European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00096.24G.0625.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und die Entscheidungen der Vorinstanzen werden abgeändert, sodass sie lauten:
Die Klagebegehren, 1. der zwischen den Streitteilen am 8. 7. 2019 über das Fahrzeug Peugeot 407 *, zu einem Kaufpreis von 9.100 EUR abgeschlossene Kaufvertrag werde aufgehoben; und 2. die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 9.100 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. 7. 2019 zu zahlen, werden abgewiesen.
Die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen werden durch folgende Kostenentscheidung für alle drei Instanzen ersetzt: Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 8.404,99 EUR (darin enthalten 943,33 EUR USt und 2.745 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger kaufte 2019 von der Beklagten ihren Pkw Peugeot 407, Baujahr 2008 mit einem Kilometerstand von 95.500 km um 9.100 EUR. Das Fahrzeug wies eine noch sieben Monate gültige Prüfplakette nach § 57a KFG auf.
[2] Anlässlich der Besichtigung wurde der Zustand des Fahrzeugs nicht besprochen. Der Kläger nahm lediglich das Fahrzeug auf sichtbare Schäden in Augenschein und unternahm eine kurze Probefahrt. Der schriftliche Kaufvertrag lautete: „Ich verkaufe Ihnen und Sie kaufen von mir das mir gehörige Fahrzeug […] in gebrauchtem Zustand, wie besichtigt und probegefahren, ohne jede Gewährleistung“.
[3] Gleich nach der Übergabe eine Woche später war ein Leistungsverlust des Fahrzeugs beim Beschleunigen bemerkbar, der seine Ursache in einer schon bei der Übergabe vorliegenden Verstopfung im Motor hatte. Für einen Laien war jedoch nicht erkennbar, dass ein ernstzunehmendes Problem vorlag, das nach insgesamt 200 km Fahrt zu einem Motorschaden führte.
[4] Der Kläger begehrte die Aufhebung des Kaufvertrags und die Rückerstattung des Kaufpreises. Er berief sich auf Gewährleistung für und auf seinen Irrtum über die schlüssig zugesicherte Fahrbereitschaft.
[5] Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Beide Instanzen hielten die Fahrbereitschaft des Pkws aufgrund von Preis und Kilometerstand für eine (schlüssig) zugesicherte Eigenschaft, die deshalb vom Gewährleistungsverzicht nicht umfasst sei. Das Berufungsgericht bejahte auch einen gemeinsamen Irrtum. Es ließ die Revision zur Frage zu, ob trotz vereinbarten Gewährleistungsverzichts und fehlender Kommunikation allein aus objektiv vorliegenden und beiden Parteien bekannten Umständen (hier: Kilometerleistung und Preis) eine schlüssige Zusicherung abzuleiten sei bzw diese Umstände eine Irrtumsanfechtung rechtfertigen würden.
[6] Die Revision der Beklagtenstrebt eine Klagsabweisung an.
[7] Der Kläger beantragt, sie zurück- oder abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist zulässig und berechtigt.
[9] 1. Wegen des Zeitpunkts des Vertragsschlusses ist das Gewährleistungsrecht in der vor dem Inkrafttreten des GRUG, BGBl I 175/2021, geltenden Fassung anzuwenden (vgl § 1503 Abs 20 ABGB, § 41a Abs 35 KSchG, § 29 Abs 2 VGG).
[10] 2. Die einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Gewährleistung beim Gebrauchtwagenkauf unter Verbrauchern hat der Senat schon jüngst zu 4 Ob 215/23f wie folgt zusammengefasst:
[11] 2.1. Vertragsinhalt beim Gebrauchtwagenkauf ist das konkrete Fahrzeug (6 Ob 240/19s). Der Käufer hat mit den dem Alter und den gefahrenen Kilometern entsprechenden Verschleiß- und Abnützungserscheinungen zu rechnen (vgl RS0018466; RS0018624 [T1]). Das Fahrzeug muss aber die nach der Verkehrsauffassung gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften haben (6 Ob 240/19s; vgl RS0114333 [T1]). Dazu gehört in der Regel (auch) die Verkehrs- und Betriebssicherheit (6 Ob 240/19s; vgl RS0016189).
[12] 2.2. Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 9 KSchG ist ein rechtsgeschäftlicher Gewährleistungsausschluss nach § 929 ABGB zulässig (9 Ob 3/09w). Seine Reichweite ist durch Auslegung im Einzelfall nach der Absicht der Parteien und der Übung des redlichen Verkehrs zu ermitteln (2 Ob 176/10m; 10 Ob 56/19m; vgl RS0016561). In der Regel erfasst er auch verborgene Mängel und das Fehlen gewöhnlich vorausgesetzter Eigenschaften (2 Ob 176/10m; 6 Ob 125/14x; 10 Ob 56/19m; 8 Ob 96/23k; vgl RS0018564), nicht aber das Fehlen zugesicherter Eigenschaften (RS0018523). Das gilt auch für schlüssig zugesicherte Eigenschaften (RS0018523 [T3, T8]; RS0018561 [T2]; RS0018564 [T7, T12]; RS0018581 [T3]). Die schlüssige Zusicherung bestimmter Eigenschaften „überlagert“ also selbst einen umfassenden vertraglichen Gewährleistungsausschluss.
[13] 2.3. Die höchstgerichtliche Rechtsprechung, nach der die Fahrbereitschaft eines Gebrauchtwagens – und damit seine Verkehrs- und Betriebssicherheit – grundsätzlich als schlüssig zugesichert gilt (RS0018502; RS0110191), und zwar auch in Fällen eines umfassenden Gewährleistungsverzichts (RS0018502 [T1, T4]; RS0110191 [T1]), bezieht sich auf den Kauf vom gewerblichen Kraftfahrzeughändler (4 Ob 105/18x; 8 Ob 111/19k; vgl RS0018502 [„im Gebrauchtwagenhandel“] und RS0110191 [„im Falle eines Kaufs beim gewerblichen Kraftfahrzeughändler“]).
[14] 2.4. Ob ein Verkäufer, der nicht gewerblich mit Kraftfahrzeugen handelt, dem Käufer eines Gebrauchtwagens schlüssig die Fahrbereitschaft – und damit die Verkehrs- und Betriebssicherheit – zugesichert hat, ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre zu prüfen: Ob eine Eigenschaft als zugesichert anzusehen ist, hängt nicht davon ab, was der Erklärende wollte, sondern davon, was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung des Vertragspartners erschließen durfte. Seine berechtigte Erwartung ist an der Verkehrsauffassung zu messen (RS0018547 [T6]; RS0114333 [T5]). Gerade bei der Annahme einer schlüssigen Willenserklärung gemäß § 863 ABGB ist größte Vorsicht geboten (RS0014157; RS0013947). Sie setzt ein Verhalten voraus, das nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer bestimmten Richtung zu verstehen ist; es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, dass der Wille, eine Rechtsfolge in einer bestimmten Richtung herbeizuführen, vorliegt (RS0013947 [T1]; RS0014150). Bloßes Schweigen hat grundsätzlich keinen Erklärungswert (RS0014124; RS0014146 [T3]; RS0047273 [T3]). Nur unter besonderen Umständen ist Schweigen als Willenserklärung zu werten (RS0013991; RS0014347).
[15] 2.5. Zusammengefasst ist also die Verkehrs- und Betriebssicherheit eines Gebrauchtwagens im Regelfall eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft, für die der Verkäufer einzustehen hat. Ein vertraglicher Gewährleistungsausschluss steht der Geltendmachung des Fehlens dieser gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaft entgegen. Nur beim Kauf vom gewerblichen Kraftfahrzeughändler ist die Verkehrs- und Betriebssicherheit im Regelfall auch schlüssig zugesichert und überlagert damit einen – nach Maßgabe des § 9 KSchG zulässigen – Gewährleistungsverzicht. Handelt der Verkäufer nicht gewerblich mit Kraftfahrzeugen, kommt eine schlüssige Zusicherung der Verkehrs- und Betriebssicherheit nur bei besonderen Umständen in Betracht.
[16] 2.6. Angesichts dieser Grundsätze haben die Vorinstanzen im vorliegenden Fall die Grenzen des von der ständigen Rechtsprechung gesteckten Beurteilungsspielraums überschritten:
[17] Der Kläger unternahm eine Probefahrt, sodass für die Beklagte erkennbar war, dass dieser das Fahrzeug im Straßenverkehr nutzen wollte. Anlässlich des Fahrzeugkaufs sprachen aber der Kläger und die Beklagte nicht über den Zustand des Fahrzeugs. Ein objektiver Erklärungsempfänger musste dieses Verhalten der Beklagten nach den oben dargelegten Grundsätzen so verstehen, dass die Beklagte selbst von der Fahrbereitschaft ihres Fahrzeugs ausging – also keine Umstände kannte, die ihr entgegenstehen könnten – dem Kläger aber auch keine bestimmte Eigenschaft des Fahrzeugs zusichern wollte – insbesondere nicht seine Verkehrs- und Betriebssicherheit oder eine Mangelfreiheit bis zum Ende der Gültigkeit des „Pickerls“.
[18] 2.7. Der Kilometerstand weit unter der durchschnittlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugmodells und das Vorhandensein der Prüfplakette sind bloße Eigenschaften des Kaufgegenstands selbst, die die beklagte Verkäuferin nicht verändern konnte. Sie dürfen vom Kaufinteressenten schon deshalb nicht als Zusage für weitere Eigenschaften (zB keine Anlage für Motorschäden) interpretiert werden.
[19] Der von beiden Parteien des Kaufvertrags vereinbarte Preis ist das Ergebnis des durch ihre jeweiligen Wertvorstellungen, Ausgangspositionen und ihrem Verhandlungsgeschick geprägten Feilschens. Da hier beide technische Laien sind, verfügte auch die Verkäuferin im Hinblick auf verborgene Mängel über keinen Wissensvorsprung gegenüber dem klagenden Käufer, sodass dieser aus der bloßen Tatsache, dass kein Wrackpreis vereinbart wird, keine Zusage zur (künftigen) Fahrbereitschaftableiten konnte.
[20] 2.8. Aus der vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidung 9 Ob 3/09w kann für den vorliegenden Fall nichts gewonnen werden. In diesem Fall stimmte der Käufer einem Gewährleistungsverzicht erst zu, nachdem das Fahrzeug eigens von einem Fachmann auf die Fahrtauglichkeit überprüft worden war. Genau aus diesem hier fehlenden Umstand wurde dort aber die schlüssige Vereinbarung der Fahrtauglichkeit abgeleitet.
[21] 3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Vertrag auch nicht wegen Irrtums aufzuheben.
[22] Dies wäre nach § 871 ABGB nur dann zulässig, wenn 1. der Anfechtungsgegner einen relevanten Geschäftsirrtum veranlasst hat, oder 2. ihm ein solcher aus den Umständen offenbar auffallen musste oder 3. ein solcher Irrtum rechtzeitig aufgeklärt wurde. Die Rechtsprechung hat als vierten Fall noch den gemeinsamen Irrtum entwickelt (RS0016226).
[23] Wie schon das Erstgericht in der mündlichen Streitverhandlung erörterte, hat der Kläger zu diesen Voraussetzungen kein Vorbringen erstattet, sodass das Erstgericht – entsprechend dem Dispositionsgrundsatz – dazu keine Feststellungen zu treffen hatte und auch nicht getroffen hat.
[24] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Entsprechend der Einwendung des Klägers war bei den erstinstanzlichen Kosten zu berücksichtigen, dass für die Vertagungsbitte kein Kostenersatz zu leisten ist, weil sie ihre Ursache in der Sphäre der Beklagten hat (RS0121621).
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