European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00033.23Y.0205.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Beklagte betreibt (unter anderem) ein Casino in Linz. Der Kläger war etwa 40 Jahre lang Stammgast dieses Casinos. Er besuchte dieses fast täglich, nur im Zeitraum von 10. 3. bis 6. 6. 2020 und von 20. 9. 2020 bis 28. 5. 2021 aufgrund von Schließtagen infolge eines Brandes und der Corona-Pandemie nicht.
[2] Der Kläger war ein gern gesehener Gast und kam nicht nur zum Spielen, sondern sah das Casino als gesellschaftlichen Treffpunkt an. Es gab auch Tage, an denen der Kläger gar nicht spielte, sondern sich lediglich mit anderen Gästen und Mitarbeitern der Beklagten unterhielt und Getränke und Speisen konsumierte, die er aufgrund seiner Platin-Karte gratis erhielt. Der Kläger war bei seinen Besuchen stets gut gekleidet. Für die Mitarbeiter der Beklagten gab es keine Auffälligkeiten, die darauf hingewiesen hätten, dass der Kläger über seine Verhältnisse lebt.
[3] Der Kläger spielte hauptsächlich Roulette und setzte pro Spiel durchschnittlich 20 EUR bis 40 EUR. Von 2019 bis 2021 erlitt er bei der Beklagten einen Verlust von zumindest 18.400 EUR; ob bzw in welcher Höhe er darüber hinaus einen Verlust erlitten hat, konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob der Kläger spielsüchtig war.
[4] In den Jahren 2019 bis 2021 verdiente der Kläger etwa 1.000 EUR bis 1.130 EUR, 14‑mal jährlich. Im Jahr 2019 behob er von seinem (letzten) Sparbuch 10.013,79 EUR und er verkaufte auch Golddukaten im Wert von insgesamt 13.287,50 EUR. Ob er Anfang dieses Jahres noch weiteres Vermögen hatte, konnte nicht festgestellt werden.
[5] Am 22. 11. 2019 und am 7. 8. 2020 nahm der Kläger Kredite in Höhe von 5.000 EUR und 3.000 EUR auf; am 25. 9. 2020 nutzte er einen Rahmenkredit im Umfang von 5.015,56 EUR aus. Es konnte nicht festgestellt werden, in welcher Höhe der Kläger dieses Vermögen und diese Kredite für den Wechsel in Jetons bei der Beklagten oder anderweitig, etwa zur Bestreitung seines Lebensunterhalts oder in einem Casino in der Tschechischen Republik, wo er im klagegegenständlichen Zeitraum ebenfalls spielte, verwendete.
[6] Die Beklagte holt (nur) dann Auskünfte über Spieler ein oder führt mit diesen ein Gespräch, wenn sie „auffällig“ werden; das ist dann der Fall, wenn jemand in den letzten drei Monaten öfter als 24 Mal im Casino war oder mehr als 2.500 EUR verspielt hat.
[7] Im Juni 2019 holte die Beklagte eine Bonitätsauskunft beim KSV 1870 ein, die mit einer Bonitätsbewertung von 300 eine zufriedenstellende finanzielle Situation des Klägers auswies, wobei die beste Einstufung 100 und die schlechteste Einstufung 650 beträgt. Im Jahr 2020 holte die Beklagte zwei Bonitätsauskünfte bei der CRIF ein, im Jahr 2021 eine weitere. Diese Auskünfte brachten jeweils ein Ergebnis mit einem Score im mittleren „grünen Bereich“ und dem Vermerk, dass „keine Zahlungserfahrung“ vorliegt, also ausschließlich „positive“ Informationen und keine qualifizierten Zahlungsverzüge gemeldet wurden.
[8] Der Kläger begehrte von der Beklagten 60.000 EUR sA. Diesen Betrag habe er während der Jahre 2019 bis 2021 in deren Casino in Linz verspielt; die Beklagte habe die sie treffenden Pflichten grob schuldhaft verletzt und ihm deshalb den Besuch der Spielbank nicht untersagt.
[9] Die Beklagte bestritt, sie habe keine Pflicht schuldhaft verletzt.
[10] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe ihren Verpflichtungen nach § 25 Abs 3 GSpG (idF BGBl I Nr 13/2014; Entscheidungsdatum 22. 8. 2022) entsprochen.
[11] Gegen dieses Urteil richtete sich die Berufung des Klägers mit dem Antrag, dieses abzuändern und der Klage im Umfang von 30.400 EUR stattzugeben. Zugleich mit der Berufung stellte der Kläger einen Parteiantrag auf Normenkontrolle an den Verfassungsgerichtshof. Mit der Fortführung des Berufungsverfahrens wurde daher zunächst innegehalten. Nach Einlangen des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofs vom 14. 12. 2022 zu G 259/2022, mit dem dieser einzelne Wortfolgen des § 25 Abs 3 GSpG (nämlich das primäre Abstellen auf die Einholung einer aussagekräftigen Bonitätsauskunft bei der Überwachungspflicht, die Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz sowie den Ausschluss sonstiger Anspruchsgrundlagen) als verfassungswidrig aufgehoben hat, setztedas Berufungsgericht das Berufungsverfahren von Amts wegen fort.
[12] Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und ließ die Revision nicht zu.
[13] Nach einer ausführlichen Darstellung der Entwicklung des § 25 Abs 3 GSpG bis zum aktuellen Stand verwies das Berufungsgericht darauf, dass § 25 Abs 3 GSpG bereits in der Stammfassung als Schutzgesetz zugunsten der Spielbankbesucher qualifiziert worden sei. Bei Verletzung einer solchen Schutznorm habe der Geschädigte nur den Eintritt des Schadens, dessen Höhe und die Normverletzung zu beweisen; da die Pflichtwidrigkeit vermutet werde, bedürfe es hingegen keines strikten Nachweises des Kausalzusammenhangs. Stehe die Übertretung des Schutzgesetzes fest, könne sich der Schädiger von seiner Haftung nur dadurch befreien, dass er mangelndes Verschulden seiner Leute nachweise oder die Kausalität der Pflichtwidrigkeit ernstlich in Zweifel ziehe.
[14] Das Spielverhalten des Klägers im relevanten Zeitraum habe faktisch die Annahme der Existenzgefährdung begründet, zumal nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bereits eine außergewöhnliche Besuchshäufigkeit die Verpflichtung zu nachhaltigen Kontrollmaßnahmen auslöse. Die Beklagte habe daher jedenfalls nach § 25 Abs 3 GSpG vorzugehen gehabt. Die Beklagte habe zwar Bonitätsauskünfte eingeholt, aber weder ein Beratungs- und Informationsgespräch mit dem Kläger geführt noch diesen zu seiner Einkommens- und Vermögenssituation befragt oder diesen ganz oder teilweise vom Besuch ihrer Spielbank ausgeschlossen. Bei Betrachtung ex post, also unter Berücksichtigung der Aufhebung von Teilen des § 25 Abs 3 GSpG durch den Verfassungsgerichtshof, habe die Beklagte damit die an sie gestellten Anforderungen nicht erfüllt. Bei Betrachtung ex ante entsprächen die gesetzten Maßnahmen jedoch der im relevanten Zeitraum bestehenden Rechtslage. Entgegen der Auffassung des Berufungswerbers seien Bonitätsauskünfte, die per se nur Auskunft über die Zahlungswilligkeit und die Zahlungsfähigkeit des Betroffenen geben, nämlich nicht schon dann „nicht aussagekräftig“ iSd § 25 Abs 3 Z 2 GSpG aF, wenn sie nicht erkennen ließen, über welches laufende Einkommen und über welches Vermögen der Spielteilnehmer verfüge. Sofern Bonitätsauskünfte also im Hinblick auf eine Gefährdung des konkreten Existenzminimums aussagekräftig sein könnten, habe die Beklagte aus der bestätigten Bonität des Klägers („zufriedenstellend“ bzw „grün“) nicht auf eine Gefährdung des konkreten Existenzminimums des Klägers schließen müssen. Des in § 25 Abs 3 Z 1 lit a GSpG aF vorgesehenen Beratungs- und Informationsgesprächs oder einer Sperre des Klägers nach § 25 Abs 3 Z 1 lit b GSpG habe es daher nicht bedurft.
[15] Eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach setze folglich ein Verschulden daran voraus, dass sie im maßgeblichen Zeitraum „nur“ die (aktuell) geltenden Regelungen beachtet, also die nunmehr vom Verfassungsgerichtshof im Ergebnis angenommene Unionsrechtswidrigkeit der relevanten Passagen des § 25 Abs 3 GSpG nicht erkannt habe. Zwar sei grundsätzlich jedermann verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führe jedoch nur bei mindestens leichter Fahrlässigkeit zu einem Verschuldensvorwurf. Davon sei auszugehen, wenn die Rechtskenntnis bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können oder wenn sich der Verletzer aufgrund seiner Aktivitäten um die Kenntnis der Regeln hätte kümmern müssen. Dabei sei ein strenger Maßstab anzulegen. Bei einer vertretbaren Rechtsauffassung, für die Bemühungen zur Ermittlung der Rechtslage und eine Befassung mit der Rechtsprechung und Literatur erforderlich seien, werde ein Verschulden in der Regel auszuschließen sein.
[16] Ein Normunterworfener dürfe sich grundsätzlich darauf verlassen, dass gehörig kundgemachte Gesetze wirksam seien und nicht gegen die Verfassung oder das Unionsrecht verstießen. Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn der Verstoß erkennbar bzw offenkundig sei. Über die sachliche Rechtfertigung der in § 25 Abs 3 GSpG – in den inhaltlich bzw strukturell übereinstimmenden Fassungen des ABÄG und des BGBl I 2008/126 – enthaltenen Regelungen sei ein intensiver Diskurs in Rechtsprechung und Literatur geführt worden. Dabei seien vier Themenbereiche kritisiert worden: (a) die Einführung einer sechsmonatigen Präklusivfrist – die auch vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erachtet worden sei (G 162/07) –, (b) die Beschränkung der Haftung der Höhe nach auf das Existenzminimum – die vom Verfassungsgerichtshof ebenfalls bereits vor dem relevanten Zeitraum als verfassungswidrig erachtet worden sei (G 34/10), (c) der Haftungsausschluss bei leichter Fahrlässigkeit sowie (d) die Normierung der in § 25 Abs 3 GSpG vorgesehenen Ansprüche als abschließend. Weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur seien jedoch jemals Bedenken dagegen geäußert worden, dass die Spielbankleitung zunächst „nur“ unabhängige Bonitätsauskünfte einzuholen habe und in dem Fall, dass diese aussagekräftig seien und die Annahme der Gefährdung des Existenzminimums nicht bestätigten, keine weiteren Maßnahmen vorgesehen seien. Hinzu komme, dass nach ständiger Rechtsprechung aller drei Höchstgerichte die angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern im GSpG insgesamt in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden.
[17] Die Beklagte treffe daher selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabs kein (auch nur leichtes) Verschulden daran, dass sie die Unionsrechtswidrigkeit der Einschränkung ihrer Überwachungspflicht auf die Einholung einer (aussagekräftigen) Bonitätsauskunft nicht erkannt habe. Ein diesbezügliches Verschulden behaupte der Kläger in der Berufung auch nicht.
[18] Mangels eines Verschuldens an der Verletzung des in dieser Form erst später aufgrund der Aufhebung von Teilen des § 25 Abs 3 GSpG durch den Verfassungsgerichtshof „entstandenen“ Schutzgesetzes scheide eine Haftung der Beklagten aus.
[19] Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens. Er beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Zahlungsbegehren im Ausmaß von 30.400 EUR stattgegeben werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[20] Die Beklagte hat bereits vor der in § 508a Abs 2 Satz 1 ZPO vorgesehenen Mitteilung durch den Obersten Gerichtshof eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der sie beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu als unberechtigt abzuweisen. In einem solchen Fall erübrigt sich eine Freistellung und es kann bereits in der Sache selbst erkannt werden (RIS‑Justiz RS0104882).
Rechtliche Beurteilung
[21] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[22] 1.1. In der Zeit vom 1. 1. 2017 bis 24. 1. 2023, also insbesondere auch im hier zu prüfenden Zeitraum undzum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz, lautete § 25 Abs 3 GSpG wie folgt (die später vom Verfassungsgerichtshof mit der Entscheidung zu G 259/2022 aufgehobenen Satzteile in kursiver Schrift):
„§ 25 […]
(3) Entsteht bei einem Staatsbürger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes die begründete Annahme, dass Häufigkeit und Intensität seiner Teilnahme am Spiel für den Zeitraum, in welchem er mit dieser Intensität und Häufigkeit spielt, das Existenzminimum gefährden, hat die Spielbankleitung wie folgt vorzugehen:
1. Es sind Auskünfte bei einer unabhängigen Einrichtung einzuholen, die Bonitätsauskünfte erteilt (unabhängige Bonitätsauskünfte).
a) Wird durch diese Auskünfte die begründete Annahme, dass die fortgesetzte und unveränderte Teilnahme am Spiel das konkrete Existenzminimum dieses Spielers gefährdet, bestätigt, hat die Spielbank durch besonders geschulte Mitarbeiter mit dem Spielteilnehmer ein Beratungsgespräch zu führen, in welchem der Spielteilnehmer auf die Gefahren der Spielteilnahme und der möglichen Gefährdung des Existenzminimums hingewiesen wird und sind dem Spielteilnehmer Informationen über Beratungseinrichtungen anzubieten.
b) Nimmt der Spielteilnehmer trotz dieses Beratungsgespräches unverändert häufig und intensiv am Spiel teil oder verweigert er dieses Beratungsgespräch, ist die Spielbankleitung verpflichtet, ihm den Besuch der Spielbank dauernd oder auf eine bestimmte Zeit zu untersagen oder die Anzahl der Besuche einzuschränken.
2. Ist die Einholung unabhängiger Bonitätsauskünfte nicht möglich oder sind diese nicht aussagekräftig, so hat die Spielbank
a) durch besonders geschulte Mitarbeiter mit dem Spielteilnehmer ein Beratungsgespräch zu führen, in welchem der Spielteilnehmer auf die Gefahren der Spielteilnahme und der möglichen Gefährdung des Existenzminimums hingewiesen wird und sind dem Spielteilnehmer Informationen über Beratungseinrichtungen anzubieten.
b) Im Anschluss daran ist der Spielteilnehmer zu befragen, ob seine Einkommens- und Vermögenssituation derart ist, dass durch seine Teilnahme am Spiel sein konkretes Existenzminimum gefährdet ist.
c) Wird durch das Beratungsgespräch und die Befragung des Spielteilnehmers über eine allfällige Gefährdung seines Existenzminimums die begründete Annahme bestätigt, dass die fortgesetzte und nach Häufigkeit und Intensität unveränderte Teilnahme am Spiel sein konkretes Existenzminimum gefährden würde, oder verweigert der Spielteilnehmer das Beratungsgespräch oder die Auskunft, ob eine Gefährdung seines Existenzminimums vorliegt, ist die Spielbankleitung verpflichtet, ihm den Besuch der Spielbank dauernd oder auf eine bestimmte Zeit zu untersagen oder die Anzahl der Besuche einzuschränken.
Eine über die Einholung der unabhängigen Bonitätsauskünfte, das Beratungsgespräch oder die Befragung des Spielteilnehmers hinausgehende Überprüfungs- und Nachforschungspflicht der Spielbankleitung besteht nicht.
Verletzt die Spielbankleitung die nach Z 1 und 2 vorgeschriebenen Pflichten und beeinträchtigt der Spielteilnehmer durch die deshalb unveränderte Teilnahme am Spiel sein konkretes Existenzminimum, haftet die Spielbankleitung für die dadurch während der unveränderten Teilnahme am Spiel eintretenden Verluste. Das Existenzminimum ist nach der Exekutionsordnung in der jeweils geltenden Fassung (allgemeiner monatlicher Grundbetrag) zu ermitteln.
Die Haftung ist innerhalb von drei Jahren nach dem jeweiligen Verlust gerichtlich geltend zu machen. Die Spielbankleitung haftet nicht, sofern der Spielteilnehmer bei seiner Befragung nicht offensichtlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder wenn ihr bei der Erfüllung ihrer Pflichten nur leichte Fahrlässigkeit vorwerfbar ist.
Dieser Absatz regelt abschließend alle Ansprüche des Spielteilnehmers gegen die Spielbankleitung im Zusammenhang mit der Gültigkeit des Spielvertrages oder mit Verlusten aus dem Spiel.“
[23] 1.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bezweckt § 25 Abs 3 GSpG nicht bloß den Schutz öffentlicher Interessen, sondern verfolgt zumindest auch den Schutz der (Vermögens‑)Interessen des einzelnen Spielers mit (RS0111940); es handelt sich um ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB zugunsten der Spielbankbesucher (RS0111940 [T2]; RS0117007 [T5]). Eine Verletzung der Norm kann daher auch einen Schadenersatzanspruch des Spielers zur Folge haben (RS0111940 [T1, T9]). Zu ersetzen ist der durch den rechtswidrigen und schuldhaften Verstoß gegen diese Schutznorm adäquat und kausal herbeigeführte Schaden (RS0111940 [T4]; RS0117007 [T2]).
[24] Wird ein Schadenersatzanspruch auf die Verletzung eines Schutzgesetzes gestützt, dann hat der Geschädigte den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solche zu beweisen. Für Letzteres reicht der Nachweis aus, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde. Der Geschädigte hat demnach den vom Schutzgesetz erfassten Tatbestand zu beweisen. Der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, etwa weil ihn keine subjektive Sorgfaltswidrigkeit trifft, er das Schutzgesetz also unverschuldet übertreten hat (RS0112234; vgl auch RS0026351 [T6, T7]).
[25] Bei Verletzung eines Schutzgesetzes ist kein strenger Beweis des Kausalzusammenhangs erforderlich (RS0027640; RS0027462). Zwar kommt es zu keiner Umkehr der Beweislast, allerdings spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde (RS0027517). Es obliegt dann dem Beklagten, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit – durch Außerkraftsetzung des ihn belastenden Anscheinsbeweises – ernsthaft zweifelhaft zu machen (RS0022599; RS0022474 [T1, T5]).
[26] 1.3. Zur Bedeutung der drohenden Gefährdung des Existenzminimums iSd § 25 Abs 3 GSpG hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass dies nicht im Sinn der Regelungen der Exekutionsordnung zum Existenzminimum, sondern allgemeiner im Sinn einer Störung der wirtschaftlichen, sozialen und familiären Grundlagen zu verstehen ist (9 Ob 22/17a; RS0111940 [T5, T8]). Die Frage, zu welchem Zeitpunkt es hätte auffallen müssen, dass die Verluste des Klägers existenzbedrohend werden, richtet sich nach den Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls (RS0111940 [T3]; RS0117007 [T3]). Dies gilt auch für die Frage, ab welchem Moment für die Spielbankleitung die begründete Annahme entstand, dass Häufigkeit und Intensität seiner Teilnahme am Spiel für den Zeitraum, in welchem der jeweilige Spieler mit dieser Intensität und Häufigkeit spielt, dessen Existenzminimum gefährden (9 Ob 22/17a).
[27] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe schon aufgrund der Häufigkeit und Intensität der Teilnahme am Spiel Grund zur Annahme gehabt, dass diese Intensität und Häufigkeit für den Zeitraum, in welchem der Kläger mit dieser spielte, das Existenzminimum gefährdete, und daher grundsätzlich nach § 25 Abs 3 GSpG vorzugehen gehabt, ist im Revisionsverfahren – zu Recht – nicht strittig. Ausgehend von der im klagegegenständlichen Zeitraum und zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz kundgemachten aktuellen Fassung des § 25 Abs 3 GSpG hat die Beklagte die ihr aus dieser Regelung erwachsenden Verpflichtungen allerdings erfüllt. Die Beklagte holte wiederholt unabhängige und als solche aussagekräftige Bonitätsauskünfte ein, die die Annahme, dass die fortgesetzte und unveränderte Teilnahme am Spiel das konkrete Existenzminimum des Klägers gefährdet, nicht bestätigten. Die Beklagte war daher nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht verpflichtet, mit dem Kläger ein Beratungsgespräch zu führen und ihm bei dennoch unverändertem Spielverhalten den Besuch der Spielbank zu untersagen oder einzuschränken. Die Argumentation des Klägers, eine bloße Bonitätsauskunft könne in Bezug auf die drohende Existenzgefährdung schon per se nicht aussagekräftig sein, stützt dessen Behauptung der Verfassungswidrigkeit dieser Regelung und der Erkennbarkeit dieses Umstands, ändert aber nichts an den im Schutzgesetz normierten Tatbestandsvoraussetzungen.
[28] 1.4. Auf Basis des § 25 Abs 3 GSpG in der im klagegegenständlichen Zeitraum und zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz kundgemachten Fassung BGBl I Nr 13/2014 hat die Beklagte dieses Schutzgesetz daher schon objektiv nicht übertreten.
[29] 2.1. Aufgrund des in diesem Verfahren gestellten Parteiantrags auf Normenkontrolle hat der Verfassungsgerichtshof mit der Entscheidung vom 14. 12. 2022, G 259/2022 (G 259/2022‑16) in § 25 Abs 3 GSpG die oben zu Punkt 1.1. in kursiver Schrift wiedergegebenen Bestimmungen als verfassungswidrig aufgehoben. Frühere gesetzliche Bestimmungen traten nicht wieder in Kraft, die aufgehobenen Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.
Der Verfassungsgerichtshof begründete dies zusammengefasst (Rechtssatz) wie folgt:
[30] Der unionsrechtlich gebotene Spielerschutz wird in der angefochtenen Bestimmung nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht:
[31] Die Schutz- und Sorgfaltspflichten der Spielbankleitung werden gemäß dem ersten Satz des § 25 Abs 3 GSpG (erst) dann ausgelöst, wenn die begründete Annahme besteht, dass Häufigkeit und Intensität der Spielteilnahme das Existenzminimum des Spielteilnehmers gefährden. Beobachtet die Spielbankleitung ein solches „problematisches“ Spielverhalten, ist sie in einem ersten Schritt (nur) dazu verpflichtet, Auskünfte bei einer unabhängigen Einrichtung einzuholen, die Bonitätsauskünfte erteilt. Nur wenn die Einholung unabhängiger Bonitätsauskünfte nicht möglich ist oder diese nicht aussagekräftig sind, ist zusätzlich ein Beratungsgespräch mit dem Spielteilnehmer durchzuführen und sind seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse abzuklären.
[32] Über die Einholung einer Bonitätsauskunft hinausgehende Schutz- und Sorgfaltspflichten der Spielbankleitung werden daher regelmäßig erst dann ausgelöst, wenn eine Bonitätsauskunft vorliegt, aus der sich Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Existenzminimums des Spielteilnehmers ergeben. Dies ergibt sich nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs daraus, dass sich die Spielbankleitung aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung grundsätzlich auf die eingeholten Bonitätsauskünfte verlassen kann, weswegen nicht ersichtlich ist, unter welchen Umständen die eingeholte Bonitätsauskunft „nicht aussagekräftig“ iSd § 25 Abs 3 Z 2 GSpG sein sollte. Die Spielbankleitung muss daher nach der angefochtenen Bestimmung bei Vorliegen einer „unauffälligen“ Bonitätsauskunft im Regelfall keine weiteren Schritte setzen.
[33] Die Anordnung zusätzlicher Schutz- und Sorgfaltspflichten (erst) für den Fall, dass eine „auffällige“ Bonitätsauskunft vorliegt, wird in einer Durchschnittsbetrachtung vielfach zu spät kommen, um eine Gefährdung des Existenzminimums des Spielteilnehmers hintanzuhalten. Der Spielteilnehmer wird in einem solchen Fall regelmäßig bereits in einer Situation sein, in der er seine laufenden Verpflichtungen nicht mehr begleichen kann und daher eine Gefährdung seines Existenzminimums bereits eingetreten ist. Die in § 25 Abs 3 GSpG angeordneten (zusätzlichen) Schutz- und Sorgfaltspflichten der Spielbankleitung, insbesondere die Durchführung eines Beratungsgesprächs, kommen diesfalls zu spät. Die angefochtene Bestimmung ist somit in einer Durchschnittsbetrachtung nicht geeignet, einen effektiven Spielerschutz zu gewährleisten.
[34] Das (primäre) Abstellen auf die Einholung einer Bonitätsauskunft ist bereits dem Grundsatz nach nicht geeignet, einen effektiven Spielerschutz zu gewährleisten. Von einem effektiven, dh wirksamen Spielerschutz kann vielmehr nur dann gesprochen werden, wenn (zusätzlich) auch Beratungsgespräche und andere zweckmäßige Maßnahmen vorgesehen werden. Entsprechendes gilt hinsichtlich der in der angefochtenen Bestimmung angeordneten Beschränkung der Haftung der Spielbankleitung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz sowie der Regelung, dass die angefochtene Bestimmung alle Ansprüche des Spielteilnehmers gegen die Spielbankleitung im Zusammenhang mit der Gültigkeit des Spielvertrags oder mit Verlusten aus dem Spiel abschließend regelt.
[35] 2.2. Nach der seither geltenden Rechtslage hat die Spielbank zufolge der vom Verfassungsgerichtshof verfügten Aufhebung der abgestuften Vorgehensweise bei begründeter Annahme der Gefährdung des Existenzminimums nun jedenfalls sowohl die in der Z 1 genannten Bonitätseinkünfte einzuholen als auch die bisher in Z 2 vorgesehenen Maßnahmen – also die Führung eines Beratungs- und Informationsgesprächs mit dem Spielteilnehmer und dessen Befragung zu seiner Einkommens- und Vermögenssituation – durchzuführen. Ebenfalls aufgehoben wurde der Ausschluss weitergehender Pflichten der Spielbankleitung, die Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz sowie die Normierung der in dieser Bestimmung geregelten Ansprüche gegen die Spielbankleitung als abschließend.
[36] Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind (RS0031419 [T1, T7]). Im Bereich der Verschuldenshaftung bildet dabei der Zeitpunkt der schädigenden Handlung den intertemporal maßgeblichen Anknüpfungspunkt (vgl zu deliktischen Schuldverhältnissen RS0031419 [T11]).
[37] Diese Grundsätze gelten auch für die Änderung der Rechtslage durch ein aufhebendes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (RS0031419 [T8]). Bei einem eine Gesetzesbestimmung aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs hängt die Auswirkung auf anhängige Verfahren allerdings vom Ausspruch des Verfassungsgerichtshofs ab (RS0031419 [T13]). Demnach sind in diesem Rechtsstreit die aufgehobenen Bestimmungen des § 25 Abs 3 GSpG nicht anzuwenden.
[38] 2.3. Auf Basis der daher maßgeblichen aktuellen Fassung des § 25 Abs 3 GSpG (BGBl I Nr 3/2023 [Kundmachung über die Aufhebung von Wortfolgen durch den Verfassungsgerichtshof]) hat die Spielbank bei begründeter Annahme der Gefährdung des Existenzminimums sowohl Bonitätseinkünfte einzuholen als auch ein Beratungs- und Informationsgespräch mit dem Spielteilnehmer zu führen und diesen zu seiner Einkommens- und Vermögenssituation zu befragen. Die Beklagte hat diese Verpflichtungen hier – unstrittig – objektiv nicht erfüllt; sie hat mit dem Kläger kein Beratungsgespräch geführt und ihn nicht zu seiner Einkommens- und Vermögenssituation befragt.
[39] Eine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung setzt allerdings ein „Verschulden“ im Sinn (zumindest) einer vorzuwerfenden Sorgfaltswidrigkeit voraus (RS0026351). Zu klären ist daher die Frage, ob der Beklagten als der zur Ausübung des Glücksspielmonopols des Bundes konzessionierten Spielbank die objektive Nichteinhaltung der sie treffenden Pflichten gemäß § 25 Abs 3 GSpG als Sorgfaltswidrigkeit vorzuwerfen ist, weil sie die Verfassungswidrigkeit der Einschränkung der Überwachungspflicht auf die Einholung einer aussagekräftigen Bonitätsauskunft hätte erkennen können. In einem solchen Fall kommt es also auf die Vertretbarkeit der Rechtsansicht an, welche einen solchen Verschuldensvorwurf nicht rechtfertigt; liegt hingegen – wenn auch lediglich leicht fahrlässig begründete – Unvertretbarkeit der Rechtsansicht vor, löst dies eine Haftung aus (vgl 6 Ob 250/11z). Dabei kommt es zu einer Beweislastumkehr (RS0026351 [T7]); die Beklagte hat nachzuweisen, dass sie an der Übertretung in diesem Sinn kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]; RS0026351 [T1]).
[40] Jedermann ist verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führt aber nur dann zu einem Verschuldensvorwurf, wenn mindestens leichte Fahrlässigkeit vorliegt, wenn bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen die Rechtskenntnis in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können (RS0013253). Bei Beurteilung der Frage, ob dem Normunterworfenen die Kenntnis einer bestimmten Vorschrift unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar war, ist stets ein strenger Maßstab anzulegen (RS0008663). Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum sind nur dann nicht vorwerfbar, wenn die (richtige) Gesetzeslage einem Betroffenen trotz zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erkennbar war (RS0118363). Ein Rechtsirrtum ist hingegen vorwerfbar, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war oder wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht bekannt gemacht hat, obwohl er nach seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre (RS0118363 [T1]).
[41] Bei der Frage der Vorwerfbarkeit der Rechtsunkenntnis ist also zu prüfen, ob der betreffenden Person (ausreichende) Rechtskenntnis bei gehöriger Aufmerksamkeit möglich gewesen wäre und ob es sich um Regeln handelt, um deren Kenntnis sich die Person aufgrund ihrer Aktivitäten hätte kümmern müssen. In all diesen Fällen schadet dem Normunterworfenen grundsätzlich bereits leichte Fahrlässigkeit und ist ein strenger Maßstab anzulegen. Angesichts der (gerichtsnotorischen) Größe des Unternehmens der Beklagten, ihrer Monopolstellung, ihrer Möglichkeiten, sich juristischen Sachverstand zu erwerben und ihres (ausschließlichen) Tätigkeitsbereichs auf dem Glücksspielsektor gilt das für die Beklagte in besonderem Maß (vgl 6 Ob 250/11z).
[42] 2.4. Ausgehend von diesen Grundsätzen verneinte das Berufungsgericht die Vorwerfbarkeit der Unkenntnis der Verfassungswidrigkeit der abgestuften Überwachungspflicht und deren Beschränkung auf die Einholung einer aussagekräftigen Bonitätsauskunft (und damit die subjektive Sorgfaltswidrigkeit und Haftung der Beklagten). Die Beklagte habe – auch wenn ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen sei – sehr wohl von einer Verfassungskonformität des § 25 Abs 3 GSpG aF ausgehen dürfen.
[43] Die Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung des Berufungsgerichts und den diese Entscheidung tragenden Argumenten hat in diesem Verfahrensstadium zu unterbleiben. Das Berufungsverfahren ist nämlich (auch) diesbezüglich wegen Verletzung der richterlichen Anleitungs- und Erörterungspflichten des § 182a ZPO mangelhaft geblieben.
[44] Nach § 182a ZPO hat das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (RS0037300 [T46]). Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300); das gilt auch für das Berufungsgericht (RS0037300 [T38]).
[45] Die Änderung der Rechtslage durch ein aufhebendes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs ist – wie schon ausgeführt (Punkt 2.2.) – in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in dritter Instanz, zu beachten (RS0031419 [T7, T8]). Besteht im Hinblick auf die neue Rechtslage Erörterungsbedarf, ist die Rechtssache daher zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück zu verweisen (RS0031419 [T36]). Die Parteien müssen Gelegenheit haben, zur neuen Rechtslage ein Vorbringen zu erstatten (RS0037300 [T26]).
[46] Der Kläger rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht durch seine Entscheidung diese Erörterungspflicht nach § 182a ZPO verletzt und das daraus abgeleitete Verbot der Überraschungsentscheidung nicht beachtet hat. Aufgrund der (im Anlassfall ergangenen) Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu G 259/2022 wäre das Berufungsgericht verpflichtet gewesen, beiden Parteien Gelegenheit zu geben, ein Vorbringen zur neuen Rechtslage zu erstatten.
[47] Die Aufhebung der einschlägigen Wortfolgen des § 25 Abs 3 GSpG zu den Prüf- und Sorgfaltspflichten veränderte vor allem den Beurteilungsgegenstand für die Verschuldensfrage. Voraussetzung für die Haftung der Beklagten ist die Unvertretbarkeit ihrer Rechtsansicht. Wie ausgeführt (Punkte 1.2. und 2.3.) ist die Beklagte dafür behauptungs- und beweispflichtig, dass ihr die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, weil sie keine subjektive Sorgfaltswidrigkeit trifft. Die Beklagte hatte aber keine Gelegenheit, ihre generelle Bestreitung einer schuldhaften Pflichtverletzung in Bezug auf die geänderte Rechtslage zu konkretisieren und das dafür erforderliche Vorbringen zur Vertretbarkeit ihrer Rechtsansicht zur Beschränkung ihrer Prüfpflicht zu erstatten. Das Berufungsgericht hat vielmehr eigene Erwägungen im Sinn des Prozessstandpunkts der Beklagten angestellt und dabei wiederum dem Kläger keine Gelegenheit zur Stellungnahme und Erstattung eines bestreitenden Vorbringens gegeben.
[48] Ein solcher Verfahrensmangel führt nur dann zur Aufhebung des Berufungsurteils, wenn er wesentlich für die Entscheidung ist und sich auf diese auswirken hätte können. Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts kann daher nur dann einen Verfahrensmangel bewirken, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Werden hingegen nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zugrunde lagen, rechtlich anders gewertet, kann eine Verletzung des § 182a ZPO keine Rechtsfolgen haben (RS0037300 [T44]; RS0120056 [T13]). In einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO hat ein Rechtsmittelwerber daher darzulegen, welche zusätzlichen oder anderen Behauptungen rechtserheblicher Tatsachen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht aufgestellt hätte (RS0037095 [T5]; RS0120056 [T12]).
[49] Diese Konkretisierungspflicht darf jedoch nicht überspannt werden (RS0037095 [T17]). Der Kläger legt in seiner Revision ausführlich dar, dass und welches Vorbringen er bei Einhaltung der richterlichen Anleitungs- und Erörterungspflichten zur Vermutung des Verschuldens der Beklagten gemäß § 1298 ABGB, zu dem sehr hohen Sorgfaltsmaßstab der Beklagten im Bereich des Glücksspielrechts und zur Erkennbarkeit der verfassungs- und unionsrechtlichen Unsachlichkeit des § 25 Abs 3 GSpG erstattet hätte. Dieses nachzuholen beabsichtigte Vorbringen bezieht sich zwar in erster Linie auf Rechtsfragen, das ist aber dem Wesen des hier zu prüfenden Sorgfaltsverstoßes geschuldet; dieser soll schließlich in der Unvertretbarkeit einer Rechtsansicht liegen. Maßgeblich ist hier allerdings die Unvertretbarkeit konkret aus der Sicht der Beklagten, sodass das Vorbringen dazu auch Behauptungen impliziert, denen Tatsachencharakter zukommt. Vor allem aber wird der Kläger dem Gebot der Darlegung der Wesentlichkeit des Verfahrensmangels (auch) in Bezug auf die behauptete Schutzgesetzverletzung schon deshalb gerecht, weil dessen Ausführungen zu Recht auf das fehlende Vorbringen der behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten rekurrieren.
[50] 2.5. Die aus dem Verstoß gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung folgende Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen wäre jedenfalls in Bezug auf die Haftungsvoraussetzung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit der Beklagten nur dann nicht geboten, wenn dieser Verfahrensmangel insoweit für die Entscheidung nicht wesentlich wäre, weil die Schutzgesetzverletzung aus einem anderen Grund, also mangels Verwirklichung einer anderen Tatbestandsvoraussetzung des § 25 Abs 3 GSpG zu verneinen wäre.
[51] In diesem Sinn wandte die Beklagte (auch schon im Verfahren erster Instanz) ein, dass ihre Haftung jedenfalls mangels tatsächlicher Gefährdung des Existenzminimums ausgeschlossen sei. Diese – nach wie vor in Geltung stehende – Haftungsvoraussetzung sei der relevante Maßstab für das Einsetzen der konkreten Sorgfaltspflichten. Nur wenn die begründete Annahme der Gefährdung des Existenzminimums bestätigt werde, sei die Spielbankleitung verpflichtet, Besuchsbeschränkungen zu erlassen. Durch Verletzung von Pflichten müsse es zu einer unveränderten Teilnahme am Spiel kommen und diese wiederum müsse zu einer Beeinträchtigung des konkreten Existenzminimums führen. Nach den Feststellungen des Erstgerichts habe diese Gefährdung des Existenzminimums des Klägers aber nicht bestanden, weil er über ausreichendes Vermögen verfügt habe, um die Spielverluste auszugleichen.
[52] Mit diesem Einwand will die Beklagte die Kausalität der allfälligen Pflichtwidrigkeit – durch Außerkraftsetzung des sie belastenden Anscheinsbeweises – ernsthaft in Zweifel ziehen (vgl Punkt 1.2.). Auf Basis des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts lässt sich diese Frage aber nicht abschließend beurteilen. Den Feststellungen zum laufenden Einkommen und zur punktuellen Verwertung von Vermögen steht die Feststellung des Gesamtspielverlusts für drei Jahre gegenüber. In ihrer Berufungsbeantwortung rügte die Beklagte daher zu Recht sekundäre Feststellungsmängel, weil es das Erstgericht unterlassen habe, festzustellen, wie sich die Verluste des Klägers im klagegegenständlichen Zeitraum auf die einzelnen Jahre (2019, 2020 und 2021) aufteilten. Ob und ab welchem Zeitpunkt sich ausgehend von richtigen und vollständigen Angaben des Klägers zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen die Annahme der Gefährdung seines Existenzminimums bestätigt hätte und/oder die unveränderte Teilnahme am Spiel das konkrete Existenzminimum des Klägers gefährdet hat, kann dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden.
[53] 3.1. Selbst wenn eine Schutzgesetzverletzung mangels Verwirklichung dieser Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs 3 GSpG schon abschließend verneint werden könnte, wäre die Sache noch nicht entscheidungsreif. Der Kläger begründet die Wesentlichkeit des Verfahrensmangels infolge Verletzung der richterlichen Anleitungs- und Erörterungspflicht nach § 182a ZPO auch damit, dass er seinen Anspruch nach Aufhebung des § 25 Abs 3 letzter Satz GSpG auch auf andere Anspruchsgrundlagen gestützt hätte. Bis zur Aufhebung der gesetzlichen Anordnung der in § 25 Abs 3 GSpG geregelten Ansprüche gegen die Spielbankleitung als abschließend, sei ihm das verwehrt gewesen. Als alternative Anspruchsgrundlagen nennt der Kläger dabei die Nichtigkeit der Spielverträge wegen Wuchers nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB, die allgemeine vertragsrechtliche Haftung wegen culpa in contrahendo zufolge Außerachtlassens besonderer vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger als einem Stammgast, die Verletzung der konsumentenschutzrechtlichen Verpflichtung zur transparenten Information und Aufklärung sowie die Nichtigkeit der Spielverträge wegen Verstoßes gegen die unionsrechtlichen Bedingungen für die Zulässigkeit eines Monopolbetriebs.
[54] 3.2. Es entspricht zwar der Rechtsprechung, dass die Urteile der Vorinstanzen nicht aufgehoben werden dürfen, um dem Kläger ein Vorbringen zu ermöglichen, das er bislang nicht einmal angedeutet hat (RS0037300 [T23]). Die Prozessleitungspflicht geht also nicht so weit, den Kläger etwa auf Rechtsgründe, die sich nicht einmal andeutungsweise aus den vorgetragenen (und allenfalls zu ergänzenden oder zu präzisierenden) Tatsachen ergeben, sondern ein anderes Tatsachenvorbringen erfordern, hinweisen zu müssen (RS0120057 [T2]).
[55] Diese Rechtsprechung ist aber im vorliegenden Fall der Änderung der Rechtslage, die die Geltendmachung anderer Rechtsgründe (und das dafür erforderliche Tatsachenvorbringen) überhaupt erst ermöglichte, nicht anzuwenden. Durch § 25 Abs 3 letzter Satz GSpG waren nach dem Gesetzeswortlaut und den Materialien dazu sämtliche andere Anspruchsgrundlagen ausgeschlossen (vgl Vonkilch, Rückforderung von Glücksspielverlusten nach dem „Ausspielungsbesteuerungsänderungsgesetz“ – Rien ne va plus?, ÖJZ 2006/30). Selbst wenn der letzte Satz des § 25 Abs 3 GSpG zwecks Erreichung eines verfassungskonformen Ergebnisses seit jeher restriktiv auszulegen, nämlich ganz wörtlich zu nehmen gewesen wäre, sodass nur Ansprüche im Zusammenhang mit der „Gültigkeit“ des Spielvertrags, nicht aber mit dessen Ungültigkeit ausgeschlossen sein sollten (Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang-Kommentar3 §§ 1270–1272 ABGB Rz 126), hätte eine Partei, die von der Verdrängung von derartigen Bereicherungsansprüchen ausging, dies iSd § 182a ZPO erkennbar übersehen.
[56] Im Fall der Maßgeblichkeit einer geänderten Rechtslage kann dem Kläger daher die erst durch diese Änderung ermöglichte Geltendmachung weiterer Anspruchsgrundlagen (und das Vorbringen der rechtserzeugenden Tatsachen dazu) nicht verwehrt werden. Mit Blick auf das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 EMRK) kann dem Kläger hier auch nicht vorgehalten werden, er hätte die Konsequenzen seiner eigenen Rechtsauffassung zu § 25 Abs 3 GSpG antizipieren und ein Eventualvorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auch für den Fall zu erstatten gehabt, dass § 25 Abs 3 GSpG insoweit als verfassungswidrig aufgehoben wird.
[57] 3.3. Auch in Bezug auf die alternativen Anspruchsgrundlagen wird die Revision des Klägers dem Gebot der Darlegung der Wesentlichkeit des Verfahrensmangels gerecht. Daran ändert auch nichts, dass jedenfalls die behauptete Nichtigkeit der Spielverträge wegen Verstoßes gegen die unionsrechtlichen Bedingungen für einen zulässigen Monopolbetrieb schon aus rein rechtlichen Erwägungen zu verneinen ist und daher das Klagebegehren nicht zu tragen vermag.
[58] Der Oberste Gerichtshof hat bereits – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in mehreren aktuellen Entscheidungen festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt. Auch die Aufhebung von Teilen des § 25 Abs 3 GSpG durch den Verfassungsgerichtshof (G 259/2022) ändert an dieser Beurteilung nichts. Mag der Gesetzgeber durch das (primäre) Abstellen (nur) auf die Einholung einer Bonitätsauskunft den unionsrechtlich gebotenen Spielerschutz von Spielbankbesuchern auch nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht haben, bedeutet dies noch nicht, dass dieses Anliegen im Bereich des Glücksspiels und dem System der Konzessionen nicht in kohärenter Weise verfolgt würde (2 Ob 23/23f; RS0130636 [T7, T9]). Aus der teilweisen Verfassungswidrigkeit bloß einer Einzelregelung zum Spielerschutz im Bereich der Spielbanken kann nicht abgeleitet werden, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen – entgegen der bisher ständigen Rechtsprechung – unionsrechtswidrig wäre (2 Ob 23/23f).
[59] Des vom Kläger angeregten Vorabentscheidungsverfahrens bedarf es schon deshalb nicht.
[60] 4.1. Die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zufolge Fällung einer Überraschungsentscheidung zwingt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren den Parteien zunächst Gelegenheit zu geben haben, zur Änderung der Rechtslage durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu G 259/2022 ein Vorbringen zu erstatten.
[61] 4.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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