VwGH 2013/22/0017

VwGH2013/22/001719.11.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schweda, über die Beschwerde des E in G, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 19. Dezember 2012, Zl. 158.364/2-III/4/11, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10;
AVG §68 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
NAG 2005 §44b Abs1;
AsylG 2005 §10;
AVG §68 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
NAG 2005 §44b Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) die Berufung des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, gegen die erstinstanzliche Zurückweisung seines Antrages vom 25. November 2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), der seit 1. Juli 2011 als Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 3 NAG zu werten sei, gemäß § 43 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 NAG ab.

Begründend führte die Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 18. Jänner 2005 nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und habe am 24. Jänner 2005 einen Asylantrag gestellt. Dieser Asylantrag sei vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 14. November 2005 abgewiesen und gleichzeitig die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt worden. Die dagegen eingebrachte Beschwerde sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 4. November 2010 abgewiesen worden.

Am 25. November 2010 habe der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag eingebracht. Dem Antrag seien u.a. eine Kopie des Mietvertrages, eine Meldebestätigung, ein ärztlicher Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 15. September 2009, ein Nachweis über Sprachkenntnisse zum Modul A2 vom 19. November 2010, eine Einstellungszusage der Pizzeria S vom 22. November 2010, ein Versicherungsdatenauszug und eine Bestätigung über den Abschluss einer privaten Krankenversicherung beigelegt gewesen.

Die Behörde verwies darauf, dass der Asylgerichtshof bereits eine detaillierte Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK vorgenommen und die Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sowie die vom Beschwerdeführer geltend gemachten psychischen Probleme berücksichtigt habe. Aus der Einstellungszusage sowie dem Nachweis über erlangte Deutschkenntnisse allein ergebe sich noch keine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes im Sinne des § 44b Abs. 1 NAG. Aus den im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Sachverhaltsdarstellungen und vorgelegten Urkunden könne nicht entnommen werden, dass sich die integrationsbegründenden Umstände innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der seit 9. November 2010 rechtskräftigen Ausweisung und der erstinstanzlichen Entscheidung am 31. Jänner 2011 derart intensiviert oder geändert hätten, dass sie eine Neubeurteilung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK erforderlich gemacht hätten. Die im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen (Patenschaftserklärungen) hätten keinen Einfluss auf die Beurteilung, ob die auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG gegründete Entscheidung zu Recht ergangen sei, weil nur solche Umstände beachtlich seien, die schon gegenüber der Behörde erster Instanz vorgebracht worden seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Beschwerde nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Dezember 2012 sind die Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 50/2012 anzuwenden.

Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG ist u.a. ein Antrag wie der vorliegende als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Der Sache nach ist der Zurückweisungsgrund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet. Die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhalts als wesentlich anzusehen ist, können daher auch für die Frage, wann maßgebliche Sachverhaltsänderungen im Sinne des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorliegen, herangezogen werden. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides (bezogen auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Bei dieser Prognose sind hier die nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände jedenfalls soweit einzubeziehen, als zu beurteilen ist, ob es angesichts dieser Umstände nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, dass im Hinblick auf früher maßgebliche Erwägungen eine andere Beurteilung nach Art. 8 EMRK unter Bedachtnahme auf den gesamten vorliegenden Sachverhalt nunmehr geboten sein könnte. Eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK muss sich zumindest als möglich darstellen (vgl. zum Ganzen u.a. das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 2013, 2012/22/0068).

Die Behörde hat zu Recht darauf hingewiesen, dass gemäß § 44b Abs. 1 letzter Halbsatz NAG nach der Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung eingetretene Umstände keinen Einfluss auf die Beurteilung haben, ob die auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG gegründete Antragszurückweisung von der Erstbehörde zu Recht vorgenommen wurde (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, 2011/22/0110). Der Beschwerdeführer legte jedoch mit dem bei der Erstinstanz am 4. Februar 2011 eingelangten Schriftsatz vier auf ihn lautende Patenschaftserklärungen vom 28. Jänner 2011 in der Höhe von jeweils EUR 4.000,-- vor. Die erstinstanzliche Entscheidung wurde am 4. Februar 2011 abgefertigt und dem Beschwerdeführer am 8. Februar 2011 zugestellt. Erst mit der Zustellung wurde der erstinstanzliche Bescheid erlassen. Die Behörde hat somit zu Unrecht die vorgelegten Patenschaftserklärungen mit dem Hinweis, dass nur solche Umstände beachtlich seien, die schon gegenüber der Behörde erster Instanz vorgebracht wurden, nicht berücksichtigt. Allerdings wurde bereits vom Asylgerichtshof festgestellt, dass der Beschwerdeführer mit seiner Schwester und seinem Bruder in einem gemeinsamen Haushalt lebt und von ihnen finanziell unterstützt wird. Selbst unter Berücksichtigung der Patenschaftserklärungen (darunter jene von seinen Geschwistern) war die Behörde im Ergebnis im Recht, wenn sie das Vorliegen eines maßgeblich geänderten Sachverhaltes seit der rechtskräftigen Ausweisung verneint hat. Mit den Patenschaftserkärungen wurde letztlich nur die schon zum Zeitpunkt der Ausweisung bestehende finanzielle Unterstützung des Beschwerdeführers dokumentiert und keine im Sinne des Art. 8 EMRK relevante Integration dargelegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0112).

Vom Asylgerichtshof wurde weiters festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2009 an einer "akuten vorübergehenden psychotischen Episode" gelitten habe. Der Asylgerichtshof führte in seinem Erkenntnis vom 4. November 2010 aus, dass der Beschwerdeführer in Österreich in keiner medizinischen Behandlung stehe. Im gegenständlichen Verwaltungsverfahren legte der Beschwerdeführer neuerlich lediglich den ärztlichen Befund aus dem Jahr 2009 betreffend die diagnostizierte "vorübergehende psychotische Episode" vor. Es ist somit davon auszugehen, dass sich der vom Asylgerichtshof festgestellte Gesundheitszustand nicht wesentlich geändert hat.

Soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, dass die Entscheidung des Asylgerichtshofes mit Verfahrensmängeln behaftet sei, ist zu entgegnen, dass die Überprüfung der im Asylverfahren ergangenen Ausweisung nicht Gegenstand des Verfahrens vor der Niederlassungsbehörde ist (vgl. das bereits angeführte hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011).

Die Behörde hat die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers und die Einstellungszusage berücksichtigt. Es ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die Behörde in diesen Umständen keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts sah, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erfordert hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2011, Zl. 2011/22/0065).

Beim Beschwerdevorbringen, wonach die leibliche Tochter des Beschwerdeführers in Deutschland wohnhaft sei und er bei Erteilung eines Aufenthaltstitels seine Tochter in Deutschland besuchen könnte, und dass sich eine Schwester des Beschwerdeführers in Dänemark und ein Bruder in Deutschland aufhielten, handelt es sich um - im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige - Neuerungen (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Unter Bedachtnahme auf die seit der rechtskräftigen Ausweisung verstrichene kurze Zeitspanne von weniger als drei Monaten kann nicht gesehen werden, dass sich der, für die nach § 11 Abs. 3 NAG anzustellende Beurteilung, Sachverhalt seit Erlassung der Ausweisung maßgeblich geändert hätte.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 19. November 2014

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