OGH 10Ob14/24t

OGH10Ob14/24t9.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier sowie die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Thomas Stoiberer, Rechtsanwalt in Hallein, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach dem am * verstorbenen R*, vertreten durch Dr. Wolfgang Hochsteger ua, Rechtsanwälte in Hallein, wegen Einwilligung in die Einverleibung einer Dienstbarkeit, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2024, GZ 22 R 10/23h‑48, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00014.24T.0709.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Grundbuchsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

I. Der Rekurs wird zurückgewiesen.

II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Alleineigentümer der Liegenschaft EZ 82 KG *, auf der ein Wochenendhaus errichtet ist. Der ursprünglich beklagte und während des Verfahrens verstorbene R* (zur Vereinfachung künftig: Beklagter) war im Zeitpunkt der Zustellung der Klage Alleineigentümer der EZ 6 KG *, die mit einem bücherlichen Gehrecht zugunsten der Liegenschaft des Klägers belastet ist.

[2] Die Rechtsvorgängerin des Klägers erwarb die EZ 82 mit Kaufvertrag vom 8. Dezember 1964 von den Großeltern des Beklagten, die ihr darin das Recht einräumten, über drei näher bezeichnete Grundstücke der EZ 6 „zu gehen und soweit es möglich ist zu fahren“. Im Grundbuch einverleibt wurde allerdings nur das Gehrecht.

[3] Im Jahr 1972 unterfertigten die Großeltern des Beklagten (als Verkäufer) eine Vertragsurkunde, nach deren Inhalt die Rechtsvorgängerin des Klägers (als Käuferin) auf das Geh- und Fahrrecht hinsichtlich eines der drei Grundstücke der EZ 6 verzichten und (dafür) neben der Fläche für eine Garage noch Teile der dienenden Grundstücke erwerben sowie in dieser Hinsicht berechtigt sein sollte, diese „im Bedarfsfall“ vom Gutsbestand der EZ 6 abzuschreiben. Ob auch sie die Urkunde unterfertigte, konnte nicht mehr festgestellt werden.

[4] Der Kläger erwarb die EZ 82 im Jahr 1979, wobei ihm seine Rechtsvorgängerin auch die von den Großeltern des Beklagten unterfertigte Vertragsurkunde aus dem Jahr 1972 übergab. Der Kläger ging beim Erwerb der EZ 82 davon aus, dass ihm ein Gehrecht, nicht aber ein Fahrrecht an der EZ 6 zukomme.

[5] Die Großeltern des Beklagten übertrugen die EZ 6 mit Übergabevertrag vom 2. Mai 1980 an die Eltern des Beklagten. Diese hatten keine Kenntnis, dass dem Kläger ein Fahrrecht über die EZ 6 zustehen könnte. Bis dahin hatten sie den Kläger oder seine Rechtsvorgängerin auch nie über die dienenden Grundstücke laut Kaufvertrag vom 8. Dezember 1964 zur EZ 82 zufahren gesehen.

[6] Wenn der Kläger die EZ 82 aufsuchte, ging er zu Fuß über die EZ 6 dorthin. Mit Fahrzeugen fuhr er im Schnitt einmal pro Jahr, wenn er größere Gegenstände transportieren musste. Dass er dabei jemals fuhr, ohne vorher „die Familie“ des Beklagten zu fragen, war nicht feststellbar.

[7] Die Vorinstanzen gingen von einem gutgläubigen lastenfreien Eigentumserwerb (schon) der Eltern des Beklagten aus und wiesen die (in unterschiedlichen Varianten) auf Zustimmung zur Einverleibung der Dienstbarkeit (auch) des Fahrens laut Kaufvertrag vom 8. Dezember 1964 gerichtete Klage ab. Bereits die Eltern des Beklagten hätten die EZ 6 im Vertrauen auf den Grundbuchstand, also ohne Belastung durch ein Fahrrecht, erworben. Sie hätten auch keine Veranlassung gehabt, an der Lastenfreiheit zu zweifeln, weil bis zur Hofübergabe an sie weder die Rechtsvorgängerin des Klägers noch dieser selbst jemals zur EZ 82 zugefahren seien.

[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er begehrt, dem Haupt- oder einem der Eventualbegehren stattzugeben. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

[9] I. Soweit der Kläger auch den Beschluss, mit dem das Berufungsgericht erstmals mit der Berufung vorgelegte Urkunden zurückgewiesen hat, bekämpft, ist das Rechtsmittel des Klägers ein Rekurs. Dieser ist jedenfalls unzulässig.

[10] 1. Gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts ist der Rekurs nur in den in § 519 Abs 1 ZPO genannten Fällen zulässig. Die Zurückweisung von Urkunden fällt nicht darunter und ist demgemäß unanfechtbar (RS0043841 [T1]; RS0041977 [T1]).

[11] 2. Abgesehen davon ist die Beurteilung des Berufungsgerichts auch inhaltlich zutreffend, sodass nicht untersucht werden muss, ob die Bekämpfung von Beschlüssen, die das Berufungsgericht im Rahmen der Stoffsammlung fällt, auch dem Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO zuzuordnen ist (vgl dazu Musger in Fasching/Konecny 3 § 519 Rz 28 ff mwN):

[12] Nach ständiger Rechtsprechung lässt § 482 Abs 2 ZPO das Vorbringen in erster Instanz nicht vorgekommener Tatumstände und Beweise ausschließlich zur Dartuung der Berufungsgründe der Nichtigkeit oder der Mangelhaftigkeit des Verfahrens zu (RS0041812 [T2]; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 482 Rz 5). In seiner Berufung hat der Kläger zwar insofern eine Mängelrüge erhoben, alsdas Erstgericht seiner Ansicht nach von einer nicht erörterten und damit überraschenden Rechtsansicht ausgegangen sei. Die vom Berufungsgericht zurückgewiesenen Beweismittel hat er aber nicht dafür, sondern zur Unterstützung seiner Beweisrüge vorgelegt, um darzulegen, dass das dienende Grundstück Nr 103 entgegen der Annahme des Erstgerichts noch „bis 1992 existiert“ habe (Teil der EZ 6 gewesen sei). Das Berufungsgericht ist angesichts dessen zu Recht davon ausgegangen, die Urkundenvorlage verstoße gegen das Neuerungsverbot (RS0105484; RS0041812 [T6]).

[13] II. Im Übrigen zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[14] 1. Nach ständiger Rechtsprechung besteht auch dann eine inhaltliche Bindungswirkung des Vorprozesses für einen Folgeprozess, wenn zwar keine Identität der Begehren vorliegt, aber gewisse Fälle der Präjudizialität gegeben sind (RS0041567; 6 Ob 227/21g Rz 27 ua). Dafür muss der im Vorprozess als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch aber Vorfrage (bedingendes Rechtsverhältnis) für den neuen Anspruch sein (RS0127052; RS0041251 [insb T3]; RS0041572 [insb T11]; RS0039843 [T35] ua).

[15] Das ist hier nicht der Fall. Der Umstand, dass der im Vorverfahren geltend gemachte, auf die Urkunde aus dem Jahr 1972 gestützte Anspruch des Klägers auf Abschreibung von Teilen der dienenden Grundstücke und Zustimmung zur Einverleibung seines Eigentumsrechts (insbesondere mangels Übergangs dieses Teils der Vereinbarung auf den Beklagten) abgewiesen wurde, weist keinen Zusammenhang zur Frage auf, ob die Eltern des Beklagten die EZ 6 lastenfrei erworben haben. Im Übrigen ging das Erstgericht auch gar nicht davon aus, dass die Rechtsvorgängerin des Klägers mit der Urkunde des Jahres 1972 auf das Fahrrecht wirksam verzichtet hatte, sondern davon, dass es „obsolet“ geworden sei, weil die in der Urkunde des Jahres 1972 getroffene Vereinbarung „im Bedarfsfall“ ohnehin jederzeit umsetzbar gewesen wäre. Diese Überlegung floss zwar in die Beweiswürdigung ein. Ob das Fahrrecht tatsächlich noch bestand oder nicht, musste dagegen nicht abschließend geklärt werden: Geht man mit dem Kläger davon aus, dass darauf nicht (wirksam) verzichtet wurde, läge eine außerbücherlich bestehende, aber nicht eingetragene Belastung vor, was (erst) zur Anwendung des § 1500 ABGB führt (vgl 5 Ob 111/23v Rz 21). Ob das Fahrrecht noch bestanden hat, ist für die Entscheidung in Wahrheit somit nicht relevant, weil darauf entweder verzichtet wurde oder es durch den gutgläubigen Erwerb der EZ 6 durch die Eltern des Beklagten erloschen ist. Es stellen sich daher auch keine Fragen der Auslegung der Urkunde des Jahres 1972.

[16] 2. Wenn der Kläger zur Frage der „Existenz“ des Grundstücks Nr 103 (vgl oben I.2.) auch den Revisionsgrund des § 503 Z 3 ZPO geltend macht, ist das unbeachtlich, weil er eine darauf gestützte Aktenwidrigkeit in der Berufung nicht geltend gemacht hat (RS0041773 [insb T9]).

[17] 3. Der behauptete Verstoß des Erstgerichts gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung wurde vom Berufungsgericht geprüft und verneint. Er kann daher in dritter Instanz nicht erneut geltend gemacht werden (RS0042963).

[18] 4. Eine (ersessene oder) vertraglich vereinbarte nicht verbücherte Dienstbarkeit, die nicht offenkundig ist, erlischt durch den gutgläubigen Erwerb des belasteten Grundstücks (RS0012151). Dafür ist erforderlich, dass dem Erwerber sowohl im Zeitpunkt des Erwerbsgeschäfts als auch des Ansuchens um Einverleibung die vom Grundbuchstand abweichende wahre Sachlage unbekannt war (RS0034776 [insb T23]; RS0011676 [T5]; RS0034831). Der redliche Erwerber wird dagegen nicht geschützt, wenn seine irrige Vorstellung über den Umfang eines fremden Rechts auf (zumindest leichter) Fahrlässigkeit beruht (RS0034776 [T4, T6, T8, T11]; RS0011676 [T1]), er also bei gehöriger Aufmerksamkeit den Widerspruch zwischen dem Grundbuchstand und den tatsächlichen Verhältnissen feststellen hätte können (RS0011651; RS0034730). Die Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber dürfen zwar nicht überspannt werden (RS0034776 [T3, T7]; RS0011676 [T16]). Er ist aber zu Nachforschungen verpflichtet, wenn ein indizierter Verdacht besteht, dass die tatsächlichen Verhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen (RS0034776 [T22]; 3 Ob 41/24m Rz 3 ua).

[19] Wann ein Anlass zur Überprüfung gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und bildet daher in der Regel keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0034776 [T17]; RS0034870 [T1]).

[20] 4.1. Es trifft zu, dass § 1500 ABGB nur den rechtsgeschäftlichen, dh den entgeltlichen Erwerber schützt (RS0117411; 1 Ob 171/23p Rz 29 ua). Dass die EZ 6 jeweils unentgeltlich übergeben worden sei, hat der Kläger in erster Instanz aber nicht behauptet. Bäuerliche Übergabeverträge sind auch nicht stets unentgeltliche Rechtsgeschäfte, sondern können entgeltliche und unentgeltliche Elemente enthalten (RS0012971; RS0012978). Vorbringen dazu hat der Kläger in erster Instanz ebenfalls nicht erstattet.

[21] 4.2. Soweit der Kläger davon ausgeht, der Vater des Beklagten sei in Kenntnis des Fahrrechts gewesen, weicht er vom festgestellten Sachverhalt ab. Nach den Feststellungen – von denen der Oberste Gerichtshof auszugehen hat – hatten im relevanten Zeitpunkt beide Eltern des Beklagten (übrigens ebenso wie dieser bei der Übergabe an ihn) keine Kenntnis von einem Fahrrecht des Klägers.

[22] 4.3. Nach der Rechtsprechung besteht immer dann eine Verpflichtung zur Einsicht in die Urkundensammlung, wenn sich aus der Art der Eintragung die Vermutung ergibt, dass wichtige Nebenbestimmungen in der Urkunde, aber nicht im Hauptbuch aufscheinen (RS0060243; RS0060205). Das wird bei Grunddienstbarkeiten in der Regel zwar angenommen (RS0011545). Mit seinem Verweis auf das ebenfalls mit Kaufvertrag vom 8. Dezember 1964 eingeräumte Wasserbezugsrecht behauptet der Kläger einen solchen Fall aber nicht. Allein daraus, dass die Eltern des Beklagten wegen dieser eingetragenen Dienstbarkeit in die Urkundensammlung Einsicht nehmen hätten müssen und bei diesem Anlass das nicht verbücherte (rechtlich selbständige) Fahrrecht erkennbar gewesen wäre, lässt sich ein im Rahmen des § 1500 ABGB relevanter Sorgfaltsverstoß nicht ableiten.

[23] 5. Sonstige gegen die Gutgläubigkeit der Eltern des Beklagten oder für sie treffende Nachforschungspflichten sprechende Umstände, wie etwa in der Natur ersichtliche Anlagen oder Einrichtungen (RS0034803; RS0011633) oder ein Berühmen des Dienstbarkeitsberechtigten ihnen gegenüber (RS0013488), behauptet der dafür beweispflichtige Kläger (vgl RS0034837; RS0034870) nicht. Er kommt auch auf die Ersitzung des Fahrrechts nicht mehr zurück.

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