VfGH G81/12

VfGHG81/1223.11.2012

Zurückweisung eines weiteren Antrags des UVS Wien auf Aufhebung von Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 mangels Präjudizialität im Verfahren über eine Schubhaftbeschwerde bzw mangels präziser Darlegung der Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs2 Z8, §76 Abs4
VfGG §62 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs2 Z8, §76 Abs4
VfGG §62 Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (im Folgenden: UVS) stellte am 17. Oktober 2011 aus Anlass eines bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens gemäß Art140 Abs1 iVm Art129a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG den Antrag, die Bestimmungen des §76 Abs4 FPG, BGBl. I 100/2005, des §117 Abs1 bis 4 FPG, BGBl. I 100/2005, sowie des §30 Abs1 NAG, BGBl. I 100/2005, als verfassungswidrig aufzuheben, und zwar aufgrund des Bedenkens, dass die angefochtenen Bestimmungen gegen Art6, Art8 und Art13 EMRK verstießen, weil gemäß §76 Abs4 FPG ein vorliegendes Vertretungsverhältnis für den Fall der Zustellung nicht zu berücksichtigen sei, eine gesetzliche Anordnung, die eindeutig dem aus Art6 EMRK erfließenden Verteidigungsrecht und dem Recht auf eine wirksame Beschwerde widerspreche.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof wies diesen, zu

G120/11 protokollierten Antrag mit Beschluss vom 11. Juni 2012 als unzulässig zurück. Begründend führte der Gerichtshof aus, dass die §§117 Abs1 bis 4 FPG und 30 Abs1 NAG im Beschwerdeverfahren gegen die Anordnung der Schubhaft offenkundig nicht anzuwenden seien, da das Vorliegen einer Aufenthaltsehe iSd §30 NAG iVm §117 Abs1 bis 4 FPG allein von der Sicherheitsdirektion Wien zu prüfen sei. Diese habe die entsprechende Beurteilung mit Bescheid vom 20. August 2009 vorgenommen und ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot über die beteiligte - im Verfahren vor dem UVS beschwerdeführende - Partei verhängt. Aber auch soweit der antragstellende UVS die Vorschrift des §76 Abs4 FPG bekämpft, sei der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, da die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht in überprüfbarer Weise präzise dargelegt worden seien. Insbesondere könne dem Antrag nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, welche Gründe für die Annahme sprächen, dass die angefochtene Gesetzesbestimmung mit Art6 und 13 EMRK in Widerspruch stehen solle.

2. Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2012 stellte der UVS Wien anlässlich eines Verfahrens über die Beschwerde eines Schubhäftlings gemäß Art140 Abs1 iVm Art129a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG nunmehr neuerlich den (zu G81/12 protokollierten) Antrag, §76 Abs4 FPG sowie §53 Abs2 Z8 FPG, "beide idF Bundesgesetzblatt I Nr. 100/2005", als verfassungswidrig aufzuheben.

3. In diesem Antrag bringt der UVS Wien hinsichtlich §76 Abs4 FPG die gleichen Bedenken vor, die er bereits in dem zu G120/11 protokollierten Verfahren dargetan hat. Ergänzend führt er in diesem Zusammenhang Folgendes aus:

"Der antragstellende [Unabhängige] Verwaltungssenat Wien verkennt nicht, daß der (analog gehaltene Erst)- Antrag v 17.10.2011 zu G120/11-6, in Anlehnung an die Äußerung der Bundesregierung vom 20.12.2011, GZ BKA-604.279/0003-V/5/2011, am 11. Juni 2012 zurückgewiesen wurde" und dass "der zit. Äußerung der Bundesregierung in weiten Bereichen diesbzgl zu folgen war".

II. Rechtslage

1. §76 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG), in der Stammfassung BGBl. I 100/2005, lautet wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Schubhaft

§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß §10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn [...]

[...]

(4) Hat der Fremde einen Zustellungsbevollmächtigten, so gilt die Zustellung des Schubhaftbescheides auch in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem eine Ausfertigung dem Fremden tatsächlich zugekommen ist. Die Zustellung einer weiteren Ausfertigung an den Zustellungsbevollmächtigten ist in diesen Fällen unverzüglich zu veranlassen.

[...]

(7) Die Anordnung der Schubhaft kann mit Beschwerde gemäß §82 angefochten werden."

2. §53 FPG lautete in der Stammfassung BGBl. I

100/2005 wie folgt:

"Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel

§53. (1) Fremde können mit Bescheid ausgewiesen

werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

(2) Fremde, die weder über einen Aufenthaltstitel verfügen, noch Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit (§§21 Abs8 und 30 Abs1) genießen, sind, sofern nicht die Voraussetzungen zur Verhängung eines Aufenthaltsverbots vorliegen, mit Bescheid auszuweisen, wenn sie

1. von einem Strafgericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat, wenn auch nicht rechtskräftig, verurteilt wurden;

2. innerhalb von drei Monaten nach der Einreise bei der Begehung einer Vorsatztat auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung der Vorsatztat glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt wurden, wenn überdies die strafbare Handlung mit beträchtlicher Strafe bedroht ist und eine Erklärung des zuständigen Staatsanwaltes vorliegt, dem Bundesminister für Justiz gemäß §74 ARHG berichten zu wollen;

3. innerhalb von drei Monaten nach der Einreise gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, verstoßen haben;

4. innerhalb von drei Monaten nach der Einreise den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen oder

5. innerhalb von drei Monaten nach der Einreise von einem Organ der Zollbehörde, der regionalen Geschäftsstellen oder der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten werden, die sie nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätten dürfen.

(3) Einer Betretung gemäß Abs2 Z5 kommt die Mitteilung einer Zollbehörde oder einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Unzulässigkeit der Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gleich, sofern der Fremde bei dieser Beschäftigung von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes betreten worden ist."

3. §53 FPG in der Fassung BGBl. I 38/2011 lautet auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Einreiseverbot

§53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung wird ein Einreiseverbot unter Einem erlassen. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs1 ist, vorbehaltlich des Abs3, für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art8 Abs2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

[...]

8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art8 EMRK nicht geführt hat oder

[...]"

III. Erwägungen

Der Antrag ist nicht zulässig.

1. Ein Antrag nach Art140 Abs1 B-VG hat gemäß §62

Abs1 Satz 1 VfGG stets das Begehren zu enthalten, das - nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige - Gesetz seinem "ganzen Inhalte nach" oder in "bestimmte(n) Stellen" aufzuheben. Um die strengen Formerfordernisse des ersten Satzes des §62 Abs1 VfGG zu erfüllen, müssen - wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat - die bekämpften Stellen des Gesetzes genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschriften oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich der Aufhebung verfallen soll (vgl. dazu mwN VfSlg. 15.775/2000, 16.340/2001, 18.175/2007).

2. Hinsichtlich jenes Teiles des Antrages, der sich auf §76 Abs4 FPG bezieht, ist diese Voraussetzung jedenfalls erfüllt. Doch auch für den §53 Abs2 Z8 FPG betreffenden Teil des Antrages liegt das in §62 Abs1 Satz 1 VfGG vorgeschriebene Formerfordernis vor. Zwar wird hier die Aufhebung des §53 Abs2 Z8 FPG "idF Bundesgesetzblatt I Nr. 100/2005" begehrt und hat §53 FPG in der Stammfassung gerade keine Z8 enthalten. Angesichts der wörtlichen Wiedergabe des §53 Abs2 Z8 FPG in der Fassung BGBl. I 38/2011 geht aber auch hier aus dem Antrag in Verbindung mit dessen Begründung mit hinreichender Deutlichkeit hervor, auf welche Fassung dieser Vorschrift sich der antragstellende UVS bezogen hat.

3. Es ist aber auch im vorliegenden Fall offenkundig ausgeschlossen, dass der UVS die Bestimmung des §53 Abs2 Z8 FPG bei der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Anordnung der Schubhaft anzuwenden hat, da diese Vorschrift allein in Verfahren betreffend die Erteilung eines Einreiseverbotes zur Anwendung gelangen kann. Soweit also die Bestimmung des §53 Abs2 Z8 FPG angefochten wird, ist der Antrag bereits aus diesem Grund unzulässig.

4. Soweit die Bestimmung des §76 Abs4 FPG angefochten wird, ist der Antrag ebenfalls unzulässig:

4.1. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag gemäß Art140 B-VG die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit sind präzise zu umschreiben, die Bedenken sind schlüssig und überprüfbar darzulegen (VfSlg. 11.888/1988, 12.223/1989). Das Fehlen solcher Darlegungen führt zur sofortigen Zurückweisung des Antrages (VfSlg. 11.970/1989, 12.564/1990, 13.571/1993, 15.877/2000).

4.2. Dieses Erfordernis erfüllt der vorliegende

Antrag des UVS - gleich wie jener zu G120/11 protokollierte Antrag, der vom Verfassungsgerichtshof bereits mit Beschluss vom 11. Juni 2012 als unzulässig zurückgewiesen worden ist - nicht: Indem der UVS die Begründung des zu G120/11 protokollierten Antrages übernommen hat und in diesem Zusammenhang auch selbst von einem "analog gehalten[en]" Antrag spricht, legt er erneut die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht in überprüfbarer Weise präzise dar und kann dem Antrag erneut nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, welche Gründe für die Annahme sprechen, dass die angefochtene Gesetzesbestimmung mit Art6 und Art13 EMRK in Widerspruch stehen soll.

Auch der auf die Aufhebung des §76 Abs4 FPG

abzielende Antrag ist daher auf Grund eines nicht verbesserungsfähigen Mangels als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass darauf einzugehen ist, ob die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 litc und e VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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