OGH 21Ds1/23v

OGH21Ds1/23v28.9.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 28. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Univ.-Prof. Dr. Harrer und Dr. Fetz als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Gindl in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 19. September 2022, GZ D 10/22 (D 11/22), DV 9/22 (DV 12/22)‑15, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Mag. Wehofer, des Kammeranwalts Dr. Winiwarter und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0210DS00001.23V.0928.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Berufung wegen Strafe dahin Folge gegeben, dass die verhängte Geldbuße auf 500 Euro herabgesetzt wird.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte – neben einem unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch – [richtig:] der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes [zu ergänzen:] nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im Rahmen „seiner“ Revisionsbeantwortung an den Verwaltungsgerichtshof zu GZ * vom 9. August 2021 schriftlich ausgeführt, dass sich die Landespolizeidirektion Wien als Revisionswerberin bzw ihr zurechenbare Polizisten „seit geraumer Zeit durch krass (straf-)rechtswidrige Handlungen bei Klimademos hervortue“, „kaum eine Versammlung nicht gestört bzw eingeschränkt werde, was bisweilen sogar Körperverletzung, Scheinhinrichtung und falsche Dokumentation der Einsätze erfasst habe“, sowie „diese Repression von der Spitze der Wiener Polizei gewollt“ sei und dadurch gegen [ersichtlich gemeint] § 9 Abs 1 RAO verstoßen.

[3] Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 1.500 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Vorauszuschicken ist, dass mehrere im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene Angriffe (wie hier mehrere Äußerungen innerhalb eines Schriftsatzes [vgl Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 89]) eine einzige Tat darstellen. Einzelne Ausführungshandlungen einer im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangenen Tat können daher – soweit dadurch die rechtliche Beurteilung nicht tangiert wird – die Schuld- oder Subsumtionsfrage nicht beeinflussen, weshalb Einzelakte einer solchen Einheit auch nicht gesondert bekämpft werden können (RIS-Justiz RS0127374, RS0122006 [T6]; Bauer/Plöchl in WK² StGB §§ 15, 16 Rz 34/1; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 521).

[5] Nach den erstinstanzlichen Feststellungen fügte der Disziplinarbeschuldigte „seiner“ Revisionsbeantwortung nach der schriftlichen Antragstellung noch zwei Absätze an, in denen er Folgendes ausführte:

„Wenn auch nicht revisionsgegenständlich, ist der Vollständigkeit halber zu erwähnen, dass sich die Revisionswerberin [die Landespolizeidirektion Wien] seit geraumer Zeit regelmäßig durch krass (straf-)rechtswidrige Handlungen bei Klimademos hervortut. Kaum eine Versammlung wird nicht gestört bzw eingeschränkt, was bisweilen sogar Körperverletzung, Scheinhinrichtung und falsche Dokumentation der Einsätze umfasste. Wer sich in Österreich öffentlich für Klimaschutz einsetzt, muss Angst haben, dass er/sie in die Nieren geprügelt wird oder ihm/ihr mit einem Polizeibus über den Kopf gefahren wird. Diese Repression ist politisch von der Spitze der Wiener Polizei gewollt und die gewalttätigen Polizisten versehen nicht nur trotz Verurteilung weiter Außendienst, sondern wurden nachher sogar befördert.“

[6] Zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung konstatierte der Disziplinarrat hinreichend deutlich (wenngleich disloziert; ES 9), es entstehe der „Eindruck“, dass die Polizisten regelmäßig bei jeder „Klimademonstration“ rechtswidrige Übergriffe vornehmen würden, es werde auch der Vorwurf des fortlaufenden Amtsmissbrauchs (begangen durch die solche Repressionen billigende „Spitze der Wiener Polizei“) erhoben, zumal Polizisten gleichsam als Belohnung für Übergriffe befördert würden.

[7] Entgegen der Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des in der Disziplinarverhandlung am 19. September 2022 (ON 13 S 5) gestellten Beweisantrags auf „Beischaffung des Strafakts AZ 53 Hv 50/21s des Landesgerichts für Strafsachen zum Beweis für ein weiteres Fehlverhalten eines Beamten der Landespolizeidirektion Wien“ Verteidigungsrechte nicht verletzt. Der unter Beweis zu stellende Umstand betrifft nämlich – auch angesichts der weiteren (tateinheitlichen) Äußerungen, wonach die Wiener Polizeispitze (amtsmissbräuchlich) „Repression“ billige und mit Beförderungen belohne – keine für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erhebliche Tatsache (RIS-Justiz RS0116503).

[8] Entgegen der Beschwerdekritik der unvollständigen sowie fehlenden Begründung (Z 5 zweiter und vierter Fall) stützte der Disziplinarrat die – zudem als notorisch zu bewertende (vgl RIS-Justiz RS0098570 [T12, T14, T20]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463) – Feststellung, wonach es „vereinzelt Fälle gibt, in denen Polizisten Fehlverhalten setzen, indem eine unzulässige Festnahme erfolgt, eine falsche Aussage vor einer Verwaltungsbehörde getätigt worden ist, es zu gewalttätigen Übergriffen anlässlich des Einschreitens der Polizei gekommen ist, oder indem die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in sonstiger Weise rechtswidrig ausgeübt worden ist, welche Vorfälle auch bei Anzeigeerhebung geahndet werden“, – erkennbar – gerade auf die vom Disziplinarbeschuldigten vorgelegten, eben solches Fehlverhalten dokumentierenden Urteile und Protokolle (ES 6 und 7; die Urkunden beziehen sich auf Vorfälle anlässlich von „Klimakundgebungen“ unter anderem am 31. Mai 2019), zog daraus jedoch nicht den vom Berufungswerber gewünschten Schluss der (tatsächlichen) „Regelmäßigkeit“ solcher Vorfälle.

[9] Die im gegenständlichen Disziplinarverfahren abgegebene – die Gründe für die Formulierung, die „Repression sei politisch von der Wiener Polizei gewollt“ darlegende und diese als zulässig, weil naheliegend qualifizierende – schriftliche Stellungnahme des Berufungswerbers vom 5. Oktober 2021 (ad ON 1) steht dem konstatierten Bedeutungsinhalt nicht erörterungsbedürftig entgegen.

[10] Die Beurteilung, ob sich das inkriminierte Vorbringen in der Revisionsbeantwortung – unter Zugrundelegung des konstatierten Bedeutungsinhalts – innerhalb der Grenzen des § 9 Abs 1 RAO bewegt, entzieht sich als Rechtsfrage einer Bekämpfung aus Z 5.

[11] Den Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung leitete der Disziplinarrat – entgegen der Beschwerdekritik der offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) – in freier Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0092588, RS0092437 [insb T4]) – begründungstauglich – aus deren Wortlaut ab (ES 9). Soweit die Beschwerde die vom Disziplinarrat vorgenommene Interpretation in Frage stellt, erschöpft sie sich in bloßer Beweiswürdigungskritik, die zudem – unter dem Aspekt der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld – nicht zu überzeugen vermag.

[12] Als Aktenwidrigkeit (der Sache nach Z 5 fünfter Fall, nominell Z 5a) rügt der Berufungswerber, dass es – den diesbezüglichen Erwägungen im Erkenntnis zuwider (vgl ES 10) – in der Revisionsbeantwortung nicht nur um die Zulässigkeit der Revision, sondern auch um die Rechtmäßigkeit der „Beschwerdemaßnahme“ gegangen wäre. Abgesehen davon, dass er damit keine entscheidende Tatsache anspricht und überdies jene Urteilsannahmen übergeht, wonach der Disziplinarbeschuldigte in dieser Eingabe beantragte, die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen (ES 6), liegt Aktenwidrigkeit nur bei unrichtiger oder unvollständiger Wiedergabe wesentlicher Teile einer (hier:) Urkunde vor (RIS-Justiz RS0099547). 

[13] Ein Rechtsanwalt ist zwar gemäß § 9 Abs 1 RAO befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für tunlich erachtet, unumwunden vorzubringen; davon umfasst sind grundsätzlich auch alle sachlichen, durch eine entsprechende Information des Mandanten gedeckten Äußerungen des Rechtsanwalts, selbst wenn damit schwere Vorwürfe gegen den Gegner verbunden sind (RIS-Justiz RS0056312). Unsachliche oder beleidigende Äußerungen sind aber weder unter dem Gesichtspunkt gewissenhafter Vertretung (RIS-Justiz RS0055897 [T9]), noch unter jenem der Meinungsfreiheit (RIS-Justiz RS0056168 [T11]) zulässig; der Anspruchsdurchsetzung nicht dienliche beleidigende, polemische oder sonst unsachliche Äußerungen und Ausfälle widerstreiten den Gesetzen (RIS-Justiz RS0072230; vgl auch RS0055208).

[14] Indem aber (auch) die Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) unter Berufung auf den Wortlaut der inkriminierten Formulierungen und die vorgelegten Urkunden die Konstatierungen des Disziplinarrats zu deren Bedeutungsinhalt in Frage stellt, verfehlt sie den in diesen  Urteilsannahmen gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

[15] Die gebotene Orientierung am festgestellten Bedeutungsinhalt lässt auch die Argumentation, das Aufzeigen von „systematischen bzw organisatorischen Missständen“ sei für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig gewesen, vermissen. Der vom Disziplinarbeschuldigten vielmehr nach den Konstatierungen zum Ausdruck gebrachte Vorwurf regelmäßiger (rechtswidriger) Übergriffe durch Polizisten bei allen „Klimademonstrationen“ sowie eines damit verbundenen fortlaufenden Amtsmissbrauchs durch die – dies gutheißende – Wiener Polizeispitze, geht aber über das sachliche Aufzeigen von Missständen hinaus. Entgegen dem Berufungsstandpunkt erweist sich dieses Vorbringen – das zudem weder (rechtliche) Argumente für die (Un-)Zulässigkeit der konkreten außerordentlichen Revision noch solche gegen die Rechtmäßigkeit der verfahrensgegenständlichen Maßnahme beinhaltet – nicht als der Anspruchsdurchsetzung dienlich.

[16] Soweit sich der Rechtsmittelwerber wiederholt darauf beruft, lediglich im Auftrag seiner Mandantin gehandelt zu haben, übersieht er, dass ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, sein Verhalten bei der Vertretung eines Klienten, demnach auch sein Vorbringen, dahin zu überprüfen und zu gestalten, dass es weder dem Auftrag noch seinem Gewissen und nicht den Gesetzen widerstreitet. Wenn der Klient ein Vorbringen wünscht, welches dieser Überprüfung nicht standhält, hat es der Rechtsanwalt zu unterlassen, selbst wenn es dadurch seitens des Klienten oder seinerseits zu einer Lösung des Vollmachtsverhältnisses kommen kann (RIS-Justiz RS0107051).

[17] Die Feststellungen zur Publizität vermissende Rechtsrüge (Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) übergeht jene Konstatierung, wonach der Disziplinarbeschuldigte die inkriminierte Äußerung im Zuge der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Revisionsbeantwortung tätigte (ES 1 iVm ES 6). Eingaben an Organe der Rechtspflege, die ihrem Inhalt nach auf justizförmige Entscheidungen abzielen, gelangen aber naturgemäß einer Mehrzahl von Personen zur Kenntnis (RIS-Justiz RS0054876 [T12, T14]; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 14 mwN).

[18] Der weiteren Rüge (der Sache nach Z 9 lit b) zuwider ist ein Vorgehen nach § 3 DSt nicht indiziert, weil ein solches das kumulative Vorliegen sämtlicher gesetzlicher Voraussetzungen erfordert (RIS-Justiz RS0113534 [T1 und T2]), die Tathandlung des Disziplinarbeschuldigten aber schon aufgrund der durch die Einbringung des Schriftsatzes bei einem Höchstgericht erzielten Publizität nicht bloß unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat (RIS-Justiz RS0113985, RS0056701).

[19] Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen siehe RIS-Justiz RS0128656 [T1]) war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Beschuldigten – nicht Folge zu geben.

[20] Der impliziten (§ 49 letzter Satz DSt) Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe kommt jedoch Berechtigung zu:

[21] Obwohl neben den vom Disziplinarrat angenommenen Strafbemessungsgründen das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen als erschwerend zu werten ist, fiel zu Gunsten des Beschuldigten ins Gewicht, dass lediglich die ohne jegliches konkretes Sachverhaltssubstrat gegenüber der „Spitze der Wiener Polizei“ erhobenen Anwürfe ungeachtet dessen, ob das Vorbringen insgesamt der Anspruchsdurchsetzung dienlich war, als – zulässige Kritik an behördlichem Handeln jedenfalls überschreitendes – disziplinäres Fehlverhalten anzusehen sind. Der Senat erachtete daher – auch unter Berücksichtigung der im Rahmen der Berufungsverhandlung gezeigten Einsicht des Beschuldigten und seiner Versicherung, seine Wortwahl hinkünftig zu zügeln – die Verhängung einer Geldbuße von 500 Euro als dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld des Disziplinarbeschuldigten angemessen.

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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