OGH 4Ob116/16m

OGH4Ob116/16m24.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Markenrechtssache des Antragstellers S***** E*****, vertreten durch Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Antragsgegnerin I***** e.U., *****, vertreten durch Dr. Günter Niebauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen des Widerspruchs gegen die Marke AT 279103, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 21. März 2016, GZ 34 R 10/16i‑3, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00116.16M.0524.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Antragsteller ist Inhaber der für die Waren der Klasse 30 (Teigwaren, insbesondere Tortillas, Pizzas, Blätterteig; Fertiggerichte aus Teigwaren; getrocknete und frische Teigwaren) eingetragenen Wort-Gemeinschaftsmarke CTM 12324489 (Anmeldedatum 19. 11. 2013) ITIKAT und folgender für die Waren der Klasse 29 (Fleisch, Fisch, Geflügel, Wild, Wurstwaren und Milchprodukte jeweils als Lebensmittel; Lebensmittelkonserven enthaltend vorgenannte Lebensmittel) eingetragenen Wort-Bild-Gemeinschaftsmarke CTM 2274215 (Anmeldedatum 26. 6. 2001):

Der Antragsteller widersprach der gegnerischen Wortbildmarke AT 279103 (Anmeldedatum 11. 4. 2014)

in Bezug auf bestimmte Waren der Klassen 29 und 30 und brachte dazu im Wesentlichen vor, die angegriffene Marke sei wegen der Warenidentität bzw Warenähnlichkeit zur Verwechslung mit den Widerspruchsmarken geeignet.

Die beiden Zeichen werden für HALAL‑Lebensmittel (das sind nach islamischen Speisevorschriften erlaubte Lebensmittel) verwendet; angesprochen sind in erster Linie türkische Kunden. Für diese haben die Worte „itikat“ (übersetzt: „Glaube, Überzeugung, Meinung“) und „öz itimat“ (übersetzt: „echtes [= öz] Vertrauen [= itimat]“) jeweils einen Sinngehalt.

Das Rekursgericht wies mit der angefochtenen Entscheidung den Widerspruch ab. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilende Verwechslungsgefahr sei ausgehend von einer Gesamtbetrachtung zu verneinen. Auch bei einer geringen Aufmerksamkeit, die beim Kauf derartiger Waren beim Durchschnittsverbraucher besteht, sei anzunehmen, dass im Fall der begrifflichen Übersetzungsgegebenheit der (türkischsprachige) Konsument den Bedeutungsunterschied erkennt und im Sinne eines Herkunftshinweises die Zeichen entsprechend zuordnen kann. Zwar liege die Bedeutung der Worte „itikat“ und „öz itimat“ semantisch nahe beieinander, jedoch trete diese semantische Ähnlichkeit durch die gegebene klangliche und vor allem bildliche Unterschiedlichkeit in der Gesamtbetrachtung vernachlässigbar in den Hintergrund. Eine klangliche Ähnlichkeit ist schon aufgrund der Schreibweise der beiden Wörter „öz“ und „itimat“ ebenso zu verneinen wie eine bildliche Ähnlichkeit der Zeichen.

In einem zwischen den Parteien parallel geführten Verletzungsprozess untersagte ein anderer Senat des Rekursgerichts mit einstweiliger Verfügung vom 29. 6. 2015 zu 2 R 236/14m der Antragsgegnerin unter anderem die Benutzung der angegriffenen Marke oder ähnlicher Zeichen zur Kennzeichnung von Waren, für welche die Marke eingetragen ist. In dieser Entscheidung wurde die Verwechslungsgefahr der beiden Zeichen bejaht. Die unterschiedliche grafische Gestaltung reiche nicht aus, um Verwechslungsgefahr auszuschließen. Prägend sei jeweils der Wortbestandteil, insofern bestehe Ähnlichkeit in Wortbild, Wortklang und Wortsinn. Der gegen diese Entscheidung von der Antragsgegnerin erhobene außerordentliche Revisionsrekurs wurde mit Beschluss vom 11. 8. 2015 zu 4 Ob 144/15b mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO ohne Begründung zurückgewiesen.

Beide Parteien wiesen im Rekursverfahren bezüglich der Entscheidung über den Widerspruch nicht auf die im Verletzungsprozess ergangenen Rechtsmittelentscheidungen hin.

Der Antragsteller begründet die Zulässigkeit seines außerordentlichen Revisionsrekurses gegen die hier ergangene Rekursentscheidung im Wesentlichen damit, dass diese der Entscheidung 4 Ob 144/15b und auch dem Beschluss des Rekursgerichts zu 2 R 236/14m diametral entgegenstehe. Durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sei die Rechtsansicht des Zweitgerichts im Verletzungsverfahren gebilligt worden. Wegen der Rechtssicherheit und Rechtseinheit „darf es schlichtweg nicht sein“, dass sich im Widerspruchs- und Verletzungsverfahren widersprechende Entscheidungen „diametralst“ gegenüberstehen. Der Revisionsrekurs sei zur Wahrung der Rechtssicherheit und Einheit „glasklar zulässig“, es handle sich um ein „klassisches Lehrbuchbeispiel“ der Zulässigkeit.

Rechtliche Beurteilung

Damit zeigt der Antragsteller keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1 Den Gerichten ist bei der Klärung der – von den im konkreten Fall gegebenen Umständen abhängigen – Verwechslungsgefahr ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (für das Markenrecht: zB 4 Ob 2/06g; 4 Ob 208/14p – fast effect; 4 Ob 16/15d – Sport+; bei Geschmacksmuster: 17 Ob 32/09v – Mikro-Kabelschutzrohre; ähnlich auch im Lauterkeitsrecht: 4 Ob 219/05t; 4 Ob 100/06v; 4 Ob 181/06f; 4 Ob 94/13x). Dieser Spielraum ergibt sich aus dem Zulassungssystem der Revision bzw des Revisionsrekurses, wonach der Oberste Gerichtshof nur mit Rechtsmitteln zur Klärung erheblicher Rechtsfragen befasst werden soll. Eine am Einzelfall orientierte Entscheidung ist daher grundsätzlich nicht revisibel (vgl RIS-Justiz RS0044088 [insb T3, T5, T10, T16, T20]; RS0042405 [insb T14, T15, T17]). Nach gesicherter Rechtsprechung bildet die Frage, ob Verwechslungsgefahr besteht – vom Fall grober Fehlbeurteilung abgesehen – daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 ZPO (RIS-Justiz RS0112739; RS0111880).

1.2 Das Rekursgericht hat sich an höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientiert (vgl nur RIS‑Justiz RS0121482; RS0121500; RS0117324; RS0066753 uva) und dabei den gegebenen Beurteilungsspielraum nicht überschritten, weshalb die Beurteilung der Verwechslungsgefahr durch das Rekursgericht die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen kann.

2.1 Das Abweichen des Rekursgerichts von einer eigenen Rechtsprechung oder der eines anderen Gerichts zweiter Instanz lässt die Leitfunktion des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich unberührt. Unterschiedliche Entscheidungen zweier oder mehrerer Rechtsmittelsenate desselben Gerichtshofs auf der Ebene der Landes- und Oberlandesgerichte über identische Sachverhalte, die Ausdruck eines Wertungsspielraums nach höchstgerichtlichen Leitlinien sind, werfen für sich betrachtet keine erhebliche Rechtsfrage auf (3 Ob 297/01z; 3 Ob 119/05d; RIS-Justiz RS0116241; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 37).

2.2 Insofern ist nur bedeutsam, wie sich die jeweilige Entscheidung des Rekursgerichts zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung verhält (Zechner aaO Rz 27); eine gegenteilige Entscheidung eines Gerichts zweiter Instanz kann die Erheblichkeit der Rechtsfrage daher nicht begründen (9 ObA 67/14i; RIS-Justiz RS0042690 [T5]). In mehreren Entscheidungen wurde daher betont, dass das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage auch dann verneint werden kann, wenn ein identischer Sachverhalt von den Zweitgerichten unterschiedlich gelöst wurde. Wenngleich in solchen Fällen zwar nur eine der Entscheidungen richtig sein kann, können die jeweiligen Umstände des Einzelfalls einer gegenteiligen Entscheidung in vertretbarer Weise als Stütze dienen, ohne dass jeweils die Grenzen des angesprochenen Beurteilungsspielraums überschritten werden (3 Ob 297/01z; 3 Ob 119/05d; vgl auch 6 Ob 17/15s).

2.3 Anderes gilt dann, wenn solche Entscheidungen eine vom Obersten Gerichtshof noch nicht gelöste Rechtsfrage zum Gegenstand haben, Instanzgerichte in Divergenzfällen unterschiedlichen Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung folgen oder die Praxis eines zweitinstanzlichen Senats von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs abweicht (RIS-Justiz RS0116241). Ein derartiger Ausnahmefall, der eine Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung erfordert, liegt hier nicht vor, weil – wie oben ausgeführt – das Zweitgericht den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat.

2.4 Davon abgesehen wäre die Bejahung einer erheblichen Rechtsfrage allein wegen widersprechender zweitinstanzlicher Entscheidungen von aleatorischen Elementen geprägt. Um eine Entscheidungsharmonie im Anlassfall herzustellen, müsste nämlich der angefochtene Beschluss im Sinne der vom Rekursgericht im Verletzungsprozess zur Verwechslungsgefahr vertretenen Rechtsansicht abgeändert und dem Widerspruch stattgegeben werden. Wäre aber über den Revisionsrekurs gegen die Entscheidung im Widerspruchsverfahren vor dem im Verletzungsverfahren erhobenen Revisionsrekurs zu entscheiden gewesen, würde die Orientierung an der Entscheidungsharmonie das gegenteilige Ergebnis zur Folge haben. Damit wäre ein harmonisches Ergebnis von der Zufälligkeit abhängig, welches der mangels erheblicher Rechtsfragen unzulässigen Rechtsmittel zuerst zurückgewiesen wird.

3. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels kann auch nicht darauf gestützt werden, dass der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wider eine gegenteilige Entscheidung des Zweitgerichts zu 4 Ob 144/15b mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO begründungslos zurückgewiesen wurde. Entgegen der Rechtsansicht des Antragstellers liegt in einer begründungslosen Zurückweisung eines Rechtsmittels mangels erheblicher Rechtsfrage nicht unter allen Umständen eine (inhaltliche) „Billigung“ der angefochtenen Entscheidung. Eine solche – wie auch jede begründete – Zurückweisung bringt vielmehr lediglich zum Ausdruck, dass der zweiten Instanz keine aufgrund eines außerordentlichen Rechtsmittels aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlief bzw eine solche im Rechtsmittel nicht aufgezeigt wurde (Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 40).

4. Zudem kann die Zulässigkeit eines drittinstanzlichen Rechtsmittels nicht auf ein bloßes obiter dictum in einer höchstgerichtlichen Entscheidung gestützt werden (vgl RIS‑Justiz RS0042672; zuletzt 4 Ob 77/16a). Das muss umso mehr für eine zurückweisende Entscheidung ohne Begründung gelten, weil daraus allenfalls auf das Fehlen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung geschlossen werden kann, nicht aber sonstige inhaltliche Aussagen abzuleiten sind. Folgerichtig sind derartige Entscheidungen nach § 15 Abs 1 Z 1 OGHG auch nicht zu veröffentlichen.

5. Die Verwechslungsgefahr war sowohl im Verletzungsprozess als auch im Widerspruchsverfahren nur eine Vorfrage. Schon deshalb ist ein Verstoß gegen die aus der materiellen Rechtskraft sich ergebende Bindungswirkung an eine rechtskräftige Entscheidung zu verneinen, weshalb auch darauf keine erhebliche Rechtsfrage gestützt werden kann. Nach gesicherter jüngerer Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0102102) und einhelliger Lehre (Fasching/Klicka in Fasching/Konecny 2 § 411 ZPO Rz 56; Rechberger in Rechberger 4 § 411 ZPO Rz 11 jeweils mwN) lässt sich in solchen Fällen eine Bindung auch nicht aus der sogenannten „Entscheidungsharmonie“ ableiten. Das Ziel, bei verschiedenen Verfahren mit vergleichbaren oder identen Konstellationen eine „Entscheidungsharmonie“ zu erreichen, indiziert daher noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 44).

6. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

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