass dem Verfassungsgerichtshof ein Eingehen auf diese Bedenken verwehrt ist.

2.5. Entscheidung über die Anträge zu G160/2021, G183/2021, G304/2021 und G305/2021:

Da diese Anträge des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien den zu G108/2021 ua protokollierten Anträge gleichen, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG davon abgesehen, ein weiteres Verfahren in diesen Rechtssachen durchzuführen. Dies erfolgt in Hinblick darauf, dass die in den Verfahren über die Anträge zu G160/2021, G183/2021, G304/2021 und G305/2021 aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Entscheidung über die sonstigen Anträge des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien bereits geklärt sind.

V. Ergebnis

1. Die Anträge sind daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Den beteiligten Parteien sind die für die abgegebenen Äußerungen begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).

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