BVwG W124 2129997-1

BVwGW124 2129997-124.7.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:W124.2129997.1.00

 

Spruch:

 

 

W124 2129997-1/44E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX , am XXXX und am XXXX zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 55, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag gab er im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Sayed an und sei schiitischer Muslim. Er sei am XXXX geboren, stamme aus dem Distrikt XXXX in der afghanischen Provinz Logar und sei traditionell verheiratet. Seine Erstsprache sei Dari. Über Schulbildung verfüge er nicht. In seiner Herkuntsprovinz würden noch seine Ehefrau, seine zwei Töchter, sein Sohn, seine zwei Brüder, seine drei Schwestern sowie seine Eltern leben. Zuletzt habe er als Landwirt gearbeitet. Vor circa zwei Monaten sei er von seinem Heimatdorf aus endgültig aus dem Herkunftsstaat ausgereist.

Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er habe den Herkunftsstaat aufgrund der schlechten Sicherheitslage verlassen. Seine Herkunftsprovinz sei umkämpft und es herrsche Unruhe.

I.2. Am XXXX erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt), im Zuge welcher er eingangs vorbrachte, seine Angaben in der Erstbefragung würden der Wahrheit entsprechen. Über Dokumente verfüge er nicht, am Handy habe er jedoch die Kopie seiner Tazkira.

Er bestätigte seine bisherigen Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit sowie zu seiner Religionszugehörigkeit und gab zu Protokoll, er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an.

Zu seinem Leben im Herkunftsstaat führte er an, er habe keine wirtschaftlichen Probleme gehabt. Er habe auf seinen landwirtschaftlichen Grundstücken Obst angebaut und habe auch Rinder gehabt. Seine Eltern würden in der Nähe seiner Ehefrau leben und sich um sie sowie um seine Kinder kümmern. Die Landwirtschaft sei verpachtet und seine Familie lebe aus dem daraus erzielten Einkommen. Weder seine Frau und seine Kinder noch seine Eltern hätten Probleme.

Der BF sei gesund, nehme keine Medikamente und befinde sich nicht in Behandlung. Im Herkunftsstaat habe er noch weitschichtige Verwandte, beispielweise Cousinen und einen Cousin, Tanten und Onkel. Sein Onkel mütterlicherseits lebe in Kabul, die Tanten in XXXX . Mit seiner Familie telefoniere er regelmäßig, es sei bei ihnen alles in Ordnung.

Im Februar XXXX habe er seinen Wohnsitz endgültig verlassen. Die Ausreise habe er selbst finanziert. Probleme mit der Polizei oder mit anderen staatlichen Stellen habe er im Herkunftsstaat nicht gehabt. Gegen ihn sei kein Gerichtsverfahren anhängig und er sei auch nie festgenommen worden. Mitglied einer Partei, einer parteiähnlichen oder einer terroristischen Organisation sei er nie gewesen.

Zu seinen Fluchtgründen führte er an, die Sicherheitslage in Afghanistan sei sehr schlecht. Er habe vier Kinder gehabt. Eines seiner Kinder sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sie hätten das Kind in ein Krankenhaus gebracht, dort sei ihnen aber mitgeteilt worden, sie müssten das Kind in das im Zentrum der Provinz gelegene Krankenhaus bringen. Es sei am Abend gewesen und sie hätten nicht fahren können. Am nächsten Tag sei das Kind verstorben. Sie hätten große Angst vor den Taliban gehabt, sodass sie sich nicht getraut hätten, abends unterwegs zu sein. Der Unfall habe sich vor zweieinhalb Jahren ereignet. Nach der Beerdigung habe er sich entschlossen auszureisen.

Da der Weg nach Europa sehr gefährlich sei und sein Leben in Gefahr sei, sei er alleine ausgereist. Auf die Frage, warum sein Leben im Herkunftsstaat gefährdet sei, führte er aus, als Schiit sei sein Leben schon immer in Gefahr gewesen. Eine konkret gegen ihn gerichtete Bedrohung durch die Taliban habe es nicht gegeben, er habe nur allgemein Angst gehabt. Die Taliban seien circa 5 km von seinem Heimatdorf entfernt. Wenn man mit dem Auto unterwegs sei, könne es passieren, dass man getötet werde. Grundsätzlich seien seine Frau und seine Kinder auch gefährdet. Seine Frau verlasse das Haus aber nicht. Würde sie mit den Kindern durch Städte reisen, wäre auch sie gefährdet.

Eine Gefährdung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bestehe nicht.

Zu seinem Leben in Österreich gab er unter anderem an, sein fünfzehnjähriger Neffe lebe im Bundesgebiet. In der Folge brachte er Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen in Vorlage.

I.3. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt brachte der BF seine Tazkira sowie Auszüge aus seinem Reisepass (jeweils in Kopie) in Vorlage, wobei dem Reisepass ist das Geburtsdatum „ XXXX “ zu entnehmen ist.

I.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie betreffend die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 wurde ihm nicht erteilt. Gegen ihn wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Ferner wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

I.5. Mit fristgerechter Beschwerde vom XXXX wurde dieser Bescheid vollinhaltlich wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten. Begründend wurde ausgeführt, die Behörde habe das Vorbringen des BF nicht in seiner Gesamtheit gewürdigt und habe die gesamte Situation in ihrem kulturellen Kontext verkannt. So gebe es unzählige Berichte internationaler Organisationen, in welchen die schwierige Sicherheitssituation in Afghanistan aufgezeigt werde. Logar sei zudem eine der unbeständigsten Provinzen der Region, was auch dem angefochtenen Bescheid entommen werden könne. Die von der Behörde herangezogenen Informationen zu den Taliban seien überdies veraltet. Abschließend wurde das wesentliche Fluchtvorbringen des BF wiederholt, auf die schlechte Versorgungslage hingewiesen und seine Integrationsbemühungen hervorgehoben.

I.6. Am XXXX langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.7. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurden dem BF Länderberichte zur allgemeinen Situation in Afghanistan zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

I.8. Am XXXX fand in Anwesenheit einer Vertrauensperson und der Vertretung des BF sowie unter Beziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und eines länderkundlichen Sachverständigen eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsericht statt. Das Bundesamt verzichtete bereits mit Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an einer Beschwerdeverhandlung.

Im Zuge der Verhandlung brachte der BF folgende Dokumente (in Kopie) in Vorlage:

- Bestätigung der Marktgemeinde XXXX vom XXXX (Beilage./A);

- mehrere Teilnahmebestätigungen an einem Deutschkurs vom XXXX , XXXX und XXXX (Beilage./B);

- ein Auswertungsblatt im Rahmen des Deutschkurses vom XXXX (Beilage./D);

- Schreiben der Vertrauensperson (Beilage./E);

- Bestätigungen von diversen Veranstaltungen (Beilage./F).

 

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

[…]

 

BF: Es geht mir ganz gut. Ich bin gesund.

[…]

 

R: Die Angabe, die Sie bei der Polizei bzw. beim BFA gemacht haben, sind diese richtig und bleiben Sie dabei?

BF: Ja.

 

R: Wo sind Sie geboren? Bitte geben Sie den genauen Ort sowie Ihren vollständigen Namen an. Geben Sie bitte, Dorf, Distrikt und Provinz an.

BF: Ich heiße XXXX . Ich bin in der Provinz Logar, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren.

 

R: Wo haben Sie in Afghanistan gelebt, bevor Sie Ihr Heimatland verlassen haben? Geben Sie bitte chronologisch an, in welchen Zeiträumen Sie an welchen Orten gelebt haben?

BF: Ich habe ausschließlich im Distrikt XXXX gelebt.

 

R: Haben Sie an der von Ihnen angegebenen Adresse alleine gelebt?

BF: In diesem Haus lebte ich mit meiner Frau und meinen drei Kindern. Im Haus nebenan lebten meine Eltern.

 

R: Wie geht es Ihren Familienangehörigen?

BF: Es geht. Sie sind zu Hause.

 

R: Was heißt, es geht?

BF: Sie sind die ganze Zeit zu Hause und können nicht hinausgehen. Sie können auch nicht spazieren gehen, weil es bei uns Taliban gibt.

 

R: Wie oft sind Sie mit ihrer Familie in Kontakt?

BF: Es ist ganz unterschiedlich. Es kommt vor, dass ich in der Woche ein bis zweimal oder im Monat insgesamt dreimal anrufe.

 

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt mit Ihrer Familie?

BF: Vorgestern.

 

R: Haben Sie über Ihre Familie hinaus noch Verwandte in Afghanistan?

BF: Ja.

 

R: Welche?

BF: Ich habe dort noch meinen Vater, meine Mutter, eine Tante väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits. Ich habe auch einen Onkel mütterlicherseits, mit dem wir aber keinen Kontakt haben.

 

R: Wo leben die von Ihnen genannten Personen?

BF: Mein Vater lebt neben dem Haus, in dem meine Ehefrau und meine Kinder leben. Meine Tante väterlicherseits lebt bei meinem Vater, meine Tante mütterlicherseits lebt im Distrikt XXXX . Und mein Onkel mütterlicherseits in Kabul.

 

R: Wo in Kabul lebt Ihr Onkel?

BF: Das weiß ich nicht. Ich habe keinen Kontakt zu ihm.

 

R: Warum haben Sie ausgerechnet zu ihm keinen Kontakt?

BF: Ich weiß nicht, ob er ein Handy besitzt.

 

R: Hatten Sie zu Ihrem Onkel in Kabul Kontakt, als Sie noch in Afghanistan waren?

BF: Nein, dort hatte ich auch keinen Kontakt zu ihm.

 

R: Warum nicht?

BF: In Afghanistan kommt es manchmal vor, dass wenn Familienmitglieder heiraten, es zu Streitigkeiten innerhalb der Familie kommt und deshalb der Kontakt abbricht.

 

R: Warum hatten Sie jetzt keinen Kontakt zu Ihrem Onkel in Kabul?

BF: Mein Vater hatte mit ihm ein familiäres Problem. Deshalb gab es keinen Kontakt zu ihm.

 

R: Weshalb?

BF: Das weiß ich nicht.

 

R: Haben Sie mit Ihrem Vater nie darüber gesprochen?

BF: Nein.

 

R: Warum nicht?

BF: Er war der Ältere. In Afghanistan machen die Älteren, dass was sie wollen.

 

R: wiederholt die Frage.

BF: Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie haben ein familiäres Problem gehabt.

 

R: Warum wissen Sie, dass sie ein familiäres Problem gehabt haben, wenn Sie nicht wissen, worum es dabei gegangen ist?

BF: Dieser Kontakt ist vor 30 oder 35 Jahren, als er geheiratet hat, abgebrochen.

 

R wiederholt neuerlich die Frage.

BF: Uns wird nichts darüber erzählt. Es wird schon ein Problem zwischen den beiden gegeben haben.

 

R: Sie sagen, es hat ein familiäres Problem gegeben, wissen aber nicht um welches Problem es sich handelt. Woher wissen Sie dann, dass es ein familiäres Problem zwischen den beiden gegeben hat?

BF: Das weiß ich nicht. Wenn ich meinen Vater gefragt habe, warum er nicht mit uns darüber spricht, hat er geantwortet, dass wir Kinder seien und das nicht verstehen würden.

 

R: Wo wohnt Ihr Vater genau?

BF: In XXXX .

 

R: Wo genau?

BF: Im Dorf in getrennten Häusern.

 

R: Wie weit sind diese Häuser voneinander entfernt?

BF: Unmittelbar benachbart.

 

R: Wie bestreitet Ihre Ehefrau derzeit ihren Lebensunterhalt in Afghanistan?

BF: Ich habe ein Grundstück.

 

R wiederholt die Frage.

BF: Ich habe die Grundstücke verpachtet. Davon lebt meine Familie.

 

R: Wie heißt Ihr Schwiegervater?

BF: XXXX .

 

R: Wo lebt Ihr Schwiegervater?

BF: Er ist verstorben.

 

R: Wann ist er verstorben?

BF: Ich war nicht verheiratet, als er gestorben ist.

 

R: Lebt Ihre Schwiegermutter noch?

BF: Ja.

 

R: Wo?

BF: In XXXX .

 

R: Wie weit ist Ihre Schwiegermutter von Ihrem Elternhaus entfernt?

BF: Zu Fuß ist sie etwa 45 bis 60 Minuten entfernt.

 

R: Mit wem lebt Ihre Schwiegermutter zusammen?

BF: Sie hat einen Sohn.

 

R: Wie heißt Ihr Schwager?

BF: XXXX .

 

R: Welches familiäres Verhältnis besteht zu dem Onkel der in Kabul lebt zu Ihrer Familie?

BF: Wir gehören zum selben Stamm.

 

R: Was heißt das genau?

BF: Wir sind von einem Großvater.

 

R wiederholt die Frage.

BF: Ich meine damit, z.B. das wir zu einer Sippe gehören.

 

R: Was haben Sie damit gemeint, dass Sie von einem Großvater sind?

BF: Damit meine ich, dass wir ein Stamm bzw. eine Sippe sind.

 

R: Wie heißen die angrenzenden Dörfer Ihres Heimatdorfes?

BF: Die Nachbardörfer heißen: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX .

 

R: Wer lebt derzeit mit Ihrer Frau in Ihrem Haus?

BF: In diesem Haus lebt meine Ehefrau mit meinen zwei Töchtern und einem Sohn.

 

R: Wie bestreitet Ihre Ehefrau derzeit ihren Lebensunterhalt?

BF: Ich habe ein Grundstück, welches ich verpachtet habe. Von diesem Einkommen lebt meine Familie.

 

R: Sprechen Sie auch Paschtu?

BF: Nein, nur Dari.

 

R: Welche Ethnien leben in Ihrem Heimatgebiet, bzw. Heimatdorf?

BF: Paschtunen, sie leben in den umgebenden Dörfern, Tadschiken und wir Schiiten.

 

R: Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt in Afghanistan bestritten?

BF: Damals habe ich selbst die Grundstücke bearbeitet.

 

R: Welche Schulausbildung haben Sie?

BF: Ich habe überhaupt keine Bildung erhalten.

 

R: Welche Berufsausbildung haben Sie?

BF: Ich habe als Bauer gearbeitet.

 

R: Was haben Sie gemacht, als Sie diese Tätigkeit ausgeübt haben?

BF: Ich habe z.B. Kartoffel, Bohnen und andere Gemüsesorten angepflanzt und hatte Äpfel und Marillen-Gärten.

 

R: Wie hat Ihr Vater seinen Lebensunterhalt bestritten bzw. wie bestreitet er jetzt seinen Lebensunterhalt in Afghanistan?

BF: Derzeit ist mein Vater krank. Seit ca. 5 oder 6 Monaten leidet er an einer Lebererkrankung. Er ist zu Hause. Davor hat er ein Geschäft im Dorf gehabt.

 

R: Wie bestreitet Ihr Onkel in Kabul seinen Lebensunterhalt?

BF: Davon weiß ich nichts.

 

R: Haben Sie Ihren Onkel in Kabul aufgesucht?

BF: Nein, überhaupt nicht.

 

R: Warum nicht?

BF: Wir haben keinen familiären Kontakt zu ihm. Das Verhältnis ist abgebrochen.

 

R: Haben Sie versucht den Kontakt zu Ihrem Onkel in Kabul aufzunehmen, nachdem Sie Ihr Heimatdorf verlassen haben?

BF: Nein.

 

R: Warum nicht?

BF: Wir haben keine „gemeinsamen Toten und kein gemeinsames Leben.“ Anmerkung der Dolmetscherin: Wenn in der Familie jemand stirbt, dann nimmt der Andere nicht teil.

 

R: Sie haben gesagt, Sie haben das Haus Ihres Vaters verlassen, sie waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in dessen Obhut. Warum haben Sie keinen Kontakt mit Ihrem Onkel in Kabul aufgenommen?

BF: Als ich noch ein Kind war, gab es keinen Kontakt zu meinem Onkel mütterlicherseits. Auch als ich erwachsen wurde, gab es so etwas nicht.

 

R: Frage auf Deutsch: Wie bestreiten Sie in Österreich Ihren Lebensunterhalt?

BF: Ich habe Sie nicht verstanden.

 

R Fragewiederholung auf Dari.

BF: Ich werde vom Staat unterstützt. (BF antwortet in Deutsch).

 

R: Frage auf Dari: In welcher Höhe werden Sie vom Staat unterstützt?

BF antwortet in Dari: Ich bekomme 150,-- Euro im Monat.

 

R: Frage auf Deutsch: Bekommen Sie darüber hinaus noch eine Unterstützung?

BF: Ich habe Sie nicht verstanden. (BF antwortet in Dari).

 

R: Fragewiederholung auf Dari.

BF: Geld bekomme ich keines; aber ich bekomme sonst alles zur Verfügung gestellt, wie z.B. Shampoo, Geschirrspülmittel und dgl. Für Kleidung bekomme ich extra Geld. (Antwort in Dari).

 

R:Frage in Deutsch: Wer bestreitet die Unterkunft?

BF: Bestreiten?

 

R: Fragewiederholung in Dari.

BF: Ich lebe in einem Heim. Der Staat übernimmt die Kosten. (Antwort in Dari).

 

R: Frage in Deutsch: Haben Sie schon um eine arbeitsrechtliche Bewilligung angesucht?

BF: Wie? Habe ich nicht. (Antwort in Dari).

 

R: Frage in Deutsch: Warum nicht?

BF: Ich spreche ein bisschen Deutsch.

 

R: Fragewiederholung in Dari.

BF: Dazu ist es notwendig, dass ich die Sprache lerne. (Antwort in Dari).

 

R: Frage in Dari: Leiden Sie an einer Krankheit- bzw. waren Sie schon einmal im Krankenhaus?

BF: Nein, ich war nur zweimal beim Arzt. (Antwort auf Dari)

 

R: Frage auf Deutsch: Haben Sie einen Freundeskreis in Österreich?

BF: In Österreich? Ich habe Sie nicht verstanden. (Antwort in Dari)

 

R: Fragewiederholung in Dari.

BF: Ja.

 

R: Frage auf Deutsch: Gehören diesem Freundeskreis auch Österreicher an?

BF: Antwort auf Dari: Er fragt, wie viele Freunde ich habe.

 

R: Fragewiederholung in Dari.

BF: Ja.

 

R: Frage auf Deutsch: Können Sie mir Ihre beiden besten österreichischen Freunde mit Namen nennen?

BF: XXXX , XXXX , XXXX .

 

R: Wie heißt Florian mit vollem Namen?

BF: Ich spiele Fußball.

 

R: Fragewiederholung in Dari.

BF: Weiß ich nicht.

 

R: Frage in Deutsch: Sind Sie in einem Verein, einer Kirche, Organisation oder dgl. engagiert?

BF: Ich habe Sie nicht verstanden, was Sie sagen (Antwort in Dari)

 

R: Fragewiederholung in Dari.

BF: Ja. Ich arbeite freiwillig für die Gemeinde, z.B. bei Reinigungsarbeiten auf der Straße. Ich nehme auch an Veranstaltungen der Gemeinde teil, z.B. bei gemeinsamen Spaziergängen.

 

R: Frage auf Deutsch: Haben Sie Verwandte in Österreich?

BF: Nicht verständlich.

 

R: Fragewiederholung in Dari.

BF: Nein, nur mein Neffe lebt hier. (Antwort in Dari)

 

R: Werden Sie von Ihrem Neffen finanziell unterstützt?

BF: Nein, er lebt selbst in einem Heim.

 

R: Ist Ihr Neffe mit Ihnen nach Österreich gekommen?

BF: Ja.

 

R: Haben Sie eine gerichtlich strafbare Handlung in Österreich begangen?

BF: Nein.

 

R: Läuft gegen Sie derzeit ein Strafverfahren?

BF: Nein.

 

R: Haben Sie eine schwere Verwaltungsübertretung begangen, z.B. Fahren am Steuer unter Alkoholeinfluss?

BF: Nein.

 

[…]

 

R: Was würden Sie befürchten, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF: Ich habe aus Angst vor den Taliban Afghanistan verlassen. Weil ich ein Schiit bin werde, ich von den Taliban verfolgt. Deshalb bin ich geflüchtet.

 

R: Was war der Auslöser, dass Sie Afghanistan verlassen haben?

BF: Ich habe einen 2 ½ jährigen Sohn gehabt. Er ist einmal gestürzt und ist mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen. Ich war zu dieser Zeit auf dem Grundstück. Ich bin gekommen und habe meinen Sohn zum Arzt gebracht. Der Arzt sagte uns, dass wir meinen Sohn in das Zentrum der Provinz bringen sollen. Mein Vater sagte mir aber, dass ich nicht dorthin fahren soll, weil auf dem Weg Taliban wären und ich getötet werden würde. Ich bin zu Hause geblieben. Wir haben gegessen. Als meine Frau nach meinem Sohn gesehen hat, war er tot. Ich bin deshalb aus Afghanistan geflüchtet. Es war dort so unsicher, dass ich mein Kind nicht ins Krankenhaus bringen konnte.

 

R: Wann wurde Ihr Sohn beerdigt?

BF: Vor 18 Monaten.

 

R: Wie viele Tage nach dem Tod des Kindes fand die Beerdigung statt?

BF: Am nächsten Tag in der Früh.

 

R: Gab es jemals eine Bedrohung gegen Ihre Person von den Taliban?

BF: Nein. Ich wurde nicht persönlich bedroht. Aber in diesem Gebiet wurden viele Leute getötet und bedroht.

 

R: Wieso haben Sie die Flucht alleine angetreten?

BF: Ich konnte drei kleine Kinder nicht mitnehmen. Ich bin nicht mit dem Flugzeug geflogen. Ich habe den Weg zu Fuß zurückgelegt.

 

R: Sie sagen, in dem Gebiet in dem Sie leben, würden Taliban sein. Haben Sie keine Angst um Ihre Familienangehörigen?

BF: Natürlich habe ich Angst um meine Familie. Meine Ehefrau lebt wie eine Gefangenen in diesem Haus. Wenn Leute einkaufen gehen, dann mit der Angst, dass sie nicht lebend nach Hause kommen.

 

R: Wie lange lebt Ihr Vater schon in diesem Gebiet?

BF: Seit der Geburt meines Vaters.

 

R: Wie alt ist Ihr Vater?

BF: 65 Jahre.

 

R: Hat Ihr Vater jemals das Heimatgebiet verlassen?

BF: Nein.

 

R: Könnten Sie sich vorstellen in Afghanistan in einer anderen Stadt als Kabul, Mazar-e Sharif, Herat zu leben?

BF: Als Schiit würde ich überall in Afghanistan getötet werden. Vor etwa zwei Tagen wurden bei Angriffen in Kabul 60 bis 70 Personen getötet. Gestern gab es einen Angriff in unserer Gebetsstätte in Mazar-e Sharif. Auch dort wurden sehr viele Menschen getötet.

 

RV keine Fragen an den BF.

 

[…]

 

R: Sie haben heute hinsichtlich Ihrer Verwandtschaft nur von einem Onkel gesprochen, der in Kabul lebt. Beim BFA haben Sie am XXXX , vor noch gar nicht allzu langer Zeit von Tanten und Onkeln gesprochen. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich hatte einen Onkel väterlicherseits. Er ist aber verstorben. Das habe ich auch angegeben.

 

R: Wurden vor 4 Monaten gefragt und haben gesagt, Sie hätten noch Tanten und Onkeln.

BF: Ja, ich habe aber angegeben, dass ich eine Tante väterlicherseits, eine Tante mütterlicherseits sowie einen Onkel mütterlicherseits habe, die noch am Leben sind. Während der Onkel väterlicherseits gestorben ist.

 

R an SV: Werden in Afghanistan Schiiten überall verfolgt?

SV: Die Schiiten sind keiner allgemeinen Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt. Es kommt allerdings vor, dass die Taliban symbolisch bestimmte schiitische Zeremonien stören. Beispielsweise haben sie gestern im Rahmen einer schiitischen Feierlichkeit in einem Heiligenschrein in Kabul und Mazar-e Sharif Anschläge verübt, bei denen Dutzende Menschen ums Leben gekommen sind.

Nach meinen Nachforschungen werden die Schiiten in Afghanistan allgemein nicht verfolgt. Die Schiiten und Hazara sind an der staatlichen Macht beteiligt. Sie sind auch im Stande Angriffe auf die Ethnie Hazara und Schitten effektiv abzuwehren.

Einzelne Selbstmordanschläge der Taliban in Afghanistan sind allerdings nicht vorhersehbar. Diese können auch Schiiten treffen, wie es gestern der Fall war.

Diese Angriffe finden auch gegen die Sunniten und deren Heiligtümer statt, unabhängig von deren Ethnie oder politischen Gesinnung.

Diese Ausführungen fußen auf meine täglichen telefonischen Kontakte zu meinen Mittelsmännern in Afghanistan, und meinen bei den Forschungsreisen gemachten Erfahrungen in Afghanistan Ende März/Anfang April 2016.

 

BF: Wenn ich als Schiit keine Angst in Afghanistan gehabt hätte, hätte ich meine Familie, d.h. meine kleinen Kinder nicht alleine zurückgelassen. In unserer Gegend war ein Mann, der Linientaxi zwischen XXXX und dem Provinzzentrum (Logar) gefahren ist. Er wurde von den Taliban entführt, nach XXXX gebracht, enthauptet und zurückgebracht. Dieser Mann hatte nichts mit der Regierung zu tun. Er hatte auch keine Kinder. Er hat von dieser Arbeit gelebt. Eine weitere Person namens XXXX , der für eine Organisation im Entminungsbereich gearbeitet hat, wurde von den Taliban nach XXXX mitgenommen, getötet und seine Leiche wurde zurückgebracht.

 

R: Für welche Organisation hat der Mann gearbeitet?

BF: Für die UN.

 

Abschließend brachte der BF im Wege seiner Vertretung eine vom Verein „ XXXX “ verfasste Stellungnahme zur allgemeinen Situation in Afghanistan (Beilage ./G) in Vorlage. In der Stellungnahme wurde unter Verweis auf verschiedene Länderberichte und Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts die Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie in der Provinz Logar im Speziellen erörtert. Zur individuellen Situation des BF wurde ausgeführt, es handle sich bei ihm um einen jungen arbeitsfähigen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Es müsse demgegenüber aber berücksichtigt werden, dass er im Herkunftsstaat noch nie außerhalb seiner Herkunftsprovinz gelebt habe. Im Fall einer Rückkehr nach Logar bestehe für ihn das reale Risiko, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt zu sein. Ferner könne die Provinz nicht sicher erreicht werden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative, etwa in Kabul, stehe ihm nicht offen.

 

I.9. Mit Schriftsatz vom XXXX teilte der BF im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung mit, dass am XXXX ein Operationstermin zur Entfernung seiner Nierensteine angesetzt wordne sei. Beiliegend wurden ein abulanter Arztbrief des Universitätsklinikums XXXX sowie ein Befund der Chirurgischen Ambulanz des XXXX , beide ausgestellt am XXXX , in Vorlage gebracht.

 

I.10. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF ferner im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung vor, dass bei ihm ein neuerlicher medizinischer Eingriff durchgeführt werden habe müssen, weshalb er von XXXX bis XXXX stationär im LKH Graz aufgenommen und am XXXX operiert worden sei

 

Dem Schriftsatz wurden folgende Urkunden (in Kopie) beigelegt:

- Aufenthaltsbestätigung des LKH-Univ. Klinikum XXXX vom XXXX ;

- Kurzartbrief des LKH-Univ. Klinikum XXXX vom XXXX ;

- Bestätigung eines Arztes für Allgmeinmedizin vom XXXX , wonach sich der BF aufgrund seiner stationären Behandlung noch mindestens zwei weitere Wochen körperlich schonen müsse.

 

I.11. Mit Ladung vom XXXX wurden dem BF verschiedene Berichte zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

 

I.12. Am XXXX fand eine weitere mündliche Bschwerdeverhandlung in Anwesenheit der nunmehr ausgewiesenen rechtsfreundlichen Vertretung des BF sowie unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Das Bundesamt verzichtete Schreiben vom XXXX auf die Teilnahme an der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Im Zuge der Verhandlung wurden folgende Dokumente in Kopie in Vorlage gebracht:

 

- Konvolut von verschiedenen Deutschkursen, Teilnahmebestätigung am Deutschkurs A1 sowie Teilnahmebestätigung des Werte- und Orientierungskurses (Beilage ./A);

- Schreiben von Frau XXXX vom XXXX (Beilage ./B);

- Konvolut an Unterlagen betreffend die Teilnahme an diversen Veranstaltungen bzw. ehrenamtlichen Tätigkeiten (Beilage ./C).

 

[…]

 

R: Wollen Sie zu den übermittelten Länderinformationsblättern noch etwas sagen?

BFV: Ich weise ausdrücklich auf die Situation der Heimatprovinz Logar des BF hin, wonach es meinen Unterlagen nach, sich sehr wohl um eine volatile Sicherheitslage handelt, als es dort immer wieder zu diversen Kampfhandlungen gekommen ist. Es scheint sich einerseits um ein Gebiet zu handeln, welches umkämpft ist, andererseits steht in den Länderberichten auch, dass von dort aus Kampfhandlungen geplant werden. Ergänzend hat sich die Situation sofern geändert, dass er seit über 4 Jahren in Österreich ist und bei einer Rückkehr in seine Heimatregion mit Verfolgung zu rechnen hätte. Dies wurde ihm auch bereits mitgeteilt bzw. leidet seine Familie in Afghanistan unter diesen Umstand. Die Informationen stammen aus dem von ihnen übermittelten Länderinformationsberichten. Sie finden Bestätigung auch im letzten ACCORD-Bericht, Länderinformationsblatt Afghanistan Seite 24, 35, 118, 124, 159, 182 und 184. Die Situation von Rückkehrern wird auch beschrieben u.a. Seite 394.

 

R: (Frage auf Deutsch): Haben Sie in Österreich einen Deutschkurs besucht bzw. verstehen Sie und können Sie deutsch sprechen?

BF auf Deutsch: Ja.

 

R: (Frage auf Deutsch): Seit wann besuchen Sie einen Deutschkurs?

BF auf Deutsch: „Einmal 3 Monate dann noch einmal ein Monat ...“

 

R (Frage auf Deutsch): Seit wann besuchen Sie den Deutschkurs?

BF auf Dari: Habe ich nicht verstanden.

Fragewiederholung auf Dari.

BF: Seitdem ich in Österreich bin besuche ich immer wieder Deutschkurse. Es ist z.B. so, dass ich für drei Monate einen Deutschkurs besuche, dann ist eine zweimonatige Pause und dann setze ich wieder fort.

 

R: Wann haben Sie begonnen einen Deutschkurs zu besuchen?

BF: Ich habe z.B. seit Neujahr zwei Deutschkurse sowohl bei der Caritas als auch in XXXX besucht.

 

R (Frage auf Deutsch): Wie oft in der Woche haben Sie den Deutschkurs bei der Caritas besucht?

BF: auf Deutsch: „Eine Woche, zwei Tage in Deutschkurs der Caritas“.

 

R: (Frage auf Deutsch): An welchen Tagen haben die Deutschkurse stattgefunden?

BF auf Deutsch: „Dienstag und Mittwoch.“

 

R: (Frage auf Deutsch): Können Sie mir einen typischen Alltag beschreiben, vom Aufstehen bis zum Bettgehen, was Sie da alles machen?

BF: auf Deutsch: In Deutschkurs?

 

R: Fragewiederholung auf Dari.

BF auf Deutsch: „Ich aufstehen um 6.00 Uhr, bin gegangen nach gesehen eine Dusch, danach trinken Tee und rauchen. Aber mein Deutschkurs gegangen oder arbeiten bei Caritas in XXXX .“

 

R: (Frage auf Deutsch): Wieviel Uhr?

BF auf Deutsch: in 8.00 Uhr oder 10.00 Uhr ….

 

R Fragewiederholung auf Dari: Um wieviel Uhr?

BF auf Deutsch: 3 Stunden.

 

R: (Frage auf Deutsch): Wann beginnen Sie bei der Caritas Ihre Arbeit? Um wieviel Uhr?

BF auf Deutsch: 8.00 Uhr.

 

R: (Frage auf Deutsch): Wie lange arbeiten Sie bei der Caritas?

BF auf Deutsch: 3 Stunden, 4 Stunden, 6 Stunden.

 

R (Frage auf Deutsch): Von was hängt es ab, wie lange Sie arbeiten müssen?

BF auf Deutsch: keine Antwort.

 

R: Fragewiederholung auf Dari.

BF: Diese Arbeit ist zu unbestimmter Zeit. Es ist nicht gewiss, wie lange ich für eine Arbeit brauche. Es kommt darauf an, wann sie mich anrufen. Wenn weniger Arbeit ist, sind es zwei Stunden und wenn mehr zu tun ist, dann länger. Die Arbeit ist nicht regelmäßig.

 

R: (Frage auf Deutsch): Welche Arbeit verrichten Sie bei der Caritas? Welche Arbeit müssen sie bei der Caritas machen?

BF auf Deutsch: Nein. Habe ich nicht verstanden.

 

R (Frage auf Deutsch): Was arbeiten Sie bei der Caritas?

BF auf Deutsch: Bauer.

R Fragewiederholung auf Dari.

BF: Ich meine aber nicht Caritas, sondern Gemeinde. Wenn irgendwas bei der Gemeinde gefeiert wird, eine Veranstaltung stattfindet für Kinder oder Erwachsene, dort ordne ich die Stühle und Tische, montiere die Lampen und mähe die Rasen mit dem Rasenmäher. Von der Gemeinde werden wir auch woanders hingeschickt, um die Säcke mit Sand zu füllen für den Fall eines Hochwassers. Ich arbeite auch sehr oft ehrenamtlich ohne Bezahlung. Einmal habe ich mir auch in der Arbeit weh getan.

 

R (Frage auf Deutsch): Was arbeiten Sie ehrenamtlich?

BF: Z.B. kurz vor Neujahr stellen wir einen Zaun auf, dass die Frösche nicht auf die Straße laufen, um von den Autos zusammengefahren zu werden.

 

R (Frage auf Deutsch): Wieviel bekommen Sie von der Gemeinde bezahlt?

BF: 5 Euro in einer Stunde.

 

R: (Frage auf Deutsch): Wie bestreiten Sie in Österreich Ihren Lebensunterhalt?

BF auf Deutsch: Ich lebe 3 Jahre, 6 Monate oder 7 Monate.

 

R: Fragewiederholung auf Dari.

BF: Ich bekomme Grundversorgung von der Caritas, 150 Euro im Monat.

 

R (Frage auf Deutsch): Wo wohnen Sie? Wo sind Sie untergebracht? Wohnen Sie privat oder wohnen Sie in einem Heim?

BF auf Deutsch: Im Heim.

 

R (Frage auf Deutsch): Haben Sie dort ein eigenes Zimmer?

BF auf Deutsch: 3 Personen in einem Zimmer, manchmal zwei, jetzt ist eine weg und jetzt bin ich alleine.

 

R (Frage auf Deutsch): Sind Sie verheiratet?

BF auf Deutsch: Ja, ich bin verheiratet.

 

R (Frage auf Deutsch): Haben Sie Kinder?

BF auf Deutsch. Ja, ich habe drei Kinder.

 

R (auf Dari): Haben Sie in Österreich eine Beziehung, eine Freundin?

BF: Nein habe ich nicht, aber viele Freunde habe ich in Österreich.

 

R: (Frage auf Deutsch): Gehören Ihrem Freundeskreis in Österreich auch ÖsterreicherInnen an?

BF auf Deutsch. Ja.

 

R (Frage auf Deutsch): Wie heißen Ihre beiden besten Freunde?

BF auf Deutsch: XXXX . XXXX .

 

R (Frage auf Dari übersetzt): Sind Sie in Österreich jemals einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen?

BF: Nein. Ich darf nur bei der Gemeinde arbeiten.

 

R: Haben Sie schon einen Arbeitgeber gefunden, der für Sie schon um eine arbeitsrechtliche Bewilligung bei AMS angesucht hat?

BF: Nein. Bei einem Gemüseladen war ich, die haben auch beim AMS für mich angesucht, aber das hat nicht funktioniert.

 

R: Haben Sie den Bescheid?

BF: Nein.

 

R: Welches AMS war das?

BF: In XXXX .

 

R: Wie hat der Gemüseladen geheißen?

BF: Ich habe leider nicht darauf geachtet.

 

R: (Frage auf Deutsch): Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF auf Deutsch: Nicht verstanden.

R Fragewiederholung auf Dari.

BF: Ich gehe laufen, viel spazieren. Bei uns gibt es einen Fußballplatz und schaue den Leuten beim Fußball spielen zu. Manchmal besuche ich das Lokal XXXX .

 

R: In welcher Sprache hat der Werte- und Orientierungskurs stattgefunden?

BF: In Farsi.

 

R: (Frage auf Deutsch): Haben Sie in Österreich Verwandte?

BF auf Deutsch: Freunde?

R Fragewiederholung.

BF auf Deutsch: Ich habe leider nicht verstanden.

Fragewiederholung auf Dari.

BF auf Deutsch: Ja, mein Neffe.

 

R (Frage auf Deutsch): Wo wohnt Ihr Neffe?

BF auf Deutsch: In XXXX .

 

R (Frage auf Deutsch): Sind Sie mit Ihrem Neffen in Kontakt?

BF auf Deutsch: Ja.

 

R (Frage auf Dari): Wissen Sie, welchen Aufenthaltsstatus Ihr Neffe verfügt?

BF: Er hat keinen Status. Er arbeitet bei einer Bäckerei.

 

R: Ist sein Asylverfahren noch offen oder ist es schon abgeschlossen?

BF: Er befindet sich im Beschwerdeverfahren. Er ist in erster Instanz negativ. Er besucht eine Berufsschule und arbeitet in einer Bäckerei.

 

R: Wie oft sind Sie mit ihm in Kontakt?

BF: In der Woche ein bis zweimal.

 

R: Wie gestaltet sich der Kontakt?

BF: Zweimal im Monat besuche ich ihn in Graz, sonst telefonieren wir.

 

R: Wie heißt Ihr Neffe?

BF: XXXX .

 

R: Ist Ihr Neffe mit Ihnen nach Österreich gekommen? Sind Sie gemeinsam von Afghanistan gekommen?

BF auf Deutsch: Ja, auf Dari: Er ist der Sohn des Bruders.

 

R: Unterstützen Sie Ihren Neffen?

BF: Er hat eine österreichische Familie und ist dort gut aufgehoben.

 

R: Werden Sie von Ihrem Neffen unterstützt?

BF: Nein.

 

R: Leben außer Ihrem Neffen noch Verwandte in der Europäischen Union?

BF: Nein.

 

R: Haben Sie jemals über einen anderen Aufenthaltstitel als den vorläufigen Aufenthaltstitel nach dem Asylgesetz verfügt?

BF: Nein, habe ich nicht.

 

BF wird belehrt, nächste Frage nicht beantworten zu müssen. BF kann vom Entschlagungsrecht Gebrauch machen.

 

R: Sind Sie in Österreich gerichtlich vorbestraft bzw. läuft gegen Sie ein Strafverfahren oder haben Sie eine Verwaltungsübertretung begangen bzw. läuft gegen Sie ein Verwaltungsstrafverfahren?

BF: Nein.

 

R: Sind Sie Mitglied in einem Verein, Organisation oder dergleichen?

BF: Nein.

 

R: Leiden Sie an irgendwelchen schweren Krankheiten?

BF: Nein.

 

R an BFV: Haben Sie Fragen?

BFV merkt an, dass der BF über eine Stellenzusage bei einem Bauernhof bzw. in der Landwirtschaft verfügt.

 

R: Ihre Vertreterin hat mich aufmerksam gemacht, dass Sie über eine Stellenzusage auf einem Bauernhof verfügen. Was sollen Sie dort machen?

BF: Ja. Ich habe in der Landwirtschaft schon gearbeitet. Ich kenne mich aus bei allen Arbeiten die in der Landwirtschaft anfallen, z.B. Äste abschneiden, oder die Saat ausbringen oder streuen.

 

R: Wie heißt der Bauer?

BF: Die Dame, die draußen Platz genommen hat, sie kennt den Bauern. Sie hat mir auch diese Arbeit organisiert.

 

BFV: Mit wem gehen Sie in das Lokal XXXX ?

BF: Alleine.

 

R: Was machen Sie alleine im Lokal XXXX ?

BF: Ich schaue mir dort Fußball an und nehme mir einen Zettel mit und schaue mir dann die Ergebnisse des Aufgangs der Spiele zu Hause an.

 

BFV: Gehen Sie außer dem Lokal XXXX auch in ein anderes Lokal?

BF: Nein, früher habe ich das Casino besucht, aber jetzt ist das Casino geschlossen.

 

BFV erläutert, dass ihr der BF erzählt hat, dass mittlerweile auch die Kinder nicht mehr hinausgehen, weil diese von den Nachbarn dort im Dorf drangsaliert und beschimpft werden.

 

R: Ihre Vertreterin hat mir erzählt, dass Ihre Kinder mittlerweile nicht hinausgehen dürften. Gibt es dafür einen Grund?

BF: Ja. Die Nachbarn werfen meinen Kindern vor, dass ihr Vater ins Ausland gegangen sei und Ungläubiger geworden ist. Die Situation ist sehr schlecht.

 

R: Ist Ihr Neffe der Sohn Ihres Bruders?

BF auf Deutsch: Ja.

 

R: Wo ist Ihr Bruder aufhältig?

BF: In Logar.

 

R: Was arbeitet Ihr Bruder?

BF: In der Landwirtschaft.

 

R: Wie geht es Ihrem Bruder?

BF: Von ihm weiß ich nichts. Manchmal funktioniert das Handy nicht. Er ist weit weg.

 

R: Wie weit wohnt Ihr Bruder von Ihrer Familie entfernt?

BF: Zwei bis drei Kilometer.

 

R: Wann hatten Sie den letzten Kontakt zu Ihrem Bruder ca?

BF: Vor drei oder vier Monaten.

 

R: Was war da der Inhalt des Gespräches?

BF: Einfach so, wie es uns gegenseitig geht.

 

R: Wie war der Inhalt des Gesprächs?

BF: Ich habe ihn über seine Arbeit, seine Kinder und wie es ihm geht, gefragt. Er hat gesagt, dass bei der Arbeit alles in Ordnung sei, aber die Sicherheitslage sehr schlecht sei.

 

R: Hat Ihr Neffe mit Ihrem Bruder Kontakt?

BF: Ja, sicher, er ist sein Vater.

 

R: Wann hat er das letzte Mal Kontakt gehabt?

BF: Das habe ich nicht gefragt. Kann sein, dass er sehr oft mit ihm in Kontakt ist, er ist sein Vater.

 

R: Hat Ihnen Ihr Neffe etwas erzählt?

BF: Nein.

 

[…].

 

XXXX wird von der BFV bzw. BF als Zeugin stellig gemacht. Die Zeugin wird gemäß § 48, 49 iVm 36a und § 50 AVG belehrt.

 

R: In welchem Verhältnis stehen Sie zum BF?

Z: Ich bin eine Freundin.

 

R: Wie ist Ihr Familienstand?

Z: Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder.

 

BFV: Wo und wann haben Sie den BF kennengelernt?

Z: Ich habe den BF im XXXX kennengelernt. Das war beim ersten Treffen, welches es in der Gemeinde gegeben hat. Ich habe mich ehrenamtlich engagiert, da gab es ein großes Treffen, wo sich alle Asylwerber und alle Leute, die sich bereit erklärt haben, ehrenamtlich zu arbeiten, getroffen haben. Das war am XXXX . Da war auch der BF dabei.

 

BFV: Wie ist es von diesem Zeitpunkt an weitergelaufen?

Z: Der BF war beim ersten Deutschkurs dabei, den wir ehrenamtlich organsiert haben. Da habe ich das erste Mal persönlich Kontakt zu ihm gehabt.

 

R: Was ist Ihre Aufgabe in dem Team?

Z: Nachdem sich viele Ehrenamtliche gemeldet haben, habe ich die Koordination von den Deutschkursen übernommen.

 

R: Haben Sie selbst Deutsch studiert?

Z: Ich habe Sprachwissenschaften studiert.

 

BFV: Wie oft haben Sie ca. mit dem BF Kontakt?

Z: Wir sehen uns ca. 2 bis 4mal in der Woche, manchmal länger, manchmal kürzer. Länger wenn es um etwas Privates geht, wenn wir privat etwas unternehmen.

 

BFV: Was unternehmen Sie gemeinsam?

Z: Was wir sehr gerne machen ist, dass wir uns bei einer Freundin von mir oder auch bei mir zu Hause gemeinsam alle treffen. Das wird dann meistens sehr lustig, wir spielen Karten miteinander oder wir kochen gemeinsam.

 

R: Wieviele Leute sind da meistens dabei?

Z: Zwischen 8 und 10 Leute.

 

BFV: In welcher Sprache unterhalten Sie sich?

Z: Auf Deutsch.

 

BFV: Wie würden Sie die Kommunikation mit dem BF beschreiben. Wie funktioniert das?

Z: Nachdem er nicht gut deutsch kann, er hat zwar viel dazugelernt, mit viel Nachfragen, mit Händen und Füßen geht es und immer wieder Nachfragen. Dann kommen wir schon irgendwie zum Ziel. Die Kommunikation ist einfach, d.h. aber nicht, dass wir es nicht lustig hätten.

 

BFV: Was können Sie zur Integration bzw. Rolle des BF in der Gemeinde sagen?

Z: Das sind für mich zwei Dinge. Die Rolle in der Gemeinde und die Frage der Integration im Allgemeinen. In der Gemeinde ist der BF sehr oft arbeitsmäßig tätig im Rahmen der gemeinnützigen Arbeit.

 

R: Was macht er da?

Z: Er wird sehr gerne im Außenbereich genommen. Alles was mit Pflanzen zu tun hat. Er hat aber auch schon unzählige Auf- und Abbauarbeiten getätigt. Er kann das mittlerweile auswendig. Deshalb wird er dafür immer wieder sehr gern genommen. Das Nächste, warum er sehr gerne genommen wird, ist, dass er sehr zuverlässig ist. Ich habe in den ganzen 4 Jahren noch nicht erlebt, dass er zu spät oder gar nicht gekommen wäre.

 

R: Wenn Sie sagen, er ragt heraus, heißt es, die anderen sind weniger zuverlässig?

Z: Ich kenne auch andere Asylwerber, die nicht so zuverlässig sind. Ich kann mich 100%ig auf ihn verlassen. Zur Integration kann ich sagen, dass er sich verändert hat. Er ist offener und aufgeschlossener geworden. Am Anfang, als wir uns kennengelernt haben vor 4 Jahren, war es ein zaghaftes Hände geben, indem er auf den Boden geschaut hat bzw. keinen Augenkontakt aufgenommen hat. Das hat sich mittlerweile total gedreht. Er hat keine Hemmungen mehr vor körperlichen Berührungen, er ist unbeschwert und locker. Er begegnet uns auf Augenhöhe. Ich habe das, beim letzten Mal, beim Dartspielen beobachtet. Das macht er auch mit den afghanischen Frauen. Ohne Männer. Er hat diesen genauso auf die Schulter geklopft und geht mit ihnen genauso um, wie mit den Frauen in Österreich. Das Dartspielen machen mir, indem wir in ein Pub gehen und dort ein oder zwei Gläser Bier trinken.

 

BFV: Können Sie uns etwas zur Zusage einer Beschäftigung für den BF sagen?

R: Gibt es dafür einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag?

Z: Es ist sich zeitlich nicht ausgegangen. Es ist nur mündlich.

 

R: Was wäre das für eine Aufgabe?

Z: Auf einem Biobauernhof, alles was dort anfällt, vom Anpflanzen bis zum Ernten.

 

R: Wie heißt der Biobauernhof?

Z: Das ist der „ XXXX “ in XXXX bei XXXX .

 

BFV: Wie würden Sie den BF von seiner Art bzw. seinem Wesen beschreiben?

Z: Das erste was mir aufgefallen ist, ist, dass der BF ein grundehrlicher Mensch ist. Er ist dadurch, dass er nie in die Schule gegangen ist, bzw. nie lesen oder schreiben gelernt hat, sehr einfach. Er ist ein lustiger und geselliger Mensch. Er ist zuhause selber Bauer.

 

R: Was wissen Sie vom Neffen des BF?

Z: Der Neffe arbeitet in einer Bäckerei, „ XXXX “ in XXXX , und ist derzeit im 2. Lehrjahr. XXXX kenne ich auch persönlich.

 

R an BF: Haben Sie noch eine Frage an die Zeugin?

BF: Nein.

 

Zeugin wird um 11:27 Uhr aus dem Zeugenstand entlassen.

 

R an BFV: Wollen Sie noch etwas sagen?

BFV: Ich habe alles fragen können. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass mein Mandant als Analphabet gekommen ist. Bereits am XXXX hat er seinen Asylantrag gestellt und ist seit nunmehr mehr als 4 Jahren in Österreich. Er gehört der schiitischen Minderheit an.

 

R an BF Wollen Sie noch etwas sagen?

BF: Ich habe vorher erwähnt, dass das Leben meiner Kinder in Afghanistan in Gefahr ist, sie können das Haus nicht verlassen. Meine kleine Tochter kennt mich nicht. Wenn meine Frau mit mir spricht, fragt sie, wer ich sei.

[…]

 

I.13. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF im Wege seiner Vertretung einen Einstellungszuage des „ XXXX “ unter Vereinbarung eines Bruttolohns in der Höhe von € 1.434 ,-- in Vorlage.

 

I.14. Mit Ladung vom XXXX wurden dem BF aktuelle Länderberichte zur allgemeinen Situation in Afghanistan zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

 

I.15. Mit Schriftsatz vom XXXX erstattete der BF im Wege seiner Vertretung Stellungnahme zur allgemeinen Situation in Afghanistan und brachte ergänzenden Berichte und Artikel zur aktuellen Situation in Afghanistan, insbesondere zu den aufgrund der Covid-19 Pandemie zu erartenden soziökonomischen Folgen in Vorlage.

 

Nach Erörterung der allgemeinen rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde in Hinblick auf die Situation des BF ausgeführt, dass zahlreiche Prognosen zur Entwicklung der herrschenden Pandemie in Afghanistan und vor allem deren Auswirkung auf die Bevölkerung gegen die Zumutbarkeit einer allfälligen innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen würden. Bereits vor der Pandemie sei die wirtschaftliche Situation äußerst prekär gewesen. Laut einer UN Pressemitteilung von XXXX sei Afghanistan zu einem besorgniserregenden Hunger-Hotspot Asiens erklärt worden. Ferner könnten sich seit dem Ausbruch der Pandemie laut dem World Food Porgramme der UN mehr als 11 Millionen Menschen – sohin mehr als ein Drittel der Bevölkerung – aufgrund von Unsicherheit und Dürren nicht ausreichend ernähren. Auch die Kurzinformation der Staatendokumentation vom XXXX zeige auf, dass aller Voraussicht nach Covid-19 Afghanistan besonders hart treffen werde. Laut dieser Information seien Kabul und Herat die am stärksten betroffenen Regionen, weshalb in diesen Gebieten Ausgangsbeschränkungen verhängt worden seien.

In der Folge wurden der UNHCR - Bericht „Covid-19: Mehr Unterstützung für Afghanistan und seine Nachbarländer benötigt“ sowie der Beitrag „Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener“ vom 27.03.2020 von Friederike Stahlmann auszugsweise zitiert. Unter Verweis auf den Bericht von BBC News „Seven million Afghan children risk hunger“ vom 01.05.2020 wurde unter anderem ausgeführt, dass der Preis für Weizenmehl und Speiseöl auf den wichtigsten Märkten Afghanistans um 23% und die Kosten für Reis, Zucker und Hülsenfrüchte um 7 bis 12% gestiegen seien. Das Einkommen der Tagelöhner würde sinken, da die Arbeit durch die Sperrung versiege. Das afghanische Finanzministerium rechne laut Briefing Notes des BAMF vom 04.05.2020 aufgrund der Pandemie mit 50 % weniger Einnahmen im laufenden Finanzjahr. Die höchste Anzahl an Fällen weist Kabul auf, gefolgt vn Herat, Kandahar und Balkh. Ergänzend wurde auf den Bericht „Foreign Policy Dispatch: In Afghanistan, the Coronavirus Could be Deadlier Than War“ vom 17.04.2020, zitiert und ausgeführt, dass auch aus diesem Bericht die verheerende Situation in Afghanistan ersichtlich sei. Zur allgemein prekären Sicherheitslage wurde auf die Briefing Notes des BAMF vom 04.05.2020 verwiesen. Schließlich wurden die Berichte „UN OCHA – UN Office fort he Coordination of Humanitärian Affairs: Afghanistan Weekly Humanitarian Update, 17 June 2020“ sowie der ACCORD – Bericht „Overview of security in Afghanistan“ vom 26.05.2020 in das Verfahren eingeführt.

In Bezug auf das Länderinformationsblatt Afghanistan wurde moniert, dass dieses keine Informationen betreffend den Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten enthalte. In Hinblick auf die schwache Infrastruktur, den herrschenden Lockdown bzw. die eingeschränkte Bewegungsfreiheit sei dies individuell für den BF zu prüfen. Es genüge nicht, dass es irgendwo im Land Medikamente und medizinisches Perosnal gebe, sondern müsse gewährleistet werden, dass der BF auch tatsächlich Zugang dazu hätte. Bereits aufgrund der aktuellen Ausgangsbeschränkungen und der Gefahr der Ansteckung, vor allem auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, so sie denn benutzt werden könnten, sei eine innerstaatliche Fluchtalternative mangels der sicheren Erreichbarkeit einer alternativen Niederlassungsmöglichkeit in Afghanistan ausgeschlossen. Wie etwa aus dem Bericht von Ärzte ohne Grenzen „Menschen in Afghanistan haben keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Hilfe“ vom 04.03.2020 hervorgehe, würde der BF in Afghanistan völlig mittellos als Rückkehrer ohne jegliche finanzielle und/oder soziale Unterstützung kein menschenwürdiges Leben führen können. Im Fall einer Infektion mit Covid-19 sei eine ärztliche Behandlung nicht gewährleistet. Ob und unter welchen Umständen Medikamete zugänglich und für Rückkehrer erschwinglich seien, sei dem Länderinformationsblatt nicht zu entnehmen. Ferner würden die Erwerbsmöglichkeiten zurückgehen, während mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen und die Lebensmittelkosten steigen. Hinsichtlich der bereits vor Ausbruch der Pandemie prekären Situation am Wohnungsmarkt werde auf die Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen Abgeschobener Afghanen von Friederike Stahlmann vom September 2019, S. 248, hingewiesen. All diese Umstände würden gegen die Annahme sprechen, dass der BF in Afghanistan nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß fassen und ein Leben ohne unbillige Härten führen könne.

 

I.16. Am XXXX fand eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein von zwei Vertrauenspersonen sowie unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete mit Schreiben vom XXXX auf die Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung.

 

Im Zuge der Verhandlung wurden folgende Dokumente in Vorlage gebracht:

 

 Unterstützungserklärung der XXXX , welche als (Beilage ./1);

 Unterstützungsschreiben von XXXX (Beilage ./2);

 Schreiben des XXXX vom XXXX (Beilage ./3);

 Bestätigung Deutschkurs vom XXXX (Beilage ./4);

 Kopie des Deutschkurses (verschoben wegen Corona) (Beilage ./5);

 Bestätigung der Caritas vom XXXX (Beilage ./6);

 Kursbestätigung vom XXXX (Schreiben von Frau XXXX ) (Beilage./7);

 Betätigung der österreichischen XXXX vom XXXX (Beilage ./8);

 Bericht von Ärzte ohne Grenzen von März 2020 vor (Beilage ./9).

 

 

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

 

[…]

BF: Ich bin heute sehr unruhig, weil meine Mutter verstorben ist, ich habe viel geweint. Daher geht es mir den Umständen entsprechend nicht gut. Ich nehme keine Medikamente. Nachgefragt, ob ich in der Lage bin, die Fragen zu beantworten gebe ich an, dass dies möglich ist.

 

[…]

 

 

Fragen auf Deutsch:

R: Hat sich seit der letzten Verhandlung vom XXXX in Ihren persönlichen Verhältnissen etwas geändert und wenn ja, was?

BF an D: Ich habe ihn (R ist gemeint) nicht verstanden.

 

Fragewiederholung auf Dari.

BF (auf Dari): Hier in Österreich ja.

 

R (auf Deutsch): Können Sie mir das näher ausführen?

BF (auf Deutsch): Ich habe so viele Freunde und Freundin. Ich so viele Freunde gehen zu Hause, Essen und Trinken zusammen, gehen spazieren und meine Freunde gehen in Trinkenhaus und trinken Bier und Wein.

 

R (auf Dari): Fragewiederholung.

BF (auf Dari): Ich gehe zum Deutschkurs, ich arbeite bei der Gemeinde. Ich helfe Leuten aus der Gegend. Ich arbeite in einer Schule. Zu Hause beschäftige ich mit meinen Hausaufgaben und ebenso auch mit den Haushaltsarbeiten.

R (auf Deutsch): Sie haben gesagt, Sie arbeiten in der Gemeinde. Können Sie mir erklären, was Sie dort genau für Tätigkeiten übernommen haben?

BF an D: Entschuldigung, ich habe das nicht verstanden.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Deutsch): Ich habe so viel Fest in Schule. Ich räumen die Tische, ich machen die Lampe. Ich räume die Glasen und Teller, räumen, waschen.

 

R (auf Deutsch): Seit wann machen Sie diese Tätigkeit?

BF (auf Deutsch): Ich nicht verstehen.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF: Seit XXXX .

 

R (auf Deutsch): Was hat sich geändert bzw. was ist seit der letzten Verhandlung neu dazugekommen?

BF (auf Deutsch): Ich habe Deutschkurs in XXXX . Ich habe eine Woche drei Tag.

 

R (auf Deutsch): Was hat sich sonst noch geändert, außer dem Deutschkurs?

BF (auf Deutsch): Ich arbeite in Gemeinde.

 

R (auf Deutsch): Seit wann arbeiten Sie dort?

BF (auf Deutsch): Nächsten Jahres.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Deutsch): Neu ich habe Deutschkurs. Ich habe eine Freunde Gemüsegeschäft geholfen. Ich habe ein neue Geschäft, kleine Geschäft, auch brauchen helfen. Ja, ist.

 

R (auf Deutsch): Seit wann arbeiten Sie im Gemüsegeschäft?

BF (auf Deutsch): Es ist vielleicht zwei Monate.

 

R 8auf Deutsch): Wie viele Stunden arbeiten Sie dort?

BF (auf Deutsch): Eine Woche zwei Tage.

 

R (auf Deutsch): Wie viele Stunden sind das am Tag?

BF (auf Deutsch): 5 Stunden, 3 Stunden, 6 Stunden.

 

R (auf Deutsch): Wie sind Sie zu dieser Arbeit gekommen?

BF (auf Deutsch): Kartoffel sitzen.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Deutsch): Frau XXXX suchen.

 

R (auf Deutsch): Sind Sie zu Frau XXXX gegangen oder hat Frau XXXX Sie aufgesucht?

BF (auf Deutsch): Frau XXXX suchen für mich.

 

R (auf Dari): Sind Sie dort arbeitsrechtlich angemeldet oder ist es eine freiwillige Tätigkeit?

BF (auf Dari): Ich helfe mit ohne Anmeldung.

 

R (auf Dari): Bekommen Sie etwas dafür?

BF (auf Dari): Nein.

 

R (auf Deutsch): Gibt es einen besonderen Grund, warum Sie diese Tätigkeit im Gemüsegeschäft machen?

BF: Keine Antwort.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Dari): Einerseits ging es mir psychisch schlecht, andererseits wollte ich meine Sprachkenntnisse durch diese gratis Hilfstätigkeiten erweitern. Daher fand die Dame für mich diese Stelle, so dass es mir gesundheitlich, psychisch bessergeht und so, dass ich in Kontakt mit anderen Menschen komme und ein paar Wörter mit ihnen austauschen kann.

 

R (auf Deutsch): Sind Sie in ärztlicher Behandlung? Müssen Sie zu einem Arzt gehen?

BF (auf Deutsch): Nein.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Deutsch): Nein.

 

R (auf Deutsch): Müssen Sie irgendwelche Medikamente nehmen?

BF (auf Deutsch): Nein.

 

R (auf Deutsch): Können Sie mir beschreiben, was Sie im Gemüsegeschäft machen?

BF (auf Deutsch): Ich machen die Kartoffel, Zwiebel und Knoblauch.

R (auf Deutsch): Was machen Sie genau mit den Zwiebeln und Kartoffeln?

BF (auf Deutsch): Sie verkaufen in Graz.

 

R (auf Deutsch): Wenn jemand zu Ihnen ins Gemüsegeschäft kommt, gibt es für Sie da eine besondere Aufgabe?

BF (auf Deutsch): Ich nicht verstehen.

 

R (auf Deutsch): Müssen die Leute, die zu Ihnen kommen auch bei Ihnen bezahlen?

BF (auf Deutsch): Bei mir? Nein.

 

R (auf Deutsch): Bei wem müssen die Leute bezahlen, wenn sie etwas kaufen?

BF (auf Deutsch): Ich kaufen?

 

Fragewiederholung auf Dari: Was müssen Sie für Aufgaben im Gemüsegeschäft übernehmen?

BF (auf Dari): Ich arbeite nicht in einem Geschäft. Ich helfe der Familie auf den Feldern. Mit dem Geschäft meinte ich vorhin die Tätigkeit und nicht die Räumlichkeit.

 

R (auf Dari): Was machen Sie auf den Feldern?

BF (auf Dari): Zwiebel, Kartoffel, Gurken, Tomaten werden eingepflanzt, ich helfe ihnen. Die Familie verkauft ihre Erträge irgendwo in Graz.

 

R an RV: Hat der BF eine Bewilligung als Saisonier?

RV: Nein.

 

R (auf Dari): Haben Sie schon einen Deutschkurs absolviert?

BF (auf Dari): Vor der Quarantäne besuchte ich einen A0 Deutschkurs, einen Alphabetisierungskurs. Den Kurs brachte ich zu Ende. Ich konnte aber die dafür vorgesehene Prüfung wegen der Corona-Krise nicht ablegen. Kurz gesagt habe ich bis jetzt kein Zertifikat für irgendwelche Deutschkurse.

 

R (auf Deutsch): Hat sich in Ihrem privaten Verhältnis in Österreich seit der letzten Verhandlung etwas geändert?

BF (auf Deutsch): Ich nicht verstehen.

 

Fragewiederholung auf Dari: Haben Sie in Österreich eine Freundin, Lebensgefährtin?

BF (auf Dari): Geheiratet habe ich nicht, verlobt bin ich auch nicht, eine Freundin habe ich auch nicht. Ich habe aber mehrere Freunde.

 

R (auf Deutsch): Können Sie mir erzählen, was Sie in Ihrer Freizeit machen?

BF (auf Deutsch): Ich nicht verstehen, entschuldigen.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Dari): Ich sehe fern, ich schaue mir Filme an. (auf Deutsch). Ich gehe spazieren. Ich treffe Freunde und Zusammenkunft anrufen und dann gehen wir gemeinsam trinken oder spazieren.

 

BF (auf Deutsch): Welche Programme schauen Sie fern?

BF (auf Deutsch): Frage nicht verstanden.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Dari): Ich konnte / kann Ihre Frage deswegen nicht gut im Bezug auf die Kanäle beantworten, weil ich auf die Namen der Kanäle nie aufgepasst habe. Ich habe aber verschiedene Sendungen auf Deutsch auf mehreren Kanälen angeschaut.

 

R (auf Deutsch): Interessieren Sie sich für Politik?

BF (auf Deutsch): Nicht verstanden.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Dari): Nein.

 

R (auf Deutsch): Wie lange leben Sie in Österreich?

BF (auf Deutsch): 5 Jahre und zwei Monate.

 

R (auf Deutsch): Interessieren Sie sich für die Dinge, die in Österreich geschehen?

BF (auf Deutsch): Ich nicht verstehen.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Dari): In welchem Zusammenhang?

 

R (auf Dari): In irgendeinem beliebigen Zusammenhang, egal welcher.

BF (auf Dari): Ich wünsche und hoffe, dass es sowohl mir als auch den ÖsterreicherInnen gut geht und dass sie alle glücklich sind.

 

R (auf Deutsch): Schauen Sie Nachrichten?

BF (auf Dari): Ja, im Fernsehen, auf Deutsch.

 

R (auf Dari): Auf welchem Kanal schauen Sie sich die Nachrichten an?

BF (auf Dari): In dieser Corona-Krise hat man immer wieder Nachrichten gesehen, gehört, dass man Masken aufsetzen muss, dass man Abstand halten soll und keine Hände schütteln soll.

 

R (auf Dari): Woher haben Sie diese Informationen? Auf welchem Kanal haben Sie das gesehen/gehört?

BF (auf Dari): Ich schaue Programme und Nachrichten auf Grazer Kanälen, Linzer Kanäle und Kanäle der Steiermark. Sonst kenne ich mich nicht aus.

 

R (auf Dari): Wenn Sie die Nachrichten geschaut haben, was ist derzeit bzw. war die ganze Zeit schon ganz aktuell?

BF (auf Dari): Soll ich auch von der Vergangenheit erzählen?

 

R (auf Dari): Sie schauen fern. In der Corona-Krise hatte man noch mehr Zeit dazu. Was haben Sie mitbekommen, wenn Sie in den letzten zwei bis drei Monaten ferngeschaut haben?

BF (auf Dari): Außer Corona, was habe ich noch angeschaut? Was habe ich noch …..? Naja das waren alles Corona-Nachrichten. Ich hörte wie viele Leute wurden in welchem Bundesland damit infiziert und wie viele sind daran gestorben und wo.

 

R (auf Dari): Wo sind die meisten in Österreich daran gestorben?

BF (auf Dari): Steiermark, glaube ich, Tirol.

 

R (auf Dari): Wenn Sie sagen, Sie arbeiten auf dem Feld. Arbeiten Sie da mehrheitlich mit österreichischen Staatsbürgern oder mit Menschen, die keine österreichischen Staatsbürger sind?

BF (auf Dari): Die Leute stammen alle aus Österreich, es handelt sich um ein kleines Dorf.

 

R (auf Dari): Was ist Ihr Gesprächsthema mit diesen Leuten?

BF (auf Dari): Wir begrüßen einander, dann sprechen wir über die Pflanzen und ordnen die Pflanzenarten anhand der Blüten den Gemüsearten zu.

 

R (auf Dari): Reden Sie über die Tätigkeit hinaus auch noch etwas mit den Menschen?

BF (auf Dari): Wir trinken gemeinsam und während des Essens plaudern wir. Man fragt mich nach unseren Essgewohnheiten in Afghanistan und wie wir eine Gemüseart in Afghanistan einpflanzen. Solche Sachen halt. Ebenso fragt man mich um meine Familie, wie es dieser geht und meine Fluchtgeschichte.

 

RV: Die Familie mit dem Gemüsegeschäft, haben die auch Kinder?

BF (auf Deutsch): Ja, zwei Kinder.

 

RV: Haben Sie diese auch schon kennengelernt bzw. haben Sie diese getroffen?

BF: Ja.

 

RV: Was haben Sie mit dieser Familie gemeinsam gemacht?

BF: Ich nicht verstehen.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Dari): Diese Familie hat zwei Töchter. In der Früh gehe ich auf die Felder und die Kinder gehen zur Schule. Unterwegs zurück von der Schule nach Hause werde ich von den zwei Kindern der Familie sehr sanft und liebevoll angesprochen. Sie rufen mich auch mit dem Wort „ XXXX , XXXX , XXXX . Wie geht’s“? Dann nähern sie sich mir an und sie zeigen mir ein paar Sachen. Sie nennen mir dann die Sachen auf Deutsch, so dass ich die Bezeichnung dafür auf Deutsch erlernen kann. Diese Kinder und die gesamte Familie, samt den Dorfbewohnern verleihen mir das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dadurch vergesse ich meine schlechten Gedanken und ich fühle mich dadurch sehr wohl, vor allem, wenn ich unter ihnen bin.

 

R: Wie heißt die Familie, von der Sie sprechen?

BF (auf Deutsch): XXXX (phonetisch).

 

RV: Der Mann?

BF (auf Deutsch): XXXX .

 

RV: Sie haben vorhin gesagt, Sie essen gemeinsam. Haben Sie auch mit dieser Familie gegessen während des Ramadan?

BF (auf Deutsch): Ja.

 

Fragewiederholung auf Dari:

BF (auf Deutsch): Ja, zusammen gegessen und getrunken während des Ramadan.

 

RV: Haben Sie im Ramadan gefastet?

BF: Nein.

 

R (auf Dari): Was würden Sie befürchten, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF (auf Dari): Wenn ich dorthin zurückkehre, würde man mich umbringen.

 

R: Möchten Sie sonst noch etwas sagen?

BF (auf Dari): Wenn ich dorthin zurückkehre, zB … Die Leute haben meinem Vater gesagt, dass sein Sohn ungläubig geworden sei und deswegen haben sie ihn viel zu viel belästigt. Wenn ich aber selber dorthin zurückgehe, würden mich diese Leute auf keinen Fall verschonen. Sie würden mich töten.

 

R: Wenn Sie sagen „dorthin zurückgehen“, wohin genau?

BF: Afghanistan.

 

R (auf Dari): Wann haben Sie das erfahren?

BF (auf Dari): Vor etwa zwei/zweieinhalb Jahren.

 

R: Haben Sie Kontakt nach Afghanistan?

BF (auf Deutsch): Ja, habe ich, mit meiner Frau und mit meinen Kindern.

 

R (auf Dari): Wie oft haben Sie mit Ihren Verwandten in Afghanistan Kontakt?

BF (auf Dari): Die Kontaktaufnahme mit ihnen (Frau und Kinder) ist unregelmäßig. Mal ist die Kontaktaufnahme zwei Mal am Tag, mal zwei, drei Mal in der Woche und manchmal auch einmal im Monat, den Umständen entsprechend.

 

R: Was ist der Inhalt der Gespräche, wenn Sie mit ihnen sprechen?

BF (auf Dari): Sie fragen mich nach dem Verhalten der hier in Österreich lebenden Menschen mir gegenüber. Daraufhin antworte ich ihnen, dass die Menschen hier in Österreich mir gegenüber sehr nett seien, sie helfen mir und dass sie mich auch manchmal bei ihnen zu Hause beherbergen.

R: Gibt es darüber hinaus auch noch Gesprächsstoff?

BF (auf Dari): Ich sage ihnen, dass ich mich hier in Österreich glücklich fühle und dass alle Menschen hier in Österreich gleichbehandelt werden und dass es in Österreich keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt und dass die Frauen genauso aus den Häusern gehen wie die Männer und genauso arbeiten draußen wie die Männer. Ich frage auch natürlich meine Familie, wie es ihnen geht.

 

Fragewiederholung:

BF (auf Dari): Dass die Kinder dort auf die Felder gehen und zwar nicht sehr oft, vor allem, wenn die Leute sie gerade nicht belästigen. Die Kinder bleiben öfter bei meinem Vater.

 

R: Wieso bleiben die Kinder öfter bei Ihrem Vater?

BF: Meine Mutter ist bereits verstorben. Meinem Vater geht es gesundheitlich nicht gut, daher lebt er bei meiner Familie. Aus diesem Grund sind meine Kinder auch oft bei ihm.

 

R: Was erzählt Ihre Frau – wenn Sie mit ihr sprechen – darüber hinaus?

BF: Sie erzählt von ihrem Leben und von ihren Problemen dort, dass die Leute dort die Familie belästigen und sie fragt mich, ob ich die Familie …. Dass die Leute im Dorf die gesamte Familie, vor allem meinen Vater, öfter belästigen.

 

R: Wenn Sie „vom Dorf“ sprechen, ist es Ihr Heimatdorf?

BF: Ja, ich meine damit das Heimatdorf.

 

RV: Was meinen Sie, wenn Sie sagen „belästigen“?

BF: In dem die Kinder nicht zur Schule gehen. Auch wenn sie sich manchmal draußen befinden werden sie von den Dorfbewohnern angesprochen und wird den Kindern gesagt, dass ihr Vater ein Ungläubiger sei und ungläubig geworden wäre.

 

R: Hat man den Kindern den Hintergrund gesagt, warum man das zu ihnen sagt?

BF: Die Kinder aus dem Dorf sprechen meine Kinder an, weil sie etwas zu Hause über mich von ihren Eltern erfahren. Es ist diesen Kindern etwas zu Hause erzählt worden, dass ich in Österreich ungläubig geworden bin.

 

RV: Wann ist Ihre Mutter gestorben?

BF: Vor zwei Wochen.

 

RV: Sie haben gesagt, Ihr Vater ist krank. Können Sie uns sagen, welche Krankheit er hat und welche Behandlung er braucht?

BF: Es wird gesagt, dass er sehr krank sei, dass es ihm sehr schlecht gehe. Er ist seit langem krank.

 

R: An welcher Krankheit leidet er konkret?

BF: Er hustet viel. Ich glaube er hat Lungenprobleme.

 

RV: Keine weiteren Fragen.

 

RV: Gerade im Hinblick auf die Folgen einer Rückkehr möchte ich darauf hinweisen, dass mein Mandant keinen Schutz bzw. keine Unterstützung durch seine Familie oder ein sonstiges Netzwerk bekommen würde. Weder ist seine Frau in der Lage, noch sein Vater.

 

[…]

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF

II.1.1.1. Der 36-jährige BF ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Die Volksgruppenzugehörigkeit des BF kann nicht abschließend festgestellt werden.

Am XXXX stellte er nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

II.1.1.2. Der BF stammt aus der afghanischen Provinz Logar, wo er bis zu seiner endgültigen Ausreise aus dem Herkunftsstaat gelebt hat. Er verfügt über keine Schulbildung und ist folglich Analphabet. Seine Erstsprache ist Dari. Der BF ist traditionell verheiratet und hat drei minderjährige Kinder. Im Herkunftsstaat hat er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie als Landwirt bestritten. Nach seiner Ausreise hat seine Familie die Landwirtschaft verpachtet und bestreitet nunmehr ihren Lebensunterhalt aus dem daraus erzielten Einkommen.

Seine Ehefrau, seine Kinder, sein Vater, seine drei Schwester und seine zwei Brüder leben nach wie vor im Herkunftsstaat. Ferner hat der BF noch zwei Tanten sowie einen Onkel in Afghanistan. Die Mutter des BF ist bereits verstorben. Der BF pflegt nach wie vor regelmäßig Kontakt zu seiner Ehfrau und seinen Kindern.

II.1.1.3. Der BF ist im Herkunftsstaat nicht in das Blickfeld der Taliban geraten und ist nie einer konkret gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen. Für ihn besteht keine reale Gefahr der Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit. Ferner ist es es nicht wahrscheinlich, dass dem BF aufgrund seines Aufenthalts in Europa der Abfall vom islamischen Glauben unterstellt wird und ihm aus diesem Grund im Fall seiner Rückkehr im gesamten Staatsgebiet Afghanistans Verfolgung droht.

Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass der BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder zu einer sozialen Gruppe von staatlicher Seite oder von privaten Dritten verfolgt wird.

Bei einer Rückkehr in die Provinz Logar kann eine Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit aufgrund der instabilen Sicherheitslage sowie der schlechten Erreichbarkeit dieser Provinz nicht ausgeschlossen werden.

Eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif ist dem BF zumutbar und ist diese Stadt auch sicher mit dem Flugzeug erreichbar. Es steht nicht fest, dass der BF im Falle einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Der BF ist arbeitsfähig und leidet weder an einer schwerwiegenden noch an einer lebensbedrohlichen Krankheit. Er ist im afghanischen Familienverband aufgewachsen und spricht die in Afghanistan verbreitete Sprache Dari als Erstsprache. Der BF hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht, ist mit den kulturellen Traditionen und Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut und hat in seinem Heimatdorf als Landwirt den Lebensunterhalt für sich sowie für seine Ehefrau und seine Kinder bestritten. Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat auch ohne finanzielle Unterstützung seiner Angehörigen in der Lage sein wird, sich – allenfalls mit Hilfstätigkeiten - ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Es ist nicht davon auszugehen, dass er bei seiner Rückkehr nach Afghanistan in eine hoffnungslose Lage geraten würde. Zur Überbrückung allfälliger Anfangsschwierigkeiten kann der BF zudem Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen.

II.1.1.4. Der BF lebt in Österreich in keiner Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Gemeinschaft. Sein Neffe wohnt in Österreich und verfügt über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes. Zwischen dem BF und seinem Neffen besteht keine besonders intensive Beziehung und/oder ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Sie leben nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Abgesehen von seinem Neffen verfügt der BF über keine Angehörigen oder nahen Verwandten im österreichischen Bundesgebiet.

Bindungen besonderer Intensität zu einzelnen Personen im Bundesgebiet hat der BF in Österreich nicht aufgebaut. Allerdings hat er einen großen Freundes- und Bekanntenkreis und nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben der Gemeinde XXXX teil.

Er hat für die Gemeinde gemeinnützige Tätigkeiten, wie Auf- und Abbau größerer Veranstaltungen, Renovierungsarbeiten, Reparaturarbeiten in der Schule, Befüllung von Sandsäcken sowie Pflege von Grünflächen, verrichtet. Ferner hat er die österreichische Naturschutzjugend beim Aufstellen von Amphibienschutzzäunen unterstützt und an Sportveranstaltungen, wie etwa einem Inklusionsfußballturnier und einer Laufveranstaltung, teilgenommen. Zudem ist er als Hilfskraft mehrere Wochen im Österreichischen Freilichtmuseum XXXX tätig gewesen.

Der BF hat an einem Werte- und Orientierungskurs, einem Alphabetisierungskurs sowie an zahlreichen Deutschkursen teilgenommen, hat jedoch keine Deutschprüfung abgelegt und verfügt lediglich über einfache Deutschkenntnisse. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er aus den Mitteln der Grundversorgung und ist sohin nicht selbsterhaltungsfähig. Er unterstützt freiwillig eine Gemüsegärtnerei bei der Feldarbeit und hat eine aufschiebend bedingte Einstellungszusage für die Mitarbeit am „ XXXX “ unter Vereinbarung eines Bruttolohns in der Höhe von € 1.434 ,-- erhalten.

In Österreich ist der BF unbescholten.

II.1.2. Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan

II.1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt Afghanistan vom 13.11.2019 mit letzter Kurzinformation vom 18.05.2020

COVID-19:

[…]

 

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

 

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

 

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

 

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

 

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

 

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

 

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

 

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

• Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

• Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

[…]

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

 

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Logar

[…]

Aufständische sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten durch (KP 31.7.2019b; vgl. AJ 20.1.2019). So haben auch die Taliban eine Präsenz in der Provinz (AJ 20.1.2019; vgl. TN 27.4.2018). Operationen zur Befreiung der Distrikte von Talibanaufständischen werden regelmäßig durchführt (AJ 20.1.2019; vgl. KP 31.7.2019b; TN 2.8.2019), unter anderem auch durch den afghanischen Geheimdienst (NDS) (AJ 20.1.2019).

[…]

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 218 zivile Opfer (95 Tote und 123 Verletzte) in der Provinz Logar. Dies entspricht einer Steigerung von 52% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Luftangriffe, gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020).

Die Provinz Logar zählt zu den relativ instabilen Provinzen Afghanistans mit aktiven aufständischen Kämpfern (KP 26.12.2018); die Sicherheitslage soll sich in den vergangenen Monaten verschlechtert haben (KP 31.7.2019b). In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen (z.B. TN 2.8.2019; AA 1.8.2019; KP 31.7.2019b; MENAFN 8.7.2019; XI 8.7.2019), unter anderem auch von Spezialeinheiten des NDS (z.B. KP 2.8.2019; AJ 20.1.2019; PAJ 25.11.2018). Luftangriffe werden durchgeführt (z.B. Sme 28.6.2018; KP 21.7.2019; DN 28.6.2019; FRP 27.5.2019; KP 26.12.2018; PJ 9.7.2019), dabei werden Aufständische getötet (Sme 28.6.2018; vgl. DN 28.6.2019; FRP 27.5.2019; KP 26.12.2018). Zivilisten fallen manchmal auch Luftangriffen zum Opfer (z.B. NYTM 25.7.2019; TN 22.7.2019; TN 16.7.2019; PJ 9.7.2019; PAJ 21.11.2018).

Die Taliban führen in Logar Angriffe auf Kontrollposten der Regierungskräfte durch (KP 31.7.2019a; vgl. CN 28.5.2019; SN 8.8.2018). Auch kommt es zu Anschlägen auf hochrangige Regierungsvertreter durch die Taliban (AN 20.1.2019; vgl. AJ 20.1.2019; (PAJ 18.11.2018) .

Immer wieder kommt es zu temporären Kontrollpunkten der Taliban (AT 16.11.2018; vgl. TN 30.6.2019), wie z.B. auf dem Straßenabschnitt Mohammad Agha; in manchen Fällen, um nach Regierungsmitarbeitern Ausschau zu halten (AT 16.11.2018).

Balkh

[…]

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[…]

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (UNAMA 2.2020).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 21.6.2019).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 2.9.2019). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34% (USDOS 21.6.2019). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.2.2019). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 21.6.2019).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 7.6.2017; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 21.6.2019).

Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 21.6.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Weiterführende Informationen zu Angriffen auf schiitische Glaubensstätten, Veranstaltungen und Moscheen können Abschnitt Fehler! Textmarke nicht definiert.. - Sicherheitslage samt Unterabschnitten - entnommen werden. Weiterführende Informationen zur mehrheitlich schiitischen Volksgruppe der Hazara siehe auch Abschnitt… .

 

Grundversorgung

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 2.9.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 2.9.2019).

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (WB o.D.). Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert (WB 7.2019).

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht (WB 7.2019).

Arbeitsmarkt

Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64 Jahren alt (ILO 2.4.2018). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos – Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (BFA 4.2018; vgl. CSO 2018).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. (BFA 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (BFA 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (BFA 4.2018).

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang – als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (BFA 4.2018).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

 

Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif

Kabul

Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist (CSO 8.6.2017). Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist (USIP 10.4.2017). Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung (CSO 8.6.2017). Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten (USIP 10.4.2017). Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten (USIP 10.4.2017).

Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul am größten (49,6 Prozent). Im Gegensatz dazu zeigt die Provinz Ghor ist der traditionelle Agrarsektor hier bei weitem der größte Arbeitgeber, des weiteren, existieren hier sehr wenige Möglichkeiten (Jobs und Ausbildung) für Kinder, Jugendliche und Frauen (CSO 8.6.2019).

Herat

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat – wie auch in anderen afghanischen Städten – vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).

Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015).

Dürre und Überschwemmungen

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (FAO 23.11.2018; vgl. AJ 12.8.2018).

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als „angespannt“ bis „krisenhaft“. Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden (FEWS NET 8.2019).

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (GN 6.3.2019).

Armut und Lebensmittelsicherheit

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen (CSO 2018; vgl. USAID 11.4.2019), wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist (CSO 2018). Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen (CSO 2018).

Im Zeitraum 2016-17 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Gegenüber früheren Erhebungen ist der Anteil an armen Menschen in Afghanistan somit gestiegen (2007-08: 33,7%, 2011-12: 38,3%). Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%) (CSO 2018). Es bestehen regionale Unterschiede: In den Provinzen Badghis, Nuristan, Kundus, Zabul, Helmand, Samangan, Uruzgan und Ghor betrug der Anteil an Menschen unter der Armutsgrenze gemäß offizieller Statistik 70% oder mehr, während er in einer Provinz – Kabul – unter 20% lag (NSIA 2019). Schätzungen zufolge, ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul-Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Damit ist der Anteil an armen Menschen in den beiden urbanen Zentren zwar geringer als in den ländlichen Distrikten der jeweiligen Provinzen, jedoch ist ihre Anzahl aufgrund der Bevölkerungsdichte der Städte dennoch vergleichsweise hoch. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000 (WB/NSIA 9.2018).

2018 gaben rund 30% der 15.012 Befragten an, dass sich die Qualität ihrer Ernährung verschlechtert hat, während rund 17% von einer Verbesserung sprachen und die Situation für rund 53% gleich blieb. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Personen, welche angaben, dass sich ihre Ernährungssituation verschlechtert habe, im Westen des Landes über dem Anteil in ganz Afghanistan. Beispielsweise die Provinz Badghis war hier von einer Dürre betroffen (AF 2018).

Bank- und Finanzwesen

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird dabei nach folgendem fragen: Ausweisdokument (Tazkira), 2 Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital für das Bankkonto. Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv: unter anderem die Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, oder The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank (IOM 2018).

Hawala-System

Über Jahrhunderte hat sich eine Form des Geldaustausches entwickelt, welche Hawala genannt wird. Dieses System, welches auf gegenseitigem Vertrauen basiert, funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich. Hawala wird von den unterschiedlichsten Kundengruppen in Anspruch genommen: Gastarbeiter, die ihren Lohn in die Heimat transferieren wollen, große Unternehmen und Hilfsorganisationen bzw. NGOs, aber auch Terrororganisationen (WKO 2.2017; vgl. WB 2003; FA 7.9.2016).

Das System funktioniert folgendermaßen: Person A übergibt ihrem Hawaladar (X) das Geld, z.B. 10.000 Euro und nennt ihm ein Passwort. Daraufhin teilt die Person A der Person B, die das Geld bekommen soll, das Passwort mit. Der Hawaladar (X) teilt das Passwort ebenfalls seinem Empfänger-Hawaladar (M) mit. Jetzt kann die Person B einfach zu ihrem Hawaladar (M) gehen. Wenn sie ihm das Passwort nennt, bekommt sie das Geld, z.B. in Afghani, ausbezahlt (WKO 2.2017; vgl. WB 2003).

So ist es möglich, auch größere Geldsummen sicher und schnell zu überweisen. Um etwa eine Summe von Peshawar, Dubai oder London nach Kabul zu überweisen, benötigt man sechs bis zwölf Stunden. Sind Sender und Empfänger bei ihren Hawaladaren anwesend, kann die Transaktion binnen Minuten abgewickelt werden. Kosten dafür belaufen sich auf ca. 1-2%, hängen aber sehr stark vom Verhandlungsgeschick, den Währungen, der Transaktionssumme, der Vertrauensposition zwischen Kunde und Hawaladar und nicht zuletzt von der Sicherheitssituation in Kabul ab. Die meisten Transaktionen gehen in Afghanistan von der Hauptstadt Kabul aus, weil es dort auch am meisten Hawaladare gibt. Hawaladare bieten aber nicht nur Überweisungen an, sondern eine ganze Auswahl an finanziellen und nicht-finanziellen Leistungen in lokalen, regionalen und internationalen Märkten. Beispiele für das finanzielle Angebot sind Geldwechsel, Spendentransfer, Mikro-Kredite, Tradefinance oder die Möglichkeit, Geld anzusparen. Als nichtmonetäre Leistungen können Hawaladare Fax- oder Telefondienste oder eine Internetverbindung anbieten (WKO 2.2017; vgl. WB 2003).

Medizinische Versorgung

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 2.9.2019). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WHO o.D.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 2.9.2019).

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (BFA 4.2018; vgl. MPI 2004, AA 2.9.2019). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (BFA 4.2018). Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 2.9.2019). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. WHO 3.2019, BDA 18.12.2018). Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen – auch bei kleineren Eingriffen – ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018).

Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2014 waren 73% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte „Out-of-pocket“-Zahlungen durch Patienten, nur 5% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich wurden vom Staat geleistet (WHO 12.2018).

Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 2.9.2019). Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (BFA 4.2018).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 2.9.2019).

Beispielsweise um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab – mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Seit dem Jahr 2009 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (BFA 4.2018).

Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 2.9.2019; vgl. WHO 4.2018).

Zugangsbedingungen für Frauen

Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen. Lag die Müttersterblichkeit laut Weltbank 1990 bei 64,7 Todesfällen auf 1.000 Geburten, belief sie sich im Jahr 2017 auf 29,4 Todesfälle pro 1.000 Geburten. Es gibt allerdings Berichte von einer deutlich höheren Dunkelziffer (AA 2.9.2019). Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen immer noch kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Im Bereich Säuglingssterblichkeit hat Afghanistan auch weiterhin die weltweit dritthöchste Sterblichkeitsrate (AA 2.9.2019). Dies kann insbesondere darauf zurückgeführt werden, dass Geburten zunehmend in medizinischen Einrichtungen, bzw. unter Betreuung von ausgebildetem medizinischem Personal stattfinden und auch die Nachversorgung nach Geburten zugenommen hat. Während die Mehrheit der Frauen im städtischen Raum bei der Geburt durch geschultes Personal betreut wird, trifft dies in ländlichen Gebieten allerdings immer noch auf weniger als die Hälfte der Geburten zu (CSO 2018). Frauen sind beim Zugang zur Gesundheitsversorgung mit spezifischen Problemen konfrontiert, darunter beispielsweise einem geringen Wissen über Gesundheitsprobleme, einer niedrigen Alphabetisierungsrate (AAN 2.12.2014), Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und einem beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln (AAN 2.12.2014; vgl. UNOCHA 11.2018, BFA 13.6.2019). Verbote von medizinischen Untersuchungen von Patientinnen durch männliches medizinisches Personal wirken sich aufgrund des niedrigeren Anteils von Frauen in medizinischen Berufen negativ auf den Zugang von Frauen zu medizinischen Leistungen aus (UNOCHA 11.2018).

Afghanistan gehört zu den wenigen Ländern, in welchen die Selbstmordrate von Frauen höher ist als die von Männern. Die weite Verbreitung psychischer Erkrankungen unter Frauen wird von Experten mit den rigiden kulturellen Einschränkungen, welchen Frauen unterworfen sind und welche ihr Leben weitgehend auf das eigene Heim beschränken, in Verbindung gebracht (BDA 18.12.2018).

Medizinische Versorgung in Mazar-e Sharif

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (BFA 4.2018).

Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).

IDPs und Flüchtlinge

Im Jahresverlauf 2019 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre. UNHCR berichtet für den Zeitraum 1.1.-6.11.2019 380.289 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden (USDOS 11.3.2020). Mit Stand 29.3.2020 wurden 52.700 Menschen aufgrund des Konflikts zu IDPs – dafür waren landesweite Kämpfe zwischen nicht-staatlichen Akteuren und den nationalen afghanischen Sicherheitskräften verantwortlich (UNOCHA 29.3.2020).

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. In allen 34 Provinzen werden IDPs aufgenommen (USDOS 11.3.2020).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 2.9.2019).

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft (USDOS 11.3.2020).

IDPs sind in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kommt es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung (USDOS 11.3.2020). Mehr als 80% der Binnenvertriebenen benötigen Nahrungsmittelhilfe (USAID 30.4.2018). Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen (USDOS 11.3.2020).

Die afghanische Regierung kooperiert mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen – inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran – ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen.

 

Dürre und Überschwemmungen

Der Jahresbericht 2018 des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) nennt eine Zahl von rund 371.000 neuen IDPs aufgrund der Dürre in Afghanistan im Jahr 2018 (IDMC 5.2019). Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs (UNOCHA 20.1.2018), zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah (BFA 13.6.2019). Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert und es werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt (UNOCHA 20.1.2018). Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD (BFA 13.6.2019).

Weiterführende Informationen zu Dürre und Überschwemmungen können Abschnitt 21. „Grundversorgung“ entnommen werden.

 

Flüchtlinge in Afghanistan

Die afghanische Regierung hat noch keinen Entwurf für ein nationales Flüchtlings- oder Asylgesetz verabschiedet. Die Regierung arbeitet mit UNHCR, der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen Betroffenen Schutz und Hilfe zu gewähren. Auch registriert und koordiniert UNHCR den Schutz von ca. 500 Flüchtlingen in Städten. Afghanistan beherbergt etwa 76.000 pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Pakistan geflohen sind; UNHCR registrierte etwa 41.000 Flüchtlinge in der Provinz Khost und verifizierte mehr als 35.000 Flüchtlinge in der Provinz Paktika (USDOS 11.3.2020; vgl. UNHCR 25.2.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_(Stand_Juli_2019),_02.09.2019.pdf , Zugriff 11.9.2019

- AJ – Al Jazeera (12.8.2018): Drought raises food security fears in Afghanistan, https://www.aljazeera.com/news/2018/08/drought-raises-food-security-fears-afghanistan-180812063301371.html , Zugriff 24.9.2019

- BFA Staatendokumentation (13.6.2019): Afghanistan – Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf , Zugriff 2.7.2019

- EASO – European Asylum Support Office (4.2019): Country of Origin Information Report Afghanistan: Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Afghanistan-KSEI-April-2019.pdf , Zugriff 3.6.2019

- FAO – Food and Agriculture Organization of the United Nations (23.11.2018): Afghanistan Drought Response, http://www.fao.org/fileadmin/user_upload/emergencies/docs/CA2268EN.pdf , Zugriff 24.9.2019

- FEWS NET – Famine Early Warning Network (4.2019): Afghanistan Food Security Outlook Update, http://fews.net/sites/default/files/documents/reports/AFGHANISTAN_Food_Security_Outlook_Update_April 2019_Final_0.pdf, Zugriff 16.5.2019

- GN – Guardian, the (6.3.2019): 'Chilling reality': Afghanistan suffers worst floods in seven years, https://www.theguardian.com/global-development/2019/mar/06/chilling-reality-afghanistan-suffers-worst-floods-in-seven-years , Zugriff 16.5.2019

- UNHCR – Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (25.2.2019): Operational Fact Sheet Afghanistan 25 February 2019, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/68200.pdf , Zugriff 3.6.2019

- UNOCHA – UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs: Afghanistan (29.3.2020): Weekly Humanitarian Update (23 March to 29 March 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027576/afghanistan_humanitarian_weekly_29_march.pdf ,Zugriff 17.4.2020

- UNOCHA – United Nations Office on Coordination of Humanitarian Affairs (20.10.2018): Humanitarian Bulletin Afghanistan, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/20181019draft_ocha_afghanistan_monthly_humanitarian_bulletin_july-september_2018_en_final.pdf https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/20181019draft_ocha_afghanistan_monthly_humanitarian_bulletin_july-september_2018_en_final.pdf , Zugriff 25.9.2019

- USAID – U.S. Agency for International Development (30.4.2018): Afghanistan – Complex Emergency https://www.ecoi.net/en/file/local/1433122/1788_1526997854_3004.pdf , Zugriff 3.6.2019

- USDOS – U.S. Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices of 2018 – Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html , Zugriff 3.6.2019

- WHO – World Health Organization (3.2019): Situation report March 2019, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/COPub_AFG_Situation_rep_Mar_2019_EN.pdf , Zugriff 16.5.2019

Rückkehr

Seit 1.1.2020 sind 279.738 undokumentierter Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. Die höchste Anzahl an Rückkehrer/innen ohne Papiere aus dem Iran wurden im März 2020 (159.789) verzeichnet. Die Anzahl der seit 1.1.2020 von IOM unterstützten Rückkehrer/innen aus dem Iran beläuft sich auf 29.019. Seit Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan (Anm.: 23.4.-24.5.2020) hat sich die Anzahl der Rückkehr/innen (undokumentierter, aber auch unterstützter Rückkehr/innen) reduziert. Im gleichen Zeitraum kehrten 1.833 undokumentierte und 1.662 von IOM unterstütze Personen aus Pakistan nach Afghanistan zurück (IOM 11.3.2020). Pakistan hat temporär und aufgrund der COVID-19-Krise seine Grenze nach Afghanistan geschlossen (VoA 4.4.2020; vgl. IOM 11.5.2020; TN 18.3.2020; TiN 13.3.2020). Durch das sogenannte „Friendship Gate“ in Chaman (Anm.: in Balochistan/ Spin Boldak, Kandahar) wurden im April 37.000 afghanische Familien auf ausdrücklichen Wunsch der afghanischen Regierung von Pakistan nach Afghanistan gelassen. An einem weiteren Tag im Mai 2020 kehrten insgesamt 2.977 afghanische Staatsbürger/innen nach Afghanistan zurück, die zuvor in unterschiedlichen Regionen Balochistans gestrandet waren (DA 10.5.2020).

Im Zeitraum 1.1.2019 – 4.1.2020 kehrten insgesamt 504.977 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurück: 485.096 aus dem Iran und 19.881 aus Pakistan (IOM 4.1.2020). Im Jahr 2018 kehrten aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 nach Afghanistan zurück: 773.125 aus dem Iran und 32.725 aus Pakistan (IOM 5.1.2019). Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan (AA 2.9.2019).

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrer als positiv empfunden (MMC 1.2019; vgl. IOM KBL 30.4.2020). Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA 4.2018). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 2.9.2019).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse – auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA 4.2018).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 2.9.2019). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (BFA 13.6.2019).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 2.9.2019). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (BFA 13.6.2019).

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 2.9.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 13.3.2019). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (BFA 13.6.2019).

Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (BFA 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (AAN 19.5.2017).

In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten (IRARA 9.5.2019).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (BFA 4.2018).

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 6.2008). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzen. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014).

Bereits 2017 hat die afghanische Regierung mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben mit neuer rechtlicher Grundlage an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Eine Hürde ist die Identifizierung von geeigneten, im Staatsbesitz befindlichen Ländereien. Generell führt die unklare Landverteilung häufig zu Streitigkeiten. Gründe hierfür sind die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, mangelhafte Verwaltung und Dokumentation von An- und Verkäufen, das große Bevölkerungswachstum sowie das Fehlen eines funktionierenden Katasterwesens. So liegen dem afghanischen Innenministerium Berichte über widerrechtliche Aneignung von Land aus 30 Provinzen vor (AA 2.7.2019).

[…]

 

Aktuelle Informationen zu COVID-19

[…]

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Unterstützung durch IOM

Die internationale Organisation für Migration (IOM – International Organization for Migration) unterstützt mit diversen Projekten die freiwillige Rückkehr und Reintegration von Rückkehrer/innen nach Afghanistan. In Bezug auf die Art und Höhe der Unterstützungsleistung muss zwischen unterstützter freiwilliger und zwangsweiser Rückkehr unterschieden werden (IOM KBL 26.11.2018; vgl. IOM AUT 23.1.2020; BFA 13.6.2019; BFA 4.2018). Im Rahmen der unterstützten Freiwilligen Rückkehr kann Unterstützung entweder nur für die Rückkehr (Reise) oder nach erfolgreicher Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt auch bei der Wiedereingliederung geleistet werden (IOM AUT 23.12.020).

Mit 1.1.2020 startete das durch den AMIF der Europäischen Union und das österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanzierten Reintegrationsprojekt, RESTART III. Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten RESTART und RESTART II steht dieses Projekt ausschließlich RückkehrerInnen aus Afghanistan zur Verfügung. RESTART III, ist wie das Vorgängerprojekt auf drei Jahre, nämlich bis 31.12.2022 ausgerichtet und verfügt über eine Kapazität von 400 Personen. Für alle diese 400 Personen ist neben Beratung und Information – in Österreich sowie in Afghanistan – sowohl die Bargeldunterstützung in der Höhe von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.800 Euro geplant (IOM AUT 23.1.2020).

Die Teilnahme am Reintegrationsprojekt von IOM ist an einige (organisatorische) Voraussetzungen gebunden. So stellen Interessent/innen an einer unterstützen freiwilligen Rückkehr zunächst einen entsprechenden Antrag bei einer der österreichischen Rückkehrberatungseinrichtungen - dem VMÖ (Verein Menschenrechte Österreich) oder der Caritas bzw. in Kärnten auch beim Amt der Kärntner Landesregierung. Die jeweilige Rückkehrberatungsorganisation prüft dann basierend auf einem Kriterienkatalog des BMI, ob die Anforderungen für die Teilnahme durch die AntragsstellerInnen erfüllt werden. Für Reintegrationsprojekte ist durch das BMI festgelegt, dass nur Personen an dem Projekt teilnehmen können, die einen dreimonatigen Aufenthalt in Österreich vorweisen können. Es wird hier jedoch auf mögliche Ausnahmen hingewiesen, wie zum Beispiel bei Personen, die im Rahmen der Dublin-Regelung nach Österreich rücküberstellten werden. Des weiteren sieht die BMI Regelung vor, dass nur eine Person pro Kernfamilie die Unterstützungsleistungen erhalten kann (BMI Stand 23.1.2020). Im Anschluss unterstützt die jeweilige Rückkehrberatungseinrichtung den/die Interessenten/in beim Antrag auf Kostenübernahme für die freiwillige Rückkehr an das BFA. Wenn die Teilnahme an dem Reintegrationsprojekt ebenso gewünscht ist, so ist ein zusätzlicher Antrag auf Bewilligung des Reintegrationsprojektes zu stellen. Kommt es in weiterer Folge zu einer Zustimmung des Antrags seitens des BMI wird ab diesem Zeitpunkt IOM involviert (IOM AUT 23.1.2020).

[Anm.: Es besteht auch die Möglichkeit jederzeit einen Antrag auf freiwillige Rückkehr zu stellen, auch ohne Teilnahme an dem Projekt. Eine Mitarbeiterin von IOM Österreich weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es hier keine Teilung zwischen freiwilligen und unterstützten Rückkehrer/innen gibt. Grundsätzlich spricht man von unterstützter freiwilliger Rückkehr und zusätzlich gibt es die Reintegrationsunterstützung bei Projektteilnahme.]

 

Neben Beratung und Vorabinformationen ist IOM für die Flugbuchung verantwortlich und unterstützt die Projektteilnehmer auch bei den Abflugmodalitäten. Flüge gehen in der Regel nach Kabul, können auf Wunsch jedoch auch direkt nach Mazar-e Sharif gehen [Anm.: Unter Umgehung von Kabul und mit Zwischenlandung in Mazar-e-Sharif]. Die Weiterreise nach Herat beispielsweise findet in der Regel auf dem Luftweg über Kabul statt (IOM 26.11.2018). Die österreichischen Mitarbeiter unterstützen die Projektteilnehmer beim Einchecken, der Security Controle, der Passkontrolle und begleiten sie bis zum Abflug-Terminal (BMI Stand 23.1.2020). Teilnehmer am Reintegrationsprojekt RESTART III von IOM landen in der Regel (zunächst) in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Dort werden sie von den örtlichen IOM-MitarbeiterInnen in Empfang genommen. IOM Mitarbeiter können Rückkehrer/innen direkt nach Verlassens des Flugzeuges empfangen und sie bei den Ein- bzw. Weiterreiseformalitäten unterstützen. An den Flughäfen anderer Städten wie Mazar-e-Sharif, Kandahar oder Herat gibt es keine derartige Ausnahmeregelung (IOM KBL 26.11.2018; vgl. IOM AUT 23.1.2020).

RESTART sowie die Folgeprojekte RESTART II und RESTART III unterscheiden sich nur minimal voneiander. So ist beispielsweise die Höhe der Barzahlung und auch die Unterstützung durch Sachleistungen gleich geblieben, wobei im ersten RESTART Projekt und in der ersten Hälfte von RESTART II nur 2.500 Euro in Sachleistung investiert wurden und die restlichen 300 Euro für Wohnbedürfnisse, Kinderbetreuung oder zusätzlich für Bildung zur Verfügung standen. Dies wurde im Verlauf von RESTART II geändert und es ist nun auch in RESTART III der Fall, sodass die gesamte Summe für eine einkommensgenerierende Tätigkeit verwendet werden kann (IOM AUT 27.3.2020).

RADA

IOM hat mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Projekt „RADA“ (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. (IOM 5.11.2019).

Innerhalb dieses Projektes gibt es eine kleine Komponente (PARA – Post Arrival Reception Assistance), die sich speziell an zwangsweise rückgeführte Personen wendet. Der Leistungsumfang ist stark limitiert und nicht mit einer Reintegrationsunterstützung vergleichbar. Die Unterstützung umfasst einen kurzen medical check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von 12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.) (IOM AUT 23.1.2020).

 

Wohnungen

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2018), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein (IOM 2018).

Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2018).

[…]

 

Bewegungsfreiheit

[…]

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020) [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung (MPI 27.1.2004; vgl. FH 4.2.2019)]. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen. Als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit werden Sicherheitsbedenken genannt. Besonders betroffen ist das Reisen auf dem Landweg (AA 2.9.2019). Dazu beigetragen hat ein Anstieg von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.2.2019). In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht (FH 4.2.2019). Auch schränken gesellschaftliche Sitten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 2.9.2019).

Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu häufigerem Wohnortwechsel, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.3.2019).

Auch in größeren Städten erfolgt in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen. Dies schlägt sich sowohl in einem Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder (AA 2.9.2019).

Es gibt internationale Flughäfen in Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif, bedeutende Flughäfen, für den Inlandsverkehr außerdem in Ghazni, Nangharhar, Khost, Kunduz und Helmand sowie eine Vielzahl an regionalen und lokalen Flugplätzen. Es gibt keinen öffentlichen Schienenpersonenverkehr (AA 2.9.2019).

Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig „gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen (EASO 2.2018; vgl. BFA 13.6.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer (BFA 13.6.2019). Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 2.9.2019).

 

II.1.2.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien Afghanistan vom 30.08.2018

 

Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, S. 123 – 126; mwN)

[…]III.C.

Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben

Eine vorgeschlagene Flucht- oder Neuansiedlungsalternative ist nur dann zumutbar, wenn der Antragsteller in dem betreffenden Gebiet seine grundlegenden Menschenrechte ausüben kann und Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen vorfindet. In dieser Hinsicht muss bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative insbesondere auf Folgendes geachtet werden:

(i) Zugang zu einer Unterkunft im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet

(ii) Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet wie Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung

(iii) Lebensgrundlagen einschließlich des Zugangs zu Land für Afghanen, die aus ländlichen Gebieten stammen, oder im Fall von Antragstellern, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie für ihren eigenen Unterhalt sorgen (zum Beispiel ältere Antragsteller), erwiesene und nachhaltige Unterstützung zur Erreichung eines angemessenen Lebensstandards.

Zu den Punkten (i) - (iii) im konkreten Kontext von Afghanistan wurde die Bedeutung der Verfügbarkeit und des Zugangs zu sozialen Netzen, bestehend aus der erweiterten Familie des Antragstellers oder aus Mitgliedern seiner ethnischen Gemeinschaft, bereits ausführlich dokumentiert. In dieser Hinsicht kann allein aus der Anwesenheit von Personen mit demselben ethnischen Hintergrund wie der des Antragstellers im geplanten Neuansiedlungsort nicht geschlossen werden, dass solche Gemeinschaften den Antragsteller maßgeblich unterstützen würden; eine solche Unterstützung würde in der Regel vielmehr konkrete frühere gesellschaftliche Beziehungen zwischen dem Antragsteller und einzelnen Mitgliedern der betreffenden ethnischen Gemeinschaft voraussetzen.

Selbst wenn derartige bereits zuvor bestehende, soziale Beziehungen gegeben sind, sollte aber geprüft werden, ob die Mitglieder dieses Netzes auch bereit und trotz der prekären humanitären Lage in Afghanistan, der niedrigen Entwicklungsindikatoren und der generellen wirtschaftlichen Zwänge, unter denen weite Teile der Bevölkerung leiden, auch wirklich in der Lage sind, den Antragssteller tatsächlich zu unterstützen. Inwiefern Antragsteller auf Unterstützung durch Familiennetzwerke im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zurückgreifen können, muss auch im Lichte der berichteten Stigmatisierung und Diskriminierung von Personen, die nach einem Aufenthalt im Ausland nach Afghanistan zurückkehren, geprüft werden.

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht.

UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.“

Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in afghanischen Städten

Wie in den Anleitungen der Abschnitte III.C.1 und III.C.2 beschrieben, setzt eine Bewertung der Möglichkeit für eine Neuansiedlung in einer bestimmten Stadt eine Beurteilung sowohl der Relevanz als auch der Zumutbarkeit besagter Neuansiedlungsmöglichkeit für den jeweiligen bestimmten Antragstellers voraus. Wird eine interne Schutzalternative in einer bestimmten Stadt im Zuge eines Asylverfahrens in Erwägung gezogen, müssen alle allgemeinen und persönlichen Umstände, die im Hinblick auf Relevanz und Zumutbarkeit dieser Stadt als vorgeschlagenem Neuansiedlungsort für den betreffenden Antragsteller maßgeblich sind, soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der betreffenden Stadt für seine Neuansiedlung zu äußern.

Zur Feststellung der Relevanz muss der Entscheidungsträger beurteilen, ob die betreffende Stadt für den Antragsteller praktisch und sicher erreichbar ist. Dazu muss die Verfügbarkeit von Lufttransport zum nächstgelegenen Flugplatz und die Sicherheit einer Weiterreise auf der Straße zum endgültigen Bestimmungsort oder alternativ die Sicherheit des Transports auf der Straße vom internationalen Flugplatz Kabul zum endgültigen Bestimmungsort geprüft werden.

UNHCR macht darauf aufmerksam, dass nur wenige Städte von Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte, die gezielt gegen Zivilisten vorgehen, verschont bleiben. UNHCR stellt fest, dass gerade Zivilisten, die in städtischen Gebieten ihren tagtäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer dieser Gewalt zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

Im Hinblick auf die Prüfung der Zumutbarkeit verweist UNHCR auf die allgemeine Bemerkung des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in seinem Überblick von 2018 über den Bedarf an humanitärer Hilfe, in der es heißt: „Insgesamt halten sich heute über 54 Prozent der Binnenvertriebenen (IDPs) in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöht und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärkt.“ Außerdem herrscht, wie in Abschnitt II.D beschrieben, in den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekt jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbricht. Am schlimmsten betroffen sind die Provinzen Balkh, Ghor, Faryab, Badghis, Herat und Jowzjan.

Dazu kamen 2016, wie in Abschnitt II.F beschrieben, über eine Million aus Iran und Pakistan zurückkehrender Afghanen, gefolgt von weiteren 620 000 Heimkehrern im Jahr 2017. Der Protection Cluster in Afghanistan stellte schon im April 2017, nach den Rückkehrerströmen von 2016, aber noch vor den meisten Rückkehrern des Jahres 2017, Folgendes fest: „Der enorme Anstieg der Zahl der Heimkehrer [aus Pakistan und Iran] führte zu einer extremen Belastung der bereits an ihre Grenzen gelangten Aufnahmekapazität der wichtigsten Provinz- und Distriktzentren Afghanistans, nachdem sich viele Afghanen den Legionen von Binnenvertriebenen anschlossen, da sie aufgrund des sich zuspitzenden Konflikts nicht in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten. [...] Mit begrenzten Lebensgrundlagen, ohne soziale Schutznetze und angewiesen auf schlechte Unterkünfte sind die Vertriebenen nicht nur mit einem erhöhten Risiko der Schutzlosigkeit in ihrem alltäglichen Leben konfrontiert, sondern werden auch in erneute Vertreibung und negative Bewältigungsstrategien gezwungen, wie etwa Kinderarbeit, frühe Verheiratung, weniger und schlechtere Nahrung usw."

Laut der Erhebung über die Lebensbedingungen in Afghanistan 2016-2017 leben 72,4 Prozent der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unter unzulänglichen Wohnverhältnissen.

Außerdem wird berichtet, dass das Armutsniveau in Afghanistan ansteigt: Der Anteil der Bevölkerung, der unter der nationalen Armutsgrenze lebt, ist von 34 Prozent in den Jahren 2007/2008 auf 55 Prozent im Zeitraum 2016/2017 gestiegen.

 

II.1.2.3. Auszug aus dem EASO Bericht von Juni 2019 (vgl. S. 32 – 37)

Internal protection alternative

[…]

In relation to these elements, when assessing the applicability of internal protection alternative (IPA), the case officer should consider the general situation in the respective part of Afghanistan, as well as the individual circumstances of the applicant. The burden of proof lies with the determining authority, while the applicant remains under an obligation to cooperate. The applicant is also entitled to submit elements to indicate that IPA should not be applied to him or her.

a. Part of the country

This guidance regarding IPA focuses on the three cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif. The selection of the three cities for this joint assessment does not prevent case officers from considering the application of IPA to other areas of Afghanistan, provided that all criteria are met.

When choosing a particular part of Afghanistan with regard to which to examine the applicability of IPA, where relevant, existing ties with the place, such as previous experience and/or existence of a support network could, for example, be taken into account.

[…]

Based on available COI, it is concluded that the general circumstances prevailing in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif, assessed in relation to the factors above, do not preclude the reasonableness to settle in the cities. The assessment should take into account the individual circumstances of the applicant. A person’s ability to navigate the above circumstances will mostly depend on access to a support network or financial means.

[…]

The individual considerations could relate to certain vulnerabilities of the applicant as well as to available coping mechanisms, which would have an impact when determining to what extent it would be reasonable for the applicant to settle in a particular area. It should be noted that these factors are not absolute and they would often intersect in the case of the particular applicant, leading to different conclusions on the reasonableness of IPA.

[…]

Single able-bodied men

Although the situation related to settling in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif entails certain hardships, IPA may be reasonable for single able-bodied men, taking into account their individual circumstances. The following can in particular be taken into account: age, gender, family status, state of health, professional and educational background and financial means, local knowledge, support network, etc.

[…]

II.1.2.4. Zur allgemeinen Situation betreffend COVID-19

COVID-19 (coronavirus disease 2019 "Coronavirus-Krankheit 2019") ist eine durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Infektionskrankheit. Sie wurde erstmals 2019 in Metropole Wuhan (Provinz Hubei) beschrieben, entwickelte sich im Januar 2020 in der Volksrepublik China zur Epidemie und breitete sich schließlich zur weltweiten COVID-19-Pandemie aus. Die genaue Ausbruchsquelle ist derzeit noch unbekannt. Es wird angenommen, dass sich das Virus wie andere Erreger von Atemwegserkrankungen hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion verbreitet (vgl. https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Uebertragbare-Krankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/Neuartiges-Coronavirus.html ; Stand 22.07.2020).

Häufige Anzeichen einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus sind u. a. Fieber, Husten, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden. Es kann auch zu Durchfall und Erbrechen kommen. In schwereren Fällen kann die Infektion eine Lungenentzündung, ein schweres akutes Atemwegssyndrom, Nierenversagen und sogar den Tod verursachen. Es gibt auch milde Verlaufsformen (Symptome einer Erkältung) und Infektionen ohne Symptome. […] Wie gefährlich der Erreger ist, ist noch nicht genau abzusehen. Momentan scheint die Gefährlichkeit des neuen Coronavirus deutlich niedriger als bei MERS (bis zu 30 Prozent Sterblichkeit) und SARS (ca. 10 Prozent Sterblichkeit) zu sein. Man geht derzeit beim neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) von einer Sterblichkeit von bis zu drei Prozent aus. Ähnlich wie bei der saisonalen Grippe durch Influenzaviren (Sterblichkeit unter 1 Prozent) sind v. a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen (vgl. https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/faq-coronavirus/ , Stand 22.07.2020).

Mit Stichtag vom 22.07.2020 werden von der World Health Organization (WHO) in Afghanistan 35.615 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei im Fall von 1.184 der infizierten Personen der Todesfall bestätigt worden ist. Ebenso zeigt eine von der „Johns Hopkins University“ veröffentlichte Statistik, dass mit Stichtag 22.07.2020 in Afghanistan 35.615 bestätigte COVID-19 Erkrankungen gezählt werden bzw. 1.186 Todesfälle in diesem Zusammenhang zu beklagen sind (vgl. https://covid19.who.int/ sowie https://coronavirus.jhu.edu/map.html , jeweils Stand 22.07.2020).

 

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religionszugehörigkeit gründen sich auf die dahingehend gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben des BF. Auch die Feststellungen zu seinem Alter, zu seiner Herkunft, zur (fehlenden) Schulbildung, zu seinen Sprachkenntnissen, seinem Familienstatus, zum Betrieb und der Verpachtung seiner Landwirtschaft sowie zu seiner Familie, insbesondere zu deren Herkunft, deren Aufenthaltsort und zum bestehenden Kontakt, basieren auf den Angaben des BF.

Ferner gründen die Feststellungen zur Antragstellung sowie zur Einreise auf dem unbestrittenen Akteninhalt. Die Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem österreichischen Strafregister.

Ferner beruhen die Feststellungen zur persönlichen Lebenssituation des BF im Bundesgebiet und zu den gesetzten Integrationsschritten auf den vorgelegten Unterlagen, seinen Angaben in den mündlichen Verhandlungen und der Einvernahme einer Zeugin.

So geht aus den Ausführungen des BF in Verbindung mit den vorgelegten Unterlagen hervor, dass sich der BF einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut und aktiv am gesellschaftlichen Leben in der Gemeinde XXXX teilnimmt. Dies bestätigte auch die in der in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX einvernommene Zeugin. Konkret führte sie aus, dass sie den BF nicht nur im Deutschkurs, sondern auch privat trifft und gemeinsam mit ihm sowie anderen Personen in ihrer Freizeit Karten oder Darts spielt. Ihren Angaben sowie den vorgelegten Bestätigungen ist ferner zu entnehmen, dass der BF verlässlich zahlreiche gemeinnützige Tätigkeiten für die Gemeinde verrichtet, ehrenamtlich bei der österreichischen Naturschutzjugend mitgeholfen und an Sportveranstaltungen teilgenommen hat.

Mit Schreiben von XXXX und XXXX vom XXXX wird zudem bestätigt, dass er eine Gemüsegärtnerei bei der Feldarbeit unterstützt hat. Zudem war er laut Schreiben des Österreichischen Fleichtmuseums XXXX vom XXXX auch dort über mehrere Wochen als Hilfskraft tätig.

Der BF hat die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs, an einem Alphabetisierungskurs sowie an zahlreichen Deutschkursen bescheinigt. Die Feststellung zu seinen Deutschkenntnissen stützt sich auf den persönlichen Eindruck des erkennenden Gerichts, zumal der BF lediglich einfache Frage auf Deutsch beantworten konnte und zum Teil nicht in der Lage war, vollständige korrekte Sätze zu bilden. Im Übrigen deckt sich der darüber in der Verhandlung gewonnene Eindruck auch mit der Aussage der vom BF namhaft gemachten Zeugin, wonach die Kommunikation mit diesem nur mit Händen, Füßen und wiederholten Nachfragen funktioniert. Sie führt in diesem Zusammenhang ebenso aus, dass der BF nicht gut deutsch kann.

Die Feststellungen zum Aufenthalt seines Neffen in Österreich sowie zu ihrer Beziehung beruhen auf den Angaben des BF im Verfahren, insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX . Ein besonderes Naheverhältnis und/oder ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem BF und seinem Neffen konnte hingegen nicht festgestellt werden, zumal der BF anführte, dass sie nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben würden und sich nicht gegenseitig finanziell unterstützen würden. Ferner gab der BF am XXXX explizit an, dass er – abgesehen von seinem Neffen – keine Verwandten im Gebiet der Europäischen Union habe. Hinweise darauf, dass der BF über ein besonderes Naheverhältnis zu einer in Österreich aufhältigen Personen pflegt, sind im Verfahren im Übrigen nicht hervorgekommen.

Sein Vorbringen, wonach er eine Einstellungszusage erhalten hat, wurde durch die mit Schriftsatz vom XXXX vorgelegte Bestätigung des „ XXXX “ bescheinigt.

Aus den Angaben des BF, welche auch durch einen Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem bestätigt wurden, geht hervor, dass er aktuell Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und keiner rechtmäßigen Erwerbstätigkeit nachgeht.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen sich auf die Angaben des BF im gegenständlichen Verfahren. Mit Schriftsatz vom XXXX teilte der BF unter Vorlage entsprechender medizinischer Unterlagen im Wege seiner Vertetung mit, dass am XXXX eine Operation zur Entfernung seiner Nierensteine geplant sei. In der Folge brachte er mit Schriftsatz vom XXXX vor, dass er von XXXX bis XXXX stationär im Krankenhaus aufgenommen worden sei, da er am XXXX einer weiteren Operation unterzogen worden sei. Ferner brachte er eine Bestätigung eines Arztes für Allgmeinmedizin vom XXXX in Vorlage, wonach er sich aufgrund seiner stationären Behandlung noch mindestens zwei weitere Wochen körperlich schonen müsse. Vor dem Hintergrund dieser Angaben ist davon auszugehen, dass der BF lediglich an einer vorübergehenden Erkrankung gelitten hat und nunmehr gesund ist. Auch aufgrund seiner Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX , wonach er sich nicht in ärztlicher Behandlung befindet und keine Medikamente nimmt, ist davon auszugehen, dass der BF an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit leidet. Im Verfahren sind auch keine Hinweise hervorgekommen, wonach sich sein Gesundheitszustand zwischenzeitlich entscheidungswesentlich geändert hätte. Aufgrund seines Gesundheitszustandes, seines Alters sowie seiner Angaben zur Verrichtung gemeinnütziger Tätigkeiten in Österreich war festzustellen, dass der BF arbeitsäfhig ist.

II.2.2 Zu den Feststellungen hinsichtlich einer Verfolgung des BF in Afghanistan

II.2.2.1. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates

In der Erstbefragung nannte der BF als Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie in seiner Herkunftsprovinz Logar im Speziellen. In seiner darauffolgenden Einvernahme vor dem Bundesamt präzisierte er seine Fluchtgründe insoweit, als er vorbrachte, sein zweieinhalbjähriger Sohn sei bei einem Verkehrsunfall verletzt worden, woraufhin sie in ein Krankenhaus bzw. zu einem Arzt gefahren seien. Dort habe man ihnen geraten, seinen Sohn in das Krankenhaus im Zentrum der Provinz zu bringen. Da es jedoch bereits Abend gewesen sei, seien sie aus Angst, von den Taliban auf der Wegstrecke angegriffen zu werden, nicht mehr in dieses Krankenhaus gefahren. Sein Sohn sei daraufhin am folgenden Tag verstorben. Nach der Beerdigung seines Sohnes habe er sich dazu entschlossen, endgültig aus dem Herkunftsstaat auszureisen.

Mit diesem Vorbringen vermag der BF jedoch nicht darzutun, dass er im Herkunftsstaat einer gezielt gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt ist. So gab er in der Einvernahme vor dem Bundesamt auf konkrete Nachfrage, ob es jemals eine Bedrohung der Taliban gegen seine Person gegeben habe, explizit zu Protokoll: „Nein, ich bin nicht bedroht worden. Ich habe lediglich Angst vor den Taliban“ (Einvernahme XXXX , S. 5). Auch im Zuge der weiteren Befragung hat er keine konkrete Bedrohung dargetan, sondern nur vorgebracht, die Taliban seien überall und es könne passieren, dass man getötet werde, wenn man mit dem Auto unterwegs sei. Die Taliban würden sich circa fünf Kilometer von ihrem Dorf entfernt aufhalten.

Aus seinen Angaben in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen lässt sich ebenso wenig ableiten, dass er in das Blickfeld der Taliban geraten wäre. So gab er in der Beschwerdeverhandlung am XXXX erneut an, geflüchtet zu sein, da es im Herkunftsstaat so unsicher gewesen sei, sodass er seinen Sohn nicht ins Krankenhaus bringen habe können. Auch vor dem erkennenden Gericht verneinte der BF, dass es jemals Bedrohungen gegen seine eigene Person gegeben habe, und berief sich darauf, dass es in diesem Gebiet viele Leute gebe, die bedroht oder getötet würden (Verhandlung XXXX , S. 13).

Auch sein weiteres Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung am XXXX , wonach seine Frau und seine Kinder das Haus nicht verlassen würden, da sie selbst beim Einkaufen ihr Leben riskieren würden, bezieht sich auf die allgemein schlechte Sicherheitslage in seiner Herunftsprovinz und lässt nicht erkennen, dass seine Angehörigen in das Blickfeld der Taliban geraten wären, zumal der BF nicht in der Lage war, Vorfälle zu nennen, bei welchen seine Familienangehörigen konkreten Drohungen oder sonstigen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen wären.

Insgesamt war daher festzustellen, dass der BF zu keinem Zeitpunkt in das Blickfeld der Taliban geraten ist und er im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan keiner gezielt gegen seine Person gerichteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt ist.

II.2.2.2. Verfolgung aufgrund der Religionszugehörigkeit

Insoweit der BF sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX ins Treffen führte, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft der realen Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt zu sein, ist festzuhalten, dass sein Vorbringen auch hierfür keine hinreichenden Anhaltspunkte bietet. Konkrete Vorfälle, bei welchen er im Herkunftsstaat aufgrund seiner Religionszugehörigkeit einer Gefährdung oder gezielten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen wäre, schilderte er im gesamten Verfahren nicht.

Nach der Einschätzung des länderkundlichen Sachverständigen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX komme es zwar vor, dass die Taliban symbolisch bestimmte schiitische Zeremonien stören würden, während Schiiten jedoch keiner allgemeinen Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt seien. Einzelne Selbstmordanschläge der Taliban seien nicht vorhersehbar und würden nicht nur Schiiten, sondern auch Sunniten und deren Heiligtümer treffen (Verhandlung XXXX , S. 14f.).

Der BF ist diesen Ausführungen nicht substantiiert entgegengetreten, sondern hat lediglich in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX darauf hingewiesen, dass in seiner Gegend ein Mann, welcher mit der Regierung nichts zu tun gehabt hätte, von den Taliban entführt und enthauptet worden sei. Diese Angaben lassen keinen Rückschluss auf die Religionszugehörigkeit des Betroffenen zu und geht aus dem Vorbringen des BF keineswegs hervor, dass sämtliche Schiiten bloß aufgrund ihrer Anwesenheit im Herkunftsstaat mit der realen Gefahr einer Verfolgung zu rechnen hätten. Hinsichtlich des zweiten vom BF beschriebenen Vorfalls, bei welchem ein Mann entführt worden sei, der für die Vereinten Nationen im Entminungsbereich gearbeitet habe, ist darauf hinzuweisen, dass diese Ausführungen ebenso wenig den Rückschluss auf einen Zusammenhang zwischen der Religion des Entführten und seiner Bedrohung durch die Taliban zulassen. Nur der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass Angehörige internationaler Organisationen einer erhöhten Gefahr in Afghanistan ausgesetzt sind und sohin auch die berufliche Tätigkeit des Betroffenen ein möglicher Grund für seine Entführung sein kann. Demgegenüber ist der BF keiner erhöhten Gefährdung infolge seiner beruflichen Tätigkeit oder anderen individuellen Merkmalen ausgesetzt.

Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt geht überdies hervor, dass sich die Situation Angehöriger der schiitischen Religionsgemeinschaft zwischenzeitlich nicht entscheidungswesentlich verändert hat. Demnach sind Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten in Afghanistan selten. Im Jahr 2018 sind laut UNAMA 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten verzeichnet worden. Dabei sind 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt worden. Auch wenn dies einen zahlenmäßigen Anstieg der zivilen Oper um 34% bedeutet, so ist es in Anbetracht der Einwohnerzahl Afghanistans von ca. 32 Millionen nicht wahrscheinlich, Opfer eines solchen Angriffs zu werden.

Insgesamt steht sohin nicht fest, dass der BF im Fall der Rückkehr aufgrund seiner Religionszugehörigkeit der realen Gefahr einer Verfoglung ausgesetzt wäre.

II.2.2.3. Situation von Rückkehrern aus Europa

Mit seinem Vorbringen, wonach seine Familie im Heimatdorf beschimpft und drangsaliert werde, da der BF nach Europa geflüchtet und nach Ansicht der Dorfbewohner nunmehr ein Ungläubiger sei, vermochte der BF ebenso wenig darzutun, dass er im gesamten Staatsgebiet Afghanistans der realen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt ist.

Vorwegzunehmen ist, dass sich die diesbezüglichen Angaben des BF als vage und unschlüssig erweisen. Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt brachte der BF explizit vor, dass weder seine Eltern noch seine Ehefrau und seine Kinder im Heimatdorf Probleme hätten (Einvernahme XXXX , S. 3). Sie könnten allerdings das Haus bzw. ihr Dorf aufgrund der von den Taliban ausgehendne Gefahr nicht verlassen (Einvernahme XXXX , S. 5). Auch in der ersten Beschwerdeverhandlung gab er an, der Grund, dass seine Familienangehörigen im Herkunftsstaat ihr Haus nicht verlassen könnten, seien die Taliban (Verhandlung XXXX , S. 5). Demgegenüber brachte er in der darauffolgenden mündlichen Beschwerdeverhandlung erstmals vor, die Nachbarn würden seinen Kindern vorwerfen, dass der BF ins Ausland gegangen und ein Ungläubiger geworden sei (Verhandlung XXXX , S. 9). Ergänzend brachte er in der Beschwerdeverhandlung am XXXX vor, die Leute hätten auch seinem Vater gesagt, dass der BF vom Glauben abgefallen sei, woraufhin sie ihn viel zu viel belästigt hätten. Davon habe der BF vor etwa zwei oder zweieinhalb Jahren erfahren. Er selbst würde im Fall seiner Rückkehr nicht verschont, sondern von diesen Leuten getötet werden (Verhandlung XXXX , S. 11). Diese Zeitangaben sind jedoch nicht plausibel, zumal der Beschwerdefüher bereits im Jahr XXXX endgültig aus dem Herkunftsstaat ausgereist ist, weshalb anzunehmen wäre, dass die Dorfgemeinschaft seine Familie bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit dem Umstand konfrontiert hätte, dass der BF ihrer Ansicht nach aufgrund seiner Ausreise vom Glauben abgefallen wäre.

Hinzu kommt, dass der BF lediglich pauschal erwähnte, dass die Dorfbewohner seine Familie, aber insbesondere seinen Vater „belästigen“ würden. Der Frage, was er mit „belästigen“ meine, wich er aus, indem er angab, die Kinder würden nicht zur Schule gehen und würden manchmal draußen von Dorfbewohnern angesprochen werden. Ihnen würde gesagt werden, dass ihr Vater ein Ungläubiger sei. Die Kinder aus dem Dorf würden seine eigenen Kinder auf die Ungläubigkeit des BF ansprechen. Diesen Kindern sei von ihren Eltern erzählt worden, dass der BF in Österreich ungläubig geworden sei (Verhandlung XXXX , S. 12). Vorfälle, bei welchen konkreten Drohungen gegen ihn oder seine Angehörigen ausgesprochen worden seien, schilderte er hingegen nicht. Sein Vorbringen erweist sich vor diesem Hintergrund als rein spekulativ.

Aufgrund seiner vagen und unschlüssigen Schilderung konnte sein Vorbringen, wonach er im Fall der Rückkehr der realen Gefahr einer Verfolgung durch die Bewohner seines Heimatdorfes ausgesetzt wäre, den Feststellungen nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden.

Selbst unter der Annahme, dass dem BF im Fall der Rückkehr in sein Heimatdorf Diskriminierungen und Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit drohen, ist davon auszugehen, dass es ihm möglich ist, sich in einem anderen Landesteil Afghanistans anzusiedeln, zumal seinem Vorbringen nicht zu entnehmen ist, dass die Dorfgemeinschaft ein Interesse hätte und in der Lage wäre, ihn im gesamten Staatsgebiet Afghanistans zu verfolgen. Hierfür sind im Verfahren im Übrigen auch keine sonstigen Anhaltspunkte hervorgekommen.

In Bezug auf die allgemeine Situation von Rückkehrenden aus Europa wird nicht verkannt, dass diese von der afghanischen Gesellschaft misstrauisch wahrgenommen werden und mitunter Diskriminierungen ausgesetzt sind. Allerdings geht aus den amtswegig herangezogenen Länderinformationen nicht hervor, dass Rückkehrenden aus dem westlichen Ausland in Afghanistan ohne Hinzutreten weiterer Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind. Ferner ist davon auszugehen, dass der BF aufgrund seiner Sozialisierung im afghanischen Familienverband mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut ist und sich in die Gesellschaft wiedereingliedern können wird, ohne dass ihm ein Abfall vom Glauben oder eine feindliche politische Gesinnung unterstellt wird.

Insgesamt bestehen sohin keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der BF im Fall seiner Rückkehr bloß aufgrund seines Aufenthalts in Europa im gesamten Staatsgebiet Afghanistans Gefahr liefe, verfolgt zu werden. Hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Ansiedlung in einem anderen Landesteil, konkret in Mazar-e Sharif, ist auf die näheren Ausführungen unter Punkt II.2.4. der Beweiswürdigung sowie auf Punkt II.3.2. der rechtlichen Beurteilung zu verweisen.

II.2.2.4. Verfolgung aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit

Die Volksgruppenzugehörigkeit des BF konnte nicht hinreichend festgestellt werden, da sich seine diesbezüglichen Angaben als widersprüchlich erweisen. Während er in der Erstbefragung am XXXX anführte, der Volksgruppe der Sayed anzugehören, erklärte er in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX , er sei Tadschike. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX antwortete er wiederum auf die Frage, welche Ethnien in seiner Heimatregion leben würden: „Paschtunen, sie leben in den umgebenden Dörfern, Tadschiken und wir Schiiten“ (Verhandlung XXXX , S. 9).

Den Länderberichten lässt sich nicht entnehmen, dass Angehörige einer der vom BF genannten Volksgruppen in Afghanistan bloß aufgrund ihrer Anwesenheit im Staatsgebiet der realen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt werden. Ferner lässt sich dem Vorbringen des BF nicht entnehmen, dass er im Herkunftsstaat aufgrund seiner Ethnie einer Gefährdung ausgesetzt geweswn wäre. Folglich war festzustellen, dass dem BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe droht.

II.2.3. Zu den Feststellungen zum Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte, wonach sich die allgemeine Lage zwischenzeitig in einer Weise verändert hätte, die von Amts wegen wahrzunehmen wäre. Hinzu tritt, dass der BF weder in seiner Stellungnahme vom XXXX noch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX den Länderfeststellungen hinreichend konkret entgegengetreten ist. Insoweit moniert wurde, dass sich darin keine Ausführungen zur medizinischen Versorgungslage in Afghanistan finden, ist der Vollständigkeit halber auf Kapitel 21 des Länderinformationsblattes Afghanistans bzw. auf Punkt I.1.2. „Medizinische Versorgung“ der gegenständlichen Entscheidung zu verweisen.

Die Feststellungen zur Covid-19 – Pandemie stützen sich auf die in den Feststellungen genannten Quellen.

II.2.4. Feststellungen zu einer neuerlichen Ansiedlung in Afghanistan

Logar, die Herkunftsprovinz des BF zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans. Aufgrund der allgemein volatilen Sicherheitslage sowie mangels der sicheren Erreichbarkeit des Heimatdistriktes des BF besteht für ihn im Fall einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz sohin die reale Gefahr einer Verletzung seiner in Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte.

Die Feststellungen zu den Folgen einer neuerlichen Ansiedlung des BF in der Stadt Mazar-e Sharif ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten in Zusammenschau mit den persönlichen Umständen des BF:

II.2.4.1. Zur Sicherheitslage:

Grundsätzlich zählt die Provinz Balkh zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen in Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Zwar versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh zu infiltrieren, allerdings überrannten die Taliban keinen der davon betroffenen Schlüsseldistrikte. Was die allgemeine Sicherheitslage betrifft, ist festzuhalten, dass die Stadt Mazar-e Sharif nach den Länderfeststellungen jedenfalls unter Kontrolle der afghanischen Regierung steht. Auch ergibt sich daraus nicht, dass dort von einem aktiven Konflikt zwischen der Regierung bzw. deren Kräften und regierungsfeindlichen Kräften auszugehen wäre. Allerdings übersieht das erkennende Gericht nicht, dass es auch in der Stadt Mazar-e Sharif wiederkehrend zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt. Stellt man jedoch die Häufigkeit der dargestellten Anschläge dem Gesamtgebiet und der gesamten Einwohnerzahl von Mazar-e Sharif (rund 500.000) gegenüber, so ist festzustellen, dass es sich um einen Ort handelt, an dem die willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass es im Allgemeinen für Zivilisten nicht geradezu wahrscheinlich erscheint, dass sie tatsächlich und durch ihre bloße Anwesenheit Opfer eines Gewaltaktes sein werden. Der BF kann Mazar-e Sharif zudem über den Luftweg aufgrund des vorhandenen, internationalen Flughafens praktikabel, sicher und legal erreichen.

II.2.4.2. Zur Versorgungslage und allgemeinen Lebensbedingungen in Mazar-e Sharif:

Es ist nicht zu übersehen, dass nach den festgestellten Informationen die wirtschaftliche Lage sowie Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie speziell in der Stadt Mazar-e Sharif - insbesondere auch aufgrund der großen Anzahl sonstiger Binnenvertriebener und anderer Rückkehrer, die einströmen - jedenfalls insbesondere im Hinblick auf die Wohnressourcen als angespannt betrachtet werden muss und die Arbeitslosigkeit auch dort hoch ist. Die wiederkehrende Trockenheit bzw. Dürre kann zudem zu einem weiteren Einströmen führen. Die Situation am Arbeitsmarkt hat sich zudem aufgrund der aktuellen Covid-19-Pandemie, von welcher auch Afghanistan betroffen ist, weiter verschärft. Hinsichtlich der Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung in Mazar-e Sharif ist in Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen allerdings auszuführen, dass dort auch allgemein der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten, Bildung und zu Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist, wenn auch die Gesamtsituation angespannt ist.

Den getroffenen Feststellungen ist zu entnehmen, dass die Stadt Mazar-e Sharif ein regionales Handelszentrum sowie ein wichtiger Wirtschaftsknotenpunkt des Landes ist und eine höhere Industrialisierung als andere Städte in Afghanistan aufweist. Zudem hat Mazar-e Sharif grundsätzlich bessere Arbeitsmöglichkeiten aufgrund einer größeren Anzahl an Unternehmen, sodass insgesamt Erwerbsmöglichkeiten gegeben sind. Aufgrund der Leistungs- und Arbeitsfähigkeit sowie der Berufserfahrung des BF geht das erkennende Gericht davon aus, dass es in Mazar-e Sharif Erwerbsmöglichkeiten für den BF gibt.

 

Wie bereits ausgeführt, ist auch der grundsätzliche Zugang zu medizinischer Verosrgung in Afghanistan gewährleistet. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich der BF weder in medikamentöser noch in ärztlicher Behandlung befindet und im Verfahren auch keine sonstigen Hinweise hervorgekommen sind, wonach er einen erhöhten Bedarf an medizinischer Versorgung hätte.

 

Insoweit in der Stellungnahme vom XXXX ausgeführt wird, der BF hätte im Fall der Rückkehr nach Afghanistan keinen Zugang zu Wohnraum, ist darauf hinzuweisen, dass sich der aus der Studie von Friederike Stahlmann (September 2019) zitierte und in der Stellungnahme wiedergegebene Auszug auf die Situation in Kabul bezieht. Anhaltspunkte dafür, dass der BF bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit einer derart unzureichenden Versorgungslage konfrontiert wäre, sodass die Befriedigung seiner existentiellen Grundbedürfnisse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gefährdet wäre, lassen sich im Übrigen weder aus dieser Studie noch aus den sonstigen vom BF im Verfahren vorgelegten Berichten ableiten.

II.2.4.3. Zur persönlichen Situation des BF

 

Die persönlichen Merkmale des BF zeigen auf, dass er ein körperlich gesunder und leistungsfähiger junger Mann ist. Der BF hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht, ist im afghanischen Familienverband aufgewachsen und sozialisiert worden und spricht Dari als Erstsprache. Mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates ist er vertraut. Außerhalb seiner Herkunftsprovinz verfügt der BF in Afghanistan über keine Anknüpfungspunkte. Erschwerend kommt hinzu, dass der BF Analphabet ist. Allerdings ist er arbeits- und leistungsfähig, sodass er jedenfalls befähigt ist, einfache, körperliche Tätigkeiten auszuüben. So hat er im Herkunftsstaat eine eigene Landwirtschaft betrieben und dadurch den Lebensunterhalt für sich und seine Familie gesichert. Nach seiner Ausreise ist seine Landwirtschaft verpachtet worden und sichert seine Familie nunmehr aus dem daraus erzielten Einkommen ihre Existenz. Der BF muss sohin im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan lediglich für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen. Diese Umstände führen zu der Feststellung, dass der BF trotz einer angespannten Situation am Wohnungs- und Arbeitsmarkt (allenfalls nach anfänglichen Schwierigkeiten) eigenständig eine Existenz im Herkunftsstaat aufbauen und sichern kann.

In Hinblick auf die derzeit bestehende Covid-19 – Pandemie ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer aktuell 36 Jahre alt und gesund ist, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen oder Personen mit Vorerkrankungen fällt. Ein schwerer Krankheitsverlauf ist sohin nicht wahrscheinlich.

Vor dem Hintergrund der Sicherheits- und Versorgunglage in Mazar-e Sharif war auf Basis dieser persönlichen Merkmale des BF in einer Gesamtschau festzustellen, dass in dieser Stadt kein solcher Grad an willkürlicher Gewalt herrscht, dass er allein durch seine Anwesenheit tatsächlich einer ernsthaften, individuellen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt. Zudem ist davon auszugehen, dass er dort grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen können wird und er sohin nicht in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation gerät. Er kann zudem durch eigene Erwerbstätigkeit ein Einkommen lukrieren und so in Mazar-e Sharif Fuß fassen.

II.2.5. Zusammengefasst konnte im Lichte der obigen Ausführungen anhand des Vorbringens des BF unter Berücksichtigung der erhobenen Länderinformationen keine Gefahr einer individuellen Verfolgung des BF in seinem Herkunftsstaat Afghanistan festgestellt werden.

 

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

In vorliegendem Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 3 Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA-Einrichtungsgesetz - BFA-G) BGBl. I Nr. 87/2012 idgF obliegt dem Bundesamt die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl.I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr.100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl.I Nr.100 (Z 4).

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde oder aufgrund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

 

Zu Spruchteil A)

II.3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

II.3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

[…]“

II.3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

II.3.1.3. Im vorliegenden Fall ist es dem BF nicht gelungen, objektiv begründete Furcht vor aktueller Verfolgung in gewisser Intensität darzutun. Wie bereits in der Beweiswürdigung unter Punkt II.2.2.1. ausgeführt, hat der BF im Verfahren nicht dargetan, dass er in das Blickfeld der Taliban geraten ist und ihm eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung droht, sondern hat er seine Ausreise aus dem Herkunftsstaat vielmehr mit der allgemein prekären Sicherheitslage begründet.

Die allgemein prekäre Wirtschafts- und Sicherheitslage in Afghanistan und eine allenfalls daraus resultierende existentielle Bedrohung im Hinblick auf eine mangelnde Versorgung und eine mangelnde Lebensgrundlage stellt sich im konkreten Fall des Beschwerdeführers (mangels Kausalzusammenhanges zu einem Konventionsgrund) jedoch nicht als "Verfolgung" im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention dar.

II.3.1.4. Eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft hat der BF nicht glaubhaft gemacht und bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass er aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit im Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verfolgung zu gewärtigen hätte.

II.3.1.5. Ferner steht nich fest, dass dem BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung gewisser Intensität durch die Bewohner seines Heimatdorfes drohen würde. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt seines Vorbringens zur Bedrohung durch die Dorfbewohner ist es zudem nicht wahrscheinlich, dass die Dorfbewohner willig und in der Lage wären, den BF in anderen Landesteilen Afghanistans, wie beispielsweise in Mazar-e Sharif gezielt zu suchen und zu verfolgen (vgl. betreffend Sicherheit und Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative Punkt II.3.2.).

Im Übrigen geht aus dem festgestellten Sachverhalt nicht hervor, dass für den BF – unabhängig vom Hinzutreten individueller Umstände – bloß aufgrund seines Aufenthalts in Europa die reale Gefahr einer Verfolgung besteht, zumal der BF den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht hat, mit den sozialen und kulturellen Gepflogenheiten vertraut ist und sich sohin wieder in die afghanische Gesellschaft eingliedern kann, ohne dass ihm eine feindliche politische Gesinnung oder ein Abfall vom Glauben unterstellt wird.

II.3.1.6. Insgesamt war daher das Vorbringen des BF nicht geeignet, eine mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen darzutun, weshalb es dem BF insgesamt nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Folglich war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

II.3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

II.3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 und § 57 Abs. 11 Z 3 AsylG) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Asylantrag auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (in der Folge VwGH) setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk"), insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung, droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR und des Europäischen Gerichtshofs - EuGH).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

Für Afghanistan hat der VwGH mehrfach auf die Rechtsprechung EGMR hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255, VwGH 13.09.2016, Ra 2016/01/0096, jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf die seit 2013 bestehende Rechtsprechung des EGMR).

In diesem Sinn hat der VwGH in seiner zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61204/09; siehe dazu auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255).

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG, K15). Die Berücksichtigung des möglichen Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative bei der Prüfung des subsidiären Schutzes ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

In seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 führte der VwGH aus, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraussetze, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden könne. Die Zumutbarkeit des Aufenthaltes sei daher von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen. Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen würden, die Art. 3 EMRK widersprächen (oder auf Grund derer andere Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt wären), wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthaltes in diesem Gebiet zu verneinen.

Die Frage der Zumutbarkeit werde danach beurteilt, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen könne. Dabei sei auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.

II.3.2.2. Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes verweist in Art. 10 zur Anforderung an die Prüfung von Anträgen gleichrangig auf die Heranziehung von Quellen wie EASO und UNHCR:

„Artikel 10

[…](3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Asylbehörde ihre Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz nach angemessener Prüfung trifft. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass

a) die Anträge einzeln, objektiv und unparteiisch geprüft und entschieden werden;

b) genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa EASO und UNHCR sowie einschlägigen internationalen Menschenrechtsorganisationen, eingeholt werden, die Aufschluss geben über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller und gegebenenfalls in den Staaten, durch die sie gereist sind, und diese Informationen den für die Prüfung und Entscheidung der Anträge zuständigen Bediensteten zur Verfügung stehen;

[…]“

 

II.3.2.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den UNHCR-Richtlinien besondere Beachtung zu schenken (s. VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118; zur „Indizwirkung“ vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, mwN). Diese Rechtsprechung geht auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zurück, in der dieser erkannte, dass Empfehlungen internationaler Organisationen zweifelsohne Gewicht zukommt, wenn es um die Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse vor Ort geht. Sie ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453).

Nach den aktuellen Richtlinien vom 30.08.2018 ist UNHCR vor dem näher dargestellten Hintergrund der Ansicht, dass eine vorgeschlagene innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur sinnvoll möglich (und zumutbar) ist, wenn die Person Zugang zu Unterkünften, grundlegenden Dienstleistungen wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder nachgewiesene und nachhaltige Unterstützung für den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard hat. Darüber hinaus hält UNHCR eine innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur für zumutbar, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft in der Gegend der potenziellen Umsiedlung hat, die beurteilt wurden, bereit und in der Lage zu sein, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten.

UNHCR ist weiters der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, soweit keine spezifischen Vulnerabilitäten (wie näher beschrieben) vorliegen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in urbaner und semi-urbaner Umgebung leben, soweit diese Umgebung über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügt, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken und soweit diese einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegt (vgl. S. 109 f.).

II.3.2.2.2. Das europäische Asyl- Unterstützungsbüro EASO geht in seiner Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019 [in Folge: "EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], abrufbar hier: https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf , vgl. dort S. 36) davon aus, dass in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif interne Schutzalternativen für „Single able-bodied adult men“ als zumutbar angesehen werden können, auch wenn der Antragsteller in der jeweiligen Region kein unterstützendes Netzwerk hat. Obwohl die Situation in Bezug auf die Ansiedlung in den drei Städten mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist, kann, so der Leitfaden, dennoch der Schluss gezogen werden, dass diese Antragsteller ihren Lebensunterhalt, Unterkunft und Hygiene unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ihre individuellen Umstände keine zusätzlichen Vulnerabilitäten darstellen, gewährleisten können.

 

II.3.2.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind:

Wie unter Punkt II.3.1. ausgeführt, besteht für den BF keine reale Gefahr, aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe verfolgt zu werden. Im gegenständlichen Verfahren sind auch keine anderen Gründe hervorgekommen, aufgrund welcher der BF im Herkunftsstaat der realen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt ist.

Eine Wiederansiedlung des BF in seiner Herkunftsprovinz würde für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Gefahr seiner in Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte mit sich bringen, da die Provinz Logar zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans zählt und überdies nicht sicher erreicht werden kann.

Dem BF steht jedoch im Herkunftsstaat eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen:

Vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts (vgl. oben insb. zur Erreichbarkeit, zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgunglage und den individuellen Umständen und Merkmalen des BF) sind die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) in Bezug auf die Stadt Mazar-e Sharif nicht gegeben. Der BF hat keine individuellen Umstände dargetan und glaubhaft gemacht, die im Fall der Rückkehr nach Mazar-e Sharif eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

Die Sicherheitslage in Mazar-e Sharif ist ausreichend sicher, die Versorgungslage ist angespannt, doch hat der BF keinen Nachweis des Vorliegens von in seiner Person gelegenen, exzeptionellen Umständen im Hinblick auf eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK durch seine Rückführung in den Herkunftsstaat erbracht (vgl. dazu VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016). Überdies verfügt Mazar-e Sharif über einen internationalen Flughafen, über welchen die Stadt sicher erreicht werden kann.

In Mazar-e Sharif findet der BF kein soziales Netzwerk vor. Die Erkenntnisquellen machen ersichtlich, dass die Rückkehrsituation für Rückkehrer ohne direkte Anknüpfungspunkte schwieriger ist als für Personen, die in den Familienverband zurückkehren. Die Rückkehrsituation des BF erschwert daher, dass er in diesen Städten über keine aktuellen sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte verfügt. Hinzu kommt, dass er über keine Schulbildung verfügt.

Bei dem 36-jährigen BF handelt es sich um einen arbeitsfähigen und gesunden Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der BF beherrscht Dari als eine der Landessprachen Afghanistans. Im Herkunftsstaat hat er den Unterhalt für sich und seine Familie als Landwirt bestritten. Seit seiner Ausreise wird seine Landwirtschaft verpachtet und durch das dadurch erzielte Einkommen die Existenz seiner Familie gesichert. Im Fall der Rückkehr muss der BF sohin lediglich für seinen eigenen Unterhalt aufkommen, sodass sich seine Situation nicht entscheidungwesentlich von jener eines alleinstehenden Mannes unterscheidet.

Der BF hat den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, ist im afghanischen Familienverband sozialisiert worden und hat eine eigene Familie in Afghanistan gegründet. Daher ist er mit den sozialen und kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut. Zudem gehört er keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass es dem BF in Afghanistan binnen kurzer Zeit selbst möglich sein wird, seinen Lebensunterhalt selbständig zu verdienen und davon leben zu können. Außerdem kann er durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden. Aus diesen Gründen ist auch nicht zu befürchten, dass er in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte.

Bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif besteht für den BF zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation, dies bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, damit ist aber die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK nicht dargetan (vgl. dazu die Erkenntnisse des VwGH vom 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, und vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, bzw. zur Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative für einen gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen den Beschluss vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096; sowie das Erk vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; vgl. auch VfGH vom 26.02.2019, E 4917/2018-13).

Der VwGH befand zudem in seiner Entscheidung vom 23.06.2020, Ra 2020/20/0188, es möge sein, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan aufgrund der Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 verschlechtert hätten. Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinem Herkunftsstaat ausgehen zu können, reiche es aber nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich sei. Es bedürfe einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen habe. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat könne auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfinde, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden könnten. Eine solche Situaiton sei nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen.

Im gegenständlichen Fall ist entscheidend, dass beim Beschwerdeführer aufgrund obenstehender Erwägungen eine solche Situation nicht gegeben ist.

Es ergibt sich nämlich zusammenschauend, dass für den BF bei der Rückkehr nach Mazar-e Sharif die Möglichkeit für eine den durchschnittlichen afghanischen Verhältnissen entsprechende Lebensführung realistisch ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung und damit einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist.

Aufgrund der den BF erwartenden Lebenssituation, in der es ihm möglich ist, als Mann mit den oben beschriebenen individuellen Merkmalen in einem hinreichend sicheren afghanischen urbanen Gebiet durch eigene Erwerbstätigkeit seine Existenz zu sichern, er also für seine Grundbedürfnisse aufkommen und für sein Fortkommen sorgen kann, ist ihm die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif auch zumutbar.

In Hinblick auf die derzeit bestehende Covid-19 – Pandemie ist – wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt – darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer aktuell 36 Jahre alt und gesund ist, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen oder Personen mit Vorerkrankungen fällt. Auch andere Faktoren, die gegen die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif sprechen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden vom BF auch nicht substantiiert vorgebracht.

Dies entspricht auch der oben dargestellten aktuellen Einschätzung von UNHCR zur Zumutbarkeit interner Schutzalternativen, wonach alleinstehende leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf eine Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung (Familie/ethnische Gruppe) darstellen. Die vom erkennenden Gericht angenommene Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative entspricht auch der Einschätzung von EASO zu internen Schutzalternativen für „Single able-bodied adult men“.

II.3.2.4. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt daher im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem BF bei der Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif keine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte droht und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Die Ansiedlung in Mazar-e Sharif ist dem BF auch zumutbar.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

II.3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides

II.3.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Der BF befindet sich seit XXXX im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor und wurde ein dementsprechendes Vorbringen auch nicht erstattet.

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG lautet wie folgt:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Der mit "Schutz des Privat Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Art. 8 EMRK lautet wie folgt:

"Art. 8 EMRK (1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).

Hierbei ist neben diesen (beispielhaft angeführten) Kriterien, aber auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226).

Vom Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd. Art 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl etwa VwGH 26.1.2006, 2002/20/0423; 8.6.2006, 2003/01/0600; 26.1.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff, aber auch VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten, so im Ergebnis auch VfGH 12.06.2013, Zl. U485/2012). Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720). Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 6 FrPolG 2005) vermag die persönlichen Interessen des Fremden nicht entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Ergebnis auch nicht beanstandet, dass in Sprachkenntnissen und einer Einstellungszusage keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts gesehen wurde, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 MRK erfordert hätte (vgl. VwGH 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0017).

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, indem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 05.09.2000, Fall Solomon, Appl. 44.328/98; 31.01.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, OJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562).

II.3.3.2 Abwägung im gegenständlichen Fall

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich in keiner Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Gemeinschaft. Zwischen ihm und seinem in Österreich aufhältigen Neffen besteht zudem kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK, zumal sie nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben und kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihnen besteht (vgl. dazu VwGH 22.04.2020, Ra 2020/18/0098, Rn 25). Die Rückkehrentscheidung kann daher allenfalls in sein Recht auf Privatleben eingreifen.

Die Aufenthaltsdauer von fünf Jahren und zwei Monaten verstärkt das Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich. Die Aufenthaltsdauer wird jedoch dadurch relativiert, dass der Aufenthalt des BF bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war und sich der BF seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste.

Zur Dauer des gegenständlichen Verfahrens ist festzustellen, dass eine raschere Entscheidung möglich gewesen wäre. Dennoch ist hierzu anzuführen, dass es sich bei der Frage des möglichen Organisationsverschuldens hinsichtlich der Verfahrensdauer um eines von mehreren Kriterien innerhalb der hier vorzunehmenden Interessensabwägung handelt und das Ergebnis der Prüfung eines möglichen Organisationsverschuldens nicht für sich alleine und isoliert, sondern in einer Gesamtschau innerhalb sämtlicher abgewogener Kriterien zu sehen ist. Gerade unter Berücksichtigung des dem BF bewussten unsicheren Aufenthaltsstatus ist nicht davon auszugehen, dass die zeitliche Komponente dermaßen in den Vordergrund tritt, dass aufgrund der Verfahrensdauer im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK von einem Überwiegen der privaten Interessen des BF auszugehen wäre (in Bezug auf ein gewisses Behördenverschulden in Bezug auf die Verfahrensdauer vgl. selbst bei einem ca. zehnjährigen Aufenthalt im Staat der Antragstellung das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Für den BF spricht, dass er einen Werte- und Orientierungskurs sowie einen Alphabetisierungskurs absolviert und an zahlreichen Deutschkursen teilgenommen hat, wenngleich er lediglich über einfache Deutschkenntnisse verfügt. Ferner pflegt er Kontakt zu seinem in Österreich aufhältigen Neffen, hat sich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut und nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben der Gemeinde XXXX teil, indem er Veranstaltungen besucht und seit dem Jahr XXXX kontinuierlich gemeinnützige sowie ehrenamtliche Tätigkeiten für die Gemeinde verrichtet und die österreichische Naturschutzjugend unterstützt.

Der BF ist als Hilfskraft mehrere Wochen im Österreichischen Freilichtmuseum XXXX tätig gewesen und hat freiwllig eine Gemüsegärtnerei bei der Feldarbeit unterstützt. Ferner hat er eine aufschiebend bedingte Einstellungszusage für die Mitarbeit am „ XXXX “ unter Vereinbarung eines Bruttolohns in der Höhe von € 1.434 ,-- erhalten. Aktuell geht er jedoch keiner rechtmäßigen Erwerbstätigkeit nach und ist sohin nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus Eigenem zu bestreiten.

Der Umstand, dass der BF in Österreich unbescholten ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da die Begehung von Straftaten einen eigenen Grund für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellt (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

Der BF hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht, wurde im afghanischen Familienverband sozialisiert und ist somit mit den sozialen und kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Es ist sohin davon auszugehen, dass der erwachsene und arbeitsfähige BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan sich in die Gesellschaft seines Herkunftsstaates eingliedern können wird.

Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt nach dem Erkenntnis des VwGH vom 07.09.2016, Ra 2016/19/0168, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens über kein weiteres Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben. Dass durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (Hinweis E vom 17. April 2013, 2013/22/0106, mwN). Grundsätzlich ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (vgl. in diesem Sinn das E vom 19. Februar 2014, 2013/22/0028).

Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF trotz seiner Integrationsfortschritte an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und auch nicht unverhältnismäßig.

Es liegt daher kein Eingriff in das Privatleben des BF vor, welcher zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, Interesse an geordneter Zuwanderung und wirtschaftliches Wohl des Landes) nicht geboten oder zulässig wäre (VwGH 09.09.2010, 2006/20/0176).

II.3.3.3. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten können keine Gründe erkannt werden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat Afghanistan ist gegeben.

II.3.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, wurde die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt.

Zu Spruchteil B)

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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