European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00041.24M.0403.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (hierin enthalten 125,32 EUR USt)
bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Das Berufungsgericht verneinte einen gutgläubigen lastenfreien Eigentumserwerb der Beklagten und gab deshalb dem Klagebegehren auf Feststellung des Bestehens der (ersessenen) Dienstbarkeit des Gehens sowie auf Einwilligung in deren Einverleibung statt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision nachträglich zur Frage des Sorgfaltsmaßstabs bei Beurteilung der Gutgläubigkeit des Erwerbers iSd § 1500 ABGB zu.
[2] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
[3] 1. Eine nicht verbücherte Dienstbarkeit ist gegenüber dem Rechtsnachfolger des Bestellers wirksam, wenn dieser von der Servitut Kenntnis hatte oder hätte haben müssen oder wenn sie offenkundig war (RS0003028 [T1, T2]). Für den Begriff der offenkundigen Dienstbarkeit ist es wesentlich, ob man vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (RS0011633 [T1]). Der Erwerber wird dann nicht geschützt, wenn seine irrige Vorstellung über den Umfang eines fremden Rechts auf – auch nur leichter – Fahrlässigkeit beruht (vgl RS0034776 [T4, T6, T11]). Die Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber dürfen zwar nicht überspannt werden, weil sonst das Grundbuch entwertet würde (RS0034776 [T3]), er muss allerdings Nachforschungen anstellen, wenn der indizierte Verdacht besteht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen (vgl RS0034776 [T22]). Ob eine Erkundigungspflicht besteht, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0107329 [T2]).
[4] 2. Es begründet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung, dass das Berufungsgericht in der Unterlassung von Erkundigungen über eine allfällige Dienstbarkeit leichte Fahrlässigkeit der Beklagten erblickte, weil nicht nur die Wahrnehmbarkeit konkreter Ausübungshandlungen die Gutgläubigkeit ausschließe, sondern auch ein Sachverhalt, der einen Rückschluss auf eine mögliche Dienstbarkeit(sausübung) erlaube und damit einen entsprechenden Verdacht indiziere.
[5] 2.1. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass der Zugang zu der zwischen den Häusern der Streitteile und des vormaligen Zweitbeklagten jeweils zum Teil auf diesen drei Grundstücken errichteten Tenne nicht nur von den einzelnen Häusern aus, sondern auch über eine – insbesondere für den Transport sperriger Gegenstände in die und aus der Tenne genutzte – Auffahrtsrampe (Tennenbrücke) möglich ist. Von dieser Auffahrtsrampe aus ist der zum Haus der Klägerin gehörende Teil der Tenne jedoch nur über die im Eigentum der Beklagten und des vormaligen Zweitbeklagten stehenden Teile der Tenne erreichbar.
[6] 2.2. Die Tenne wurde zwar vor dem Eigentumserwerb der Beklagten schon jahrzehntelang nicht mehr zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt und deshalb die entsprechende bücherliche Dienstbarkeit mittlerweile gelöscht. Dies rechtfertigte aber schon angesichts der (auch für die Beklagte bei ihrer Besichtigung der Liegenschaft ersichtlichen) Nutzung der Tenne als Lager für diverse (auch sperrige) Fahrnisse nicht ohne Weiteres die Annahme, die Tennenbrücke und damit der Zugang über die zu den Häusern der beiden anderen Eigentümer gehörenden Teile der Tenne werde nun von der Klägerin überhaupt nicht mehr genutzt.
[7] 2.3. Dass die Beklagte bei ihrer Besichtigung der Liegenschaft samt Tenne vor dem Kauf keine Nutzung der Tenne durch die Klägerin wahrnahm, ist nicht entscheidend. Das Haus der Klägerin war damals nämlich unbewohnt, welcher Umstand aber die Annahme des Bestehens eines ersessenen Gehrechts nicht ausschließen konnte.
[8] 2.4. Der Umstand, dass im Verfahren die Grenze der jeweiligen Parzellen innerhalb der Tenne unstrittig war, hat entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zur Folge, dass sie seinerzeit keine Nachforschungspflicht getroffen hätte; strittig war und ist ja nicht der flächenmäßige Umfang des Eigentums der Beklagten an ihrem Tennenteil, sondern das Gehrecht der Klägerin. Die Klägerin war zur Zeit des Eigentumserwerbs der Beklagten zwar noch nicht Alleineigentümerin, wohl aber Miteigentümerin ihrer Liegenschaft, sodass der Einholung von Erkundigungen der Umstand nicht entgegengestanden wäre, dass sich die andere Miteigentümerin (die Tante der Klägerin) damals im Altersheim befand und praktisch nicht mehr ansprechbar war.
[9] 3. Eine Grunddienstbarkeit muss der vorteilhafteren oder bequemeren Benützung des herrschenden Grundstücks dienen (§ 473 ABGB; RS0011597 [T1]). Bei der Beurteilung des Utilitätserfordernisses ist kein strenger Maßstab anzuwenden (RS0011593). Jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil genügt für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts. Die Servitut erlischt nur, wenn sie völlig zwecklos wird. Eine Wegedienstbarkeit erlischt nicht allein deshalb, weil der Berechtigte seinen Grund über einen anderen Weg erreichen kann (9 Ob 43/21w mwN). Von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen, indem sie die Utilität des Gehrechts bejahten.
[10] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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