Normen
AuskunftspflichtG 1987;
AVG §17 Abs1 idF 1982/199;
AVG §17 Abs3 idF 1982/199;
AVG §17 Abs4;
AVG §17 idF 1982/199;
AVG §17;
AVG §56;
AVG §63 Abs2;
AVG §8;
B-VG Art20 Abs4;
IO §2 Abs2;
IO §275 Abs1 Z23;
IO §3 Abs1;
IO §6 Abs2;
IO §6;
IO §7 Abs2;
IO §7;
IO §81a Abs2;
IO §81a;
IRÄG 2010;
KO §1 Abs1;
KO §6 Abs3;
KO §7 Abs1;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 24. November 2011 hat die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur den Antrag des beschwerdeführenden Masseverwalters im Konkurs über das Vermögen des Schuldners M vom 6. September 2011 auf Einsicht in den Akt des Stadtschulrates für Wien betreffend das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren über die Anzeige der Beschäftigung von Frau S. als Lehrerin an der vom Schuldner geführten Privatschule gemäß § 17 AVG abgewiesen.
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass der Antragsteller vorgebracht habe, das Verwaltungsverfahren betreffend die Anzeige der Beschäftigung einer Lehrerin habe Einfluss auf die Höhe der zivilrechtlichen Forderungen dieser Lehrerin gegen den Schuldner. Dem Beschwerdeführer komme als Masseverwalter die Aufgabe zu, alle zur Konkursmasse gehörenden Ansprüche zu überprüfen und unberechtigte Ansprüche abzuwehren.
Die Privatschule des Schuldners sei - so die belangte Behörde - nicht mehr existent. Das Verfahren betreffend die Anzeige der Beschäftigung einer Lehrerin in dieser Schule könne daher auch nach allfälliger Bewilligung der Wiederaufnahme nicht mehr fortgesetzt werden. Das Recht einer Verfahrenspartei auf Einsichtnahme in die Akten eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens setze nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das Erkenntnis vom 6. September 2011, Zl. 2011/05/0072) voraus, dass die Einsicht den Zweck verfolge, diese rechtskräftig abgeschlossene - und nicht eine andere - Sache zu betreiben. Die Akteneinsicht könne daher etwa für die Stellung eines Antrages auf Wiederaufnahme oder für die Beschwerdeeinbringung bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts gewährt werden. Da der gegenständliche Antrag zur Vorbereitung eines oder mehrerer zivilrechtlicher Verfahren dienen solle, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten verstärkten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer ist nach seinem von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogenen Vorbringen vom Handelsgericht Wien in dem am 19. August 2010 eröffneten Konkursverfahren über das Vermögen des Schuldners M zum Masseverwalter bestellt worden. Somit handelt es sich um ein Konkursverfahren im Sinn von § 180 Abs. 1 Insolvenzordnung - IO, RGBl. Nr. 337/1914 in der Fassung des gemäß § 273 Abs. 1 IO auf nach dem 30. Juni 2010 eröffnete Insolvenzverfahren anzuwendenden Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 - IRÄG 2010, BGBl. I Nr. 29. In einem solchen Verfahren kommt dem Schuldner - anders als im Sanierungsverfahren gemäß § 167 IO - nicht die Eigenverwaltung gemäß § 169 ff IO zu.
Nach der hg. Judikatur zur Konkursordnung (KO) idF vor der Novellierung (und Umbenennung in Insolvenzordnung) durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 vertritt der Masseverwalter die Gemeinschuldnerin (nunmehr: Schuldnerin; siehe § 275 Abs. 1 Z. 23 IO) auch im Verwaltungsverfahren, "wenn die Masse betroffen ist". Nur der Masseverwalter ist insofern auch zur Erhebung von Rechtsmitteln berechtigt. Während der Anhängigkeit des Konkurses können gemäß § 6 Abs. 3 KO nur Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Konkursmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen, insbesondere über Ansprüche auf persönliche Leistungen des Gemeinschuldners, vom Gemeinschuldner selbst anhängig gemacht und fortgesetzt werden. Bereits anhängige Verwaltungsverfahren werden zwar nicht von der Unterbrechungswirkung des § 7 Abs. 1 KO (betreffend alle "anhängigen Rechtsstreitigkeiten", worunter nur zivilrechtliche Verfahren zu verstehen sind) umfasst, doch endet die Prozessfähigkeit des Gemeinschuldners auch für diese Verfahren mit der Eröffnung des Konkurses, soweit es sich nicht um Verfahren handelt, die im vorstehenden Sinn die Masse nicht betreffen ("das zur Konkursmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen"). Partei in solchen Verfahren ist ebenfalls der Masseverwalter. Damit kommt aber die Vertretungsbefugnis hinsichtlich einer allfälligen Akteneinsicht in solchen Verwaltungsverfahren dem Masseverwalter zu (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Februar 2005, Zl. 2004/17/0173, und vom 7. Dezember 2006, Zl. 2005/07/0172, je mit ausführlichen Hinweisen auf Literatur und Judikatur sowie die bei Mohr, Insolvenzordnung11 (2012) E 75 ff zu § 7 und E 154 ff zu § 81a zitierte weitere hg. Judikatur). Auch das Recht der Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof kommt in solchen Fällen nur dem Masseverwalter zu (vgl. die bei Mohr, aaO, E 158 zu § 81a zitierte hg. Judikatur).
Eine inhaltliche Änderung der für diese Judikatur maßgeblichen Bestimmungen der KO ist durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 nicht eingetreten (siehe insbesondere § 2 Abs. 2 IO über die Entziehung des Vermögens aus der freien Verfügung des Schuldners (früher § 1 Abs. 1 KO), § 3 Abs. 1 über die Unwirksamkeit von Rechtshandlungen des Schuldners, §§ 6 und 7 über die Wirkung der Insolvenzeröffnung in Ansehung von Rechtsstreitigkeiten sowie § 81a Abs. 2 über die Verpflichtung des Insolvenz- bzw. Masseverwalters zur Führung von die Masse betreffenden Rechtsstreitigkeiten).
Die - von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogene - Parteistellung des Masseverwalters im gegenständlichen Verfahren betreffend die Gewährung von Akteneinsicht in die Akten des Verfahrens über die Anzeige der Beschäftigung einer Lehrerin in der vom Schuldner geführten Privatschule - wobei es sich nicht um ein Verfahren handelt, das das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen im obigen Sinn "überhaupt nicht betrifft" - ist daher gegeben.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Februar 2005, Zl. 2004/17/0173, ein Antrag einer Partei auf Einsichtnahme in die Akten eines abgeschlossenen Verfahrens keiner Begründung bedürfe. Die Behörde habe nicht zu prüfen, aus welchen Gründen eine Partei Akteneinsicht begehre. Im vorliegenden Fall werde mit der begehrten Akteneinsicht der Zweck verfolgt, die im Konkurs angemeldeten zivilrechtlichen Forderungen jener Lehrerin zu prüfen, deren Beschäftigung in dem Verfahren, in dessen Akten Einsicht begehrt werde, untersagt worden sei, die aber tatsächlich bis zur Konkurseröffnung für den Schuldner gearbeitet habe. Dazu sei die Frage, ob die Beschäftigung dieser Lehrerin zu Recht untersagt worden sei, präjudiziell. Überdies könnten sich aus dem Verwaltungsakt "(amts-)haftungsrechtliche Konsequenzen" für den Stadtschulrat für Wien ergeben. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde könne von einer Partei nicht verlangt werden, vorab die Gründe für die begehrte Akteneinsicht darzulegen, sei doch erst nach Einsichtnahme eine abschließende Beurteilung der Rechtsfolgen möglich. Letztlich sei auch die Auffassung der belangten Behörde unrichtig, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Anzeige der Beschäftigung von Frau S. als Lehrerin bei der vom Gemeinschuldner geführten Privatschule nicht mehr möglich sei, hätte eine derartige Wiederaufnahme doch Auswirkungen auf die zivilrechtliche Beurteilung der Ansprüche dieser Lehrerin aus dem bereits beendeten Dienstverhältnis.
§ 17 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51(WV) in der hier maßgeblichen (aktuellen) Fassung BGBl. I Nr. 5/2008, hat folgenden Wortlaut:
"Akteneinsicht
§ 17. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden.
(2) Allen an einem Verfahren beteiligten Parteien muss auf Verlangen die Akteneinsicht in gleichem Umfang gewährt werden.
(3) Von der Akteneinsicht sind Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.
(4) Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht ist kein Rechtsmittel zulässig."
Das von § 17 AVG eingeräumte subjektive Recht auf Einsicht in die Akten eines Verwaltungsverfahrens soll den Parteien die Möglichkeit geben, sich durch unmittelbaren Einblick in die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens selbst eine Meinung zu bilden und dadurch genaue Kenntnis vom Gang des Verfahrens und von den Entscheidungsgrundlagen der Behörde zu erlangen. Dieses Recht steht somit in engem Zusammenhang mit dem Recht auf Gehör. Es steht nur den Parteien des Verwaltungsverfahrens, in dessen Akten Einsicht genommen werden soll, zu (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts9 (2011) Rz 177, Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5 (2009), S. 128 f, Hengstschläger/Leeb, AVG-Kommentar (2004) Rz 2 zu § 17, und die jeweils dort angeführte hg. Judikatur), auch den sogenannten übergangenen Parteien (bereits vor der Erhebung von Einwendungen, die die Wiedererlangung der Parteistellung bewirken, vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 1998, Zl. 98/06/0058, VwSlg. 15029 A/1998; siehe dazu auch bereits das hg. Erkenntnis vom 7. Juni 1971, Zl. 2005/70) und Formalparteien (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1999, Zl. 97/04/0230,VwSlg. 15183 A/1999), nicht aber den Parteien eines anderen Verfahrens, für deren Rechtsverfolgung die Einsicht in die Akten eines Verfahrens, in dem sie nicht Partei sind (bzw. waren), von Bedeutung wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. Oktober 1961, Zl. 875/59, VwSlg. 5649 A/1961 (verstärkter Senat), vom 5. Juli 1973, Zl. 144/73, VwSlg. 8444 A/1973, und vom 22. Februar 1999, Zl. 98/17/0355).
Das Recht auf Auskunft gemäß Art. 20 Abs. 4 B-VG und den Auskunftspflichtgesetzen des Bundes und der Länder räumt nach der ständigen hg. Judikatur keinen Anspruch auf Akteneinsicht ein (vgl. auch dazu das Erkenntnis vom 22. Februar 1999, Zl. 98/17/0355, sowie etwa die Erkenntnisse vom 25. November 2008, Zl. 2007/06/0084, vom 27. Februar 2009, Zl. 2008/17/0151, und vom 8. Juni 2011, Zl. 2009/06/0059).
Aus § 17 Abs. 4 AVG ergibt sich, dass die Verweigerung der Akteneinsicht gegenüber den Parteien eines anhängigen Verfahrens eine Verfahrensanordnung im Sinn von § 63 Abs. 2 AVG darstellt, deren Rechtswidrigkeit erst mit dem Rechtsmittel gegen den das Verfahren abschließenden Bescheid geltend gemacht werden kann. Ist hingegen über das Akteneinsichtsbegehren einer Person abzusprechen, der im laufenden Verwaltungsverfahren Parteistellung nicht zukommt oder deren Parteistellung sich auf ein bereits abgeschlossenes Verfahren bezogen hat, oder ist das betreffende Verwaltungsverfahren nicht mit Bescheid abzuschließen, so hat die Verweigerung der Akteneinsicht durch einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erfolgen, der im Instanzenzug bekämpft werden kann (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. September 1957, Zl. 192/54, VwSlg. 4421 A/1957, vom 29. August 2000, Zl. 97/05/0334, VwSlg. 15480 A/2000, vom 18. März 2003, Zl. 2002/11/0259, und vom 27. Februar 2009, Zl. 2008/17/0019, VwSlg. 17639 A/2009, sowie den hg. Beschluss vom 30. September 2011, Zl. 2007/11/0210).
Da das Verfahren über die Anzeige der Beschäftigung einer Lehrerin in der Privatschule des Schuldners bereits abgeschlossen ist, hat die belangte Behörde für die Abweisung des Begehrens des Beschwerdeführers, in die Akten dieses Verfahrens Einsicht zu nehmen, zu Recht die Form des Bescheides gewählt.
§ 17 AVG hatte in der Stammfassung BGBl. Nr. 274/1925 folgenden Wortlaut:
"§ 17. (1) Die Behörde hat, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist.
(2) Von der Akteneinsicht ausgenommen sind Beratungsprotokolle, Amtsvorträge, Erledigungsentwürfe und sonstige Schriftstücke (Mitteilungen anderer Behörden, Meldungen, Berichte u.dgl.), deren Einsichtnahme durch die Parteien eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.
(3) Allen an einem Verfahren beteiligten Parteien muss auf Verlangen die Akteneinsicht in gleichem Umfang gewährt werden.
(4) Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht ist kein Rechtsmittel zulässig."
Dieser Wortlaut wurde auch in die Wiederverlautbarung 1950, BGBl. Nr. 172, übernommen.
Nach dieser Rechtslage war somit das Recht auf Akteneinsicht für die Parteien insofern beschränkt, als die Einsicht nur zu gewähren war, soweit die Kenntnis des Akteninhalts zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen - in jenem Verfahren, in dessen Akten eingesehen werden soll (Ledl, Die Vorlage von Verwaltungsakten an Gerichte zu Beweiszwecken, ÖJZ 1952, 509) - erforderlich war (vgl. etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis, VwSlg. 8444 A/1973).
Nach Mannlicher, Das Verwaltungsverfahren7 (1964), Anmerkung 1 zu § 17 AVG, hält das Gesetz mit dieser Regelung "die Mitte zwischen den in ihren Folgen sehr bedenklichen Bestrebungen nach Gestattung einer der Allgemeinheit offenstehenden Akteneinsicht und der der Vergangenheit angehörenden Vorstellung, dass die Akten ein Reservat der Verwaltungsbehörden seien".
Nach der Judikatur zu dieser Bestimmung stand das Recht auf Akteneinsicht auch den Parteien eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu (siehe insbesondere das Erkenntnis des Bundesgerichtshofes vom 18. Dezember 1937, Zl. A 673/37, sowie das bereits zitierte hg. Erkenntnis VwSlg. 4421 A/1957), dies jedoch nur, wenn die Aktenkenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen in jenem Verfahren diente, in dessen Akten Einsicht begehrt wurde (vgl. Mannlicher, aaO, sowie das zitierte Erkenntnis des Bundesgerichtshofes vom 18. Dezember 1937, in welchem dieser Gerichtshof darauf verweist, dass eine Partei auch nach Abschluss eines Verfahrens "noch ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht haben (kann), so z. B. wegen allfälliger Stellung eines Wiederaufnahmeantrags").
Durch die Novelle BGBl. Nr. 199/1982 erhielt § 17 AVG folgende Fassung:
"§ 17. (1) Die Behörde hat, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, den Parteien Einsicht in die ihre Sache betreffenden Akten oder Aktenteile zu gestatten; die Parteien können sich davon an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten auf ihre Kosten Kopien anfertigen lassen.
(2) Allen an einem Verfahren beteiligten Parteien muss auf Verlangen die Akteneinsicht in gleichem Umfang gewährt werden.
(3) Von der Akteneinsicht sind Beratungsprotokolle, Amtsvorträge und Erledigungsentwürfe ausgenommen. Sonstige Aktenbestandteile (Mitteilungen anderer Behörden, Meldungen, Berichte und dergleichen) sind von der Akteneinsicht ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörden herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.
(4) Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht ist kein Rechtsmittel zulässig."
Die nachfolgenden Änderungen dieser Bestimmung brachten den Entfall der Unterscheidung in absolute und relative Ausnahmen von der Akteneinsicht durch eine Umformulierung des Abs. 3 mit der Novelle BGBl. Nr. 357/1990, die Einfügung und mehrmalige Änderung eines zweiten Satzes in den Abs. 1 betreffend die Form der Akteneinsicht bei elektronischer Aktenführung (Verwaltungsreformgesetz 2001, BGBl. I Nr. 65/2002:
"automationsunterstützt", E-Government-Gesetz, BGBl. I Nr. 10/2004: "über das Internet"; Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl. I Nr. 5/2008: "in jeder technisch möglichen Form") sowie eine - in der Regierungsvorlage, 294 BlgNR XXIII. GP, nicht erläuterte - sprachliche Umgestaltung des ersten Satzes von Abs. 1 mit dem bereits zitierten Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007.
Zur Novelle BGBl. Nr. 199/1982 wird in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 160 BlgNR XV. GP, 6 f, Folgendes ausgeführt:
"Wie die unter Ziffer 4 vorgeschlagene Regelung (betreffend die Einfügung von § 13a AVG; Anmerkung des VwGH) steht auch die Neuregelung der Akteneinsicht im Interesse des Rechtsschutzes der Parteien.
Das im § 17 Abs. 1 AVG 1950 vorgesehene Recht der Akteneinsicht wurde durch die vorgeschlagene Neufassung in sprachlicher Hinsicht vereinfacht und gleichzeitig erweitert.
Was die sprachliche Vereinfachung betrifft, so ist davon auszugehen, dass das bestehende Recht auf Akteneinsicht nicht beeinträchtigt oder vermindert werden soll. Die sprachlich komplizierte Fassung des derzeit geltenden § 17 Abs. 1 AVG 1950 wurde lediglich vereinfacht, ohne den materiellen Inhalt der Bestimmung zu ändern. Die Beschränkung, die durch die Formulierung 'deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist' umschrieben wird, kann als verzichtbar angesehen werden. Es ist dies eine Frage, die nicht der Beurteilung durch die Behörde obliegen soll. Die Partei soll vielmehr das Recht haben, die Akten und Aktenteile, die sich auf ihre Sache beziehen, unabhängig davon, ob ihre Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist oder nicht - in der Regel wird diese Voraussetzung ohnehin gegeben sein -, einzusehen. Ausnahmen regelt der mit dem ursprünglichen Abs. 2 des § 17 vergleichbare Abs. 4 (Abs. 3 des Gesetz gewordenen Textes, Anmerkung des VwGH).
Während derzeit im § 17 Abs. 1 der Partei nur das Recht eingeräumt ist, sich Abschriften von Akten selbst zu machen, soll im Interesse der Partei die Möglichkeit gegeben werden, dass sie Kopien durch die Behörde selbst herstellen lassen kann. …"
Auch zu dieser Gesetzeslage hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 12. Oktober 1987, Zl. 87/12/0140, VwSlg. 12.553 A/1987, die dargestellte Judikatur, wonach der Rechtsanspruch der Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens auf Akteneinsicht voraussetzt, dass die Einsicht der Rechtsverfolgung in diesem abgeschlossenen Verfahren - etwa durch Stellung eines Wiederaufnahmeantrags oder Erhebung einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts - dient, unter Zitierung des Erkenntnisses des Bundesgerichtshofes vom 18. Dezember 1937, Zl. A 673/37, aufrecht erhalten. Nach der Begründung dieses Erkenntnisses habe die dort belangte Behörde dem Sinn des Gesetzes dadurch Rechnung getragen, dass sie die Wortfolge "… in die ihre Sache betreffenden …" in § 17 Abs. 1 erster Halbsatz AVG nur "bezogen auf die durch den Inhalt des Bescheidspruches abgesteckte Angelegenheit" gesehen habe und somit zum Ergebnis gekommen sei, dass ein Recht auf Akteneinsicht einer Partei ausschließlich bei der Rechtsverfolgung in ihrer den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht genommen werden soll, bildenden Sache zukomme. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde einer Partei eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens betreffend die Rückzahlung von Haushaltszulage gegen die Abweisung ihres zum Zweck der Erstattung einer Disziplinaranzeige gegen einen Rechtsanwalt und Geltendmachung allfälliger zivilrechtlicher Ansprüche gestellten Antrages auf Einsicht in die Akten dieses Verwaltungsverfahrens abgewiesen.
Ausgehend von diesem Erkenntnis sprach der Verwaltungsgerichtshof in seiner überwiegenden Judikatur aus, dass das Recht auf Einsicht in die Akten eines (abgeschlossenen) Verfahrens einer Partei nur zum Zweck der Rechtsverfolgung in der Sache zukommt, die den Gegenstand des abgeschlossenen Verfahrens bildet. Die Akteneinsicht muss also im konkreten Fall den Zweck verfolgen, diese rechtskräftig abgeschlossene - und nicht eine andere - Sache zu betreiben. Daher steht die Akteneinsicht den Parteien etwa wegen allfälliger Stellung eines Wiederaufnahmeantrages oder Erhebung einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu, nicht aber z.B. um zivilrechtliche Ansprüche oder sonstige außerhalb des ursprünglichen Verfahrensgegenstandes gelegene Rechte geltend machen zu können (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 2. Juli 1997, Zl. 95/12/0219, VwSlg. 14717 A/1997, vom 10. Februar 1999, Zl. 96/09/0097, sowie aus jüngster Zeit neben dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 6. September 2011, Zl. 2011/05/0072, etwa die Erkenntnisse vom 6. September 2011, Zl. 2011/05/0120, und vom 28. Februar 2012, Zl. 2012/09/0002).
Diese Judikatur wird von
Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, aaO Rz 177, FN 139, als "bedenklich restriktiv" bezeichnet.
Im Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0778, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass das Recht auf Akteneinsicht ein wesentliches prozessuales Recht der Partei eines (abgeschlossenen) Verfahrens darstelle und im Wesentlichen nur von § 17 Abs. 3 AVG beschränkt werde.
Im Erkenntnis vom 20. November 2003, Zl. 2002/09/0093, VwSlg. 16225 A/2003, hat der Verwaltungsgerichtshof zwar die überwiegende Judikatur zitiert, nach der das Recht auf Akteneinsicht der Partei nach Abschluss des Verfahrens "z.B. im Hinblick auf die Stellung eines Wiederaufnahmeantrages" zusteht, jedoch dann unter Zitierung des oben wiedergegebenen Rechtssatzes aus dem Erkenntnis zur Zl. 95/19/0778 ausgeführt, dem Gesetz sei nicht zu entnehmen, dass das Recht auf Akteneinsicht nur bei Darlegung eines "hinreichend dokumentierten Informationsinteresses" bestehe.
Mit dem bereits zitierten Erkenntnis vom 21. Februar 2005, Zl. 2004/17/0173, hat der Verwaltungsgerichtshof über die Beschwerde des Masseverwalters einen Bescheid, mit dem die Einsicht in die Akten eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens der Finanzmarktaufsicht, in dem der Gemeinschuldnerin Parteistellung zukam, verweigert worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben. Die dort belangte Behörde hatte ihren Bescheid im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Masseverwalter mit seinem Vorbringen, die Akteneinsicht zur Geltendmachung allfälliger Amtshaftungsansprüche bzw. zur Information der Konkursgläubiger über Versäumnisse der Finanzmarktaufsicht zu benötigen, weder ein rechtliches Interesse der Gemeinschuldnerin noch des Masseverwalters selbst geltend gemacht habe.
In der Begründung dieses Erkenntnisses führte der Verwaltungsgerichtshof (u.a.) Folgendes aus:
"Stellt eine Partei des Verfahrens (wenn auch nach Abschluss des Verfahrens) den Antrag auf Akteneinsicht, so ist sie - entgegen der ebenfalls implizit von der belangten Behörde zu Grunde gelegten Rechtsansicht - nicht gehalten, eine Begründung für ihren Antrag zu geben. Es ist daher nicht entscheidend, ob eine bestimmte Information der Gemeinschuldnerin (der Verfahrenspartei) 'zu Gute' käme, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid formuliert. Die Behörde hat, wenn die Parteistellung gegeben ist, nicht weiter zu prüfen, aus welchen Gründen Akteneinsicht begehrt wird. Hiezu ist insbesondere auf den Entfall der Wortfolge 'deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist' in § 17 Abs. 1 durch die Novelle BGBl. Nr. 199/1982, hinzuweisen. …"
Weiters verweist der Verwaltungsgerichtshof hiezu auf die oben zitierten Materialien zur Novelle BGBl. Nr. 199/1982.
Damit ist der Verwaltungsgerichtshof von der oben dargestellten überwiegenden Judikatur - ohne auf diese ausdrücklich einzugehen - abgewichen.
Da somit die hier gegenständliche Frage, unter welchen Voraussetzungen einer Partei eines (abgeschlossenen) Verfahrens Akteneinsicht zu gewähren ist, in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird, hat der Verwaltungsgerichtshof den Beschluss gefasst, dass der Grund für die Befassung eines verstärkten Senats gemäß § 13 Abs. 1 Z. 2 VwGG vorliegt.
Aus folgenden Gründen ist der vom Verwaltungsgerichtshof im soeben zitierten Erkenntnis vom 21. Februar 2005, Zl. 2004/17/0173, vertretenen Auffassung der Vorzug zu geben, wonach einer Partei eines (wenn auch bereits abgeschlossenen) Verfahrens Akteneinsicht ohne Rücksicht darauf zu gewähren ist, zu welchem Zweck die Einsicht begehrt wurde:
Mit der Novelle BGBl. Nr. 199/1982 wurde § 17 Abs. 1 AVG dahin geändert, dass die Wortfolge "deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist" entfiel, die Möglichkeit der Akteneinsicht durch Anfertigung von Kopien durch die Behörde eingeführt und die Bestimmung sprachlich neu gefasst wurde. Nach den Materialien (RV 160 BlgNR XV. GP, 6 f) erfolgte die Neuregelung der Akteneinsicht - ebenso wie die Einführung der Manuduktionspflicht mit § 13a AVG - "im Interesse des Rechtsschutzes der Parteien". Die Beschränkung der Akteneinsicht, die durch die Wortfolge "deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist" umschrieben werde, könne "als verzichtbar angesehen werden". Ob die Kenntnis der Akten für die Rechtsverfolgung oder Verteidigung durch die Partei erforderlich sei, sei eine Frage, "die nicht der Beurteilung durch die Behörde obliegen soll". Die Partei solle vielmehr das Recht haben, die Akten und Aktenteile, die sich auf ihre Sache beziehen, unabhängig davon einzusehen, ob ihre Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich sei oder nicht.
Somit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers die Beschränkung der Akteneinsicht auf solche Akten bzw. Aktenteile, deren Kenntnis für die Partei zur Rechtsverfolgung bzw. - verteidigung notwendig sind, entfallen und den Parteien die Akteneinsicht - unter den sonstigen Beschränkungen - unabhängig davon eingeräumt werden, zu welchem Zweck sie benötigt wird.
Aus der - ebenfalls mit der Novelle BGBl. Nr. 199/1982 eingeführten - Wortfolge "in die ihre Sache betreffenden" (Akten oder Aktenteile) kann entgegen der dargestellten überwiegenden Judikatur nicht geschlossen werden, dass das Recht auf Akteneinsicht einer Partei nur zum Zweck der Rechtsverfolgung in der den Gegenstand des (abgeschlossenen) Verfahrens bildenden Sache zukommt.
Zunächst steht dem schon der klare Wortlaut entgegen, wonach durch diese Passage lediglich normiert wird, in welche Akten bzw. Aktenteile Einsicht genommen werden darf, nicht aber, welchem Zweck die Akteneinsicht zu dienen hat.
Nach den zitierten Materialien bewirkt die "sprachliche Vereinfachung" von § 17 Abs. 1 AVG, in deren Zug es zur Einführung dieser Wortfolge kam, keine Änderung des materiellen Gehalts dieser Bestimmung, insbesondere sollte dadurch "das bestehende Recht auf Akteneinsicht nicht beeinträchtigt oder vermindert werden". Diese Wortfolge dahin auszulegen, dass sie eine Einschränkung des Rechts auf Akteneinsicht im Sinne der dargestellten überwiegenden Judikatur bewirkt, würde daher auch dem Willen des Gesetzgebers widersprechen, der mit derselben Novelle die Beschränkung des Rechts auf Akteneinsicht auf solche Akten oder Aktenteile, die für die Rechtsverfolgung oder - verteidigung erforderlich sind, ausdrücklich beseitigt hat und im Übrigen das Recht auf Akteneinsicht nicht beschränken wollte.
Die Verwendung der Wortfolge "in die ihre Sache betreffenden Akten oder Aktenteile" in § 17 Abs. 1 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 199/1982 erfolgte offensichtlich auch in Abgrenzung zu der in der Regierungsvorlage zu dieser Novelle vorgesehenen - jedoch nicht Gesetz gewordenen - Bestimmung des § 17 Abs. 3 AVG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch nicht als Parteien beteiligten Personen ein Recht auf Einsicht in die Akten "eines Verwaltungsverfahrens" zukommen sollte.
Somit kommt das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 17 AVG den Parteien eines anhängigen oder abgeschlossenen Verfahrens - unter den sonstigen Beschränkungen - unabhängig davon zu, zu welchem Zweck sie die Akteneinsicht begehrt haben. Die Partei ist daher auch nicht verpflichtet zu begründen, zu welchem Zweck sie Akteneinsicht benötigt.
Eine Beschränkung des Rechts auf Akteneinsicht kann sich gemäß § 17 Abs. 1 AVG aus dem betreffenden Materiengesetz ("soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist") bzw. gemäß § 17 Abs. 3 leg. cit. zur Wahrung der dort genannten Interessen ergeben. Darauf, dass die vorliegend begehrte Akteneinsicht einer derartigen Beschränkung unterliege, hat sich die belangte Behörde jedoch nicht berufen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 22. Oktober 2013
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