VwGH 2011/05/0072

VwGH2011/05/00726.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, in der Beschwerdesache von 1. A M und 2. E P, beide in O, beide vertreten durch List Rechtsanwälte GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen den Gemeinderat der Gemeinde O, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht über einen Antrag auf Akteneinsicht in einer Bausache, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §17;
B-VG Art132;
VwGG §27;
AVG §17;
B-VG Art132;
VwGG §27;

 

Spruch:

Gemäß § 42 Abs. 4 letzter Satz VwGG in Verbindung mit § 73 Abs. 2 AVG wird der Antrag der beschwerdeführenden Parteien vom 17. Mai 2009 (wiederholt mit Schreiben vom 10. Juni 2009 und vom 2. August 2010) auf Einsicht in den Baubewilligungsakt betreffend die Liegenschaft O 29, GstNr. 1471/3, EZ. 463, KG O, abgewiesen.

Die Gemeinde O hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 773,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Eigentümer des Grundstücks O 27. Mit Schreiben vom 17. Mai 2009, vom 10. Juni 2009 und vom 2. August 2010 begehrten sie vom Bürgermeister Einsicht in die baubehördlichen Akten betreffend die auf der Nachbarliegenschaft O 29 bestehenden bewilligungspflichtigen Gebäude. Im letzten der drei genannten Schreiben war ein förmlicher Antrag auf Akteneinsicht bzw. bescheidmäßige Erledigung gestellt worden. Nachdem der Bürgermeister unstrittig weder Akteneinsicht gewährt noch über das diesbezügliche Begehren entschieden hatte, stellten die beschwerdeführenden Parteien am 18. Oktober 2010 einen Devolutionsantrag, über den die belangte Behörde nicht entschieden hat; vielmehr war - wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt - den beschwerdeführenden Parteien über die Volksanwaltschaft die Rechtsansicht der belangten Behörde mitgeteilt worden, sie hätten kein Recht auf Akteneinsicht.

In der am 27. April 2011 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Säumnisbeschwerde machen die beschwerdeführenden Parteien die Verletzung der Entscheidungspflicht bezüglich ihres Devolutionsantrages geltend.

Am 3. Mai 2011 trug der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG auf, den versäumten Bescheid binnen drei Monaten zu erlassen und eine Abschrift desselben sowie eine Kopie des Zustellnachweises dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege, und dazu die Verwaltungsakten vorzulegen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift, die Säumnisbeschwerde unter Zuerkennung von Aufwandersatz zurückzuweisen, da - mangels eines Rechts der beschwerdeführenden Parteien auf Akteneinsicht - keine Entscheidungspflicht vorgelegen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die Beschwerde ist zulässig:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegen die Voraussetzungen für eine Beschwerdeführung nach Art. 132 B-VG in Verbindung mit § 27 VwGG dann nicht vor, wenn die Verpflichtung der belangten Behörde nicht auf die Erlassung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (eines Bescheides), sondern auf die Ausstellung einer Bescheinigung (Beurkundung) oder auf eine sonstige Leistung, wie etwa die Erteilung einer Auskunft oder die Gewährung von Akteneinsicht gerichtet ist. Der Verwaltungsgerichtshof kann aus dem Titel der Verletzung der Entscheidungspflicht nur dann angerufen werden, wenn eine Behörde mit einer gegenüber der Partei zu erlassenden Sachentscheidung in Verzug geblieben ist. Ein tatsächliches Verhalten - etwa die Gewährung von Akteneinsicht - könnte vom Verwaltungsgerichtshof in Stattgebung der Säumnisbeschwerde nicht an Stelle der belangten Behörde gesetzt werden. Das Verlangen nach Setzung eines tatsächlichen Vorganges für sich genommen löst keine Verpflichtung der Behörden zur Erlassung einer Sachentscheidung aus, eine solche tritt erst ein, wenn die Behörde die Akteneinsicht durch konkrete Handlungen oder Unterlassungen real verweigert (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. August 2000, Zl. 97/05/0334, sowie die hg. Beschlüsse vom 31. März 2006, Zl. 2004/12/0174, und vom 16. September 2010, Zl. 2010/12/0070, jeweils mwN).

Im gegenständlichen Fall hatten sowohl der Bürgermeister als auch der Gemeinderat als belangte Behörde den beschwerdeführenden Parteien die Akteneinsicht im Sinne des oben Ausgeführten "real verweigert", sodass sie die Pflicht gehabt hätten, über die Versagung der Akteneinsicht bescheidmäßig abzusprechen (s. das zitierte Erkenntnis Zl. 97/05/0334). Gegenstand der Entscheidungspflicht des Gemeinderats war vorliegend der Devolutionsantrag vom 18. Oktober 2010, über den die belangte Behörde innerhalb der in § 27 VwGG normierten sechsmonatigen Frist keine Entscheidung getroffen hat.

2. Der Devolutionsantrag ist zulässig:

Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ausführt, dieser sei erst zweieinhalb Monate nach dem am 2. August 2009 gestellten (förmlichen) Antrag auf Akteneinsicht an den Bürgermeister und somit vor Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 73 Abs. 1 AVG eingebracht worden, ist ihr zu entgegnen, dass das Verlangen nach Akteneinsicht keines förmlichen Antrags bedarf (vgl. die Nachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 17 Rz 6) und ein konkretes Begehren bereits mit Schreiben vom 17. Mai 2009 und vom 10. Juni 2009 an den Bürgermeister gerichtet worden war. Da der Bürgermeister - wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt - keine Akteneinsicht gewähren wollte, hätte er bereits bis 17. November 2009 einen Bescheid zu erlassen gehabt.

Der Devolutionsantrag war somit nach Ablauf der Frist des § 73 Abs. 1 AVG gestellt worden. Ein Grund zur Abweisung des Devolutionsantrags nach § 73 Abs. 2 letzter Satz AVG kann der Aktenlage nicht entnommen werden, vielmehr lassen das Verhalten der belangten Behörde und ihre Gegenschrift erkennen, dass sie über das Verlangen nach Akteneinsicht nicht entscheiden wollte.

Damit hat der Verwaltungsgerichtshof über den Antrag der beschwerdeführenden Parteien auf Akteneinsicht in der Sache zu entscheiden.

3. Der Antrag ist nicht begründet.

Fest steht, dass das Baubewilligungsverfahren betreffend die Liegenschaft O 29 bereits 1981 rechtskräftig abgeschlossen und der gegenständliche Antrag auf Akteneinsicht nicht in einem anhängigen Baubewilligungsverfahren gestellt wurde. Dies ergibt sich aus dem unstrittigen Vorbringen sowohl der beschwerdeführenden Parteien als auch der belangten Behörde.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes können sich auch die Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf § 17 AVG berufen, sofern die Kenntnis vom Inhalt der Akten für die Rechtsverfolgung von Bedeutung ist. Dies setzt allerdings voraus, dass die Akteneinsicht im konkreten Fall den Zweck verfolgt, diese rechtskräftig abgeschlossene - und nicht eine andere - Sache zu betreiben (VwSlg. 12.553 A/1987). Daher steht die Akteneinsicht den Parteien etwa auch wegen allfälliger Stellung eines Wiederaufnahmeantrags oder Erhebung einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu (VwSlg. 14.717 A/1997; vgl. im Übrigen die Nachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 17 Rz 3).

Aus der Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass die beschwerdeführenden Parteien das unstrittig bereits 1981 rechtskräftig abgeschlossene Baubewilligungsverfahren, in dem ihr Rechtsvorgänger Parteistellung hatte, (durch - aufgrund des Zeitablaufs wohl auch aussichtslose - Erhebung außerordentlicher Rechtsmittel) betreiben wollten. Wenn die beschwerdeführenden Parteien geklärt haben wollen, ob die Bauten auf der Nachbarliegenschaft der 1981 erteilten Baubewilligung entsprechen oder ob die beschwerdeführenden Parteien durch eine konsenslose Bauführung in ihren Rechten verletzt wurden, streben sie gerade nicht die Betreibung der "Sache", nämlich des Bewilligungsverfahrens an. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob ein denkbares Bauauftragsverfahren der "Sache" im Sinn des § 17 Abs. 1 AVG noch zugeordnet werden kann, weil nach der Oö. BauO 1994 niemandem ein Rechtsanspruch auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages zusteht.

Der Antrag auf Akteneinsicht war daher abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen der von den beschwerderdeführenden Parteien beantragten Kosten - auf die §§ 47 ff. VwGG, insbesondere § 55 Abs. 1 erster Satz, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 6. September 2011

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