OGH 3Ob140/22t

OGH3Ob140/22t25.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Breiteneder Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 27.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichtvom 20. April 2020, GZ 4 R 20/20v‑46, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburgvom 29. November 2019, GZ 5 Cg 1/18w‑42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

 

I. beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00140.22T.0525.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

1. Das mit Beschluss vom 10. Dezember 2020, AZ 3 Ob 87/20w, gemäß § 90a GOG unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

2. Die Eingaben der beklagten Partei vom 6. September 2022 und der klagenden Partei vom 21. September 2022 werden zurückgewiesen.

 

II. zu Recht erkannt:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:

1. Die Klageforderung besteht mit 27.000 EUR zu Recht.

2. Die von der beklagten Partei aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung besteht mit 9.248,48 EUR zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von 17.751,52 EUR samt 4 % Zinsen seit 11. Dezember 2013 Zug um Zug gegen die Rückgabe des Pkw der Marke VW, Modell Caddy Maxi Trendline TDI 4Motion mit der Fahrgestellnummer * zu zahlen.

4. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 9.248,48 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des genannten Fahrzeugs wird abgewiesen.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.930,46 EUR (hierin enthalten 444,02 EUR USt und 2.266,38 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 1.214,72 EUR (hierin enthalten 76,72 EUR USt und 754,38 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.496,72 EUR (hierin enthalten 92,04 EUR USt und 944,46 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung

und

Entscheidungsgründe:

 

Zu I.1.:

[1] Mit Beschluss vom 10. Dezember 2020, 3 Ob 87/20w, wurde das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. März 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 14. Juli 2022, C‑145/20 , die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen.

Zu I.2.:

[2] Die Parteien brachten nach Vorliegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs Schriftsätze ein, die vom Obersten Gerichtshof weder aufgetragen noch freigestellt wurden, weshalb sie zurückzuweisen sind.

Zu II.:

[3] Der Kläger, ein Verbraucher, erwarb mit Kaufvertrag vom 4. Dezember 2013 vom beklagten Autohandelsunternehmen einen Pkw VW Caddy Maxi Trendline TDI 4Motion. Die Übergabe erfolgte am 11. Dezember 2013. Im Fahrzeug, das erstmals am 13. August 2013 zum Verkehr zugelassen worden war, ist ein 2,0 Liter TDI‑Motor der Baureihe EA 189 verbaut. Die Beklagte ist weder Herstellerin des Fahrzeugs noch des Motors. Zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 4.137 km auf. Das Fahrzeug ist nach der Verordnung (EG) Nr 715/2007 gemäß Euroabgasnorm 5 akkreditiert.

Rechtliche Beurteilung

[4] Das Fahrzeug verfügte zum Zeitpunkt der Auslieferung an den Kläger über zwei Modi. Der Modus 0 wird im normalen Fahrbetrieb verwendet. Der Modus 1 erkennt, wenn das Fahrzeug einen Prüfzyklus durchfährt. In diesem Fall wird die Abgasrückführung deutlich erhöht, wodurch der Sauerstoffgehalt der Luft im Brennraum reduziert wird. Dadurch kommt es zu einer Reduktion der Nox‑Emissionen.

[5] Mit Bescheid des deutschen Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vom 15. Oktober 2015 wurde der Rückruf von rund 2,4 Millionen VW‑Fahrzeugen angeordnet, weil es sich bei der darin verbauten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle.

[6] Am 20. Juli 2016 ließ der Kläger bei einem Kilometerstand von 49.422 km ein Software‑Update beim Fahrzeug aufspielen. Dadurch wurde die Abschaltvorrichtung mittels der zwei Modi eliminiert.

[7] Die Ansteuerung der Abgasrückführung hängt beim Fahrzeug des Klägers – wie bei fast allen Fahrzeugen – neben den aktuellen Betriebsbedingungen wie der Gasstellung und der Drehzahl auch von verschiedenen Umgebungsbedingungen wie der Lufttemperatur und den Luftdruckverhältnissen ab. Unter ca 15 Grad und über ca 33 Grad (sog. „Thermofenster“) wird die Abgasrückführung sukzessive zurückgenommen und das Abgasrückführungsventil sukzessive weniger aktiviert. Dies einerseits, um bei niedrigen Temperaturen ein Versotten der Abgasrückführung – also des dort befindlichen Kühlers und Ventils – zu verhindern und andererseits bei hohen Temperaturen eine zu starke thermische Belastung der Komponenten Wärmetauscher und Abgasrückführungsventil zu vermeiden.

[8] Anfang August 2019 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 88.354 km auf. Die zu erwartende Nutzungsdauer beträgt 250.000 km. Der Händlereinkaufspreis laut Eurotax betrug bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (am 20. August 2019) 12.400 EUR.

[9] Der Kläger begehrte, gestützt auf Gewährleistung, Irrtum und Arglist, nach Klageeinschränkung zuletzt die Zahlung von 27.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 11. Dezember 2013 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

[10] Die Beklagte wendete insbesondere ein, das KBA habe sämtliche Fahrzeuge mit dem Dieselmotor des Typs EA 189 als technisch sicher und fahrbereit befunden, weshalb diese uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt werden könnten. Ein künftiger Entzug der Typengenehmigung sei daher nicht zu befürchten. Für den Fall der Berechtigung des Klagebegehrens werde ein Benützungsentgelt in Höhe von 14.600 EUR (Differenz zwischen dem Kaufpreis von 27.000 EUR und dem damals aktuellen Händlereinkaufspreis von 12.400 EUR) aufrechnungsweise eingewendet.

[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Verwendung des sogenannten Thermofensters stelle keinen Mangel dar. Auch eine Anfechtung wegen Irrtums und Arglist scheide aus.

[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Das Erstgericht habe das Vorliegen eines Mangels ebenso wie der übrigen Klagegründe zutreffend verneint.

[13] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich im Hinblick auf das vom Obersten Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x gestellte Vorabentscheidungsersuchen zu.

[14] Die Revision ist zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.

A. Zur EG‑Typengenehmigung

[15] A.1. Auf Unionsebene regelte zunächst die „Rahmenrichtlinie“ (RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46/EG ) ein System gemeinschaftlicher Typgenehmigungen für alle Fahrzeugklassen (vgl nunmehr die VO 2018/858/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge).

[16] Gemäß Art 3 Z 3 RL 2007/46/EG bezeichnet der Ausdruck „Typengenehmigung“ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht. Diese Vorschriften und Anforderungen ergeben sich aus der Richtlinie selbst und den in ihren Anhängen aufgeführten Rechtsakten. Derartige Rechtsakte können insbesondere andere Einzelrichtlinien oder Einzelverordnungen sein, wobei jeder dieser Rechtsakte einen spezifischen Aspekt betrifft (vgl EuG T‑339/16 , T‑352/16 , T‑391/16 , vom 13. 12. 2018, Ville de Paris, Ville de Bruxelles, Ayuntamiento de Madrid, Rz 2 [insofern von der über diese Entscheidung ergangenen Rechtsmittelentscheidung des EuGH C‑177/19P bis C‑179/19P vom 13. 1. 2022 nicht berührt]). Der unter dem Gesichtspunkt der Schadstoffemissionen angesprochene Rechtsakt ist hinsichtlich der leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge die VO 715/2007/EU (vgl Art 1 Abs 1 VO 715/2007/EU ).

[17] A.2. Gemäß Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EU rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.

[18] A.3. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[19] Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EU normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.

[20] A.4. Nach Art 3 Z 9 Unterabs 3 der Durchführungsverordnung 692/2008 (VO [EG] 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung [EG] Nr 715/2007/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen [Euro 5 und Euro 6] und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge) sind die Hersteller von Dieselfahrzeugen verpflichtet, bei Beantragung einer Typengenehmigung der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführsystems (AGR) einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen zu machen.

[21] A.5. Gemäß Art 4 Abs 1 VO 715/2007/EU weist der Hersteller nach, dass alle von ihm verkauften oder in der Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Gemäß Art 18 Abs 1 RL 2007/46 hat der Hersteller als Inhaber einer EG‑Typengenehmigung für Fahrzeuge jedem Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde, eine Übereinstimmungsbescheinigung beizulegen.

[22] A.6. Die Behandlung einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten EG‑Betriebserlaubnis in Österreich ist in § 28b KFG geregelt. Nach § 28b Abs 1 KFG hat der Inhaber einer EG‑Betriebserlaubnis für die von ihm in den Handel gebrachten Fahrzeuge eine Übereinstimmungsbescheinigung im Sinn der jeweils anzuwendenden Betriebserlaubnisrichtlinie auszustellen. Darüber hinaus hat er für von ihm in Österreich in den Handel gebrachte Fahrzeuge, für die eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt, die Genehmigungsdaten in die Genehmigungsdatenbank einzugeben. Die erstmalige Zulassung eines Kraftfahrzeugs setzt gemäß § 37 Abs 2 lit a KFG die Erbringung des Genehmigungsnachweises für das Fahrzeug – das ist bei Fahrzeugen mit EG‑Betriebserlaubnis die gültige Übereinstimmungsbescheinigung oder der Datenauszug aus der Genehmigungsdatenbank – voraus.

B. Zur Vorabentscheidung des EuGH

[23] B.1. Mit Beschluss vom 17. März 2020 legte der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

„1. Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Abl L 171/1 vom 29. 6. 2007) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?

2. Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus?

3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?“

[24] B.2. Mit Urteil vom 14. Juli 2022 hat der EuGH die ihm gestellten Fragen wie folgt beantwortet:

„1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG‑Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung verboten ist.

2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.

3. Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als ′geringfügig′ eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.“

C. Zu den Gewährleistungsansprüchen gegen die Beklagte

C.1. Grundsätze der Gewährleistung

[25] C.1.1. Eine Leistung ist mangelhaft im Sinn des § 922 ABGB, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem Geschuldeten, das heißt dem Vertragsinhalt, zurückbleibt (RS0018547). Der geschuldete Vertragsgegenstand wird durch die gewöhnlich vorausgesetzten oder die ausdrücklich oder stillschweigend zugesicherten Eigenschaften bestimmt (RS0018547 [T5]). Er muss der Natur des Geschäfts oder der geschlossenen Verabredung entsprechend benützt und verwendet werden können (RS0114333 [T3]; 4 Ob 168/18m mwN), wozu bei einem Kfz das Vorliegen der entsprechenden behördlichen Genehmigungen erforderlich ist (3 Ob 5/07t).

[26] Die Vertragsparteien können eine Sache, die objektiv gesehen mangelhaft ist, als vertragsgemäß ansehen. Wenn allerdings – wie im vorliegenden Fall – eine Vereinbarung über die geschuldeten Eigenschaften des Leistungsgegenstands fehlt, sind gemäß §§ 922 ff ABGB die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften der veräußerten Sache maßgebend (RS0107681).

[27] C.1.2. Ein Sachmangel liegt vor, wenn es der Sache (im weiten Sinn des § 285 ABGB) an sachlicher Substanz (ebenfalls im weiten Sinn) mangelt (Zöchling‑Jud in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 923 Rz 9 [Stand 1. 1. 2016, rdb.at]; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 [2018] §§ 922, 923 Rz 119; vgl 1 Ob 105/08k).

[28] Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn dem Erwerber nicht die geschuldete rechtliche Position verschafft wird (P. Bydlinski in KBB6 [2020] § 933 ABGB Rz 3 mwN; 3 Ob 5/07t). Unter Rechtsmängel fallen auch öffentlich-rechtliche Fehler, so etwa das Fehlen baubehördlicher Bewilligungen (1 Ob 105/08k; 6 Ob 263/08g [erloschene Baugenehmigung]; 10 Ob 192/98b; 6 Ob 653/86; vgl 10 Ob 502, 503/94 [gegen Widerruf erteilte Genehmigung]) oder gewerberechtlicher Genehmigungen (7 Ob 184/03i).

[29] C.1.3. Ein in der Substanz der Sache liegender Mangel kann aber auch gleichzeitig einen Sach- und einen Rechtsmangel begründen. Zu 3 Ob 5/07t wurde klargestellt, dass die Behauptung, ein PKW mit tiefer gestelltem Fahrwerk weise eine zu geringe Bodenfreiheit auf, weshalb die Gefahr bestehe, dass der erteilte Einzelgenehmigungsbescheid von der Behörde aufgehoben werde, sowohl die Behauptung eines Sach- als auch eines Rechtsmangels in sich trage.

[30] C.1.4. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 1 ABGB zunächst ein Verbesserungsanspruch. Um diesen Verbesserungsanspruch zum Erlöschen zu bringen, muss der Übergeber als anspruchsvernichtende Tatsache behaupten und beweisen, dass er den Mangel durch Verbesserung beseitigt hat (2 Ob 34/11f; allgemein: RS0106638 [T2]).

C.2. Zur „Umschaltlogik“

[31] C.2.1. Nach den Feststellungen waren sämtliche mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 der Abgasklasse EU 5 bestückten Fahrzeuge mit einer im Motorsteuerungsgerät enthaltenen „Umschaltlogik“ ausgestattet, die für die Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vorsah, einen Betriebsmodus für das Emissionsprüfungsverfahren mit einer relativ hohen Abgasrückführung und einen Betriebsmodus mit einer geringeren Rückführungsrate, der unter normalen Fahrbedingungen zum Einsatz gelangte. Das Vorhandensein dieser Software wurde der zuständigen Typengenehmigungsbehörde nicht offengelegt.

[32] C.2.2. Eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EU vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, läuft der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (EuGH 17. 12. 2020, C‑693/18 , CLCV, Rn 98, ÖJZ 2021/38 [Kumin/Maderbacher]). Daher kann eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EU festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU fallen (EuGH 17. 12. 2020, C‑693/18 , CLCV, Rn 115).

[33] C.2.3. Nach dem Urteil des EuGH zu C‑145/20 (Rs Porsche Inter Auto und Volkswagen, ÖJZ 2022/114 [Brenn] ist ein Kraftfahrzeug, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nicht vertragskonform iSd Verbrauchsgüterkauf‑RL (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999), konkret deren Art 2 Abs 2 lit d, weil es nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftiger Weise erwarten kann (Beantwortung der Frage 1).

[34] C.2.4. Diese Beurteilung führt auch zur Qualifikation eines solchen Fahrzeugs als mangelhaft gemäß § 922 ABGB, weil es nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweist (vgl 10 Ob 2/23a mwN). Da es sich um einen Mangel der Substanz des Fahrzeugs handelt, ist er als Sachmangel zu qualifizieren.

[35] C.2.5. Darauf, ob darüber hinaus ein Rechtsmangel darin zu sehen ist, dass die Typengenehmigung nicht rechtsbeständig sei, woran nach dem Klagevorbringen auch die Billigung des Software‑Updates durch das KBA nichts geändert habe (vgl zur latenten Möglichkeit der Betriebsuntersagung BGH 8. 12. 2021, VIII ZR 190/19 Rz 82), muss im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden, weil bereits die nicht erfolgreiche Behebung des Sachmangels die begehrte Wandlung rechtfertigt (dazu im Folgenden).

C.3. Zur Behebbarkeit des bei Übergabe vorhandenen Sachmangels

[36] C.3.1. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 2 ABGB zunächst (nur) ein Verbesserungsanspruch. Da die Beklagte dem Kläger aus dem Kaufvertrag ein nicht mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug schuldete, setzt eine Verbesserung iSd § 932 ABGB voraus, dass das Fahrzeug nach Durchführung der Verbesserung nicht mehr mit einer solchen verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre. Es ist daher zu beurteilen, ob dieser Zustand durch das Software‑Update erreicht wurde.

[37] C.3.2. Die neu installierte Software beinhaltet ein „Thermofenster", aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist.

[38] C.3.3. Dass das „Thermofenster“ als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU zu qualifizieren ist, ist nicht zweifelhaft (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 81). Zu prüfen ist daher weiter, ob die hier zu beurteilende Abschalteinrichtung – das „Thermofenster“ in seiner konkreten Ausgestaltung – verboten ist.

[39] C.3.4. Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU normiert ein grundsätzliches, von Ausnahmen durchbrochenes Verbot von Abschalteinrichtungen. Nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Von diesem Verbot normiert Art 5 Abs 2 Satz 2 drei Ausnahmen. Die Beklagte nimmt für sich – wenn auch nur indirekt durch Verweis auf die Rechtsansicht des KBA – die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU in Anspruch.

[40] C.3.5. Nach dieser Bestimmung muss die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

[41] C.3.6. In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 62; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 74; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 89, ÖJZ 2023/16 [Brenn]).

[42] Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 1 lit a VO 715/2007/EU , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 95).

[43] C.3.7. Der Europäische Gerichtshof hat zudem ausgeführt, dass eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU fällt (Urteile C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73, 81; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 65, 70; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f).

[44] C.3.8. Eine Abschalteinrichtung ist somit jedenfalls unzulässig, wenn sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

[45] C.3.9. Nach den Feststellungen ist die Abgasrückführung beim vorliegenden Fahrzeugtyp nach dem Software‑Update nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius und damit aufgrund der offenkundig (vgl nur die im Statistischen Jahrbuch Österreichs, herausgegeben von der Statistik Austria, veröffentlichten Lufttemperaturen [Rubrik 1.08: Messpunkte Wien Hohe Warte, Eisenstadt, Klagenfurt, St. Pölten, Linz‑Hörsching, Irdning‑Gumpenstein, Graz‑Flughafen, Innsbruck‑Universität und Feldkirch, alle abrufbar auf der Website der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik www.zamg.ac.at/cms/de/klima/klimauebersichten/jahrbuch ]) im deutschsprachigen Raum herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist. Im Übrigen, überwiegenden Teil des Jahres ist die Abgasrückführung hingegen durch die programmierte Abschalteinrichtung reduziert. Im Hinblick darauf wäre aber die Abschalteinrichtung (das „Thermofenster“) nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteile C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rz 73, 81; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 65, 70; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f) selbst dann nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU zulässig, wenn sie erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Die nach dem Software‑Update beim Fahrzeug des Klägers vorhandene Programmierung fällt daher nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU .

[46] C.3.10. Soweit die Beklagte vorbringt, sämtliche Hersteller von Dieselfahrzeugen würden „Thermofenster“ implementieren, ist klarzustellen, dass der Oberste Gerichtshof in der vorliegenden Entscheidung nicht zur Zulässigkeit jeglicher „Thermofenster“ schlechthin Stellung zu nehmen hat. Es ist vielmehr das beim hier vorliegenden Fahrzeugtyp implementierte „Thermofenster“ in seiner konkreten Ausprägung zu beurteilen, also eine Abschalteinrichtung, die die Abgasrückführung bereits bei Unterschreiten einer Außentemperatur von 15 Grad Celsius reduziert und eine volle Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius zulässt.

C.4. Zur Wandlung

[47] C.4.1. Nach § 932 ABGB kann der Übernehmer zunächst nur die Verbesserung oder den Austausch der Sache verlangen, es sei denn, sowohl Verbesserung als auch Austausch sind unmöglich, für den Übergeber mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden (§ 932 Abs 4 Satz 1 ABGB). Nach ständiger Rechtsprechung kann der Übernehmer schon bei Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs den Sekundärbehelf (Wandlung oder Preisminderung) in Anspruch nehmen (RS0018722 [T2]; RS0018702 [T9]; jüngst 9 Ob 83/21b).

[48] C.4.2. Die Wandlung setzt gemäß § 932 Abs 4 ABGB überdies voraus, dass der Mangel nicht geringfügig ist. Ob ein Mangel als geringfügig anzusehen ist oder nicht, ist an Hand einer Interessenabwägung zu beurteilen, bei der sowohl die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Aufhebung des Vertrags im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die Parteien, aber auch die „Schwere“ des Mangels zu berücksichtigen sind (RS0119978 [T5]; 6 Ob 240/19s [P 1.3.] mwN, EvBl 2021/54 [Painsi; I. Vonkilch] = JBl 2021, 589 [W. Faber] = ZVR 2022/75, 176 [Huber] = ecolex 2021/153, 207 [Buchleitner]).

[49] C.4.3. Dem Ausschluss des Wandlungsrechts bei Geringfügigkeit des Mangels liegt Art 3 Abs 6 Verbrauchsgüterkauf‑RL zugrunde. Diese Bestimmung ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verboten ist, nicht als geringfügig eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug nicht gekauft hätte (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 82 ff, 97).

[50] C.4.4. Der bei Übergabe des Fahrzeugs bestehende Mangel (die „Umschaltlogik“, die eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotene Abschalteinrichtung darstellt) wurde, wie oben ausgeführt, durch das Software‑Update im Ergebnis nicht behoben, weil auch danach eine (wenn auch aus einem anderen Grund) unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden ist. Dieser Mangel ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C‑145/20 auch nicht geringfügig. Die vom Kläger geltend gemachte Wandlung ist daher berechtigt.

D. Rückabwicklung und Benützungsentgelt

D.1. Zur Geltendmachung des Benützungsentgelts

[51] D.1.1. Nach Auflösung eines Vertrags durch Anfechtung oder Wandlung hat gemäß § 877 (bei Gewährleistung iVm § 932 ABGB) iVm §§ 1435 ff ABGB jeder Teil alles zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat. Stehen beiden Teilen Rückforderungsansprüche zu, so brauchen diese nur Zug um Zug erfüllt zu werden (RS0016321; 4 Ob 70/18z; 8 Ob 59/16h).

[52] D.1.2. Die Rückabwicklung Zug um Zug ist nur auf Einrede zu beachten (vgl RS0086350). Der Kläger kann die Zug‑um‑Zug‑Verpflichtung allerdings – wie es hier geschehen ist – auch selbst durch entsprechende Beifügung in der Klage anbieten (vgl RS0041069).

[53] D.1.3. Bei einem Kaufvertrag ist der primäre Bereicherungsanspruch des beklagten Verkäufers auf die Rückgabe der vom Käufer empfangenen Leistung, also auf Rückgabe der Sache in Natur gerichtet (4 Ob 70/18z; 6 Ob 265/01s). Bereicherungsansprüche des beklagten Verkäufers können aber auch in Geld bestehen. Derartige Ansprüche des Beklagten sind grundsätzlich als Gegenforderungen einzuwenden (4 Ob 70/18z; vgl 8 Ob 74/13k; 10 Ob 32/15a ua). Dies hat die Beklagte hier getan.

[54] D.1.4. Da das Erstgericht die Klageforderung nicht als zu Recht bestehend annahm, hatte es über die Gegenforderung nicht abzusprechen. Da diese Rechtsansicht vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt wird, ist die Gegenforderung zu prüfen.

[55] Nach der Rechtsprechung ist bei der Kondiktion von Leistungen aus gegenseitigen Verträgen, bei denen die Parteien regelmäßig von der Annahme einer Äquivalenz der beiderseitigen Leistungen ausgehen, eine Verpflichtung des redlichen Besitzers, die nach der Herstellung des Austauschverhältnisses bezogenen Früchte und Nutzungen herauszugeben, zu verneinen; der redliche Empfänger des Kaufpreises aus einem schwebend unwirksamen Vertrag darf nach dem Wegfall des Rechtsgrundes daher die Zinsen behalten, wenn auch der Käufer in der Zwischenzeit in den als äquivalent angesehenen Genuss der Kaufsache gekommen ist (RS0010214; krit Kerschner, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, JBl 2001, 756, nach dem dies nur in Ausnahmsfällen angenommen werden könne). Eine solche – einem Anspruch auf Benützungsentgelt entgegenstehende – „Pauschalverrechnung“ setzt daher voraus, dass die Hauptleistungen als annähernd gleichwertig angesehen werden können, woran es aber fehlt, wenn die benützte Sache – wie dies bei Kraftfahrzeugen angenommen wird – einer starken gebrauchsbedingten Wertminderung unterliegt (G. Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 330 ABGB Rz 20; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.07 § 330 Rz 5 [Stand 1. 5. 2020, rdb.at]). Der Kläger hat der Beklagten daher ein Benützungsentgelt für die Nutzung des Fahrzeugs zu entrichten.

D.2. Zur Höhe des Benützungsentgelts

[56] D.2.1. Ausgangspunkt aller Erwägungen zur Ermittlung des Benützungsentgelts, das der mit dem Aufhebungs‑ oder Wandlungsbegehren durchdringende Kläger schuldet, ist, dass das Entgelt dem verschafften Nutzen angemessen sein muss (vgl RS0019850; dies betonend etwa 8 Ob 74/13k).

[57] D.2.2. Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Beurteilung der Frage, ob bzw welchen Nutzen sich der Kläger im Fall eines berechtigten Wandlungsbegehrens als Benützungsentgelt anrechnen lassen muss, von den Umständen des Einzelfalls ab (4 Ob 21/21y; 3 Ob 131/19i; 8 Ob 59/16h = RS0018534 [T13]). Das folgt schon daraus, dass der Gebrauchsnutzen, den der Übernehmer aus einer Sache ziehen konnte, keine exakt messbare Größe ist (vgl etwa BGH 29. 9. 2021, VIII ZR 111/20 Rz 52, 72 [„Schätzungsermessen“]), auch wenn das begehrte Benützungsentgelt im Prozess beziffert werden muss. Abhängig von dem mit der Beweisaufnahme verbundenen Aufwand und dem Streitwert kann die Bemessung des angemessenen Benützungsentgelts daher gemäß § 273 ZPO erfolgen (RS0018534 [T5]; 3 Ob 131/19i).

[58] D.2.3. Der Oberste Gerichtshof ist jüngst zu 10 Ob 2/23a in einem vergleichbaren Fall mit ausführlicher Begründung und nach eingehender Auseinandersetzung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und dem Schrifttum zu diesem Thema zum Ergebnis gekommen, dass der Ansatz, der Ausmittlung die lineare Wertminderung zugrunde zu legen, in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Käufer des Kfz die Wandlung nicht zu vertreten hat, sachgerecht ist, weil der überproportional hohe anfängliche Wertverlust aus dem Verlust der Neuheit der Sache nicht dem Käufer, der die Wandlung nicht zu vertreten hat, aufzuerlegen ist; dem Umstand, dass es sich um einen Neuwagen handelt, wird durch den gegenüber einem Gebrauchtwagen höheren, die Neuheit reflektierenden Kaufpreis, der in die Ausmittlung einfließt, Rechnung getragen. Bei einem gebrauchten Fahrzeug ist es gleichermaßen sachgerecht, bei der Berechnung den konkret vereinbarten Kaufpreis heranzuziehen, wenn und weil dieser als angemessene Gegenleistung angesehen werden kann. Konsequenterweise ist dann bei der Berechnung nicht die Gesamtlaufleistung, sondern die dem (als angemessen unterstellten) Kaufpreis zugrunde gelegte (geringere) erwartete Restlaufleistung zu berücksichtigen.

[59] D.2.4. Der erkennende Senat schließt sich der überzeugenden Begründung des 10. Senats an. Ausgehend von der festgestellten zu erwartenden Restlaufleistung des Fahrzeugs im Erwerbszeitpunkt von 245.863 km und dem damals vereinbarten Kaufpreis von 27.000 EUR, sowie ausgehend davon, dass der Kläger das Fahrzeug auch nach Geltendmachung der Wandlung weiter nutzte und bis zum Beurteilungszeitpunkt (§ 193 ZPO) damit 84.217 km zurücklegte, schuldet der Kläger somit ein Benützungsentgelt von 9.248,48 EUR.

[60] D.2.5. Der Kläger macht demgegenüber ein Benützungsentgelt für die Nutzung des der Erstbeklagten gezahlten Kaufpreises in Höhe der gesetzlichen Zinsen beginnend mit der Zahlung des Kaufpreises geltend. Die Beklagte wendete dagegen ein, dass dem Kläger Zinsen frühestens ab Zustellung der Klage zustehen könnten.

[61] Nach ständiger Rechtsprechung hat selbst der redliche Bereicherungsschuldner – außer bei Vorliegen einer Gegenleistung – die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines von ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben („Vergütungszinsen“). Auch bei Redlichkeit des Bereicherten ist nämlich die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals inter partes dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte; § 1000 ABGB ist in diesem Zusammenhang ganz generell als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld („Zinsen“) zu verstehen (7 Ob 10/20a [P E.1.2.]; 4 Ob 46/13p [P 4.2.). Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, warum dem Kläger – der ja auch ein Entgelt für die Nutzung des zurückzustellenden Fahrzeugs zu leisten hat – nicht Vergütungszinsen dafür zustehen sollen, dass er den zurückzustellenden Kaufpreis seit der Zahlung an sie nicht nutzen konnte.

[62] D.3. Da sich das Klagebegehren aus dem Grund der Gewährleistung als berechtigt erweist, muss auf die übrigen Rechtsgründe, auf die der Kläger seinen Anspruch stützte, nicht mehr eingegangen werden.

E. Kostenentscheidung

[63] Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 43 Abs 1 ZPO und hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Der Kläger ist mit seinem Begehren nur zu rund 66 % durchgedrungen, sodass die Beklagte ihm 32 % der Vertretungskosten und 66 % der Barauslagen iSd § 43 ZPO (Pauschalgebühr sowie Sachverständigengebühren von 3.000 EUR) zu ersetzen hat. Umgekehrt hat die Beklagte Anspruch auf Ersatz von 34 % der vorläufig von ihr getragenen Sachverständigengebühren von 600 EUR.

[64] Die Beklagte hat in ihren Einwendungen gegen das erstinstanzliche Kostenverzeichnis des Klägers zutreffend aufgezeigt, dass die gemeinsamen Vertagungsbitten ON 10 und ON 12 von ihrem Rechtsvertreter verfasst und vom Klagevertreter bloß im ERV an das Erstgericht übermittelt wurden, weshalb dem Kläger dafür nur der ERV‑Erhöhungsbetrag, nicht aber auch das verzeichnete tarifmäßige Honorar zuzusprechen ist. Die beiden Fristerstreckungsanträge des Klägers ON 28 und ON 30 waren nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und sind daher ebenfalls nicht zu honorieren. Die verzeichneten Fahrtkosten des Klägers sowie dessen frustrierter Reisekostenaufwand sind ebenso wie die verzeichneten Kosten der elektronischen Akteneinsicht schon mangels Bescheinigung nicht zuzusprechen.

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