BVwG L519 2117260-1

BVwGL519 2117260-113.6.2016

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §52 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §40
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §52 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §40

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:L519.2117260.1.00

 

Spruch:

L519 2117254-1/23E

L519 2117260-1/18E

L519 2117257-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA:

Armenien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2015, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.01.2016 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA:

Armenien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2015, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.01.2016 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA:

Armenien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2015, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.01.2016 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als bP1 - bP 3 bezeichnet), sind Staatsangehörige von Armenien und brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 08.10.2014 bei der belangten Behörde Anträge auf internationalen Schutz ein. Die bP wurden erstbefragt und am 13.10.2015 vor der belangten Behörde einvernommen.

Zusammengefasst brachte die bP 1 im Wesentlichen vor, dass sie im Zusammenhang mit einer Demonstrationsteilnahme im Jahr 2008 in Armenien Probleme mit der Polizei sowie mit Privatpersonen bekommen hätte. Die bP 1 vermeinte überdies, dass ihre Multiples Sklerose (MS) Erkrankung in Armenien nicht ausreichend behandelbar sei. Die bP 2 stütze sich auf die Probleme ihres Ehegatten und gab erstbefragt an, dass die bP 1 wegen ihrer Erkrankung unter Gedächtnisverlust und Gleichgewichtsstörungen leide. Die Medikamente, welche sie in Armenien verschrieben bekommen hätte, hätten zu einer Magenschädigung geführt. Andere, weniger schädliche Medikamente seien in Armenien, Georgien und der Ukraine für die Familie nicht leistbar gewesen. Die bP 3 hätte Herzbeschwerden, bräuchte ständige Behandlung und sei auch diese für die bP nicht leistbar gewesen.

Die bP 3 gab erstbefragt an, dass sie der Einvernahme folgen könne, aber Herzbeschwerden habe. Sie sei mit den Eltern mitgekommen und habe keine eigenen Fluchtgründe.

Die bP hätten Armenien 2009 verlassen. Danach hätten sie sich in Georgien aufgehalten, um dann in die Ukraine zu gehen. Die Ukraine hätten sie wegen der Kämpfe dort verlassen.

Die minderjährige bP3 ist das leibliche Kind von bP1 und bP2.

Die bP legten einen medizinischen Befunde betreffend bP 1, einen Dienstvertrag betreffend einer Tätigkeit der bP 2 als Reinigungskraft für 10h sowie einen Pflege-Entlassungsbrief des LKH (Diagnose ASD II, Rechtsherzhypertrophie) betreffend bP 3 vor.

Vom LG XXXX wurde ein Strafurteil betreffend die bP 3 am 10.08.2015 dem BFA übermittelt.

I.2. Die Anträge der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit Bescheiden der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die bP Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen zu den Fluchtgründen der bP als nicht glaubwürdig aufgrund des näher dargestellten, undetaillierten und widersprüchlichen Vorbringens.

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien traf die belangte Behörde mit Ausnahme hinsichtlich Feststellungen zur medizinischen Versorgung ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam.

Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die bP 1 von Polizisten sowie Verwandten eines bei einer Demonstration Ermordeten in Armenien verfolgt werden würde. Weiters sei die Situation im Falle der Rückkehr der bP nach Armenien unzureichend erhoben worden. Die bP 1 und 3 seien überdies krank und hätte die Behörde den Gesundheitszustand von ihnen nicht ausreichend ermittelt. Betreffend die bP 1 wurden Berichte (Human Rights Watch - All i can do is cry betreffend Armut als Hindernis zum Zugang zu medizinischer Versorgung; Schweizerische Flüchtlingshilfe) zur medizinischen Versorgung in Armenien in Vorlage gebracht. Aus dem Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 23.10.2012 ergibt sich, dass viele armenische Neurologen den Krankheitsverlauf und die diagnostischen Kriterien hinsichtlich MS ungenügend kennen, obwohl ausreichend medizinische Institutionen und Arbeitskräfte vorhanden wären. Es gibt auch eine Datenbank, welche die Daten der MS Patienten erfasst, 135 Patienten wurden stationär und 231 Patienten in medizinischen Ambulatorien ohne stationären Aufenthalt behandelt. Es gibt in Yerewan einen Neurologen, der im Medical Center für Patienten mit MS zuständig ist. Oft werde die Erkrankung aber nicht richtig diagnostiziert bzw behandelt, dies trotz Schulungen hierzu. Die finanziellen Belastungen sind enorm und keine speziellen Pflegeheime für MS-Erkrankte vorhanden. Medikamente sind oft nicht oder nur mit Zusatzzahlungen erhältlich. Hinsichtlich der Medikamente ist lediglich Betaferon in Armenien registriert und erhältlich. Die Kosten betragen rund 12000 Schweizer Franken pro Jahr und Person für Betaferon. Nach Angaben von Kontaktpersonen kann bei einer MS Erkrankung nicht mit einer finanziellen Unterstützung des armenischen Staates gerechnet werden, da diese Krankheit nicht vom BBP (Basiv Benefits Package) abgedeckt werden. Der Patient ist gezwungen, die Kosten für die regelmäßige Injektionstherapie mit dem in Armenien verfügbaren Medikament Betaferon selbst zu übernehmen. Gewisse andere Bestandteile einer MS Behandlung wie beispielsweise die stationäre Behandlung von Schüben oder MRI Untersuchungen können unter Umständen durch das BBP abgedeckt werden, wofür allerdings keine Garantie besteht. Bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium ist es möglich, dass eine Behindertenpension ausgezahlt wird, welche aber weder gewährleistet, noch die anfallenden Kosten für eine immunmodulierende Therapie ansatzweise decken würde.

Hingewiesen wurde darauf, dass die bP 2 bereits in der Erstbefragung auf die Erkrankung der bP 1 hingewiesen habe und diese an Gedächtnisverlust und Gleichgewichtsstörungen aufgrund der Erkrankung leide. Eine kognitive Beeinträchtigung ergäbe sich auch aus den vorgelegten Befunden bzw. sei dies im Zusammenhang mit MS bekannt. Man hätte daher die Auswirkungen der psychischen Verfassung der bP 1 auf ihr Aussageverhalten berücksichtigen müssen und hätte die belangte Behörde allenfalls ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen müssen. So wäre man zu einer anderen Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens gelangt und sei die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens vorwiegend auf (vermeintliche) Widersprüche zwischen dem Vorbringen der bP 1 in der Erstbefragung und in der Einvernahme gestützt worden. Dieses Vorgehen sei unzulässig und wurde auf eine Entscheidung des VfGH verwiesen bzw. ausgeführt, dass schon die Qualität der Erstbefragung nicht mit jener vor den Asylbehörden gleichgesetzt werden könne.

Die Behandlungsbedürftigkeit der bP 1 würde für das gesamte Leben bestehen und im Umfang regelmäßig zunehmen. Sie benötige derzeit Pantoloc und Aprednisolon und regelmäßige fachärztliche Kontrollen. Bei einer Rückkehr würde die Familie in eine ausweglose Situation gelangen, da die bP 1 auch nicht mehr arbeitsfähig sei und die bP 2 für die Familie aufkommen müsse. Es sei keine Wohngelegenheit gegeben und hätten die bP auch keine Verwandten.

Die bP 3 sei ebenfalls gesundheitlich stark beeinträchtigt.

Hingewiesen wurde auf eine Entscheidung des BVwG in einem ähnlich gelagertem Fall.

Der armenische Staat sei nicht schutzfähig und bestünde keine innerstaatliche Fluchtalternative.

Die bP seien um Integration bemüht und müsse auch die Frage der Fortsetzung der medizinischen Behandlung in Österreich bei der Frage der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung berücksichtigt werden.

Beantragt wurde schließlich unter anderem ein Verfahrenshelfer.

Vorgelegt wurden von den bP mit der Beschwerde eine Schulbesuchsbestätigung der bP 3 und medizinische Unterlagen betreffend die bP.

I.4. Mit Schreiben vom 18.12.2015 legten die bP eine Anfragebeantwortung von Accord vom 20.11.2015 betreffend der Behandelbarkeit und Kosten für eine Behandlung wegen MS vor.

Konkret wurde darin ausgeführt, dass ein in Armenien tätiger Neurologe kontaktiert wurde. Dieser hätte angegeben, dass die Regierung nur die Behandlungskosten von akuten Exazerbationen bei MS übernehme. Die Kosten für krankheitsmodifizierende Behandlungen würden von den Patienten übernommen und seien nicht alle krankheitsmodifizierenden Behandlungen in Armenien registriert. Es sei nur Betaferon registriert, das 800 Eur pro Monat koste und Mitoxantron, das viel billiger sei. Andere Medikamente (Avonex oder ein persisches Biosimilar, Copaxone, Rebif oder ein russisches Biosimilar) würden aus Russland importiert und würden auch Generika (Fumaderm anstatt Tecfidera; Arava anstatt Aubagio) verwendet. Die Kosten für diese Medikamente müssten die Patienten selbst tragen. Der Ombudsmann habe in seinem 2014 veröffentlichten Bericht geschrieben, dass MS von der Regierung nicht in die Liste der Krankheiten aufgenommen worden sei, für die die Medikamente kostenlos zur Verfügung gestellt würden. Das führe dazu, dass die teuren Medikamente für die MS Erkrankten die meiste Zeit nicht verfügbar seien. Ein weiterer Nachrichtenbericht vom Mai 2015 gebe ein Interview mit dem Leiter der neurologischen Fakultät an der staatlichen medizinischen Universität in Jerewan zum Thema MS wieder. Demnach sei die Behandlung von MS teuer und wären die Kosten fast zur Gänze von den Patienten zu tragen, da es in Armenien keine staatlichen Programme gäbe, die Personen mit MS unterstützen. Festgehalten wurde, dass allgemeine Informationen zum Gesundheitssystem in diversen, angeführten Berichten zu finden wären, angeführt wurde unter anderem der Bericht All i can do is cry.

I.5. Am 28.12.2015 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Dokumentvorlage ein. Vorgelegt wurden medizinische Unterlagen betreffend die bP 1 und 2.

I.6. Für den 19.01.2016 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer Beschwerdeverhandlung.

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung brachte die bP vor, bisher im Asylverfahren wahrheitsgemäße Angaben gemacht zu haben und wurde mit ihnen insbesondere der Gesundheitszustand erörtert.

Vorgelegt wurden:

I.7. Der bP 1 wurde mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.03.2016 eine vom BVwG in Auftrag gegebene Anfragebeantwortung der Staatendokumentation über MedCOI vom 14.03.2016 zur Verfügbarkeit und Kosten von Interferon beta 1b übermittelt.

I.8. In der Stellungnahme vom 04.04.2016 wurde ausgeführt, dass die vom BVwG mit Schreiben vom 21.03.2016 übermittelte Anfragebeantwortung nicht nachvollziehbar sei. Es ergäbe sich, dass Betaferon in Tablettenform in Armenien erhältlich sei. Andererseits werde ausgeführt, dass Interferon beta 1b als Pulver für Injektionen registriert sei. Bei den Kosten werde wieder von Tabletten gesprochen. Überdies sei eine Fußnote offenbar nicht angeführt. Recherchen im Internet bzw. bei einer Ärztin (Beilage) hätten ergeben, dass zur Behandlung der Erkrankung der bP 1 (sekundär progredienten Form der Encephalomyelitis disseminata) lediglich Betaferon als Therapie zugelassen sei und nicht bekannt ist, dass es Betaferon in Tablettenform gäbe. Bei dieser Therapie in Tablettenform handle es sich daher um eine nicht international anerkannte Therapieform. Wie sich aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 20.11.2015 ergäbe, koste das in Armenien verfügbare Betaferon 800 Eur im Monat und müssten die Kosten von den bP fast gänzlich selbst getragen werden, da MS von der armenischen Regierung nicht in die Liste der Krankheiten aufgenommen worden sei, für die Medikamente kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Dies belege auch ein beigelegtes Schreiben des Gesundheitsministers der Republik Armenien vom 15.01.2016. Da die bP über keinen Besitz und keine Verwandten in Armenien verfügen würden, sei es ihnen daher nicht möglich, die Behandlung der bP 1 dauerhaft zu finanzieren. Eine Abschiebung würde daher jedenfalls Art. 2 und 3 EMRK verletzen.

I.9. Mit Schreiben vom 07.04.2016 wurde eine ergänzende Stellungnahme übermittelt. Hingewiesen wurde darauf, dass es gemäß den auszugsweise beigelegten aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft Neurologie betreffend MS kein Betaferon in Tablettenform gäbe.

I.10. Am 02.06.2016 langte ein Beweisantrag ein. Die bP stellten den Antrag, das BVwG möge eine Anfrage an das armenische Gesundheitsministerium hinsichtlich der Verfügbarkeit und der Kosten von Betaferon in Armenien stellen. Damit könnte auch das Schreiben des armenischen Gesundheitsministeriums überprüft werden. Die Anfragebeantwortung von Accord sei aussagekräftiger, jedenfalls im Verhältnis zu jener der Staatendokumentation als gleichwertig anzusehen. Beantragt wurde, ein Sachverständigengutachten zur Verfügbarkeit und Kosten für Interferon einzuholen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien

Bei den beschwerdeführenden Parteien handelt es sich um im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörige Armenier, welche sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekennen. Die bP sind damit Drittstaatsangehörige.

Die beschwerdeführenden Parteien bP1 und bP2 sind junge, arbeitsfähige Menschen mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.

Die Pflege und Obsorge von bP3 ist durch bP1 und bP2 gesichert.

Die bP haben über die im gegenständlichen Erkenntnis genannten Mitglieder der Kernfamilie hinausgehend keine relevanten familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Die bP verfügen in Österreich über keine eigenen, den Lebensunterhalt deckenden Mittel. Sie leben von der Grundversorgung. Die bP 1 ist noch keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgegangen, die bP 2 geht einer Arbeit als Putzfrau für 5 h die Woche nach. Die bP 2 besucht einen Deutsch Kurs, die bP 3 die Schule.

Bei der bP 1 wurde laut Befund vom 12.11.2015 bereits in Armenien Multiples Sklerose mittels MRT und KM Gabe festgestellt. In Armenien hat er im Rahmen der Schübe Aprednision per os eingenommen. In Österreich erhält die bP 1 seit Dezember 2015 wegen der diagnostizierten Sekundär progredienten Encephalomyelitis disseminata mit aufgesetzten Schüben (MS) eine Betainterferontherapie mit Kontrollen alle 3-4 Monate. Sie wurde aufgrund des Krankheitsverlaufes mit Einwilligung der bP 1 auf eine immunmodulierende Therapie umgestellt. Die bP 1 leidet gemäß Befund der MS-Ambulanz an diskreten kognitiven und mnestischen Störungen. Der bP 1 wurde nach einem Zustand nach Zwölffingerdarmgeschwür sowie Sodbrennen Magenschonkost am 11.11.2014 verordnet. Die bP legte überdies mit der Beschwerde im November 2015 einen Heilkostenplan, gültig bis 15.07.2015 betreffend einer Zahnprothese vor. Die bP 1 kann selbst zum Lebensunterhalt der Familie in Armenien beitragen und dort mit Unterstützung seiner als Krankenschwester ausgebildeten Ehegattin und dem minderjährigem, im erwerbsfähigen Alter befindlichen Sohn sowie dem in Russland lebenden Sohn die Mittel für die Lebensgrundlage sowie medizinische Versorgung erlangen.

Betaferon sowie weitere Medikamente zur Behandlung von MS sind in Armenien verfügbar. Die Kosten für für Betaferon sind sehr hoch, es gibt zur krankheitsmodifizierenden Behandlung auch Mitoxantron, das viel billiger ist.. Die Kosten sind vom Patienten selbst zu tragen und es gibt keine staatliche Unterstützung. Es gibt eine Datenbank mit den MS-Erkrankten und in Yerewan einen Neurologen, der für die MS Erkrankten zuständig ist.

Die bP 2 ist kurzsichtig bzw. hat eine Sehschwäche und hatte einen Termin für einen Augenoperation am 01.03.2016.

Die bP 3 befand sich vom 20.08.2015 bis 21.08.2015 im Krankenhaus zwecks Abklärung seiner Herzprobleme, welche vor ca. 6 Jahren in Armenien erstmals auftraten bzw. diagnostiziert wurden. Bei der bP 3 wurde am 16.12.2015 eine Operation wegen eines Herz-Vorhofseptumdefekts (ASD II, Verschluss durch Operation) durchgeführt. Sie wurde am 28.12.2015 in sehr gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen. Vermerkt wurde im Befund des behandelnden Krankenhauses, dass die Versicherungsdaten der bP 3 ungeklärt sind, da die bP 3 laut Versicherungsdaten 25 Jahre wäre, sanamnestisch aber 16 Jahre alt sei, weshalb noch kein Reha-Antrag gestellt wurde. Die bP 3 befindet sich aktuell in keiner Therapie und wurde am 14.03.2016 eine Kontrolluntersuchung (Echokardiographie) gemacht.

Die bP 2 hat die Grundschule besucht, eine Schneiderlehre absolviert und eine 3 jährige medizinische Fachschule besucht. Sie ist ausgebildete Krankenschwester.

Die bP 1 und 2 sind strafrechtlich unbescholten.

Die bP 3 wurde wegen §§ 127, 129 Z 1 StGB (Verbrechen des Diebstahls mit Einbruch am 20.06.2015) mit Urteil des XXXX zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten bedingt unter Setzung eines Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Die Identität der bP steht nicht fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Armenien

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Armenien (arm.: Hayastan) ist knapp 29.800 km² groß und hat etwas über 3 Millionen Einwohner. Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier, 1,2% Jesiden, 0,4% Russen und Angehörige kleinerer Minderheiten wie Assyrer, Kurden oder Griechen (NSS-RA, vgl. CIA 21.4.2015).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhängige Republik mit einem seit 1995 semi-präsidentiellen System (SPO 17.2.2014).

Das Einklammern-Parlament (Nationalversammlung) hat 131 Mitglieder und wird alle fünf Jahre gewählt. Dabei kommt eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht zur Anwendung. Die Parlamentswahlen vom 6.Mai 2012 ergaben folgende Stimmenverteilung:

Republikanische Partei 44,1%, Partei „Blühendes Armenien" 30,2%, Armenischer Nationalkongress 7,1%, Rechtsstaatspartei 5,5%, Armenisch-Revolutionäre Föderation (Daschnaken) 5,7%, Partei "Erbe" 5,8%. Dank der zusätzlich errungenen Direktmandate verfügt die Republikanische Partei über die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Gleichwohl bildete sie eine Koalition mit der Rechtsstaatspartei, die jedoch im April 2014 die Regierung verließ. Der einstige Koalitionspartner "Blühendes Armenien" war bereits 2012 in Opposition gegangen (AA 3.2015a, vgl. 6.5.2012 RA-CEC).

Obschon der Wahlkampf für die Parlamentswahlen kompetitiv verlief, und die mediale Wahlberichterstattung ausgewogen war, herrschte in der Öffentlichkeit ein Mangel an Vertrauen in die Integrität des Wahlprozesses, begleitet von Vorwürfen des Stimmenkaufs. Laut OSZE gab es Fälle von Missbrauch durch die Verwendung von Verwaltungsressourcen zugunsten der Republikanischen Partei, beispielsweise durch den Einsatz von Lehrern und Schülern im Wahlkampf (OSCE/ODHIR 26.6.2012).

Nach dem überraschenden Rücktritt von Premierminister Tigran Sargsyan Anfang April 2014 ernannte Präsident Serzh Sargsyan den bisherigen Parlamentspräsidenten Hovik Abrahamyan zu dessen Nachfolger. Im neuen Kabinett sind 12 der insgesamt 19 Minister parteilos. Viele stehen jedoch der Oppositionspartei "Blühendes Armenien" nahe (AA 3.2015a, vgl. RFL/RL 3.4.2014).

Am 1.Jänner 2015 wurde Armenien offiziell Mitglied der von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion, deren Zollverträge schrittweise bis 2022 implementiert werden sollen. Die Unterzeichnung im Oktober 2014 wurde von Protesten und scharfer Kritik begleitet. Gegner des Vertrages fürchten insbesondere ökonomische Nachteile sowie Einschränkungen der Meinungsfreiheit (CN 2.1.2015).

Der armenische Präsident Sargsyan meinte anlässlich seines Besuches bei Vladimir Putin in Moskau Anfang September 2014, dass der Beitritt Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion die logische Ergänzung zur Mitgliedschaft Armeniens bei der "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" - OVKS sei. Er bekräftigte, dass dies keine Absage an den Dialog mit der Europäischen Union sei, mit welcher ein Assoziierungsabkommen abgeschlossen werden soll (EM o. D.).

Aus armenischer Sicht stellte die Vorverlegung der türkischen Feierlichkeiten zum hundertjährigen Gedenken an die Schlacht bei Galipoli just auf den 24. April, den Tag des Genozids, eine Provokation dar. Der armenische Präsident warf der Türkei Geschichtsrevisionismus vor, mit dem Versuch durch die vorverlegte Galipoli-Gedenkveranstaltung vom Völkermord abzulenken. Sargsyan ordnete Mitte Februar 2015 daraufhin an, die noch nicht ratifizierten Zürcher Protokolle zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Jerewan und Ankara aus dem Parlament zurückzuziehen (NZZ 24.4.2015, vgl. RFE/RL 16.2.2015, Standard 24.4.2015).

Nichtsdestoweniger sprach sich Sargsyan in einem Interview mit der türkischen Zeitung Hürriyet Daily News am Vorabend der Gedenkfeiern für die Normalisierung der bilateralen Beziehungen ohne Vorbedingungen aus. Insbesondere die Öffnung der Grenze würde helfen, eine Atmosphäre des Vertrauens herzustellen und die regionale Wirtschaft zu fördern (HDN 24.4.2015).

Quellen:

Kernproblem für die armenische Außenpolitik bleibt der Konflikt um Nagorny Karabach und die in diesem Zusammenhang geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei. Seit dem Krieg um das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach (1992-94) halten armenische Verbände rund 17% des aserbaidschanischen Staatsgebiets (Bergkarabach und sieben umliegende Provinzen) besetzt (AA 3.2015b).

Der Territorialkonflikt um Nagorny Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan ist immer wieder durch Perioden von höherer bzw. niedrigerer Intensität gekennzeichnet. Eine Lösung zeichnet sich derzeit nicht ab, trotz gegenteiliger Beteuerungen seitens der Konfliktparteien (ICG 26.9.2013).

Im Februar 2015 stimmten die Vertreter der Minsker Gruppe, die seit 1994 unter der OSZE-Schirmherrschaft als diplomatisches Instrument zur Lösung des Konflikts dient, darin überein, dass sich die militärische Situation sowohl entlang der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan als auch entlang der sogenannten Kontaktlinie (das heißt, der international nicht anerkannten Grenze zu Bergkarabach) verschlimmert habe. Im Jänner 2015 gab es mit zwölf Toten die höchste Zahl an Opfern seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1994 (OSCE 7.2.2015).

Bereits im Verlaufe des Jahres 2014 sind laut "The Armenian Weekly" 72 Menschen - 39 Aseri und 33 Armenier - im Zuge des Konflikts umgekommen, verglichen zu 34 Personen im Jahr 2012 (AW 4.2.2015).

Den wiederholten bewaffneten Auseinandersetzungen folgen jeweils Vermittlungsinitiativen, insbesondere durch die Vertreter der Minsker-Gruppe der OSZE. So lud Russlands Präsident, Vladimir Putin, unilateral die Präsidenten beider Länder nach der Eskalation im Sommer 2014 nach Sotschi ein. Ende Oktober fand ein weiteres Treffen unter der Ägide der Minsker Gruppe in Paris statt, wobei es mehr um Vertrauensbildung als um die tatsächliche Lösung des Konflikts ging (RFE/RL 10.8.2014, RFE/RL 30.10.2014). Das Treffen endete mit der Absichtserklärung, den Dialog mit einem weiteren Treffen der beiden Präsidenten im September 2015 am Rande der UN-Vollversammlung fortzusetzen (Reuters 27.10.2014).

Die Verletzung der Waffenruhe ist durch wechselseitige Schuldzuweisungen gekennzeichnet. Überdies droht Aserbaidschan angesichts der ausbleibenden diplomatischen Lösung, das umstrittene Territorium mit Gewalt zurückzuerobern (BBC 7.4.2015, vgl. RFE/RL 23.1.2015, FH 23.1.2014).

Aserbaidschan sieht für 2015 Militärausgaben von fünf Milliarden Dollar vor, was mehr als das Staatsbudget Armeniens ist. Russland ist der Hauptverbündete Armeniens in der Region und beliefert das Land mit Waffen im Gegenzug für das Beibehalten der russischen Militärpräsenz in Armenien (FPN 23.1.2015).

Quellen:

http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-32202426 #sa-ns_mchannel=rss&ns_source=PublicRSS20-sa, Zugriff 6.5.2015

http://www.ecoi.net/local_link/285832/417673_de.html , Zugriff 7.5.2015

Regionale Problemzone Nagorny Karabach

Nagorny Karabach ist seit 1994 de facto unabhängig von Aserbaidschan und unterhält enge politische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu Armenien (FH 23.1.2014).

Nagorny Karabach ist isoliert. Finanziell und militärisch hängt es von Armenien ab. Die Einwohner besitzen armenische Pässe. Der internationale Flughafen in Stepanakert kann nicht benutzt werden, weil die aserbaidschanische Seite mit dem Abschuss der Flugzeuge droht (BBC 7.4.2015).

Als Resultat des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts um die Region Nagorny Karabach halten die armenischen Separatisten den größten Teil Nagorny Karabachs sowie sieben weiterer aserbaidschanische Territorien unter ihrer Kontrolle. 2013 galten laut aserbaidschanischen Angaben immer noch rund 4.000 Personen als vermisst. Der UNHCR bezifferte die Anzahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) auf aserbaidschanischer Seite auf 600.000 Personen. Die große Mehrheit floh während der kriegerischen Auseinandersetzungen um Nagorny Karabach zwischen 1988 und 1993 (USDOS 27.2.2014).

Laut Angaben der selbsternannten Republik von Nagorny Karabach (auch Republik Artsach) umfasst das Gebiet mehr als 12.000 km², wobei hiervon 1041 km² unter aserbaidschanischer Okkupation stünden. Die Bevölkerung belief sich 2013 auf rund 147.000 Einwohner, wovon 95% Armenier sind, nebst Russen, Ukrainern, Griechen, Georgiern und Aseri (NKR 6.5.2015).

Politische Opposition wird unter den gegebenen Umständen des unsicheren Status von Nagorny Karabach im Allgemeinen als Zeichen der Illoyalität und als Sicherheitsrisiko betrachtet. Oppositionsgruppen sind in den letzten Jahren entweder verschwunden oder in die Regierung aufgenommen worden. Die meisten Medien werden von der Regierung kontrolliert. Die meisten Journalisten üben Selbstzensur aus, insbesondere wenn es um Themen geht, die den Friedensprozess betreffen (FH 23.1.2014).

Die Meinungsfreiheit scheint unter der generellen Situation zu leiden. Obgleich keine offizielle Zensur besteht, gibt es keine Verbreitung von Ideen und Standpunkten, die in Opposition zur Regierung stehen. Die Situation hat sich jedoch seit der letzten Dekade deutlich verbessert. Durch ausländische Unterstützung insbesondere der EU konnten zahlreiche Initiativen im NGO- und Medienbereich umgesetzt werden (CSS 17.9.2014). Beispielsweise finanziert die EU "[D]ie Europäische Partnerschaft für die Friedliche Lösung des Konflikts um Berg-Karabach" - EPNK. Dieses seit 2010 bestehende Netzwerk von fünf europäischen Organisationen arbeitet mit NGOs Vorort in Bereichen wie Friedensdialog, Analyse und Forschung sowie Film und Medien zusammen (EPNK o.D.; EC 6.11.2012).

Die generelle Situation hinsichtlich politischer und ziviler Freiheiten hat sich laut den Vergleichszahlen von "Freedom House" seit 2012 nur unwesentlich verbessert. Sowohl die Versammlungs- als auch die Vereinigungsfreiheit sind durch das Gesetz eingeschränkt. Allerdings wird den Gewerkschaften erlaubt, sich zu organisieren. Offiziell nicht registrierte religiöse Gruppen sind für ihre Aktivitäten bestraft worden, und Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen wurden inhaftiert (FH 23.1.2014, FH 2012).

Im Unterschied zur Republik Armenien, wo seit 2013 ein Zivildienst außerhalb der Armee geschaffen wurde, werden Wehrdienstverweigerer - insbesondere Zeugen Jehovas - mit Gefängnis bestraft. Aufsehen erregte der Fall des Zeugen Jehova, A.Avanesyan, der von Armenien an die nicht anerkannten Behörden Nagorny Karabachs ausgeliefert wurde, welche ihn in Folge zu 30 Monaten Gefängnis verurteilten (Forum 18 12.11.2014).

Am 3.Mai 2015 fanden Parlamentswahlen statt, die allerdings international nicht anerkannt werden. Laut offiziellen Angaben der Zentralen Wahlkommission übersprangen bei einer Wahlbeteiligung von rund 71% fünf Parteien die Fünf-Prozent-Hürde. Die Partei "Freies Heimatland" errang 47,4%; die "Demokratische Partei Artsachs" 19,1% und die Partei "Armenische Revolutionäre Föderation- Dashnaktsutyun" 18,8% der Stimmen. Die beiden Oppositionsparteien "Bewegung-88" und die "Partei der Nationalen Wiedergeburt" schafften gleichfalls den Einzug ins Parlament. Über hundert internationale Beobachter waren anwesend (CN 4.5.2015; CS.eu). Aserbaidschan betrachtet die Wahlen als Verstoß sowohl gegen internationale Normen als auch gegen aserbaidschanisches Recht und drohte vorab mit Strafverfolgung gegen ausländische Wahlbeobachter (CN 1.5.2015).

Quellen:

http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-32202426 #sa-ns_mchannel=rss&ns_source=PublicRSS20-sa, Zugriff 6.5.2015

http://www.ecoi.net/local_link/285832/417673_de.html , Zugriff 7.5.2015

Rechtsschutz/Justizwesen

Im Rahmen der Strategie zur Justizreform (2012-16) wurde die Unabhängigkeit der Richter durch Festlegung der Pflichten der Selbstverwaltungsstrukturen gesetzlich gestärkt. Die Ernennung, Beurteilung und Beförderung von Richtern wurde transparenter gestaltet. Die formelle Rolle des Staatspräsidenten in der endgültigen Bestellung der Richter wurde in der Gesetzesreform jedoch bestätigt. Das öffentliche Misstrauen gegenüber dem Justizsystem und dessen Integrität besteht weiterhin (EC 25.3.2015).

Die Rechtsstaatlichkeit bleibt durch die mangelnde Gewaltenteilung geschwächt. Der starken Rolle des Präsidentenamtes, begleitet von einem ineffizienten Parlament, steht ein fügsames Justizwesen gegenüber. Der Mangel an Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz schwächt in weiterer Folge auch die Effizienz der staatlichen Verwaltung (BS 2014).

Trotz der verfassungsmäßig garantierten richterlichen Unabhängigkeit mangelt es an dieser in der Praxis. Die richterliche Unabhängigkeit wird durch externe Akteure sowohl der vollziehenden Gewalt als auch innerhalb des Justizsystems, etwa durch Richter der höheren Instanzen, beeinflusst (CoE-CommDH 10.3.2015).

Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - ist in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet (AA 7.2.2014).

Der Gerichtsbarkeit mangelt es nicht bloß an Vertrauen, sondern sie gilt auch als von Korruption durchdrungen und in enger Verbindung zur Exekutive stehend. Die Korruption in der Justiz wurde auch vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte bei einem Besuch im Oktober 2014 kritisiert. Nur ein Viertel der Bevölkerung hat Vertrauen in die Justiz (FH 28.1.2015, vgl. BS 2014).

Im Dezember 2013 veröffentlichte der armenische Ombudsmann einen Sonderbericht, worin er nicht nur die unfairen und willkürlichen Entscheidungen der Gerichte kritisierte, sondern auch die grassierende Korruption im Justizwesen. Die Studie, basierend auf zahlreichen anonymen Interviews mit Richtern, Staats- und Rechtsanwälten, ergab dass Richter oft bestochen werden. In der Regel werden zehn Prozent der Schadensersatzsumme verlangt (AL 10.12.2013).

Der Justizrat ist für die Ernennung und Entlassung von Richtern zuständig. Dieser kann Richter wegen des Delikts eines Justizirrtums auch dann anklagen, wenn gegen das Ersturteil kein Einspruch erhoben wurde. Gegen die Entscheidungen des Justizrates kann keine Berufung eingelegt werden (USDOS 27.2.2014, vgl. CoE-CommDH 10.3.2015).

Verfahren erfüllten üblicherweise die meisten Standards für einen fairen Prozess, jedoch waren sie der Sache nach oft unfair, da viele Richter sich veranlasst sehen, gemeinsam mit den Staatsanwälten Verurteilungen zu erwirken. Die Richter sträuben sich Expertisen von Polizeiexperten anzufechten, wodurch sie es dem Angeklagten erschweren sich glaubwürdig zu verteidigen. Angeklagte und ihre Verteidiger verfügen kaum über die Möglichkeit, Regierungszeugen und Beweismittel der Polizei, die das Gereicht zumal als unanfechtbar ansieht, in Frage zu stellen (USDOS 27.2.2014, vgl. CoE-CommDH 10.3.2015).

Laut dem Menschrechtskommissar des Europarats werde überproportional, oft ohne richterlichen Bescheid die Untersuchungshaft verhängt, welche zudem unverhältnismäßig lange sei. Ansuchen auf Freilassung auf Kautionen werden per se abgelehnt (CoE-CommDH 10.3.2015).

Überdies verabsäumten armenische Gerichte laut der Internationalen Föderation für Menschenrechte, wie eigentlich von Gesetz wegen vorgesehen, spezifische Fakten oder Erläuterungen zum jeweiligen Fall vorzulegen, warum die Untersuchungshaft als Zwangsmaßnahme anzuwenden sei. Stattdessen würden abstrakte Annahmen hinsichtlich des Fluchtrisikos oder der möglichen Behinderung weiterer Ermittlungen als Gründe angeführt (FIDH/CSI 5.5.2014).

Angeklagte, Strafverteidiger und die geschädigte Partei haben das Recht, gegen ein Gerichtsurteil in Berufung zu gehen. Es gibt keine Geschworenengerichtsbarkeit. Ein Einzelrichter entscheidet in allen Gerichtsverfahren außer bei Verbrechen, die mit lebenslanger Haftstrafe bedroht sind. Angeklagte haben das Recht, eine Rechtsberatung zu beanspruchen. Der Staat ist verpflichtet, auf Antrag einen Verteidiger zur Verfügung zu stellen. Außerhalb Jerewans wurde diese Verpflichtung aufgrund des Mangels an Verteidigern oft nicht eingehalten (USDOS 27.2.2014).

Quellen:

http://www.ecoi.net/local_link/264696/391342_de.html , Zugriff 8.5.2015

http://www.ecoi.net/local_link/300285/436948_de.html , Zugriff 18.5.2015

Sicherheitsbehörden

Die Polizei führt willkürliche Festnahmen ohne Haftbefehl aus, schlägt Häftlinge während der Einvernahme und des Haftaufenthaltes und gebraucht Folter, um Geständnisse zu erwirken (FH 12.6.2014, vgl. AA 7.2.2014, HRW 29.1.2015).

Laut armenischem Ombudsmann gab es 2013 zahlreiche Beschwerden über Polizeigewalt, wobei lediglich vier Beschwerden von der Polizei registriert wurden. Zahlreiche Personen, darunter auch Jugendliche, seien von den Polizeistellen "eingeladen" und gegen deren Willen festgehalten worden, obwohl die Polizei keine solche Befugnis habe. Zu den positiven Entwicklungen zähle, dass 2013 141 Polizisten infolge der Untersuchung durch die Interne Sicherheitsabteilung für unrechtmäßiges Verhalten zur Verantwortung gezogen wurden (RA-HRD 2014).

Die Polizei ist, ebenso wie der Nationale Sicherheitsdienst (NSD), direkt der Regierung unterstellt. Allein der Präsident hat die Befugnis, die Leiter beider Behörden zu ernennen. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt. Für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz ist der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch Verhaftungen durchführen dürfen. Fallweise treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird.

Der Polizeichef füllt in Personalunion die Funktion des Innenministers aus. Ein Innenministerium gibt es nicht mehr. Das Fehlen der politischen Instanz wird damit begründet, dass damit eine "Politisierung" der Sicherheitsorgane verhindert werden soll (AA 7.2.2014).

Der Polizei und dem NSD mangelt es an Ausbildung, Ressourcen und an Strukturen zur Vorbeugung von Misshandlungsfällen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem und es gibt keinen unabhängigen Mechanismus für Untersuchungen von Übergriffen durch die Polizei. Bürger können die Polizei vor Gericht in eingeschränktem Ausmaß anklagen. Korruption bei der Polizei bleibt weiterhin ein Problem (US DOS 19.4.2013).

Quellen:

http://www.ecoi.net/local_link/295465/430496_de.html , Zugriff 8.5.2015

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet die Anwendung von Folter. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass systematisch Folter praktiziert wird. Menschenrechtsorganisationen berichten aber immer wieder glaubwürdig von Fällen, bei denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu Folterungen gekommen sein soll (AA 25.1.2013)

Die meisten Fälle von Misshandlungen kamen in den Polizeistationen vor, die nicht unter öffentlicher Beobachtung standen, und nicht in Gefängnissen oder Hafteinrichtungen der Polizei, die solcher Beobachtung unterliegen (US DOS 27.2.2014).

Der Menschenrechtskommissar des Europarates zeigte sich besorgt, dass erzwungene Geständnisse regelmäßig bei Gericht Verwendung finden. Überdies gäbe es Fälle, bei denen Personen, die Beschwerde gegen Misshandlung während der Einvernahme einlegten, wegen Falschaussage verurteilt wurden (CoE-CommDH 10.3.2015).

Folteropfer können den Rechtsweg nutzen einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den EGMR zu wenden. Abgesehen davon gibt es allerdings keinen Mechanismus, Folterverdachtsfälle gegenüber Beamten zu untersuchen, da beispielsweise Dienstaufsichtsbeschwerden nicht vorgesehen sind. Betroffene beschweren sich nur selten, weil sie Repressalien befürchten (AA 7.2.2014).

Die armenischen Behörden bekennen sich zum Ziel, die Standards des Europarats bezüglich des Vorgehens gegen Folter und Misshandlung einzuhalten. Gleichzeitig wurden 2014 Beschwerden über Folter und Misshandlungen während der Untersuchungshaft ignoriert, ohne dass entsprechende Untersuchungen eingeleitet wurden.

Das armenische Gesetz verbietet Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Allerdings sind greifbare Ergebnisse ausgeblieben, die das nationale Recht hinsichtlich der Kriminalisierung von Folter in Einklang mit Artikel 1 der Konvention gegen Folter bringen. Die gegenwärtige Definition von Folter in Armenien beinhaltet nicht Straftaten, welche durch Behördenvertreter begangen werden. Infolgedessen wurde niemand aus den Exekutiv- oder Sicherheitsorganen je wegen Folter verurteilt. Wenn es überhaupt zur Bestrafung oder Verurteilung kommt, dann für geringere Delikte, wie den Missbrauch der Amtsgewalt. In mehreren Fällen wurden verurteilte Beamte amnestiert (CoE-CommDH 10.3.2015, vgl. EC 25.3.2015).

Der Direktor des Civil Society Instituts und Mitglied des UN-Unterkomitees für die Folterprävention, Arman Danielyan, bezeichnete die Aussage des Justizministers als Hoffnungsschimmer, wonach der Folterbegriff im Strafrecht in Einklang mit dem Wortlaut der UN-Anti-Folterkonvention gebracht werden soll. Dies bedeute, dass auch bei Ausbleiben einer privaten Klage von Amtswegen ermittelt werden muss, wenn es sich um einen Fall von Folter handelt. Überdies sah er im Jahr 2014 eine gestiegene Bereitschaft seitens der Betroffenen, offiziell Beschwerden einzureichen. Insbesondere habe der Sonderermittlungsdienst (Special Investigation Service - SIS) verstärkt Aktivitäten gesetzt, wobei konkrete Resultate noch abzuwarten seien (HRA 16.1.2015).

Der Sonderermittlungsdienst, eine Beschwerdeeinrichtung zur Untersuchung von strafrechtlichen Vergehen von Behörden, berichtete für das Jahr 2014 von 546 Fällen, in denen ermittelt wurde. Dies bedeutete eine deutliche Steigerung gegenüber den Jahren 2012 und 2013, als lediglich 204 bzw. 239 Fälle behandelt wurden (SIS 26.1.2015).

Quellen:

Korruption

Die Korruption in Armenien durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft. Die öffentliche Verwaltung, speziell die Justiz, die Polizei und das Gesundheitswesen sind anfällig. Eines der signifikantesten Korruptionsthemen ist die Vermengung von Politik und Geschäftswelt. Obgleich die Verfassung es Parlamentsmitgliedern verbietet ein Geschäft zu betreiben, wird dieses Verbot ignoriert. Mächtige Politiker und Offizielle kontrollieren wiederholt Privatfirmen via Strohmänner und Verwandte (TI 23.8.2013).

Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für Korruptionsdelikte von Beamten vor, doch setzt die Regierung das Gesetz nicht effektiv um, sodass viele Beamte, die sich korrupter Praktiken bedienen, straffrei gehen (USDOS 27.2.2014).

Korruption bis in die höchsten Instanzen ist weiterhin ein sehr verbreitetes Problem. So sind bei öffentlichen Ausschreibungen sogenannte "Kickback"-Zahlungen an die ausschreibenden Behörden üblich, um Aufträge zu erhalten (AA 7.2.2014).

Im April 2014 wurde ein Strategiepapier für den Kampf gegen die Korruption angenommen, welches sich auf den Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie auf die Staatseinnahmen konzentriert (EC 25.3.2015). Der neue Anti-Korruptionsrat soll die Koordination von Anti-Korruptionsmaßnahmen vornehmen, die durch die unterschiedlichen Regierungsinstitutionen umzusetzen sind. Überdies soll der Rat Debatten und Diskussion organisieren sowie Empfehlungen an die Regierung geben. Unter dem Vorsitz des Premierministers sollen nebst Vertretern aus dem Justiz- und dem Finanzministerium sowie der Generalstaatsanwaltschaft auch die parlamentarische Opposition und die Zivilgesellschaft Vertreter entsenden (AL 19.2.2015).

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2014 belegte Armenien wie im Jahr davor Platz 94 von insgesamt 175 untersuchten Staaten (TI 2014).

Quellen:

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen sind registriert. Diese haben Zugang zu Medien, Behörden und Vertretern internationaler Organisationen.

Die Arbeit der NGOs, die sich mit Themen wie Medien, Versammlungs- und Meinungsfreiheit oder Korruption beschäftigen, wird allerdings seitens der Exekutive nicht unterstützt. Gelegentlich werden Fälle bekannt, in denen NGOs behindert werden. So wird immer wieder berichtet, dass Menschenrechtsorganisationen der Zugang zu verwertbaren Informationen und Zahlen durch Behörden und Regierung erschwert wird (AA 7.2.2014).

Im September 2014 initiierte die Regierung ein neues Gesetz über Öffentliche Organisationen. Zur Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs wurde eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Justizministeriums und zivilgesellschaftlicher Organisationen gebildet. Hierbei wurden zahlreiche öffentliche Diskussionen mit über 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen veranstaltet. Der Gesetzesentwurf erlaubt eine flexible Regulierung der öffentlichen Organisationen und stärkt deren Rolle. Durch die Festlegung der erlaubten Geschäftstätigkeiten, beispielsweise die Gründung einer Stiftung sowie einer gesteigerten Transparenz der staatlichen Finanzierung, sollen die Entwicklung, Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit gestärkt werden. Die Schaffung des neuen Gesetzes wurde seitens der EU durch das Programm: "Unterstützung für ein demokratisches Regieren in Armenien" mit rund 950.000 Euro gefördert (EC 25.3.2015, EU 10.4.2015).

Quellen:

Ombudsmann

Das Büro des Ombudsmannes hat das Mandat die Menschenrechte und grundlegende Freiheiten vor dem Missbrauch durch die Regierung zu schützen. Die Effektivität ist durch die begrenzten finanziellen Mittel eingeschränkt. Eine Zusatzfinanzierung seitens der Regierung, um die Rolle als "Nationaler Präventiver Mechanismus (NPM) im Sinne des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe der Vereinten Nationen" auszuüben, blieb aus (USDOS 27.2.2014).

Die Verfassungsänderung im November 2005 hat die Institution einer vom Parlament gewählten Ombudsperson für Menschenrechte geschaffen. De facto muss die Ombuds-person einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen (AA 7.2.2014).

Angesichts des Versagens der Justiz, was den Schutz der Bürger- und Menschenrechte anlangt, gilt die Ombudsmannsstelle als positive Ausnahme. Als einzige Institution stellt sie das staatliche Versagen beim Schutz und der Verletzung der bürgerlichen Freiheiten in Frage (BS 2014).

Quellen:

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtssituation stellte sich 2014 weiterhin uneinheitlich dar. Der Eingriff seitens der Behörden bei friedlichen Demonstrationen setzte sich fort. Folter und Misshandlungen bei Festnahmen bleiben ein Problem, während Untersuchungen in derartigen Fällen ineffizient sind. Journalisten sind weiterhin mit Druckausübung und Gewalt konfrontiert. Obgleich der Zivildienst eingeführt wurde, kommt es zu schweren Misshandlungen in der Armee. Von Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten wird ebenso berichtet wie von Gewalt und Diskriminierung infolge der sexuellen Orientierung (HRW 29.1.2015, vgl. CoE-PA 27.8.2014).

Menschenrechte werden zum größten Teil durch die Sicherheitsorgane, politische Amtsträger und Privatpersonen aus dem Umfeld der sich über dem Gesetz wähnenden Oligarchen oder deren Strukturen verletzt (AA 7.2.2014).

Im Juni 2014 lobten die OSCE, Delegation der EU, die Vereinten Nationen und der Europarat in einer gemeinsamen Erklärung die armenische Regierung für die Verabschiedung des Menschenrechts-Aktionsplanes. Der Plan anerkenne, dass die Rechte vulnerabler Gruppen Schutz bedürfen und die Regierung aufgerufen sei, Bemühungen voran zu treiben, die gleiche Rechte und Chancen für alle sichern (OSCE 30.6.2014).

Allerdings kritisierte die Europäische Kommission, dass der Plan wichtige Bereiche, die Vorrang haben sollten, wie die Einhaltung der UN-Konvention gegen Folter, ausspare. Die Europäische Kommission beurteilte die Fortschritte im Bereich der Menschenrechte und der fundamentalen Freiheiten als beschränkt (EC 25.3.2015).

Quellen:

http://www.ecoi.net/local_link/295465/430496_de.html , Zugriff 12.5.2015

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition

Die Verfassung garantiert das Recht auf "friedliche, nicht bewaffnete, öffentliche Versammlungen". Mitte März 2008 erfolgte eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes mit weitreichenden Verbotsmöglichkeiten, die jedoch auf Druck des Europarates mit der Novellierung des Versammlungsgesetzes 2011 teilweise zurückgenommen wurden. Demonstrationen auf dem Opernplatz ("Platz der Freiheit") in Jerewan werden wieder regelmäßig genehmigt, insbesondere nach den Präsidentschaftswahlen im Februar 2013. Vertreter der Opposition haben teilweise mit Einschränkungen zu kämpfen. Die Interpretation des Gesetzes über die Versammlungsfreiheit erscheint mitunter willkürlich. Andererseits werden manche spontane Demonstrationen geduldet (AA 7.2.2014).

Das gegenwärtige Recht auf Versammlungsfreiheit entspricht den EUund anderen internationalen Standards. Trotz des Rechts auf Versammlungsfreiheit mischen sich die Behörden dahingehend ein, dass sie Zusammenkünfte nicht genehmigen, Demonstrationen auflösen oder Teilnehmer physisch attackieren bzw. festnehmen, wie dies auch 2014 der Fall war (EC 25.3.2015, FH 28.1.2015, vgl. FCO 28.1.2015).

Demonstrationen der Opposition werden zwar wieder regelmäßig genehmigt, die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit wird jedoch in der Praxis durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz spürbar eingeschränkt (AA 7.2.2014).

Quellen:

http://www.ecoi.net/local_link/300285/436948_de.html , Zugriff 13.5.2015

Opposition

Die Opposition besteht aus dem Bündnis des Armenischen Nationalkongresses, der "Daschnakzutiun" (Armenische Revolutionäre Föderation, ARF) und der "Erbe"-Partei. Die Partei Bargavach Hayastan ("Blühendes Armenien") ging in die "konstruktive" Opposition. Es gibt immer wieder belastende Berichte in der Presse und von NGOs über Behinderungen und Ungleichbehandlungen der Oppositionsparteien durch die Behörden, z.B. bei Demonstrationen oder Wahlen. Im Vorfeld und während des Präsidentschaftswahlkampfes war regelmäßig zu beobachten, dass ihr Zugang zu den Medien ebenso wie die Ausübung der Versammlungsfreiheit stärker eingeschränkt waren. Demonstrationen der Opposition werden wieder regelmäßig genehmigt (AA 7.2.2014, vgl. auch: US DOS 27.2.2013).

Quellen:

Haftbedingungen

Überbelegung, inadäquate sanitäre Einrichtungen und medizinische Versorgung sowie Korruption sind die Hauptprobleme in armenischen Gefängnissen. In einigen Fällen sind die Gefängnisbedingungen lebensgefährlich (US DOS 27.2.2014, vgl. AA 7.2.2014).

Die Haftanstalten sind um durchschnittlich 20% (nach offiziellen Angaben: 8%) überbelegt. Menschenrechtsorganisationen haben Zutritt zu den Gefängnissen. Die Lage der Häftlinge hängt stark von jeweiligen Haftanstalt und dem Stand ihres Verfahrens (Untersuchungs- oder Strafhaft) ab (AA 7.2.2014).

Laut offizieller Statistik kamen 2013 in den ersten neun Monaten 14 Personen in den Gefängnissen ums Leben. Menschenrechtsorganisationen führten dies vor allem auf schlechte bauliche Zustände, Überbelegung und die Vernachlässigung bei der Versorgung von Inhaftierten zurück (US DOS 27.2.2014).

Die Ombudsmannstelle verzeichnete 2013 363 Fälle von Gewalt, wovon bloß in 3.4% ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Dies beweise laut Ombudsmann, dass die Fälle nur oberflächlich, z.B. ohne Befragungen oder Gegenüberstellungen, durchgeführt wurden (RA-HRD 2014).

Die Europäische Kommission bezeichnete die Fortschritte im Gefängnissystem, in welchem die unmenschliche Behandlung weiterhin besorgniserregend sei, als begrenzt. Die Eröffnung des ersten Trakts der neuen Strafanstalt in Armavir sollte das Problem der Überfüllung in den Haftanstalten mindern (EC 25.3.2015).

Anlässlich der Eröffnung von Armavir meinte Justizminister Hovhannes Manukyan, dass durch dessen Nutzung ein maximaler Schutz der Rechte der Insassen sowie die Verbesserung der Lebensbedingungen gewährleistet sei, wodurch die diesbezüglichen europäischen Standards erfüllt würden. Vorerst werden 400 und bis zur geplanten Fertigstellung Ende 2015 1.200 Häftlinge ihre Strafe in Armavir abbüßen (Tert.am, vgl. AN 1.12.2014). Jede der Vier-Mann-Zellen hat eine Größe von 16-17 m² mit einem zusätzlichen Bad. Die Anstalt verfügt u.a. über ein eigenes Krankenhaus für bis zu 120 Insassen (HRA 1.12.2014).

Ende Oktober 2014 verkündete der Justizminister, Hovhannes Manukyan, dass um die Jahreswende 2015/16 ein Bewährungssystem eingeführt werden soll, wodurch die Strafanstalten um 25 bis 30% entlastet würden (Panorama 31.10.2014).

Quellen:

Todesstrafe

Armenien hat im September 2003 das 6. Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention ratifiziert. Die Todesstrafe ist damit abgeschafft; dies ist in Artikel 15 der Verfassung verankert (AA 7.2.2013, vgl. DPF o.D.).

Quellen:

Frauen

Verfassung und Gesetze schreiben die Gleichberechtigung von Männern und Frauen fest und verbieten die Diskriminierung auf der Basis des Geschlechts. Die Rolle der Frau in Armenien ist gleichwohl durch das in der Bevölkerung verankerte patriarchalische Rollenverständnis geprägt (AA 7.2.2014, vgl. RA-HRD 2014, USDOS 27.2.2014).

Im World Gender Gap Index 2014 nahm Armenien Rang 103 von 142 Ländern ein. Insbesondere in den Subkategorien Gesundheit (Rang 142) und politische Teilhabe (Rang 123) schnitt das Land besonders schlecht ab (WEF 2014).

Die Europäische Kommission zeigte sich besorgt ob der tief verwurzelten patriarchalen Einstellungen und Stereotypen in Bezug auf die Rollen von Frauen und Männern, die mit einem anhaltenden hohen Gewaltniveau gegenüber Frauen verbunden sind. Das Gesetz über häusliche Gewalt wurde 2014 nicht verabschiedet. Die diesbezüglichen Reformen des Straf- und Verwaltungsgesetzes sollen erst Ende 2016 abgeschlossen werden. Die Sichtbarkeit von Frauenrechtsaktivistinnen ist zwar durch das Internet und die Sozialen Medien gestiegen, doch als Nebeneffekt kam es zu einem Anstieg von Drohungen und Hassreden gegen Frauenrechtsorganisationen, welchen die Polizei nicht adäquat nachgegangen ist. Das Gesetz über gleiche Rechte und Chancengleichheit von Männern und Frauen ist noch nicht umgesetzt worden. Es besteht deshalb keine Möglichkeit Beschwerde einzulegen (EC 25.3.2015, vgl. RA-HRD 2014).

Eine extreme Erscheinung der Frauen-Diskriminierung stellt die systematische Abtreibung auf Basis des Geschlechts dar. 2012 kamen auf 100 neugeborene Mädchen 114 Buben. Das statistische normale Verhältnis wäre 100 Mädchen zu 102-106 Buben (RA-HRD 2014).

Vergewaltigung - auch seitens des Ehepartners - wird strafrechtlich verfolgt und mit einer Maximalstrafe von 15 Jahren Gefängnis geahndet. Allerdings werden Vergewaltigungsfälle unterdurchschnittlich oft angezeigt, weil sie mit einem gesellschaftlichen Stigma behaftet sind, und es darüber hinaus keine weiblichen Polizeibeamten bzw. Ermittlerinnen gibt (USDOS 27.2.2014).

Häusliche Gewalt bleibt ein akutes Problem. Laut Angaben der "Koalition zum Gewaltstopp gegen Frauen" wurden mit Ende September 2014 1501 Fälle von häuslicher Gewalt vermeldet im Vergleich zu 580 im Jahr 2013. Hierbei gab es neun Todesopfer (Tert.am 30.9.2014).

Die neu gegründete Polizeiabteilung für Familienangelegenheiten betrachtet den Anstieg der Anzeigen seit 2009 als Fortschritt, weil sie die höhere Bereitschaft, sich zu wehren bekunden. Seit Oktober 2014 bestehen polizeiinterne Richtlinien, um vorbeugend häusliche Gewalt zu verhindern (AW 30.10.2014, vgl. Tert.am 30.9.2014).

Die Ombudsmannstelle nennt mehre Gründe, warum Frauen sich in Fällen häuslicher Gewalt selten an die Behörden wenden: Zum einen bestünde ein Misstrauen gegenüber den Behörden, zum anderen trügen Scham und Angst dazu bei (RA-HRD 2014). Die Direktorin des "Women's Support Center", Maro Matosian machte das Fehlen gesetzlicher Bestimmungen und der Infrastruktur innerhalb der Polizei für das Verhalten mitverantwortlich. In vielen Fällen würden sich Frauen zunächst an die Polizei wenden, um dann ihre Beschwerde zurückzuziehen, weil der Polizeibeamte der Frau sage, sie müsse ein Bußgeld zahlen, oder sie sich schämen solle, gegen ihren Ehemann Beschwerde zu führen (Eurasianet 7.3.2014).

Die Vereinten Nationen begrüßten und unterstützten die NGO-Initiative gegen häusliche Gewalt. Sie ermutigten die armenische Regierung, anlässlich der weltweiten "Aktionstage gegen die geschlechtsbasierte Gewalt" im Dezember 2014, den gesetzlichen Rahmen inklusive eines separaten Gesetzes gegen häusliche Gewalt zu schaffen. Die Vereinten Nationen stünden hierbei der armenischen Regierung im Wort, diese in der Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen bezüglich der Förderung der gleichen Rechte und Chancen von Männern und Frauen sowie des Respekts der Frauenrechte zu unterstützen (UN 5.12.2014).

Schutz-Einrichtungen für Opfer häuslicher Gewalt werden ausschließlich durch NGOs betrieben, die sich aus privaten oder internationalen Quellen finanzieren (USDOS 27.2.2014).

In Armenien gibt es mehrere NGOs, die Opfer von häuslicher Gewalt unterstützen. Dazu gehören: das Women's Rights Center; das Women's Resource Center; das Sexual Assault Crisis Center; die Society Without Violence; das Women's Support Center/Tufenkyan Foundation und Ajakits (BFM 2.7.2013).

Im Dezember 2014 wurde das Sozialhilfegesetz verabschiedet, das soziale Unterstützung für Opfer von häuslicher Gewalt vorsieht. Laut Regierung habe das Ministerium für Arbeit und Soziales Regelung sowohl Regelungen in Bezug auf die Unterstützung und den Schutz als auch der Vermeidung von häuslicher Gewalt elaboriert (GoA 10.3.2015).

Quellen:

Kinder

Trotz des Nationalen Aktionsplans für die Periode 2013-2016 zur Verteidigung der Kinderrechte bestehen zahlreiche Probleme, welche auf ineffiziente Mechanismen bei der Gesetzesumlegung und den Mangel an finanzieller und sonstiger Mittel zurückzuführen sind (RA-HRD 2014). Zudem besteht keine klare, rechtlich bindende Aufgabenverteilung zwischen den Einrichtungen der Sozialfürsorge und jener der Kinderfürsorge (EC 25.3.2015).

Kinder gehören mit 36,2% zu den ärmsten Gruppen der Gesellschaft. Die Armutsgefährdung ist besonders hoch bei Kindern mit Behinderung, bei steigender Geschwisterzahl, oder wenn die Mutter Alleinerzieherin ist (EC 25.3.2015).

Obwohl das Ziel der Regierung ist, die Zahl der Heimkinder zu reduzieren, blieben über 4.000 von ihnen in institutioneller Obsorge. Laut Experten ist die Korruption der Hauptgrund hierfür, da die Finanzierung der diversen Betreuungseinrichtungen von der Kopfzahl abhängt. Gewalt in den Heimen ist zudem ein weit verbreitetes Phänomen (USDOS 27.2.2014, vgl. EC 25.3.2015). Für die Ombudsmannstelle besteht das Problem darin, nicht genügend Pflegefamilien als Alternative zu Heimen zu finden, im mangelnden öffentlichen Bewusstsein und in der Nicht-Bereitstellung von nötigen Mitteln (RA-HRD 2014).

Insbesondere in ländlichen Gebieten und unter den Armen gibt es Fälle, bei denen die Kinder bei ihrer Geburt nicht offiziell registriert werden. Dies führt in späterer Folge zum eingeschränkten Zugang zu diversen Gesundheits- und Sozialleistungen sowie zum Bildungssystem (RA-HRD 2014, vgl. USDOS 27.2.2014).

Quellen:

Bewegungsfreiheit

Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden. Bei Problemen mit lokalen Behörden oder mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (AA 7.2.2014).

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Es gab jedoch Einschränkungen vor allem im Zusammenhang mit Reisen zu oppositionellen Kundgebungen in der Hauptstadt. Um das Land vorübergehend oder dauerhaft zu verlassen, müssen sich Bürger eine Ausreisebewilligung besorgen. Ausreisebewilligungen für vorübergehende Reisen werden üblicherweise innerhalb eines Tages ausgestellt zum Preis von 1.000 Dram (ca. 2,44 USD) pro Gültigkeitsjahr (US DOS 19.4.2013).

Einschränkungen der Bewegungsfreiheit beziehen sich oft auf die Versammlungsfreiheit, indem der Zugang zu Örtlichkeiten seitens der Behörden behindert wird. Das Norwegische Helsinki Comittee sieht seit 2014 eine Zunahme der Einschränkungen der Bürgerfreiheiten, darunter auch der Bewegungsfreiheit (NHC 4.2.2014).

Quellen:

http://nhc.no/filestore/Publikasjoner/Rapporter/2014/Report_1_14_web.pdf , Zugriff 21.5.2015

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

Laut Schätzungen des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) gab es mit Ende Dezember rund 8.400 Binnenflüchtlinge. Circa 2.600 stammen aus der armenischen Exklave Artsvashen, die vom aserbaidschanischen Staatsgebiet umgeben ist.

Während des Nagorny Karabach Konfliktes wurden ca. 65.000 Haushalte aus der Grenzregion evakuiert. Die meisten dieser Personen konnten in ihre Häuser zurückkehren, oder ließen sich woanders nieder (IDMC, o. D., vgl. US DOS 27.2.2014).

Seit 2002 führt die armenische Rote Kreuz Gesellschaft das UNHCR-geförderte Projekt "Stärkung von Asyl und lokaler Integration von Flüchtlingen in Armenien" durch. Hauptziel des Projektes ist die humanitäre Hilfe und Beratung von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen bei gleichzeitiger Förderung ihrer Eigenständigkeit und Integration. Im Rahmen des Projektes wurden Asylsuchende und Flüchtlinge aus Syrien, Iran, Irak, Libanon, Palästina, der Russischen Föderation, Georgien und weiteren Ländern unterstützt (IOM 8.2014).

Im Jahre 2014 wurden 226 Asylanträge gestellt und 136 Anträge positiv beschieden. Seit 2012, als man 579 Anträge registrierte, sind die Zahlen zurückgegangen (SMS 10.3.2015).

Laut Angaben der Migrationsbehörde sind zurzeit 1.165 Flüchtlinge offiziell mit einem Flüchtlingspass registriert, wobei die Behörde von einer Dunkelziffer von mindestens 50% ausgeht (AA 7.2.2014).

Diverse Berichte weisen darauf hin, dass bislang ungefähr 16.000 Menschen aus Syrien in Armenien Zuflucht gesucht haben. Die meisten von ihnen sind ethnische Armenier. Schätzungsweise 12.000 sind geblieben (EC 25.3.2015).

Ethnische Armenier aus Syrien dürfen sich in Armenien ohne Registrierung oder Zeitbegrenzung aufhalten. Flüchtlinge armenischer Volkszugehörigkeit haben einen Rechtsanspruch auf den Erwerb der armenischen Staatsangehörigkeit. Die wenigen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge sind bei weitem nicht ausreichend und überfordert (AA 7.2.2014).

Quellen:

Grundversorgung/Wirtschaft

Das verheerende Erdbeben von 1988, der Konflikt mit Aserbaidschan um die Region Bergkarabach (1988-1994), der Zusammenbruch des sowjetischen Wirtschaftssystems und die Unterbrechung der Energieversorgung in den 1990er Jahren führten zu einem drastischen Niedergang der armenischen Industriestruktur. Dies und die andauernde Isolation durch geschlossene Grenzen zur Türkei und zu Aserbaidschan belasten die armenische Wirtschaft bis heute (AA 3.2015c).

Die Wirtschaft hat sich immer noch nicht zur Gänze von der tiefen Rezession, die durch die globale Wirtschaftskrise 2008 ausgelöst wurde, erholt. Damals fiel das Bruttonationalprodukt um 14,1%. Der steile Wirtschaftsabschwung 2009 ist der Hauptfaktor für die steigende Armut. Rund 1,2 Millionen Armenier leben von circa 3 Euro pro Tag. Die sozioökonomische Kluft hat zudem einen regionalen Aspekt. Durch die überproportionale Wirtschaftsaktivität in den urbanen Zentren hat sich die Einkommensschere zwischen Stadt und Land verstärkt. Der Zugang etwa zum Gesundheitswesen und zur Bildung sowie deren Qualität divergiert stark zwischen urbanen und ländlichen Regionen (BS 2014).

Laut Europäischer Kommission gab es 2014 weitere Fortschritte in der Wirtschaftspolitik im Makrobereich, der Armutsbekämpfung und der sozialen Kohäsion. Allerdings nahm die wirtschaftliche Aktivität 2014 infolge der ökonomischen Verlangsamung in Russland und der schwachen Nachfrage aus der Europäischen Union ab. Zu wenig würde unternommen, um die Wirtschaft zu diversifizieren. Es bestünde ein übermäßiges Vertrauen speziell in die Landwirtschaft und den Bergbau (EC 25.3.2015).

Zu den strukturellen Defiziten gehört nebst den abnehmenden Investitionen auch eine übermäßige Abhängigkeit von Überweisungen aus dem Ausland (BS 2014).

In Armenien ist ein breites Warenangebot in- und ausländischer Herkunft vorhanden. Auch umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation bei. Die Gas- und Stromversorgung ist grundsätzlich gewährleistet. Leitungswasser steht dagegen in manchen Gegenden, auch in einigen Vierteln der Hauptstadt, insbesondere während der Sommermonate nur stundenweise zur Verfügung. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Angaben des nationalen Statistikamtes für das Jahr 2013 zufolge leben 32% der Armenier unterhalb der Armutsgrenze (2009: 34,1%). Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt. Die wirtschaftliche Lage führt nach wie vor dazu, dass der Migrationsdruck anhält. Unter den Auswanderern sind auch viele Hochqualifizierte, wie etwa Ärzte oder IT-Spezialisten (AA 7.2.2014).

Laut Statistikamt betrug 2013 die Netto-Migrationsquote minus 8,1 pro 1000 Einwohner, was eine deutliche Steigerung zu den Vorjahren indiziert (2012: -3,1; 2011: -1,2). Die Armenische Bevölkerung nahm im Zeitraum zwischen 2010 und 2014 um mehr als 230.000 Personen bzw. 7% ab (NSS-RA 2014a).

Das 2014 erreichte Wirtschaftswachstum von 3,4% ist nicht ausreichend für einen nachhaltigen Aufschwung der Ökonomie. Vor allem die drastische Anhebung des Gaspreises durch Russland, der Rückgang von Auslandsüberweisungen und die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland haben die Wirtschaft negativ beeinflusst. Die Inflationsrate lag 2014 offiziell bei 3% (AA 3.2015c).

Die offizielle Arbeitslosenrate betrug 2013 16,2% und lag damit unter jener der Vorjahre (NSS-RA 2014b). Das Arbeitslosenamt meldete hingegen mit Stand 1.1.2015 17,1% Arbeitslose (SEA o.D.).

Quellen:

Sozialbeihilfen

Das soziale Sicherungssystem Armeniens wird derzeit durch den Staatshaushalt (Familien-und andere Beihilfen, Pensionen für Militärbedienstete, soziale Unterstützungsprogramme sowie seit 2003 auch Sozialrenten) sowie durch die staatliche Sozialversicherung (Staatsrenten, Arbeitslosenunterstützung und Beihilfen bei vorübergehender Berufsunfähigkeit oder Schwangerschaft) finanziert. Eine Reihe von Sozialprogrammen wird wesentlich durch Spenden unterstützt. Dies gilt insbesondere für öffentliche Arbeiten und Sozialversicherungsprogramme (IOM 8.2014).

Familienbeihilfen

Als bedürftig registrierte Familien können Familiensozialhilfe erhalten, sofern die errechnete Bedürftigkeit einen von der Regierung der Republik Armenien im Jahr 2005 festgelegten (und noch immer gültigen) Schwellenwert von 34,00 Punkten überschreitet.

Einmalige Beihilfen

Dies können Familien gewährt werden, deren Bedürftigkeitspunktzahl unter dem Mindestschwellenwert von 34,00 (jedoch über 0) liegt. Die Entscheidung über die Bedürftigkeit einer Familie obliegt dem Sozialrat. Des Weiteren wird Familien verstorbener Soldaten eine Beihilfe in Höhe der Familiensozialhilfe gewährt. Die Anerkennung des Anspruchs der einmaligen Beihilfe wird alle drei Monate geprüft. Die Summe beträgt 6.000 AMD (entsprechend dem Leistungsgrundbetrag).

Kindergeld

Kindergeld wird Personen gewährt, die Kinder unter zwei Jahren versorgen. Die monatlichen Leistungen für Personen, die Kinder unter zwei Jahren versorgen, belaufen sich auf etwa 3.000 Dram.

Mutterschaftsgeld

Derzeit bestehen in Armenien drei Arten von Beihilfen in Verbindung mit Kindsgeburten. Einerseits die einmalige Mutterschaftsbeihilfe von 50.000 Dram. Darüber hinaus gibt es eine monatliche Zahlung von ca. 18.000 Dram im Monat an alle erwerbstätigen Elternteile, die ein Kind (bis zum 2. Lebensjahr) versorgen und sich in einem teilweise bezahlten Mutterschaftsurlaub befinden. Außerdem haben Mütter das Recht auf einen Mutterschutzurlaub von 70 Tagen vor und 70 Tagen nach der Geburt. Dieser Zeitraum wird bei schwierigen oder Mehrlingsgeburten erhöht. In diesem Zeitraum wird das Gehalt weiterbezahlt und errechnet sich durch 100% des Durchschnittseinkommens, geteilt durch 30,4, multipliziert mit der Anzahl der Tage des Mutterschutzes. Anspruch auf Mutterschutz haben nur Frauen im formellen Sektor. Daher haben viele Frauen, die im informellen Sektor beschäftigt sind und Hausfrauen keinen Anspruch auf Mutterschutz (IOM 8.2014).

Senioren und Behinderte

Die sozialen Unterstützungsprogramme für Senioren und Behinderte basieren auf den Anforderungen des Gesetzes über die soziale Absicherung behinderter Personen in Armenien. Hierzu zählen die Vorbeugung von Behinderungen, die medizinische und soziale Rehabilitation und Prothesen sowie insbesondere prothetische und orthopädische Unterstützung behinderter Personen, die Bereitstellung von Rehabilitationsmitteln und soziale Dienste für Senioren und Behinderte.

Bereits personalisierte Pensionisten können einen Preisnachlass von den öffentlichen Versorgungseinrichtungen (einschließlich Preisnachlässe für Gas und Strom) fordern. Alleinstehende Pensionisten über 70 Jahre und alleinstehende behinderte Erwachsene können Pflegeleistungen beim "In-house Social Service Center for lonely old and disabled persons" beantragen.

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen können eine Familienbeihilfe erhalten, wenn sie die entsprechende Punktzahl erreichen. Derzeit gewährt die armenische Regierung dieser Bevölkerungsgruppe keine Sozialleistungen (IOM 8.2014).

Renten

Personen, die 63 Jahre (bei Frauen beginnt der Grundrentenanspruch mit 59) und älter sind und mindestens fünf Jahre gearbeitet haben, erhalten Anspruch auf eine Altersrente. Darüber hinaus besteht für Frauen eine Alterstabelle, nach der sich das Alter bis zur Anspruchsberechtigung pro Jahr um sechs Monate erhöht, bis das 63. Lebensjahr erreicht wird. Personen im Alter von 55 Jahren, die 25 Jahre gearbeitet und hiervon 15 Jahre besonders schwere Arbeit geleistet haben, können eine Vorzugsrente beanspruchen. Die armenische Regierung hat eine Liste der betreffenden Positionen und Tätigkeiten veröffentlicht. Bis zum Erreichen des Rentenalters besteht eine Alterstabelle. Personen, die mindestens 35 Jahre gearbeitet haben und durch den Arbeitgeber gekündigt wurden (mit Ausnahme bei Austritten aufgrund von Verstößen gegen Arbeitsvorschriften) und innerhalb von 30 Tagen nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis bei dem zuständigen Arbeitsamt einen Antrag gestellt haben, erfüllen die Voraussetzungen um eine Pension zu erhalten. Im Fall einer Berufsunfähigkeitspension für die Altersgruppe ab 30 Jahre muss die betreffende Person mindestens 5 Arbeitsjahre vorweisen können (IOM 8.2014).

Arbeitslosenunterstützung

Als arbeitssuchend gelten alle Personen ab 16 Jahren, die sich ungeachtet ihrer Beschäftigung bei den staatlichen Arbeitsämtern arbeitssuchend melden. Der Status des Arbeitssuchenden wird allen arbeitslosen Jobsuchern zuerkannt, die das arbeitsfähige Alter erreicht haben und keine gesetzlichen Leistungen beziehen, sofern sie mindestens 1 Jahr gearbeitet haben und sich beim Arbeitsamt anmelden. Die Mindestbezugsdauer beläuft sich auf sechs, die maximale Bezugsdauer auf zwölf Monate. Die Arbeitslosenbeihilfe beträgt 18.000 Dram pro Monat (IOM 8.2014).

Sie beträgt 60% des staatlich garantierten Mindestlohnes. Während des Besuchs von Weiterbildungsmaßnahmen erhalten Teilnehmende 120% des Arbeitslosengeldes. Nichtbezugsberechtigte Arbeitslose bekommen im Fall von Trainingsmaßenahmen ebenfalls eine Unterstützung, nämlich im Ausmaß von 50% des Mindestlohnes (SEA o.D.).

Gemäß den von der armenischen Regierung vorgegebenen Verfahren kann Arbeitslosen, deren Zahlungsanspruchsfrist abgelaufen ist, sowie Arbeitssuchenden, die nicht als arbeitslos gelten und daher gemäß diesem Gesetz keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben, finanzielle Hilfe gewährt werden. Die armenische Regierung bestimmt den Grundbetrag der Arbeitslosenunterstützung (IOM 8.2014).

Quellen:

Medizinische Versorgung

Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet. Das Gesetz über die kostenlose medizinische Behandlung regelt den Umfang der kostenlosen ambulanten oder stationären Behandlung bei bestimmten Krankheiten und Medikamenten sowie zusätzlich für bestimmte sozial bedürftige Gruppen (z.B. Kinder, Flüchtlinge, Invaliden). Es hängt allerdings von der Durchsetzungsfähigkeit und Eigeninitiative der Patienten ab, ob es gelingt, ihr Recht auf kostenlose Behandlung durchzusetzen. Nichtsdestotrotz ist die Qualität der medizinischen Dienstleistung weiterhin häufig von "freiwilligen Zuzahlungen" bzw. "Zuwendungen" an den behandelnden Arzt abhängig, auch bei Abschluss einer privaten Krankenversicherung. In letzter Zeit erschienen in der Presse Artikel mit Informationen über die kostenlose Behandlung; immer mehr Patienten bestehen erfolgreich auf diesem Recht. Die Behandlung in der Poliklinik des jeweiligen Wohnbezirks ist grundsätzlich kostenlos.

Die Kliniken sind finanziell unzureichend ausgestattet, um ihren Betrieb und die Ausgabe von Medikamenten sicherzustellen. Daher sind die Kliniken auch in Fällen, in denen sie eigentlich zu kostenloser Behandlung verpflichtet sind, gezwungen, von den Patienten Geld zu nehmen. Da dies ungesetzlich ist, erhalten die Patienten jedoch keine Rechnungen. Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten: Nicht immer sind alle Präparate vorhanden, obwohl viele Medikamente in Armenien in guter Qualität hergestellt und billig verkauft werden (AA 7.2.2014).

Die primäre medizinische Versorgung wird in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren/Feldscher-Stationen erbracht. Das Verhältnis der Ärzte zur Einwohnerzahl beträgt: ein Arzt pro 1.200 bis 2.000 Einwohner und ein Kinderarzt für 700 bis 800 Kinder (IOM 8.2014).

Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist. Darüber hinaus finden sich in der Hauptstadt sechs Kinder-und Mutterschaftskrankenhäuser. Die meisten Krankenhäuser sind staatlich. Derzeit bestehen vier private Krankenhäuser und ein teilweise privates Hospital. Des Weiteren gibt es ein privates Diagnosezentrum in Jerewan, das zu 80% im privaten Sektor aktiv ist. Ein fundamentales Problem der primären medizinischen Versorgung betrifft die Zugänglichkeit, die für einen großen Teil der Bevölkerung extrem schwierig geworden ist. Dieser Teil der Bevölkerung ist nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Die Reformen haben den Patienten bereits die freie Wahl des Arztes garantiert. Das Recht der freien Arztwahl sollte auch die Qualität der Behandlung verbessern, da das Einkommen des Arztes jetzt die Anzahl der von ihm behandelten Patienten reflektiert. Für die Ärzte besteht nun ein höherer Anreiz, die Patienten zufriedenzustellen (IOM 8.2014).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten von bestimmten Krankheit und Leiden

Insulinabgabe und Dialysebehandlung erfolgen im Prinzip kostenlos:

Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze ist zwar beschränkt, aber gegen Zahlung ist eine Behandlung jederzeit möglich. Die Dialysebehandlung kostet ca. USD 50 pro Sitzung. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Yerewan möglich, auch in den Städten Vanadzor und Gyumri sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet.

Die größeren Krankenhäuser sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung des posttraumatischen Belastungssyndroms (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos (AA 7.2.2014).

Die öffentlichen Sozialpflegedienste in Armenien sind sehr begrenzt. Der private Sektor ist an der Erbringung dieser Leistungen nicht beteiligt. Es gibt nur ein einziges Krankenhaus für geistig und körperlich behinderte Menschen und keine Pflegeheime für Patienten, die eine dauerhafte, langfristige Betreuung benötigen. Es gibt keine Vorkehrungen für eine langfristige Aufnahme von Patienten mit chronischen Erkrankungen und keine Tagespflegeeinrichtungen für Patientengruppen mit speziellen Bedürfnissen und ebenfalls kein Sozialarbeiternetzwerk. Es gibt sieben regionale psychiatrische Kliniken, die lediglich eine langfristige Aufnahme von Patienten mit chronischen Erkrankungen bei nur geringer medizinischer Versorgung bieten.

Medizinisch-soziale Einrichtungen des Ministeriums für Arbeit und Soziales:

Quellen:

Behandlung nach Rückkehr

Rückkehrer werden nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt.

Es werden nur die von den armenischen Botschaften ausgestellten Heimreisedokumente oder Pässe anerkannt. Eine Rückreise ohne Vorlage eines dieser Dokumente ist nicht möglich. In Einzelfällen sind Rückführungen auch ohne die Feststellung der richtigen Identität möglich. In diesen Fällen werden Heimreisedokumente nach Autorisierung durch das Außenministerium auf Alias-Personalien ausgestellt (AA 7.2.2014).

Aufgrund fehlender finanzieller Mittel gibt es zurzeit kein staatliches Programm zur Vorbereitung auf die Unterbringung von Heimkehrern in Armenien. Eine vorübergehende Unterkunft (maximal 2 Monate) kann den Flüchtlingen, die einen Antrag auf Asyl gestellt haben, von der Migrationsbehörde der Republik Armenien zur Verfügung gestellt werden. Jeder Fall wird jedoch ausführlich geprüft und die endgültige Entscheidung über die Bereitstellung der Unterkunft erfolgt nach dem Kollegialprinzip (IOM 08.2014).

Quellen:

II.1.3. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

Es konnte nicht festgestellt werden, dass den bP in ihrem Heimatland Armenien eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr nach Armenien der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.

Weiters konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Armenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die bP als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen weder die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", noch für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Abschiebung der bP nach Armenien zulässig und möglich ist, dies auch im Hinblick auf die Erkrankung der bP 1.

2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2.2. Die Feststellungen zur Person der bP ergeben sich - vorbehaltlich der Feststellungen zur Identität - aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der bP nicht festgestellt werden. Soweit diese namentlich genannt werden, legt das Gericht auf die Feststellung wert, dass dies lediglich der Identifizierung der bP als Verfahrensparteien dient, nicht jedoch eine Feststellung der Identität im Sinne einer Vorfragebeurteilung iSd § 38 AVG bedeutet.

Anzuführen ist, dass es den bP aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit möglich wäre, ihre Identität bei entsprechender Mitwirkung im Verfahren zu bescheinigen.

Der Umstand, dass die Identität bis dato nicht festgestellt werden konnte ist letztlich auf die mangelnde Mitwirkung der bP an der Identitätsfeststellung zurückzuführen und sind alle daran anknüpfenden Konsequenzen daher von den bP zu vertreten.

II.2.3 Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten - von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen - diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten -immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen -allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werdenaufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348).

Die volljährigen bP traten auch den Quellen und deren Kernaussagen hinsichtlich der allgemeinen Lage auch nicht konkret und substantiiert entgegen.

Hinsichtlich der medizinischen Versorgungsmöglichkeiten ist festzuhalten, dass die bP 3 bereits einer Operation unterzogen wurde und aktuell in keiner Behandlung steht. Auch die bP 2 ist an sich gesund und wurde wegen ihrer Sehprobleme bereits behandelt und befindet sich ebenfalls in einem grundsätzlich gutem Gesundheitszustand.

Die bP 1 wurde bereits in Armenien wegen ihrer MS Erkrankung behandelt und wurde diese auch dort ordnungsgemäß festgestellt. Wie sich aus den von der bP selbst vorgelegten medizinischen Berichten von Accord und der Schweizer Flüchtlingshilfe sowie letztlich auch aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ergibt, ist Betaferon in Armenien jedenfalls erhältlich. Soweit die Anfragebeantwortung in Zweifel gezogen wird, weil hier von Betaferon in Tablettenform gesprochen wird, ist festzuhalten, dass auch dieser Bericht - genauso wie die beiden von den bP selbst vorgelegten - davon ausgeht, dass Betaferon in Armenien jedenfalls erhältlich ist. Es kann aufgrund der beiden vorgelegten, im Wesentlichen übereinstimmenden Berichte (Accord, SFH) davon ausgegangen werden, dass Betaferon in Armenien erhältlich ist, wenn auch zu erheblichen Kosten, welche grundsätzlich vom Patienten selbst zu tragen sind. Ob Betaferon in Tablettenform erhältlich ist oder nicht, kann letztlich dahingestellt bleiben, weil auch die Berichte von Accord und SFH eben von einer registrierten und ordnungsgemäßen Betaferonbehandlung ausgehen und diesen Berichten zu folgen ist. Die Anfragebeantwortung über MedCOI weist demgegenüber offensichtlich Mängel auf, welche jedoch mangels Entscheidungsrelevanz nicht weiter zu verfolgen waren. Aufgrund der vorgelegten Berichte konnten die oben angeführten Feststellungen getroffen werden, welche eine abschließende Beurteilung der medizinischen Versorgungsmöglichkeiten der bP 1 in Armenien ermöglichen. Hingewiesen wird auf die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung unter Punkt II.5. bzw. die rechtlichen Ausführungen zur Judikatur betreffend Behandlungsmöglichkeiten und Unbeachtlichkeit von Kosten in diesem Zusammenhang.

In Bezug auf die mit Schreiben vom 02.06.2016 gestellten Beweisanträge, eine Anfrage an das armenische Gesundheitsministerium zu stellten bzw. einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens hinsichtlich der Verfügbarkeit und Kosten von Betaferon in Armenien wird festgehalten, dass hier über deren Zulässigkeit nicht entschieden werden muss, weil diese für die Entscheidung des ho. Gerichts nicht mehr maßgeblich sind.

So ist wie bereits dargelegt durch die zwei vorgelegten Berichte ausreichend dargetan, dass selbst Accord und SFH von einer Behandelbarkeit von MS und Verfügbarkeit von Betaferon in Armenien ausgehen. Die Seriosität dieser Quellen wurde nicht bestritten. Eine Betaferon-Behandlung ist in Armenien möglich. Darüber hinaus sind diverse andere Medikamente verfügbar. Da die Behandelbarkeit gegeben ist, braucht auch dem Antrag in der Verhandlung dazu, dass ein Gutachten betreffend der Frage, welche gesundheitlichen Auswirkungen die Behandlung mit einem anderen Medikamenten hätte, nicht gefolgt werden. Die Kosten einer etwaigen Behandlung wiederum entfalten vor dem Hintergrund der Judikatur des EGMR keine Relevanz (vgl. unten). Zusätzlich wird das Schreiben des Gesundheitsministeriums nicht angezweifelt und kann hat auch das BVwG festgestellt, dass die Patienten für die Behandlung mit Betaferon selbst aufkommen müssen, dies da eben MS nicht auf der Liste der gratis zu behandelnden Erkrankungen steht. Nichtsdesto weniger gibt es aber Behandlungsmöglichkeiten und sind diverse Medikamente im Zusammenhang mit MS in Armenien verfügbar. Mit diesem Antrag sowie den diversen Stellungnahmen bzw. Urkundenvorlagen wird offenbar versucht, das Verfahren zu verschleppen, um den bP den Aufenthalt in Österreich zu verlängern.

II.2.4.1. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten --z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche ( z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461)- zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).

Weiters ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).

II.2.4.2. Der belangten Behörde ist zuzustimmen, wenn diese anführt, dass die Angaben der bP blass, wenig detailreich und diametral widersprüchlich waren.

Konkret hielt bereits das BFA in seiner Entscheidung betreffend die bP 1 (ähnlich hinsichtlich bP 2) fest:

Grundsätzlich ist es im Verfahren nach dem Asylgesetz unabdingbare Voraussetzung für die Bewertung des Vorbringens eines Asylwerbers zu den Fluchtgründen als glaubhaft, dass der Antragsteller nicht bloß eine "leere" Rahmengeschichte präsentiert, ohne diese durch das Vorbringen von Details, Interaktionen, Emotionen etc. zu substantiieren bzw. mit Leben zu erfüllen. Da im gegenständlichen Verfahren unzweifelhaft die niederschriftliche Aussage des Antragstellers vor den Asylbehörden die zentrale Erkenntnisquelle für die Entscheidung darstellt, reicht es nicht hin, dass der Antragsteller nicht zu widerlegende Behauptungen aufstellt, welche einer Verifizierung nicht zugänglich sind. Vielmehr sind die Aussagen des Antragstellers zu seinen Fluchtgründen - wie auch zum Fluchtweg - daran zu messen, wie eine durchschnittliche Maßfigur über erlebte bzw. persönlich durchlebte Sachverhalte berichten würde. So zeichnet sich jedoch die Wiedergabe von tatsächlich selbst erlebten Umständen bzw. Ereignissen doch gerade dadurch aus, dass man nicht lediglich objektive Rahmenbedingungen darlegt, sondern vielmehr entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen über persönliche Erlebnisse detailreich, oft weitschweifend unter Angabe der eigenen Gefühle bzw. unter spontaner Rückerinnerung an auch oft unwesentliche Details oder Nebenumstände berichten. Des weiteren ist die Darlegung von persönlich erlebten Umständen - insbesondere dann, wenn es sich um wichtige Ereignisse im Leben eines Menschen handelt, die oftmals das eigene Schicksal oder einen Lebensweg verändern - dadurch gekennzeichnet, dass man beim Erzählen der eigenen "Lebensgeschichte" sich selbst in die präsentierte Rahmengeschichte dergestalt einbaut, dass man seine eigenen Emotionen bzw. seine eigene Erlebniswahrnehmung zu erklären versucht, sich allenfalls selbst beim Erzählen emotionalisiert zeigt bzw. jedenfalls Handlungsabläufe bzw. die Kommunikation und Interaktion zwischen den handelnden Personen der Geschichte darlegt.

Diesen angeführten Voraussetzungen für die Qualifizierung eines Erlebnisberichtes als glaubhaft, vermochten Sie und Ihre am selben Tag befragte Ehefrau in den folgenden Punkten nicht zu entsprechen. Vor dem Hintergrund dieser Prämissen ist die von Ihnen vor der Behörde präsentierte "Fluchtgeschichte" tatsächlich als blass, nicht substantiiert sowie diametral widersprüchlich (insbesondere zu den Aussagen Ihrer Frau) und daher in der Folge als nicht glaubhaft zu qualifizieren, ist doch im Konkreten in diesem Zusammenhang anzuführen, dass Sie anlässlich Ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 09.10.2014 ausführten, dass es im März 2008 in Jerewan zu Demonstrationen gekommen sei, dabei sei es zu Gewaltanwendungen zwischen den Demonstranten und der Polizei gekommen. Dabei seien zehn Menschen verstorben. Sie hätten konkret einen Vorfall beobachtet, wobei Polizisten in Zivil auf einen Demonstranten schlugen, welcher in weiterer Folge verstorben sei. Zwei Tage später seien zwei Polizeibeamte (einer in Uniform, einer in Zivilkleidung) zu Ihnen nach Hause gekommen. Sie seien befragt worden was Sie gesehen hätten, woraufhin Sie erklärten, nichts gesehen zu haben. Später seien einige Ihnen fremde Personen zu Ihnen nach Hause gekommen. Sie hätten Ihnen erklärt, sie seien die Verwandten des Verstorbenen und Sie sollten aussagen, was Sie gesehen hätten. Neuerlich beteuerten Sie, nichts gesehen zu haben. Später seien wieder die Polizisten zu Ihnen gekommen und hätten Sie mitgenommen. Sie seien von Ihnen geschlagen worden, woraufhin Sie auch bewusstlos geworden wären. Als Sie wieder zu sich kamen, hätten Sie sich bereits in einem Krankenhaus befunden. Dort wären Sei einen Monat lang behandelt worden. Als Ihr Sohn Garnik vom Militärdienst zurückkam, hätten Sie sich (2009 oder 2010) nach Georgien begeben. Dort hätten Sie zufällig die gleichen Beamten getroffen. Sie seien wiedererkannt worden, woraufhin Sie im Juli oder August 2013 in die Ukraine weiter reisten. Da aber dort es zu kriegerischen Handlungen kam, hätten Sie sich schließlich nach Österreich begeben.

Am 13.10.2015 wurden Sie nun neuerlich zu Ihrem Vorbringen vom Bundesamt befragt. Dazu hielten Sie vorweg fest, weder mit der Polizei noch den staatlichen Behörden, Probleme gehabt zu haben. Auch sei kein Gerichtsverfahren gegen Sie laufend. Sie seien auch niemals ein aktives Mitglied einer politischen Partei oder eines Vereines gewesen. Zum eigentlichen Vorbringen hielten Sie nun fest, dass Sie selbst im Zuge der Demonstrationen von 2008 mit einem Schlagstock geschlagen worden wären, als Sie mit Ihrem Mobiltelefon eine Misshandlung eines anderen Demonstranten fotografieren wollten. Zwei oder drei Tage später seien Polizisten zu Ihnen nach Hause gekommen und hätten Sie befragt (Ihre am gleichen Tag befragte Frau meinte zu selbiger Frage, dass die Polizei erstmals eine Woche nach Demoteilnahme zu Ihnen kam.) Sie seien am selben Tag noch von den Beamten mitgenommen worden. Da Sie nichts berichten konnten, hätte man Sie wieder frei gelassen. Wiederum ein paar Tage später seien Sie dann vermutlich von den Verwandten des verstorbenen Demonstranten aufgesucht und befragt worden.

Konkretere Angaben zum Verstorbenen konnten Sie nicht machen (vgl. "Ich weiß dazu nichts Genaues."). Ihre Frau hingegen meinte, auf die Frage, wie genau sie Kenntnis erlangt habe, dass genau dieser Mann umgekommen sein muss, vage, dies aus den Medienberichten erfahren zu haben. Vorgehalten, dass Sie in der Erstbefragung, in der Sie durchaus nicht nur in zwei oder drei Sätzen Ihre Vorbringen schilderten, dort weder erwähnten fotografiert zu haben und schon gar nicht, dort sogar geschlagen worden wären, in weiterer Folge sogar nach Hause getragen werden mussten, konnten Sie dies nicht substantiiert entkräften (vgl. "Dort wurde ich nicht danach gefragt."). Dazu vorgehalten, dass dies keinesfalls der Wahrheit entspreche und Sie sehr wohl ausführlich berichteten, konnten Sie dies dem Bundesamt nicht schlüssig erläutern (vgl. "Ich habe aber auch erzählt, dass ich von der Polizei abgeholt wurde.").

Vorgehalten, dass Ihre Ehefrau in der Erstbefragung, abgesehen davon (im Gegensatz zur neuerlichen Einvernahme vor dem Bundesamt), dass sie behauptete, nichts Genaues zu wissen, erklärte, dass Sie von unbekannten Leuten geschlagen worden wären, Sie wiederum von Polizisten sprachen, ergänzten Sie dazu: "Ich habe daraus geschlossen, dass es Polizisten sind, da zwei uniformierte Männer zu mir nach Hause gekommen sind." Nun wiederum hingewiesen, dass Sie in der Erstbefragung dezidiert behaupteten, dass ein Mann in Zivilkleidung bei Ihnen zu Hause erschien und ein weiterer in Uniform, erwiderten Sie nunmehr nicht plausibel nachvollziehbar, dass Sie das nie gesagt hätten.

Befragt wie es nun weiterging, erzählten Sie, dass die Verwandten des Verstorbenen von Ihnen Fotos der Misshandlungen haben wollten, woraufhin Sie erklärten, dass Sie das Handy nicht mehr hätten. Sie seien danach beschimpft worden, dass Sie mit den Polizisten zusammen arbeiten würden.

Befragt wer konkret Sie nun verfolge, hielten Sie vorerst fest, dass die Polizisten und die Verwandten dies tun würden. Auf logische Rückfrage, warum nun die Polizei Sie verfolgen solle, erklärten Sie wiederum ausweichend, dass es eigentlich keinen Grund gab Sie weiter zu verfolgen. Sie bekräftigten nunmehr, dass Sie dann mehr Probleme mit den Verwandten des verstorbenen Demonstranten bekommen hätten. Diesbezüglich muss ausdrücklich auf die Aussagen Ihrer am selben Tag befragten Ehefrau hingewiesen werden, die unmissverständlich im diametralen Widerspruch dazu äußerte, dass es keine Verfolgung seitens der Verwandten gegeben hätte, da diese eingesehen hätten, dass Sie damit gar nichts zu tun hätten.

Sie hingegen behaupteten nun erstmals, dass Sie einmal von der Arbeit mit dem Bus nach Hause gefahren seien und beim Aussteigen von zwei Männern in einen Mercedes gesteckt worden wären. Sie seien entführt worden und erst auf einem Friedhof wieder aufgewacht. Sie wachten danach erst wieder im Krankenhaus auf. An mehr könnten Sie sich nicht erinnern. Vorhalten, dass Sie ein derart einprägsames Erlebnis in der Erstbefragung völlig unerwähnt ließen, so sprachen Sie nie auf einem Friedhof gebracht worden zu sein, bzw. völlig anders schilderten, wurden Sie auch dazu aufgefordert Stellung zu nehmen. Diesbezüglich konnten Sie ebenso nicht substantiiert entgegentreten (vgl. "Ich wundere mich selbst."). Sie merkten dazu auch an, dass Ihre Erkrankung an Multiple Sklerose vielleicht Schuld sei, Dinge zu vergessen. Dazu muss aber seitens des Bundesamtes auch verwiesen werden, dass eine Behauptung, man sei zu einem Friedhof gebracht worden und dies habe man "vergessen" nicht lebensnah erscheine (vgl. Ihre Entgegnung dazu: "Weiß nicht, was ich dazu sagen soll.").

Auf logische Rückfrage, wie nun Verwandte des angeblich verstorbenen Demonstranten Sie an Ihrer Adresse ausfindig machen konnten, konnten Sie ebenfalls nicht plausibel erklären. Ebenso konnten Sie auf berichtigte und schlüssige Rückfrage nicht substantiiert antworten, warum Sie einerseits eine derartige Verfolgung Ihrer Person befürchten und andererseits Monate zuwarten und erst nachdem Ihr älterer Sohn seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat, ausreisten.

Sie konnten für Ihr gesamten Behauptungen keinerlei Beweismittel in Vorlage bringen. Zudem gaben Sie selbst an, legal unter Verwendung Ihres Reisepasse aus Armenien ausgereist zu sein ("Ich bin ja nicht offiziell verfolgt, von den Behörden."). Sie konnten auch keinerlei Unterlagen für Ihren behaupteten Krankenhausaufenthalt vorlegen. Sie seien aber zwei Mal für ca. einen Monat im Krankenhaus gelegen. Wiederum vorgehalten, dass Sie bisher bestätigten einmal für einen Monat im Spital aufhältig gewesen zu sein, stellten Sie vor dem Bundesamt die Behauptung auf, dass Sie in der Erstbefragung nur gefragt worden wären, wann Ihre Diagnose Ihrer Krankheit gestellt worden sei. Auch dies widerspricht Ihren niederschriftlichen Aussagen vom 09.10.2014 (s. Seite 5).

Sie wurden auch in der neuerlichen Einvernahme vor dem Bundesamt gefragt, warum Sie Georgien, wo Sie sich beinahe vier Jahre aufhielten, verließen. Dazu ergänzten Sie, dass Sie und Ihre Familie einmal auf ein Dorffest gegangen seien und zufällig auf die gleichen Beamten, mit denen Sie in Armenien Probleme hätten, getroffen hätten.

Sie seien auch 2010 für etwa eine Woche nach Armenien zurückgekehrt, um dem Begräbnisfeierlichkeiten Ihrer verstorbenen Mutter beizuwohnen. Sie hätten in dieser Zeit auch keinerlei Probleme weder mit den Verwandten noch mit den zwei Polizisten bekommen. Ihre Frau entgegnete diesbezüglich wiederum, dass Sie lediglich zwei oder drei Tage sich dort aufgehalten hätten.

Abschließend auf logische Rückfrage, zumal Sie Vorfälle des Jahres 2008 behaupten, was Ihnen nun aus heutiger Sicht bei einer Rückkehr drohen würde, fügten Sie lediglich an, dass Sie dort nicht mehr leben möchten und auch nicht zurückkehren werden. Auch Ihre dazu befragte Ehefrau hielt diesbezüglich ursprünglich (in der Erstbefragung) fest, dass Sie wegen Ihrer Medikamente in Armenien Magenprobleme bekommen hätten und lies weiter wissen: "Andere, weniger schädliche Medikamente waren für uns in Armenien, Georgien und in der Ukraine nicht leistbar. Wir hatten nicht die finanziellen Mittel, uns die besseren Medikament kaufen zu können...". Die allgemeine, aktuell noch immer triste Situation im Herkunftsland ist durch verschiedenste Berichte hinlänglich bekannt und der Wunsch nach besseren, geordneten und gesicherten Lebensverhältnissen ist durchaus verständlich. Aktuell drohende individuelle Gefahr einer asylrechtlich relevanten Verfolgung konnten Sie jedoch nicht glaubhaft machen.

Zusammenfassend wird festgehalten, dass es im Asylverfahren nicht ausreichend ist, dass Sie Behauptungen aufstellen, sondern Sie müssen diese glaubhaft machen. Dazu muss Ihr Vorbringen in gewissem Maß substantiiert und widerspruchsfrei sein, die Handlungsabläufe den allgemeinen Lebenserfahrungen entsprechen und auch Sie persönlich glaubwürdig sein. Ihre Aussagen entsprechen im Gesamten gesehen aber diesen Anforderungen nicht. In gesamtheitlicher Betrachtungsweise des Vorbringens gelangt das Bundesamt zum Schluss, dass Sie Ihren Fluchtgrund zwar asylbezogen zu schildern versuchten, die von Ihnen geschilderten Ereignisse mangels Substantiiertheit, mangels Nachvollziehbarkeit und der aufgezählten und teilweise frappanten Widersprüche nicht wirklich derart erlebt haben, weshalb die Glaubwürdigkeit zu versagen war, und es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass Sie begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht hat. Zudem konnten Sie für Ihr gesamtes Vorbringen keinerlei Beweismittel in Vorlage bringen.

Es haben sich im gegenständlichen Fall auch keine ausreichend nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die armenischen Behörden Ihnen effektiven Schutz gegen allfällige Angriffe und Bedrohungen tatsächlich verweigern würden. Aber auch bei der hypothetischen Annahme, dass die Polizei nicht schutzwillig gewesen wäre, hätten Sie sich nach dem Vorfall an eine lokale Polizeistation oder an eine übergeordnete Dienststelle wenden können. Dass Sie dies versucht hätten, brachten Sie nicht vor und sind Sie auch nicht mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, einer NGO oder der Nationalen Menschenrechtskommission gegen Ihre Gegner vorgegangen, womit Sie aber Ihren Behörden auch die Möglichkeit genommen haben, gegen die vorgebrachten Übergriffe entsprechend vorzugehen.

II.2.5. Die Einschätzung der belangten Behörde wird auch durch das Ergebnis des vom BVwG durchgeführten ergänzenden Ermittlungsverfahrens bestätigt.

II.2.5.1. Der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck ist, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt (siehe etwa VwGH 24.06.1999, Zahl: 98/20/0435 bzw. VwGH 20.5.1999, Zahl:

98/20/0505).

Weder die bP 1 noch die bP 2 erfüllten die bereits von der belangten Behörde erörterten Kriterien für die Erstattung eines glaubwürdigen Vorbringens. Dies weder im Rahmen des Verfahrens vor der belangten Behörde noch im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Insbesondere hinterließen sie keinen persönlich glaubwürdigen Eindruck, vielmehr zeichnete sich das Vorbringen dadurch aus, dass es in den relevanten Teilen vage und ausweichend gestaltet wurde und insbesondere gravierende Widersprüche aufwies. Ihr Vorbringen erfüllte nicht die Anforderungen der Realkennzeichen eines den Tatsachen entsprechenden Vorbringens, die bP versuchten auch immer wieder, das Vorbringen zu steigern, vorerst getätigte Angaben zu rechtfertigen oder relevieren bzw. war das Vorbringen teils derart unstrukturiert und nicht abgestimmt, dass es einfach auch nicht nachvollziehbar war.

So zeichnet sich doch die Wiedergabe von tatsächlich selbst erlebten Umständen bzw. Ereignissen gerade dadurch aus, dass man nicht lediglich -wie im gegenständlichen Fall objektive Rahmenbedingungen darlegt, sondern entspricht es vielmehr der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen über persönlich Erlebtes detailreich, oft weitschweifend unter Angabe der eigenen Gefühle bzw. unter spontaner Rückerinnerung, Zeit-Ort-Verknüpfungen und an auch oft unwesentliche Details oder Nebenumstände berichten.

II.2.5.2. Der oben wiedergegebenen Würdigung der belangten Behörde in Bezug auf das Fluchtvorbringen kann voll und ganz gefolgt werden. Hierzu ist vorweg auszuführen, dass entgegen den Ausführungen in der Beschwerde die Widersprüche zwischen Erstbefragung und Einvernahme von der belangten Behörde zu Recht aufgegriffen wurden.

Soweit Ungereimtheiten zwischen den Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und jenen vor einem Organwalter der belangten Behörde dargestellt wurden, wird im Hinblick auf das Erkenntnis des VfGH vom 27.6.2012, U 98/12 festgehalten, dass das Bundesverwaltungsgericht die vom Höchstgericht aufgezeigten Spezifika der Befragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. den Inhalt des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Regierungsvorlage hierzu nicht verkennt, es ist jedoch auch festzuhalten, dass dem Erkenntnis ein völlig anders gelagerter Sachverhalt zu Grunde liegt. Es handelte sich beim betroffenen Asylwerber um einen psychisch angeschlagenen und von den Strapazen der Schleppung gezeichneten jugendlichen Afghanen, der über traumatische Ereignisse aus seiner Kindheit berichtete. Es kann dem genannten Erkenntnis nicht entnommen werden, dass die Angaben eines Asylwerbers vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Ausreisegrund generell kein Beweiswert zukommt, sondern führt das Höchstgericht aus, dass im Rahmen der Beweiswürdigung die Spezifika dieser Befragung besonders zu berücksichtigen sind. Nicht außer Acht zu lassen ist der Umstand, dass es sich bei der Befragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienst um die erste sich bietende Möglichkeit für den Asylantragssteller handelt, vor den Organen jenes Staates, den sie offensichtlich für gewillt und befähigt hält, ihr Schutz vor Verfolgung zu gewähren, darzulegen, aus welchen Gründen sie diesen Schutz begehrt.

Das erkennende Gericht verkennt im Hinblick auf das Aussageverhalten der bP 1 zusätzlich nicht, dass dieser gemäß vorgelegtem Fachbefund der MS-Ambulanz vom 09.03.3016 nach Erhebung des psychischen Zustandes indirekt über den Dolmetscher an diskreten kognitiven und mnestische Störungen leidet. Damit liegen zwar bei der bP 1 Einschränkungen im Zusammenhang mit ihrer MS Erkrankung vor, konkret leidet die bP 1 an einer diskreten und damit leichten Beeinträchtigung der Merk- und Erinnerungsfähigkeit, welche auch nur über den Dolmetscher erhoben werden konnte. Dennoch ist es der bP 1 möglich, psychisch den Alltag zu meistern und hat sie auch trotz der Erkrankung bis zur Ausreise gearbeitet. Auch aktuell schätze sie sich in der mündlichen Verhandlung als arbeitsfähig ein, sie gab an, dass sie arbeiten gehen wolle. Darüber hinaus konnte sie in allen Einvernahmen übereinstimmend angeben, was sie wann gemacht und wo sie gelebt hat, wie die Familie ausgereist ist, wo der Rest der Familie lebt und hat sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch angeben können, welche Medikation sie in Armenien zu welchem Preis (10 Stück Prednisolon für ca. 20 cent pro Monat) erhalten hat, was ebenso eine schwerwiegende Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten kontraindiziert. Im Lichte dessen und da die bP 1 auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG wie schon in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt die grundsätzliche Fähigkeit, die ihm gestellten Fragen zu erfassen und zu beantworten, zeigte, war - wie offenbar schon für die belangte Behörde - kein maßgeblicher Hinweis darauf gegeben, dass die bP 1 nicht in der Lage gewesen wäre, ihre Interessen im Verfahren wahrzunehmen und entsprechende Angaben zu seinen Ausreiseumständen und -gründen zu tätigen. Vielmehr konnte im Verhandlungsprotokoll festgehalten werden, dass die bP 1 die an sie gerichteten Fragen klar und präzise und ohne langes Zögern beantworten konnte und während der gesamten Einvernahme einen zeitlich und örtlich orientierten Eindruck hinterlassen hat. Auch zu Beginn der Verhandlung befragt dazu, ob sie psychisch und physisch in der Lage sei, der Verhandlung zu folgen gab die bP 1 an, dass es ihr im Moment gut ginge und sie in der Lage sei, der Verhandlung zu folgen. Es könne sein, dass sie keine Fragen mehr beantworten könnte. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht damit auch nicht, dass etwa psychische Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten zu berücksichtigen sind (vgl. etwa VwGH vom 16.04.2009, Zl. XXXX, VwGH vom 20.02.2009, Zlen. 2007/19/0827 bis 0829 und VwGH vom 28.06.2005, Zl. 2005/01/0080), im gegenständlichen Verfahren handelt es sich bei den Widersprüchen jedoch um keine geringfügigen Unstimmigkeiten im Vorbringen, sodass dieser Rechtfertigungsversuch jedenfalls ins Leere gehen muss. Damit konnte auch Abstand davon genommen werden, wie beantragt einen Sachverständigen damit zu beauftragen, letztlich die Prozessfähigkeit der bP 1 festzustellen.

Zu den behaupteten Dolmetscherproblemen bzw. Missverständnissen mit diesem ist festzuhalten, dass gerade dieses gehäufte behaupten von falschen Protokollierungen zeigt, dass die bP offenbar versuchten, die Erstbefragung zu entkräften und unbegründet von Dolmetscherproblemen sprachen. Derartige Probleme scheinen nur für den absurden Fall möglich, dass die bP ein Vorbringen erstatten, welches der Dolmetsch falsch bzw. missverständlich übersetzte, diese falsche bzw. missverständliche Übersetzung protokolliert wurde und letztlich die falsche bzw. missverständliche Protokollierung vom Dolmetsch, neuerlich falsch und missverständlich, jedoch inhaltlich in jener Weise, wie das Vorbringen von der bP ursprünglich erstattet wurde, dieser im Rahmen der Rückübersetzung zur Kenntnis bringt. Ein solches Vorgehen erscheint im vorliegenden Fall nicht plausibel.

Es sind keine Gründe ersichtlich, dass den im Akt ersichtlichen Protokollen nicht der volle Beweis zukommt und daher ist davon auszugehen, dass das Vorbringen der bP im dort ersichtlichen Umfang authentisch protokolliert wurde. Die bP bestätigten dies nach Rückübersetzung mit ihren Unterschriften.

II.2.5.2. Damit kam bereits die belangte Behörde aufgrund ihrer Würdigung richtiger Weise zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen der bP zu ihren Fluchtgründen zur Gänze unglaubwürdig war. Tatsächlich erwähnte die bP 1 im Rahmen ihrer Erstbefragung weder, dass sie selbst geschlagen und sogar nach der Demonstrationsauflösung nach Hause getragen werden hätte müssen, noch dass sie bei der Demonstration fotografiert hätte, was schließlich Auslöser für die behauptete Verfolgung durch Privatpersonen (Verwandte eines bei der Demonstration Ermordeten) gewesen sei. Zwar mag in Anbetracht der psychischen Beeinträchtigung der bP 1 noch erklärbar sein, dass sie davon gesprochen hat, dass die Polizei ein bis zwei Tage nach der Demonstration gekommen wäre, während die bP 2 aussagte, die Polizei sei nach 1 Woche gekommen. Dass aber die bP 1 derart gravierende und angeblich zur Verfolgung führende Umstände wie körperliche Übergriffe durch die Polizei und Fotografieren eines Übergriffes durch die Polizei auf einen Demonstrationsteilnehmer sowie eine Verfolgung von Verwandten dieses bei der Demonstration Ermordeten nicht erwähnt hat, kann nicht auf die Erkrankung zurückgeführt werden und entbehrt jeglicher Plausibilität. Es kann davon ausgegangen werden, dass selbst eine in ihrem Erinnerungsvermögen leicht beeinträchtigte Person gerade die Umstände sofort nach Einreise und erstbefragt anführt, welche tatsächlich zur Ausreise führten und eben derart gravierend waren, dass ein weiterer Aufenthalt im Heimatland nicht mehr möglich war.

Auch dass die bP 1 keinerlei Angaben zu der bei der Demonstration angeblich ermordeten Peron tätigen konnte, deren Verwandte sie angeblich bedroht hätten, spricht nicht für ihre Glaubwürdigkeit. Vor allem da die bP 2 nach Rückfrage demgegenüber vage angegeben hat, dass sie aus den Medien erfahren hätten, dass gerade diese Person verstorben sei, welche die bP 1 gesehen hätte. Auch konnten die bP 1 und 2 nicht schlüssig erklären, wie die Verwandten davon Kenntnis erlangt haben könnten, dass gerade die bP 1 bei der Demonstration anwesend gewesen ist und eventuell Fotos von ihrem ermordeten Verwandten haben könnte oder wie die Verwandten überhaupt die Adresse der bP herausgefunden haben könnten.

Völlig diametral waren die Angaben der bP 1 und 2 vor der belangten Behörde im Rahmen der Einvernahme abschließend dazu befragt, wer sie letztlich derart verfolgt hätte, dass sie das Land verlassen mussten. So gab die bP 1 über mehrfache Nachfrage an, dass die Polizei wohl keinen Grund mehr gehabt hätte, sie zu verfolgen, aber die Verfolgung durch die Verwandten des Ermordeten mehr geworden wäre. Die bP 2 gab demgegenüber an, dass sie vermehrt von der Polizei verfolgt worden wären, da die Verwandten eingesehen hätten, dass die bP 1 mit dem Vorfall nichts zu tun hatte.

Die in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde herangezogenen Widersprüche betreffend dem Umstand, ob es sich um uniformierte Polizisten, unbekannte Personen bzw. einen Polizisten in Zivil und einen in Uniform beim ersten Besuch der Familie zu Hause gehandelt hätte, oder ob die Verwandten ständig oder 2-4 Mal gekommen sind, treten vor diesen gravierenden Widersprüchen in den Hintergrund. Schließlich hat die bP 1 auch im Rahmen der Einvernahme vor der belangten Behörde ihr Vorbringen dahingehend gesteigert, dass sie die Verwandten des Ermordeten auch nochmal entführt, geschlagen und zum Friedhof gebracht hätten.

Richtig hat die belangte Behörde weiters ausgeführt, dass es einer gegründeten Furcht vor Verfolgung einerseits entgegensteht, dass die bP zum Begräbnis der Mutter wieder in Armenien eingereist sind und sich dort jedenfalls für einige Tage an ihrem früheren Aufenthaltsort aufgehalten haben.

Weiters sind Umstände, denen es an einem entsprechenden zeitlichen Konnex zur Ausreise mangelt, nicht zur Glaubhaftmachung eines Fluchtgrundes geeignet; die wohlbegründete Furcht müsste vielmehr bis zur Ausreise andauern (VwGH 23.01.1997, 95/20/0221). Die bP konnten aber keinen Vorfall unmittelbar vor der Ausreise glaubhaft machen und sind sie vielmehr noch mehrere Monate nach den behaupteten Übergriffen zu Hause geblieben, um abzuwarten, bis der ältere Sohn (lebe jetzt in Russland) den Militärdienst beendet hat und mit ausreisen kann. Diese Vorfälle haben damit nicht dazu geführt, dass die bP so große Angst vor weiteren Übergriffen auf sich gehabt hätten, die einer begründeten Furcht entsprechen und es den bP unerträglich gemacht hätte, in ihrem Heimatstaat zu bleiben.

II.2.5.4. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte die bP 1 wie bereits erwähnt präzise Angaben zu ihren persönlichen Lebensumständen machen. Hinsichtlich der behaupteten Verfolgungen verwickelte sie sich jedoch wiederum in gravierende Widersprüche. So gab sie nunmehr in der Verhandlung an, dass sie zwar einen Schlag bei der Demonstration abbekommen hätte, sie habe jedoch "fliehen" können, obwohl einige Personen sie mitnehmen hätten wollen. Demgegenüber hat die bP 1 wie schon ausgeführt erstbefragt keinerlei Verletzung bei der Demonstration behauptet und vor der belangten Behörde angegeben, dass sie derart geschlagen worden sei, dass sie nach Hause getragen worden wäre.

Erstmalig in der Verhandlung führte die bP 1 auch konkret aus, dass sie tatsächlich eine Aufnahme davon gemacht hätte, wie die Polizei den Mann bei der Demonstration verprügelt hätte, der danach gestorben wäre. Zuvor behauptete die bP 1 noch, dass sie das Handy bei der Demonstration verloren hätte bzw. dass sie den Verwandten mitgeteilt habe, dass sie das Handy nicht mehr hätte. Auch in der Verhandlung gab die bP 1 dann wiederum befragt zum Verbleib des Handys an, dass sie es bei der Demonstration verloren hätte.

Hinsichtlich der Beendigung des Aufenthalts in Georgien gab die bP 1 vor der belangten Behörde an, dass sie bei einem Dorffest gewesen wäre, und dort die Polizisten wiedererkannt habe, welche sie verfolgen würden. In der Verhandlung führte die bP 1 dann aus, dass der Dorfvorsteher in Georgien den Verfolgern gesagt habe, wo sie leben und danach dann die bP gewarnt hätte. An sich ist es schon gänzlich unplausibel, dass der Dorfvorsteher die bP zuerst verrät, um sie dann zu warnen und zur Ausreise zu raten. Darüber hinaus war das Vorbringen der bP 1 eben auch widersprüchlich betreffend diesem Punkt.

Die bP 2 wiederum erstattete in der Verhandlung ein äußerst vages Vorbringen und antwortete knapp und teilweise ausweichen. Gerade bei ihr sind keinerlei Einschränkungen erkennbar, dass ihre Aussagen und ihr Aussageverhalten nicht entsprechend zu werten wären.

Die bP 1 und bP 2 konnten im Rahmen der Verhandlung zwar plötzlich erstmalig konkrete Datumsangaben machen und brachten vorweg in den Eckpunkten übereinstimmend nunmehr in der Verhandlung vor, dass zwei uniformierte Männer der Polizei ca eine Woche nach der Demonstration zur Wohnung gekommen wären. Auffällig in diesem Zusammenhang war jedoch, dass die bP 2 trotz mehrfacher Fragen zu den Vorkommnissen in Armenien weder den Umstand erwähnte, dass die bP 1 geschlagen worden sei, noch den Krankenhausaufenthalt der bP 1 erwähnte. Demgegenüber hat die bP 2 vor der belangten Behörde erstmalig angegeben, dass der Ehegatte bei den Demonstrationen 2008 von Uniformierten geschlagen worden sei und hat damals nicht erklären können, warum sie dies nicht bereits in der Erstbefragung angegeben hat. Zusätzlich steigerte auch die bP 2 ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung dahingehend, dass sie erstmalig angab, dass sie auch an ihrem Arbeitsplatz von zwei Männern aufgesucht worden wäre. Auch über mehrmaliges Nachfragen in der Verhandlung konnte die bP 2 die Personen nicht genau beschreiben, führte jedoch plötzlich aus, dass es dieselben Männer gewesen wären, die das erste Mal zur Wohnung gekommen wären. Insgesamt wäre die Polizei gemäß ihren Angaben in der Verhandlung - übereinstimmend mit den Angaben ihres Ehegatten - 2x zur Wohnung gekommen, wobei letztlich vor der belangten Behörde noch von einem Besuch der Polizei mit körperlichem Übergriff die Rede war. Vor der belangten Behörde erwähnte die bP 2 jedoch nur einen Besuch der Polizei und sprach wie in der mündlichen Verhandlung davon, dass die Verwandten des Ermordeten "öfters" gekommen wären. Trotz Nachfrage in der Verhandlung wich die bP 2 der Frage aus, wie oft nun tatsächlich die Verwandten gekommen wären und führte aus, dass sie bis zur Ausreise "einige Male" gekommen wären. Insgesamt konnte die bP 2 damit die Angaben der bP 1 nicht stützen und wäre gerade von ihr zu erwarten gewesen, dass sie in der Verhandlung über Verletzungen der bP 2 bzw. dessen Krankenhausaufenthalt spricht. Dies auch vor dem Hintergrund, dass in der Beschwerde ausgeführt wurde, dass es der bP 1 nach den erlittenen Misshandlungen gesundheitlich schlecht gegangen sei und sie auch längere Zeit nicht sprechen habe können, weshalb man mit der Flucht zugewartet habe.

II.2.5.5. Im Lichte der unterlassenen Vorlage unbedenklicher Bescheinigungsmittel sind abseits der nationalen Rechtsprechung dazu auch die europarechtlichen Vorgaben von Bedeutung. So normiert die - nicht direkt anwendbare - Statusrichtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 als Ausfluss der Staatenpraxis in deren Artikel 4 Absatz 1 und 5 Folgendes: "Wenden die Mitgliedstaaten den in Absatz 1 Satz 1 genannten Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu substanziieren;

b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war;

e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist."

Wendet man im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung diese sekundärrechtliche Norm auf das gegenständliche Verfahren an, so führt auch dies nicht zum Verzicht auf die Beischaffung von Bescheinigungsmitteln seitens der bP, zumal nicht festgestellt werden kann, dass sich der Antragsteller offenkundig bemühte seinen Antrag in Bezug auf die bestehenden Verfolgungshandlungen zu substantiieren, viel mehr war offensichtlich gegenteiliges der Fall. Weiters konnte die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers im Verfahren im oa. Ausmaß nicht festgestellt werden. Keinesfalls konnte festgestellt werden, dass die Aussagen des Antragstellers zur aktuellen Verfolgungssituation kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen.

Im gegenständlichen Fall ist daher festzustellen, dass der bP auch aus europarechtlicher Sicht die Glaubhaftmachung des behauptetermaßen ausreisekausalen Sachverhaltes nicht gelang, zumal nicht festgestellt werden konnte, dass die Aussagen der bP kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen und er aufgrund der mangelnden Glaubwürdigkeit des Vorbringens auch den geforderten Nachweis nicht erbrachte (das Gebot der richtlinienkonformen Interpretation der entsprechenden asylrechtlichen Bestimmungen entspricht auch dem Gesetzgeber, vgl. Wortlaut der RV zum AsylG 2005: "...Mit dem vorgeschlagenen Entwurf

werden folgende Richtlinien umgesetzt ... : Richtlinie 2004/83/EG

des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. Nr. L 304 vom 30.09.2004 S. 12, CELEX Nr. 32004L0083; ...")

II.2.5.6. Zusammenfassend ist der belangten Behörde zuzustimmen, dass es im Asylverfahren nicht ausreichend ist, dass der Asylwerber Behauptungen aufstellt, sondern er muss diese glaubhaft machen. Dazu muss das Vorbringen in gewissem Maß substantiiert und nachvollziehbar sein, die Handlungsabläufe den allgemeinen Lebenserfahrungen entsprechen und auch der Asylwerber persönlich glaubwürdig sein. Die Angaben der bP zum Fluchtgrund entsprechen diesen Anforderungen nicht und konnten die aufgezeigten Widersprüche zwischen dem Vorbringen der bP 1 und bP 2 auch nicht entkräftet werden, vielmehr verstärkte sich der Eindruck der Unglaubwürdigkeit in der mündlichen Verhandlung.

II.2.5.7. Hinsichtlich der MS Erkrankung der bP 1 ist festzuhalten, dass diese selbst angegeben hat, dass die Erkrankung in Armenien diagnostiziert und behandelt wurde. Zusätzlich gab sie an, dass ihr in Armenien Medikamente verschrieben wurden, welche sie dann auch in Georgien gekauft hat. Die Frage vor der belangten Behörde, ob sie sich die medizinische Versorgung in Armenien leisten könne, beantwortete die bP 1 mit ja. Auch die bP 2, welche erstbefragt angegeben hat, dass sie sich die medizinische Versorgung nicht leisten hätten können, bestritt vor der belangten Behörde plötzlich, dass sie diese Aussagen getätigt hätte. Sie stellte diese Aussagen völlig in Abrede und meinte nicht plausibel nachvollziehbar: "Nein, dass stimmt alles nicht". So wollte sie in diesem Zusammenhang offenbar verschleiern, dass sie aufgrund der Erkrankungen und besseren Behandlungsmöglichkeiten nach Österreich gereist sind.

Am Rande sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die bP 2 offenbar sehr bewusst war bzw. sich entsprechend informiert hatte, wie sie die Chancen auf Schutzgewährung erhöhen. Sie gab nämlich auch an, keine Verwandten mehr in der Heimat zu haben, während die bP 1 erstbefragt noch angegeben hat, dass entfernte Verwandte der bP 2 in Armenien leben. Die bP 1 bestritt diesen Umstand dann ebenso in weiterer Folge, jedoch kann aufgrund des Gesamtverhaltens der bP, deren unglaubwürdigem Vorbringen und dem Umstand, dass sie wohl nicht in völliger Isolation in Armenien lebten, davon ausgegangen werden, dass noch Verwandte der bP in Armenien leben, welche sie im Bedarfsfalle auch unterstützen können. Jedenfalls könnten die bP auch vom in Russland lebenden Sohn, welcher dort arbeitet, zumindest finanziell unterstützt werden. Auch wenn die bP 1 nicht mehr voll erwerbsfähig ist, so schätzt sie sich doch selbst als arbeitsfähig ein und hat trotz Erkrankung an MS vor der Einreise noch arbeiten können. Sie kann zumindest zum Familieneinkommen - wie auch der erwerbsfähige bP 3 - beitragen. Die bP 2 hat selbst voll erwerbstätig in Armenien bzw. Georgien gelebt und gemäß ihren Angaben zumindest zeitweilig allein für das Familienauskommen gesorgt, dies trotz Erkrankung und Behandlungsbedarf der bP 1 mit entsprechenden Kosten. Warum dies im Falle einer Rückkehr nicht wieder möglich sein sollte, erhellt sich für das BVwG nicht und war daher zur Feststellung zu gelangen, dass die bP - wie schon vor ihrer Ausreise - gemeinsam für ein Familieneinkommen sorgen können, welches auch die Behandlung der bP 1 gewährleistet.

In der Verhandlung gab die bP 1 an, dass sie in Armenien Medikamente bekommen hat, welche sie selbst bezahlten musste. Es habe sich um ein amerikanisches Medikament gehandelt, um Cortison (Prednisolon) und habe sie in Armenien kein Betaferon erhalten. Weiters führte die bP 1 aus, das sie in Armenien wenig Geld, ca. 20 Cent pro Monat für Prednisolon ausgegeben habe, jedoch Magenprobleme als Nebenwirkung erhalten habe. Aktuell macht die bP 1 gemäß ihren Angaben in der Verhandlung keine spezielle Therapie und spritzt ihr die bP 2, welche ausgebildete Krankenschwester ist, jeden 2ten Tag das Medikament.

Hinsichtlich der Therapie der bP 1 ist festzuhalten, dass die bP 1 offenbar auch im Krankenhaus unterschiedliche Angaben zum Erkennen ihrer Erkrankung gemacht hat, da auf einem Befund das Jahr 2000 als Beginn der Therapie in Armenien festgehalten ist, während die bP vor der belangten Behörde 2008 bzw. 2009 nannten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die bP 1 tatsächlich erst seit 2008/ 2009 behandelt wird, so konnte sie jedenfalls davor - wenn auch teils in Georgien - mit ihrer Erkrankung leben und für die Behandlungskosten aufkommen. Dies jedenfalls eine Zeitlang auch in Armenien.

Hinsichtlich der Betaferon Therapie in Österreich ist festzuhalten, dass sich aus den medizinischen Befunden ergibt, dass die bP 1 seit Dezember 2015 eine Betaferontherapie erhält und davor damit über einen Zeitraum von über einem Jahr (Einreise September 2014) mit anderen Medikamenten versorgt wurde. Im ambulanten Fachbefund ist festgehalten, dass mit der bP 1 die Einleitung einer Therapie mit Betaferon am 12.11.2015 besprochen wurde. Dies aufgrund des Krankheitsverlaufes mit anamnestisch erlebbaren Schüben, weswegen die Einleitung einer immunmodulierenden Therapie indiziert war. Dass jedenfalls die Behandlung der bP 1 ausschließlich mit dem teuren Betaferon möglich ist, konnte auch von den bP nicht schlüssig dargetan werden, da ansonsten schon früher damit in Österreich behandelt worden wäre. Aus dem Bericht von Accord ergibt sich, dass nicht alle krankheitsmodifizierenden Behandlungen registriert wären, jedoch ist Betaferon registriert, das 800 Eur im Monat koste und Mitxantron, das viel billiger ist. Damit ist auch eine "viel billigere" krankheitsmodifizierende Behandlung in Armenien möglich. Diverse andere Medikamente sind ebenfalls zur Behandlung verfügbar. Aufgrund der Berichte von Accord und SFH gibt es auch einen Spezialisten in Yerewan, an den die bP 1 sich wenden könnte und ist der Umstand, dass es keine speziellen Pflegeheime für MS Kranke gibt, nicht relevant, da die bP2 als Krankenschwester sich offenbar um die bP 1 entsprechend kümmert, dh ihr insbesondere Spritzen setzt. Aktuell werden gemäß dem Bericht der SFH laut MS-Datenbank jedenfalls 135 Patienten stationär und 231 Patienten in medizinischen Ambulatorien behandelt. Zusätzlich können in Einzelfällen Bestandteile einer MS Behandlung wie beispielsweise die stationäre Behandlung von Schüben oder MRI Untersuchungen durch das BBP abgedeckt werden und besteht die Möglichkeit, dass eine Behindertenpension ausbezahlt wird.

Auch die bP 3 wurde in Österreich zwar einer Operation unterzogen, weitergehende Behandlungen erfolgen aktuell jedoch nicht. Es ist daher festzustellen, dass die bP an keinen dermaßen schwerwiegenden, akut lebensbedrohlichen und in Armenien nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, welche allenfalls im Falle einer Rückkehr zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK führen könnten.

Ein Abschiebehindernis auf Grund der Erkrankungen der bP kann seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht erkannt werden. Dass die medizinische Behandlung der bP im Herkunftsstaat möglich ist, ergibt sich aus den Feststellungen zur allgemeinen medizinischen Versorgung bzw. den Berichten von Accord und SFH, wonach die medizinische Versorgung sowie die Versorgung von MS grundsätzlich vorhanden ist. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse besteht somit im Herkunftsstaat keine Situation, wonach die bP lebensgefährdend in Ihrer Existenz bedroht wären. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass sie in keine existentielle Notlage in Ihrem Heimatland kommen.

Am Rande sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass die in der Beschwerde zitierte Entscheidung des BVwG eine nicht verallgemeinerungsfähige Beurteilung eines Einzelfalles darstellt, der sich auf einen konkreten, besonders berücksichtigungswürdigen Einzelfall bezieht und keiner Verallgemeinerung fähig ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Zu A)

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten

II.3.2.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:

"§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) ...

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1.-dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2.-der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

..."

Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag der bP inhaltlich zu prüfen ist.

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262).Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

II.3.2.2. Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der volljährigen bP zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr "Status eines Asylberechtigten"] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von der bP behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Auch konnte im Rahmen einer Prognoseentscheidung (vgl. Putzer, Asylrecht Rz 51) nicht festgestellt werden, dass die bP nach einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer weiteren aktuellen Gefahr von Übergriffen zu rechnen hätte (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194). Hier wird auf die bereits getroffenen Feststellungen verwiesen.

Zur hilfsweise herangezogenen Argumentation hinsichtlich des Bestehens des Willens und der Fähigkeit des Staates, Schutz - vor der behaupteten Verfolgung durch Privatpersonen (Verwandte des bei einer Demonstration Ermordeten) zu gewähren wird Folgendes erwogen:

Grundsätzlich kann die von der belangten Behörde angewandte Methodik der hilfsweisen Argumentation im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nicht beanstandet werden (vgl. VwGH 24.1.2008. Zl. 2006/19/0985).

Der belangten Behörde beizupflichten, dass -rein hypothetisch betrachtet ohne hierdurch den behaupteten ausreiskausalen Sachverhalt als glaubwürdig werten zu wollen- es der bP möglich und zumutbar wäre, sich im Falle der behaupteten Bedrohungen an die Sicherheitsbehörden ihres Herkunftsstaates zu wenden, welche willens und fähig wären, ihr Schutz zu gewähren.

Auch wenn ein solcher Schutz (so wie in keinem Staat auf der Erde) nicht lückenlos möglich ist, stellen die von der bP geschilderten Übergriffe in ihrem Herkunftsstaat offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und andererseits existieren im Herkunftsstaat der bP Behörden welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben (vgl. hierzu auch die Ausführungen des VwGH im Erk. vom 8.6.2000, Zahl 2000/20/0141 zu den Voraussetzungen der Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des [in diesem Erkenntnis] türkischen Staates; Im soeben zitierten Erk. führte der weiter aus:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem die Gewährung von Asyl an einen algerischen Staatsangehörigen betreffenden Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, ausgesprochen, dass mangelnde Schutzfähigkeit des Staates nicht bedeute, dass der Staat nicht mehr in der Lage sei, seine Bürger gegen jedwede Art von Übergriffen durch Dritte präventiv zu schützen, sondern dass mangelnde Schutzfähigkeit erst dann vorliege, wenn eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung "infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt" nicht abgewendet werden könne (wobei auf die hg. Erkenntnisse vom 7. Juli 1999, Zl. 98/18/0037, und vom 6. Oktober 1999, Zl. 98/01/0311, Bezug genommen wird). Dies sei dann der Fall, wenn für einen von dritter Seite Verfolgten trotz des staatlichen Schutzes der Eintritt eines - entsprechende Intensität erreichenden - Nachteiles mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei.

Die belangte Behörde leitete aus dem Umstand, dass der türkische Staat bereits die Androhung einer schweren und rechtswidrigen Schadenszufügung strafgerichtlich verpöne, jedenfalls aber eine mit dem Motiv der Blutrache begangene Tötung mit der [Anm: nunmehr in der Türkei nicht mehr angewandten] Todesstrafe bedrohe, die nicht unschlüssige Folgerung ab, dass der türkische Staat gewillt sei, den erforderlichen Schutz zu gewähren. Nach den Feststellungen der belangten Behörde hat der türkische Staat sowohl den Willen als auch die Fähigkeit, den Beschwerdeführer vor den Gefahren einer befürchteten Blutrache ausreichend zu schützen. Die Beschwerde hält dem Argument, der Beschwerdeführer hätte bei staatlichen Stellen Schutz vor Verfolgung finden können, lediglich entgegen, dass ein einmal gegebenes Versprechen, für eine getötete, nahe stehende Person Blutrache zu verüben, nicht einfach wieder zurückgenommen werden könne. Das Versprechen, Blutrache zu üben, binde - nach islamischer Weltanschauung - jene Person, die das Versprechen abgegeben habe, und keine wie auch immer geartete Strafdrohung könne eine die Vollziehung der Blutrache versprechende Person von der Ausübung ihrer nunmehrigen "Pflicht" abschrecken. Der Vollzug der versprochenen Blutrache werde zur Lebensaufgabe des Versprechenden. Es erscheine nicht möglich, sich unter den Schutz des türkischen Staates zu stellen, weil der Beschwerdeführer rund um die Uhr bis zu seinem Lebensende vom türkischen Staat beschützt werden müsste. Der türkische Staat habe weder die finanziellen Mitteln noch ein Interesse an einem solchen Personenschutz.

... Die belangte Behörde hat ...klar zum Ausdruck gebracht, dass sie von einer ausreichenden Schutzgewährung durch den türkischen Staat ausgehe und sie hat den Beschwerdeführer erfolglos aufgefordert, Beweismittel vorzulegen, die diese Annahme erschüttern könnten .... Staatliche Schutzgewährung ist um so eher zu erwarten, als es sich bei den mutmaßlichen Verfolgern um verhältnismäßig leicht auszuforschende Verwandte des vom Beschwerdeführer widerrechtlich Getöteten handeln würde. Der Beschwerdeführer hat überdies nicht einmal den Versuch unternommen, etwa durch Anzeige im Sinne des Art. 191 des türkischen Strafgesetzbuches staatlichen Schutz vor möglicher Blutrache in Anspruch zu nehmen. Es ist auch nicht offenkundig, dass der Beschwerdeführer der von ihm behaupteten Gefahr in der gesamten Türkei ausgesetzt wäre und ihm daher keine Möglichkeit offen stünde, innerhalb seines Heimatstaates einen sicheren Aufenthaltsort zu finden.").

Die bloße Möglichkeit, dass staatlicher Schutz nicht rechtzeitig gewährt werden kann, vermag eine gegenteilige Feststellung nicht zu begründen, solange nicht von der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Nichtgewährung staatlichen Schutzes auszugehen ist (vgl. hierzu die im Erkenntnis noch zu treffenden Ausführungen zum Wahrscheinlichkeitskalkül).

Unter richtlinienkonformer Interpretation ( Art 6 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.April 2004) kann eine Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden von nichtstaatlichen Akteuren (nur) dann ausgehen, wenn der Staat oder die Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, "erwiesenermaßen" nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden iSd Art 7 leg cit zu bieten (das Gebot der richtlinienkonformen Interpretation der entsprechenden asylrechtlichen Bestimmungen entspricht auch dem Gesetzgeber (vgl. Wortlaut der RV zum AsylG 2005: "...Mit dem

vorgeschlagenen Entwurf werden folgende Richtlinien umgesetzt ... :

Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. Nr. L 304 vom 30.09.2004 S. 12, CELEX Nr. 32004L0083; ...".

Nach der Rsp des VwGH ist für die Annahme einer Tatsache als "erwiesen" (vgl § 45 Abs 2 AVG) allerdings keine "absolute Sicherheit" (kein Nachweis "im naturwissenschaftlich-mathematisch exakten Sinn" erforderlich (VwGH 20.9.1990, 86/07/0091; 26.4.1995, 94/07/0033; 20.12.1996, 93/02/0177), sondern es genügt, wenn eine Möglichkeit gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit (Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht 2004, 168f: an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (VwGH 26.4.1995, 94/07/0033; 19.11.2003, 2000/04/0175; vgl auch VwSlg 6557 F/1990; VwGH 24.3.1994, 92/16/0142; 17.2.1999, 97/14/0059; in Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Manz Kommentar, 2. Teilband, Rz 2 zu § 45).

In Bezug auf diese Umstände - nämlich, dass der Staat oder die Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, "nicht in der Lage" oder "nicht willens" sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden iSd Art 7 leg cit zu bieten - besteht für den Berufungswerber somit ein erhöhtes Maß an erforderlichem Überzeugungsgrad der Behörde. Die (bloße) Glaubhaftmachung ist gem. Art 6 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.April 2004 demnach als Beweismaß dafür nicht ausreichend. Es muss "erwiesen" werden. Gelingt dies nicht, ist davon auszugehen, dass sie dazu sowohl in der Lage als auch willens sind, wenn der Staat oder die Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat. Diesfalls gilt gem. Art 7 Abs 2 leg cit, dass "generell Schutz gewährleistet ist".

Im gegenständlichen Fall haben die bP weder behauptet noch bescheinigt, dass das geschilderte Verhalten, jener Verwandten einer ermordeten Person, die gegen die bP vorgingen, in ihrem Herkunftsstaat nicht pönalisiert wäre oder die Polizei oder auch andere für den Rechtsschutz eingerichtete Institutionen grds. nicht einschreiten würden, um einen Schaden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abzuwenden. Darauf weisen auch die den Feststellungen der belangten Behörde bzw. des erkennenden Gerichts zu Grunde liegenden Quellen nicht hin, wenngleich die Berichte zu erkennen geben, dass durchaus auch noch erhebliche Defizite bestehen, ergibt sich weiters aus den von der belangten Behörde bzw. vom erkennenden Gericht herangezogenen Quellen, dass im Herkunftsstaat der bP kein genereller Unwille bzw. die Unfähigkeit der Behörden herrscht, Schutz zu gewähren.

Die bP bescheinigten im Rahmen ihrer Ausführungen zur Schutzfähigkeit nicht konkret und substantiiert den Unwillen und die Unfähigkeit des Staates, gerade in ihrem Fall Schutz zu gewähren. Es kann dem Vorbringen auch nicht entnommen werden, dass sie keinen Zugang zu den Schutzmechanismen hätte, bzw. dass gerade in ihrem Fall ein qualifizierte Sachverhalt vorliege, der es als "erwiesen" erschein lässt, dass die im Herkunftssaat vorhandenen Behörden gerade im Fall der bP untätig blieben. Im Verfahren kam auch nicht konkret hervor, dass der Staat selbst der Verfolger wäre.

Im Ergebnis hat die bP letztlich im Verfahren kein derartiges Vorbringen konkret und substantiiert erstattet, welches hinreichende Zweifel am Vorhandensein oder an der Effektivität der Schutzmechanismen - dies wurde unbescheinigt und unsubstantiiert nicht glaubhaft gemacht (vgl. EGMR, Fall H.L.R. gegen Frankreich) noch kann dies als erweislich angesehen werden - verursacht hätte. Hinsichtlich der behaupteten Verfolgung durch die Polizei gaben die bP letztlich an, dass es sich um korrupte Polizisten gehandelt habe, die die bP 1 verfolgen würden, welche dann letztlich nicht dem Staat zurechenbar wären. Auch wurde von der bP 2 angegeben, dass die Polizei nach dem Krankenhausaufenthalt der bP 1 ermittelt hätte, auch wenn kein Ergebnis bekannt wäre. Dass die bP in ihrer konkreten Situation keinen Schutz erhalten hätten, kann damit nicht angenommen werden.

Die bP haben ihren Herkunftsstaat letztlich aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen (bessere medizinische Behandlungsmöglichkeiten) verlassen. Diese Gründe stellen jedoch keine relevante Verfolgung im Sinne der GFK dar. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. Es war daher im Hinblick auf die ausschließlich persönlichen und wirtschaftlichen Beweggründe der bP, den Herkunftsstaat zu verlassen, der Schluss zu ziehen, dass die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nur aus dem Grund erfolgte, sich nach erfolgter Einreise unter Umgehung der den Aufenthalt regelnden Vorschriften den weiteren Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen.

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.

II.3.3. Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter in Bezug auf den Herkunftsstaat

II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:

"§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1.-der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2.-...

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung

nach § 3 ... zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

..."

Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies war dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.

Art. 2 EMRK lautet:

"(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:

a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;

b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;

c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken."

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet:

"Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele:

VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein "ausreichend reales Risiko" für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes ("high threshold") dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex "Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren"", derselbe in Migralex: "Abschiebeschutz von Traumatisieren"; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gem. der Judikatur des EGMR muss die bP die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.

II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der bP (die Todesstrafe wurde abgeschafft) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

Da sich der Herkunftsstaat der bP nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die bP als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der bP in einigen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

Weitere, in der Person der bP begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.

Zur individuellen Versorgungssituation der bP wird weiters festgestellt, dass diese im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen. Bei den volljährigen bP handelt es sich um mobile, grundsätzlich gesunde, arbeitsfähige Menschen.

Die volljährigen bP sind zur Pflege und Obsorge der minderjährigen bP verpflichtet. Die Existenzsicherung der minderjährigen bP 3 ist damit durch die volljährigen bP, hinsichtlich derer von einer gemeinsamen Ausreise auszugehen ist, gesichert. Die erwerbsfähige bP 3, welche fast 17 Jahre alt ist, kann zum Familieneinkommen beitragen.

Einerseits stammen die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

Auch steht es den bP frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen oder das -wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige- Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen.

Ebenso kam hervor, dass die bP im Herkunftsstaat auch vor ihrer Ausreise ihr Leben finanzieren konnten, dies trotz der bereits in Armenien bestandenen Erkrankung der bP 1.

Darüber hinaus ist es den bP unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.

Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.

Die Zumutbarkeit der Annahme einer -ggf. auch unattraktiven-Erwerbsmöglichkeit wurde bereits beispielsweise im Erk des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010 mwN bejaht.

Soweit die beschwerdeführenden Parteien ihren Gesundheitszustand thematisieren, wird Folgendes erwogen:

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Armenien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngere diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung.

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab:

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands zumeist außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

Wie bereits erwähnt, geht der EGMR weiters davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet und kann nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen {EGMR 02.05.1997 -146/1996/767/964 ("St. Kitts-Fall")}. Im Zusammenhang mit einer Erkrankung des Beschwerdeführers nahm der EGMR außerordentliche, ausnahmsweise vorliegende Umstände im "St. Kitts-Fall" an. Im Mai 1997 hatte der EGMR die Abschiebung eines HIV-infizierten Drogenhändlers, welcher laut medizinischen Erkenntnissen auch in Großbritannien bei entsprechender Behandlung nur mehr ca. 8 - 14 Monate zu leben gehabt hätte und sich somit im fortgeschrittenen Krankheitsstadium befand, aus Großbritannien auf seine Heimatinsel St. Kitts/kleine Antillen (Karibik) als "unmenschliche Behandlung" im Sinne des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention angesehen. Die im zitierten Erkenntnis beschriebene außergewöhnliche, exzeptionale Notlage ( er hätte dort keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und Betreuung, nicht einmal zu einem Pflegebett gehabt hätte und wäre so qualvollst, einsam und in extremer Armut gestorben) die ihn dort erwarte, würde seine Lebenserwartung deutlich reduzieren und ihn psychischem und physischem Leiden aussetzen. Diese Abschiebung war daher in diesem Einzelfall unzulässig (EGMR 02.05.1997 -146/1996/767/964).

Ähnlich entschied die Europäische Kommission für Menschenrechte 1998 im Falle eines AIDS-Kranken aus der Demokratischen Republik Kongo (B.B. gegen Frankreich, 9.3.1998, Nr. 30930/96). Auch die Kommission stellte auf die fortgeschrittene Erkrankung, die fehlende Behandlungsmöglichkeit in der Heimat mit der großen Gefahr opportunistischer Erkrankungen, fehlende familiäre Bindungen und die Übernahme der (medizinischen) Verantwortung Frankreichs durch die Behandlung ab und bejahte ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK.

In der Entscheidung vom 15.2.2000 (S.C.C. gegen Schweden, Nr. 46553 /99) kam der EGMR zu einer entgegen gesetzten Auffassung. Die Antragstellerin stammte aus Sambia. Sie machte geltend, es sei im Jahr 1995 eine HIV-Infektion bei ihr festgestellt worden, mit einer Therapie habe man im Jahr 1999 begonnen. Der EGMR verneinte eine Verletzung von Art. 3 EMRK unter Berücksichtigung der Tatsachen, dass erst kürzlich mit einer Therapie begonnen worden sei, dass Verwandte in Sambia lebten und dass nach Vortrag der schwedischen Botschaft die Behandlung von AIDS in Sambia möglich sei.

Auch in seiner sonstigen, dem in die Literatur unter der "St. Kitts-Fall" bekannten Fall nachfolgenden Rechtsprechung hat der EGMR (unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen konkreten Umstände) in keinem Fall eine derart außergewöhnliche - und damit vergleichbare - Situation angenommen (vgl. z.B. EGMR 10.11.2005, Paramsothy gegen die Niederlande [Erkrankung an Posttraumatischem Stresssyndrom], EGMR 10.11.2005, Ramadan gegen die Niederlande, Nr. 35989/03 [Erkrankung an Depression, teils mit psychotischer Charakteristik], EGMR 27.09.2005, Hukic gegen Schweden, Nr. 17416/05 [Erkrankung am Down-Syndrom], EGMR 22.09.2005, Kaldik gegen Deutschland, Nr. 28526 [Erkrankung an Posttraumatischem Stresssyndrom mit Selbstmordgefahr], EGMR 31.05.2005, Ovdienko gegen Finnland, Nr. 1383/04 [Erkrankung an schwerer Depression mit Selbstmordgefahr], EGMR 25.11.2004, Amegnigan gegen die Niederlande, Nr. 25629/04 [HIV-Infektion], EGMR 29.06.2004, Salkic gegen Schweden, Nr. 7702/04 [psychische Beeinträchtigungen bzw. Erkrankungen], EGMR 22.06.2004, Ndangoya gegen Schweden, Nr. 17868/03 [HIV-Infektion], EGMR 06.02.2001, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich [Erkrankung an Schizophrenie]).

Zur Verdeutlichung der vom EGMR gesetzten Schwelle sei hier aus der Application no. 7702/04 by SALKIC and others against Sweden zitiert, wo es um die Zulässigkeit der Abschiebung schwer traumatisierter und teilweise suizidale Tendenzen aufweisende Bosnier nach Bosnien und Herzegowina ging, wobei hier wohl außer Streit gestellt werden kann, dass das bosnische Gesundheitssystem dem schwedischen qualitätsmäßig erheblich unterliegt:

"Das Gericht ist sich bewusst, dass die Versorgung bei psychischen Problemen in Bosnien-Herzegowina selbstverständlich nicht den gleichen Standard hat wie in Schweden, dass es aber dennoch Gesundheitszentren gibt, die Einheiten für geistige Gesundheit einschließen und dass offensichtlich mehrere derartige Projekte am Laufen sind, um die Situation zu verbessern. Auf jeden Fall kann die Tatsache, dass die Lebensumstände der Antragsteller in Bosnien-Herzegowina weniger günstig sind als jene, die sie während ihres Aufenthaltes in Schweden genossen haben, vom Standpunkt des Art. 3 [EMRK] aus nicht als entscheidend betrachtet werden (siehe, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich Urteil, oben angeführt, Art. 38).

...

Abschließend akzeptiert das Gericht die Schwere des psychischen Gesundheitszustandes der Antragsteller, insbesondere den der beiden Kinder. Dennoch mit Hinblick auf die hohe Schwelle, die von Art. 3 [EMRK] gesetzt wurde, besonders dort, wo der Fall nicht die direkte Verantwortlichkeit des Vertragsstaates für die Zufügung von Schaden betrifft, findet das Gericht nicht, dass die Ausweisung der Antragsteller nach Bosnien-Herzegowina im Widerspruch zu den Standards von Art. 3 der Konvention stand. Nach Ansicht des Gerichtes zeigt der vorliegende Fall nicht die in seinem Fallrecht festgelegten außergewöhnlichen Umstände auf (siehe, unter anderem, D. gegen Vereinigtes Königreich, oben angeführt, Art. 54). Dieser Teil des Antrages ist daher offenkundig unbegründet."

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:

Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter wären als im Aufenthaltsland, und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und wurde ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend. Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms, diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei.

In der Beschwerdesache AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04, stellte der EGMR fest, dass in Togo eine grundsätzliche adäquate Behandlung der noch nicht ausgebrochenen AIDS-Erkrankung gegeben ist und erklärte die Abschiebung des Beschwerdeführers für zulässig.

In der Entscheidung RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande vom 10.11.2005, Rs 35989/03 wurde die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Mazedonien für zulässig erklärt, da Psychotherapie eine gängige Behandlungsform in Mazedonien ist und auch verschiedene therapeutische Medizin verfügbar ist, auch wenn sie nicht dem Standard in den Niederlanden entsprechen möge.

In der Beschwerdesache NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03, sprach der EGMR aus, dass in Tansania Behandlungsmöglichkeiten auch unter erheblichen Kosten für die in 1-2 Jahren ausbrechende AIDS-Erkrankung des Beschwerdeführers gegeben seien; es lagen auch familiäre Bezüge vor, weshalb die Abschiebung für zulässig erklärt wurde.

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes "real risk".

Im vorliegenden Fall konnten wie bereits in der Beweiswürdigung erörtert seitens der bP keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Armenien belegt werden, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf das Vorliegen (schwerer) Erkrankungen ersichtlich. Dass die Behandlung von MS mit Betaferon zu "erheblichen Kosten" führen kann, ändert an dieser Einschätzung nichts und wird nochmals auf die zitierte Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 verwiesen. Es gibt Behandlungsmöglichkeiten für die allgemeinen Erkrankungen der bP 2 und 3 (Augen bzw. Herzprobleme) und überdies ist MS behandelbar. Dies mit diversen Medikamenten, unter anderem eben wie in Österreich seit nunmehr knapp einem halben Jahr mit Betaferon. Dass die Behandlung in Armenien nicht den gleichen Standard wie in Österreich aufweist, und unter Umständen auch kostenintensiver ist, ist nicht relevant, es gibt auch billigere Alternativen in Armenien gemäß den von der bP 1 selbst vorgelegten Berichten. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten sind gegeben und jedenfalls ausreichend.

In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass der EGMR es für eine Art. 3 EMRK-konforme Überstellung ausreicht, dass Behandlungsmöglichkeiten [für Traumatisierte, hier aufgrund der identischen Interessenslage jedoch analog anwendbar] im Land der Überstellung verfügbar sind (vgl. Paramasothy v. Netherlands 10.11.2005; Ramadan Ahjeredine v. Netherlands, 10.11.2005, Ovidienko

v. Finland 31.5.2005; Hukic v. Sweden, 27.9.2005), was im Herkunftsstaat hinsichtlich der von der bP vorgebrachten Erkrankung offensichtlich der Fall ist (Vgl. etwa den öffentlich zugänglichen WHO Mental Health Atlas 2005 [vgl. die bereits erörterte Berichtslage zum Gesundheitswesen im Herkunftsstaat.)

Ebenso ist davon auszugehen, dass Österreich in der Lage ist, im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichende medizinische Begleitmaßnahmen zu setzen (VwGH 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723, VfGH v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10 und die bereits zitierte Judikatur; ebenso im h. Erk. vom 12.3.2010, B7 232.141-3/2009/3E zitierte Auskunft des Bundesministeriums für Inneres Abt. II/3/C, Fremdenpolizeiliche Zwangsmaßnahmen, in welcher mitgeteilt wurde, dass, wenn im Voraus bekannt sei, dass eine Problemabschiebung bevorstehe, vom Zeitpunkt der Festnahme an ein Amtsarzt bei der Amtshandlung zugegen sei. Für solche Fälle habe sich auch der stellvertretende Chefarzt des Bundesministeriums für Inneres bereit erklärt, für die ärztliche Versorgung zu sorgen. Es könne also davon ausgegangen werden, dass in solchen Fällen (bei Charterabschiebungen, ..., sei dies Standard) von Beginn der Amtshandlung bis zur Übergabe der betreffenden Person an die Behörden des Heimatlandes eine ärztliche Versorgung gewährleistet sei. Auch sei es bei derartigen Charterabschiebungen gängige Praxis, dass Vertreter des Menschenrechtsbeirates sowohl bei den Kontaktgesprächen als auch im Rahmen der Flugabschiebung als Beobachter dabei seien. Transporte von Kindern würden auch von speziell ausgebildeten weiblichen Beamten begleitet. Auch könne die hauseigene Psychologin des Bundesministeriums für Inneres beigezogen werden und mitfliegen, wenn man von dem Abschiebungsvorgang rechtzeitig Kenntnis erlange.

Aufgrund der getroffenen Ausführungen ist davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei nicht vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in ihrem Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt zu sein, weshalb die Gewährung von subsidiären Schutz ausscheidet.

II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:

§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer

Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

§ 55 AsylG 2005, Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK:

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von

Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von

Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels

gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben."

§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit

Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.

§ 46 FPG, Abschiebung

§ 46. (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

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1.-die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2.-sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3.-auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4.-sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

(2) Verfügt der Fremde über kein Reisedokument und kann die Abschiebung nicht ohne ein solches durchgeführt werden, hat das Bundesamt bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde ein Ersatzreisedokument für die Abschiebung einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen auszustellen. § 97 Abs. 1 gilt.

(2a) Das Bundesamt ist berechtigt, Personen, für die das Bundesamt ein Ersatzreisedokument bei der zuständigen ausländischen Behörde für die Abschiebung einzuholen hat, vorzuladen. § 19 Abs. 2 bis 4 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat alle zur Durchführung der Abschiebung erforderlichen Veranlassungen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (insbesondere Abs. 2 und 4) ehestmöglich zu treffen, insbesondere hat es sich vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Fremden zu vergewissern, dass dieser einem Mitglied seiner Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Zielstaat übergeben werden kann. Amtshandlungen betreffend Fremde, deren faktischer Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, sind prioritär zu führen.

(4) Liegen bei Angehörigen (§ 72 StGB) die Voraussetzungen für die Abschiebung gleichzeitig vor, so hat das Bundesamt bei der Erteilung des Auftrages zur Abschiebung Maßnahmen anzuordnen, die im Rahmen der Durchführung sicherstellen, dass die Auswirkung auf das Familienleben dieser Fremden so gering wie möglich bleibt.

(5) Die Abschiebung ist im Reisedokument des Fremden ersichtlich zu machen, sofern dadurch die Abschiebung nicht unzulässig oder unmöglich gemacht wird. Diese Eintragung ist auf Antrag des Betroffenen zu streichen, sofern deren Rechtswidrigkeit durch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt worden ist.

(6) Abschiebungen sind systematisch zu überwachen. Nähere Bestimmungen über die Durchführung der Überwachung hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen.

§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich

eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

II.3.4.2. Die gegenständlichen, nach nicht rechtmäßiger Einreise in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz waren abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel der drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die bP nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Es liegen keine Umstände vor, dass den bP allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan.

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Vom Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK- Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423, vgl. auch VwGH vom 8.6.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder VwGH vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, wo der VwGH im letztgenannten Erkenntnis feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Sowohl eheliche als auch uneheliche Kinder aus einer Familienbeziehung, die unter Art 8 EMRK fallen, werden von ihrer Geburt an ipso iure Teil der Familie (Peter Chvosta: "Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK", ÖJZ 2007/74; VfSlg 16.777/2003; ferner Gül gg Schweiz, ÖJZ 1996, 593; 5. 2 2004, 60457/00, Kosmopoulou gg Griechenland; 18. 1. 2007, 73819/01, Estrikh gg Litauen). Umgekehrt werden Kinder erst vom Moment ihrer Geburt an rechtlich Teil der Familie. Zu noch ungeborenen Kindern liegt somit bis dahin (noch) kein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK vor (vgl. zB VfGH 24.02.2003, B 1670/01; EGMR 19.02.1996, GÜL vs Switzerland).

Der Begriff des Familienlebens ist darüber hinaus nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua). Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR in Cruz Varas).

II.3.4.4. Die bP haben in Österreich über die im gegenständlichen Erkenntnis genannten Mitglieder der Kernfamilie hinausgehend keine Verwandten und leben auch sonst mit keiner nahe stehenden Person zusammen. Sie möchten offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und halten sich erst seit 1 Jahr und 8 Monaten im Bundesgebiet auf. Sie reisten rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein. Sie leben von der Grundversorgung, die bP 2 geht für 5 h die Woche als Reinigungskraft arbeiten. Nur die bP 2 hat einen Deutschkurs besucht. Die bP 1 und 2 sind strafrechtlich unbescholten, die bP 3 ist vorbestraft.

Folgt man Chvosta, welcher, soweit ersichtlich im Schrifttum bisher unwidersprochen ausführte und dem sich auch das erkennende Gericht im gegenständlichen Fall anschließt, dass [Anmerkung: bei damaligen Ausweisungen von Asylwerbern nach § 10 AsylG; hier wohl sinngemäß anwendbar] ab einer Verfahrensdauer von 6 Monaten jedenfalls ein Eingriff in das Privat- und Familienleben anzunehmen sein wird, der eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach sich zieht (Peter Chvosta: "Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK", ÖJZ 2007/74), so geht das erkennende Gericht im gegenständlichen Fall davon aus, dass ein sich auf die Verweildauer im Bundesgebiet begründetes Privatleben ergibt.

Die Rückkehrentscheidung stellt somit einen Eingriff in das Recht auf das Privat- und Familienleben dar.

II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und/oder Familienlebens des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Wiese verfolgt.

Bereits vor Inkrafttreten der Vorgängerbestimmung des § 9 Abs. 2 BFA-VG in der Form des AsylG 2005 idF BGBl 29/2009 entwickelten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in den Erk. d. VfGH vom 29.9.2007, Zahl B 1150/07-9 und Erk. d. VwGH vom 17.12.2007, Zahl 2006/01/0216 bis 219-6 unter ausdrücklichen Bezug auf die Judikatur des EGMR nachstehende Richtlinien (in den Medien der vielgenannte "Kriterienkatalog") im Rahmen der Interessensabwägung gem. Art. 8 Abs. EMRK, welche zu berücksichtigen sind:

Auch

Ebenso bereits vor Inkrafttreten des durch BGBl I 38/2011 in § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG eingefügten lit. i, welcher der nunmehrigen Bestimmung des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG entspricht, warf der VfGH in seinem Erk. B 950-954/10-08, S. 19 die Frage auf, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthalts bewusst waren. Der Verfassungsgerichtshof stellt dazu fest, dass das Gewicht der Integration nicht allein deshalb als gemindert erachtet werden darf, weil ein stets unsicherer Aufenthalt des Betroffenen zugrunde liege, so dass eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) ausgeschlossen sei. Vielmehr müsse die handelnde Behörde sich dessen bewusst sein, dass es in der Verantwortung des Staates liegt, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren effizient führen zu können und damit einhergehend prüfen, ob keine schuldhafte Verzögerungen eingetreten sind, die in der Sphäre des Betroffenen liegen (ähnlich VfGH 10.03.2011, B1565/10).

Ein mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden soll daher als zusätzliche Tatsache bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK berücksichtigt werden, andererseits stellte der VfGH in seinem Erkenntnis v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10 unmissverständlich fest, dass die zeitliche Komponente dann in den Hintergrund tritt, wenn sich die Verweil- bzw. Verfahrensdauer aus dem Verhalten der beschwerdeführenden Partei ergibt (vgl. hierzu auch Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

II.3.4.6. Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der soeben zitierten Judikatur Folgendes:

Die bP sind seit einem Jahr und acht Monaten in Österreich aufhältig. Sie reisten rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Hätten sie diese unbegründeten Anträge nicht gestellt, wären sie vom Anfang an rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig gewesen und wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.

Die bP verfügen über keine familiären und die bereits beschriebenen privaten Anknüpfungspunkte.

Die bP begründeten ihr Privat- bzw. Familienleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt durch die Stellung eines unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz vorübergehend legalisiert wurde. Auch war der Aufenthalt der bP zum Zeitpunkt der Begründung der familiären Anknüpfungspunkte ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des mittlerweile rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens beschränkt.

Letztlich ist auch festzuhalten, dass die bP nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise die bestehenden Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: "Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK", ÖJZ 2007/74 mwN). Ebenso stünde es ihnen frei, sich nach ihrer Ausreise - wie jeder andere Fremde auch - um eine legale Einreise und einen legalen Aufenthalt zu bemühen.

Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Ar. 8 EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich. Hier sei etwa auf eine Zusammenschau der Erkenntnisse des VfGH vom 12.6.2010 U 614/10 (Beschwerdeführerin wurde 1992 geboren, war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich minderjährig, hatte zumindest am Anfang ihres Aufenthaltes in Österreich keinen Einfluss auf das bzw. die Asylverfahren, entzog sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Alter der mündigen Minderjährigkeit und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge), U613/10 (Beschwerdeführerin wurde 1962 geboren, war während des gesamten Verfahrens handlungsfähig und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge) und den Beschluss des selben Tages U615/10 ua (minderjährige Asylwerber während des gesamten Asylverfahrens, welche auf den Verlauf des Verfahrens bzw. der Verfahren keinen Einfluss hatten) verwiesen. In diesen Verfahren stellte der VfGH in Bezug auf die 1962 geborene Beschwerdeführerin im vollen Umfang und in Bezug auf die 1992 geborene Beschwerdeführerin (Tochter der 1962 geborenen Beschwerdeführerin) in einem gewissen eingeschränkten Umfang fest, dass sich diese das Verhalten, welches zum langen Aufenthalt in Österreich führten, zurechnen lassen müssen und es daher nicht zu ihren Gunsten im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK geltend gemacht werden kann. Obwohl die minderjährigen Beschwerdeführer auf das Verhalten ihrer 1962 geborenen Mutter und 1992 geborenen Schwester keinerlei Einfluss hatten und ihnen deren Verhalten, insbesondere jenes der Mutter nicht subjektiv vorgeworfen werden konnte, wurde die Behandlung derer Beschwerden dennoch mit Beschluss U615/10 ua. abgewiesen. Im Lichte der Erk. des VfGH B 950-954/10-08, S. 19, bzw. v. 10.03.2011, B1565/10, wo die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer in Österreich aufgrund den Beschwerdeführern nicht zurechenbarer Dauer der Asylverfahren als wesentliches Argument für eine Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer herangezogen wurde, ist ableitbar, dass in den in Beschluss U615/10 genannten Fällen trotz fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Verfahrensdauer aufgrund deren Minderjährigkeit und des Verhaltens der Mutter gerade dieses Verhalten der Mutter im Rahmen der Interessensabwägung in Bezug auf die minderjährigen Kinder dennoch eine Rolle spielte, sie sich dieses zwar nicht vorwerfen aber in einem gewissen Umfang zurechnen lassen mussten, da ansonsten davon auszugehen gewesen wäre, dass ein mit den in den Erk. des VfGH B 950-954/10-08, S. 19, bzw. v. 10.03.2011, B1565/10 beschriebener Fällen vergleichbarer Fall vorliegen würde und zu einer vergleichbaren Entscheidung geführt hätte.

Auch ist zu bedenken, dass es aus dem fremdenpolizeilichen Blickwinkel nicht primär auf die subjektive Vorwerfbarkeit, sondern auf die objektive Zurechenbarkeit des beschriebenen Verhaltens ankommt.

Die beschwerdeführenden Parteien sind -in Bezug auf ihr Lebensaltererst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren die volljährigen bP im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen, wenngleich im Verfahren hervorkam, dass die bP 2 zumindest einen Deutschkurs besuchte, wobei sie einfache Fragen in der Verhandlung nicht beantworten konnte. Die bP 3 hat in der Schule geringfügige Deutschkenntnisse erlangt, wobei sie sich nur zeitweise mit zwei Schulkollegen treffe, deren Nachnamen sie nicht kennt.

Ebenso geht aus dem Akteninhalt nicht hervor, dass die bP selbsterhaltungsfähig wären, da die bP 2 lediglich 175 Eur im Monat erhält.

Zum Schulbesuch von bP3 ist festzuhalten, dass dies die Erfüllung einer durchsetzbaren gesetzlichen Verpflichtung darstellt, welche im Rahmen der Interessensabwägung nur sehr untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH v. 26.9.2007 2006/21/0288 mwN).

Die bP 1 gab selbst an, dass sie keine Schritte zur Integration gesetzt hat und nur die Nachbarn in Österreich kenne. Die bP haben Kontakt mit einer gläubigen Familie, welche einmal in der Woche zum Deutschlernen zu ihnen kommt. Die bP 2 konnte nur die Vornamen der beiden nennen. Das vorgelegte Unterstützungsschreiben stammt vom Vermieter der bP und führt dieser lediglich aus, dass es sich bei den bP um nette und ordentliche Menschen handelt. Eigeninitiative für eine Integration kann damit nicht erkannt werden und reicht vor allem die kurze Aufenthaltsdauer in Österreich bei weitem nicht aus, um eine gelungene Integration zu belegen. Besonderes Engagement der bP ist nicht erkennbar.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die -hier bei weitem nicht vorhandenen-Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Selbst wenn der VwGH vermeint, dass im Rahmen eines Rückkehrentscheidungsverfahrens, dennoch unter der Schwelle des Art 2 und 3 EMRK gelegene Sachverhalte bei der Beurteilung des Privatlebens iSd. Art 8 EMRK Bedeutung zukomme, sodass etwa "Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder bei Sozialleistungen" bzw. die Erkrankung der bP 1 in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 miteinzubeziehen sind (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119), kann insbesondere vor dem Hintergrund der bereits im vorangegangenen internationalen Schutzverfahren getroffenen Ausführungen zur Erkrankung der bP 1 eine Verletzung von Art 8 EMRK nicht erkannt werden. Dies auch, da die bP in Österreich noch nicht als integriert angesehen werden können und besondere, integrative Aspekte nicht einmal hervorgekommen sind, welche die öffentlichen Interessen an der Rückkehrentscheidung auch im Zusammenhang mit der Erkrankung der bP 1 und etwaigen Problemen bei Rückkehr überwiegen würden.

Die bP verbrachten den überwiegenden Teil ihres Lebens in Armenien, wurden dort sozialisiert, gehören der dortigen Mehrheits- und Titularethnie an, bekennen sich zum dortigen Mehrheitsglauben und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Armenien Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises der bP existieren, da nichts darauf hindeutet, dass die bP vor ihrer Ausreise in ihrem Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätten. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

Zu der minderjährigen bP 3 ist festzustellen, dass schon aufgrund des Alters und der Aufenthaltsdauer in Österreich die Abwägung zwischen den Bindungen zum Herkunftsstaat und den nunmehrigen Bindungen zu Österreich anders zu werten sein wird, als im Hinblick auf die Eltern. Hier wird von geringeren Bindungen zum Herkunftsstaat und stärkeren Bindungen zu Österreich auszugehen sein. In die Überlegungen hat auch einzufließen, dass sie dennoch im Herkunftsstaat geboren wurde, sich dort die weitaus überwiegende Zeit ihres Lebens aufhielt und selbst keine besonderen Bindungen an Österreich belegen konnte.

Die bP 1 und 2 sind strafrechtlich unbescholten.

Die bP 3 wurde wegen der festgestellten Straftat rechtskräftig verurteilt:

Die Feststellung, wonach rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht vorliegen, stellt eine gewichtige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen dar (z. B. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).

Die bP reisten schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge rechtswidrig in das Bundesgebiet ein.

Soweit die minderjährige bP 3 keinen Einfluss auf das Verhalten ihrer gesetzlichen Vertretung im Zusammenhang mit der Einreise hatte, wird auf die bereits getroffenen Ausführungen in Bezug auf die Zurechenbarkeit des Verhaltens der gesetzlichen Vertretung auf die Kinder verwiesen.

Den bP musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz nur ein vorübergehender ist und ein weiterer Aufenthalt mangels entsprechenden Aufenthaltstitels verwehrt wird. Ebenso indiziert die rechtswidrige und schlepperunterstützte Einreise den Umstand, dass den bP die Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst war, da davon auszugehen ist, dass sie in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche und kostenintensive Art der legalen Einreise und Niederlassung gewählt hätten.

In Bezug auf die minderjährigen bP wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zur Zurechenbarkeit des Verhaltens ihrer Eltern verwiesen.

Ein derartiges Verschulden kann aus der Aktenlage nicht entnommen werden.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).

Es ist nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.

Gem. Art 8 Abs 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privatund/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs 2 leg cit genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich -abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für den Beschwerdeführer grundsätzlich nicht mehr möglich seinen Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass dem Beschwerdeführer gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung seines Aufenthaltes vom Inland aus offen steht, sodass ihn mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung betreffend des Fremden bedarf.

Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ist der Beschwerdeführer somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Der Rechtssprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art "Handreichung des Staates" - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.

Wenn man - wie die aktuelle Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt - dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.

In seinem Erkenntnis Rodrigues da Silva and Hookkamer v. the Netherlands vom 31. Jänner 2006, Zahl 50435/99 führte der EGMR unter Verweis auf seine Vorjudikatur aus, dass es ua. eine wichtige Überlegung darstellt, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, an dem sich die betreffenden Personen bewusst waren, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart war, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland vom vornherein unsicher war. Er stellte auch fest, dass die Ausweisung eines ausländischen Familienmitgliedes in solchen Fällen nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bewirkt.

Der GH führte weiters -wiederum auf seine Vorjudikatur verweisendaus, dass Personen, welche die Behörden eines Vertragsstaates ohne die geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen, als fait accompli mit ihrem Aufenthalt konfrontieren, grundsätzlich keinerlei Berechtigung haben, mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu rechnen. Im geschilderten Fall wurde letztlich dennoch eine Entscheidung zu Gunsten der Beschwerdeführer getroffen, weil es der Erstbeschwerdeführerin grundsätzlich möglich gewesen wäre, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, weil sie mit dem Vater des Zweitbeschwerdeführers, einem Staatsbürger der Niederlande vom Juni 1994 bis Jänner 1997 eine dauerhafte Beziehung führte. Es war daher der Fall Erstbeschwerdeführerin trotz ihres vorwerfbaren sorglosen Umganges mit den niederländischen Einreisebestimmungen von jenen Fällen zu unterscheiden, in denen der EGMR befand, dass die betroffenen Personen zu keinem Zeitpunkt vernünftiger Weise erwarten konnten, ihr Familienleben im Gastland weiterzuführen. Ebenso wurde in diesem Fall der Umstand des besonderen Verhältnisses zwischen dem Kleinkind und der Mutter besonders gewürdigt.

Weiters wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:

Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.

Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.

Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.

Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.

II.3.4.7. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von den bP in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der bP am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die bP erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration der bP in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die bP halten sich erst einen kurzen Zeitraum in Österreich auf, sind auf die Grundversorgung angewiesen und eine gesellschaftliche Integration im beachtlichen Ausmaß ist nicht erkennbar, zumal sie sich offensichtlich auf ihre eigenes Familienleben zurückziehen und keine Kontakte zu Österreichern suchen. Für die bP spricht damit lediglich, dass zumindest die bP 2 einen Deutschkurs besucht und für 5h arbeiten geht.

Verwandte der bP leben noch im Herkunftsstaat und ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen familiären und privaten Beziehungen im Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Armenien eine - wenn überhaupt vorhanden - Integration in Österreich bei weitem überwiegen.

Insbesondere aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer der bP in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären wäre. Zusätzlich wurde die bP 3 strafrechtlich verurteilt.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der bP im Bundesgebiet das persönliche Interesse der bP am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

II.3.4.8. Die belangte Behörde ist des Weiteren auch nach Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände der bP zu Recht davon ausgegangen, dass den bP ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen nicht zu erteilen ist. Es liegt im gegenständlichen Fall schon die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG (Aufrechterhaltung eines Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK) nicht vor, weshalb sich eine weitere Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 AsylG erübrigte.

II.3.4.9. Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Armenien unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in den gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt.

II.3.4.10. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.

Dass besondere Umstände, welche die Drittstaatsangehörigen bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen der bP und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.

Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.

II.3.4.11. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

II.3.5 Aufgrund der oa. Ausführungen ist der belangten Behörde letztlich im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorkam, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass die bP im Falle einer Rückkehr nach Armenien dort mit der erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefahr im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. § 8 Abs. 1 AsylG ausgesetzt wären. Auch die Voraussetzungen für die getroffene Rückkehrentscheidung liegen vor.

II.3.6. Zu Spruchpunkt A II - Verfahrenshelfer:

In der Beschwerde wurde beantragt, den bP unentgeltlich einen Verfahrenshelfer beizugeben.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat mit Erkenntnis vom 25.06.2015, Zl. G 7/2015, § 40 VwGVG betreffend Verfahrenshilfeverteidiger als verfassungswidrig aufgehoben, wobei die Aufhebung erst mit Ablauf des 31.12.2016 in Kraft tritt. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft. Der VfGH sah in der derzeit geltenden Regelung des § 40 VwGVG eine Verletzung des Art. 6 EMRK, zumal der gänzliche Ausschluss der Gewährung von Verfahrenshilfe in Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen, die unter Art. 6 EMRK fallen, verfassungswidrig ist. Nach der Judikatur des EGMR ist der Zugang zum Gericht zwar nicht absolut und kann von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden; nach den Umständen des Einzelfalles kann jedoch die unentgeltliche Beistellung eines Verfahrenshelfers unumgänglich sein. Nach dem derzeitigen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist hingegen - außer in Verwaltungsstrafverfahren - die unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers schlechthin nicht möglich.

Den bP wurde im gegenständlichen Verfahren gemäß § 52 BFA-VG von Amts wegen ein kostenloser Rechtsberater zur Seite gestellt, der sie bei der Erstellung des Beschwerdeschriftsatzes unterstützt hat und der überdies von der bP auch gemäß § 10 AVG zur Rechtsvertretung bevollmächtigt worden ist.

Das erkennende Gericht geht davon aus, dass durch die Bestellung eines Rechtsberaters und im Hinblick auf dessen in § 52 Abs. 2 BFA-VG geregelten Aufgabenbereich (insbesondere auch die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung auf dessen Ersuchen) eine zweckmäßige und ausreichende Wahrung der Interessen der beschwerdeführenden Partei auch nach Maßgabe unionsrechtlicher Bestimmungen (vor allem im Lichte des Art. 47 der GRC) gewährleistet ist, selbst wenn dieser Rechtsberater nicht zusätzlich mit der umfassenden Vertretung im Sinne des § 10 AVG bevollmächtigt worden wäre.

Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde ist weder aus dem noch bis 31.12.2016 als Teil der Rechtsordnung geltenden § 40 VwGVG (Beschränkung der Verfahrenshilfe auf das Verwaltungsstrafverfahren), noch aus § 52 BFA-VG, noch aus Art. 47 GRC ein Rechtsanspruch auf die Bestellung eines weiteren Verfahrenshelfers (zusätzlich zum kostenlosen Rechtsberater) ableitbar. Um ein den Grundrechten entsprechendes Verfahren zu gewährleisten, werden die Interessen durch den von Amts wegen bestellten Rechtsberater ausreichend wahrgenommen. Auch aus der oben angeführten Entscheidung des VfGH ergibt sich nicht, dass Art. 6 EMRK einen generellen - von den Umständen des Einzelfalles losgelösten oder von den Verfahrensmaterien unabhängigen - Anspruch auf unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers erfordern würde.

Der Antrag auf unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, dem Refoulement-schutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.

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